6.
Als der Krieg zu Ende ging, hatte Großbritannien sich zu einer gerechteren Gesellschaft entschlossen. Vielleicht lag es daran, dass Willie Sneddon, Jonny Cohen und Hammer Murphy den Vertrag der Drei Könige geschlossen hatten, während Ökonomen wie Beveridge und Co den Wohlfahrtsstaat und die Gleichbehandlung planten. Die Idee der Drei Könige hatte darin bestanden, Glasgow gleichmäßig unter sich aufzuteilen. Ein gerechtes Stück vom Kuchen für jeden.
Der Kuchen mochte gleichmäßig aufgeteilt gewesen sein, aber irgendwie hatte Willie Sneddon es dennoch verstanden, sich den größten Teil vom Zuckerguss einzuverleiben. Von den Drei Königen war Sneddon mit Abstand am reichsten. Niemand wusste, wie es ihm gelang, derartigen Reichtum anzuhäufen, auch wenn es Vermutungen gab. Der Gedanke dürfte Hammer Murphy zweifellos manche schlaflose Nacht bereitet haben.
Doch wer Willie Sneddon kannte, für den war es kein großes Geheimnis. Zu Sneddons Natur gehörte ein Maß an Raffinesse und Verschlagenheit, das viel größer war, als man bei einem durchschnittlichen Gangsterboss vermutete. Sneddon war, was man einen Mauschler nennt – nicht bloß ein Verbrecher, sondern ein Unternehmer des Verbrechens, der stets nach seinem besonderen Vorteil Ausschau hielt und nach immer neuen Möglichkeiten suchte, irgendwo noch einen Penny mehr herauszuquetschen.
Obwohl ich nie mit ihm darüber gesprochen hatte, wusste ich, dass Jonny Cohens Geld zu einem großen Teil nicht aus seinen Nachtclubs und anderen Geschäften kam. Jonnys Haupteinnahmequelle waren Schwerverbrechen: hauptsächlich Raubüberfälle, Einbrüche, Scheinfirmenbetrug und hin und wieder ein bisschen Erpressung. Bei Jonny Cohen – bei Hammer Murphy übrigens auch – kam der Großteil der Einnahmen von »dicken Dingern«, die eine gewaltige Summe Bargeld ergaben. Große Coups. Willie Sneddon war in der gleichen Branche, aber jeder wusste, dass er jede Menge andere Geschäfte betrieb und andere Einnahmequellen besaß, sodass das Geld in einem nicht abreißenden Strom in seine Taschen floss. Darüber hinaus hatten seine Umtriebe noch eine weitere Dimension: Willie Sneddon, den Geschäftsmann. Sneddon hatte seine gute Nase für rechtmäßige Geschäfte schon unter Beweis gestellt, auch wenn er sie mit geraubtem, erpresstem oder gefälschtem Geld machte. Wie die meisten großen Fische besaß er eine Reihe scheinbar rechtstreuer Firmen, die nur dem Waschen schmutzigen Geldes dienten. Von den üblichen Räuberbaronen unterschied Sneddon sich darin, dass er in der Lage gewesen war, aus diesen Geldwaschsalons selbstständig erfolgreiche und dennoch legitime Firmen zu machen. Trotzdem brauchte man nicht lange zu kratzen, um unter dem goldenen Anstrich das Messing freizulegen. Tatsache aber war, dass Sneddon eine Nase dafür besaß, wo man einen Shilling verdienen konnte, sei es kriminell oder legal.
Aus diesem Grund hatte es Sneddon im Gegensatz zum jüngst verblichenen Small Change MacFarlane geschafft, den sozialen Rubikon des Clyde zu überqueren. Danach war er noch ziemlich weit gekommen. Das Sneddon’sche Anwesen, ein riesiges Herrenhaus im nachgemachten Baronial-Stil auf einem so weitläufigen Grundstück, dass es seinen eigenen Vizekönig verdient gehabt hätte, lag im grünsten und begehrtesten Winkel des grünen und begehrten Stadtteils Bearsden. Ich wusste, dass ein Richter am High Court, zwei Werftbesitzer und mehrere andere Industriekapitäne zu seinen Nachbarn zählten. Ich fragte mich, wie der Richter sich fühlte, dass er sich mit dem erfolgreichsten Verbrecher Glasgows eine Ligusterhecke teilen musste.
Andererseits hatte Willie Sneddon ein solches Maß an Reichtum und Einfluss in der Stadt erreicht, dass etliche Leute, mit denen er seine Geschäfte tätigte, es für geschmacklos hielten, die fragwürdigen Ursprünge seines Wohlstands zur Sprache zu bringen. Und wenn hin und wieder ein brauner Briefumschlag voller Banknoten den Besitzer wechselte, schadete es auch nicht. Glasgow war eine Stadt, in der alles käuflich war, auch gesellschaftliches Ansehen.
Ich konnte mich nicht länger von Sneddon fernhalten. Er würde auf Nachrichten warten, und die einzigen Neuigkeiten, die ich für ihn hatte, besagten, dass es Zeitverschwendung gewesen war, mich auf Bobby Kirkcaldy anzusetzen, und dass Maggie MacFarlane mir versichert hatte, Small Change hätte keinen Terminkalender geführt.
Es regnete ausnahmsweise nicht. Hinter einem milchigen Wolkenschleier versteckte sich eine mehr als halbherzige Sonne, und die Luft war nicht so schwer und drückend feucht wie am Tag zuvor. Ich stand auf, rasierte mich und zog ein hellblaues Seidenhemd mit dunkelburgunderrotem Schlips an, dazu einen zweireihigen Anzug ohne Weste in Dunkelblau mit einem Hauch eingewobenem Mohair sowie dunkelblaue Socken und rotbraune Oxfordschuhe. Ich bürstete die Schultern des Jacketts ab, streifte es über und zog vor dem Spiegel meine Krawatte straff. Dann setzte ich meinen neuen Hut auf, einen Borsalino mit schmaler Krempe, und betrachtete mich. Verdammt, saß dieser Anzug gut. Es war eine Schande, ihn mit dem Gewicht eines Totschlägers auszubeulen, aber ich musste damit rechnen, früher oder später Costello oder einem Angehörigen seines brachialen Gefolges zu begegnen.
Ich trage gewohnheitsmäßig einen Totschläger mit mir herum: sechs Zoll lang, Federstahl mit einer Bleikugel am Ende, alles in Leder genäht. Doch weil ich meinen Anzug nicht allzu sehr ausbeulen wollte, entschied ich mich für den schlankeren Ersatz des Totschlägers, den Neun-Zoll-Schlagstock. Im Grunde das gleiche Prinzip, aber abgeflacht und nur so dick wie eine Brieftasche. Das Ding sah aus wie eine Miniaturausgabe des Streichriemens beim Barbier. Es war elegant, schlank und schwarz, als hätte Coco Chanel es für Al Capone entworfen.
Ich schob den Schlagstock in meine Innentasche auf der linken Seite, damit ich ihn mit der rechten Hand herausziehen konnte. Sein Bleigewicht zog die Seite meines Jacketts hinunter, aber damit konnte ich leben. Ein flacher Schlagstock bleibt oft unbemerkt, wenn man von jemandem abgetastet wird; er fühlt sich an wie eine Brieftasche. Und mir war nicht mehr danach, mich ohne irgendeine Rückversicherung auf die Straße zu begeben.
Ich rief Sneddon an, um ein Treffen mit ihm auszumachen. Er sagte, er sei den ganzen Tag unabkömmlich. Ich erwiderte, ich würde ihn lieber unter vier Augen sprechen; was ich erfahren hätte, könnte ich ihm nicht am Telefon sagen, oder so einen Blödsinn. Er kaufte es mir ab und sagte, ich solle mich am Abend gegen halb neun noch einmal melden.
Ich hatte ihn angerufen, damit klar wurde, dass es mir lieber war, zu telefonieren und einen für beide Seiten angenehmen Zeitpunkt für das Treffen auszumachen, als von Twinkletoes McBride von der Straße aufgelesen zu werden. Im Gegensatz zum Bauernhaus bei Dumbarton war das Haus in Bearsden nicht nur Sneddons Geschäftsgebäude, sondern auch sein Zuhause. Vielleicht konnte ich sogar Jimmy Costello dazu bringen, Gespräche vormerken zu lassen. Ich bezweifelte es allerdings.
Ehe ich hinausging, blieb ich am Flurtelefon stehen und rief Lorna zu Hause an. Sie riss sich zusammen, so schien es, aber ihre Stimme klang noch immer müde und stumpf vor Trauer. Irgendwie kam ich mit dem Versprechen davon, sie später noch einmal anzurufen, ohne sie besuchen zu müssen. Ich fragte sie, ob die Polizei noch einmal gekommen sei, um sie etwas zu fragen, und ob Jack Collins wieder aufgetaucht wäre. Nein auf beide Fragen. Dann folgte langes Schweigen, in dem wir beide darauf warteten, dass der andere etwas sagte, etwas Bedeutungsvolles oder Tröstliches. Etwas, mit dem wir den Boden unter unseren Füßen verloren: unsere Seichtheit.
»Dann höre ich später von dir«, sagte sie schließlich mit noch immer farbloser Stimme und legte auf.
Ich fuhr hinaus ins East End, nach Dennistoun. Wie bei vielen anderen hübschen Vierteln von Glasgow war es großartig, wenn man behaupten konnte, aus Dennistoun zu kommen. Vermeiden musste man nur die Rückkehr dorthin. Dennistoun war ein Gewirr aus alten Mietskasernen, zwischen denen Lücken und Freiflächen klafften, wo einige allzu baufällige Elendsquartiere abgerissen worden waren. Auf ein paar der geräumten Flächen hatten sich bereits schmucke neue Wohnblocks ausgebreitet.
Ich fuhr zum anderen Ende von Dennistoun, einem zusammengestückelten grünen Flickenteppich aus Laubenkolonien. Dahinter lag ein ebenso zusammengestückeltes Gebäude aus aneinandergeschraubtem Wellblech, das aussah, als gehöre es auf ein Werftgelände.
Ich parkte und ging durch die Tür und unter einem Schild hindurch, das der Welt mitteilte, dass besagte Tür zu McAskills Sporthalle führe. Drinnen sah ich zwei Trainingsringe, deren Seile durchhingen und deren Leinwandbespannung grau geworden war. Mehrere Sandsäcke hingen unbehelligt von der Decke. In der Sporthalle war es still. Ich sah nur einen alten Mann in einem Rollkragenpullover und einer flachen Mütze, der in der hintersten Ecke auf einem abgewetzten alten Lehnstuhl saß und die Zeitung las. Als ich eintrat, sah er auf, faltete das Blatt sorgfältig zusammen und kam zu mir herüber.
»Hallo, Lennox.« Der alte McAskill lächelte mich an. Es war ein müdes Lächeln in einem müden Gesicht, das mehr Zusammenstöße mit einer Faust im Boxhandschuh hinter sich hatte, als ihm gut getan hatte. Er machte eine Kopfbewegung zu der Bürotür in der Rückwand der Halle. »Er ist da drin.«
Ich ging zum Büro durch. Hinter dem Schreibtisch saß ein schlanker Mann mit zu langem Gesicht und rauchte. Er sah aus wie um die vierzig, aber ich wusste, dass er zehn Jahre jünger war. Den Hut hatte er auf die Schreibtischplatte gelegt, die Art breitkrempiger Filzhut, der seit Anfang des Jahrzehnts außer Mode war. Ich warf meinen Borsalino mit der schmalen Krempe daneben, nur um darauf hinzuweisen.
»Mr. Lennox ...« Der Mann lächelte und stand auf. Er war groß. Keine Überraschung: Die Polizei der Stadt Glasgow nahm niemanden unter eins fünfundachtzig, deshalb kamen wenigstens zwei Drittel ihrer Leute von außerhalb der Stadt. Er schüttelte mir die Hand. Nun muss kurz erwähnt werden, dass Polizisten der Stadt Glasgow mich normalerweise weder »Mister« nannten noch meine Hand anfassten, es sei denn, um ein Paar Handschellen um die Gelenke zu legen. Detective Constable Donald Taylor jedoch war anders. Wir hatten eine Übereinkunft.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Donald. Haben Sie Dienst?«
»Frühmorgenschicht. Fange um zwei an.«
»Haben Sie irgendwas herausgefunden?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht viel, fürchte ich, Mr. Lennox. Bobby Kirkcaldy kommt nicht aus Glasgow. Er wurde in Motherwell geboren. Ich müsste mich mit der Polizei von Lanarkshire in Verbindung setzen, um ein bisschen mehr zu erfahren. Und dann würden die Fragen losgehen.«
»Aber Sie müssten doch wenigstens überprüfen können, ob er vorbestraft ist oder nicht.«
»Ja, sicher, hab ich auch gemacht. Nichts. Und nach allem, was ich weiß, gibt es auch keine Gerüchte über ihn. Er scheint ehrlich zu sein.«
»Was ist mit der anderen Sache? Small Change MacFarlane?«
»Tut mir leid, auch da gibt’s nichts Erfreuliches. Ich bin nicht mit dem Fall betraut. Wenn ich zu viele Fragen stelle, wird die Chefetage misstrauisch. Ich habe allerdings mit dem Sergeant von der Asservatenkammer gesprochen. Ganz beiläufig, versteht sich. Er sagt, sie hätten das Zeug tonnenweise aus MacFarlanes Haus geschafft. Mit Einverständnis der Dame des Hauses.«
»Sonst nichts?«
»Inspector Ferguson hat nach Ihnen gefragt.«
»Er weiß, dass Sie mich kennen?«
»Nein, eigentlich nicht. Na ja, nicht dass wir ... na, miteinander zu tun hätten. Inspector Ferguson ist für so was nicht zu haben. Er wusste nur, dass ich Sie zu der Geschichte letztes Jahr vernommen habe. Als Sie so lange im Ausland waren.«
Ich nickte. Jock Ferguson war mein wichtigster Kontakt bei der Polizei gewesen. Kein bezahlter. Ein ehrlicher Bulle. Jedenfalls war er mir so vorgekommen. Ich hatte seit Monaten nicht mehr mit ihm gesprochen.
»Was war die andere Sache?«, fragte ich.
»An der Hauptwache war so ein Yank. Er war bei Superintendent McNab und dem Detective Chief Constable.«
»Ein Amerikaner?«
»Ich glaub schon. Er redet wie Sie.«
»Ich bin kein Amerikaner. Ich bin Kanadier.«
»Ja ... sein Akzent war stärker. Er war ein großer Kerl. Groß wie McNab. Schreiender Anzug.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Nun, Sie wissen ja, wie die Tussen sind. Die Tippsen und Polizistinnen schwärmten alle wegen seinem Akzent. Er war das Thema in der Waschküche. Ich bin mit einem von den Mädchen im Vorzimmer des Detective Chief Constable befreundet. Sie sagte, sie hätten nach sämtlichen Akten über den MacFarlane-Mord gefragt.«
»Also ist der Kerl ein amerikanischer Polizist?«
»Weiß ich nicht. Jemand sagte, er ist ein Privatdetektiv. So wie Sie.«
»Okay.« Ich dachte einen Augenblick nach. »Sonst noch was?«
»Nur dieser andere Mord.«
»Was für ein anderer Mord?«
»Der Kerl, der auf den Eisenbahngleisen gefunden wurde.«
»Ich dachte, das wäre ein Unfall gewesen.« Ich zündete mir wieder eine Zigarette an und schob das Päckchen über den Tisch auf Taylor zu, damit er sich bedienen konnte. »Was habt ihr Genies vor? Wollt ihr den Lokführer verhaften?«
»Superintendent McNab ist fuchsteufelswild wegen der Sache. Alle waren der Meinung, dass der Kerl vom Zug getötet worden war. Die Leute haben Spaten gebraucht, um ihn aufzusammeln. Aber der Pathologe, der die Leichenbeschau durchführte, meinte, dass der Kerl bereits tot war, ehe er unter den Zug gekommen ist. Außerdem hatte er zwei gebrochene Finger, und auf seinen Knöcheln war so gut wie keine Haut mehr. Dieser Kurpfuscher sagt, für ihn sähe es so aus, als hätte der Kerl vorher gekämpft und wäre totgeprügelt worden. Danach hätte man ihn auf die Schienen gelegt. Der Zug hat ihn dann zermatscht. Sie vermuten, dass der, der ihn umgebracht hat, ihn auch auf die Schienen legte.«
»Leuchtet ein«, sagte ich. »Die Chancen standen gut, dass niemand auf die Idee kommen würde, die Verletzungen könnten durch etwas anderes als den Zug verursacht worden sein. Wer war der Bursche?«
»Nicht die leiseste Idee. Niemand ist als vermisst gemeldet, der darauf passen würde, und er hatte keine Papiere bei sich. Der Pathologe ist ein junger Schnösel mit ’ner großen Trickkiste. Er hat in seinen Bericht geschrieben, nach dem Körperbau des Toten, den Schwielen an seinen Händen und der Farbe seiner Haut hält er ihn für jemanden, der mit den Händen gearbeitet hat. Die Klamotten passen auch dazu.« Taylor lachte, ein dünnes, gemeines Lachen. »Ich glaube, das nächste Mordopfer ist der Pathologe selbst. Superintendent McNab ist stocksauer, dass er noch einen Mord am Hals hat. Er mag Papierkram nicht, unser Superintendent.«
Ich nickte. Ich wusste, wie McNab Mordfälle einsortierte. Niemande, Jemande und ganz oben Bullen. Wenn ein Polizist ermordet wurde, war McNab schwerer aufzuhalten als der Zug, der den Leichnam des Arbeiters »zermatscht« hatte.
Taylor redete noch zehn Minuten, ohne etwas zu sagen; er versuchte, seine Gebühr zu rechtfertigen. Als er fertig war, bedankte ich mich bei ihm und gab ihm die Nummer des Wandtelefons in meiner Bleibe.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie noch etwas hören. Es soll Ihr Schaden nicht sein.« Ich öffnete meine Brieftasche und reichte ihm drei Zehner. Bullen waren nicht billig.
Nachdem Taylor fort war, ging ich zurück in die Turnhalle. Zwei junge Männer waren gekommen. Sie trugen Boxershorts und weiße ärmellose Unterhemden und sahen mager und zu blass aus. Beide bearbeiteten die Sandsäcke. Der alte McAskill lehnte an der Wand und beobachtete sie desinteressiert.
Ich ging zu dem Alten und schob ihm einen Fünfer hin. »Danke für das Büro, Mac. Weißt du viel über Bobby Kirkcaldy?«
»Viel nicht. Er ist ziemlich flink auf den Beinen. Den Kraut macht er nächste Woche locker fertig.«
»Meinst du?«
»Da gibt’s keinen Zweifel.«
»Hattest du je mit ihm zu tun?«
»Nee. An ’ne Bude wie die hier würde der nicht mal pissen, wenn sie in Brand stehen tät. Außerdem ist er ’n Junge vom Land. Nicht aus Glasgow.«
Ich grinste bei dem Gedanken, dass McAskill sich Motherwell als ländliches Idyll vorstellte. Im Vergleich zu Dennistoun war es das vermutlich auch.
»Er hat einen Aufpasser. Sagt, dass es sein Onkel ist. Ungefähr in deinem Alter. Nennt ihn Onkel Bert.«
Der alte McAskill schien sich zu konzentrieren. Es war erkennbar eine große Anstrengung für ihn. Offensichtlich suchte er in einem Hirn nach irgendetwas, das jahrelang durch Schläge gegen den Kopf hin und her geschleudert worden war. Es musste in etwa so schwierig sein, als versuchte man, einen bestimmten Ball aus einem rotierenden Bingokäfig zu fischen.
»Wie sieht er aus?«
»Als hätte er mit seinem Gesicht gewohnheitsmäßig Wände eingerissen.«
»Scheiße.« Eindeutig, er hatte den Ball gefunden, nach dem er suchte. »Albert Soutar. Ist er wirklich Kirkcaldys Onkel?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Ist seine Nase völlig im Arsch?«
»Im Arsch trifft es nicht ganz. Er kann damit seine Ohren beschnüffeln.«
»Ja, das klingt wie Soutar. Und er hatte Familie in Lanarkshire. Das ist ein ganz übler Hund. Oder er war es zumindest.«
»Inwiefern?«
»Ende der Zwanziger, Anfang der Dreißiger wurde er Profi, aber er taugte nichts. Ein Schläger, der zu viele Treffer mit der Fresse abstoppte. Hat auch ziemlich viel ohne Handschuhe geboxt. Dann ist er eingefahren.«
»Zuchthaus?«
»Aye. Er gehörte zu den Bridgeton Billy Boys. Schlitzerbande. Angeblich hat er einen Bullen bearbeitet. Er hatte sein Rasiermesser immer oben in seinem Deckel.« McAskill fasste sich an die flache Mütze. »Er war ein mieser, dreckiger Hund. Er hat das Privileg, ein Arschloch zu sein, allzu sehr ausgenutzt.«
»Also glaubst du, Onkel Bert ist dieser Kerl?«
»Könnte sein.« McAskill schüttelte bedächtig den Kopf. »Wenn ja, dann vergiss nie, er ist so verdreht, dass er Korkenzieher pisst. Ich wäre überrascht, wenn der junge Kirkcaldy sich mit so einem einlässt, egal aus welchem Grund.«
***
Ich verließ Dennistoun und aß im Horsehead zu Mittag – wenn man es so nennen will. Ich bestellte mir eine Pastete und ein Bier. Während ich experimentell das wissenschaftliche Prinzip bewies, nach dem Wasser und Fett sich nicht mischen, entdeckte ich am anderen Ende der Theke Joe Gallagher, einen befreundeten Journalisten. Das Wort »befreundet« benutze ich sehr locker, nicht nur in Bezug auf Joe, sondern allgemein für alle Glasgower Bekanntschaften, die ich seit meiner Ankunft in der Stadt gemacht habe. Saufkumpan wäre in Joes Fall wahrscheinlich ohnehin die bessere Beschreibung.
Bei Reportern sind Informationen viel billiger als bei Bullen. Normalerweise reichen ein Pint Bier und ein Whisky zum Nachspülen, um eine Verständigung einzuleiten, und deshalb machte ich die Runde an Joes Ende der Theke und fragte ihn, was er trinke.
Eine halbe Stunde später ging ich wieder. Mein Zeitungsfreund hatte mir gesagt, dass er Kirkcaldy schon mehrmals interviewt habe. Ein kluger Junge, nach Joes Meinung. Auch der ramponierte alte Wachhund, der offenbar nie von Kirkcaldys Seite wich, war ihm aufgefallen.
»Ja, er nennt ihn seinen Onkel, glaube ich«, hatte ich gemurmelt.
»Schöner Onkel«, hatte Joe gebrummt. »Das ist Bert Soutar. Ganz üble Nummer.«
***
Wir hatten genau halb neun. Ich bog in die lange, ansteigende Zufahrt, die durch einen Park voller dichter Büsche mit glänzenden Blättern führte, und fuhr hinauf zu Sneddons Villa. Es war ein schöner Abend. Das immer intensivere Blau des Himmels erschien als unpassender Hintergrund für die viktorianische Architektur von Sneddons Haus. Gotischer Stil und das gewohnte schottische Klima – dazu die schottische Wesensart – sind wie füreinander bestimmt. Selbst Sneddons schwarzer Bentley R-Type vor der Garage schien auf der Lauer zu liegen. Ich parkte dahinter und ging zum Haus hinauf; fast erwartete ich, dass Vincent Price die Tür öffnete und mich hineinbat, um mir sein Wachsfigurenkabinett zu zeigen. Mit Vincent Price wäre ich völlig einverstanden gewesen, doch als die Tür aufging, starrte Singer mich an. Dann trat er schweigend einen Schritt zur Seite, damit ich hinein konnte.
Sneddon verzichtete auf seine übliche Masche, mich erst mal schmoren zu lassen; ich wurde sofort in sein Arbeitszimmer geführt. Die Bücherregale waren schwer vor Gelehrsamkeit, und in dem Zimmer roch es nach Nussbaum und Leder. Manchmal bezweifle ich allerdings, dass Sneddon hier viel Zeit auf seine literarische Bildung verwendete.
»Sie haben schon etwas für mich?« Sneddon saß hinter einem Schreibtisch, für den anderthalb Bäume draufgegangen sein mussten. Ich hatte schon Flugzeugträger gesehen, die kleiner waren. Er trug einen maßgeschneiderten blauen Nadelstreifendreiteiler mit handgemachtem, blau-weiß gestreiftem Seidenhemd und einer pflaumenroten Krawatte. In der Kleidung hätte ein Börsenmakler aus Surrey stecken können, doch bei Sneddon strich sie nur die Rasiermessernarbe heraus und hob das harte, boshafte Gesicht hervor, in dem die Narbe prangte.
»Ich war gestern bei Kirkcaldy«, sagte ich.
»Und?«
»Ich weiß nicht, womit ich weitermachen soll. Kirkcaldy behauptet, er hätte mir nichts zu sagen. Bei diesem Job kann man nur warten und beobachten. Man muss den, der es macht, auf frischer Tat ertappen.«
»Dann warten und beobachten Sie eben.«
»Ich kann da nicht rund um die Uhr sitzen. Ehrlich gesagt, ich dachte, Sie würden dort ein paar von Ihren Jungs postieren, damit sie aus dem Stegreif ein bisschen Vergeltung üben, wenn die Burschen wieder auftauchen.«
»Ich habe Sie engagiert, weil ich will, dass Sie rausfinden, was los ist. Was wirklich los ist, meine ich.« Sneddons harter blaugrauer Blick bohrte sich in meine Augen.
»Verstehe. Also ist Jonny Cohen nicht der Einzige, der mehr hinter der Sache vermutet.«
Sneddon blickte über meine Schulter an mir vorbei und machte eine Kopfbewegung, als schickte er jemanden weg. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Singer – lautlos wie immer – an der Tür stehen geblieben war. Ich hatte angenommen, er wäre längst verschwunden, nachdem er mich hineingeführt hatte. Wenn er meinetwegen dort gelauert hatte, war seine Mühe verschwendet.
»Ich habe verdammt viel Geld in Kirkcaldy investiert«, sagte Sneddon, als Singer gegangen war und sich die schwere Tür hinter ihm geschlossen hatte. »Mehr als Sie sich vorstellen können. Was hat er Ihnen gesagt?«
Ich blickte in mein Notizbuch und ging durch, was Kirkcaldy mir erzählt hatte. Als ich fertig war, klappte ich das Büchlein zu. Sneddon nahm den Blick aus seinen harten Augen nicht von mir. Fragend zog er eine Braue hoch.
»Okay«, sagte ich. »Es interessiert Sie gar nicht so sehr, was ich herausgefunden habe, sondern was ich denke. Also gut ... Bobby Kirkcaldy hat deutlich betont, und zwar mehrmals, dass ich meine Zeit vergeude. Dass es keine große Sache ist. Dass jemand bloß versucht, ihn vor dem großen Kampf zu verunsichern. Und er hat mir versichert, dass das auf keinen Fall passieren würde.«
»Und?«
»Mir kam es so vor, als wollte er die ganze Sache als unwichtig abtun. Und mich als lästig. Wie haben Sie überhaupt davon erfahren? Hat Kirkcaldy es Ihnen erzählt?«
»Nein, hat er nicht. Das war sein Manager.«
»Und Kirkcaldy hat sich bei ihm darüber beschwert?«
»Nein, auch nicht.« Sneddon zeigte keine Regung. »Sein Manager hat das Auto voller roter Farbe gesehen, als er Kirkcaldy besuchen wollte. Er fragte Bobby, was los ist, und Bobby erzählte ihm das Gleiche wie Ihnen.«
»Aha.« Ich bot Sneddon eine Zigarette an. Er schüttelte ungeduldig den Kopf. Ich ließ mir Zeit, mir meine Kippe anzustecken. »Kirkcaldy bemüht sich sehr, die ganze Sache als unerheblich abzutun. Ich habe ihn gefragt, ob etwas Persönliches dahinterstecken könnte – dass jemand ihm was nachträgt oder ein alter Feind von früher aufgetaucht ist, solche Sachen, die nichts mit dem Kampf zu tun haben. Er machte eine große Show daraus, wie er nachdachte, ehe er mir sagte, dass ihm niemand einfällt. Wenn ich an seiner Stelle wäre und jemand legt mir tote Vögel, Henkerschlingen und so einen Mist vor die Tür, hätte ich längst sehr eingehend darüber nachgedacht, ob das jemand von früher sein könnte, der etwas gegen mich hat. Ich glaube nicht, dass erst jemand vorbeikommen und mich mit der Nase auf diesen Gedanken stoßen müsste.«
»Sie glauben also, er weiß, worum es geht?«
»Das sage ich nicht, aber seien wir doch mal ehrlich: Jonny Cohen riecht, dass an der Sache etwas faul ist, und ich auch. Und nun scheint auch Ihnen was in die Nase gestiegen zu sein. Was wissen Sie über Kirkcaldy? Außer über seine Fähigkeiten im Boxring, meine ich.«
»Nicht so richtig viel. Haben Sie ihn kämpfen sehen?«
»Ja, zweimal.«
»Ich weiß genug über das Boxgeschäft, um mir im Klaren zu sein, dass ein Sieger – ich meine, ein echter Sieger – nicht nur hart zuschlagen können muss, er muss auch was im Oberstübchen haben.« Er klopfte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. »Und Kirkcaldy hat alles, was einen Sieger ausmacht. Er boxt schlau. Aber vor allem ist er ehrgeizig.«
»Ich dachte mir schon, dass Sie das von einem Boxer verlangen, wenn Sie ihn finanzieren.«
»Stimmt, das tue ich. Mir macht nur Kopfschmerzen, wie ehrgeizig er außerhalb des Boxrings ist.«
»Hören Sie, Mr. Sneddon ...« Ich beugte mich vor und ließ die Ellbogen auf den Knien ruhen. »Es hat keinen Sinn, wenn Sie sich kryptisch ausdrücken ...«
»Was soll das denn heißen? Hat Twinkletoes Ihnen seinen Reader’s Digest geliehen, oder was?«
»Für mich ist klar, dass Sie einen Verdacht haben, den Sie nicht aussprechen. Um diese Sache hätten Sie sich ganz allein mit Ihren Leuten kümmern können. Sie hätten nur zu warten brauchen, bis der Betreffende, wer immer es ist, seinen nächsten Versuch unternimmt. Aber Sie haben mich hinzugezogen, weil Sie sehen wollten, ob ich einen Braten rieche, den Jonny Cohen und Sie schon lange in der Nase haben. Warum also sagen Sie mir nicht, was ich wirklich für Sie herausfinden soll?«
Sneddon verzog den Mund zu der hässlichen Fratze, die er als Lächeln benutzte. »Vielleicht bin ich ja gern krüppelig ...«
»Kryptisch«, verbesserte ich ihn und wünschte mir sofort, ich hätte es bleiben lassen, denn die grobe Annäherung an ein Lächeln in Sneddons Gesicht war wie weggewischt. »Bobby Kirkcaldy hat einen ständigen Schatten. Einen alten Knaben mit zermanschtem Gesicht. Kirkcaldy nennt ihn Onkel Bert. Ich habe mich über ihn erkundigt. Wie sich herausstellte, ist er ein ehemaliger Rasiermessergangster namens Bert Soutar. Er gehörte in den Dreißigern zu den Bridgeton Billy Boys.«
»An die Billy Boys erinnere ich mich«, sagte Sneddon. Da hatte ich keinen Zweifel. Die Billy Boys waren eine erzprotestantische Bande gewesen, streng nach militärischem Vorbild organisiert. Was sein Geschäft anging, hatte Sneddon nur eine Schwäche, eine Lücke in seiner berechnenden Objektivität: Er war bis auf die Knochen bigott. »Aber von einem Bert Soutar habe ich nie gehört.«
»Er hat gesessen.«
Sneddon verzog das Gesicht und hob die Schultern. »Wenn er ein paar Fenier aufgeschlitzt hat, macht ihn das noch lange nicht zu einem Al Capone. Glauben Sie, das ist wichtig?«
»Es deutet darauf hin, dass Kirkcaldy vielleicht nicht so sauber ist, wie es scheint. Vielleicht ist Onkel Bert in schmutzige Geschäfte verwickelt. Das würde die Warnungen erklären.«
»Okay«, sagte Sneddon. »Bleiben Sie dran und sehen Sie zu, was Sie rausfinden. Was ist mit Small Changes Terminkalender? Haben Sie danach gesucht?«
»Ich habe Small Changes Frau ... Witwe ... danach gefragt. Sie sagt, er hatte keins. Er habe alles im Kopf gehabt. Und die Polizei hat einiges mitgenommen.«
»Hatten die Bullen einen Durchsuchungsbeschluss?«
»Nein. Maggie MacFarlane hat es erlaubt. Sie empfängt übrigens schon Herrenbesuch. Jack Collins. Kennen Sie ihn?«
»O ja, Jack Collins kenne ich. Er war Small Changes Partner in einem der Wettbüros. Und er hat für ihn kleinere Kämpfe arrangiert.«
»Sollte ich mir Collins aus irgendeinem Grund mal genauer ansehen?«
Als Sneddon auflachte, hörte ich ihm an, dass er aus der Übung war. »Das können Sie laut sagen. Warum untersuchen Sie Collins nicht auf Familienähnlichkeit? MacFarlane hatte früher geschäftlich mit Collins senior zu tun. Der war Windhundzüchter und veranstaltete Rennen. Ganz erfolgreich. Aber in Wahrheit hat Small Change wohl mehr mit der Mutter von Collins junior zu tun gehabt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Small Change war Jack Collins’ Vater?«
»Aye. Und Collins weiß das. Rab Collins ist vor über zwanzig Jahren an einem Herzanfall gestorben. Seitdem hat Small Change für Jack eine teure Schule bezahlt und den ganzen Scheiß.«
»Verstehe.« Ich machte die Sorte Gesicht, die man zieht, wenn man jede Kombination ausprobiert hat und den Geldschrank trotzdem nicht aufbekommt. Schweigen breitete sich aus. Sneddon musterte mich. Bis dahin war mir noch nie aufgefallen, wie aggressiv Beobachten sein kann. Ihm ging etwas durch den Kopf. Ihm ging immer etwas durch den Kopf, aber diesmal beherrschte es seine ganze Aufmerksamkeit und seine Miene.
»Okay«, sagte er schließlich. »Folgendes ... Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass ich mich mit Small Change am gleichen Tag getroffen hatte.«
»An dem Tag, an dem er umgebracht wurde?«
»Genau. Nun, Sie wissen ja, dass Small Change nicht hundertprozentig legal war, aber er war eher legal als nicht. So ähnlich wie Sie. Und wie Sie hat Small Change hier und da ein kleines Geschäft mit mir gemacht oder mit Cohen oder Murphy. Er hat nie etwas getan, was ihm Schwierigkeiten mit der Polizei einbringen könnte. Jedenfalls nichts, mit dem man ihn direkt in Verbindung bringen konnte. Er war glatter als Schneckenscheiße im Regen. Er war gern der Mittelsmann, der alles arrangiert und dann eine Vermittlungsgebühr oder einen kleinen Anteil kassiert.«
»Und er hat für Sie etwas vermittelt, das mit dem Kampf zu tun hatte. Das haben Sie mir gesagt.«
Sneddon verzog das Gesicht. »Ich weiß. Und anfangs dachte ich das auch. Wir haben uns getroffen, um über Bobby Kirkcaldy zu reden.«
Ich zog die Brauen hoch. Alles kam zusammen. Aber was zusammenkam, war noch immer nicht klar. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, Small Change hätte nichts mit Kirkcaldy zu tun gehabt. Dass Kirkcaldy weit oberhalb seiner Liga war.«
»Ja, stimmt. Das hatte ich gedacht. Aber er sagte zu mir, er will mit mir über ein Geschäft reden, das er vermitteln wollte. Er sagte, Bobby Kirkcaldy ist daran beteiligt. Nicht als Boxer. Als Investor.«
»Also sind Sie zu Small Change gefahren, um mit ihm zu sprechen. Hat er gesagt, worum es ging?«
»Das ist es ja gerade. Ich fuhr zu Small Change nach Hause, genau wie verabredet. Singer hat mich gefahren und draußen im Auto gewartet. Aber als ich ankam, hat Small Change sich förmlich in die Hose geschissen. Er war weiß wie ein Bettlaken. Er versuchte es zu überspielen, aber als er mir einen Drink einschenkte, zitterten seine Hände wie bei einem Irren. Dann rückte er mit seinem Scheiß heraus, es täte ihm leid, dass ich mich umsonst herbemüht hätte, aber das Geschäft, das er einfädeln wollte, wäre geplatzt.«
»Hat er Ihnen gesagt, worum es dabei ging?«
»Nein. Oder er hat mir irgendeinen Blödsinn erzählt, von wegen Kirkcaldy würde eine Boxschule in der Stadt aufmachen wollen, aber die Finanzierung hätte nicht hingehauen.«
»Und das haben Sie nicht geglaubt? Klingt doch ganz plausibel.«
Sneddon schüttelte den Kopf. Er breitete die Hände auf der Nussbaumplatte seines Schreibtisches aus, die Finger gespreizt, und musterte sie geistesabwesend. »Sie wissen, in welchem Geschäft ich tätig bin, Lennox. Die Buchhalter, das Schutzgeld, die Huren, die Banküberfälle, die Hehlerei. Wissen Sie, was mein eigentliches Kapital ist? Angst. Die Angst hält den ganzen Scheiß zusammen. Den Großteil meines Lebens habe ich mir die Taschen gefüllt, indem ich dafür gesorgt habe, dass jemand anders sich die Hosen vollmacht.« Er lehnte sich zurück und starrte mich an. »Wenn ich jetzt also sage, dass Small Change MacFarlane die Hosen gestrichen voll hatte, dann weiß ich, wovon ich rede.«
»Haben Sie ihn zur Rede gestellt?«, fragte ich. »Haben Sie ihn gefragt, was wirklich los war?«
»Nein. Das hätte keinen Sinn gehabt. Ich konnte deutlich sehen, dass es nichts gebracht hätte. Irgendjemand hatte MacFarlane nach Strich und Faden eingeschüchtert. Ich hätte Singer aus dem Auto holen können, und Small Change hätte trotzdem kein Wort verraten.«
Ich nickte. Das Argument war stichhaltig. Wenn jemand bedrohlicher wirkte als Sneddon und Singer zusammen, musste etwas Ernstes dahinterstecken. Auf Sneddons Schreibtisch stand eine Zigarettenkiste. Sie schien aus massivem Silber zu bestehen und war so groß, dass eigentlich fünfzehn Piraten darauf hätten sitzen müssen. Er klappte sie auf, nahm eine Zigarette heraus und schob die Kiste über den Nussbaumflugzeugträger ein Stückchen weit zu mir hin. Ich bediente mich und gab uns mit dem passenden silbernen Tischfeuerzeug Feuer.
»Und noch am gleichen Abend war er tot«, sagte ich.
»Ja.« Sneddon kniff vor dem Rauch die Augen zusammen. »Deshalb will ich den Terminkalender.«
»Damit die Polizei nicht erfährt, dass Sie Small Change an seinem Todestag aufgesucht haben. Außerdem wollen Sie wissen, wer vor Ihnen bei ihm war.«
»Richtig. Aber das steht vielleicht noch nicht mal in dem Buch. Und Sie sagten ja, seine Frau behauptet, er hätte sowieso keins geführt.«
»Das hat sie gesagt, ja. Jetzt begreife ich, weshalb Sie wollten, dass ich dort herumschnüffle.« Einen Augenblick lang schwieg ich. Ich fühlte mich wie der Zirkusclown, der ahnungslos herumsteht, bis das Brett, das der andere Clown durch die Luft schwingt, ihn am Hinterkopf trifft. Mich traf sie in diesem Moment. »Ach so«, sagte ich. »Jetzt kapiere ich. Deshalb haben Sie mich auf diesen Mist mit Bobby Kirkcaldy angesetzt. Das ist der eigentliche Fall, stimmt’s? Ich soll herausfinden, ob Kirkcaldy mit dem anderen Geschäft zu tun hat, das Small Change in die Wege leiten wollte.«
»Genau. Und ich wette, es hat einen Scheiß mit Boxschulen oder so einem Blödsinn zu tun. Besonders nachdem Sie mir von diesem Knastologen in Kirkcaldys Schlepptau erzählt haben, der angeblich sein Onkel ist.«
»Und die Henkerschlingen, der tote Vogel und das alles?«
»Vielleicht hat es damit zu tun – mit dem Geschäft, meine ich, und nicht mit dem bevorstehenden Kampf.«
»Verstehe.« Ich zog an der Zigarette und sah den silbergrauen Rauchkringeln nachdenklich hinterher. »Das bringt mich ein bisschen in die Klemme. Sie übrigens auch. Die Polizei ist ganz wild wegen des Mordes an Small Change, und Superintendent McNab hat keine Zweifel daran gelassen, dass er seiner Frau aus meinen Eiern Ohrgehänge macht, wenn ich mich da einmische.«
Ich hörte das Geräusch von altem Holz auf Holz, als Sneddon eine Schreibtischschublade öffnete. Er griff hinein, nahm etwas heraus und warf es vor mich hin, einen großen weißen Briefumschlag. Er war zugeheftet, nicht zugeklebt, und dick vollgestopft. Verlockend dick.
»Kaufen Sie sich eben ein Paar neue Eier.« Sneddon nickte zum Kuvert.
Ich nahm es auf und schob es in meine Innentasche, ohne es zu öffnen. Es zog angenehm schwer den Stoff meiner Jacke herunter und glich das Gewicht des Schlagstocks in der anderen Innentasche auf. Bald müsste ich mit einem Aktenkoffer zur Arbeit kommen.
»Sie haben recht, die Polizei stürzt sich auf MacFarlane wie Fliegen auf die Scheiße.« Einmal mehr bewies Sneddon sein Talent für farbige Metaphern. »Und ich frage mich, wie das wohl kommt. Er war ein wichtiger Buchmacher, aber die Bullen, die an dem Fall arbeiten, sind zu viele und zu hoch oben.«
Ich nickte. Es passte. Ich hatte mich selbst schon gefragt, weshalb McNab sich einschaltete. »Sie meinen also, der Polizei geht es um das Geschäft, das Small Change einfädeln wollte?«
»Wenn das der Grund ist, muss es etwas wirklich Großes sein. Und wenn es wirklich so groß ist, will ich verdammt noch mal wissen, worum es geht. Sie haben Kontakte zur Polizei, oder?«
»Ja ...«, antwortete ich zögernd und fragte mich, wie viel Sneddon von meiner Abmachung mit Taylor wusste. Dann ermahnte mich der Zug des schweren Umschlags in meiner Jacke, nicht allzu lange zu zögern. »Sie aber auch. Wahrscheinlich bessere als ich.«
Sneddon beugte sich vor. »Ich habe es Ihnen schon mal gesagt, ich will damit nichts zu tun haben. Deshalb nehme ich Sie als Mittelsmann. Wollen Sie das Geld oder nicht?«
Ich nahm einen langen letzten Zug von der Zigarette, drückte sie in einem Kristallklotz von Aschenbecher aus, nahm meinen Hut und stand auf.
»Ich kümmere mich darum.« Ich wandte mich zur Tür, drehte mich dann aber noch einmal zu ihm um. »Sie kennen doch jeden, der in dieser Stadt was laufen hat, nicht wahr?«
»So ziemlich.« Sneddon lehnte sich in seinem Kapitänssessel aus grünem Leder und Nussbaumholz zurück. Wahrscheinlich war es ein Piratenkapitänssessel.
»Haben Sie je von einem gewissen Largo gehört?«, fragte ich.
Er überlegte kurz und schüttelte den Kopf.
»Okay, danke. Ich dachte nur, ich frage lieber.«
***
Umweltverschmutzung kann was Schönes sein. Als ich Sneddons Haus verließ, blieb ich kurz bei meinem Wagen stehen und blickte nach Westen. Sneddons Haus stand nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht erhöht; ich konnte auch über die Baumwipfel hinweg bis zum Stadtrand und noch weiter sehen. Die Glasgower Luft war von der körnigen Sorte und verwandelte Sonnenuntergänge in gewaltige, diffuse Farbschleier, als hätte jemand goldene und rote Farbe durch gemusterte Seide geseiht. Mit einem Gefühl der Zufriedenheit stand ich da und blickte nach Westen.
Die Zufriedenheit rührte allerdings eher von dem dicken Batzen Geld her, der mein Jackett beschwerte, als vom Sonnenuntergang. Ich stieg wieder in den Atlantic und fuhr zurück in die Stadt.
Ich hätte aufmerksamer sein müssen. Diesmal waren viel mehr Raffinesse und erheblich mehr Verstand im Spiel.
***
Ich folgte der Biegung in der Straße, wo Bearsden eine Sprosse auf der gesellschaftlichen Leiter hinabsteigt und zu Milngavie wird, als ich einen blauen 48er Ford Zephyr 6 am Bordstein stehen sah. Die Motorhaube war offen, und der Fahrer stand neben dem Auto am Straßenrand. Er war ungefähr fünfunddreißig, hatte dunkles Haar und war, soweit ich erkennen konnte, gut gekleidet. Ich sage, soweit ich erkennen konnte, weil er tat, was jeder echte Mann bei einer Autopanne tut: Er stand am Straßenrand, eine Hand in die Hüfte gestemmt, und kratzte sich mit der anderen am Kopf. Und wie jeder echte Mann hatte er sein Jackett ausziehen und sich die Ärmel hochkrempeln müssen, ehe er sich ans Kopfkratzen machte. Die Haltung drückte von Eigensinn gemilderte Hilflosigkeit aus: Er hatte alles getan, was er konnte, und um Hilfe bat er nur, weil er nicht mehr weiterwusste.
Ich murmelte einen Fluch, als ich sah, dass er mein Auto bemerkt hatte und andeutungsweise die Hand schwenkte, um mich heranzuwinken. Das ist die Regel: Man gibt sich nicht allzu verzweifelt, sondern winkt einem anderen Mitglied des gleichen Automobilklubs, um den Beistand zu erhalten, den man selbst unter den gleichen Bedingungen auch leisten würde.
Trotz all meiner Bemühungen bin und bleibe ich Kanadier. Das bedeutet, dass ich an dem chronischen und wahrhaft kanadischen Geburtsfehler der Höflichkeit leide, so hart ich auch versucht habe, mich davon zu heilen. Gangstern und Bullen gegenüber riskierte ich vielleicht eine zu dicke Lippe und verprügelte hin und wieder allzu großschnäuzige Schlägertypen, und ich habe auch Unzucht getrieben und gelegentlich geflucht und den Namen des Herrn missbraucht, manchmal sogar alles gleichzeitig. Andererseits hatte ich schon so vielen kleinen alten Damen über die Straße geholfen, dass die Pfadfinder überlegten, einen Killer auf mich anzusetzen.
Dieser Kerl brauchte eindeutig Hilfe. Ich musste anhalten, um ihm zu helfen. Ich war so kanadisch, dass mir keine Sekunde lang der Gedanke kam, es könnte sich um einen diskreteren, unauffälligeren Entführungsversuch seitens Jimmy Costellos handeln; andererseits waren Diskretion und Unauffälligkeit keine Eigenschaften, die man ohne Weiteres mit Costello in Verbindung brachte.
Ich hielt neben ihm und kurbelte das Seitenfenster herunter. »Schwierigkeiten?«, fragte ich.
Er lächelte. »Danke, dass Sie angehalten haben.« Er öffnete meine Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz sinken, ehe ich etwas einwenden konnte. In diesem Augenblick bemerkte ich die kleine halbmondförmige Narbe an seinem Kopf. Blitzschnell ging ich die Liste in meinem Kopf durch und versuchte festzustellen, wo ich einen eins fünfundsiebzig großen Mann mit dunklem Haar und einer halbmondförmigen Narbe auf der Stirn abgelegt hatte, als er auch schon einen Revolver aus der Hosentasche zog. Ich erkannte die Waffe als einen Webley Pocket Hammerless Kaliber .32, ein Modell mit verdecktem Schlaghammer, das nach 1916 nicht mehr gebaut worden ist. Es hätte sogar von kurz nach der Jahrhundertwende stammen können.
»Das soll ein Scherz sein, oder?«, fragte ich mit Blick auf den Revolver, wobei ich verächtlich eine Augenbraue hob. Gleichzeitig wog ich meine Chance ab, ihn mit dem flachen Schlagstock in meiner Innentasche außer Gefecht zu setzen. Wenn jemand eine Waffe auf mich richtet, macht mich das reizbar. Ich sagte mir, dass es am besten sei, meinem neuen Freund zunächst mal seinen Willen zu lassen. Die Zeit kam schon noch, ihm zu erklären, was ich davon hielt, mit einer Schusswaffe bedroht zu werden.
»Mit der Knarre ist alles in Ordnung, Kumpel.«
»Mit meinem zweiundachtzigjährigen Onkel Frank ist auch alles in Ordnung, aber ich würde ihn trotzdem nicht zu einer Entführung mitnehmen.«
»Vertrauen Sie mir, Lennox. Dieser Webley schießt wunderbar.«
»Das tat er bestimmt, als Mata Hari sich damit den Kaiser vom Leib gehalten hat, während er sie um den Banketttisch jagte. Wohin wollen Sie mich bringen? Auf eine Antiquitätenauktion?«
Der dunkelhaarige Gorilla seufzte. »Hören Sie, Lennox, reizen Sie mich nicht. Mr. Costello will Sie sprechen, und als Sie das letzte Mal eine Einladung bekamen, haben Sie ziemlich schroff abgelehnt.« Er drückte sich besser aus als der durchschnittliche Glasgower. Er blieb auch ganz ruhig. Mein Versuch, ihn zu ärgern und hinzuhalten, bis noch ein Auto vorbeikam, lief ins Leere. Ich sah, dass hinter ihm ein zweiter Gorilla aus seinem Versteck kam und die Motorhaube des Zephyrs zuklappte.
»Was hat Ihr Kumpel denn dabei? Eine Steinschlossbüchse?« Ich sprach den Scherz mit einem Lächeln aus, um zu verbergen, dass ich gerade ernsthaft meine Chancen abwog, ihm den Hals zu brechen, ehe er abdrücken konnte.
»Er wird uns folgen. Sie fahren zum Lokal raus und treffen sich dort mit Mr. Costello. Mr. Costello hat mir gesagt, ich soll Ihnen ausrichten, ganz ruhig zu bleiben. Es besteht kein Grund für einen Aufstand. Sie haben sich aufgeregt und Tony und Joe zusammengehauen, und das war völlig unnötig. Es geht nicht um das, was Sie glauben.« Er nickte abgehackt in Richtung der Straße vor uns. »Fahren wir.«
Ich blickte auf den Revolver. Er konnte noch immer tun, wozu er da war. Eine Kugel ist eine Kugel, auch wenn es ihn wahrscheinlich ein paar Finger kostete, den Webley abzufeuern. »Sie sagen also, es geht nicht um Paul Costello?«
»Darüber müssen Sie mit Mr. Costello sprechen, aber trotzdem: nein. Oder wenigstens nicht so, wie Sie glauben.«
»Okay«, sagte ich und seufzte. »Wohin? Zum Riviera?«
»Nein.« Mein Beifahrer grinste mich an; seine fleckigen Zähne waren nikotingelb. »Wir fahren zum Empire. Nur für ein Gespräch. Nichts Großes. Also machen Sie keinen Ärger.«
»Ich?«, fragte ich in gekränktem Tonfall. »Ich bin immer auf Konsens aus.«
Mein Fahrgast dirigierte mich über den Clyde, und wir fuhren nach Govan hinein. Geschwärzte Wohnblocks ragten zu beiden Seiten auf. Er befahl mir, vor einer Kneipe zu halten, die ein Schild schmückte, das die Spelunke zur »The Empire Bar« erklärte. Die Sonne versteckte sich, in ein Leichentuch aus dünnen grauen Wolken gehüllt, hinter den Mietskasernen. An Halbdunkel dachte man allerdings ohnehin sofort, wenn man den Namen Govan hörte.
»Oh, sehen Sie nur«, sagte ich fröhlich, als wir ausstiegen. »Über dem Empire geht die Sonne unter.« Mein Begleiter zuckte zur Antwort mit dem Kopf Richtung Kneipe. Den Revolver hatte er wieder in die Tasche gesteckt, aber seine Hand leistete ihm dort Gesellschaft.
Hinter uns fuhr der Ford Zephyr 6 heran, und der zweite Kerl stieg aus. Er war etwa einen Zoll kleiner als sein Komplize, und sein Haar hatte eine Farbe wie schmutziger Sand. Beide sahen genau so aus, wie Sheila Gainsborough sie beschrieben hatte.
Wir gingen in die Wirtschaft. Sie war laut und stank. In der Luft hingen dick Zigarettenrauch, abgestandener Schweiß und Whiskydunst. In der Ecke gab eine Frau mit unnatürlich schwarzem Haar schrille, unerquickliche Laute von sich, begleitet von einem lange nicht mehr gestimmten Piano. Das Empire war eines der Lokale, die man allgemein unter »verkommene Kaschemme« einordnet und wo der Boden mit Sägemehl bestreut ist, um die Spucke aufzusaugen; hier hatte man allerdings das Sägemehl eingespart. Ich ließ mich an einen Tisch in der Ecke führen, ohne mir Illusionen zu machen, dass mich dort Fürst Rainier mit Grace Kelly erwarten könnte. So war es denn auch: Am Tisch saß ein kleiner, dicklicher Mann in einem teuren, aber schlecht sitzenden Anzug und blickte mir mürrisch entgegen, als ich mit meinem Geleitschutz näherkam. Sein dichtes schwarzes, irisches Haar musste geschnitten werden, und über dem schlaffen, hässlichen Mund trug er ein Menjoubärtchen.
»Ich glaube, Sie wollten mich sprechen«, sagte ich mit ernstem Gesicht und setzte mich ohne Aufforderung. Im Gegensatz zu Sneddon, Cohen oder Murphy erforderte ein Jimmy Costello keinen respektvollen Tonfall. Andererseits hatte mich gerade diese Haltung in den letzten Jahren schon mehrmals in einen ziemlichen Schlamassel gebracht.
»Wollen Sie was trinken?«, fragte Costello ungerührt.
»Whisky.«
Costello nickte meinem dunkelhaarigen Entführer zu, der im Zigarettendunst durch die Menge zur Bar ging und uns allein ließ. Vielleicht wurde es doch nicht das Abenteuer, mit dem ich gerechnet hatte.
Die Sängerin neben dem Piano steigerte sich in einen Anfall von Leidenschaft. Sie war eine stämmige Frau über fünfzig, ungefähr so kurvenreich wie ein Bierfass, und hatte ein rundes, weißes Gesicht, kleine Augen, zu dunkles und zu langes Haar und zu rote Lippen. Eindeutig war sie klassisch ausgebildet, denn sie folgte der alten Glasgower Tradition, jeder Verszeile eine Extrasilbe hinzuzufügen und sie dann durch die Nase zu singen. Wenn man etwas gegen Konsonanten hat, fühlt man sich in einem Glasgower Pub wie zu Hause. Die Sängerin informierte mich und jeden anderen im Umkreis von fünf Meilen, dass offenbar die Pfeifen riefen, und sie riefen nach Dhmnnaa-anny Bhee-hoy.
Mein Begleiter kam mit zwei Whiskys und einem Pint Stout zurück und ließ uns wieder allein.
»Sie haben meinen Jungen verkloppt«, sagte Costello. Ihm war keine Verärgerung anzumerken. Er trank von seinem Bier und musterte mich desinteressiert.
»Er hat mich herausgefordert, Jimmy. Er hat ein Messer gezogen. Geht es darum?«
»Nein. Deshalb habe ich auch nicht Tony und Joe geschickt, Sie zu holen. Dieser ganze Scheiß war überflüssig.«
»Wie ich Ihren Gorillas schon sagte: Rufen Sie mich an, wenn Sie mit mir reden wollen.«
»Passen Sie mal auf, Lennox, legen Sie sich nicht mit mir an. Das mit Paul lasse ich Ihnen durchgehen. Ich lasse auch die Sache mit Tony und Joe durchgehen – und glauben Sie mir, Tony und Joe sind damit überhaupt nicht einverstanden. Hören Sie also auf, mich wie ein Stück Scheiße zu behandeln. Sie haben klargestellt, was Sie von mir halten, aber hier sind Sie in meinem Revier. Ich könnte Sie an die Jungs übergeben und Sie mit Ihrer Nase auf halb acht nach Hause schicken.«
Ich wollte gerade etwas entgegnen, als die Sängerin in der Ecke ein völlig neues Niveau an Lautstärke und Unmelodik erreichte.
»Sie könnten es versuchen«, sagte ich, nachdem es in meinen Ohren nicht mehr klingelte, »aber ich arbeite für Willie Sneddon. Dessen Nase drehen Sie nicht so leicht auf halb acht. Also lassen wir den Mist. Was wollen Sie?«
»Warum haben Sie Paul zusammengeschlagen?«
»Ich dachte, darum geht es nicht.«
»Geht es auch nicht. Nicht direkt jedenfalls. Ich muss aber wissen, weshalb Sie und er sich gestritten haben. Ging es um den Gainsborough-Jungen?«
»Richtig heißt er Sammy Pollock. Und ja, es ging wirklich darum.«
»Ist er verschwunden?«
»Ja.«
»Paul auch.«
Einen Augenblick herrschte Stille. Oder es wäre still gewesen, wenn Govans Antwort auf Maria Callas nicht zu einem weiteren Crescendo angesetzt hätte.
»Was meinen Sie mit verschwunden?«, fragte ich.
»Scheiße noch mal, was soll ich damit wohl meinen? Er wird vermisst! Er ist nicht da, und seit drei Tagen hat ihn keiner mehr gesehen.«
»Und Sie glauben, ich hätte damit zu tun?«
»Nein. Deshalb sind Sie nicht hier. Ich will, dass Sie ihn suchen.«
»Ich bin beschäftigt.«
»Richtig. Unter anderem sind Sie damit beschäftigt, den Gainsborough-Jungen zu suchen. Es hängt alles zusammen. Paul wollte sich mit ihm zusammentun. Sie hatten große Pläne. Weiß der Henker, was sie vorhatten, aber sie hatten wirklich große Pläne.« Costellos hässlicher Mund hing unter dem Bärtchen noch weiter herunter. »Das ist alles, was Paul zustande bringt. Große Pläne. Er hat keinen Mumm in den Knochen und keinen Verstand in der Birne, um aus seinen Plänen irgendwas zu machen.«
Ich trank von dem Whisky. Im Vergleich zu dem Fusel war das Zeug, das in Sneddons Boxscheune ausgeschenkt wurde, der reinste Nektar.
Nach einer weiteren Lärmattacke der dicken Sängerin fragte ich:
»Und Sie wissen nicht, wohin er verschwunden ist oder warum?«
Costello schüttelte mürrisch den hässlichen Kopf.
»Die beiden Gorillas, die mich hierhergebracht haben – wie heißen sie?«, fragte ich.
»Was?« Costello sah mich erstaunt an. »Der Dunkelhaarige heißt Skelly. Sein Kumpel ist Young. Warum?«
»Haben Sie Skelly gesagt, er soll mir eine Kanone in die Rippen drücken, damit ich mitkomme? Ich habe was gegen Leute, die Waffen auf mich richten.«
Costello musterte mich verdrossen und schüttelte den Kopf. »So ein Trottel. Ich habe ihm gesagt, er soll dafür sorgen, dass Sie mitkommen. Keiner von meinen Leuten hat mit einem Schießeisen rumzulaufen, solange ich das nicht sage. Ich regle das mit ihm.«
»Schon gut«, erwiderte ich, »ich will selbst mit ihm reden. Ich glaube, es ist besser, wenn es von mir kommt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich Sie nach Skelly und Young gefragt habe. Ich habe gehört, dass die beiden bei Sammy Pollock waren, ehe er verschwand. Wenn sie es nicht gewesen sind, müssen es ihre Zwillingsbrüder gewesen sein, so genau wurden sie mir beschrieben.«
»Sie sind jünger als meine anderen Leute. Sie haben sich viel mit Paul herumgetrieben. Vielleicht glauben sie, er ist die Zukunft. Schöne Hoffnung. Aber mehr steckt nicht dahinter: Paul trieb sich mit Sammy herum, und Skelly und Young hängten sich an Paul.«
Ich nahm noch einen Schluck von dem Whisky; dann stellte ich das Glas wieder ab und beschloss, mir lieber den Magen auskleiden zu lassen. »Ich suche immer noch nach Sammy Pollock«, sagte ich. »Wenn ich etwas über Paul erfahre, lasse ich’s Sie wissen.«
»Ich zahle Ihnen ...«
»Nicht nötig. Aber Sie schulden mir einen Gefallen. Und Sie müssen vergessen, was zwischen mir und Paul vorgefallen ist. Und mit Ihren drei Gorillas.«
»Ich habe ja schon gesagt ...«
»Und das ist noch nicht alles.« Ich blickte zur Theke, wo Skelly mit seinem Kumpel mit dem sandfarbenen Haar redete. »Man könnte sagen, dass ich ein Mann mit Prinzipien bin. Eines dieser Prinzipien ist, dass ich niemanden eine Waffe auf mich richten lasse.«
»Ach, so eine Scheiße ...« Costello blickte zu Skelly an der Theke, dann wieder zu mir. »Könnten Sie es nicht einmal durchgehen lassen? Ich kann doch nicht alle meine Leute von Ihnen verprügeln lassen.«
»Meine Bedingung steht.«
Costello hielt inne, als Applaus und trunkener Jubel den Abschluss von Dhmnnaaany Beh-ho-oy eierten. Vor Erleichterung war auch mir nach Frohlocken zumute. Als das Klatschen verebbte, nickte Costello. Er fügte sich auf die einzige Weise, die er beherrschte: mürrisch.
»Kommen wir noch mal auf den jungen Paul zurück«, sagte ich. »Ich nehme an, dass Sie als Erstes mit diesem Largo gesprochen haben.«
»Was? Wer soll das denn sein?«
»Sie kennen keinen Largo?«
»Sollte ich?«
Ich lehnte mich nach hinten und seufzte. »Dazu gibt es keinen Grund. Jeder, den ich nach Largo gefragt habe, hat noch nie von ihm gehört. Als ich Paul in Sammys Wohnung begegnet bin, glaubte er anfangs, ich wäre ein Bulle.«
»Er hat Sie für einen Bullen gehalten?«
»Ja, ich weiß«, sagte ich seufzend, »ich werde mich offiziell bei meinem Schneider beschweren. Wie auch immer, als er begriff, dass ich kein Polizist bin, fragte er, ob Largo mich geschickt hätte. Als ich ihn fragte, wer Largo sei, ließ er mich abblitzen, sagte aber, Largo sei jemand, dem er Geld schuldet.«
Costello musterte mich. Er hatte ein ausdrucksloses Gesicht, in dem sich nur schlecht lesen ließ. »Das gefällt mir aber gar nicht«, sagte er schließlich. »Warum sollte Paul sich irgendwo Geld borgen? Und wenn, wie kommt es dann, dass ich von diesem Scheißkerl noch nie was gehört habe? Largo ...«
»Ich habe Paul kalt erwischt. Es könnte sein, dass ihm auf Anhieb nichts Besseres eingefallen ist, als zu behaupten, er schulde Largo Geld. Jedenfalls versuche ich herauszufinden, wer dieser Largo ist, weil er auch mit Sammy Pollocks Verschwinden zu tun haben könnte. Und dass jetzt auch Paul plötzlich nicht mehr aufzufinden ist, hängt wahrscheinlich damit zusammen, wie Sie es ja schon vermutet haben.« Ich schwieg kurz. »Was ist mit dem Poppy Club? Sagt Ihnen das etwas?«
Costello schüttelte den Kopf. »Hat das was mit Paul zu tun?«
»Vielleicht«, erwiderte ich. »Vielleicht auch mit Sammy Pollock. Und vielleicht mit niemandem.« Ich stand auf und nahm meinen Hut. »Okay, würden Sie Ihren Gorillas sagen, sie sollen mir meine Schlüssel zurückgeben? Ich melde mich, sobald ich etwas Neues weiß.«
»Sagen Sie mir eins, Lennox«, bat Costello. »Diese Sache mit Sammy Pollock und jetzt mit Paul ... suchen Sie nach Menschen oder nach Leichen? Es sieht nicht gut aus, stimmt’s?«
Ich zuckte die Achseln. »Dass sie verschwunden sind, heißt noch lange nicht, dass sie nicht mehr leben, Jimmy. Ich glaube immer mehr, dass sie irgendein Nebengeschäft laufen hatten, mit diesem Largo vermutlich. Ein Geschäft, von dem niemand etwas wusste. Es wäre möglich, dass er wegen Geld hinter ihnen her ist und dass sie beide für eine Weile untertauchen mussten.«
»Er ist mein Junge, Lennox. Mein Sohn. Er ist ein Verschwender und Taugenichts, aber er ist und bleibt mein Sohn. Finden Sie ihn für mich. Mir ist egal, was Sie sagen, es soll Ihr Schaden nicht sein.«
Ich nickte. »Okay, Jimmy. Ich sehe zu, was ich herausfinden kann.« Ich setzte mir den Borsalino auf. »Ich warte am Auto. Sagen Sie Skelly, er soll mir meine Wagenschlüssel rausbringen.«
Frische Luft war in Glasgow ein relativer Begriff, aber es tat gut, aus dem Empire heraus und auf die Straße zu kommen. Ich übersah die schmutzigen Mietskasernen und blickte über die Dächer und Schornsteine. Wir hatten nach zehn Uhr, doch der Himmel war noch ausreichend hell. Schottlands Breitengrad sorgt für lange Sommerabende. Hinter mir brandete Lärm auf, als die Tür der Kneipe geöffnet wurde. Ich drehte mich um und sah Skelly herauskommen; sein Spießgeselle Young ging neben ihm.
»Hier sind Ihre Schlüssel, Lennox.« Skellys Lächeln entblößte seine gelben Zähne, als er mir den Bund reichte.
»Danke.« Ich nahm die Schlüssel mit der linken Hand. »Ich hab auch was für dich.«
Mit der rechten Hand griff ich in die Innentasche. Einen Augenblick schien Skelly, seinem Gesichtsausdruck nach, tatsächlich zu glauben, ich würde ihm einen Zehnpfundschein in die Hand drücken. Ich zog den flachen Schlagstock mit dem Federstahlgriff hervor und drosch ihm das Ding in einer fließenden Rückhandbewegung seitlich neben den Mund. Ich hörte ein Geräusch irgendwo zwischen einem Knacken und einen Knirschen, und Skelly fiel wie ein Stein zu Boden. Sein Freund machte einen Schritt auf mich zu, und ich streckte die Hand aus und machte eine lockende Geste mit den Fingern: Na los, komm näher. Young entschied sich sofort, die Einladung auszuschlagen, und wich zurück.
Ich beugte mich über Skelly. Er kam gerade wieder zu sich. Sein Gesicht war voller Blut. Wie es aussah, hatte ich ihm einen Gefallen getan: Er war offensichtlich nicht gerade scharf auf Zahncreme, und ich hatte dafür gesorgt, dass er in Zukunft ein paar Zähne weniger nicht putzen musste. Ich klopfte ihn mit der freien Hand ab, griff in seine Jacketttasche und zog den kleinen .32er Webley heraus.
»Ich habe einen Tipp für dich, Skelly: Richte niemals eine Waffe auf mich. Nicht mal so ein antikes Stück. Wenn du das noch mal tust, bringe ich dich um. Das ist nicht nur so eine Redensart. Ich sorge dafür, dass du nicht mehr atmest. Hast du kapiert?«
Er gab hinter den ausgeschlagenen Zähnen einen undeutlichen Stöhnlaut von sich. Ich wertete ihn als Zustimmung, steckte mir den .32er in die Tasche und wandte mich dem Schläger mit den sandfarbenen Haaren zu.
»Und wenn ich deine Visage noch mal sehe, sieht du schlimmer aus als dein Kumpel. Alles klar?«
Er nickte.
»Schönen Abend noch, Mädels«, sagte ich liebenswürdig, stieg in meinen Atlantic und fuhr davon.