7.

In den nächsten paar Tagen paddelte ich angestrengt und gelangte trotzdem nirgendwohin. Weder bei der Frage, was aus Sammy Pollock geworden war, noch bei der Lösung des Problems, was mit Bobby Kirkcaldy los war. Ich überlegte, den Namen meines Ladens in »Sisyphus-Detektei« zu ändern. Immerhin schaffte ich es, im Horsehead bei Big Bob eine Nachricht an den jungen Davey zu hinterlassen. Vielleicht hatte ich doch etwas für ihn zu tun.

Sheila Gainsborough war wieder in der Stadt. Sie rief mich nach ihrer Rückkehr aus London an und klang wenig erfreut, dass ich kaum etwas zu berichten hatte. Sie bestand darauf, persönlich mit mir zu sprechen, und ich fragte sie, ob wir uns in Sammys Wohnung treffen könnten.

Am Nachmittag fuhr ich dorthin. Als ich ankam, erkannte ich die Bleibe kaum wieder. Die Unordnung war beseitigt, und das ganze Apartment duftete nach Bienenwachs.

Sheila hatte sich das blonde Haar hochgesteckt und war für Hausarbeit gekleidet: eine rot karierte Hemdbluse, deren Zipfel sie über dem Bauchnabel verknotet hatte, sodass sie über einer himmelblauen Caprihose ein paar Zentimeter hellen Oberbauch entblößten. Von der raffinierten Couture, die sie bei unserem letzten Treffen getragen hatte, war keine Spur mehr, und ihr Gesicht war ungeschminkt bis auf ein wenig Lippenrot. Trotzdem sah sie zum Anbeißen aus.

»Ich musste hier einfach aufräumen«, sagte sie, »ich fühle mich besser, wenn für Sammys Rückkehr alles schön ist.«

Sie fragte mich, ob ich einen Kaffee wollte, und ich beschloss, es zu riskieren; Kaffee war in Glasgow meist irgendein Chicoréemus aus der Flasche, das mit heißem Wasser aufgegossen wurde. Sheila war jedoch alles andere als typisch Glasgow. Sie kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem ermutigenderweise eine Kaffeekanne standen, zwei Tassen und ein Teller mit Gebäck. Sie goss uns Kaffee ein und setzte sich mir gegenüber, die Knie gebeugt, die Fußknöchel zusammen, ganz wie man es auf dem Mädchenpensionat lernt. Ich sagte mir einmal mehr, was man bei ihr doch für gute Arbeit geleistet hatte.

Sie bot mir ein Stück Gebäck an, eines dieser übersüßten Dinger, die sehr beliebt waren, seit die Rationierung geendet hatte: ein Teigkringel mit einer Füllung aus Sahne und Marmelade, die wir zu Hause in den Atlantischen Provinzen einen Burlington Bun genannt haben. Ich weiß nicht, wie man die Dinger woanders nennt.

»Nein, danke.« Ich lächelte. »Ich bin kein Freund von Süßigkeiten.« Mir fiel auf, dass sie den Teller zurückstellte, ohne sich selbst etwas zu nehmen. Für so eine Figur musste man auf einiges verzichten.

»Als wir das letzte Mal miteinander geredet haben, war ich besorgt, weil Sammy vermisst wurde.« Sie biss sich in die blutrote Oberlippe, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich mir wünschte, sie hätte mich in meine gebissen. »Jetzt habe ich große Angst, Mr. Lennox. Er scheint vom Angesicht der Erde verschwunden zu sein. Und Sie scheinen nicht den geringsten Hinweis ...«

»Hören Sie, Miss Gainsborough. Ich habe etwas herausgefunden. Ich wollte es Ihnen am Telefon nicht sagen, aber erinnern Sie sich noch an Paul Costello, den Kerl, den wir hier in Sammys Wohnung erwischt haben?«

Sie nickte. Ich sah die Beklommenheit in ihren Augen.

»Nun«, fuhr ich fort, »ich fürchte, dass er auch vermisst wird. Genau die gleichen Umstände.«

Aus der Beklommenheit wurde Angst. In Sheilas Augen schimmerten Tränen.

»Ich glaube wirklich, Sie sollten die Polizei einschalten«, sagte ich, stellte meinen Kaffee auf die Untertasse und beugte mich vor. »Ich weiß, Sie machen sich Sorgen. Wenn ich ehrlich sein soll, ich auch.«

»Aber die Polizei ...« Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Was halten Sie davon, dass beide verschwunden sind?«

»Ich vermute, dass einiges wahr ist an dem, was Costello über diesen geheimnisvollen Largo gesagt hat. Ich glaube zwar nicht, dass Paul ihm Geld schuldete, wie er behauptet hat, aber ich glaube auch nicht, dass dieser Largo Gorillas in Sammys Wohnung schicken würde, wenn er nicht auf irgendeine Weise in die Sache verwickelt wäre. Doch gerade das hat Costello bestritten.«

»Was geht Ihrer Ansicht nach dann vor?«

»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, aber ich glaube, dass Sammy und Paul Costello irgendein Geschäft mit Largo gemacht haben und dass dabei etwas schiefging. Wenn ich recht habe, ist das nicht unbedingt schlecht. Es könnte bedeuten, dass Sammy und Costello sich nur verstecken. Absichtlich. Das würde erklären, weshalb sie so schwer zu finden sind. Genau das hätten sie ja gewollt. Das ist aber nur eine Vermutung. Ich finde, Sie sollten sich an die Polizei wenden. Irgendetwas stimmt hier nicht. Selbst wenn Sammy aus eigener Kraft untergetaucht wäre, würde das bedeuten, dass er etwas zu fürchten hat.«

»Nein. Lassen Sie die Polizei aus dem Spiel. Wenn Sie mit Ihrer Vermutung richtig liegen, ist es sehr gut möglich, dass Sammy gegen das Gesetz verstoßen hat. Ernsthaft. Und das Gefängnis würde er nicht durchstehen.« Sie runzelte kurz die niedliche Stirn; dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Nein, ich möchte, dass Sie weiter nach Sammy suchen. Brauchen Sie mehr Geld?«

»Im Augenblick habe ich genug, Miss Gainsborough. Ich möchte Sie nur um eines bitten: Machen Sie Ihrem Agenten klar, dass ich nicht für ihn arbeite. Ich habe ihm nichts zu sagen, zu keinem Thema. Ich berichte nur Ihnen persönlich. Ist das in Ordnung für Sie?«

Sheila nickte. Ich griff in die Tasche, um mir eine Zigarette zu nehmen, aber mein Etui war leer.

»Oh, warten Sie einen Augenblick.« Sie stand auf und sah sich um. »Sammy raucht. Ich bin sicher, dass ich beim Aufräumen ein paar Zigaretten gefunden habe. Ach ja ...« Sie nahm eine silberne Zigarrendose vom Schreibtisch, klappte sie auf und hielt sie mir hin.

»Es sind Filterzigaretten«, sagte sie entschuldigend. Dann runzelte sie die Stirn. »Sagen Sie mal ... das ist doch die Sorte, nach der Sie gefragt haben, nicht wahr? Dieser Stummel mit dem Lippenstift daran.«

Ich nahm eine Zigarette und betrachtete sie. Sie hatte zwei goldene Ringe um den Filter. »Ja, das sind Montpelliers. Eine französische Marke.« Ich zündete die Zigarette an und zog. Es war, als würde man Dampf durch eine Decke filtern. Ich drehte den Filter mit Zeigefinger und Daumen ab, warf ihn in den Aschenbecher und drückte das ausgefranste Ende der Zigarette mit der Fingerspitze fest.

»Tut mir leid«, sagte ich. »Filter sind okay für Frauen. Aber für mich töten sie den Geschmack ab.«

Sheila zeigte das Lächeln, mit dem man auf etwas reagiert, bei dem man gar nicht zugehört hat. »Also suchen Sie weiter nach ihm?«

»Ich suche weiter nach ihm«, versprach ich und hielt inne, um mir ein paar Tabakfasern von der Zunge zu klauben. »Ich weiß, dass Sie die Polizei nicht einschalten möchten, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mit ein paar Kontaktleuten dort spreche? Nicht offiziell, und die Leute sind verschwiegen.«

»Und wenn sie misstrauisch werden?«

»Die Polizisten, von denen ich spreche, werden nicht misstrauisch. Sie werden nur teurer. Überlassen Sie das mir.«

Wir redeten noch eine halbe Stunde. Ich fragte sie, ob sie sich noch an irgendetwas erinnern könne, was die Leute betraf, mit denen ihr Bruder sich abgegeben hatte, besonders das Mädchen, Claire. Ich bat sie außerdem, noch einmal nachzudenken, ob ihr der Name Largo nicht doch etwas sagte. Beide Male zog ich eine Niete. Ich fragte sie, ob sie irgendwelche Örtlichkeiten wüsste, mit denen Sammy besonders verbunden war: Irgendetwas, wo er vielleicht Zuflucht suchte. Sie versuchte es. Sie versuchte es wirklich, das arme Kind, aber ihr wollte nichts und niemand einfallen, der mir bei der Suche nach ihrem vermissten Bruder weiterhelfen konnte.

Ich überließ sie ihrer verzweifelten, methodischen Hausarbeit. Ehe ich ging, sagte ich ihr, dass Sammy wenigstens in eine hübsche Wohnung zurückkehren werde. Die Wahrheit aber war, dass wir beide den Verdacht hatten, Sheila schmücke ein Grab.

***

Am Donnerstagabend gelang mir ein Durchbruch, wenn man es so nennen kann. Ich hatte meine Runde durch die Bars und Nachtclubs gemacht. Die meisten Leute kannten Paul Costello nur als Jimmy Costellos Sohn. Und die wenigen, die von Sammy Pollock/Gainsborough gehört hatten, erinnerten sich nur wegen Sheila Gainsborough an ihn. Ich bemühte mich, Musiker oder Sänger zu finden, die Paul und Sammy kannten oder von ihnen sogar das Angebot erhalten hatten, sie zu vertreten. Ich arbeitete mich von den wenigen schicken Lokalen, die es in Glasgow gab, dem Swing Den oder dem Manhattan etwa, in die raueren Arbeiterkneipen vor, von denen es in der Stadt nur so wimmelte.

Der Caesar Club gehörte zur letzteren Kategorie. Er kombinierte das Trinken im industriellen Maßstab mit den Auftritten von Künstlern, die so schlecht waren, dass man im industriellen Maßstab trinken musste, um sie zu ertragen. Ich traf gegen halb zehn dort ein.

Das Caesar war angemessen benannt, die Sorte Lokal, wo man bei schlechten Auftritten Steine warf. Wer dort auf die Bühne trat, brauchte weniger die Seele eines Künstlers als vielmehr die eines Gladiators. Beinahe rechnete ich damit, Nero mit Fliege am vordersten Tisch sitzen zu sehen, wo er nach jedem Auftritt den Daumen nach unten senkte. Als ich hereinkam, stand ein Komiker auf der Bühne. Er hatte das Publikum ungefähr mit dem gleichen Erfolg für sich erwärmt, mit dem Boris Karloff in Frankenstein die wütende Bauernmeute bezirzte.

Das Publikum stand kurz davor, von verbaler zu körperlicher Gewalt überzugehen, und trotz des festgefrorenen Lächelns über der Mammutfliege flitzten die Blicke des Komikers verzweifelt durch die Menge. Ich war nicht sicher, ob er versuchte, wenigstens einen einzigen Menschen zu finden, der lachte, oder ob er abschätzte, woher das erste Wurfgeschoss kommen würde. Ich fragte mich, wie jemand auf die Idee kommen konnte, in Glasgow als Komiker aufzutreten, wo doch so viele ungefährlichere Berufe zur Auswahl standen: Bombenentschärfer, Stierkämpfer oder Schwertschlucker. In mir entflammte eine tiefe, aufrichtige Sympathie für diesen Komiker.

Dann hörte ich seine nächsten beide Witze und sagte mir, dass er es nicht anders verdient hatte.

Ich kannte den Geschäftsführer des Caesar. Er drückte mir ungebeten ein ungewolltes Pint warmen Stouts in die Hand; dann führte er mich hinter die Bühne.

»Das ist der, von dem ich Ihnen erzählt habe, Lennox«, sagte er, während er mich einen langen Flur entlangführte und schließlich eine Schranktür in der Wand öffnete. Ich hörte noch immer, wie das Publikum auf den Auftritt des Komikers reagierte, und begriff zum ersten Mal, was es hieß, wenn eine Menge nach Blut schrie.

Der Wandschrank erwies sich als die kleinste Garderobe, die ich je gesehen hatte, und ich hatte in meiner farbigen Karriere schon viele Garderoben zu Gesicht bekommen. Doch den Schrank belegte kein Chormädchen, sondern ein kleiner Mann um die fünfzig mit großen braunen Augen und ohne nennenswerten Haarwuchs auf dem eiförmigen Kopf. Die Glühbirne unter der Decke war ohne Schirm, und ihr Butterschimmer auf seiner blassen Haut trug noch mehr zum Humpty-Dumpty-Eindruck bei. Er trug einen billigen Abendanzug mit Fliege. In seinem Schoß ruhte eine glänzende Trompete; ihr Koffer lag offen auf dem Regal, das als Schminktisch herhalten musste. Er lächelte, als ich hereinkam.

»Sie sind der Herr, der nach dem jungen Sammy sucht?«

»Der bin ich. Wissen Sie, wo er steckt?«

»Nein. Ich habe ihn seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Aber ich wollte Ihnen etwas über ihn erzählen. Vor zwei Wochen, vor dem Pacific – Sie wissen schon, Mr. Cohens Club –, also, vor zwei Wochen habe ich dort gespielt. Am Freitagabend. Jedenfalls war mein Auftritt vorüber, und ich wollte den Bus nach Hause nehmen. Ich war den halben Weg zur Haltestelle gegangen, als ich einen Tumult hörte. Sammy hatte Ärger mit zwei Männern. Ziemlich junge Kerle, würde ich sagen. Es wurde ein bisschen geschubst und gerempelt; ein echter Kampf war es nicht. Fair wäre er ohnehin nicht gewesen, zwei gegen einen. Jedenfalls kam dieser andere Mann aus dem Club. Er hat die Gemüter beruhigt.«

»Wie spät war es da?«

»Gegen neun. Ich hatte einen frühen Auftritt.«

»Haben Sie jemanden erkannt?«

»Nicht die beiden Schlägertypen. Sammy natürlich schon. Der Kerl, der den Streit geschlichtet hat, sah aus wie Paul Costello. Sie wissen schon, Jimmy Costellos Junge. Sie sind ständig zusammen. Paul und Sammy, meine ich.«

»Sind sie ins Pacific zurückgegangen?«

»Nein. Sie sind in ein Auto gestiegen und weggefahren. Sie standen bei dem Streit neben dem Wagen. Ich hätte der Sache keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, aber irgendetwas daran war merkwürdig.«

Ich nickte. Ein Straßenrangelei ist in Glasgow nichts Ungewöhnliches. So etwas sah man jeden Freitag- oder Samstagabend. »Inwiefern war es merkwürdig?«

»Ich weiß es nicht. Aber irgendwas war seltsam. Sie waren nicht angetrunken, nichts dergleichen. Es war eher so, als ...« Er runzelte die blasse, eierschalenähnliche Stirn. Dann fiel es ihm ein. »Es war, als wären sie eher gereizt als auf einen Kampf aus. Sammy ganz besonders. Es waren die anderen beiden, die etwas falsch gemacht hatten.«

»In was für ein Auto sind sie gestiegen?«

»Es war großer weißer Wagen. Ein Ford, glaube ich.«

»Ein Ford Zephyr Sechs?«

»Könnte sein, ja, durchaus. Sie wissen, von wem ich rede?«

»Ich glaube, ich habe sie schon mal getroffen. Wie gut kennen Sie Sammy Pollock?«

»Wer ist Sammy Pollock?«

»Sheila Gainsboroughs Bruder«, sagte ich, und er schien zu begreifen. Es wurde immer deutlicher, dass Sammy in der ganzen Stadt mit dem Namen seiner Schwester hausieren gegangen war.

»Nicht so gut. Ich habe ihn häufiger gesehen. In den Clubs vor allem.«

»Hat er je davon gesprochen, Sie oder andere Musiker vertreten zu wollen?«

»Was meinen Sie mit vertreten?«

»Hat er je davon gesprochen, dass er Agent werden will? Oder dass er die Absicht habe, mit Paul Costello eine Talentagentur zu gründen?«

Der kleine Mann mit dem unbehaarten Kopf lachte. »Was verstehen die beiden denn schon vom Musikgeschäft? Nein, er hat nie etwas davon zu mir gesagt oder zu jemandem, den ich kenne.«

»Na gut.« Ich überlegte einen Augenblick. »Haben Sie eine Idee, wo ich jemanden finden könnte, der weiß, wo Sammy steckt?«

»Vielleicht weiß das Mädchen etwas, mit dem er sich abgibt.«

»Claire?«

»Ach, Sie kennen sie schon?«

»Nein. Ich weiß nur von ihr. Ich würde sehr gern mit ihr sprechen. Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«

»Ja. Sie ist Sängerin. Und gar nicht mal schlecht. Claire Skinner. Sie singt manchmal abends im Pacific. Ich glaube, sie wohnt in Shettleston.«

Ich nahm ein paar Pfund aus der Brieftasche und gab sie dem Trompeter. Dem Lärm aus dem Schankraum nach hätte ich ihm eher den Webley-Revolver schenken sollen, den ich Skelly abgenommen hatte.

»Danke, Sie waren mir eine Hilfe. Viel Glück mit der Meute«, sagte ich und ging. Ich fragte mich, wie lange der König mit all seinen Mannen wohl bis hierher brauchte.

***

Ich rief Jonny Cohen zu Hause an. Er sagte, Claire singe zwar im Pacific, aber er wisse nicht, ob sie mit Nachnamen Skinner heiße. Ebenso wenig habe er sie je mit Sammy Pollock in Verbindung gebracht.

»Sind Sie sicher, dass es das richtige Mädchen ist?«, fragte er.

»Das sagt mir jedenfalls meine Quelle, aber wer weiß? Könnten Sie mir ihre Adresse geben?«

»Kann ich nicht, aber Larry, der das Pacific managt, kennt sie vielleicht. Zumindest weiß er, wie man sich mit ihr in Verbindung setzt, wenn man sie engagieren will. Fahren Sie morgen Abend in den Club, und er kann Ihnen die Adresse geben.«

»Danke, Jonny. Ich bin Ihnen was schuldig.«

»Das stimmt. Ach, Lennox?«

»Ja?«

»Ich hoffe, Sie haben mich verstanden, als ich Ihnen sagte, Sie sollen sich ja nicht von Bobby Kirkcaldy ablenken lassen.«

»Ich habe Sie gut verstanden, Jonny.«

***

Davey Wallace kam der Bitte nach, die ich ihm über Big Bob hatte ausrichten lassen, und erschien um halb elf in meinen Büro. Er trug den gleichen zu großen und zu alten Anzug, mit dem er immer ins Horsehead kam. Er hatte einen roten Schlips mit Tartanmuster an und ein weißes Hemd, gekrönt von einem breitkrempigen grauen Filzhut, aus dem man ein paar Jahrzehnte lang jede Form herausgeprügelt hatte. Wenigstens, sagte ich mir, weiß ich jetzt, wie ein Privatdetektiv auszusehen hat.

Das Grinsen, mit dem Davey mein Büro betrat, war unglaublich breit und glückselig, und ich fragte mich, ob es richtig war, ihn mit in den Fall hineinzuziehen. Er war noch immer ein halbes Kind. Aber die Entscheidung hatte bei ihm gelegen.

»Dir ist also klar, was du zu tun hast? Und noch wichtiger, was du zu lassen hast?«

»Ich hab verstanden, Mr. Lennox. Ich werde Sie nicht enttäuschen.«

Ich griff in meine Schreibtischlade und holte eine Tasche aus grober Leinwand hervor. Sie war schwer und mit Pennys gefüllt. Ich schüttete ein paar davon auf den Schreibtisch.

»Diese Tasche nimmst du mit. Da drin ist genug Kleingeld, um in Australien anzurufen. Wenn irgendwas passiert, rufst du die Nummern an, die ich dir gegeben habe, und ich werde so schnell verständigt, wie es nur geht.« Ich wog die Tasche in der Hand und schätzte das Gewicht. »Und zieh die Schnüre immer schön zu, wenn du gerade kein Geld rausnimmst. Dieser Beutel reißt nicht, und wenn du in Schwierigkeiten kommst, hast du einen teuflisch guten Totschläger in der Hand. Alles klar?«

»Ich hab’s kapiert, Mr. Lennox.«

»Aber geh auf keinen Fall irgendein Risiko ein, Davey. Behalte nur Kirkcaldys Haus im Auge und benachrichtige mich, wenn etwas passiert. Und vergiss nicht: Notier dir Uhrzeit und Beschreibung von jedem Besucher, den du kommen oder gehen siehst.«

Ich griff wieder in meine Schreibtischschublade und warf ihm ein schwarzes Notizbuch zu, wie Reporter es benutzen. Davey fing es auf und starrte es mit großen Augen an, als hätte ich ihm gerade die Schlüssel zum Königreich überantwortet.

Wir fuhren nach Blanefield und parkten den Atlantic ein Stück von Kirkcaldys Haus entfernt auf der Straße. Völlig unauffällig zu sein war nicht ganz leicht, doch der Wagen stand weit genug weg und besaß trotzdem eine klare Sicht auf die Zufahrt von Kirkcaldys Grundstück. Ich gab Davey zwei Pfundmünzen, eine Schachtel Zigaretten und einen Laternenpfahl zum Dranlehnen. Er nahm seine Aufgabe so ernst, dass ich mir Sorgen machte, er könnte bis zu meiner Rückkehr das Blinzeln unterdrücken.

Ich ließ den Wagen stehen, wo ich ihn geparkt hatte, und gab Davey die Schlüssel, damit er einsteigen konnte, falls es regnete. Das Wetter schlug nun eindeutig wieder den altbekannten Kurs ein, und der milchige Himmel verfinsterte sich regelmäßig. Ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, wenn Davey sich eine Lungenentzündung oder einen Grabenfuß holte, was im westschottischen Klima durchaus passieren konnte. Ehe ich ihn seinen Wachtpostenpflichten überließ, klingelte ich bei Kirkcaldy. Der Boxer war nicht zu Hause, aber Onkel Bert Soutar kam an die Tür. Er trug ein kurzärmeliges Hemd, das von Tätowierungen umwundene Arme freiließ, von denen mehrere dem Papst nicht sehr zielführende Vorschläge unterbreiteten. Wenn Sturheit auf einer Tonleiter gemessen werden konnte, war Soutar ein Bassbariton. Als ich ihm gesagt hatte, dass der junge Mann an der Ecke zu mir gehöre und nichts mit den Vandalen zu tun habe, nickte er mürrisch und schloss die Tür wieder.

Ich wusste natürlich, dass Davey während des Nachmittags nichts Entscheidendes würde beobachten können. Die Art Mätzchen, die mit Kirkcaldy veranstaltet wurden, trieb man nur im Schutz der Dunkelheit.

Während Davey konzentriert an seinem Laternenpfahl lehnte und Kirkcaldys Haus beobachtete, ging ich zu ’Pherson’s auf der Byres’ Road und ließ mir die Haare nachschneiden und mich rasieren. Der alte ’Pherson war ein Experte in seinem Metier, und ich verließ den Friseurladen mit prickelndem Gesicht und einem Scheitel, gegen den Moses’ Teilung des Roten Meeres schlampig wirkte. Mit der Straßenbahn fuhr ich in die Stadt zurück und führte auf der Suche nach Largo von meinem Büro aus ein paar ergebnislose Telefongespräche.

Vielleicht lag es daran, dass Jock Fergusons Name in der Unterhaltung mit meinem handzahmen Bullenkumpel Donald Taylor gefallen war, aber aus einem Impuls heraus nahm ich den Hörer ab und wählte die Nummer des Polizeipräsidiums am St. Andrew’s Square. Anscheinend wusste Detective Inspector John Ferguson nichts von meiner »Bekanntschaft« mit einem seiner untergebenen Beamten, denn er klang aufrichtig überrascht, von mir zu hören. Überrascht und vielleicht ein bisschen misstrauisch. Ich weiß nicht, wieso ich bei so vielen Menschen, besonders Polizisten, solches Misstrauen wecke. Ferguson räumte ein, er habe in der Mittagspause noch nichts vor, und wir verabredeten uns im Horsehead. Wir hatten fast ein Jahr lang nicht mehr miteinander gesprochen.

Ich kam gegen halb zwei ins Horsehead. Die Mittagskundschaft hatte die Luft im Schankraum bereits so dick geraucht, dass man sie mit dem Messer schneiden konnte. Wenn ich die Atmosphäre im Horsehead beschreiben sollte, würde ich sagen, sie war gemischt. Man sah hier Angestellte, uniformiert in vorschriftsmäßigen Nadelstreifen, Schulter an Schulter mit Arbeitern, die flache Mützen und Wellington-Gummistiefel trugen. Niemand konnte den Glasgowern vorwerfen, ihnen ginge das Modebewusstsein ab; ein paar Arbeiter hatten ihre »Wellies« als Konzession an das warme Wetter von Waden- auf Knöchellänge heruntergekrempelt.

Ich entdeckte einen Mann Ende dreißig an der Theke. Er stand mit dem Rücken zu mir, aber ich erkannte die hohe, kantige Gestalt und den stumpfgrauen Anzug, den er das ganze Jahr zu tragen schien. Manche Polizisten brauchen eine Uniform, auch nachdem man sie zur Kripo versetzt hat. In gewisser Weise verstand ich das: Wenn man nach Hause kommt, hat man das Bedürfnis, den Beruf abstreifen zu können. Ich quetschte mich mit einer Schulter zuerst neben Ferguson an die Theke. Der Mann, der neben ihm gestanden hatte, musterte mich mit jener beiläufigen, desinteressierten Feindseligkeit, die man nur in Glasgower Kneipen anzutreffen scheint. Ich lächelte ihn an; dann wandte ich mich Ferguson zu.

»Hallo, Jock.«

Ferguson richtete seine stumpfgrauen Augen, die zu seinem Anzug passten, auf mich. Jock Ferguson hatte ein alles anderes als ausdrucksstarkes Gesicht: Es war praktisch unmöglich, seiner Miene zu entnehmen, was in seinem Kopf vorging. Den gleichen abwesenden Gesichtsausdruck habe ich bei vielen Männern gesehen, die aus dem Krieg gekommen waren. Und irgendwie wusste ich, dass Jock Ferguson einen ähnlichen Krieg erlebt hatte wie ich.

»Lange nicht gesehen«, sagte er, ohne zu lächeln und ohne mir einen Drink anzubieten. »Wie ist es Ihnen ergangen?«

»Sie wissen schon, ich halte den Kopf unten. Scheidungsfälle, Diebstähle durch Angestellte, solche Sachen.«

»Arbeiten Sie noch immer für Glasgows anrüchiges Milieu?«

»Hin und wieder. Nicht so viel wie früher. Die Zeiten ändern sich, Jock. Auch Gangster haben den freien Markt entdeckt. Mit den Honoraren, die Ihre Kollegen kassieren, kann ich nicht mithalten.«

Fergusons Gesicht wurde hart, doch er beschloss, mir meine Bemerkung durchgehen zu lassen. Früher hätte er über eine solche Stichelei gelacht, weil er wusste, dass ich sie auf Bullen bezog, die anders waren als er. Aber es war nicht mehr früher.

»Ich habe gehört, dass Sie sich nach mir erkundigt haben, Lennox. Nach dieser Geschichte im letzten Jahr. Mir kam es so vor, als wären Sie der Meinung, ich hätte etwas mit dem ganzen Scheiß zu tun gehabt. Glauben Sie das wirklich?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur ein bisschen mit Ihren Kollegen geplaudert. Dann hatten Sie also nichts mit der Sache zu tun?«

Er hielt meinem Blick stand. Keiner von uns sagte offen, was sich ereignet hatte. Tatsächlich hätte Ferguson nicht einmal von den Vorfällen in dem Lagerhaus am Hafen wissen dürfen – Vorfälle, die dazu führten, dass ich eine Kugel in der Seite hatte und eine Frau, die mir viel bedeutet hatte, tot und ohne Gesicht zu meinen Füßen lag. Vorfälle, die sich nicht ereignet hätten, hätte nicht irgendein Polizist bestimmte Informationen weitergegeben.

»Ich hatte mit der ganze Sache nichts zu tun. Fertig, aus.«

»Okay. Wenn Sie es sagen, Jock, dann glaube ich Ihnen.« Das war eine Lüge. Wir wussten beide, dass es eine Lüge war, aber nach diesem Satz konnten wir weiterreden. Vorerst. »Und? Wie geht es Ihnen so?«

»Bin sehr beschäftigt. McNab hat mir den Eisenbahntoten aufgehalst. Und er vergrößert den Druck. Unser neuer klugscheißerischer Pathologe lässt ihn Feuer furzen. Sie kennen McNab. Wenn Dreck von Dreck umgebracht wird, kümmert es ihn nicht, es sei denn, alles ist schön unkompliziert, was es normalerweise ja auch ist.«

Ich nickte mitfühlend. Die Vorstellung, für einen zornigen McNab zu arbeiten, war beängstigend. Eine Sekunde lang spürte ich, wie seine Hand gegen meine Brust drückte. »Und was machen die Ermittlungen? Irgendwelche Spuren?«

Ferguson schnaubte. »Nichts und wieder nichts. Wir haben nur die Leiche. Und die konnten sie mit zwei Eimern durch die Gegend schleppen. Aber Sie wollten mich bestimmt nicht treffen, um mich zu fragen, wie zufrieden ich mit meinem Beruf bin. Was wollen Sie, Lennox? Sie sind doch immer hinter irgendetwas her.«

Ehe ich antwortete, nickte ich dem Barkeeper zu und bestellte zwei Whiskys. Ich kannte den Mann nicht und beschloss, ihn nicht aus dem Konzept zu bringen, indem ich nach einem Canadian Club fragte.

»Sie haben bestimmt von dem großen Kampf gehört, der bevorsteht. Bobby Kirkcaldy gegen den Deutschen.«

»Sicher. Was ist damit?«

»Kirkcaldy bekommt ein bisschen unerwünschte Aufmerksamkeit. Sie kippen ihm irgendwelchen Mist vor die Tür, verhüllte Drohungen, so etwas.«

»Hat er uns verständigt?«

»Nein. Ich bin von einem seiner Finanziers engagiert worden, weil Kirkcaldys Manager es zufällig spitzgekriegt hat. Kirkcaldy tut sein Bestes, um jede Aufmerksamkeit von sich abzulenken.«

Ferguson zog eine Braue hoch. »Einer seiner Finanziers, sagen Sie?«

»Die Sache ist die, dass irgendetwas an der Sache stinkt. Da ist so ein alter Kerl, der sich ständig bei Kirkcaldy rumtreibt. Eine Art Leibwächter und Trainer in Personalunion. Wie gesagt, ein alter Knochen, aber hart wie Stahl. Nennt sich Bert Soutar. Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht ...?«

Ferguson seufzte. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber nicht umsonst, Lennox. Irgendwann brauche ich vielleicht etwas von Ihnen.«

»Wird mir ein Vergnügen sein.« Ich lächelte und bestellte uns zwei Pasteten. Sie wurden uns auf schmucklosen weißen Tellern serviert, die unter der Glasur von krakeligen grauen Rissen durchzogen waren. Sie sahen aus, als wären sie aus dem gleichen Porzellan, aus dem man Urinale herstellt. Die Pasteten lagen auf etwas, das die Franzosen als Jus aus verflüssigtem Fett bezeichnet hätten. Seit meiner Ankunft in Glasgow hatte ich einiges an Gewicht verloren.

Ferguson schien die Servierkunst nichts auszumachen. Er biss herzhaft in die Pastete und tupfte sich mit der Papierserviette das Fett vom Kinn. »War das alles?«

»Ja«, sagte ich und trank von meinem Whisky. »Ich glaube, der alte Soutar konnte ganz gut mit einem Rasiermesser umgehen. Bridgeton Billy Boys, so etwas. Egal was Sie herausfinden, wahrscheinlich ist es für mich nützlich.«

»Ich kann sogar noch mehr.« Er griff in die Jacketttasche und holte ein Notizbuch, das nicht von der Materialausgabe stammte, und einen Bleistift hervor. Er kritzelte etwas hinein, riss die Seite heraus und gab sie mir. »Das ist die Adresse von Jimmy MacSherry. Er ist heute ein alter Mann, aber in den Zwanzigern und Dreißigern war er ein wirklich harter Hurensohn. Hat gegen Sillitoes Kosaken gekämpft und mehrere Polizisten ins Krankenhaus gebracht. Bekam zehn Jahre und Schläge mit der Birkenrute. Jimmy war ein Billy Boy und kennt jeden, der in diesen Kreisen etwas gegolten hat. Aber seien Sie vorsichtig bei ihm. Und ein paar Mäuse wird es Sie auch kosten.«

»Danke, Jock. Ich weiß das zu schätzen.« Ich steckte den Zettel ein. In diesem Augenblick kam mir ein Gedanke. »Ach, vielleicht ist da doch noch etwas. Niemand scheint den Kerl zu kennen, aber einen Versuch ist es ja wert. Haben Sie schon mal von einem Kerl namens Largo gehört?«

Wie ich schon sagte, hatte Jock Ferguson kein besonders ausdrucksstarkes Mienenspiel, doch jetzt lief ihm etwas durchs Gesicht, das aussah, als bezöge es seine Energie direkt aus dem nationalen Stromnetz.

»Was wissen Sie über John Largo?«

»Nichts. Absolut nichts, deshalb frage ich ja. Wer ist der Mann?«

»Wo haben Sie den Namen gehört? Sie müssen den Namen doch irgendwo gehört haben.«

Ich sah Ferguson an. Er hatte sich mir zugewandt und von der Theke aufgerichtet. Plötzlich war er ganz Bulle und null Bekannter. Nach all meinem Herumfragen hatte ich binnen einer Sekunde mein Wissen über Largo verdoppelt: Jetzt kannte ich seinen vollen Namen. Dafür klingelte jede Alarmglocke, die nur klingeln konnte. Ganz eindeutig reichte allein der Umstand, dass ich den Namen John Largo kannte, schon aus, um mir die polizeiliche Aufmerksamkeit zu sichern, die ich um jeden Preis vermeiden wollte. Ich sagte mir, dass es am besten sei, wenn ich auspacke.

»Okay, Jock, ich kann sehen, dass ich auf etwas gestoßen bin. Sie glauben aber offensichtlich, dass ich etwas wüsste, von dem ich nichts wissen sollte. Nun, ich weiß es wirklich nicht. Ich kannte nur den Namen Largo. Ich ermittle in einem Vermisstenfall. Wie sich herausstellt, sind es zwei Vermisste: Paul Costello, Jimmy Costellos Sohn, ist ebenfalls verschwunden. Aber vorher sind wir uns über den Weg gelaufen. Zuerst glaubte er, ich gehöre zu Ihrem Haufen, dann fragte er mich, ob Largo mich geschickt hätte. Mehr weiß ich nicht. Ich habe mich in der ganzen Stadt nach diesem Largo umgehört, aber niemand, den ich gefragt habe, kennt ihn. Bis jetzt. Also, wer ist John Largo?«

»Jetzt passen Sie mal auf. Hören Sie genau zu. Was Sie gerade gefragt haben ... an Ihrer Stelle würde ich diese Frage nie wieder stellen. John Largo ist ein Mann, über den Sie nichts wissen wollen. Wenn ich Ihnen je etwas gesagt habe, das Sie beherzigen sollten, Lennox, dann das: John Largo existiert nicht. Akzeptieren Sie das und leben Sie weiter. Andernfalls klappt das mit dem Weiterleben vielleicht nicht mehr ganz so gut.«

»Immer hübsch langsam, Jock. Sie können doch nicht ...«

»Ich muss gehen. Ich werde zusehen, dass ich für Sie etwas über Soutar in Erfahrung bringe. Versuchen Sie es inzwischen bei Jimmy MacSherry.«

Ehe ich etwas entgegnen konnte, war er fort. Ich lehnte mich über die Theke, sah das halb volle Whiskyglas, das er zurückgelassen hatte, und wusste, dass es eine große, eine ganz große Sache war: Wenn ein Schotte einen kostenlosen Drink nicht bis zum letzten Tropfen leert, weiß man, dass es brennt.

***

Bridgeton war eine Gegend, in der man sich elegant vorkommt, nur weil man Straßenschuhe anhat. Wie es schien, war dort Fußbekleidung bis zum Alter von zwölf Jahren freigestellt; danach hatte man schwere genagelte Arbeitsschuhe zu tragen, mit denen ein 45-Kilo-Jüngling auf der Straße klang wie eine vorbeimarschierende Wehrmachtsdivision. Wie neunundneunzig Prozent der Einwohner Bridgetons stand auch Jimmy MacSherry nicht im Telefonbuch. Ich sagte mir, dass es wohl am besten wäre, wenn ich selbst hinging und ein bisschen an die Türen pochte. Ich vergewisserte mich, dass ich meinen Schlagstock einsteckte. Bridgeton gehörte zu den Gegenden, wo man sich nackt vorkam, wenn man nicht irgendwas dabeihatte, mit dem man anderen Leuten Schmerzen zufügen konnte.

Ehe ich in die Straßenbahn nach Bridgeton stieg, bekam ich einen Anruf von Davey. Wie erwartet, hatte er nichts zu berichten, nur dass Kirkcaldy am Nachmittag nach Maryhill zum Training gefahren war. Ich hatte Davey angewiesen, beim Haus zu bleiben und nicht Kirkcaldy zu folgen, und das hatte er getan. Ich merkte, dass Davey sich Sorgen machte, ich könnte enttäuscht sein, weil er nichts zu berichten hatte, aber ich versicherte ihm, er mache seine Sache gut, und als er auflegte, war er genauso eifrig und begeistert wie am Vormittag, als ich ihn dort zurückgelassen hatte.

Für den Rest der Welt war ein Glasgower ein Glasgower und nichts anderes. Sie sahen alle gleich aus, sprachen das gleiche unerforschliche Patois und schufteten in einer Werft, einer Fabrik oder einem Stahlwerk. Sie teilten außerdem die gleiche schizoide Tendenz, einerseits die warmherzigsten, freundlichsten Menschen zu sein, die man sich denken konnte, und dennoch die Neigung zu vollkommen psychopathischen Gewaltorgien an den Tag zu legen. Manchmal geschah beides gleichzeitig. Doch innerhalb Glasgows verlief eine Kluft, die seine Arbeiterklasse in zwei Lager teilte. Oberflächlich war diese Trennlinie religiöser Natur: Protestant gegen Katholik. In Wirklichkeit war die Trennung ethisch: schottische Glasgower gegen irischstämmige Glasgower. Und der biblische Hass zwischen den beiden Gemeinden fand seinen Brennpunkt in den beiden Fußballmannschaften, Rangers und Celtic.

Bridgeton lag am Stadtrand und sah mehr oder weniger aus, wie der Glasgower Stadtrand auch überall sonst aussieht. An den Straßen reihten sich Mietskasernen und vierstöckige Wohnhäuser.

Das Baumaterial der Wahl in Bridgeton war nicht Ziegel oder gelber Sandstein gewesen, sondern roter Sandstein, aber eigentlich war diese Unterscheidung unerheblich, denn sämtliche Häuser waren dunkel vom Schmutz, wie alle Glasgower Bauwerke. Gelegentlich blitzte die darunterliegende Farbe durch den Ruß und verlieh dem Gebäude den Anschein eines dunklen, verrostenden Schiffswracks, das in den Himmel ragt. Wie in anderen Teilen der Stadt wurden die schlimmsten Elendsquartiere allmählich beseitigt, um Platz zu schaffen für neue Wohnblocks. Der Geist des Atomzeitalters hatte Glasgow erreicht, und bald würden alle seine Bewohner die allermodernsten Annehmlichkeiten genießen können. Zum Beispiel Klosetts mit Wasserspülung.

Bridgeton unterschied sich in einer Hinsicht von anderen Teilen der Stadt: Es stach hervor durch die Intensität seines Hasses auf seinen Nächsten. Nirgendwo in Glasgow ging es ultraloyalistisch-protestantischer und Katholiken hassender zu als hier.

Vor ein paar Wochen war Bridgeton wie jedes Jahr am 12. Juli zur Sammelzone für die Dudelsackkapellen, Trommler und Marschierer geworden, die den Sieg des protestantischen Königs Wilhelm von Oranien über den katholischen König Jakob in der Schlacht am Boyne feierten. Sobald sie sich gesammelt hatten, marschierten sie im Triumph durch die Straßen Glasgows – besonders die vornehmlich katholischen Straßen. Überraschenderweise ließen sich die mürrischen Katholiken so gar nicht von der Feierstimmung anstecken und weigerten sich, Lieder mitzusingen, die Verse hatten wie: »Wir stehen bis zu den Knien in Fenierblut, ergebt euch oder sterbt!«

Aber Glasgow war vor allem eine Stadt des Gleichgewichts und der Fairness, und daher gab es auch einen ultrarepublikanisch-katholischen, Protestanten hassenden Teil Bridgetons. Die Norman Conks, die katholischen Gegenstücke zu den Billy Boys, hatten sich in dem Teil Bridgetons zwischen Poplin Street und Norman Street gesammelt. Ihre Spezialität – abgesehen davon, dass sie das gleiche Geschick für plastische Chirurgie mit dem Rasiermesser bewiesen wie die Billy Boys – lag im Werfen von Molotowcocktails voll Paraffinöl oder Benzin auf die Marschierer am 12. Juli. Gelegentlich flog auch einmal eine »Wurst«: menschliche Ausscheidungen, locker in ein Blatt Zeitungspapier gewickelt.

Ich fragte mich manchmal, wie Rio auf den Gedanken kam, es könne in puncto Karnevalsatmosphäre mit Glasgow konkurrieren.

Als ich Bridgeton durchquerte, sah ich keine Marschkapellen und bemerkte nur wenig Karnevalsatmosphäre. Nichts hätte weniger festlich wirken können als Bridgeton an einem schönen Sommertag. Auf jeden Fall war ich froh, den Atlantic nicht mitgebracht zu haben. Auf der Straße, in der MacSherry wohnte, parkte kein einziges Auto, und fünf oder sechs Kinder mit schmutzigen Gesichtern und nackten Füßen spielten gehässig miteinander an einer Straßenlaterne. Als ich an einer Toreinfahrt vorbeikam, stand dort ein Mann um die dreißig und beobachtete mich unter der Krempe seiner flachen Mütze hinweg. Er trug ein Hemd ohne Kragen und eine Weste, und die Ärmel waren hochgekrempelt und entblößten Unterarme, die aussahen, als wären sie aus Drahtseilen geflochten. Die Daumen hatte er in die Taschen der Weste gehakt. Er lehnte an dem Durchgang, die Füße in den schweren Arbeitsschuhe an den Gelenken übereinandergelegt. Obwohl er eine denkbar entspannte Haltung einnahm, machte er auf mich den Eindruck, als wäre er ein Wächter oder Aufpasser.

Der einzige andere Mensch, an dem ich vorbeikam, war eine Frau um die fünfzig, die weiter die Straße hinauf ein Haus verließ. Sie war so breit wie hoch und trug ein formloses schwarzes Kleid. Vielleicht war auch nur der Körper unter dem Kleid formlos. Sie hatte sich ein Tuch straff um den Kopf geschlungen, und ihre Beine waren nackt; ihre Strümpfe hatten sich zu beigefarbenen Reifen um ihre Fußgelenke abgerollt. An den Füßen trug sie dunkle Pantoffeln mit Tartanmuster. Irgendetwas hatte die Haut ihrer Beine veranlasst, purpurrote Flecken auszubilden, und ich empfand plötzlich das dringende Bedürfnis, auf ewig dem Corned Beef abzuschwören. Als sie an mir vorbeiging, beäugte sie mich mit noch größerem Misstrauen als der hemdsärmelige Wachtposten, den ich gerade passiert hatte. Ich lächelte sie an, und sie starrte finster zurück. Und dabei hatte ich ihr gerade sagen wollen, wie sehr es mich entzückte, dass Diors »New Look« endlich auch in Glasgow angekommen war.

Ich fand die Mietskaserne, die ich suchte, und stieg die Treppe hoch. Das Eigenartigste an den Glasgower Armenvierteln ist, dass man von den Steintreppen oder den Türschwellen der einzelnen Wohnungen hätte essen können. Glasgower erfüllt es mit maßlosem Stolz, öffentliche Flächen zu reinigen – Hausdurchgänge, Treppen, Eingänge. Normalerweise gibt es einen strengen Putzplan, und eine Hausfrau, deren Türschwelle oder Treppenabsatz nicht funkelt, wird schnell zur gesellschaftlich Ausgestoßenen.

Die Wohnung MacSherrys lag im dritten Stock. Der Treppenabsatz war so sauber wie erwartet, aber in der Luft hing ein irgendwie unangenehmer Geruch. Ich klopfte an der Tür. Mir öffnete eine Frau Mitte sechzig. Sie war so fett, dass mir die Dame, der ich vorhin auf der Straße begegnet war, grazil und elfenhaft erschien.

»Hallo, könnte ich bitte mit Mr. MacSherry sprechen?«

Die fette Frau wandte sich wortlos von mir ab und watschelte durch den Korridor davon, ohne die Tür wieder zu schließen. Sie quälte in rascher Folge mehrere Vokale, was ich als »Da will dich einer sprechen« verstand.

Ein Mann Ende sechzig, Anfang siebzig kam aus dem Wohnzimmer und trat an die Tür. Er war klein, nur etwa eins fünfundsechzig, aber kompakt und drahtig, und sein schwerer Schädel war mit weißem borstigem Haar überzogen. Er hatte etwas an sich, das mich an einen gealterten Willie Sneddon denken ließ. Nur war Sneddons Rasiermessernarbe ein zierlicher Nadelstich verglichen mit dem Kreuz und Quer alter Schnittwunden auf MacSherrys Stirn und Wangen. Wie Onkel Bert Soutar stand diesem Mann seine gewalttätige Vergangenheit ins Gesicht geschrieben, nur in einem anderen Dialekt.

»Was zum Henker wollen Sie?«

Ich lächelte. »Ich wollte Sie um Hilfe bitten. Ich suche Informationen für jemanden. Jemanden, den Sie von früher kennen könnten.«

»Verpiss dich«, sagte er ohne Zorn oder Boshaftigkeit und drückte die Tür zu. Ich hielt sie auf, indem ich meinen Fuß in den Rahmen stellte. Der alte MacSherry öffnete die Tür wieder weit und blickte betont auf meinen Schuh und dann in mein Gesicht. Er lächelte. Es war ein Lächeln, das mir nicht gefiel, und ich überlegte, wie schmachvoll es wäre, würde ein alter Rentner mir die Seele aus dem Leib prügeln.

»Verzeihen Sie«, sagte ich rasch und hob die Hände. »Ich wollte noch sagen, dass ich bereit bin, für die Informationen zu bezahlen.«

Er sah wieder auf meinen Fuß, und ich nahm ihn aus der Tür.

»Was wollen Sie wissen?«

»Kennen Sie – oder kannten Sie – einen gewissen Bert Soutar?«

»Aye, ich kannte Soutar. Was geht Sie das an? Sie sind nicht von der Polizei.«

»Nein, nichts dergleichen. Ich vertrete eine Gruppe von Investoren, die sich für ein sportliches Ereignis interessieren. Mr. Soutar hat mit diesem Ereignis zu tun, und wir überprüfen lediglich seine Vorgeschichte. Sie müssen wissen, dass Mr. Soutar vorbestraft ist.«

»Was Sie nicht sagen.« Ironie war nicht seine Stärke.

»Doch, so ist es leider«, fuhr ich fort, als hätte ich seinen Sarkasmus nicht verstanden. »Nicht dass dies für sich genommen schon ein Problem wäre, aber wir wüssten gern, mit wem wir es zu tun haben. Haben Sie Mr. Soutar denn gekannt?«

»Sie haben gesagt, Sie würden für Antworten bezahlen.«

Ich zückte die Brieftasche und gab ihm einen Fünfpfundschein. Einen zweiten Fünfer behielt ich in der Hand. »Vielleicht könnten wir ...« Ich machte eine Kopfbewegung zum Korridor.

»Wenn Sie wollen«, sagte MacSherry und rückte zur Seite, damit ich eintreten konnte.

Das Wohnzimmer war klein, aber auch hier herrschte überraschende Sauberkeit. Durch ein großes Fenster ohne Vorhänge hatte man einen Blick auf die Straße, und in einer Wand befand sich eine Bettnische, ein typisches Merkmal Glasgower Mietskasernen. Die billigen Möbel waren abgewetzt, doch hier und da sah man etwas, das unpassend neu und teuer aussah, und zu meinem Erstaunen quetschte sich ein kleines Pye-Fernsehgerät in die eine Ecke des Raumes. Auf dem Apparat stand eine Zimmerantenne mit zwei ausziehbaren Stäben, die sich in einem grotesken Winkel zueinander reckten. Ich begriff nun MacSherrys Widerwillen, mich in die Wohnung zu lassen: Der Kontrast von Alt und Neu verriet den Unterschied zwischen rechtmäßigem Besitz und Diebesgut.

Die fette Frau, von der ich annahm, dass sie MacSherrys Gemahlin war, verließ das Zimmer. Eindeutig tätigte der Hausherr hier des Öfteren Geschäfte.

»Sind Sie so ein Scheiß-Yank?« MacSherry hatte eine charmante Art, Besucher willkommen zu heißen. Tee würde er mir wahrscheinlich nicht anbieten.

»Kanadier.« Ich lächelte mal wieder. Allmählich schmerzte mir der Kiefer davon. »Wegen Soutar ...«

»Er war ein Billy Boy. Und ein Faustkämpfer. Boxer ohne Handschuhe. Harter Hund. Ich weiß, worum es geht. Um seinen Neffen. Bobby Kirkcaldy. Das ist Ihr Scheißsportereignis, stimmt’s?«

»Es steht mir nicht frei, das zu sagen, Mr. MacSherry. Soutar war ungefähr zur gleichen Zeit wie Sie ein Mitglied der Bridgeton Billy Boys, stimmt’s?«

»Aye. Ich hab ihn aber nicht so gut gekannt. Wenn er ein Messer in der Hand hatte, wurde er zum Tier, das kann ich Ihnen sagen. Und mit den Fäusten sowieso. Aber als wir uns militärisch organisierten – als die Billy Boys Morgenappelle abhielten und so –, da hat er sich verpisst. Er hasste die scheiß Fenier, aber das Geldverdienen war ihm wichtiger. Geboxt hat er aber immer noch. Das hörte erst auf, nachdem er die Bullen aufgeschlitzt hatte.«

»Ich dachte, Sie sagten, er hätte die Billy Boys vorher verlassen?«

»Hatte er auch. Das war aber nicht bei einer Prügelei. Es war nach einem Spiel, schon richtig, aber er brach gerade in eine Sparkasse ein. Er hatte die bekloppte Idee, dass die berittenen Bullen zu sehr mit der Prügelei beschäftigt wären. Aber zwei von denen haben ihn hinter dem Bankgebäude erwischt. Nach allem, was ich gehört habe, ist Soutar frech zu ihnen geworden, und sie wollten ihm dafür eine Abreibung verpassen. Das war sein größtes Problem. Er hatte ein großes Maul – größer, als gut für ihn war. Jedenfalls hatte er immer zwei Messer in den Westentaschen. Die beiden Bullen wollten ihn sich greifen, und er hat sie beide aufgeschlitzt. Einer hat dabei ein Auge verloren. Haben Sie Soutars Gesicht gesehen?«

»Ja«, sagte ich. »Er muss im Ring mehr abbekommen haben als der Durchschnitt.«

»Mit dem Boxen hat das ’n Scheiß zu tun gehabt. Bert Soutar war zu leichtfüßig, um im Ring oder bei einem Kampf ohne Handschuhe so zugerichtet zu werden. Nein, das war die verfluchte Schmiere, die das mit ihm gemacht hat. Sie haben ihn fast umgebracht. Haben sich bei ihm abgewechselt, die Drecksäcke. Verstehen Sie, das war ’ne Botschaft: ’nen Kosaken schlitzt man nicht auf.« MacSherry meinte damit Sillitoes Kosaken, die berittene Polizeitruppe zur Bandenbekämpfung, die der damalige Polizeipräsident von Glasgow, Chief Constable Percy Sillitoe, aufgestellt hatte. »Als Soutar aus dem Gefängnis kam, hat er die Billy Boys endgültig aufgegeben. Offenbar ist er im Zuchthaus ein Mustersträfling gewesen und kam nach sechs Jahren raus. Und er hatte große Ideen. Er sagte, die Billy Boys würden ihn nicht mehr interessieren. Da wäre kein Geld drin. Und als Boxer war er erledigt. Die Prügel im Zuchthaus hatten sein Gesicht zermatscht. Er durfte nichts mehr in die Fresse kriegen, und eine Lizenz bekam er sowieso nicht, wegen seiner Visage und weil er ein Knastbruder war. Etwa um die Zeit tat er sich mit so einem Flash Harry zusammen, der ihm alle möglichen Flausen in den Kopf setzte, wie sie an Geld kommen könnten.«

»Wer war der Flash Harry?«

»Damals kannte ich ihn noch nicht. Er kam nicht aus Bridgeton, und ich glaube, er war jünger als wir. Viel jünger. Aber er war auf Zack wie ’n Blitz. Soutar und dieser Kerl waren eine Weile im Boxgeschäft. Sie arrangierten Kämpfe, und zwar in mehr als einer Hinsicht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Hab ihn dann nie wieder gesehen, aber ich glaube, die Partnerschaft hielt. Soutar verschwand irgendwann, und MacFarlane wurde ein großer Macker.«

»MacFarlane?«

»Aye. Small Change MacFarlane. Der Flash Harry war er. Wurde ’n großer Buchmacher. Hat ihm aber auch nichts genutzt, schließlich haben sie ihm ja doch die Birne eingeschlagen.«

Ich saß da und nickte, als würde ich die Informationen verarbeiten. Dabei verbarg ich, dass mir gerade ein Dutzend mögliche Kombinationen von Personen und Ereignissen durch den Kopf geisterten. Die Wohnungstür stand noch offen, und ich hörte Stimmen aus dem Flur. Stimmen der fetten alten Frau und eines Mannes. Es wurde Zeit zu gehen. Ich stand auf und gab MacSherry die anderen fünf Pfund.

»Das reicht nicht«, sagte er.

»Was?« Ich setzte meine beste verwirrte Miene auf, obwohl ich in keiner Weise verwirrt war.

»Noch zehn Pfund.«

»Ich habe Ihre Zeit bezahlt, Mr. MacSherry. Mehr als ausreichend.«

Er stand auf. Ich hörte ein Geräusch hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass der kragenlose Wachtposten der Besitzer der Stimme aus dem Flur war und mir jetzt den Weg in die Diele versperrte. Er grinste mich boshaft an.

»Noch zehn. Her damit. Oder noch besser, ich spare Ihnen ’ne Menge Mühe. Geben Sie mir einfach Ihre Brieftasche.«

Ich wog die Situation ab. Haarig. Der Alte wäre für sich allein schon schwierig gewesen, aber der junge Kerl neigte die Waagschalen weit und wahrhaft gegen mich.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Okay. Ich gebe Ihnen alles Geld, das ich in der Brieftasche habe. Ist mir egal. Ich fordere es einfach von den Investoren zurück, die ich erwähnt habe.« Ich runzelte nachdenklich die Stirn; dann machte ich ein Gesicht, als wäre mir plötzlich eine Idee gekommen. »Aber ich könnte denen auch sagen, sie sollen hierher kommen und Sie persönlich besuchen. Dann können Sie die Bezahlung mit denen klären. Mr. William Sneddon heißt mein Auftraggeber. Mr. Jonathan Cohen ist der andere Investor.« Ich behielt einen freundlichen Tonfall bei, als wäre mir gar nicht bewusst, was für eine Drohung ich aussprach. »Ich weiß zufällig, dass Mr. Sneddon sehr ärgerlich wird, wenn jemand sich in seine Geschäfte einmischt. Deshalb bin ich mir sicher, dass er Ihr Ersuchen um höhere Bezahlung ernst nehmen wird. Bitterernst.«

MacSherry sah über meine Schulter den jüngeren Mann an; dann blickte er wieder auf mich. »Warum haben Sie nicht gleich gesagt, dass Sie für Mr. Sneddon arbeiten? Vielleicht pissen Sie mir aber auch nur den Rücken runter und behaupten, es regnet.«

»Wenn es irgendwo in diesem Dreckloch einen funktionierenden Fernsprecher gibt, können wir ja einen Spaziergang dorthin unternehmen, und Sie können ihn selbst fragen. Oder ich könnte einfach Twinkletoes McBride bitten, herzukommen und Sie zu überzeugen, dass meine Referenzen in Ordnung sind.« Ich hatte den freundlichen Ton fallen gelassen. Es war ein gefährlicher Balanceakt. Es gibt Leute, die einfach nicht wissen, wann sie Angst haben sollten. Ich hätte meinen letzten Penny darauf gesetzt, dass MacSherry zu diesen Leuten gehörte.

Er machte eine Kopfbewegung, ein Zeichen für den Jüngeren, mich vorbeizulassen.

»Danke für Ihre Hilfe, Mr. MacSherry.« Ich drehte mich um und verließ in aller Gemütsruhe die Wohnung. Aber ich nahm die Hand nicht vom Schlagstock in meiner Tasche, ehe ich die Straße erreicht hatte und um die erste Ecke gebogen war.