15.

Der Platz war gut. Er war zwar nicht am Ring – nicht einmal in zweiter, dritter oder auch nur vierter Reihe –, doch als ich mich dort hinsetzte, in Smoking und mit Fliege, hatte ich eine ziemlich gute Sicht auf den Fight, auch wenn die Sicht auf Willie Sneddons Hinterkopf noch besser war. Sneddon saß mit seinem Gast, einem Glasgower Stadtrat, der dem Planungsausschuss vorstand, direkt am Ring. Das Einzige, was meine Sicht wirklich beeinträchtigte, war der Vorhang aus Tabakqualm, der in der Luft hing. Über den vordersten beiden Reihen stand er am dichtesten. Dort saßen die Zigarrenraucher.

Ich saß neben meinen Gästen. Sneddon hatte mir zwei weitere Eintrittskarten spendiert, und ich betrieb meinerseits bestechende Gastfreundschaft. Jock Ferguson war ein Polizist von der Sorte, die gegen solche Verlockungen normalerweise immun ist, doch er hatte sich wie ein Geier auf die Chance gestürzt, den Titelkampf zu sehen. Und mir schadete es nicht, wenn die baufällige Brücke zwischen uns ein bisschen geflickt wurde. Mein anderer Gast war Dex Devereaux. Weil die Kinofilme es gar nicht oft genug betonen können, wissen wir alle, dass das FBI unbestechlich ist, und Devereaux besaß auf dieser Seite des Atlantiks ohnehin offiziell keine Polizeigewalt. Also hatte er auch nichts zu verlieren, wenn er meine Einladung annahm.

Sneddon die Eintrittskarten abzuschwatzen war bemerkenswert einfach gewesen. Kaum hatte ich ihm gesagt, dass ich mir damit zwei Bullen gewogen machen wollte, griff er in die Tasche und hielt sie mir ohne ein weiteres Wort hin.

Von meinem Platz aus sah ich zu, wie die Boxer – zuerst Titelverteidiger Schmidtke, dann der Herausforderer Kirkcaldy – in den Ring traten. Schmidtke war Deutscher, und in Großbritannien herrschte nach wie vor eine starke antideutsche Stimmung. Doch die Glasgower waren, trotz aller Schwierigkeiten durch Armut, Sektierertum, Gewalttätigkeit und Trunksucht, ein warmherziger Haufen. Ich war in den Provinzen Kanadas unter offenen, freundlichen Menschen aufgewachsen. Vielleicht mochte ich es deshalb hier so sehr. Wie auch immer, als Schmidtke in den Ring trat, wurde weder gebuht noch gehöhnt; man hörte nur höflichen, zurückhaltenden Applaus. Als Kirkcaldy über die Seile stieg, brandete Jubel auf, und Pfiffe gellten. In Glasgow gibt es keine größere Leidenschaft als den Stolz, und Kirkcaldy war ein Sohn der Stadt.

Als der Kampf begann, überkam mich ein seltsames Gefühl, weil ich hier saß und etwas wusste, das nur mir, Sneddon und Bert Soutar bekannt war: dass Kirkcaldy sozusagen mit einer tickenden Zeitbombe in der Brust antrat. Ich beobachtete, wie er sich flüssig und mühelos bewegte, genau wie bei den anderen beiden Kämpfen, in denen ich ihn gesehen hatte – ohne jeden Hinweis auf einen Mangel an Ausdauer. Der Kampf war nicht gerade aufregend. Schmidtke bestimmte das Tempo, und beide Boxer kämpften auf Abstand, hielten sich den Gegner vom Leib und lauerten darauf, dass sich eine strategische Schwäche zeigte. Normalerweise kämpfte Schmidtke nicht in diesem Stil, und die zweite Runde war genauso einfallslos wie die erste. Beide Kämpfer wirkten übervorsichtig und schienen nicht bereit, in die Offensive zu gehen.

Als die dritte Runde in gleicher Weise verlief, wurden die Zuschauer unruhig. Ich verstand zwar, wieso Kirkcaldy darauf verzichtete, eine energiezehrende heftige Attacke zu starten, aber weshalb Schmidtke sich ebenfalls zurückhielt, begriff ich nicht. Es sei denn, Schmidtke hatte sich erinnert, dass bei einem Kampf gegen einen Distanzboxer immer die Tendenz bestand, zugunsten des Titelverteidigers zu entscheiden, falls es am Ende knapp stand.

Natürlich konnte es auch sein, dass Kirkcaldy eine Absprache getroffen hatte, die es ihm erlaubte, seine Boxkarriere mit einem Titelsieg zu beenden.

In der achten Runde schien es dann so, als hätte ich falsch geraten. Der Deutsche kam mit der gleichen Zögerlichkeit wie in den vorherigen Runden aus seiner Ecke, geduckt, mit kompakter Abwehr.

Der Fehler hätte banaler nicht sein können: Kirkcaldy schlug einen untypisch weiten rechten Haken. Er kündigte den Schlag nicht nur an, er überreichte seinem Gegner förmlich eine Einladungskarte mit Goldrand, auf der geschrieben stand, wann die Busse fuhren. Der Deutsche antwortete mit einem Schwinger, der mir richtig wehtat, als er traf. Der Schlag hob Kirkcaldy von den Füßen; dann knallte er mit der Schulter auf den Ringboden. Die Hälfte der Zuschauer, Jock Ferguson mit eingeschlossen, sprang auf, und ohrenbetäubendes Gebrüll erhob sich. Der Schotte schüttelte den Kopf und kam rasch wieder hoch. Auf den Fersen tänzelnd nickte er dem Ringrichter zu. Wer einen technischen Knock-out vermeiden wollte, nachdem er die Leinwand geküsst hatte, musste den Ringrichter augenblicklich überzeugen, dass mit ihm alles in Ordnung war. Üblicherweise tat man das durch eine übertriebene Zurschaustellung sportlicher Gewandtheit. Der Ringrichter schickte Kirkcaldy in die neutrale Ecke und prüfte dort dessen Augen; dann kehrte er in die Mitte des Ringes zurück und bedeutete den Kämpfern mit einer Geste, als würde er einen Vorhang zuziehen, wieder in der Ringmitte zusammenzukommen und weiterzuboxen.

Der Deutsche senkte und hob die massigen Schultern, als er aus seiner Ecke kam. In seinen Armen steckte frische Energie. Kirkcaldy versuchte jedem neuen Angriff auszuweichen, doch der Deutsche trieb ihn immer wieder in die Seile und ließ üble Haken auf ihn hinunterregnen.

Ich sah es jetzt deutlich: Kirkcaldys Gesicht war blass, beinahe kalkig, und die blauen Flecke um seine Augen hoben sich schroff gegen die weiße Haut ab. Er griff an, um Schmidtke zurückzutreiben, aber der Deutsche stand wie angewurzelt da; seine muskulösen Arme arbeiteten wie die Kolben eines Motors und hämmerten einen Schlag nach dem anderen in Kirkcaldys Körper.

Schmidtke traf den Gegner dicht über dem Gürtel, wo es gerade eben noch zulässig war. Kirkcaldy ließ die Ellbogen sinken und gab sich eine Blöße. Zwei rasche Schläge ins Gesicht, gefolgt von einem fiesen, gemeinen Bolo-Punch, lähmten den Schotten. Dann vollzog Schmidtke den Fangschlag. Der benommene Kirkcaldy war vermutlich der Einzige im Stadion, der den Schlag nicht kommen sah: Jedes Gramm von Schmidtkes Gewicht lag hinter seinem rechten Schwinger, der ewig zu brauchen schien, bis er traf. Aber er traf. Genau auf die Seite von Kirkcaldys Kiefer. Der Schotte wurde schlaff und krachte auf den Ringboden. Der Deutsche hielt die Fäuste über den Kopf, ließ beim Grinsen den Zahnschutz blitzen und hüpfte auf der Stelle, noch ehe der Ringrichter das Auszählen beendet hatte.

Alles war aufgesprungen, brüllte oder jubelte, und einige buhten: weniger aus verletztem Nationalstolz als vielmehr wegen des Verdachts, gerade keinen Profiboxkampf, sondern eine Amateurtheateraufführung erlebt zu haben.

Ich stand ebenfalls, applaudierte aber nicht, sondern beobachtete den Ringrichter. Onkel Bert Soutar und ein dicker Mann mittleren Alters mit Abendanzug und einer ledernen Gladstone-Tasche beugten sich über Kirkcaldy. Selbst der Deutsche hatte sein Siegestänzchen abgebrochen.

Der Lärm der Menge war noch immer ohrenbetäubend, doch mir kam es vor, als wäre zwischen uns ein Vorhang zugezogen worden; als wäre ich der einzige Mensch, der wirklich sah, was im Ring vor sich ging.

»Himmel, er ist tot ...«, sagte ich, doch die Menge übertönte meine Stimme, und ich verstand kaum mein eigenes Wort.

»Was haben Sie gesagt?«, brüllte Dex Devereaux, ohne mit dem Klatschen innezuhalten, und beugte sich zu mir.

Ich nahm den Blick nicht von der Szene im Ring. Bert Soutar und der Arzt halfen Kirkcaldy auf die Beine. Kirkcaldy nickte ihnen benommen zu, und Schmidtke umarmte mit einer Erleichterung, die ich noch vier Reihen entfernt spürte, seinen geschlagenen Gegner. Unter dem Jubel und Buhen der Zuschauer half man Kirkcaldy aus dem Ring.

***

Ich hatte gehofft, nach dem Kampf mit Willie Sneddon sprechen zu können, aber ich hatte ihn aus den Augen verloren. Ich vermutete, dass er heute Abend nicht besonders guter Laune war. Egal, welche Ideen Kirkcaldy gekommen waren und bei welchen Plänen er mitgearbeitet hatte, Sneddon hatte seinetwegen Geld verloren. Und Sneddon Geld zu kosten war für niemanden ratsam. Als ich mich mit Dex Devereaux und Jock Ferguson dem Ausgang näherte, sah ich Polen-Tony. Ich entschuldigte mich kurz bei den beiden Vertretern des Gesetzes.

»Hallo, Tony. Was tut sich? Was gibt’s Neues?«, fragte ich grinsend.

Tony war das Grinsen vergangen. »Das is’ ’ne verdammte Zhande, Lennogs«, sagte er düster, ohne auf unsere gewohnte Begrüßung anzuspringen. »Ein Haufen verdammte Zheiße. Vas var das denn?«

»Kein guter Abend für dich, Tony?«

»Dieser Zheißtanz hat mich ein verfluchtes Vermögen gekostet!«

»Wahrscheinlich ist keiner der hiesigen Buchmacher glücklich über das Ergebnis.«

»Nein? Zie vären überrascht, Lennogs. Nicht jeder ist, vas er zu sein zheint. Venigstens ein Mistkerl geht heute vroh nach Hause.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte ich. Ich musste beinahe brüllen, um gehört zu werden. In diesem Moment erblickte ein Spieler Polen-Tony und drängte sich, den Wettschein schwenkend, zu uns durch.

»Fragen Zie das doch Jack Collins. Ja ... gehen Zie zu Jack Collins und fragen Zie ihn das«, rief Tony, dann wandte er sich dem Spieler zu. Ich überließ ihn seinen Zahlungspflichten und kehrte zu meinen Gästen zurück.

***

Ich nahm Ferguson und Devereaux mit ins Horsehead. Die Öffnungszeiten waren längst vorüber, und Ferguson fand demonstrativ irgendetwas weit die Straße hinunter sehr interessant und beobachtete es mit Argusaugen, während ich das geheime Klopfzeichen benutzte. In der Kneipe waren ungefähr zwanzig Stammgäste. Big Bob stand hinter der Theke.

»Wir suchen keine neuen Kellner, Lennox«, sagte er mit einem albernen Grinsen und einem Blick auf unsere Smokings und Fliegen. »Also, was darf ’s sein?«

»Du kennst Inspector Ferguson, nicht wahr, Bob?«, fragte ich.

Bob musterte Ferguson und seufzte. »Alles klar, geht aufs Haus.«

Ich zeigte auf einen ruhigen Tisch in der Ecke, und Ferguson und Devereaux nahmen ihre Drinks mit dorthin.

»Was soll denn die Scheiße, Lennox?«, fragte Bob, als sie außer Hörweite waren. »Wen schleppst du demnächst noch an – den Polizeipräsidenten?«

»Keine Bange, Bob. Den Chief Constable nehme ich immer mit ins Saracen’s Sword – der Laden hat einfach mehr Klasse. Aber ich hatte gedacht, du hättest hier die Nachtkantine für die Glasgower Polizei.«

»Sicher, für so ’n Dutzend Bullen, die glauben, wegen ihrer Uniform steht ihnen unbegrenzt Freibier zu. Wenn ich jetzt auch noch die höheren Chargen hier habe, muss ich ihnen was zahlen, und dann bin ich wirklich am Arsch.«

»Keine Sorge, Bob«, erwiderte ich. »Ferguson ist ein ehrlicher Bulle.«

»Ach ja? Vor denen muss man sich erst recht in Acht nehmen.«

Wie wahr, wie wahr, dachte ich, während ich mein Glas nahm und zu Devereaux und Ferguson an den Ecktisch ging.

»Also«, sagte Devereaux. »Was halten Sie von dem Kampf?«

»Ich hätte wirklich geglaubt, unser Junge würde dem Kraut stärker einheizen«, sagte Ferguson. »Am Ende wirkte es ein bisschen wie ein Kinderspiel.«

»Und Sie?« Devereaux sah mich an. »Was meinen Sie, Lennox?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Man kann nie wissen, was im Ring passiert.«

»Nein?«, fragte Devereaux. »Ich wette, irgendjemand wusste vorher, wie dieser Kampf ausgeht.«

»Schiebung?« Ferguson blickte von seinem Bier auf. »Sie glauben, es war abgekartet?«

»Vier, fünf Runden tänzeln sie umeinander herum, und plötzlich ist die Tür sperrangelweit offen für mehrere Killerschläge? Das war ganz klar Schiebung«, erwiderte Devereaux.

»Aber Kirkcaldy war auf dem Weg nach ganz oben. Jeder glaubte, er hätte eine gute Chance, heute Europameister zu werden. Warum sollte er den Kampf da absichtlich verlieren?«

Devereaux zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wissen wir nicht alles über ihn. Vielleicht hat er Schulden. Vielleicht hat er nicht so viel Zukunft, wie jeder denkt.« Devereaux schien mich einen Augenblick lang zu mustern. »Sie sagen ja gar nichts, Lennox.«

»Ich? Ich habe auch nicht viel zu sagen, Dex. Ich bin ein bisschen sauer, dass der Kampf so eine Enttäuschung war, das ist alles.«

Nach einer Weile entfernten wir uns vom Thema Boxkampf, und ich war froh darüber. Das kleine Goldnugget an exklusivem Wissen über Kirkcaldys Herzkrankheit wollte mir nicht aus dem Sinn, und von dort bis zur Spitze meiner Zunge war es nur ein kurzes Stück. Besonders, wenn ich ein paar getrunken hatte.

Lange blieb ich nicht froh. Als Ferguson zur Toilette ging, beugte Devereaux sich vor und sagte leise:

»Jock hat gesagt, dass man Ihnen sehr viel Freiraum lässt, was den Costello-Mord betrifft. Inwieweit weiß die Glasgower Polizei, dass er mit John Largo zu tun hat?«

»Überhaupt nicht«, antwortete ich. »Schließlich weiß ich es auch nicht mit Sicherheit.« Ich beging die schlimmste Form der Lüge, die offensichtliche, und Devereaux sah mich nur an. Ich seufzte. »Okay, es ist denkbar, dass es Largo war, der Costello ermordet hat oder ermorden ließ. Ich möchte nur den Bruder meiner Klientin aus der Sache herausholen. Dann werde ich Ihnen Largo wie versprochen auf dem silbernen Tablett servieren. Sobald wir Sammy haben, bringen wir ihn zum Reden. Er ist meine – unsere – beste Hoffnung auf eine Spur zu Largo.«

»Okay, Lennox. Wie Sie meinen.«

»Was soll das heißen?«

»Dass Sie mir etwas verschweigen.«

»Wirklich? Was denn?«

»Alain Barnier.«

Das verschlug mir die Sprache. Zum Glück kam in diesem Augenblick Jock Ferguson von der Toilette zurück.

»Sind wir so weit?«, fragte er.

Devereaux trank den Whisky aus. »Wir können.«

***

Während wir im Horsehead waren, hatte es zu regnen angefangen. Das Straßenpflaster zeigte das ölig-glatte Schwarz einer Glasgower Nacht. Ich hatte Jock Ferguson versprochen, ihn nach Hause zu fahren.

»Ich kann Sie auch zuerst an Ihrem Hotel absetzen«, bot ich Devereaux an.

»Schon okay«, sagte er und quetschte seine beträchtliche Masse auf die enge Rückbank des Atlantics. »Ich fahre mit. So sehe ich noch ein bisschen vom nächtlichen Glasgow.« Mehr accompli hätte dieses fait nicht sein können. Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich hinters Lenkrad.

Jock Ferguson, normalerweise auf der schwermütigen Seite der Trauerstimmung, war auf der Rückfahrt beträchtlich munterer als sonst. Der Abend und die Drinks hatten eine Tür in seiner Persönlichkeit geöffnet. Ich fragte mich, ob ich den Ferguson sah, den es vor dem Krieg gegeben hatte. Und ich wünschte mir, ich würde genauso leicht den Rückweg zu meinem Vorkriegs-Ich finden. Andererseits diente die Flasche den meisten Männern dabei als Kompass.

Nachdem wir Ferguson vor seiner anonymen Doppelhaushälfte abgesetzt hatten, kam Dex Devereaux nach vorn und setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Okay, Johnny Canuck. Fahren wir ein Stück«, sagte er ohne jede Fröhlichkeit.

Der Regen legte wieder los. Wie aus Eimern klatschte er gegen die Windschutzscheibe. Auf den Straßen sah man keine Autos, und das einzige Hindernis auf dem Weg zum Alpha Hotel war ein Betrunkener mitten auf der Fahrbahn, der mit einem Fuß am Asphalt festgeklebt zu sein schien. Ich hupte, doch er schwenkte nur schlaff den Arm und beschimpfte mich mit unverständlichen Worten. Ich schlitterte um ihn herum und fuhr weiter.

»Diese Stadt hat ein interessantes Verhältnis zum Schnaps«, sagte Devereaux und seufzte. »Ich nehme an, wenn die meisten Verbrechen mit Trunkenheit zu tun haben, schult es nicht gerade den Verstand der Ermittler. Und die Burschen hier, die Stadtpolizei von Glasgow, sind nicht gerade die Hellsten. Womit ich nichts gegen Jock Ferguson gesagt haben will.«

»Ich habe die gleiche Feststellung auch schon gemacht«, sagte ich. »Früher.« Ich hielt den Blick auf die Fahrbahn gerichtet. »Warum sagen Sie nicht, was Sie sagen wollen, Dex?«

»Okay. Die Jungs sind keine großen Denker. Wenn sie es wären, würden Sie jetzt wahrscheinlich tief im Schlamassel stecken.«

»Wieso?«

Devereaux lachte. »Kommen Sie schon, Lennox. Paul Costellos Leiche wird eine halbe Meile vom Schauplatz eines Einbruchs entfernt aufgefunden, und die Bullen überlegen nicht mal, ob da ein Zusammenhang besteht. Wissen Sie, was Ihnen blüht, wenn die Jungs herausfinden, dass Sie diesen Bobby niedergeschlagen haben?«

»Wenn Sie so überzeugt davon sind, warum haben Sie es ihnen nicht gesagt?«

»Wenn Sie mir jetzt komisch kommen, Lennox, tue ich es vielleicht sogar. Aber eigentlich habe ich kein Interesse daran, Sie denen zum Fraß vorzuwerfen. Ich habe vielmehr ein Interesse daran, dass Sie mir Largo liefern.«

»Ich kann ihn aber nicht liefern«, entgegnete ich. Wir waren auf einer stillen Straße, und ich fuhr an den Rand.

»Noch nicht«, sagte Devereaux.

»Noch nicht.« Ich seufzte und legte die Hände in die Lenkradmulde.

»Aber Sie kommen ihm immer näher. Und über Barnier hätten Sie mich informieren müssen.«

»Sie scheinen auch ohne meine Hilfe gut informiert zu sein.«

»Ferguson hat mir von dem Einbruch erzählt. Er ist mir damit sogar ziemlich auf den Sack gegangen. Er sagte, es sei ein französischer Importeur mit einer Niederlassung in Marseille, bei dem eingebrochen wurde. Sehen Sie, diesen Burschen fällt es schwer, zwei Gedanken gleichzeitig zu verfolgen ...«

»Wenn sie es versuchen, müssen sie sich hinlegen«, sagte ich.

»Und sie können nur noch daran denken, dass ein Streifenpolizist einen Schlag auf den Kopf bekommen hat. Diese Stadt ist nicht viel anders als die Städte in den USA. Dort wird mit Blut gezahlt, wenn einem Bullen was passiert. Aber wie gesagt, weiter sehen sie nicht. Niemand stellt die Frage, wieso jemand in das Büro einer Importfirma einbricht, wo es nichts zu holen gibt außer Papieren ... mitten in einer Zollfreizone voller Whisky, Luxuswaren, Autos und Gott weiß was sonst noch.«

»Vielleicht sind ihnen die Büroklammern ausgegangen, und der Schreibwarenladen hatte schon zu.«

»Hören Sie mit dem Mist auf, Lennox, oder Amtshilfe wird mein Hobby. Was haben Sie zu Alain Barnier?«

»Ich glaube, er ist die Fassade für Ihren Mann. Zumindest steckt er hinter dem Mord an Paul Costello, direkt oder indirekt. Costello und Sammy Pollock haben eine Lieferung gestohlen, die aus zwölf Jadestatuetten bestand. Ich vermute, dass jede Statuette vollgepackt war mit Glücksschnee für Ihre Harlem-Neger.«

»Wie haben Sie von den Statuetten erfahren?«

Ich erzählte Devereaux von meiner Fahrt zu dem aufgegebenen Bauernhof, dem Jadedämon und dem Mann – höchstwahrscheinlich der kürzlich verschiedene Paul Costello –, der mich bewusstlos geschlagen hatte.

»Deshalb habe ich Barniers Büro durchsucht, und ich hatte recht. Ich fand einen Frachtbrief für zwölf vietnamesische Jadedämonen.«

»Vietnamesisch?« Devereaux drehte sich auf dem Sitz herum, die breiten Schultern folgten.

»Ja. Und?«

»Indochina ist die Quelle des Heroins, das in Harlem auf den Straßen auftaucht. Möglicherweise weiß Ihr Froschfresser Barnier nicht, was er da verschifft. Vermutlich wird das Heroin an der Quelle in die Statuetten verpackt. Vielleicht wird Barnier nur mit dem Verschiffen dieser Statuetten beauftragt, ohne dass er weiß, was drin ist.«

»Das würde ich gerne glauben«, sagte ich, »aber für einen Weinhändler und Kuriositätenimporteur ist Barnier ziemlich gut im Nahkampf.« Ich berichtete Devereaux, was vor dem Merchant’s Carvery passiert war. »Ich habe ihn die letzten Tage beschattet.«

»Und?«

»Nichts. Das einzig entfernt Anrüchige, bei dem ich ihn erwischt habe, war der Besuch bei einer verheirateten Frau in Bearsden, während ihr Mann auf der Arbeit war.«

Devereaux saß einen Augenblick lang still da. »Sie sagen, er importiert schon länger aus Indochina?«

»Soweit ich weiß, ja.«

»Dann muss er dort gute Verbindungen und Kontaktleute besitzen. Das Land ist ein einziges Chaos. Die Franzosen haben es gründlich vermasselt. Dien Bien Phu war eine Katastrophe. Ein Wendepunkt. Die Franzosen werden das Land räumen.«

»Nehme ich auch an.«

»Und sobald sie das tun, kommen die Roten ans Ruder. Die Franzosen werden ihnen die Hintertür sperrangelweit offen lassen.«

»Das ist weit weg, Dex«, sagte ich. »Das ist ein französisches Kolonialproblem.«

»Jetzt nicht mehr. Jetzt ist es unser Problem. Das gibt ein zweites Korea, merken Sie sich meine Worte. Bis dahin herrscht das Chaos. Und Chaos ist die ideale Umgebung für jemanden wie John Largo, um Geschäfte zu machen.«

»Sie glauben nicht, dass Barnier direkt daran beteiligt ist?«

»Das habe ich nicht gesagt. Kann sein, dass er nicht weiß, was er verschifft. Nach allem, was wir wissen, wäre es sogar möglich, dass Alain Barnier John Largo ist.«

»Unwahrscheinlich«, erwiderte ich. »Barnier ist hier etabliert. Außerdem sieht er zu sehr wie ein internationales Verbrechergenie aus, um eines zu sein. Die eleganten Klamotten, der französische Akzent und das Ziegenbärtchen ... ich glaube, John Largo verhält sich weniger auffällig.«

»Vielleicht ist er so was wie ein Robin Hood«, sagte Devereaux. »Vielleicht ist John Largo eine Organisation und kein einzelner Mann. Oder Barnier ist ein Teil von John Largo.«

»Er hat einen Partner. Jemanden namens Claude Clement. Hier ...« Ich nahm mein Notizbuch aus der Seitentasche meines Smokings, schrieb die Adressen auf ein leeres Blatt, riss es heraus und gab es Devereaux. »Das habe ich bei ihm entdeckt, als ich Büroklammern geklaut habe. Vielleicht stecken Barnier und Clement gemeinsam in der Sache. Was nun?«

»Ich setze mich mit Washington in Verbindung. Mal sehen, ob wir irgendwas über Barnier oder den anderen Kerl haben. In der Zwischenzeit sollten Sie ihn im Auge behalten. Ich schlage außerdem vor, dass Sie mir alles mitteilen, was Sie erfahren, sobald Sie es erfahren haben. Andernfalls biete ich McNab oder Ferguson vielleicht meine professionelle Meinung zu dem Übergriff gegen einen Streifenbeamten an. Und vergessen Sie nicht, ich habe noch immer tausend Dollar für Sie, falls Sie mich zu Largo führen. Verschweigen Sie mir nicht noch einmal etwas, Lennox.«

»Da ist noch eine Sache«, sagte ich. Es war mir gerade erst eingefallen. Ich nahm wieder mein Notizbuch heraus und schrieb Devereaux einen weiteren Zettel. »Das ist die Adresse in New York, wohin die Jadedämonen gehen: Santorno Antiques and Curios.«

»Danke.« Er nahm das Blatt und steckte es in die Tasche, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.

Danach sprachen wir nicht mehr viel. Ich fuhr ihn zum Hotel zurück und wartete, bis ich sah, dass man ihn hineinließ; wir hatten drei Uhr morgens, und es dauerte eine Ewigkeit, bis ein ältlicher Nachtportier ihm die Tür öffnete. Devereaux drehte sich um. Halb winkte, halb salutierte er; dann verschwand er im Hotel. Ich saß noch einen Augenblick da und starrte auf die geschlossene Eichentür. Ich hatte Devereaux alles erzählt, was ich wusste. Fast alles. Den Besuch am Denkmal der Freien Französischen Marine hatte ich nicht erwähnt. Wahrscheinlich hatte es nichts zu bedeuten, aber davon musste ich mich zuerst einmal selbst vergewissern. Ich war hundemüde. Müde bis auf die Knochen. Mir schwirrten jede Menge Gedanken durch den Kopf, aber mein Hirn hatte die Jalousien heruntergelassen und das Schild an der Tür herumgedreht.

Das Denken musste bis morgen früh warten.