17

 

Es dauerte mehr oder weniger den ganzen Tag, bis sie aufgeräumt hatten, bei all den kaputten Möbeln, zerbrochenen Fenstern, der zerstörten Eingangs- und Hintertür; außerdem mussten sie Claires verkohlte Matratze hinaus auf den Gehweg schleppen. Sie setzten sich gerade zum Abendessen an den Tisch, als die Sonne am Horizont unterging und Claire das Geräusch eines Körpers hörte, der auf dem Boden aufschlug, gefolgt von einem trockenen Würgen.

»Michael ist gekommen«, sagte Eve, als wäre er einfach von der Schule nach Hause gekommen. »Haut schon mal rein, Jungs.«

Es dauerte eine Weile, bevor sie Händchen haltend mit Michael zurückkam. Shane stand lächelnd auf und hob seine Hand. Michael gab ihm High five.

»Nicht schlecht, Bruder«, sagte Michael. »Die Mädels haben dir genug Zeit für den Austausch verschafft.«

»Obwohl sie es nicht wussten. Ja, hat funktioniert«, sagte Shane erfreut. »Siehst du, meine Pläne sind nicht alle grottenschlecht. Nur die meisten davon.«

»Solange wir das weiterhin auseinanderhalten können...« Michael zog sich einen Stuhl heran. »Was zum - oh, das ist jetzt nicht dein Ernst. Chili?«

»Niemand wollte einkaufen gehen.«

»Ja, kann ich mir vorstellen.« Michael schloss die Augen. »Ich spreche ein Gebet. Vielleicht solltet ihr das auch tun. Wir brauchen ein Wunder, um das durchzustehen.«

Ob es ihm damit ernst war oder nicht, Claire sandte jedenfalls ein Stoßgebet zum Himmel und sie glaubte, dass es die anderen ebenso taten. Deshalb erschien es ihnen wie ein Wunder, als es an der Tür klingelte.

»Wenigstens sind sie jetzt höflicher, wenn sie uns umbringen wollen«, sagte Shane.

Michael stand auf und ging zur Tür. Die anderen zögerten eine Sekunde und folgten ihm dann. Michael öffnete die neue Haustür.

Draußen, im Schein des Verandalicht stand ein Mann mittleren Alters; er hatte einen zotteligen Bart und eine enorme Narbe auf der einen Gesichtshälfte; er trug eine Motorradkluft aus schwarzem Leder. Hinter ihm standen zwei weitere Typen, die nicht ganz so alt waren; sie waren ein ganzes Stück kräftiger als er und sahen noch fieser aus. Biker. Claire verschluckte sich fast an einem Bissen Chili.

Der Mann nickte ihr zu.

»Sohn«, sagte er und schaute an Michael vorbei zu Shane. »Deine Botschaft ist angekommen. Die Kavallerie ist hier.« Er ging einfach über die Türschwelle und tat so, als sei Michael gar nicht da. »Wurde aber auch Zeit, dass du deinen Hintern in Bewegung setzt. Seit sechs verdammten Monaten warte ich auf deinen Anruf. Was hat dich aufgehalten? Hat es so lange gedauert, bis du den Oberblutsauger gefunden hast?«

Sie folgten ihm ins Wohnzimmer. Michael wandte sich um und warf Shane einen Blick zu, woraufhin dieser rot anlief. Er sah keinem von ihnen direkt in die Augen. »Die Dinge haben sich geändert, Dad«, murmelte er.

»Nichts hat sich geändert«, sagte Shanes Dad und wandte sich zu ihnen um, die Hände in die Hüften gestemmt. »Wir sind gekommen, um jemandem gewaltig in den Hintern zu treten und ein paar Vampire abzumurksen, wie wir es seit jeher geplant hatten. Wird Zeit, dass wir es ihnen für Alyssa und Molly heimzahlen. Daran wird sich nichts ändern.«

»Dad, die Dinge liegen jetzt anders, wir können nicht...« Shanes Vater packte ihn an den Haaren, flink wie eine Schlange. Auf seiner Hand waren Tattoos, hässliche dunkelblaue Kleckse, und er zwang Shanes Kopf nach hinten. »Können nicht? Können nicht? Diese Stadt wird brennen, Junge, wie wir uns geschworen haben. Und du änderst jetzt nicht deine Meinung.«

»Hey!«, warf Michael ein und griff nach Shanes Dad. Als er ihn berührte, geschah etwas; etwas wie eine elektrische Entladung, die bläulichweiß im Zimmer aufflackerte und die Haare auf Claires Armen zu Berge stehen ließ. Michael flog nach hinten und traf die Wand, zu betäubt, um etwas zu unternehmen.

»Nein!«, brüllte Shane und versuchte, sich loszureißen. Es gelang ihm nicht. »Dad, nein!«

Shanes Dad nickte einem seiner Biker-Kumpels Zu. »Yep. Er ist einer von ihnen«, sagte er. »Du kümmerst dich um ihn.«

Der Biker-Typ nickte ebenfalls, zog ein Messer aus seinem Gürtel und ging auf Michael zu.

»NEIN!« Diesmal schrie Shane es aus vollem Hals. Claire machte einen zögernden Schritt nach vorne und hielt an, als Michaels große blaue Augen sie fixierten. Eve schrie, Shane ebenfalls.

Miranda hatte es vorhergesehen, dachte sie. Michael stand sogar auf dem Läufer, auf den Miranda gezeigt hatte, als sie sagte: Und er starb... genau... hier. Sie meinte nicht seinen ersten Tod.

Sie meinte diesen.

»Haltet euch da raus, Leute!«, sagte Michael scharf, als sich Eve nach vorne stürzte, um sich zwischen ihn und den Biker zu werfen. Er wich noch immer zurück und dieses Mal sah er ängstlich aus. Vor den Vampiren und all ihren Gefolgsleuten hatte er keine Angst gehabt, aber dieses Mal...

Claire hatte abgesehen von den Vampiren noch nie jemanden gesehen, der sich so schnell bewegte wie der Biker; sie sah nicht einmal, was passierte, sondern hörte nur das Krachen, als Michael auf dem Boden aufschlug. Der Biker ging mit ihm zu Boden und hielt ihn mit seiner gewaltigen Hand unten, während er mit der anderen das Messer erhob.

»Mein Gott, Dad, nicht! Ich tue alles, was du von mir verlangst!“

»Halt's Maul«, sagte Shanes Dad und schleuderte Shane in Richtung Sofa. Dort fiel er der Länge nach hin; Claire rannte zu ihm und legte die Arme um ihn. »Worauf du dich verlassen kannst. Ihr drei werdet mir sagen, wo wir zuerst bei den Vamps zuschlagen sollen. Denn jetzt steht es wir gegen sie, und vergesst das bloß nicht.«

»Drei?«, sagte Eve schwach. Ihre großen Augen waren auf Michael geheftet und auf den Biker und das Messer. »Drei«, sagte Shanes Dad und nickte dem Biker zu. Alle schrien, als das Messer heruntersauste.