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An dem Tag, als Claire im Glass House einzog, stahl jemand ihre Wäsche.

Als Claire in die schrottreife, heruntergekommene Waschmaschine griff, bekam sie nur die glitschigen Wände der Trommel zu fassen und - als wäre es ein schlechter Witz - die schrecklichste Unterwäsche, die sie besaß, sowie eine einzelne Socke. Sie hatte es natürlich eilig - es gab nur wenige Waschmaschinen in diesem oberen Stock von Howard Hall, mit den unbeliebtesten, heruntergekommensten Zimmern im unbeliebtesten, heruntergekommensten Wohnheim. Zwei Waschmaschinen, zwei Trockner, und wenn man großes Glück hatte, funktionierte eines der Geräte und verschluckte nicht die eingeworfenen Münzen. Den Schlitz für die Scheine konnte man gleich vergessen. Sie hatte noch nie gesehen, dass er funktionierte, zumindest nicht in den letzten sechs Wochen, seit sie hier am College angekommen war.

»Nein«, sagte sie laut und stützte sich auf dem Rand der Maschine ab, um in das dunkle, halb verrostete Innere zu schauen. Es roch nach Schimmel und billigem Waschmittel. Es half nichts, genauer hinzuschauen.

Zwei abgehalfterte Unterhosen, am Saum ausgefranst. Eine Socke. Jedes einzelne Kleidungsstück, das sie in den letzten beiden Wochen getragen hatte, fehlte. Zumindest jedes, das sie gern trug.

»Nein!«, schrie sie in die Waschmaschine hinein, die das Echo zu ihr zurückwarf. Dann trat sie kräftig gegen die Delle an der Maschine, die all die frustrierten Studenten vor ihr hinterlassen hatten. Sie schnappte nach Luft. Sie hatte noch ein paar andere Klamotten - einige wenige -, aber die waren wirklich das Allerletzte, mit denen konnte sie sich auf gar keinen Fall irgendwo blicken lassen. Hosen, die zu kurz waren und in denen sie aussah wie ein Dorftrottel, zu weite, idiotische Oberteile, die aussahen, als hätte ihre Mom sie für sie ausgesucht. Hatte sie auch. Claire hatte noch dreihundert Dollar, die ihr noch, na ja, Monate reichen mussten, nachdem sie neulich erst wieder Pizza bestellt und ein weiteres Buch für Professor Nullblicker gekauft hatte, der offensichtlich noch nicht herausgefunden hatte, welches Fach er überhaupt unterrichtete.

Sie nahm an, dass sie, wenn sie sich umschaute, ein paar Kleider finden würde, die ihr Budget nicht sprengten. Immerhin war Morganville, Texas, gewissermaßen die Welthauptstadt der Secondhandshops. Vorausgesetzt sie fand überhaupt etwas, das sie tragen konnte.

Mom hatte schon prophezeit, dass das passieren würde, dachte sie. Ich muss jetzt nur nachdenken. Cool bleiben.

Claire ließ sich auf einen orangefarbenen Plastikstuhl plumpsen, stellte ihren Rucksack auf das zerkratzte Linoleum und stützte den Kopf auf die Hände. Ihr Gesicht brannte, sie zitterte und wusste genau, dass sie gleich anfangen würde zu heulen. Heulen wie ein kleines Baby, das sie war, wie alle behaupteten; zu klein, um hier zu sein, zu klein, um nicht bei Mami zu sein. Da führte es also hin, wenn man schlau war. Es war zum Kotzen. Sie schluckte schwer und lehnte sich zurück, entschlossen, nicht loszuheulen (weil sie das hören würden), und fragte sich, ob sie ihre Eltern anrufen sollte, um sie um eine Erhöhung ihres Taschengelds zu bitten, oder ob sie die Kreditkarte benutzen sollte, die »nur für Notfälle« war.

Dann entdeckte sie die Nachricht. Weniger eine »Nachricht« als vielmehr ein Graffiti, aber es war an sie gerichtet und stand auf der gestrichenen Betonwand über den Waschmaschinen.

HALLO TROTTEL, stand dort, WIR HABEN MÜLL IN DEN WASCHMASCHINEN GEFUNDEN UND IHN IN DEN MÜLLSCHACHT GEWORFEN. WENN DU IHN WIEDERHABEN WILLST, MUSST DU SCHON DANACH WÜHLEN.

»Shit«, flüsterte sie und zwinkerte wieder, um nicht in Tränen auszubrechen, dieses Mal jedoch aus einem ganz anderen Grund. Blinde, dumme Wut. Monica. Oder Monica und die Monickettes, wie auch immer. Warum schlossen sich die angesagten, fiesen Mädels immer zu Rudeln zusammen wie die Hyänen? Und warum mussten sie - bei all ihrem schimmernden Haar, bei ihren langen, gebräunten Beinen und mehr Geld von Daddy in der Tasche als Daddys Angestellte - ausgerechnet immer sie auf dem Kieker haben?

Nein, sie kannte die Antwort darauf.

Sie hatte Monica vor ihren Freundinnen dumm dastehen lassen, und dann auch noch vor einigen echt coolen Jungs aus höheren Klassen. Nicht dass das besonders schwer gewesen wäre; sie kam gerade vorbei, als sie Monica sagen hörte, der Zweite Weltkrieg sei »diese blöde Geschichte mit China« gewesen. Und nur aus Reflex hatte sie »nein, war es nicht« gesagt. Alle, die auf den Sofas im Vorraum des Schlafsaals herum lümmelten, schauten sie so überrascht an, als hätte soeben der Getränkeautomat zu ihnen gesprochen. Monica, ihre Freundinnen und drei dieser megacoolen älteren Jungs aus der Studentenverbindung.

»Der Zweite Weltkrieg«, wagte sie sich weiter vor, panisch und unsicher, wie sie da wieder herauskommen sollte. »Na ja, ich meine, das war nicht der Koreakrieg. Der war später. Der Zweite Weltkrieg war der mit den Deutschen und den Japanern. Pearl Harbour, du weißt schon.«

Und die Typen hatten Monica angeschaut und gelacht und Monica war rot angelaufen - nicht sehr, aber so, dass ihr cooles, perfektes Make-up ruiniert war. »Erinnere mich daran, dass ich dir nie ein Geschichtsreferat abkaufe«, hatte der süßeste der Jungs gesagt. »Jeder Trottel weiß das!« Aber Claire war sich sicher, dass keiner von ihnen das wirklich gewusst hatte. »Chinesen. Klaaaro.«

Claire hatte die Wut in Monicas Augen gesehen, die sie rasch mit Lächeln, Kichern und Flirten überspielte. Claire hatte wieder aufgehört zu existieren, für die Jungs zumindest.

Für die Mädchen war sie ganz neu und alles andere als willkommen. Damit schlug sie sich schon ihr ganzes Leben herum. Wenn man klug und klein ist und durchschnittlich aussieht, hat man in der Lotterie des Lebens nicht gerade den großen Preis gezogen; man hatte zu kämpfen, ganz gleich um was. Irgendjemand lacht dich immer aus, schlägt dich, ignoriert dich; oder alles zusammen. Als sie noch klein war, dachte sie, dass Ausgelachtwerden das Schlimmste sei; aber dann, nach den ersten paar Showdowns auf dem Schulhof, wurde Geschlagenwerden ihre Nummer eins. Während ihrer (kurzen, zweijährigen) Erfahrung an der Highschool war es dann meist noch viel schlimmer, ignoriert zu werden. Sie war ein Jahr früher als alle anderen dorthin gekommen und ging dann ein Jahr vor ihnen. Das sieht niemand gern.

Niemand außer den Lehrern zumindest.

Das Problem war, dass Claire wirklich gern zur Schule ging. Sie liebte Bücher, las und lernte gern - okay, Infinitesimalrechnung nicht, aber sonst so gut wie alles. Physik. Welches normale Mädchen mochte schon Physik? Nur abnormale. Solche, die niemals sexy sein werden.

Und mal ehrlich, sexy sein? Darum ging es doch im Leben. Das hatte Monica bewiesen, als die Welt für einige Sekunden aus den Fugen geraten war, um Claire zur Kenntnis zu nehmen, und dann wieder auf ihre Umlaufbahn zurückkehrte, um sich weiterhin um die Schönen zu drehen.

Das war unfair. Sie hatte sich auf der Highschool in die Arbeit gestürzt und gelernt wie eine Wilde. Sie machte ihren Abschluss mit einer glatten Eins und erzielte in den Prüfungen Ergebnisse, die gut genug waren, um eine Zulassung für eine der ganz großen, der legendären Universitäten zu bekommen. Universitäten, an denen es nicht unbedingt von Nachteil ist, wenn man ein weiblicher mutierter Superhirn-Freak ist.

Es half alles nichts. Mom und Dad hatten einen Blick auf den Stapel mit den begeisterten Zusagen geworfen, die von Universitäten wie MIT, Cal Tech und Yale eingetroffen waren, und hatten sie gewaltig ausgebremst. Auf keinen Fall würde sich ihre sechzehnjährige Tochter (sie bestand darauf, fast siebzehn zu sein, auch wenn das nicht wirklich stimmte) auf eine 5000 Kilometer entfernte Schule verziehen. Zumindest erst mal nicht. (Claire hatte vergeblich versucht, das Argument rüberzubringen, dass nur eines für ihre angehende akademische Karriere tödlicher sei, als erst später an eine dieser Universitäten zu wechseln. Nämlich, ausgerechnet von der Texas Prairie University dorthin zu wechseln. Auch als TPUuuuh bekannt.)

Hier war sie nun also und saß im heruntergekommenen oberen Stock eines beschissenen Wohnheims an einem heruntergekommenen College fest, das achtzig Prozent der Studenten nach den ersten beiden Jahren verlassen - oder ihr Studium abbrechen - und die Monickettes stahlen ihre nasse Wäsche und warfen sie in den Abfallschacht; und das alles, weil Monica nicht damit behelligt werden konnte, irgendetwas über einen Krieg zu wissen, der groß genug war, um als Weltkrieg bezeichnet zu werden.

Aber das war so unfair! Etwas in ihr heulte auf. Ich hatte alles so gut durchdacht! Monica schlief aus und Claire selbst war früh aufgestanden, während die ganzen Partytiere noch im Koma gelegen hatten und die gewissenhaften Studenten bereits im Unterricht waren. Sie hatte gedacht, dass sie die Wäsche für ein paar Minuten allein lassen könnte, um schnell zu duschen - noch eine gruselige Erfahrung -, und sie hätte nie für möglich gehalten, dass jemand so etwas unglaublich Niederträchtiges tun würde. Als sie ein Schluchzen unterdrückte, fiel ihr - wieder einmal - auf, wie still es hier oben war. Unheimlich und wie ausgestorben, wenn die eine Hälfte der Mädchen noch schlief und die andere schon weg war. Aber selbst wenn viele da waren und herumschwirrten, war das Wohnheim noch unheimlich. Alt, heruntergekommen, voller Schatten und Winkel und Orten, an denen fiese Mädels auflauern konnten. Eigentlich traf diese Beschreibung auf die ganze Stadt zu. Morganville war klein, alt und staubig, voll unheimlicher kleiner Eigentümlichkeiten. Wie der Tatsache, dass die Straßenlaternen nur ab und zu funktionierten und dass sie zu weit voneinander entfernt waren, wenn sie denn mal funktionierten. Wie die Art und Weise, auf die viele Menschen in den Läden auf dem Campus viel zu glücklich schienen. Aufgesetzt glücklich. Wie die Tatsache, dass die ganze Stadt trotz des Staubs sauber war - kein Müll, kein Graffiti, niemand, der einen in den Gassen um Kleingeld anschnorrte. Merkwürdig.

Fast schon konnte sie hören, wie ihre Mutter sagte: Das kommt daher, dass du an einem fremden Ort bist, Liebes. Das wird schon. Du musst dich einfach mehr anstrengen.

Mom sagte immer solche Sachen und Claire hatte immer ihr Bestes getan, nicht zu zeigen, wie schwer es ihr fiel, diesen Rat zu befolgen.

Tja. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als zu versuchen, ihre Sachen zurückzubekommen. Claire schluckte noch einige Male, fuhr sich über die Augen und zerrte ihren bleischweren Rucksack hoch, bevor sie ihn sich über die Schulter warf. Sie starrte ein paar Sekunden auf die nassen Slips und die einzelne Socke, die sie mit der rechten Hand umklammerte, dann öffnete sie hastig den Reißverschluss an der vorderen Tasche ihres Rucksacks und stopfte sie hinein. Oh Mann, das würde den mickrigen Rest ihrer Coolness endgültig zunichtemachen, wenn sie damit herumlief.

»Sieh mal an«, sagte eine leise, zufriedene Stimme von der offenen Tür her, die gegenüber der Treppe lag, »wen haben wir denn da? Die Müllratte.«

Claire hielt inne, eine Hand auf dem verrosteten Eisengeländer. Irgendetwas sagte ihr, dass sie weglaufen sollte, aber irgendetwas sagte ihr das immer; Fight or Flight, sie hatte in Biologie aufgepasst. Und sie hatte es satt zu fliehen. Sie drehte sich langsam um, als Monica Morell aus dem Zimmer trat - nicht ihrem eigenen, sie hatte also Ericas Schloss wieder einmal kaputt gemacht. Monicas ständige Eskorte Jennifer und Gina kamen hintereinander heraus und flankierten sie. Soldaten mit Flipflops, Hüfthosen und French Manicure.

Monica warf sich in Pose. Darin war sie gut, musste Claire zugeben. Sie war über eins achtzig groß, hatte wallendes, schwarz glänzendes Haar, das ihr seidig bis zur Hüfte fiel, und große blaue Augen, die mit der genau richtigen Menge Kajal und Wimperntusche betont waren. Perfekte Haut Eines dieser modelartigen Gesichter, die aus nichts als hohen Wangenknochen und Schmolllippen zu bestehen schienen. Und wenn sie einen Model-Körper hatte, dann war es der eines Models von Victoria's Secret - nur Kurven, keine Ecken und Kanten.

Sie war reich, sie war hübsch und soweit Claire das beurteilen konnte, machte sie das kein bisschen glücklich. Was sie jedoch glücklich machte - was ihre großen blauen Augen gerade jetzt zum Leuchten brachte -, war der Gedanke, Claire noch ein kleines bisschen weiterzuquälen.

»Sollten dies nicht deine ersten Tage an der Junior Highschool sein?«, fragte Monica. »Oder solltest du nicht zumindest mal deine ersten Tage bekommen?«

»Vielleicht sucht sie die Klamotten, die sie hat herumliegen lassen«, setzte Gina hinzu und lachte. Jennifer lachte mit ihr. Claire hätte schwören können, dass ihre hübschen edelsteinfarbenen Augen vor Freude leuchteten, weil sie es geschafft hatten, dass sie sich wie ein Stück Dreck fühlte. »Dreckschleuder!«

»Klamotten?« Monica verschränkte die Arme und tat so, als würde sie nachdenken. »Meinst du diese Fetzen, die wir weggeworfen haben? Die, mit denen sie die Waschmaschine zugemüllt hat?“

»Yep, genau die.«

»Die würden es bei mir nicht mal in die Altkleidersammlung schaffen.«

»Ich würde sie nicht mal tragen, um das Jungsklo zu schrubben«, platzte Jennifer heraus.

Monica drehte sich verärgert um und versetzte ihr einen Stoß. »Yeah, du weißt alles über das Jungsklo, nicht wahr? Hattest du dort nicht mit Steve Gillespie rumgemacht, als ihr in der Neunten wart?« Sie gab saugende Geräusche von sich und alle lachten wieder, auch wenn Jennifer ein unbehagliches Gesicht machte. Claire fühlte ihre Wangen rot aufflammen, auch wenn es zur Abwechslung nicht gegen sie gerichtet war. »Himmel noch mal, Jen, Steve Gillespie? Halt die Klappe, wenn dir nichts einfällt, womit du dich nicht blamierst.«

Jennifer richtete ihren Ärger - natürlich - auf ein sichereres Objekt. Claire. Sie machte einen Schritt nach vorne und schubste Claire etwas nach hinten, zur Treppe hin. »Geh schon deine blöden Kleider holen! Du widerst mich an mit deinem käsigen Gesicht.«

»Yeah, Kleine, schon mal was von Sonne gehört?« Gina rollte die Augen.

»Pass bloß auf«, fuhr Monica sie an, was seltsam war, denn alle drei hatten den besten Teint, den man für Geld kriegen konnte. Claire bemühte sich um Halt. Der schwere Rucksack brachte sie aus dem Gleichgewicht und sie griff nach dem Geländer. Jen machte noch einen Schritt auf sie zu und rammte ihr den Handballen schmerzhaft in das Schlüsselbein. »Nicht!«, schrie Claire auf und schlug Jens Hand weg. Ziemlich heftig.

Es folgte ein Moment atemloser Stille und dann sagte Monica sehr ruhig: »Hast du gerade meine Freundin geschlagen, du dummes kleines Aas? Was denkst du, was wir noch mit dir machen, wenn du dich so aufführst?«

Und dann trat sie vor und schlug Claire ins Gesicht, so heftig, dass es blutete, so heftig, dass Sternchen und Lichtpünktchen vor Claires Augen flimmerten, so heftig, dass alles rot und glühend heiß wurde.

Claire ließ das Geländer los und schlug zurück, direkt auf Monicas Schmollmund, und für einen kurzen, brennenden Augenblick fühlte sie sich gut, aber Monica fauchte wie eine versengte Katze und Claire konnte gerade noch oh shit, das hätte ich nicht tun sollen denken.

Sie hatte den Schlag nicht kommen sehen. Fühlte auch nicht seine Wirkung, abgesehen von einem Gefühl der Leere und Verwirrung, aber dann zog das Gewicht des Rucksacks sie auf ihrer Schulter auf eine Seite und sie taumelte.

Beinahe hätte sie sich wieder gefangen, aber dann griff Gina mit einem hämischen Grinsen nach ihr und schubste sie nach hinten, die Treppe hinunter, und sie fiel ins Leere.

Sie schlug auf jeder einzelnen Stufe auf, bis sie unten ankam. Ihr Rucksack platzte auf, während sie fiel, und Bücher purzelten heraus. Oben an der Treppe lachten und johlten Monica und die Monickettes und gaben sich gegenseitig High-Five, aber das sah sie nur in kleinen, unzusammenhängenden Ausschnitten, so als würde ein Film immer wieder angehalten.

Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie unten zu einem Halt kam, was dadurch geschah, dass ihr Kopf mit einem hässlichen, satten Geräusch gegen die Wand knallte und alles um sie herum schwarz wurde.

Später erinnerte sie sich nur noch an eins in der Dunkelheit: Monicas Stimme, ein leises, boshaftes Flüstern: »Heute Nacht. Du wirst schon sehen, was auf dich zukommt, du Freak. Dafür werde ich sorgen.«

Es kam ihr wie Sekunden vor, aber als sie wieder zu sich kam, kniete jemand neben ihr, und es war nicht Monica oder ihre Nagellack-Mafia; es war Erica, die das Zimmer oben an der Treppe hatte, vier Zimmer weiter von Claires. Erica sah blass, angespannt und ängstlich aus und Claire versuchte zu lächeln, weil man das so macht, wenn jemand Angst hat. Sie hatte keine Schmerzen, bis sie sich bewegte und ihr Kopf zu hämmern anfing. Sie fühlte einen glühenden Schmerz an der Oberseite, und als sie hinfasste, fühlte sie eine dicke Beule. Aber kein Blut. Als sie die Stelle untersuchte, tat es noch mehr weh, aber es fühlte sich nicht gerade nach einem Schädelbruch an, zumindest hoffte sie das.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Erica und machte eine hilflose Handbewegung, als sich Claire in eine sitzende Position aufrichtete und sich gegen die Wand lehnte. Claire riskierte einen raschen Blick an ihr vorbei die Treppe hinauf und wieder herunter. Die Luft schien rein zu sein, Monica war nicht zu sehen. Sonst war auch niemand herausgekommen, um zu sehen, was los ist - die meisten hatten Angst, in Schwierigkeiten zu geraten, und dem Rest war es einfach egal.

»Ja«, sagte sie und brachte ein zittriges Lachen Zustande. »Ich muss wohl gestolpert sein.«

»Musst du in den Doc-Block?« So nannte man an diesem College die Universitätsklinik. »Oder brauchst du einen Krankenwagen oder so?«

»Nein. Nein, ich bin okay.« Schön wäre es, aber auch wenn alles an ihrem Körper höllisch wehtat, fühlte es sich nicht so an, als sei irgendetwas gebrochen. Claire kam auf die Füße, zuckte wegen ihres schmerzenden Knöchels zusammen und hob ihren Rucksack auf. Notizblöcke fielen heraus. Erica griff sich ein paar davon, stopfte sie zurück in den Rucksack und rannte dann leichtfüßig ein paar Stufen hinauf, um die verstreuten Lehrbücher einzusammeln. »Verdammt, Claire, brauchst du wirklich all dieses Zeug? Wie viele Stunden hast du pro Tag?“

»Sechs.«

»Du spinnst doch.« Nun, da Erica ihre gute Tat getan hatte, ging sie wieder zu der Neutralität über, die alle uncoolen Mädchen im Wohnheim ihr gegenüber bisher an den Tag gelegt hatten. »Geh lieber in den Doc-Block, ernsthaft. Du siehst beschissen aus.«

Claire setzte ein Lächeln auf und hielt es, bis Erica oben an der Treppe angelangt war und begann, sich über das aufgebrochene Schloss an ihrem Schlafraum zu beschweren.

Heute Nacht, hatte Monica gesagt, als sie sich über sie beugte. Du wirst schon sehen, was auf dich zukommt, du Freak. Sie hatte niemanden gerufen oder nachgeschaut, ob sich Claire vielleicht das Genick gebrochen hatte. Es war ihr egal, ob Claire tot war.

Nein, falsch. Das Problem war ja gerade, dass es ihr nicht egal war. Claire schmeckte Blut. Ihre Lippe war aufgeplatzt und blutete. Sie fuhr sich mit dem Handrücken darüber und wischte ihn dann am Saum ihres T-Shirts ab, bevor ihr bewusst wurde, dass dies buchstäblich das Einzige war, was sie zum Anziehen hatte. Ich muss runter in den Keller und meine Kleider aus dem Müll holen. Die Vorstellung, dort hinunterzugehen - in diesem Wohnheim auch nur irgendwohin allein zu gehen -, erfüllte sie plötzlich mit Schrecken. Monica wartete nur darauf. Und die anderen Mädchen würden nichts unternehmen. Sogar Erica, die vermutlich noch die Netteste von allen war, hatte Angst, sich auf ihre Seite zu stellen. Verdammt, schließlich wurde Erica auch schikaniert, aber wahrscheinlich war sie einfach froh, dass Claire da war und das Schlimmste abkriegte. Das war nicht dasselbe wie in der Highschool, wo man sie mit Verachtung und gelegentlich mit Grausamkeit behandelte, das hier war schlimmer, viel schlimmer. Und sie hatte hier nicht einmal Freunde. Erica war so ungefähr das Beste, womit sie aufwarten konnte, und Erica sorgte sich mehr um ihre eingeschlagene Tür als um Claires eingeschlagenen Schädel.

Sie war allein. Zuvor hatte sie sich nicht gefürchtet, aber jetzt überkam sie Angst. Große, nackte Angst. Was sie heute in den Augen von Monicas Mafia gesehen hatte, war nicht die übliche träge Drohung cooler Mädels gegenüber den Strebern; das war schlimmer. Sie war schon früher geschubst oder gekniffen worden, man hatte ihr ein Bein gestellt, sie ausgelacht, aber hier hatte sie es eher mit Raubtieren zu tun, die gewillt waren zu töten.

Sie werden mich umbringen.

Zittrig stieg sie die Treppen hinunter, bei jedem Schritt durchzuckte Schmerz ihren Körper und sie erinnerte sich daran, dass sie Monica heftig genug ins Gesicht geschlagen hatte, dass ein Abdruck zurückbleiben konnte.

Yeah. Sie werden mich umbringen.

Wenn ein Bluterguss auf Monicas perfektem Gesicht zurückbliebe, war das gar keine Frage.