15

 

Claire sah nicht, wie sich Michael bewegte, er war zu schnell. Bis zu diesem Augenblick hatte sie gedacht, dass er ein ganz normaler Typ sei, wirklich... okay, einer, der sich tagsüber in Luft auflöste. Aber so schnell bewegte sich niemand. Kein Mensch zumindest.

Und so stark war auch niemand. Michael packte Oliver an den Schultern, hob ihn hoch und warf ihn mit dem Kopf voraus durch den Gang, sodass er gegen die gegenüberliegende Wand knallte. Claire sprang aus dem Weg. Shane und Eve ebenfalls, nur dass Eve auf Oliver zusprang, nicht von ihm weg. Shane erwischte sie am Knöchel und riss sie zurück, während sie schrie und um sich trat.

Michael verfolgte Oliver. Als der Vampir sich auf die Füße rollte, krachte Michael in ihn. Oliver war stark und flink, aber in diesem Haus war Michael nicht aufzuhalten, und er war sehr, sehr zornig.

»Du Narr!«, schrie Oliver ihn an. »Hast du überhaupt verstanden, was ich gesagt habe? Claire hat das Buch!“

»Das ist mir egal!«

»Es kann dir nicht egal sein! Wenn du es nicht übergibst, werden sie euch alle zerfetzen, um es zu kriegen! Ich versuche, euch zu retten!«

Michael rammte ihm zwei- oder dreimal die Faust ins Gesicht, schneller als Claire blinzeln konnte. Oliver ging wieder zu Boden und tastete umher; dann rollte er sich zur Seite und starrte zornig durch seine verhedderten grauen Haare zu ihnen hinauf. Vampire bluteten also doch, aber es sah irgendwie anders aus - das Blut war nicht rot genug und zu dickflüssig. Es tropfte aus Olivers Mundwinkeln, als er knurrend seine Vampirzähne ausfuhr; er versuchte, Michael dicht genug an sich heranzuziehen, um ihn zu beißen. Michael schlug so heftig zu, dass einer der Eckzähne abbrach und wie ein elfenbeinerner Dolch über den Boden schlitterte. Oliver schrie vor Verblüffung und Schmerz auf und rollte sich zusammen, um sich selbst zu schützen.

»Eve!«, brüllte Michael und schleppte ihn an einem Fuß den Gang hinunter zur Tür. »Nimm die Einladung zurück! Mach schon!« Oliver kämpfte nun wie wild gegen ihn an und hinterließ mit seinen Fingernägeln breite Kratzer auf dem Holzboden, während er fauchte und sich wand, um loszukommen. »Eve!«

Shane machte einen Satz auf Eve zu, zog sie auf die Füße und schüttelte sie heftig. Es half nichts. Sie starrte nur mit ungerührtem, totem Gesicht an ihm vorbei.

Claire schob ihn aus dem Weg und schlug Eve hart ins Gesicht.

Eve jaulte auf, fasste sich mit der Hand an die malträtierte Wange und blinzelte. »Hey! Was zum Teufel...?« Und dann schaute sie an Claire vorbei auf den heftigen Kampf, der im Flur stattfand, und öffnete vor Verwunderung die Lippen.

»Eve!«, schrie Michael wieder. »Die Einladung! Du musst sie jetzt zurücknehmen!«

»Aber ich habe nicht...« Eve verlor keine Zeit mit Streiten. »Hey! Oliver! Scher dich aus dem verdammten Haus raus!«

Oliver wurde ruhig. Vollkommen still, wie ein Toter. Michael hob ihn an einem Arm und einem Bein hoch und warf ihn hinaus in die Dunkelheit. Claire hörte, wie der Vampir draußen auf dem Pflaster aufschlug und fluchte, als er sich wieder auf die Füße rollte und zurück an die Tür kam.

An der Schwelle prallte er an einem unsichtbaren Luftpolster ab.

»Du bist hier nicht willkommen«, stieß Michael knirschend hervor. Aus einem Schnitt in seinem Gesicht rann eine dicke Blutspur an der Seite seines Halses hinunter und er atmete schwer. »Eve kündigt übrigens.«

Er schlug die Tür vor Olivers fauchendem Gesicht zu und lief, sich zitternd von innen dagegen fallen. Plötzlich sah er überhaupt nicht mehr so übermächtig aus, sondern nur noch voller Angst. »Michael?«, fragte Eve atemlos. »Bist du okay?“

»Mir geht es blendend«, sagte er und riss sich zusammen. »Eve, bleib weg von der Tür. Er hat dich einmal gekriegt; vielleicht schafft er es auch ein zweites Mal. Claire! Du auch. Halt dich von der Tür fern.« Er packte sie am Arm und zog sie den Gang entlang, der katastrophal aussah, wow, der Boden war völlig verkratzt, die Wände verschrammt. Er gab ihr einen kleinen Schubs, sodass sie auf der Couch zum Sitzen kam.

»Claire.«

»Ähm... ja?«Alles passierte so schnell, sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes zu hören bekommen würde.

»Das Buch?«

»Oh. Yeah. Na ja - weißt du, da ist diese Etage in der Bibliothek, wo sie durch die Bücher gehen, und Professor Wilson hat ab und zu was mitgehen lassen und...«

Er hob die Hand, um sie zu unterbrechen. »Hast du das Buch?“

»Ja.«

»Bitte sag mir, dass du es nicht hierhergebracht hast.« Sie blinzelte.

»Also - doch.«

Michael ließ sich in den Lehnstuhl fallen, beugte sich vor und vergrub das Gesicht in den Händen. »Meine Fresse, ignorierst du völlig, was in dieser Stadt los ist? Du hast tatsächlich das Buch?“

»Ich - ich glaube schon.« Sie stand auf, um es zu holen, aber er packte sie am Handgelenk, als sie an ihm vorbeiging.

»Nein«, sagte er. »Lass es, wo immer es ist. Je weniger wir wissen, desto besser. Wir müssen uns überlegen, was wir jetzt unternehmen, Oliver ist es ernst. Er wäre nicht gekommen, wenn er nicht vorgehabt hätte, uns alle zu töten, um das Buch zu bekommen. Wie es aussieht, nutzte er die gute Gelegenheit. Er weiß, wie mächtig der Schutz ist, den dieses Haus hat.“

»Konntest du ihn deshalb fertigmachen?«, fragte Shane. »Weißt du, ich bin dein bester Freund, aber so ein knallharter Typ bist du eigentlich nicht, Mann.«

»Danke, Arschloch. Ja, ich bin Teil des Hauses, das bedeutet, dass ich alles, was das Haus hat, nutzen kann. Es ist stark. Wirklich stark.«

»Gut zu wissen. Also, wie sieht unser Plan aus?«

Michael holte tief Luft und atmete dann aus. »Warten, bis es hell wird«, sagte er. »Eve, hast du Oliver je draußen in der Sonne gesehen?«

»Hm...« Sie dachte angestrengt nach. »Nein. Meistens bleibt er in seinem Büro oder im Barbereich, weit weg von den Fenstern. Aber ich dachte, Vampire könnten tagsüber nicht wach sein!«

Claire dachte an die Kirche, in die sie sich vor Monica geflüchtet hatte, und die elegante alte Dame, die auf der Kirchenbank saß. »Ich glaube, sie können«, sagte sie. »Wenn sie sehr alt sind. Oliver muss schon wahnsinnig alt sein.«

»Mir egal, wie alt er ist - er wird nicht braun«, sagte Shane. »Wir warten, bis es hell wird, dann schaffen wir Claire und das Buch hier raus.«

»Sie kann nicht nach Hause. Dort werden sie zuerst suchen«, sagte Eve. Claire wurde eiskalt.

»Aber - meine Eltern! Was ist mit meinen Eltern?«

Eine oder zwei Sekunden lang antwortete ihr niemand, dann kam Shane zu ihr und setzte sich neben sie. »Glaubst du, sie würden auf uns hören? Wenn wir ihnen die Wahrheit sagen?«

»Was, über Morganville? Über Vampire?« Sie lachte und es klang ziemlich hysterisch. »Machst du Witze? Sie würden das niemals glauben!«

»Außerdem«, sagte Eve und setzte sich auf ihre andere Seite, um ihre Hand zu halten, »selbst wenn du sie überzeugen könntest, würden sie alles vergessen, wenn sie raus aus der Stadt sind. Es fällt schwer, paranoid zu sein, wenn du vergessen hast, dass sie kommen, um dich zu holen.«

»Autsch«, stimmte Shane Zu. »Also dann - Davonlaufen ist wohl aus dem Rennen, wir können schließlich nicht Claires Eltern den Vampir-Wölfen zum Fraß vorwerfen... oder?«

Michael und Eve nickten.

»Und außerdem hat Claire dann dasselbe Problem. Selbst wenn wir sie aus der Stadt bringen können, wird sie vergessen, warum sie flieht. Sie würden sie kriegen.«

Mehr Kopfnicken.

»Also, was machen wir?«

»Das Buch eintauschen«, sagte Claire. Alle schauten sie an. »Was ist los? Das hatte ich eh vor. Im Austausch für einige Dinge.“

»Was denn zum Beispiel?«, fragte Michael erstaunt.

»Zum Beispiel, dass Brandon nicht an seinem Deal mit Shane festhält. Und dass mich Monica und ihre Freaks in Ruhe lassen. Und... Schutz für alle Wohnheime auf dem Campus, damit die Studenten sicher sind.« Sie wurde rot, weil alle sie anstarrten, als hätten sie sie noch nie zuvor gesehen. »Deshalb wusste Oliver auch, dass ich das Buch habe. Ich hab's versaut Ich wollte einen Deal machen und dachte, er sei einfach ein netter Typ, der mir dabei helfen kann. Ich wusste ja nicht, dass er einer der Vampire ist«

»Oh, er ist nicht einer von ihnen«, sagte Michael. »Er ist der Vampir schlechthin.«

Shane runzelte die Stirn. »Woher weißt du das, Mann.«

»Weil ich auf eine Art auch einer von ihnen bin«, antwortete Michael. »Und ein Teil von mir möchte tun, was er sagt“

»Aber - kein großer Teil, oder?«, wagte Eve zu fragen.

»Nein. Aber er trägt definitiv Verantwortung.«

Shane stand auf und ging zum Fenster, zupfte den Vorhang ein bisschen zurück und schaute hinaus. »Das darf ja jetzt nicht wahr sein«, sagte er.

»Was ist?«

»Vamp City, Mann. Schau dir das an.«

Michael gesellte sich zu ihm ans Fenster, danach Eve. Als sich Claire dazwischen quetschte, schnappte sie nach Luft, da Dutzende von Menschen zu sehen waren, die alle mit dem Gesicht zum Haus dort standen oder saßen. Unnatürlich still. Eve stürzte zu einer anderen Fensterreihe. »Hier auch!«, rief sie. »Wartet!«

»Shane«, sagte Michael und deutete mit dem Kopf auf sie. Shane folgte ihr. »So viel zum Thema rausschleichen. Ich denke, wir bleiben zumindest heute Nacht hier. Die meisten müssen sich tagsüber in den Untergrund verziehen. Die, die nicht draußen in der direkten Sonne bleiben können - das hoffe ich zumindest. Vielleicht verschafft uns das neue Möglichkeiten.“

»Michael...« Claire fühlte sich den Tränen nahe. »Ich wusste ja nicht - ich dachte, ich tue etwas Gutes. Das dachte ich wirklich!«

Er legte den Arm um sie. »Ich weiß. Es ist nicht deine Schuld. Es war vielleicht eine bescheuerte Idee, aber dafür eine ganz süße.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Du ruhst dich jetzt besser ein bisschen aus. Und wenn du Stimmen hörst, dann versuch, nicht hinzuhören. Sie werden uns auf die Probe stellen.« Sie nickte. »Was sollen wir jetzt bloß tun?“

»Ich weiß es nicht«, sagte er ruhig. »Aber wir werden uns schon noch etwas einfallen lassen.«

Claire rollte sich in einer Ecke der Couch unter einer afghanischen Decke zusammen; Eve nahm die andere Ecke. Niemandem stand der Sinn danach, in sein Zimmer zu gehen. Shane ging viel auf und ab und unterhielt sich flüsternd mit Michael, der noch kein einziges Mal seine Gitarre angefasst hatte. Die beiden wirkten wie unter Strom. Auf alles vorbereitet.

Claire hatte nicht vor einzuschlafen - sie hatte gedacht, dass sie dafür ohnehin zu große Angst hatte -, aber sie tat es schließlich doch, als sich die Nacht dem Morgen näherte. Stimmen flüsterten ihr zu - Michael, dachte sie, dann Shane. Steh auf, sagten die Stimmen. Steh auf und öffne die Tür. Mach das Fenster auf Lass uns herein. Wir können dir helfen, wenn du uns hereinlässt.

Sie wimmerte im Schlaf, schwitzte und fühlte sich elend. Sie spürte Shanes Hand auf ihrer Stirn. »Claire.« Sie öffnete die Augen und bemerkte, dass er neben ihr saß. Er sah müde aus. »Du hast einen Albtraum.«

»Ich wünschte, es wäre einer«, murmelte sie, versuchte zu schlucken und merkte, dass sie höllischen Durst hatte. Sie fühlte sich auch fiebrig und schwach. Toller Zeitpunkt, sich die Grippe einzufangen...

»Michael!« Olivers Stimme drang schwach durch die Eingangstür. »Da ist etwas, das du sehen solltest, mein Junge! Schau mal aus dem Fenster!«

»Falle«, sagte Shane sofort und packte Michael am Arm, als er vorüberging. »Nicht, Mann!«

»Was kann er schon groß machen? Mir Grimassen schneiden?“

»Wenn du erst einmal damit anfängst zu tun, was er sagt, dann fällt es schwer, damit aufzuhören. Tu's nicht.«

Michael dachte einen Augenblick nach, dann riss er sich los und ging zum Fenster.

Er starrte finster hinaus. Rote und blaue Lichter flackerten auf dem Glas und reflektierten auf seiner Haut.

»Was ist das?«, fragte Claire und stand auf.

»Hey! Im Ernst, Leute. Hört auf, ihr Spiel zu spielen!«

»Cops«, sagte Michael. Er klang ausdruckslos und schockiert. »Sie haben die ganze Straße abgeriegelt. Sie bringen die Leute von hier weg.«

»Welche Leute? Die Vampire?«, wollte Eve wissen. Sie drängte sich ebenfalls ans Fenster.

»Pfff«, sagte Shane mürrisch. »Na toll. Beachtet mich einfach nicht. Wenn euch ein Vampir befiehlt, von einer Klippe zu springen...«

»Sie evakuieren die Nachbarschaft«, sagte Michael. »Schaffen mögliche Zeugen aus dem Weg.“

»Oh, shit«, sagte Shane und sprang auf, um Claire über die Schulter zu schauen. »Wie sehr am Arsch sind wir jetzt?«

»Na ja, die Cops sind keine Vampire. Der Schutz wird sie nicht fernhalten.«

Claire sah, dass zu den sechs Polizeiautos, die alle ihre Lichter anhatten, die in blutroten und venenblauen Blitzen zuckten, zwei lange, skelettartige Feuerwehrfahrzeuge stießen. Eines an jedem Ende des Blocks.

Michael sagte nichts, aber seine Augen verengten sich.

»Oh, shit!«, flüsterte Shane. »Das würden sie nicht tun.“

»Doch«, sagte Michael. »Ich glaube schon. Wenn dieses Buch wirklich so wichtig ist, würden sie fast alles tun, um es zu bekommen.«

Urplötzlich tauchte Olivers Gesicht direkt vor ihnen am Fenster auf. Alle schrien auf - selbst Michael - und fuhren zurück. Shane versuchte, Claire hinter sich zu schieben. Sie schlug so lange nach ihm, bis er sie in Ruhe ließ.

Sie wollte hören, was Oliver zu sagen hatte.

»Es ist fast fünf Uhr«, sagte Oliver. Seine Stimme war durch das Fensterglas gedämpft. »Die Zeit geht uns aus, Michael. Entweder du lädst mich jetzt ein und händigst mir das Buch aus oder es wird sehr unangenehm für euch, fürchte ich.“

»Warte!« Claire ballte ihre Hände Zu Fäusten. »Ich will es eintauschen!«

Er musterte sie und wies sie dann ab. »Es tut mir furchtbar leid, meine Liebe, aber diese Gelegenheit hast du verstreichen lassen. Wir rudern inzwischen in raueren Gewässern. Entweder ihr gebt uns das Buch oder wir kommen und holen es uns. Ich sage dir, das ist der beste Deal, den ihr auf dieser Seite der Hölle noch kriegen könnt.«

Michael ließ den Rollladen herunterknallen. »Shane. Du, Eve und Claire geht in die Vorratskammer. Bewegt euch!“

»Keine Chance!«, erklärte Eve. »Ich lasse dich nicht allein!«

Er nahm ihre Hand und sie sahen sich tief in die Augen, auf eine Art, die Claires Knie weich werden ließ, obwohl sie einige Schritte von ihnen entfernt stand. »Sie können mir nichts anhaben, es sei denn, sie verletzen das Haus selbst. Sie können mich nicht töten, es sei denn, sie zerstören das Haus. Verstanden? Ihr seid die Verwundbaren unter uns. Und ich will, dass ihr in Sicherheit seid.«

Er küsste ihr die Hand, warf Claire und Shane einen verlegenen Blick zu und küsste Eve dann auch auf die Lippen.

»Huh«, sagte Shane. »Hab ich's mir doch gedacht.« Er nahm Claire an der Hand. »Michael hat recht. Wir bringen euch Mädels besser an einen sicheren Ort.«

»Du auch, Shane«, sagte Michael.

»Keine Chance!«

»Das ist jetzt nicht die Zeit, sich etwas zu beweisen, Alter. Pass einfach auf sie auf. Ich kann selbst auf mich aufpassen.«

Vielleicht, dachte Claire. Und vielleicht wollte er sie einfach nur aus dem Weg haben für den Fall, dass er es doch nicht konnte. Wie auch immer - sie hatte keine Möglichkeit zu protestieren.

Shane dirigierte sie und Eve in die Küche, belud sie mit Wasser und abgepacktem Essen wie Käseflips und Energieriegeln und half ihnen, die Sachen in dem dunklen, bedrückenden Versteck zu stapeln, in dem Eve sie an jenem ersten Morgen, den sie im Glass House verbracht hatte, versteckt hatte.

Sie wusste nicht, ob Shane Michaels Anordnung wirklich befolgt hätte - möglich wäre es gewesen, dachte sie -, aber gerade als sie den Rest ihrer Vorräte in die schmale kleine Tür schoben, war aus dem Wohnzimmer das laute Splittern von Glas zu hören.

»Was zum Teufel ist das?«, entführ es Shane und er duckte sich hinaus, um nachzuschauen, was passierte. Claire folgte ihm, und als sie sich umschaute, sah sie, dass Eve auch hinterherkam.

Sie kamen nicht weit, da das Küchenfenster krachend zu Bruch ging; Claire und Eve hielten an und schauten sich um.

Außen am Fenster stand Oliver. Sie hörten überall im Haus Glas klirren.

»Mädels«, sagte er. »Tut mir leid, dass ich das tun muss. Ehrlich. Aber ihr lasst mir keine andere Wahl. Letzte Chance: Ladet mich ein und alles kann noch ein friedliches Ende nehmen.«

»Du kannst mich mal!«, spottete Eve. »Moment mal... kannst du gar nicht, oder? Nicht von da draußen!«

Seine Augen flackerten und seine Eckzähne fuhren herunter. Drohgebärde. So nannte man das, wenn eine Klapperschlange ihren Schwanz schüttelte oder eine Kobra ihren Nackenschild spreizte. Er gab ihnen deutlich zu verstehen, dass er sie nicht besonders witzig fand.

»Das Buch«, sagte er. »Oder euer Leben. Das ist der einzige Deal, den du noch abschließen kannst, Claire. Ich schlage vor, du triffst schnell die richtige Entscheidung.“

»Was soll’s«, sagte Eve. »Du kannst sowieso nicht reinkommen.« Oliver nickte, sein verblichenes, lockiges Haar wehte im heißen Nachtwind. »Stimmt«, sagte er. »Aber ich bin schließlich nicht allein hier.«

Er trat zur Seite, als ein uniformierter Polizist mit dem Schlagstock das restliche Glas herausbrach, auf die Fensterbank sprang und hereinkletterte.

Eve and Claire rannten schreiend weg.

***

Das Wohnzimmer war ein Chaos aus kaputten Möbeln, zerstreuten Papieren und kämpfenden Menschen - Shane verprügelte gerade einen Typen in einer schwarzen Jacke, der zurück durchs Fenster flog, in die Arme einiger wartender, zähnefletschender Vampire. Michael kämpfte mit einigen anderen, die er einfach hochhob und hinauswarf. Als Eve und Claire ins Zimmer schlitterten und nach rechts und links davonstoben, rannte der Cop, der sie verfolgt hatte, geradewegs in Michael, der ihn ebenfalls hinauswarf.

»Sie kommen herein!«, kreischte Eve, schlug die Küchentür Zu und klemmte einen Stuhl unter die Klinke. Michael packte das nächstbeste Bücherregal - nicht das, auf dem die Bibel stand, wie Claire registrierte - und zog es hinüber, um damit das Fenster zu verbarrikadieren, dann lehnte er das Sofa dagegen.

»Nach oben!«, brüllte er. »Bewegt euch!«

Shane packte Claire an der Hand und rannte die Treppe hoch, wobei er sie fast hinter sich herschleifte; sie verpasste eine Stufe und stolperte, brachte ihn genau im richtigen Moment aus dem Gleichgewicht, als der Schlagstock, der in seine Richtung geschwungen wurde, seinen Kopf verfehlte und mit dem Geräusch von splitterndem Holz gegen die Wand krachte. Eine weitere Person versteckte sich oben an der Treppe, sie war weiblich und groß. Shane riss ihr den Schlagstock aus der Hand und bedrohte sie damit, wobei er sie rückwärts den Gang hinuntertrieb. Claire erkannte sie - es war Lillian, eines der Mädchen aus dem Wohnheim.

»Nicht!«, schrie Lillian und hob schützend die Arme, als Shane mit dem Schlagstock ausholte.

»Himmel«, fauchte Shane angewidert. »Ich kann keine Mädels schlagen. Hier, Claire. Schlag du sie.« Er warf ihr den Stock zu. Claire fing ihn auf und es kam zu einer unbeholfenen Prügelszene, bei der sie wünschte, sie hätte in Sport besser aufgepasst. Lillian schrie erneut und rannte durch die offene Tür in Eves Zimmer. Eve, die die Treppe heraufkam, schrie ebenfalls, aber aus anderen Gründen.

»Hey! Das ist mein Zimmer, du Schlampe!« Sie stürzte hinein, packte Lillian an den Haaren, wirbelte sie herum und schleuderte sie in den Gang hinaus: Dann schubste sie sie in Richtung Treppe.

»Michael! Lillian möchte gehen!«

Sie gab ihr noch einen Schubs. Lillian torkelte die Treppe hinunter und kreischte noch einmal, bevor sie das Gebäude dank Michaels Schubkraft in hoher Geschwindigkeit verließ.

»Durchsucht die Zimmer«, keuchte Shane. »Wenn eine hereinkommen konnte, sind da bestimmt noch mehr. Überlasst nichts dem Zufall. Ruft um Hilfe.«

Claire nickte und eilte in ihr Zimmer. Es sah Gott sei Dank ruhig aus - die Fenster waren nicht eingeschlagen und nichts wies darauf hin, dass sich jemand in den Schränken oder unter dem Bett versteckte. Dasselbe galt für das Bad, obwohl kurz ein übles Duschvorhang-Szenario in ihrem Kopf ablief. Sie hörte ein Krachen im Flur. Shane hatte wohl jemanden gefunden. Sie rannte hinaus und wollte ihm zu Hilfe eilen, zögerte dann, als sie sah, dass Eves Tür einen Spalt offen stand.

Sie hatte sie zuvor zugemacht. Sie öffnete sie langsam, so leise sie konnte, linste um die Ecke...

... und sah Eve, die mit dem Rücken zur Wand stand, und Miranda, die ihr ein Messer an den Hals hielt. Zuerst fielen ihr die blauen Flecken und Bissspuren auf Mirandas Hals auf, dann, als sie sich zu ihr umdrehte, die verblassten blauen Augen.

»Nicht«, sagte Miranda. »Ich muss das tun. Charles sagt, dass ich das tun muss, damit die Visionen aufhören. Ich möchte, dass sie aufhören, Claire. Das verstehst du doch bestimmt, oder?“

»Lass sie los, Miranda, okay? Bitte!« Claire schluckte schwer und machte einen Schritt in das Zimmer. Sie hörte Kampfgeräusche aus dem Flur. Shane und Michael hatten alle Hände voll zu tun. »Du möchtest Eve bestimmt nicht verletzen. Sie ist deine Freundin!«

»Es ist einfach zu viel«, sagte Miranda. »So viele Menschen sterben und ich kann nichts dagegen tun. Charles sagte, er könne machen, dass es aufhört. Alles, was ich zu tun hätte, wäre...“

»Was? Eve töten? Echt, tu's nicht! Du möchtest das bestimmt nicht tun!« Panisch wandte sie sich an Eve um Hilfe. Eins stand fest: Die Blässe auf Eves Gesicht stammte nicht vom Make-up. »Yeah«, sagte Eve schwach. »Ich bin deine Freundin, Mir. Das weißt du doch.«

Miranda schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre dunklen Haare herumwirbelten. Das Messer an Eves Hals zitterte und Miranda presste die Augen zu und flüsterte etwas, das wie Charles klang, und als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie anders aus. Nicht ängstlich, sondern konzentriert.

Sie wird ihr etwas antun. Ich muss... Claire konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen; sie handelte einfach, als Eves Arm nach oben zuckte und gegen Mirandas Ellbogen schlug. Sobald das Messer nicht mehr an Eves Hals lag, griff Claire mit beiden Händen in Mirandas Haar und riss sie zurück. Miranda kreischte und schlug wie wild um sich. Eves erhobener Arm bekam einen blutigen Messerstich ab, Claire wich zurück, keuchte und umklammerte weiterhin Mirandas Haar, wobei sie versuchte, außer Reichweite des Messers zu bleiben.

Miranda schwang das Messer und schnitt das Haarbüschel einige Zentimeter unter Claires Fingerknöcheln ab. Oh nein... Miranda stürzte sich mit gezücktem Messer auf sie und Claire stieß gegen das schwarze Nachttischchen, kippte hintenüber auf die schwarze Satindecke und sah das Messer auf sich zukommen.

»Hey!«, schrie Eve, wirbelte Miranda herum und schlug ihr zweimal brutal ins Gesicht. Als Miranda versuchte, auf sie einzustechen, rammte sie ihre Hand gegen die Wand und verdrehte ihr das Handgelenk, bis Miranda ihre Faust öffnete und das Messer auf den Holzboden fiel.

Miranda fing an zu weinen. Es klang verzweifelt und hilflos, und wenn Claire nicht so böse und verängstigt gewesen wäre, hätte sie vielleicht Mitleid mit ihr gehabt. »Nein, nein, ich will es nicht mehr sehen, ich will nicht - er hat versprochen, dass er macht, dass es aufhört...«

Eve packte sie am Arm, öffnete die Schranktür und stieß sie hinein, dann klemmte sie einen Holzstuhl unter den Türknauf, damit sie nicht mehr aufging. Sie sah zornig aus und wirklich, wirklich verletzt. Ihr Arm blutete alles voll - das Blut spritzte zwar nicht, floss aber in rauen Mengen. Claire nahm ein schwarzes Handtuch, das auf dem Schreibtisch lag, und presste es auf die Wunde; Eve blinzelte, als hätte sie die Verletzung ganz vergessen, und hielt es fest.

»Vielleicht steht sie nur unter seinem Fluch. Wie du, als du...«

Okay, es war vielleicht nicht besonders schlau, das gerade jetzt zu erwähnen, dachte Claire.

»Deshalb habe ich sie geschlagen«, sagte Eve. »Aber ich glaube nicht, dass es das ist. Miranda war schon immer verrückt. Ich hatte nur gedacht - na ja, ich dachte, dass sie nicht ganz so verrückt ist.«

Eve sah jetzt besser aus, sie hatte jedenfalls mehr Farbe im Gesicht... und dann dachte Claire, nein, eigentlich sah sie zu gut aus.

Claires Blick wanderte zu der zerbrochenen Fensterscheibe. Draußen war ein schmaler Streifen Sonnenlicht über dem Horizont zu sehen, der rasch breiter wurde, und der Himmel war von einem tiefen Blaugrau.

»Michael!«, brach es aus ihr heraus. »Oh, mein Gott!«

Sie ließ Eve stehen und rannte in den Flur. Shane kam gerade aus seinem Zimmer und schüttelte seine rechte Hand aus. Seine Fingerknöchel bluteten. »Wo ist Michael?«, rief sie.

»Unten«, sagte er. »Was zum Teufel hast du da in der Hand?«

Claire bemerkte schockiert, dass sie noch immer eine Handvoll von Mirandas abgeschnittenem Haar umklammerte. Sie schnitt eine Grimasse und ließ es los, dann wedelte sie mit der Hand, um die klebrigen Strähnen loszuwerden. »Das möchtest du gar nicht wissen. Ach ja, Miranda ist übrigens in Eves Schrank eingeschlossen.«

»Na ja, das ist ja mal eine gute Nachricht. Sorry, ich mag die Kleine einfach nicht.«

»Mir will sie irgendwie auch nicht ans Herz wachsen«, gab Claire zu.

»Komm, wir müssen zu Michael.«

»Glaub mir, er kommt auch ganz gut ohne uns klar.«

»Nein, tut er nicht«, sagte sie finster. »Die Sonne geht auf.«

Er stand einen Moment auf dem Schlauch, aber als er es kapierte - wow, junge, Junge. Er war schon weg, bevor sie ihm zurufen konnte, er solle auf sie warten.

Sie kam ein paar Sekunden nach ihm unten an der Treppe an und sah, wie er zu Michael rannte, der gerade dabei war, einen weiteren - vermutlich menschlichen - Eindringling zu ergreifen, der durch die zerstörte Eingangstür hereingekommen war. »Ich brauche euch nicht!«, schrie er sie beide an und schleuderte den Typen bis fast nach Kansas. »Geht nach oben! Shane, zeig ihr, wo's langgeht!«

Shane ignorierte ihn und stürzte an ihm vorbei in den Flur, um den Eingang zu bewachen. Michael wollte ihm folgen und trat in den heller werdenden Lichtschein des hinteren Fensters.

Er drehte sich, um hinauszuschauen, dann wandte er sich wortlos Claire zu. Sie sah blankes Entsetzen in seinen Augen. »Nein«, sagte er. »Nicht jetzt!«

Sie konnte nichts tun oder sagen, was ihm helfen könnte, das wusste sie. »Wie lange...?«

Sein furchterregender Gesichtsausdruck beantwortete die Frage so ziemlich, aber trotzdem sagte er: »Fünf Minuten. Vielleicht auch weniger. Verdammt!«

Als ob die Vampire das wüssten, ratterte es an dem Fenster, das mit dem Bücherregal verbarrikadiert war. Es hob und senkte sich unheilvoll, dann kippte es nach vorne. Michael sprang zwischen das Regal und den Boden, fing es auf und stellte es wieder gerade hin; dann sicherte er es wieder mit der Couch.

»Zurück nach oben!«, befahl Michael und sie zog sich zur Treppe zurück. Sie hörte Shane wieder im Flur kämpfen. »Claire, du und Eve müsst eine Möglichkeit finden, alles zu blockieren. Verbarrikadiert euch. Lasst Shane nicht...«

Sie war sich nicht sicher, wie der Satz weitergegangen wäre, denn er schnappte nach Luft und krümmte sich; sie wusste, dass jetzt alles verloren war. Er wurde blass. Und blasser.

Und löste sich in Nebel auf.

Er verschwand mit einem verhallenden, geisterhaften Schrei.

Eve kam schlitternd und mit großen Augen neben ihr zum Stehen. »Er ist weg«, flüsterte sie, als könnte sie es nicht glauben. »Er hat uns verlassen.«

»Er konnte nicht anders.« Claire nahm ihre Hand. »Komm, Eve, lass uns das Bücherregal über den Flur tragen. Wir müssen damit den Hauseingang blockieren.«

Eve nickte benommen. Es war, als wäre jeglicher Kampfgeist aus ihr gewichen, und Claire wusste, warum... Welche Hoffnung gab es jetzt überhaupt noch? Michael hatte die Dinge im Griff, aber ohne ihn...?

»Hilf mir«, sagte sie zu Eve und meinte es in jeder Hinsicht. Eve schenkte ihr ein winziges Lächeln und drückte ihre Finger.

»Natürlich helfe ich dir, das weißt du doch.«

***

Zu dritt schafften sie es, den Eingang ziemlich gründlich zu verbarrikadieren, indem sie das Bücherregal hineinzwängten und es mit zwei weiteren verkeilten. Sie schauten einander schwitzend, keuchend und ängstlich an.

Es wurde still. Sonderbar still.

»Nanu?« Eve schaute um die Ecke. »Ich sehe nichts...“

»Können wir in die Speisekammer?«, fragte Claire. »Ich meine, ich höre niemanden...«

»Zu riskant«, sagte Shane. Er nahm das Telefon von einem Haufen Schutt und wählte spontan eine Nummer, dann gab er es auf. »Sie haben die Leitungen gekappt.«

Eve zog ihr Handy aus der kleinen Tasche an ihrem Gürtel. Shane nahm es, überprüfte, ob es Empfang hatte, und hob seine Hand zu einer High five. Als sie einschlugen, wählte er bereits. »Komm schon«, murmelte er, ging auf und ab und lauschte. »Nimm ab, nimm ab, nimm ab...«

Er hielt abrupt an. »Dad? - Oh, shit, der Anrufbeantworter - Dad, hör mal. Ich bin's, Shane, ich bin in Michael Glass' Haus in Morganville und brauche das Sonderkommando. Mann, schaff dich her. Du weißt schon, warum.«

Er klappte das Handy zusammen und warf es Eve Zu. »Geht nach oben in das geheime Zimmer, ihr zwei. Michael? Bist du bei uns?«

Claire fröstelte in einem plötzlichen kalten Luftzug. »Er ist hier.«

»Pass auf sie auf«, sagte Shane. »Ich - ich habe so etwas wie einen Plan.« Er sagte das, als wäre er selbst von sich überrascht. »Mädels! Nach oben. Aber sofort!“

»Aber...«

»Los!« Er hatte wohl von Michael gelernt, Befehle zu brüllen, und es schien zu wirken, da sich Claire auf die Treppe zubewegte, ohne dafür eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben. Die Kälte blieb bei ihr und sie sah, dass auch Eve fröstelte.

Oben war es ebenfalls still, abgesehen davon, dass man Miranda in der Ferne an die Schranktür hämmern hörte. »Das gefällt mir nicht«, sagte Claire. »Oliver weiß, dass Michael nach Sonnenaufgang nichts mehr ausrichten kann, oder?«

»Ich weiß nicht«, sagte Eve und kaute an ihrer Unterlippe. Den Großteil ihres Make-ups hatte sie beim Schwitzen verloren oder es war verwischt; selbst ihre Lippen hatten jetzt ihre natürliche Farbe - zum ersten Mal, seit Claire sie kannte. »Du hast recht, es ist merkwürdig. Warum sollten sie gerade jetzt aufgeben?«

»Haben sie nicht«, sagte eine Stimme, die Claire zuerst auf dem Rücken prickelte, bevor sie ihr Gehirn erreichte. Die Tür zu Michaels Zimmer öffnete sich und eine lächelnde Monica Morrell kam heraus. Gina und Jennifer folgten ihr auf dem Fuß.

Sie hatten alle Messer in der Hand, und das war um einiges Furcht einflößender als bei Miranda, ganz gleich wie verrückt sie auch sein mochte.

Eve stellte sich zwischen Claire und Monica und begann, sie den Flur entlang zurückzudrängen. »Geh in dein Zimmer«, sagte Eve. »Schließ die Tür ab.«

»Wird nichts helfen«, sagte Monica und spähte um Eve herum. »Frag mich doch mal, warum. Los, frag schon!«

Das war nicht nötig. Sie hörte, wie sich hinter ihr die Tür öffnete, und wirbelte herum; ein Mann in Polizeiuniform trat mit gezückter Waffe in den Flur.

»Darf ich vorstellen: mein Bruder Richard«, kicherte Monica. »Ist er nicht süß?«

Vielleicht war er das, aber Claire hatte nur Augen für die große glänzend schwarze Waffe. Noch nie zuvor war eine Pistole auf sie gerichtet worden, es jagte ihr mehr Angst ein, als ein Messer es je vermocht hätte.

»Halt die Klappe, Monica«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf das Ende des Flurs. »Ladys, nach unten bitte. Wir wollen doch nicht, dass das blutig endet.« Mehr als alles andere schien er genervt zu sein, so als ob die Masseninvasion in ein Haus etwas wäre, das zwischen ihn und seinen Morgenkaffee geraten war.

Claire ging rückwärts, berührte Eve und flüsterte: »Was machen wir jetzt?« Die Frage richtete sich auch an Michael, für den Fall, dass es etwas half.

»Ich nehme mal an, wir gehen nach unten«, sagte Eve. Sie klang geschlagen.

Die Kälte lag stärker denn je auf ihnen. »Hm, ich glaube, das soll ein Nein sein?« Warme Luft rückte nach. »War das ein Ja?« Mehr warme Luft. »Machst du Witze, Michael? Hier oben bleiben?« Na, klasse. Er war ja schon ein Geist, aber wie sollten sie zu zweit drei Mädels mit Messern und einen Cop mit einer Knarre überwältigen? Eve fiel in Ohnmacht. Und sie spielte es so überzeugend, dass sich nicht einmal Claire völlig sicher sein konnte, dass sie nicht wirklich bewusstlos war. Monica, Gina und Jennifer schauten stirnrunzelnd auf sie hinunter und Claire beugte sich über sie und fächelte ihr Luft zu. »Sie hat einen Messerstich abbekommen«, sagte sie. »Sie hat eine Menge Blut verloren.« Sie hoffte, dass das eine Übertreibung war, aber sie war sich nicht so sicher, da das schwarze Handtuch von Eves Arm abgefallen war und völlig blutdurchtränkt aussah.

»Lass sie«, sagte Monicas Bruder. »Wir brauchen ohnehin nur dich.«

»Aber - sie blutet! Sie braucht...«

»Beweg dich!« Er schubste sie und fast wäre sie in das Messer gefallen, das Gina ihr entgegenstreckte. »Verdammt, Monica, halt dich gefälligst zurück, verstanden? Ich denke, ich werde mit einem kleinen Mädchen schon allein fertig!«

Monica blickte ihn finster an. »Oliver sagte, wir könnten sie haben, wenn es vorbei ist.«

»Yeah, wenn es vorbei ist. Aber es ist noch nicht vorbei, also scher dich gefälligst zum Teufel!«

Sie zeigte ihm den Mittelfinger und trat dann zurück, um Claire an sich vorbeizulassen. Sie ging so langsam sie konnte, wobei sie Weinkrämpfe und Zitterattacken vortäuschte, die sich nur allzu echt anfühlten, als sie erst mal damit angefangen hatte. »Siehst du?«, sagte Monica über ihre Schulter hinweg zu Jennifer. »Ich sagte doch gleich, sie ist ein Rohrkrepierer.«

Claire krümmte sich, stöhnte und erbrach sich sehr geflissentlich über Monicas Schuhen. Mehr war gar nicht nötig. Monica schrie vor Entsetzen und schlug auf sie ein, Gina packte sie, Jennifer trat beiseite und Richard, der von diesem plötzlichen Ausbruch weiblicher Gewalt völlig verwirrt war, trat ein paar Schritte zurück, um nicht der Falschen eine Kugel zu verpassen. »Hey!« Das war Shanes laute, zornige Stimme. Er stand auf der Treppe und schaute sie durch das Geländer an. »Genug jetzt. Ich gebe euch das verdammte Buch. Lasst sie in Ruhe.“

»Das ist nicht fair«, murmelte Monica und funkelte ihn an. Er funkelte zurück und sah aus, als würde er gern gegen seinen Grundsatz, keine Mädels zu schlagen, verstoßen, nur dieses eine Mal. Ganz genüsslich. »Richard, knall ihn ab.«

»Nein«, sagte Richard erschöpft. »Ich bin ein Cop. Ich erschieße nur jemanden, wenn ich den Befehl dazu erhalte, und du bist nicht mein Vorgesetzter.«

»Na ja, eines Tages werde ich es sein.«

»Dann werde ich ihn erschießen, wenn es so weit ist«, sagte er.

»Shane, richtig? Komm hier hoch.«

»Lass sie erst hier raus.«

»Geht nicht, also schwing deinen Hintern hier rauf, bevor ich beschließe, dass ich sie beide nicht brauche.« Richard spannte den Hahn seiner Waffe, um dies zu unterstreichen. Shane kam langsam die Treppe hoch; oben hielt er an. »Wo ist es?“

»Das Buch? Es ist in Sicherheit. Irgendwo, wo du es niemals finden wirst, wenn du mich sauer machst, Dick.«

Richard feuerte einen Schuss ab. Alle - selbst Monica - schrien auf und Claire sah schockiert an sich hinunter. Er hatte danebengeschossen. In Michaels Tür prangte ein kreisrundes, qualmendes Loch.

Oh. Er hatte doch nicht danebengeschossen.

»Junge«, sagte Richard träge. »Ich bin nicht in Stimmung. Ich habe seit sechsunddreißig Stunden nicht geschlafen, meine Schwester ist geistesgestört...«

»Hey!«, protestierte Monica.

»... und du bist nicht meine große Highschool-Liebe...«

»Er ist nicht meine Highschool-Liebe, Richard!«

»Der Punkt ist, du, deine Freunde oder deine Probleme kümmern mich einen Dreck, es geht hier für mich um nichts Persönliches. Monica wird euch umbringen, weil sie nicht ganz dicht ist. Ich werde euch umbringen, weil ihr mich dazu zwingt. Haben wir uns verstanden?«

»Haben wir«, sagte Shane, »aber das Buch kann ich...«

Richard zielte direkt auf Claire. Das machte keinen großen Unterschied, aber es kam ihr trotzdem vor, als würde sie jetzt direkt im Rampenlicht stehen, anstatt nur am Rand. Sie hörte Shane sagen: »Alter, war nur 'n Witz, okay? Nur Spaß!«

Sie wagte nicht, zu blinzeln oder ihre Augen von der Pistole abzuwenden. Wenn sie einfach weiterhin darauf starrte, würde ihn das irgendwie davon abhalten, sie zu erschießen. Sie wusste, dass das keinen Sinn ergab, aber...

Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Shane nach hinten griff und ein Buch hervorzog. Schwarzer Ledereinband. Oh nein. Er- will tatsächlich... das kann er nicht tun! Nicht nach all dem, was sie durchgemacht haben.

Dennoch wusste sie auch keine Lösung, wie er das hätte vermeiden können. Shane hielt die linke Hand hoch, um zu zeigen, dass sie leer war; mit der rechten hielt er die schwarze Bibel hoch.

»Ist es das?«, fragte Richard.

»Ich schwöre bei Gott.“

»Monica, nimm es!«

Sie nahm es und schaute Shane böse an. »Du bist nicht meine Highschool-Liebe, du Vollidiot!“

»Großartig. Dann kann ich ja in Frieden sterben.“

»Die nächste Person, die das Maul aufmacht und nicht meine Schwester ist, erschieße ich«, sagte Richard. »Monica?«

Sie öffnete die Bibel. »Da ist ein Loch drin und ein anderes Buch.« Sie hielt inne und starrte hinein. »Oh, mein Gott! Das ist es wirklich! Ich war mir sicher, sie verarscht uns!“

»Sie weiß es besser. Zeig her!«

Monica drehte die offene Bibel zu ihm und Claires letzte schwache Hoffnung schwand, denn sie sah, dass es tatsächlich der Einband mit dem zerkratzten, handgravierten Symbol war.

Shane hatte es getan. Er hatte es ausgehändigt. Irgendwie hatte sie mehr erwartet.

»So. Jetzt sind wir quitt, oder?«, fragte Shane angespannt. »Keine Schießerei oder so.«

Richard nahm die Bibel von Monica, schlug sie zu und klemmte sie sich unter den Arm. »Keine Schießerei«, stimmte er zu. »Ich meinte schon, was ich sagte. Ich werde euch nur töten, wenn ihr mich dazu zwingt. Nee danke, ich brauche den ganzen Papierkrieg echt nicht.«

Er ging an Shane vorbei zur Treppe und wollte hinuntergehen.

»Hey, warte!«, sagte Shane. »Wolltest du nicht deine Psycho-Schwester mitnehmen?«

Richard hielt an und seufzte. »Ja richtig. Monica? Lass uns abhauen.«

»Ich will nicht«, sagte sie. »Oliver hat mir versprochen, dass er sie mir überlässt.«

»Oliver ist nicht hier. Ich schon, und ich sage dir, dass wir jetzt gehen müssen. Sofort.« Als sie sich nicht rührte, wandte er sich um. »Komm schon, beweg dich, oder möchtest du gegrillt werden?«

Sie warf Claire und Shane hämisch eine Kusshand Zu. »Yeah. Viel Spaß beim Barbecue!«

Sie folgte ihrem Bruder nach unten. Gina folgte ihnen, nur Jennifer blieb zurück und sah trotz des Messers in ihrer Hand seltsam hilflos aus.

Sie beugte sich vor und legte es auf den Boden, hielt ihre Hände hoch und sagte: »Monica hat ein Feuer gelegt. Ihr solltet von hier verschwinden, solange ihr noch könnt, und machen, dass ihr abhaut. Wahrscheinlich wird euch das nichts nützen, aber - es tut mir leid.«

Und dann war sie weg. Shane sah ihnen einen Moment lang erstarrt nach, dann ging er hinüber und kniete sich neben Eve. »Hey. Bist du okay?«

»Ich mache nur ein Nickerchen«, sagte Eve. »Ich dachte mir, ihr würdet es vielleicht leichter haben, wenn ich unten bleibe.« Ihre Stimme zitterte jedoch. »Helft mir auf.«

Shane und Claire nahmen jeweils eine Hand und zogen sie hoch; sie schwankte benommen. »Habe ich das richtig verstanden? Du hast es ihnen tatsächlich gegeben?“

»Ja, stell dir vor, das hab ich. Und deshalb seid ihr zwei noch am Leben, also bitte schön. ihr dürft mich jetzt dafür hassen.« Er wollte noch etwas sagen, hielt dann aber inne und deutete mit dem Kopf den Flur hinunter.

Ein dünner Rauchfaden kräuselte sich unter Claires Zimmertür durch.

»Oh, mein Gott!«, keuchte sie und rannte hin; der Türknauf war heiß. Sie ließ ihn sofort wieder los und trat zurück. »Wir müssen hier raus!«

»Bildest du dir ein, sie würden uns gehen lassen?«, fragte Shane. »Außerdem lasse ich dieses Haus auf keinen Fall abbrennen. Was ist mit Michael? Er kann hier nicht raus!«

Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht, deshalb war sie wie vom Donner gerührt. Michael saß in der Falle. Würde er sterben, wenn das Haus abbrannte? Konnte er das überhaupt? »Feuerwehrautos!«, schrie sie. »Draußen stehen doch Feuerwehrautos...«

»Yeah, die sollen verhindern, dass alles andere hochgeht«, sagte Eve. »Glaub mir, das ist ihre einfache Lösung. Das Glass House geht in Flammen auf und mit ihm all seine Problem-Kids. Niemand wird uns helfen!«

»Dann müssen wir uns eben selbst helfen«, sagte Shane. »He, Michael! Bist du da?«

»Hier ist er«, sagte Eve. »Mir ist kalt.“

»Kannst du irgendetwas unternehmen?«

Eve sah verwirrt aus. »Ja? Nein? Oh. Vielleicht. Er sagt vielleicht.«

»Vielleicht ist nicht gut genug.« Shane öffnete die Tür zu Eves Zimmer und riss die schwarze Decke vom Bett. »Decken, Handtücher - was auch immer, bringt es ins Bad und weicht es ein. Oh, und lasst Miranda raus, okay? Hassen können wir sie auch später noch.«

Claire kickte den Stuhl unter dem Türknauf weg. Die Schranktür flog auf und Miranda schoss hustend heraus. Sie warf ihnen nur einen Blick zu und rannte zur Treppe.

»Meine Kleider!«, schrie Eve und riss einen Armvoll Kleiderbügel aus dem Schrank, rannte zu Michaels Zimmer und warf sie dort auf einen Haufen.

»Yeah, weiter so, Eve, konzentrier dich!«, brüllte Shane. Er ließ das Wasser im Bad laufen und Sekunden später war er mit einem triefnassen Bündel wieder bei ihnen. »Bleibt zurück!«

Er kickte die Tür auf; dahinter sah Claire Flammen an den Vorhängen bis zur Decke züngeln. Auch ihr Bett brannte. Es sah so aus, als hätte Monica dort das Feuer gelegt.

»Sei vorsichtig!«, schrie sie und zögerte, um Shane zuzuschauen, wie er die Vorhänge herunterriss, die nasse Decke über das Bett warf und damit begann, die Flammen auszutreten.

»Was stehst du herum!«, sagte er. »Decken! Handtücher! Wasser! Mach schon!«

Sie stürzte davon.