Wieder trägt sie ihre Mütze und hat die Jacke zugeknöpft. Ganz bekleidet finde ich sie übrigens genauso erotisch wie halb nackt auf der Tanzfläche. Der Motor meines Autos stottert an jeder Ampel, es klingt fast so, als würde er seinen letzten Atemzug tun und dann auf der leeren Kreuzung verenden. Mich im Stich lassen! Ich bemerke Mayas fragenden Gesichtsausdruck.

„Tut mir leid, das macht er manchmal.“

Wie gerne wäre ich jetzt mit Patricks Volvo hier. Der hat Sitzheizung und würde auch optisch etwas mehr hermachen. Jetzt sitzen wir in meinem roten Ford Fiesta mit der grauen Tür, weil mir da letzten Winter jemand reingefahren ist, und ich versuche, so viel romantische Stimmung zu schaffen, wie nur möglich.

„Ach, ich bin die S-Bahn gewöhnt, die ruckelt ja auch wie verrückt.“

„Du hast ja kein Auto.“

„Das lohnt sich für mich nicht. Außerdem spare ich wegen der Sache mit Barcelona. Ich verkaufe gerade alles, was ich nicht brauche.“

Zum Beispiel auch ihren Körper. Es liegt mir auf der Zunge, das zu sagen, aber ich schlucke es runter. Es geht mich nichts an. Bevor ich mich weiter durch die Stadt dirigieren lasse, erspähe ich plötzlich eine Neonwerbung für eine beliebte „Late Night-Spezialität“ und überlege mir, ob ich wirklich alles auf eine Karte setzen soll. Ich habe vielleicht noch zehn Minuten mit ihr in diesem Auto – oder ich traue mich endlich mal etwas.

„Hast du Hunger? Ich könnte dich auf einen Döner einladen.“

Wenn ich den Mut finde, sehe ich mal kurz zu ihr rüber, aber ich muss mich auf die Straße vor mir konzentrieren. Auch wenn das an einer roten Ampel nicht zwingend notwendig ist. Vielleicht schießt aus dem Nichts ein Reh über eine der verkehrsreichsten Straßen Stuttgarts, die noch dazu so weit weg vom Waldrand liegt, wie ich von Justin Bieber.

„Ich habe einen Riesenhunger. Sehr, sehr gerne. Aber ich zahle.“

Sie zwinkert mir zu, als ich sie endlich wieder ansehe und ein Grinsen nicht unterdrücken kann. Diese Einladung nehme ich so unendlich gerne an. Es bedeutet noch etwas mehr Zeit mit ihr.

„Oder vermissen dich dann deine Freunde?“

Was für Freunde, will ich sagen, aber ich zucke nur leicht mit den Schultern. Die würden doch wirklich nicht mehr merken, ob ich da war oder nicht. Die waren alle zu betrunken, ich hatte den Einstieg in den alkoholischen Teil des Abends verpasst. Ich bin nüchtern und trotzdem fühle ich mich irgendwie berauscht. Nur viel besser als bei einem Rausch aufgrund von Hefeweizen oder Rotwein. Ich fühle mich richtig gut.

Ich kenne jeden einzelnen Dönerladen in Stuttgart. Ich lebe schon mein ganzes Leben hier und habe so ziemlich in jedem Zustand das Fleisch im Fladen probiert, mit viel Soße und schön scharf. Ich weiß genau, mit dieser Wahl werde ich sie beeindrucken. Okay, vielleicht ist es nicht ganz das Restaurant eines Star-Kochs, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist, aber im Moment erscheint mir Döner Pinar am Rotebühlplatz perfekt für jeden Anlass. Und Maya in ihren Jeans, der schwarzen Jacke und der grauen Mütze, unter der sich ihre braunen Locken tummeln, sieht besser aus als jede aufgedonnerte Frau auf Stuttgarts Ausgehmeile, der Theodor-Heuss-Straße, zu dieser oder sonst einer Zeit.

Natürlich halte ich ihr die Tür auf und sie lächelt schüchtern. War das doof? Macht man das denn nicht mehr? Oder war das schon zu viel? Immerhin habe ich sie vor nicht mal dreißig Minuten nur im Tanga bekleidet gesehen.

Wir bestellen unseren Döner und setzen uns mit zwei Dosen Bier ziemlich weit nach hinten an die große Fensterscheibe. Hier haben wir unsere Ruhe, können aber alles sehen, was draußen passiert. Niemand in diesem Laden würde ahnen, wer wir sind und was wir hier machen. Ein bisschen sehen wir auch aus, also ob wir ein Date hätten – was ich toll finde.

„Auf uns!“

Wir stoßen lachend mit unseren Bierdosen an und geben uns große Mühe, nicht wie bekleckerte Vollidioten zu enden. Gibt es eine Möglichkeit, stilvoll einen Döner zu essen, um damit eine Frau zu beeindrucken? Wenn ja, dann ist es jedenfalls keines meiner Talente. In Anatolien beherrscht man diese Kunst vielleicht. Vielleicht haben sie ihren Exportschlager nur deswegen nach Deutschland gebracht, um uns deutsche Männer wie ungehobelte Spinner aussehen zu lassen! Ist ja auch total geschickt von uns, wenn wir verzweifelt versuchen, von allem etwas aus dem Inneren des Fladens zu schnappen, und uns dabei nicht einen Bart aus Knoblauchsoße ins Gesicht zu schmieren.

Mir tropft Soße vom Kinn und ich beuge mich weit über den Tisch, um meine Jeans vor verdächtigen weißen Flecken zu schützen, die mich nur in Erklärungsnot bringen würden. Sie lacht laut und mit vollem Mund. Gute Manieren muss ich also nicht zwingend an den Tag legen, und das entspannt mich gehörig. Für Maya ist das so einfach, so ungehemmt. Aber sie hat sich ja auch nicht gerade verliebt.

„Lach du nur ...“

Und genau das tut sie. Laut und selbstbewusst, als wären ihr die Blicke der anderen Gäste vollkommen egal. Ich kann nicht anders, ich bewundere sie, wie leicht sie das alles nimmt.

„Man kann Döner nicht essen, ohne sich einzusauen. Das weiß doch jeder.“

Sie nimmt die Serviette vom Tisch und tupft mir über den Mund und das Kinn. Ich erstarre, sobald sie mich berührt. Falls sie es bemerkt hat, lässt sie sich nichts anmerken, als wäre es das Normalste der Welt. Aber für mich ist es einer dieser magischen Momente. Ich sitze da, sehe sie an und bewundere erneut ihr Gesicht. Die Mütze liegt neben uns auf dem Tisch und ihre Locken tummeln sich wild um ihr Gesicht. Sie scheint es aufgegeben zu haben, die Mähne bändigen zu wollen. Wenn sich eine Locke in die Nähe des verschmierten Mundes verirrt, wird sie mit einer achtlosen Geste wieder hinters Ohr geklemmt. Ist sie sich denn nicht bewusst, wie wunderschön sie aussieht?

Es gibt Frauen, die ohne Zweifel wunderschön sind, wenn sie fünfundvierzig Minuten im Bad für sich alleine haben. Maya ist das genaue Gegenteil. Sie trägt zwar noch immer das etwas stärkere Augen-Make-up vom Tanz, aber sonst wirkt ihre Haut rein und zart. Nichts erinnert mehr an die verführerische Hüftenschwingerin von der Junggesellenparty vorhin. Sie könnte auch eine junge Studentin sein, die hier mit einem Mann einen Döner genießt. Erschrocken stelle ich fest, dass nicht mehr besonders viel von unserem Essen übrig ist. Vielleicht möchte sie dann ja schon nach Hause, und mir gehen die Ausreden aus. Ein Kaffee vielleicht noch, aber die Chance einer Ablehnung stehen gut. Ich werde unweigerlich traurig.

„Woran denkst du?“

Sie lehnt sich zurück in den Stuhl und zerknüllt den Rest des Döners in der Alufolie. Wenn ich ehrlich wäre, könnte ich ihr sagen, woran ich denke. An sie und niemanden sonst, aber so ehrlich kann ich dann doch nicht sein. Ich schaue peinlich berührt weg.

„Frag ruhig, Jonas. Die meisten wollen wissen, wie es ist. Ich habe damit kein Problem, ehrlich.“

Aber ihr Gesicht scheint das Gegenteil zu sagen. Die Augen werden schmaler, die Lippen verziehen sich zu einem strengen Strich. Sie versucht eine Mauer um sich aufzubauen, und so sehr ich wissen möchte wie es ist, ich habe Angst zu fragen.

„Ist das kein Problem für deinen Freund?“

Meine Stimme klingt fremd in meinen Ohren. Ich bin nicht sicher, wieso ich von allen möglichen Dingen ausgerechnet das gefragt habe. Ich hätte auch gefühlte hundert andere Fragen gehabt, aber diese war die erste, die ausbrechen wollte – und vielleicht war meine Neugierde ja tatsächlich stärker als mein Verstand.

„Ich habe keinen Freund. Mein letzter kam damit gar nicht klar, hat sich betrunken und wurde dann unheimlich aggressiv.“

Bilder flackern kurz vor meinem inneren Auge auf, ich verkrampfe mich automatisch. Er wurde aggressiv? Hat er sie geschlagen? Unwillkürlich bilden meine Hände Fäuste, und sie bemerkt es.

„Er hat mich nur einmal geschlagen, dann habe ich ihn vor die Tür gesetzt, keine Sorge. Ich bin ja nicht blöd.“

Ich nicke. Das habe ich sofort gemerkt. Wieso sie dann nicht irgendwo an einer Uni studiert, sondern stattdessen lieber einen solchen Job ausübt, werde ich vermutlich selbst nach einer Erklärung nicht verstehen.

„Naja, ich halte ohnehin nicht viel von Beziehungen.“

Oh. Sie ist also jemand, der sich nicht binden will. Das kommt mir vertraut vor. Jedes Mal, wenn eine Frau mich mit den Worten „Ist das jetzt eine Beziehung?“ zu einer klaren Aussage zwingen wollte, bin ich verschwunden. Auf Nimmerwiedersehen.

„Das passt doch ganz gut in deinen Lebenswandel, oder?“

Ich versuche, alles so zu fragen, dass sie auf keinen Fall meinen könnte, ich würde sie von oben herab betrachten. Allerdings fällt es mir auch verdammt schwer, ihren Job einfach nur als Job zu sehen.

„Du meinst, weil ich eine Prostituierte bin?“

Schulterzucken. Ich will es mir gar nicht bildlich vorstellen.

„Darum geht es mir gar nicht.“

Sie greift nach ihrer Bierdose und stellt fest, dass sie leer ist. Da, unser Date – so nenne ich es heimlich in meinem Kopf – neigt sich dem Ende entgegen.

„Hast du was dagegen, wenn wir noch eine Runde Getränke anhängen?“

Sie stellt die Frage nicht ganz so beiläufig wie vorhin. Begeisterung schießt durch meinen Körper, aber ich versuche das nicht zu offen zu zeigen.

„Klar. Diesmal zahle ich. Was darf es denn sein?“

„Eine Cola für zwischendurch.“

Einen kurzen Moment fühle ich mich einfach nur glücklich, schlendere an die Theke und bestelle zwei Cola. So ist es also, wenn man ein Mädchen ausführt. Ich habe so was viel zu lange nicht mehr gemacht.

Während ich auf die Getränke warte, schaue ich zu ihr rüber. Sie sortiert etwas in ihrem Rucksack, nimmt ihr Handy aus der Tasche und tippt eine SMS. Sie hat keinen Freund, sie will keine Beziehung und verbringt heute zumindest eine kleine Weile mit mir. Das ist alles irgendwie ganz anders gelaufen, als ich den Abend geplant hatte. Einen kurzen Moment habe ich ein schlechtes Gewissen und entscheide mich, Patrick eine SMS zu schreiben. Vermutlich ist er zu betrunken, um sie jetzt zu lesen, aber dann kann ich meine Hände in Unschuld waschen.

An: Pat Handy

Servus Pat, bin verhindert. Feiert schön. Erkläre es morgen! Jones

Das sollte reichen. Wir sind beste Freunde und erzählen uns alles in unausstehlichen Details. Damals, als Patrick die Weisheitszähne gezogen bekam, kam ich noch am selben Tag zu ihm nach Hause, um mir dort von meinem dickbackigen Freund die Geschichte über Blut, Schmerzen und Narkose anzuhören.

Als ich zum ersten Mal ein Mädchen geküsst habe, bekam Patrick in höchst feuchten Details die Geschichte über Zungenspiele und Hände auf Wanderschaft zu hören. Es gab nicht besonders viel, was wir voreinander verschwiegen. Aber Maya, das wollte ich ihm nicht erzählen. Wenn ich diesen Abend vor ihm in Worte fassen müsste, dann hätte ich sie quasi geteilt. Und das tat ich ja ohnehin schon mit anderen gesichtslosen Männern.

Die Cola ist zu kalt zum Trinken, und so drehen wir nur die Dosen in unseren Händen, während wir weiter über Gott und die Welt reden.

Sie will wissen, wie gut ich Patrick kenne, wo wir uns kennengelernt haben und was meine Rede für die Hochzeit macht.

Ich hingegen versuche mehr über ihre Liebe zu Barcelona zu erforschen und wieso sie kein Problem damit hat, vor Männern zu tanzen. Sie beantwortet die Fragen ohne langes Zögern und weiß doch ganz genau, dass es mir nicht ums Tanzen geht. Sie ist jung, hübsch, clever. Wieso muss sie das machen?

„Heiraten. Das ist doch irgendwie strange, oder?“

„Wieso?“

„Du legst dich dann so unwiderruflich fest. Dieser eine Partner und nie mehr jemand anderes.“

Ich muss grinsen. Sie scheint einfach das Gleiche zu denken wie ich. Auch ich habe mich gewundert, wie man sich so früh im Leben auf eine bestimmte Person einigen kann. Man weiß doch gar nicht, wer einem morgen über den Weg läuft.

„Ich sehe das genauso.“

Sie lehnt sich über den Tisch zu mir, als wolle sie mir ein Geheimnis mitteilen. Also tue ich es ihr gleich und beobachte ihre Augen, die ganz geheimnisvoll glitzern.

„Ich habe da so meine eigene Theorie ... willst du sie hören?“

Sie könnte mir auch die Geschichte von Peterchens Mondfahrt erzählen und ich würde vor Staunen kaum den Mund schließen können. Ein Nicken ermutigt sie zum Erzählen.

„Fünf Tage.“

Ich warte auf die Fortsetzung, aber es scheint bei diesem Satz zu bleiben.

„Aha. Eine sehr ausgefeilte Theorie, ich muss schon sagen.“

Sie grinst mich breit an und scheint ihren Wissensvorsprung zu genießen. Für sie scheint dieser Satz die perfekte Zusammenfassung der Geschichte, aber man erzählt den Inhalt von „The Sixth Sense“ ja auch nicht mit: „Er ist tot.“

„Gibt es dazu denn keine etwas aufschlussreichere Version?“

„Doch sicher, aber ich weiß ja nicht, wie viel Zeit du noch hast.“

Sie sieht zur Uhr an der Wand neben uns.

„Mach dir keine Sorgen, Patrick weiß Bescheid. Und bei dir?“

„Ach, eine Freundin wollte mich aufsammeln, aber die erreiche ich nicht.“

„Wenn du kein Problem damit hast, mit mir hier zu sitzen?“

Sie schüttelt lächelnd den Kopf und löst den Schal um ihren Hals. Das wird immer besser. Es scheint ihr bei mir zu gefallen. Ich strahle und bin gespannt. Dieser Abend hält vielleicht doch mehr für mich bereit, als Patricks Party und den anschließenden Nachhauseweg in betrunkenem Zustand.

„Aber nur damit du dir keine Hoffnungen machst ... zwischen uns wird heute Nacht bestimmt nichts laufen. Ich habe meinen freien Tag.“

Sie verpackt es in einem Witz und ich lache mit, weil ich zeigen will, wie leicht es mir fällt, mit ihrem Job umzugehen. Ich will nicht wie ihr Ex sein, auch wenn ich ihn bereits zu gut verstehe.

„Keine Sorge, ich habe sowieso kein Interesse.“

Wenn ich mit dieser offensichtlichen Lüge durchkomme, dann verleihe ich mir selbst einen Oscar. Sie mustert mich und grinst breit.

„Wieso flirtest du dann den ganzen Abend mit mir?“

„Das mache ich doch gar nicht!“

Zumindest versuche ich es nicht zu tun, was mir bei ihrem Anblick schwer genug fällt.

„Schade eigentlich. Also, meine Theorie. Wir Menschen sind ja für eine Partnerschaft gemacht.“

Ich bin noch immer etwas verwirrt über das „schade eigentlich“ … Aber auch was sie danach sagt, macht keinen Sinn.

„Ach, jetzt doch?“

„Sicher. Allerdings eben nur für fünf Tage.“

„Wieso denn ausgerechnet fünf Tage?“

„Fünf, vier oder drei, ist doch egal. Aber mehr als fünf sind es nie. Ist doch ganz einfach. In den ersten fünf Tagen ist alles perfekt. Du, sie, ihr. Alles. Du gibst dir Mühe, nicht zu rülpsen, räumst deine Socken weg ... und dann?“

„Was ist dann?“

„Dann kommt der Alltag dazu. Dann pupst du auf dem Sofa, trinkst Bier und flirtest mit der blonden Bedienung im Club. Stimmt’s?“

„Stimmt.“

„Siehst du? Aber in den ersten fünf Tagen ist alles perfekt. Das ist die schönste Zeit der Liebe, und so wirst du immer denken, Liebe ist schön.“

„Das ist aber eine sehr vage Theorie.“

„Ist sie gar nicht!“

Ihre Stimme klingt bockig, wie ein vierjähriges Mädchen. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und schmollt.

„Wenn deine Theorie der Wahrheit entsprechen würde, frage ich mich, wieso es dann Paare gibt, die silberne oder gar goldene Hochzeit feiern?“

„Die lügen sich an. Oder arrangieren sich eben. Aber ist das wirklich das, was man unter Liebe versteht?“

„Gute Frage. Ich war noch nie so lange mit einer Frau zusammen.“

„Und wieso nicht?“

„Weil ... also ... ich meine ... na ja ...“

Sie lacht und wirft ihren Kopf in den Nacken, ihre Locken tanzen um ihr Gesicht. Sie sieht so hübsch aus, ich würde ihre Lippen so gerne küssen. So gerne!

„Du bist auf meiner Seite. Meine Theorie stimmt, und du weißt es auch.“

„Aber du musst zugeben, es gibt dann ziemlich viele Paare, die deine Theorie relativieren.“

„Romeo und Julia.“

„Beide tot.“

„Und das Traumpaar aller Liebesgeschichten schlechthin, oder etwa nicht?“

„Gut möglich. Und weiter?“

Wenn sie so redet und nachdenkt, wie sie es jetzt tut, dann bildet sich eine Falte genau in der Mitte der Stirn zwischen den Augenbrauen.

„Unterm Strich hatten sie nur fünf schöne Tage zusammen. Dann wurde er verbannt und sie sind gestorben.“

„Okay.“

„Titanic.“

Ich lasse meinen Kopf auf die Tischplatte fallen. Die größte Schnulze, durch die ich mich jemals im Kino habe durchquälen müssen. Nie wieder werde ich mich in einen Film zerren lassen, in dem es um ein Schiff und Leonardo di Caprio geht.

„Tu nicht so, du hast den Film doch auch gesehen.“

„Leider!“

„Fünf Tage! Mehr hatten Jack und Rose doch auch nicht. Zack, Boom. Schiff geht unter, er erfriert.“

„Tragisch. Zwei Tage hätten denen auch gereicht.“

Sie schlägt mir spielerisch gegen den Arm und packt meinen Kopf an den Haaren, um mich so zu zwingen, sie wieder anzusehen.

„Nicht mal fünf Tage. Die Brücken am Fluss.“

„Du hast dir ja eine ganze Reihe Hollywood-Filme als Beweismittel rausgesucht.“

„Zufall. Die Literatur hat mir auch genügend Beispiele in die Hand gespielt. Es ist einfach nur eine Theorie, die wahr ist. Oder?“

„Ich habe Angst, du tust mir weh, wenn ich nein sage. Von daher gebe ich zu, dass etwas an dieser Theorie dran ist. Auch wenn sie unterm Strich kompletter Schwachsinn ist.“

Aber sie scheint so sehr an ihre Theorie zu glauben, dass sie entschlossen den Kopf schüttelt.

„Es funktioniert nur so. So bleibt man als Paar perfekt und genießt alle Hochs einer Beziehung.“

Irgendwie sieht sie dabei traurig aus.

„Fünf Tage sind aber eine Menge, wenn man es richtig anstellt.“

Ein billiger Versuch, sie aufzumuntern, aber ich scheine Erfolg zu haben und werde mit einem Lächeln belohnt.

„Wer weiß?“

Sie wirft wieder einen Blick auf die Uhr und dann ist es soweit. Ich muss Abschied nehmen.

„Ich muss nur leider echt los, Jonas. Auch wenn ich gerne noch hier mit dir sitzen würde.“

„Schon klar. Kein Problem.“

Ich sehe zu, wie sie Schal, Mütze und Jacke wieder anzieht. Natürlich drängt sich mir die Frage auf, ob es vielleicht das letzte Mal ist, dass ich sie sehe.

„War wirklich ein schöner Abend. Danke für die Cola und all das hier.“

„Du bist doch bestimmt sonst Besseres gewöhnt.“

Ich meine es nicht so, wie es vielleicht rüberkommt, ich habe nur einen Moment nicht nachgedacht. Dabei habe ich doch den ganzen Abend versucht, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich Probleme habe. Probleme wegen dem Wort Prostituierte.

„Nicht immer.“

Sie steht auf, ich tue es ihr gleich, bleibe direkt vor ihr stehen. Sie lächelt.

„Jonas Fuchs. Es war wirklich schön, dich kennengelernt zu haben.“

Sie streckt sich etwas und küsst mich sanft auf die Wange. Ich will zum zweiten Mal an diesem Tag die Zeit anhalten. Zum zweiten Mal wegen ihr.

„Es war mir eine Freude, dich kennengelernt zu haben, Maya Schreiner.“

Als sie mich wieder ansieht, will ich sie küssen. Ich muss sie einfach küssen. Alles in mir will sie küssen, umarmen und nie mehr loslassen. Ich bin verliebt wie ein verrückter Teenager. Schlimmer noch – sie hat keine Ahnung davon.

Ich winke ihr durch die Scheibe ein letztes Mal zu und sehe ihr nach, bis sie auf der Rolltreppe der U-Bahnstation verschwunden ist, dann lasse ich mich auf den Stuhl vor mir fallen.

Dies war der bisher verrückteste Abend des Jahres und ich habe das Gefühl, noch immer Karussell zu fahren. Alles dreht sich irgendwie, und obwohl ich wirklich traurig bin, weil sie jetzt wieder weg ist, freue ich mich wie ein Schneekönig, weil sie eben noch hier war. Weil sie meine Wange geküsst hat, weil sie mich „Jonas Fuchs“ genannt hat und sich freut, mich getroffen zu haben.

Bin ich eigentlich blöd, sie so einfach gehen zu lassen?

5 Tage Liebe
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