Ein Blick auf die Liste lässt mich zufrieden lächeln. Nach dem lustigen Zug durch die Stadt, bei dem sich Patrick gehörig zum Affen machen wird, ist ein Raum in einem angesagten Club gemietet. Das kostet uns ein kleines Vermögen, aber es ist nichts verglichen mit den unzähligen Gehirnzellen, die ich während Patricks Schulbalzerei wie Konfetti weggeworfen habe.

Die Getränkepreise habe ich auf ein faires Level gehoben und auch der DJ, der zum Glück ein guter Freund ist, sollte uns mit genug tanzbarer Musik beschallen. Soweit steht alles. Die Gäste wissen Bescheid, die T-Shirts sind bestellt und werden morgen früh von einem Kumpel abgeholt. Der letzte Punkt auf der Liste ist dann noch die Entkleidungskünstlerin, die wir zur Tarnung nur „Tänzerin“ nennen wollen, um möglichst wenig Ärger mit der weiblichen Gegenseite zu bekommen. Eine Stripperin muss her, aber ich gestehe, wenig Erfahrung mit genau diesen Frauen zu haben. Sicher, gesehen habe ich einige, aber kenne ich welche? Nein. Zumindest nicht persönlich.

Vermutlich bin ich die ganze Sache falsch angegangen. T-Shirts kosten so ihr Geld, genauso die Miete eines Hinterzimmers im Club ... Woher hätte ich ahnen können, dass eine Frau, die sich vor lüsternen und betrunkenen Männer auszieht, so verdammt viel Geld verlangen darf? Das wäre vielleicht noch das kleinste Problem. Aber die Ansprüche? Ich sage ja, Frauen! Kennst du eine, kennst du alle. Aber alleine diese Erkenntnis löst noch lange nicht mein Problem. Mit genug Alkohol würde ich vielleicht eine alte Freundin dazu bringen, sich auszuziehen; allerdings wäre das weder erotisch noch im Takt der Musik, also scheitert auch mein Plan B.

Und dann fällt mir Moritz ein. Moritz und mich verbindet eine ganz seltsame Freundschaft. Eigentlich kennen wir uns nur von verschiedenen Gesprächen an der Theke, meistens ist dann einer von uns betrunken, oder wir sind es beide. Ich beneide ihn um seinen Job. Er ist Rausschmeißer in einem Strip-Club, der eigentlich ein Bordell ist. Er kennt alle Frauen, nackt wie angezogen, und darf gratis gerne ihren Brüsten zusehen, wie sie sich beim Tanzen auf und ab bewegen. Welcher Mann würde ihn da nicht beneiden?

Irgendwo habe ich seine Nummer auf einem Bierdeckel, so wie ich die meisten meiner Kontakte notiere, die ich nach unzähligen Kneipentouren dann daheim auf dem Schreibtisch sammle und nie sortiere, auch wenn ich es mir zu Silvester immer vornehme. Moritz könnte mir vielleicht helfen, einen Freundschaftspreis bei einer der Damen zu bekommen, immerhin hat er einen guten Draht zu ihnen. Sie sehen ihn als Beschützer und harmlosen Freund, wie er es mir beschreibt. Er selbst schaut gerne zu, wenn sie tanzen, aber er hat sie nie angemacht oder sexuell begehrt. Verwirrend, aber ich denke, das ist wie bei einem Kuchenbäcker. Wenn man den ganzen Tag mit dem Süßkram zu tun hat, will man abends nicht auch noch eine Sachertorte ohne Sahne auf dem Teller haben.

Jetzt ist Moritz meine Rettung, denn er nennt mir ein Mädchen. Sie nennt sich „Lucy“ und würde oft mal auf Partys tanzen, für rund hundert Euro, was in meinem Budget noch enthalten ist. Ich soll sagen, ich sei ein Freund von Moritz, und ich soll sie ja gut behandeln. Perfekt, genau das werde ich noch schaffen. Aber ob sie so kurzfristig Zeit hat?

„Maya Schreiner?“

Ich werfe einen erneuten Blick auf die Nummer, die ich neben dem Namen Lucy notiert habe. Gut, Zahlen mögen nicht meine Stärke sein, aber ich war mir sicher, Moritz genau zugehört zu haben.

„Oh. Verzeihung, ich muss mich verwählt haben.“

„Zu wem wollten sie denn?“

„Zu einer gewissen Lucy.“

Ein kurzes Frauenlachen ist zu hören. Es klingt jung.

„Ich bin Lucy. Allerdings ist das nicht mein richtiger Name. Wie kann ich Ihnen denn helfen?“

Jetzt verstehe ich und wundere mich über meine Naivität. Als ob sie sich mit „Hier spricht Lucy und ich ziehe mich für dich aus, wenn du mir hundert Euro in den Schlüpfer schiebst“ melden würde.

„Ich habe Ihre Nummer von Moritz, ich bin ein Freund von ihm.“

Das ist nur minimal gelogen, aber er selbst hat mich ja zu dieser Notlüge aufgefordert. Wenn so meine Chancen gut stehen, billiger an nackte Haut zu kommen, umso besser.

„Aha, verstehe. Nun, ich arbeite heute nicht, vielleicht können wir aber einen Termin nächste Woche finden.“

„Termin?“

„Ja. Sind Sie kein Freier?“

Ouch, Moment mal. Wie? Freier? Ich? Ja, ich war frei, aber nein, ich musste bisher noch kein Geld für Sex zahlen. So weit war ich dann doch nicht, obwohl das manchmal bestimmt leichter wäre, als eine Frau mit Komplimenten zu überhäufen, in der Hoffnung, mit nach Hause und am besten noch ins Bett genommen zu werden.

„Oh nein, nein, das haben Sie missverstanden.“

Oder hatte ich etwas missverstanden? Ich wollte eine Tänzerin und keine Nutte.

„Ich bin auf der Suche nach einer Tänzerin für den Junggesellenabschied meines besten Freundes.“

So ausgesprochen klingt es wie eine peinliche Ausrede, weil ich bei dem Wort „Freier“ so erschrocken bin. Aber nein, es ist keine Lüge. Ich suche wirklich nur ganz harmlos eine Tänzerin.

„Sie meinen eine Stripperin.“

Okay, ja, ich meine natürlich eine Stripperin, aber ich habe mich schon an das Wort Tänzerin gewöhnt und finde, es wertet auch die Dame etwas auf, oder nicht? Himmel, da will man mal nett sein.

„Richtig.“

„Nun, dann sind Sie auch richtig. Ich strippe auch bei Gelegenheit. Wann wäre das denn?“

Wieso habe ich mir eine verruchte Stimme vorgestellt? Kratzig vom vielen Alkohol und den Zigaretten? Aber Lucy – also Maya – hat eine klare Stimme. Sie klingt so, als ob sie lächeln würde, während sie spricht.

„Etwas kurzfristig. Schon morgen Abend.“

Pause.

Ich warte.

Pause.

Ich höre ein Rascheln.

„Okay, morgen Abend hätte ich Zeit.“

„Wirklich? Das ist toll. Was würde der Spaß denn kosten?“

„Hundertzwanzig Euro.“

Hm.

Pause.

Ich denke nach.

Pause.

„Ich kann auch hundertfünfzig Euro sagen. Weil es so kurzfristig ist.“

„Hundertzwanzig sind perfekt.“

„Okay. Und ich habe ein paar Bedingungen.“

„Die da wären?“

Ich habe in den letzten zwei Tagen so viele Bedingungen gehört, von „ … nur wenn Paul Kalkbrenner auflegt ….“ über „Ich brauche eine weiße Couch in meiner Garderobe!“ bis hin zu „Zahlen Sie auch das Koks?“ Ich bin auf alles gefasst.

„Es werden keine Fotos oder Videos gemacht. Und niemand fasst mich an. Ich fasse an. Und das nur, wenn ich es will.“

Das klingt für mich vernünftig mit einem Schuss Professionalität.

„Alles klar. Das wäre kein Problem.“

„Okay, dann ist das ein Deal.“

Grinsend streiche ich den letzten Punkt auf der Liste vor mir durch und bin zufrieden mit mir. Ich habe es geschafft. Das wird eine Sause, die keiner von uns so schnell vergessen wird.

„Eine Frage noch.“

Vermutlich würde sie jetzt mit dem Haken rausrücken.

„Die da wäre?“

„Könnte ich abgeholt werden? Ich habe kein Auto.“

„Sicher. Wo denn?“

„Am Rotebühlplatz? Wäre das möglich, so bis kurz nach 22 Uhr? Ich hab da meinen VHS-Kurs Spanisch.“

Ich notiere mir die Adresse, die sie nennt und ihren Namen. Maya Schreiner. Das klingt so gar nicht nach Lucy, ihrem Alter Ego auf der Tanzfläche. Ich bin gespannt, was Patrick sagen wird.

Sie beschreibt sich kurz und ich denke, ich werde sie finden. Für den Notfall tauschen wir Handynummern aus. Somit steht dem perfekten Abschied nichts mehr im Wege. Ich habe zwar noch keinen Anzug für die Hochzeit, aber das ist jetzt nicht das größte Problem.

Mit Vorfreude und etwas Wehmut lege ich mich ins Bett und frage mich, wie schnell die letzten zehn Jahre vergangen sind und wie sehr wir uns alle verändert haben. Als ich über das Bettlaken neben mir streiche, wird mir einmal mehr bewusst, dass ich seit über sechs Jahren keine Frau mehr mit nach Hause gebracht habe. Ich bin neben verschiedenen Gesichtern aufgewacht, und nicht immer war die Erinnerung an das Vergangene so greifbar. Aber zu mir nach Hause? Nein, irgendwie wollte ich das haben, was Patrick Morgen für Morgen erleben durfte: in das Gesicht seiner Traumfrau schauen. In das Gesicht der Frau, die er aufrichtig liebt und schon immer geliebt hat.

Also blieb die Seite in meinem Bett leer.

 

Die T-Shirts sehen genauso albern aus, wie wir uns fühlen. Das Schöne ist, der Aufdruck entschuldigt unser ganzes Verhalten. Wir lachen zu laut, wir reden zu laut, wir stolpern, weil wir vor Lachen kaum aufrecht stehen können. Sogar der erhöhte Alkoholgenuss wird durch den Aufdruck „Patrick ist so gut wie unter der Haube“ entschuldigt. Belustigte Blicke begleiten uns, manch ältere Herren scheinen mitleidig zu nicken, als wüssten sie genau, was auf den guten Jungen zukommt.

Wir sind wie junge Hunde, wir tollen umher, bellen und wollen nach allem schnappen, aber wir tun niemandem etwas. Wir wollen nur spielen. Und das tun wir auch. In mancher Kneipe bekommen wir Getränke umsonst, dafür singen wir kleine Ständchen auf Wunsch der Gäste. Wir sind weit davon entfernt, eine Boyband zu sein, aber irgendwie haben wir Charme, denn wir gewinnen einen Haufen Getränke. Damit könnte sich die siebte Klasse einer Hauptschule unserer Wahl locker ins Koma saufen.

Ich muss mich bremsen, immerhin muss ich noch Auto fahren, auch wenn die anderen das noch nicht wissen. Ich muss die Tänzerin abholen, die mir heute Morgen von Melanie noch einmal strengstens verboten wurde.

„Jonas, ich meine das wirklich ernst. Wenn sich eine Schlampe vor meinem zukünftigen Mann auszieht, dann gibt es Ärger. Und zwar für dich!“

Ich hatte gelacht und hoch und heilig versprochen, keine Stripperin zu engagieren. Natürlich war das eine weitere Lüge, aber manchmal muss ein Mann eben tun, was ein Mann tun muss. Ich könnte Melanie auch die Wahrheit sagen. Eine Stripperin, die offensichtlich auch Nutte ist. Wie gut ich dann wohl davongekommen wäre? Vermutlich ohne Penis, Kopf und Arme. Aber das Risiko muss ich nun mal eingehen. Aus reinem Selbstschutz werde ich trotzdem niemandem von Lucys alias Mayas Berufswahl erzählen. Tänzerin, das klingt schön klassisch und fast schon schüchtern. Ein wenig nach Ballettausbildung.

Die Stimmung ist ausgelassen und gut. Patrick genießt den Abend in vollen Zügen, und da ist es wieder: dieses Gefühl, zurück auf der Schule zu sein und über nichts nachdenken zu müssen. Heute ist wieder alles herrlich einfach. Wir trinken Bier, erzählen uns schmutzige Witze und lachen hysterisch dazu. Soll noch mal einer sagen, wir Männer können uns nicht wie Weiber benehmen.

Kurz vor zehn verabschiede ich mich mit der Ausrede, noch etwas besorgen zu müssen. Keine echte Lüge, und schon fahre ich durch die Nacht auf der Suche nach einem Parkplatz vor dem VHS-Gebäude, direkt in der Stadtmitte. Ich hoffe, dort kurz anhalten zu können und, noch wichtiger, sie hoffentlich zu erkennen. Dunkle lockige Haare, klein und zierlich mit einer grauen Strickmütze. Eine genauere Beschreibung konnte ich wohl nicht bekommen. Vom Gefühl her ist das der Look, den jedes Mädchen gerade trägt. Es ist noch ziemlich kalt für Anfang April. Wieso Frauen auch alle den gleichen Geschmack haben müssen? Verwirrend! Ebenso wie die Marotte, zusammen aufs Klo gehen zu müssen. Halten Mädchen beim Pinkeln denn wirklich Händchen?

 

An der Kreuzung am Rotebühlplatz fahre ich langsamer und parke verbotenerweise am Bürgersteig. Zu meinem Glück steht nur ein zierliches Mädchen mit dunklen lockigen Haaren und einer grauen Strickmütze vor dem großen Gebäude. Ich winke aus dem Autofenster und sie versteht, dass ich sie meine. Mit schnellen Schritten kommt sie zu mir herüber und lächelt.

„Jonas?“

„Genau der bin ich.“

Zu mehr bringen wir es erst mal nicht, weil der Wagen hinter mir hupt. Offensichtlich stehe ich ihm im Weg, aber bevor ich eine Handbewegung machen kann, die ihm zeigt, was ich von seiner Aktion halte, dreht sich Maya schon zu ihm um.

„Hör mal, du Idiot, hupen ist ja wohl nicht das Verhalten eines Gentleman, wenn eine Frau mit einem Mann am Auto redet, was?“

Ich bin nicht nur über die Wortwahl erstaunt, sondern auch über die Lautstärke ihres Organs. Wer hätte gedacht, dass in so einer kleinen Person so ein Volumen steckt? Ich erwische mich beim Lächeln, als sie um den Wagen läuft und schließlich einsteigt.

„Sorry, aber ich hasse es, wenn ich angehupt werde.“

Anhupen verboten, aber als Prostituierte arbeiten. Irgendwie eine nette Prioritätenverteilung. Ich werde es mir merken.

„Kein Problem.“

Ich versuche, ihr Gesicht im Dunkeln des Autoinneren etwas besser zu erkennen, aber ich erahne nur ein zierliches Mädchengesicht, große Augen und eine Stupsnase. Wenn man zum ersten Mal mit einer Prostituierten im Auto sitzt, dann ist das ganz anders, als man es sich immer vorstellt. Ich bin sicherlich nicht auf den Mund gefallen, aber im Moment will mir kein Thema einfallen, das unverfänglich genug wäre. So viel also zum Ausspruch: „Wir coolen Kerle können jederzeit mit jeder Situation umgehen“. Auch ich werde also noch eines Besseren belehrt.

„Soll ich dir das Geld gleich geben?“

„Das machen wir, wenn wir dort sind. Kein Ding. Konzentriere dich ruhig auf die Straße.

Ich nicke. Okay, so endet der erste Anlauf also. Ich wünsche mir, Probleme beim Schalten zu haben. So hat es Richard Gere damals gemacht. Aber da ich mit der Gangschaltung meines Wagens mehr als vertraut bin, muss ich mir etwas Besseres einfallen lassen.

„Spanisch, hm?“

Ich erinnere mich, wieso sie in der VHS war. Zumindest hatte sie das am Telefon erwähnt.

„Ja. Unbedingt. Ich liebe diese Sprache und muss sie ein wenig auffrischen.“

„Urlaub?“

„Ich würde gerne mal wieder nach Barcelona.“

Barcelona, eine unglaublich schöne Stadt, in der auch ich mir ein Leben vorstellen könnte – wenn mich jemand fragen würde. Komischerweise tut das niemand, deswegen bin ich noch immer hier. Was nicht schlimm ist, ich mag es ja hier. Aber alleine die Antwort „Ich lebe in Barcelona“ würde doch als Anmachspruch die Frauen reihenweise beeindrucken. Blöd nur, dass mein Spanisch gerade mal reicht, um die für Barcelona falsche Fußballmannschaft anzufeuern. Wobei ...

„Da hilft dir Spanisch aber nicht besonders.“

Sie sieht mich fragend von der Seite an. Ich möchte nicht jetzt schon wie ein kompletter Klugscheißer daherkommen. Ein Vorwurf, den ich übrigens häufig zu hören bekomme.

„Naja, die sprechen dort doch eher Katalanisch.“

„Ja, das stimmt auch wieder, aber das habe ich direkt nach der ersten Stunde aufgegeben. Da komme ich nicht mit.“

Sie lacht, und ich lache auch. Wieso eigentlich? Weil ich ein netter Typ bin und gerade versuche, Konversation zu betreiben? Wenn meine Mutter mich jetzt sehen würde, ich wäre vermutlich für immer enterbt. Auf Ewigkeit. Ich und eine Nutte! Wobei sie selbst sehr viel von Richard Gere hält – und der hat ja nun auch eine Nutte damals mit ins Auto genommen, sogar noch mit ins Hotel. Wieso denken wir alle bei dem Wort Nutte direkt an Julia Roberts und Richard Gere? Sind wir so sehr von der Filmwelt beeinflusst?

„Ich habe mir dich ganz anders vorgestellt.“

Etwas überrascht sehe ich sie an. Wieso hat sie sich denn vorgestellt, wie ich aussehen könnte? Und wenn sie es schon getan hat, komme ich jetzt besser oder schlechter weg?

„Und das bedeutet ... ?“

Sie zuckt die Schultern und grinst frech. Frauen schaffen es aber auch immer wieder, uns komplett im Dunkeln tappen zu lassen. Diese Reaktion könnte beides bedeuten.

„Also um ehrlich zu sein, ich dachte du bist dicker. Und blond. Und irgendwie ... ungepflegt.“

Ehrlichkeit scheint bei ihr ganz oben auf der Liste der Eigenschaften zu stehen, die man in den ersten vier Minuten des Kennenlernens zeigen sollte. Ich bin nicht dick. Blond bin ich auch nicht. Ungepflegt ... nun ja, ich bin faul, was die Beseitigung des Haarwuchses im Gesicht angeht.

„Danke auch.“

Ich trage meine braunen Haare im Moment etwas zu lang für den Geschmack meiner Mutter. Allerdings bin ich noch weit davon entfernt, als Heavy-Metal-Fan durchzugehen. Aber es sind nicht nur die Haare, die meine Mutter wahnsinnig machen. Ihr passt weder mein Ohrring (ein Überbleibsel meiner Jugendrebellion), noch das Tattoo an meiner Wade. Sonst beschwert sie sich gerne über die Jeans, die ich anscheinend immer etwas zu tief trage, und die T-Shirts. Mit Hemd und gut sitzender Stoffhose würde ich doch auch mal eine gute Figur machen. Ich kann nichts dafür, dass ich ihrem Schönheitsideal nicht ganz zu entsprechen scheine. Sie fand immer, Patrick wäre ein besonders attraktiver Mann. Das ist auch leicht. Immerhin erinnert er jetzt mit seiner leicht verstrubbelten Haarpracht etwas an David Beckham, die Stilikone der Fußballwelt. Ich hingegen eher an einen hängengebliebenen Surfer-Fan, der sich davor drückt, endlich dreißig zu werden.

„Wieso? Ich finde das so viel besser.“

Maya erinnert mich daran, dass ich ja noch eine Beifahrerin habe. Obwohl ich nicht lächeln will, muss ich es doch tun. Sie findet also, ich sehe gar nicht so übel aus, oder? Nun, sie wird von Patrick bei Weitem mehr begeistert sein.

„Du bist sicher auch der Trauzeuge, oder?“

„Bin ich. Und das macht mich schon ein bisschen nervös.“

„Wegen der Rede? Die Verantwortung?“

„Genau! Ich meine, er ist mein bester Freund. Man wird bestimmt erwarten, ich würde unheimlich viel über uns erzählen, die Mischung treffen zwischen witzig und emotional.“

„Du redest nicht gerne frei vor Menschen, oder?“

„Eigentlich habe ich damit kein Problem. Solange es Fremde sind.“

„Oh, das kenne ich.“

Sie sieht aus dem Fenster und die Straßenlampen werfen kurze Lichtkegel auf ihr Gesicht. Nach wenigen Sekunden, in denen ich sie unbemerkt beobachte, sieht sie zu mir herüber.

„Ich ziehe mich vor Fremden sehr leicht aus. Wenn ich die Person aber kenne, dann wird es zum Problem.“

Wieder dieses helle Lachen, und wieder muss ich mitlächeln. Ich hatte mir das alles doch etwas schwerer vorgestellt. Aber sie macht es mir wirklich leicht. Ich kann gut mit Frauen umgehen. Zumindest rede ich mir das ein. Es ist leicht, einfach nur ein bisschen reden, ein paar Komplimente hier und da und alles schön unverbindlich halten.

„Ich würde mich nur vor guten Freunden ausziehen. Aber auch das nur mit viel Alkohol im Blut.“

Sie nickt und grinst frech.

„So wie alle Männer.“

Ich will fragen, wie gut sie denn meint, uns Männer zu kennen, aber ich verkneife es mir. Es würde zu anzüglich klingen; irgendwie genieße ich die Tatsache, dass wir miteinander reden können, ohne darüber nachzudenken, dass ich sie am Ende des Abends bezahlen muss. Bezahlen dafür, dass sie sich für meinen besten Freund auszieht.

„Wie heißt denn der Bräutigam?“

„Patrick. Ich kenne ihn seit der Schule. Guter Typ.“

„Und wie hoch ist der Alkoholpegel bereits? Manchmal neigen Jungs dann dazu, sich nicht an Regeln zu halten.“

Ich spüre ihren Blick auf mir, aber ich habe mit allen gesprochen. Alle haben die Regeln verstanden und akzeptiert. Ich spüre dieses Gefühl in meinem Bauch. Es will sich ausbreiten, aber ich halte die Flamme klein. Würde jemand es wagen, sie anzufassen – ich würde mich als Held aufspielen und sie beschützen. Wieso eigentlich?

„Keine Sorge, ich habe die alle unter Kontrolle, niemand wird sich daneben benehmen. Ehrlich.“

Ich schenke ihr mein ehrlichstes Lächeln und sie scheint etwas erleichtert. Wenn man bedenkt, dass sie scheinbar ohne Hemmungen ihren Körper an Fremde verkauft, wundert es mich, wieso sie dann so unsicher ist, wenn sie tanzen soll. Verharmlose ich die Situation vielleicht bewusst?

„Okay. Ich vertraue dir jetzt, du musst also meinen Retter spielen, wenn was schief geht.“

Irgendwie gefällt mir die Rolle des Retters immer mehr, auch wenn ich eher selbst einen bräuchte. Ich nicke und versuche, so viel Selbstbewusstsein wie möglich auszustrahlen. Wenn Frauen sich sicher fühlen, dann tut das dem männlichen Ego schließlich gut. Zumindest meinem.

„Und was machst du sonst so? Wenn du nicht tanzende Frauen für deine Freunde durch die Nacht fährst?“

Ich lächle, während wir an der nächsten roten Ampel zum Stehen kommen. Eine wirklich gute Frage. Was genau mache ich denn eigentlich? Ich hoffe, sie meint meine Arbeit, denn sonst mache ich nicht viel, womit man Frauen beeindrucken kann.

„Ich bin selbstständig. Freiberufler.“

„Selbstständiger Freiberufler? Ist ja interessant. Was machst du genau?“

„Ich bin Webdesigner.“

Sie sieht mich an, ich spüre ihren Blick, sehe sie an, und diesmal erkenne ich etwas mehr von ihrem Gesicht. Sie ist ausgesprochen hübsch, würde ich sagen. Sehr sogar.

„Einer von den kreativen Köpfen?“

„An meinen guten Tagen, ja.“

Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich gespielt überrascht an.

„Wirklich? Und an deinen schlechten Tagen?“

Ich lache. An meinen schlechten Tagen schaffe ich es kaum aus dem Bett, um ehrlich zu sein. Aber auch das werde ich ihr nicht sagen.

„Da rauche ich zu viel.“

„Naja, nobody is perfect, oder?“

„Wieso? Was ist deine Schwäche?“

Sie behält ihr Lächeln, auch wenn es sich ein bisschen verändert.

„Ich schlafe mit fremden Männern für Geld.“

5 Tage Liebe
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