Im Club angekommen führe ich sie durch den Hintereingang zu einem Lagerraum, in dem viele leere Getränkekisten stehen. Sie sagt, sie müsse sich noch umziehen, wolle das aber nicht auf der Toilette machen. Ich biete ihr den Raum an, aber sie besteht darauf, dass ich vor der Tür warte. Das tue ich nun.

Die Jungs drinnen wissen Bescheid und werden auf meinen Wink hin Patrick auf einen Stuhl setzen. Maya hat mir die CD gegeben, aufgelegt ist sie schon, ich warte nur noch auf sie.

„Okay, fertig.“

Sie trägt einen Hauch von Nichts und lächelt mich dabei aus dunkel geschminkten Augen an. Erst jetzt sehe ich, wie wunderschön sie wirklich ist. Und obwohl vermutlich jeder von ihrer Figur abgelenkt wäre, kann ich nur in ihr wunderschönes Gesicht starren. So sehr will ich ihre Wange streicheln, die Lippen küssen.

„Da lang geht’s.“

Aber ich reiße mich los. Ich muss, weil ich mich sonst hier und jetzt verliebe. Da ich das nicht kann, nicht werde und nicht weiß, wie es geht, tue ich so, als wäre alles wie immer. Als hätte ich gerade nicht vielleicht das Schönste in meinem Leben gesehen.

Sie folgt mir; als ich dem DJ den Wink gebe, Patrick auf den Stuhl geschoben wird und Maya sich noch mal zu mir dreht, will sich ein großer Klumpen in meiner Kehle bilden.

„Nenne mich vor den anderen bitte nur Lucy, ja?“

Ihr schüchternes Lächeln will nicht zum Rest passen. Ich schaffe ein Nicken und sehe zu, wie sie durch die Tür tritt. Gejohle setzt sofort ein, das Lied lässt ihre Hüften scheinbar automatisch kreisen. Ich kann meinen Blick nicht von ihr nehmen.

Ich sehe, wie sie langsam tanzend noch eine kleine Schicht von Nichts auszieht. Da steht sie dann, den kleinen Tanga an, sonst nichts. Ich betrachte ihre Brüste, ihren Hals, die Hände, die in langen Handschuhen stecken, und ende immer wieder bei ihrem Gesicht. Sie lächelt verführerisch und tanzt dabei spielerisch um Patrick herum, der mit rotem Gesicht auf dem Stuhl sitzt und versucht, nicht zu unbeholfen zu wirken. Fast muss ich lachen, wäre da nicht das laute Gejohle unserer Freunde, die ihn anfeuern, sie zu berühren, es zu genießen – und genau das stört mich plötzlich ganz ungemein. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass es endlich vorbei ist. Ich will sie wegbringen, so weit ich nur kann. Ich spüre diesen leichten stechenden Schmerz in meinem Körper, wie tausend kleine Nadelstiche, die nicht aufhören wollen und stärker werden, je näher sie an Patrick herantanzt.

Sie soll nicht hier sein. Nicht so. Ich merke, dass sie wenig von der Maya zeigt, mit der ich mich im Auto so nett unterhalten habe. Jetzt ist sie nur noch die Lucy, die ich gar nicht näher kennenlernen will, weil es wehtut, mir die Bilder vorzustellen. Hier tanzt sie nur, sonst tut sie ganz andere Sachen. Wieso um alles in der Welt tut mir das plötzlich so weh? Was mache ich hier? Wieso stehe ich nicht bei den anderen und juble mit, trinke Bier und genieße die nackte Frau, die meinen besten Freund gerade um den Verstand tanzen will? Wieso bin ich so wütend auf jeden einzelnen Mann in diesem Raum? Ich starre zum DJ und hoffe, das Lied ist bald zu Ende. Ich könnte bestimmt nicht mehr davon ertragen. Ich genieße rein gar nichts.

Ich sehe nur Männer, die Maya so sehen, wie sie es nicht verdient haben. Sie kennen sie doch nicht einmal und werden, wenn alles gut läuft, nach heute Nacht auch kein zweites Treffen mit ihr genießen dürfen. Ich hingegen ... ich möchte nichts mehr, als sie wiedersehen. Wieso sollte das alles nach dem Song jetzt vorbei sein?

Langsam drehe ich mich um und schlage mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich muss wieder zu mir kommen. So schnell wie nur möglich. Ich muss aufhören, so zu denken. Ich muss aufhören, überhaupt zu denken. Wo ist dieses Taubheitsgefühl hin, dass ich manchmal so sehr schätze?

Das Lied scheint die 8-Minuten 40-Remix-Version zu sein, denn es will und will kein Ende nehmen. So stehe ich an der Seite und leide stumm vor mich hin. Ich habe keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Ich habe keinen Grund, sauer zu sein. Ich habe gar keinen Grund und kein Recht auf irgendwas. Ich will das auch alles gar nicht, weil es unangebracht ist.

Das Lied ist endlich zu Ende und ich will aufatmen. Aber als die Jungs um Zugabe bitten und der DJ auch das zweite Lied auf der CD anlaufen lässt, tanzt Maya – Verzeihung, Lucy! – einfach weiter. Ich spüre, wie meine Knie weicher werden. Sie bewegt ihren Körper unglaublich verführerisch, tanzt viel zu nah an Patrick heran, und ich sehe, wie seine Hand kurz über ihren Oberschenkel gleitet. Moment, das ist gegen die Regeln, die wir vereinbart haben, aber Lucy behält die Ruhe und tanzt weiter.

Ich wünsche mir, Melanie wäre jetzt hier. Sie würde auf die Fläche stürmen und Patrick wegzerren. Aber im Moment ist sie nicht da. Sie jubelt nackten Männern mit Waschbrettbäuchen zu. Aber ich wünschte, sie würde sehen, was ihr Bald-Ehemann da gerade abzieht. Er lässt sich von einer fremden Frau in Trance tanzen. Das ist nicht in Ordnung. Und doch werde ich das Gefühl nicht los, dass es Melanie gar nicht so viel ausmachen würde. Nicht so viel wie mir. Mir tut es weh und ich spüre dieses komische Gefühl. Diesmal richtet es sich gegen Patrick. Wie kann er mir das antun? Und Melanie natürlich auch. Ach, scheiß auf Melanie, die wird ihn ihr ganzes Leben haben. Ich aber stehe hier und schaue mit roten Augen zu, wie Lucy für Patrick und zwanzig unserer Freunde tanzt. Wenn ich mich konzentrieren könnte, dann würde sie auch für mich tanzen. Aber so stelle ich es mir nicht vor.

Dann endlich die Erlösung. Das Lied ist vorbei. Bitte, bitte, nicht noch eine dritte Runde, denn irgendwie glaube ich nicht, das überstehen zu können.

Lucy beugt sich zu Patrick und küsst ihn kurz auf beide Wangen, dann winkt sie in die Menge, bedankt sich beim DJ und steht auch schon wieder neben mir.

„Nette Jungs. Sie haben sich besser benommen als die meisten, die ich kenne.“

Sie lächelt wieder und ich starre sie an. Hoffentlich bemerkt sie das alles nicht. Mein Herz schlägt schneller, ich spüre, wie die Wut langsam verdampft.

„Ich ziehe mich schnell um. Stellst du dich wieder vor die Tür?“

Ich nicke, zum Sprechen bin ich im Moment nicht in der Lage. Ich folge ihr durch den Gang, schaue kurz auf ihren Po und bemerke seine scheinbar perfekte Form. Ihre Beine sind schlank, lang und perfekt. Wie gerne würde ich ihre Haut berühren und sie küssen. Aber ich halte meinen Abstand und konzentriere mich stattdessen lieber auf ihren Rücken. Sie scheint keine Scheu zu haben, halb nackt vor mir her zu laufen, und auch wenn ich das als kleinen Bonus auf der Vertrauensskala werte, werde ich ihr nicht so nah kommen wie Patrick gerade eben.

„Kostet das mehr, weil es zwei Lieder waren?“

Es ist mir völlig egal wie viel es kostet, aber ich versuche, eine Unterhaltung zu starten. Sie dreht sich vor der Tür zu mir um und ermöglicht mir damit einen Blick auf ihre Brüste. Ich schaue kurz hin, dann zurück in ihre Augen.

„Nein, ich hätte bis zu fünf Lieder tanzen können. Aber deinem Freund war das wohl eher unangenehm.“

Meinem Freund? Patrick hat es in vollen Zügen genossen, das konnte ich nur zu gut sehen. Mir war es unangenehm. Ich wollte sie retten und durch die dunklen Straßen in meine Wohnung tragen.

„Ich ziehe mich schnell um, wartest du?“

Ich kann sehen, dass sie nichts mehr von der tanzenden Lucy hat. Ihr Gesicht ist wieder Maya – und so nicke ich, während sie die Tür hinter sich schließt. Ich lehne meine Stirn dagegen und versuche Gründe zu finden, wieso mein Verhalten komplett idiotisch ist. Zum Glück muss ich nicht lange suchen. Sie ist eine strippende Nutte, die ich engagiert habe, um für meinen besten Freund möglichst unbekleidet zu tanzen ... Wieso habe ich damit jetzt plötzlich ein Problem? Und wieso sind mir alle anderen tanzenden Nutten reichlich egal? Es ist ja nicht so, als würde ich einer Menschenrechtsorganisation angehören und hier für die Rechte der Frauen und gegen Fleischbeschau mit musikalischer Begleitung plädieren. Nein, es stört mich nur in genau diesem Fall, und es macht mich wütend, weil es irgendwie meine Schuld ist. Ich habe sie und mich in diese Lage gebracht. Nur scheint es ihr nicht so viel auszumachen. Ich kämpfe gegen aufflackernde Bilder, die mich nichts angehen.

Sie öffnet die Tür und ich falle fast in ihre Arme vor Überraschung, so sehr hatte ich mich gegen die Tür gelehnt. Sie lacht auf und hält mich an den Schultern fest. Es ist das erste Mal, dass wir uns berühren.

„Alles okay?“

„Sicher.“

Mit immer noch weichen Knien versuche ich, etwas Stabilität in meinen Stand zu bringen, wobei ihre Hände auf meinen Schultern das irgendwie boykottieren. Sie mustert mein Gesicht, und ich hoffe wirklich, dass sie nicht besonders gut ist, darin zu lesen. Ich befürchte nämlich, dass ich zu viel verraten würde.

„Ist wirklich alles okay?“

Erneutes Nicken.

„Ich hab dich in der Menge vermisst.“

In meinem Kopf streiche ich die Worte „in der Menge“ und spüre mein Herz pochen. Sie hat mich vermisst? Hat sie wirklich etwas in der Menge erkennen können? Oder will sie nur höflich sein? Hat sie mein Gesicht gesucht?

„Ich hab mich lieber etwas zurückgehalten.“

„Konntest du von der Seite denn alles sehen?“

Sie wirft ihren Rucksack lässig über die linke Schulter und geht langsam los. Ich folge ihr. Bald heißt es Abschied nehmen. Ich gehe betont langsam.

„Klar. Ich hab die Jungs im Auge behalten. Es wurden keine Videos und Fotos gemacht, wie abgemacht.“

„Habs bemerkt, danke.“

„Sorry wegen Patrick. Du sagtest ja ohne Anfassen.“

Sie kichert kurz und schüttelt den Kopf.

„Das macht nichts. Es war nicht unangenehm.“

Wie schade eigentlich.

„Die meisten Kerle grapschen mir an den Po oder die Brüste. Das nervt. Patrick hat mich ja mehr gestreichelt.“

Ich will mich übergeben. Er hat sie gestreichelt, dabei wird er in wenigen Tagen heiraten. Fällt so etwas schon unter die Bezeichnung „fremdgehen“? Wenn ja, dann sollte ich lieber Melanie davon erzählen.

Wir treten zurück auf die Straße. Es ist für diese Jahreszeit nachts noch immer erstaunlich kalt. Ob der Frühling sich absichtlich so viel Zeit lässt? Ich spüre, dass mein Gehirn langsam wieder anfängt, normal zu denken. Zumindest sendet es extreme Signale an mich:

„Jonas, du Volltrottel! Sie ist eine tanzende Nutte, und du wirst sie in wenigen Minuten das letzte Mal sehen. Dann geht ihr Leben weiter und deines auch. Also hör auf, dich wie ein pubertierender Teenager zu benehmen!“

Natürlich hat mein Gehirn recht. Es hat immer recht. Es warnt mich immer davor, nicht betrunken gegen den Wind zu pinkeln oder Wetten einzugehen, bei denen es immer so endet, dass ich gelben Schnee essen muss. Ich höre nie auf mein Hirn, wieso sollte ich ausgerechnet jetzt damit anfangen?

„Hundertzwanzig Euro.“

Ich habe die Scheine genau abgezählt und lege sie ihr in die Hand, bedacht, ihre Haut nicht zu berühren, auch wenn ich nichts sehnlicher möchte als genau das.

„Danke. Ich muss sagen, das war wirklich mal wieder ein Job, der Spaß gemacht hat.“

Sie greift nach meiner Hand, hält sie fest und drückt sie einen Moment. So fühlen sich also 400 Volt im Körper an. Mein Blut rauscht in den Ohren und meine Lippen verziehen sich zu einem verdammt ehrlichen Lächeln, das wir Männer eigentlich nur nach dem Sex haben, wenn wir glücklich, befriedigt und entspannt sind. Maya schafft es mit einem Händedruck.

„Freut mich.“

Wieso ich die Hand nicht wieder loslasse, ist mir vollkommen klar, aber ihr vielleicht nicht. Deswegen lockere ich meine Finger nur sehr widerwillig.

„Ich besorge mir mal ein Taxi. War echt nett, dich kennengelernt zu haben, Jonas.“

Meine Chance. Jetzt oder nie.

„Taxi? Quatsch! Ich fahre dich heim, ist doch klar.“

Ein prüfender Blick. Ich halte den Atem an, dann ein Lächeln.

„Das wäre echt super nett von dir.“

Wo ist noch mal die Pausentaste fürs Leben? Wenn man kurz die Außenwelt anhalten und dann in aller Ruhe einen Siegestanz aufführen kann? Das wäre einer dieser Momente, da würde ich zu gerne die Zeit für nur sechzig Sekunden anhalten. Mehr Zeit brauche ich nicht, denn bereits nach dreißig Sekunden fangen meine Dance-Moves an, sich zu wiederholen.

„Absolut kein Problem.“

Während wir nebeneinander die Straße zu meinem Auto laufen, fühle mich wieder wie fünfzehn. Ich habe mich drinnen nicht verabschiedet oder gar erklärt, wohin ich gehe und mit wem. Ich bin einfach nur weg und laufe jetzt neben Maya in der kühlen Nacht.

5 Tage Liebe
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