Elftes Kapitel

Callia hievte Zander auf die Füße. Er schwankte, aber sie fing ihn ab und konnte verhindern, dass sie beide umkippten. Von wegen, er brauchte ihre Hilfe nicht! Unsinn.

»Halt dich an mir fest«, sagte sie und umfasste ihn mit beiden Armen, um ihn zu stützen. Und da gab es wahrhaft einiges an Gewicht zu stützen.

Er legte seine Hände auf ihre Schultern. »Ich kann schon.« Konnte er nicht. Nicht einmal ansatzweise.

Sie duckte sich unter seinen linken Arm und umfasste seine gegenüberliegende Schulter, um ihn zu stabilisieren. Die Decke, die sie ihm umgelegt hatte, war schon vorher heruntergerutscht, und im Dämmerlicht hatte sie freien Blick auf sehr männliche, sehr nackte Haut erheischt.

Denk nicht daran!

Das würde sie nicht, denn es wäre höchst unprofessionell. Schließlich hatte sie schon viele nackte Männer gesehen, und keiner, nicht einmal die richtig umwerfenden, hatten sie jemals erregt.

Weil sie nicht Zander waren.

Sie verscheuchte den Gedanken aus ihrem Kopf und packte Zanders Hand an ihrer Schulter fester. »Es sind nur ein paar Schritte bis zum Becken. Da drinnen ist es schön heiß.«

Während sie sich langsam auf das Wasser zubewegten, sprach er nicht, wofür sie ihm dankbar war. Denn auch wenn in diesem Höhlenabschnitt Saunatemperaturen herrschten und sie ziemlich schwitzte, war ihr leider allzu bewusst, dass sie nur Unterwäsche trug. Aber was blieb ihr anderes übrig? Es war offensichtlich, dass sie mit ihm in das Quellbecken steigen musste, damit er nicht unterging; und Wechselkleidung hatte sie keine bei sich. Nasse Unterwäsche war ja wohl ein geringer Preis für die Rettung eines Patienten, und sie erfror dabei gewiss nicht.

Sie erreichten das erste Becken. Als sie Zander behutsam am Felsrand hinsetzte, wünschte sie, sie hätte eine Laterne mitgebracht. Auf dieser Seite der Höhle war es sehr dunkel, und schwarze Schatten tanzten über Zanders Haut. Er steckte eine Zehe ins Wasser, zog sie aber sofort zurück.

»Skata!«

»Ich habe dir gesagt, dass es heiß ist.«

Sie hatte es vorhin schon gefühlt, für alle Fälle, und wusste, dass das Wasser um die vierzig Grad hatte, was nicht schlimm war, ausgenommen man war halb erfroren. Während er damit beschäftigt war, seinen Fuß vorsichtig ins dampfende Nass zu tauchen, glitt sie hinab ins Becken und rang nach Luft, als das heiße Wasser ihre Beine und den Rumpf umfing.

Die Hitze war ein kleiner Schock für den Kreislauf, von dem Zander sich jedoch binnen weniger Sekunden erholte. Das Wasser reichte Callia bis knapp unter die Brust, und der Boden war flacher Fels, der sich an den Fußsohlen glatt anfühlte. Sie schritt durch das Wasser auf Zander zu, dessen Füße nun immerhin beide eingetaucht waren. Die Hände im Schoß, wartete er ab, dass sich sein Körper an die Temperatur gewöhnte.

Götter, er war unglaublich schön! Für einen Moment raubte ihr sein Anblick im matten Schein der Laterne auf der anderen Seite, der alle Kanten und Vertiefungen an dem gemeißelten Leib betonte, den Atem. Sie hatte ihn schon oft nackt gesehen, aber sie würde wohl nie damit aufhören können, ihn zu bewundern. Jetzt jedenfalls tat sie es.

Seine Schultern waren breit, die Brust muskulös und klar definiert, das Muskelspiel so geschmeidig und glatt, als wäre er aus Marmor; der Waschbrettbauch stramm gerippt, die Arme so kräftig wie die Beine. Und diese schmale Haarlinie, die sich von seiner Brust zum Nabel zog, war wie ein blinkender Pfeil, der sie lockte, weiter hinunter zu sehen.

Sie ermahnte sich, professionell zu bleiben. Er war ihr Patient, sie war die Heilerin. Ihre gemeinsame Geschichte war längst vorbei und überdies kein bisschen lustig gewesen.

Ohne hinabzusehen, neigte sie sich zu ihm vor und schlang erneut die Arme um ihn. Sogleich spreizte er seine Beine, und auf einmal fand sie sich an seine bloße Brust gepresst wieder. Und an anderes, das sie definitiv nicht dort brauchte, wo es nun war.

Ihr Herzschlag ging schneller, weil sie ihm so nahe war, genau wie im Studierzimmer des Königs. Sie musste die Zähne zusammenbeißen und sich auf ihre Stimme konzentrieren, die zu zittern drohte. »Komm. Wir machen es ganz langsam. Es wird sich gut anfühlen, wenn du dich erst daran gewöhnt hast.«

Seine gemurmelte Antwort klang verdächtig nach, »Ich dachte, das wäre mein Text«, aber das kümmerte sie natürlich nicht, denn er glitt ins Wasser, und sie achtete ausschließlich darauf, dass ihm nicht die Beine wegknickten.

Er holte ruckartig Luft und blies sie sehr langsam wieder aus. Währenddessen hielt Callia ihn und schritt mit ihm ins Tiefere, wo ihnen beiden das Wasser bis zu den Schultern reichte. Seine Atmung wurde ruhiger, und er schloss die Augen, machte aber keinerlei Anstalten, sich ihr zu entwinden, was sie so deutete, dass er entweder ihre Hilfe brauchte oder gar nicht wahrnahm, dass sie ihn immer noch festhielt.

Das Wasser machte ihn praktisch schwerelos und leicht zu manövrieren. Behutsam bugsierte Callia sie beide zu der Beckenseite, an der die Felsen glatter waren, so dass man sich besser daranlehnen konnte. Sie stützte seinen Rücken gegen einen sehr flachen Stein, hielt ihn dabei allerdings fest umklammert, für den Fall, dass er herunterglitt und unterging.

Um sie herum waberte Dampf vom Becken auf. Ihre nassen Haarspitzen schwappten mit jeder Wellenbewegung an ihre Schultern. Stöhnend lehnte Zander seinen Kopf nach hinten an den Felsen, und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Callia hob eine Hand aus dem Wasser und wischte sie ihm weg.

»Hmm«, machte er, als ihre Finger über seine Haut strichen. »Das fühlt sich gut an.«

Unwillkürlich musste sie schmunzeln. Er hatte es immer gemocht, wenn sie ihm die Stirn massierte oder mit den Fingern durch sein Haar strich. »Besser?«

»Viel besser.«

»Ich sagte ja, dass du frierst.«

»Nicht mehr. Ich glaube, ich fühle meine Zehen wieder.«

Ihr Lächeln wurde breiter. Das war mal eine gute Neuigkeit. Sie fuhr fort, seine Stirn, die Schläfen und den Nasenrücken zu reiben. Hatte er sich die Nase in den letzten Jahren irgendwann gebrochen? Diese leichte Verdickung im Knorpel an der einen Stelle musste relativ neu sein. Ihr Blick fiel auf die gezackte Narbe an seinem Hals, und sie entsann sich, wie sie mit den Fingern und der Zunge darüberstrich, als sie …

Gefährlich, warnte die leise Stimme in ihrem Kopf. Wenn du nicht aufhörst, ihn zu berühren, wirst du bald eine Grenze überschreiten.

Sie hielt inne. Sie war teils menschlich, oder nicht? Hatte sie da nicht ein wenig Lockerlassen verdient? Nach den letzten Stunden – Tagen vielmehr – verdiente sie allemal einige Minuten Entspannung. Ach was, nach den letzten zehn Jahren stand ihr ein ganzes Leben in Frieden zu. Warum konnte sie nicht entspannen und die Momente mit Zander genießen, frei von Feindseligkeit und Wut, die sie beide so lange beherrscht hatten. War es zu viel verlangt, ein paar Minuten zu wollen, in denen sie sich daran erinnerte, warum sie sich einst in ihn verliebt hatte?

Ja, ist es, denn das hier kann nur böse enden.

Ihr Ringen mit sich und ihren Schuldgefühlen führte dazu, dass sie diesen Moment festhalten wollte, ihn aus Gründen brauchte, die sie selbst nicht verstand.

Als hätte er die Stimme in ihrem Kopf gehört, öffnete Zander die Augen und beendete es. Callia erstarrte, denn er war vollkommen auf sie konzentriert, sein Blick klar und ernst. »Was?«, fragte sie unsicher.

»Warum bist du gekommen?«

»Ich …« Okay, ja, diese verdammten Selbstheilungskräfte der Superhelden. Er war wieder ganz da. »Weil Titus mich darum gebeten hat.«

»Du hättest ablehnen können.«

Richtig, und sie hatte es auch überlegt. Zwei Sekunden lang. Aber leider könnte sie ihn niemals im Stich lassen. »Ich habe einen Eid abgelegt, denen zu helfen, die in Not sind.«

»Sogar mir.«

Es war keine Frage, wie ihnen beiden klar war. Und plötzlich fiel ihr wieder ein, wie mühelos er sich von jenen in Not abwenden konnte. Damit war der friedliche Augenblick vorbei.

Sie nahm ihre Hand herunter und blickte auf die Narbe an seinem Hals, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Wassertropfen glitzerten auf seiner sonnengebräunten Haut, rannen über den erhabenen Wundrand.

»Sogar dir.«

In der Stille, die nun eintrat, war nichts zu hören außer seinem ruhigen Atem und dem Plätschern des Wassers.

»Wo bist du hin?«, fragte er schließlich. »Danach?«

Sie erschrak. Dass er fragte! Dass es ihn überhaupt kümmerte! War es nach all den Jahren denn noch von Bedeutung? Sie erwog, nicht zu antworten, doch dann dachte sie, warum nicht? »Ich habe Zeit gebraucht. Ich blieb, wo ich war, in Griechenland.«

Auf sein Nicken hin fragte sie sich unweigerlich, ob er gewusst hatte, wo sie gewesen war. »Ich hörte Gerüchte, dass du an einer menschlichen Hochschule Medizin studiert hast.«

Hatte er? Das war ihr neu. Aber wieso interessierte es ihn? Sie könnte fragen, wollte es, entschied sich jedoch dagegen. In seinem Zustand sollte er sich nicht aufregen, und falls er lediglich seine Neugier befriedigen wollte, würde sie ihm den Gefallen tun. »Ich habe an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki studiert.«

Er hob eine Hand aus dem Wasser und rieb sich über das stoppelige Kinn. »Hattest du keine Angst, allein in der Menschenwelt? Argoleaner sind beliebte Angriffsziele für Dämonen.«

Schulterzuckend beobachtete sie einen Wassertropfen, der ihm die Wange hinab, über das kantige Kinn und zur Narbe lief. »Anfangs ein bisschen. Aber Thessaloniki ist eine große Stadt. Ich habe dafür gesorgt, dass ich nie ganz allein war. Dämonen riskieren ungern eine Szene im Beisein von Menschen.«

»Taten sie früher nicht«, sagte er leise. »Heute ist es anders.«

Ja, das war es. Seit Atalanta wieder sterblich war, scherte es die Dämonen nicht mehr, wer ihnen in die Quere kam. An jenem Tag hatte sie Glück gehabt.

Ihr Magen krampfte sich zusammen, und rasch verdrängte sie die Erinnerung. »Mein Vater war eine Zeit lang bei mir. Das machte es leichter.«

»Ah ja«, sagte er mit unverhohlener Abscheu. »Dein Vater. Wieso wundert mich das nicht?«

Nun sah sie doch in sein Gesicht, in dem die Verachtung für ihren Vater mehr als deutlich war. Was sie wiederum erstaunte, denn warum kümmerte es ihn überhaupt? Er hatte ihr einst vorgeworfen, sie würde sich von ihrem Vater ihr Leben diktieren lassen, obwohl sie sich in den wichtigsten Dingen gegen den Wunsch ihres Vaters entschieden hatte. Und es teuer bezahlte.

Sie blickte hinab zu dem Wasser, das sich sanft um Zander kräuselte, und versuchte, nicht an den Schmerz zu denken. Doch leider hörte er niemals ganz auf. »Willst du wirklich über meinen Vater reden?«

»Nein.«

Seine prompte Antwort war im Grunde keine Überraschung. Warum versetzte sie ihr trotzdem einen Stich?

»Ich möchte nur eines wissen«, sagte er. »Warum bist du zurückgekommen? Wenn die Menschenwelt so großartig war, wieso bist du dann nach Argolea zurückgekehrt?«

Was sollte sie ihm darauf antworten? Sie wollte ihm nicht erzählen, dass ihr Vater sie gebeten hatte, zurückzukommen. Oder dass ihr die zunehmenden Dämonenangriffe in der Gegend hinreichend Angst einjagten, um sie in eine Welt zu treiben, in der Frauen als minderwertig galten. Vor allem aber sollte Zander nichts von dem Dämon erfahren, dem sie eines Abends begegnete, als sie von der Uni nach Hause kam. Jenes Erlebnis war furchteinflößend gewesen, zumal der Dämon sie zu erkennen schien. Sie hatte Glück gehabt, dass eine Gruppe Menschen vorbeikam und sie fliehen konnte. Nein, das wollte sie Zander nicht erzählen, und schon gar nicht wollte sie seine selbstzufriedene Miene sehen, die ihr bedeutete, dass er es ja gleich gewusst hatte.

Also sagte sie stattdessen: »Es war einfach die richtige Zeit, zurückzukommen.«

Wie er sie musterte, ahnte er wohl, dass sie ihm etwas verschwieg. Sie senkte den Blick abermals zu seinem Hals, doch ihr Adrenalinpegel stieg, und ihr Herz pochte schneller.

Irgendwann im Verlauf des Gesprächs hatte sie ihn losgelassen, und er hielt sich inzwischen sicherer. Was gut war, denn schon die Worte waren intimer als ihr lieb war, da brauchte sie gewiss nicht noch physische Nähe.

Am besten sagte sie ihm klipp und klar, dass er zu weit ging und aufhören sollte, sie anzustarren. Doch er kam ihr zuvor, indem er mit der Schulter zuckte und ein Stück weiter ins Wasser glitt. »Muss nett sein, einen guten Draht zum Rat zu haben und kommen und gehen zu können, wie man will. Die wenigsten Argoleaner haben solch ein Glück.«

Glück? Die Narben an ihrem Rücken ziepten, und ihre Gedanken schweiften zu den ersten Monaten zu Hause ab. Glück würde sie es nicht nennen, oh nein. Sie würde eher von Elend sprechen.

Ehe sie etwas erwidern konnte, verschwand sein Kopf unter Wasser.

Und alles, all der Ärger, die Wut und das Elend verpufften.

Sie tauchte die Arme ins Wasser und tastete nach ihm, doch er war fort. Einfach weg.

Panik schnürte ihr die Kehle zu. Es war so dunkel, dass im Wasser nichts zu erkennen war, nichts außer glasigem Schwarz. Warum hatte sie ihn losgelassen? Wieso hatte sie die Laterne nicht mit hergebracht?

»Zander!«

Sein Kopf tauchte wieder auf, und er schüttelte sich das Wasser aus dem Haar, so dass ein Tropfenschauer auf Callia niederging. »Mann, ist das heiß!«

Vor lauter Erleichterung und Empörung wollte sie schreien. Sie ballte die Hände zu Fäusten und versetzte ihm einen Knuff gegen den unversehrten Oberarm. Wasser sprühte auf. »Götter, du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt! Warum machst du das?«

Er besaß tatsächlich die Stirn, verblüfft zu sein. »Was?«

Und in diesem Augenblick wurde ihr alles – sein Plan, Isadora zu heiraten, ihr Gespräch und sein Untertauchen, um ihr Angst zu machen – einfach zu viel. Mit einem Stöhnen legte sie sich rücklings ins Wasser, gab ihrer Erschöpfung nach und ließ ihre sämtlichen Sorgen und Ängste für einen kurzen Moment davontreiben.

Weit weg, wo sie nicht mehr an sie denken musste.

»Callia? Was hast du? Skata, komm wieder her.«

Mit einer Hand packte er ihren Knöchel und zog, aber sie sträubte sich nicht, auch nicht, als ihr Wasser übers Gesicht rauschte und sie keine Luft mehr bekam. Sie war so müde, emotional ausgelaugt und am Ende ihrer Kräfte. Er hatte recht: Es war ein Fehler gewesen, herzukommen. Hatte sie ernsthaft geglaubt, sie könnte damit umgehen, in seiner Nähe zu sein? Konnte sie nicht. Sie musste sofort gehen, in ihre Klinik zurückkehren, wo die Dinge normal waren, berechenbar und … sicher.

Ihre Füße stießen gegen seine steinharte Brust, dann ihre Knie. Sie spürte, dass er sich über sie beugte, bevor er die Arme um ihre Taille schlang. Immer noch wehrte sie sich nicht, hatte nicht die Energie dazu, nicht einmal als er sie aus dem Wasser hob und an sich drückte.

Sie prustete und holte japsend Luft, während ihr Wasser übers Gesicht lief.

»Was, zur Hölle, tust du denn?«, fragte er verärgert.

Wieder hustete sie und blinzelte sich den Schleier aus den Augen. »Ich? Du hast doch gezogen … und bist untergetaucht.«

»Ich habe mir nur das Haar nass gemacht und bin nicht auf und davon geschwommen. Du hast keine Ahnung, wo dieses Becken hinführt oder was da draußen im Dunkeln ist. Erst Titus, jetzt das hier. Wollt ihr mich für irgendwas bestrafen?«

Sie erstarrte und blickte zögerlich zu ihm auf. Zwischen seinen Brauen hatte sich eine steile Falte gebildet, die seine vollkommene Stirn verunstaltete.

Was hatte Titus mit ihnen zu tun? Und wie kam er auf die Idee, dass sie ihn bestrafen wollte?

Tropfen fielen aus ihrem Haar auf seine Brust, während sie seine verwirrte Miene betrachtete, den Kopf schüttelte und nicht begriff, was er sagte. »Bist du noch benebelt von den Medikamenten, die ich dir gegeben habe? Oder bin ich weggetreten?«

Er runzelte die Stirn. »Einer von uns ist es jedenfalls.«

»Warum …?«

»Weil ich verdammt nochmal drauf und dran bin, dich zu küssen.«

Dieser Satz riss sie jäh aus ihrer Benommenheit. Sie stemmte beide Hände gegen seine Schultern. »Wieso zum Hades?«

Er war so nahe, dass sie gar nichts dagegen tun konnte. Sein Mund fing ihren zu einem leidenschaftlichen Kuss ein, dessen Hitze bis in ihre Zehen strahlte. Seine Lippen waren hart und unbarmherzig, seine Arme umklammerten sie, bis ihr nur noch die Wahl blieb, sich an ihm festzuhalten oder unterzugehen.

Die gegenseitige Anziehung zwischen ihnen war immer schon explosiv gewesen, wahnsinnig und zweifellos ungesund, wenn man bedachte, welche Folgen sie für Callia gehabt hatte. Die Götter wussten, dass sie die schmerzvollen Jahre, die hinter ihr lagen, nicht noch einmal durchleben wollte. Warum stieß sie ihn dennoch nicht von sich?

Er glitt mit der Zungenspitze über ihre Lippen. »Öffne dich mir, Callia. Lass mich ein.«

Oh nein, das sollte sie nicht. Ihr war klar, dass es nur einer Kostprobe bedürfte, um sie willenlos zu machen. Schon einmal hatte er sie mit seinen Wonneversprechungen beinahe ruiniert. Ließ sie ihn jetzt …

Seine Hände verlagerten sich auf ihrem Rücken, wanderten tiefer. Als er ihren Po fasste und sie anhob, so dass sie die Wölbung seiner Erregung an ihrer Scham fühlte, atmete sie erschrocken ein.

Er wartete nicht auf eine Einladung oder gab ihrem Verstand Gelegenheit, dem Geschehen zu folgen. Kurzerhand drang er mit der Zunge tief in ihren Mund ein und nahm sich, was er wollte, während ihr ein bisschen schwindlig davon wurde, ihn nach so langer Zeit wieder zu fühlen.

Fast elf Jahre. Hatte sie vergessen, wie er schmeckte? Wie er sich anfühlte? Sie stöhnte, als sich die Erinnerungen mit der Gegenwart verquickten. Honigsüß und gefährlich dunkel; mysteriös wie die verbotene Frucht. Er war all das in einer sündhaft verlockenden Hülle, die sie aufforderte, einfach loszulassen. Aber das hatte sie schon einmal getan, und sie wusste, welche Folgen es hätte.

Ihre Finger gruben sich in seine Schultern; ihr ganzer Körper spannte sich an. Sie wusste, dass dies der Moment war, es sofort zu beenden, dass es kein Zurück mehr gäbe, wenn sie nicht hier und jetzt einen Schlussstrich zog.

Etwas in ihrem Gehirn machte Klick, und sie stemmte sich von ihm ab. Es gelang ihr sogar, sich seinem verführerischen, talentierten Mund zu entwinden. »Ich kann nicht, Zander, ich …«

»Du kannst, das weiß ich.« Seine Lippen waren rosig, nah und viel zu verführerisch. Sie schluckte. »Und ich gebe dir nicht die Zeit, dir einen Grund auszudenken, Nein zu sagen.«

Wieder war sein Mund auf ihrem, inbrünstiger und deutlich härter als vorher. Sie stöhnte, als er an ihrer Lippe knabberte, den Winkel des Kusses änderte, seine Zunge in sie eintauchte und mit ihrer spielte. Sein finsteres Aroma versetzte sie in eine Art Rauschzustand. Sobald er ihre Hüften dichter an sich zog und seine Erektion an ihrer empfindlichsten Stelle rieb, löste sich ihr letzter Rest Selbstbeherrschung in Wohlgefallen auf.

Sie schmolz dahin und ergab sich jener ungezähmten Ekstase, die einzig er ihr bieten konnte.

Ihre Finger tauchten in die goldenen Strähnen seines Haars, und sie erwiderte seinen Kuss. Er stöhnte zustimmend, streichelte ihre Zunge mit seiner und wiegte Callia im Wasser, so dass er sich hart an ihr rieb, wo sie es am dringendsten wollte.

Sämtliche Nerven in ihrem Leib waren elektrisiert. Zanders Bewegungen verursachten Wellen, die gurgelnd gegen die Felskanten schwappten. Doch das nahm Callia nur nebenbei wahr, denn sie war ganz und gar auf den heißen, harten Argonauten konzentriert. Sein Mund glitt zu ihrem Ohr und ihren Hals hinab zu der Kuhle in der Mitte ihres Schlüsselbeins, wo er sie auf eine Art liebkoste, die sie immer schon verrückt gemacht hatte. Sie fragte sich, ob er schon hinreichend bei Kräften war, um Sex zu haben, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Seine Wunden hatten sich schon fast geschlossen, und im Wasser war Callia nahezu schwerelos.

»Zander.« Sie neigte den Kopf nach hinten, schloss die Augen und wiegte ihre Hüften im Takt mit seinen. »Oh …«

»Götter, schmeckst du gut.« Er hob sie höher, so dass ihr das Wasser nur noch bis zum Rippenbogen reichte. »Ich brauche mehr.«

Brennendes Verlangen erfüllte sie. Er zog die Träger ihres Bustiers hinunter, ehe sie etwas dagegen sagen oder tun konnte. Die kühle Höhlenluft sowie das Wasser, das ihr über die Brüste lief, machten die Spitzen hart; allerdings war es sein Stöhnen angesichts ihres Busens, das ihre Libido befeuerte.

»Koste mich«, flüsterte sie.

Sein Arm an ihrer Taille umklammerte sie fester, und sie spürte das Pochen seiner Erektion an ihrem Slip. Mit der freien Hand fing er eine ihrer Brüste ein, drückte sie sanft, neigte den Kopf und sog die Spitze in seinen Mund ein.

Und es fühlte sich … besser an, als sie es erinnerte. Heißer. Feuchter. Seine Zunge brannte förmlich und streichelte sie erotischer, als sie es sich jemals erträumen könnte. Bei seinem Lecken, Knabbern und Saugen durchfuhren sie wilde Kontraktionen.

Dann verlagerte er sie und widmete sich der anderen Brust. Er lachte leise. »Ja, tu es. Komm für mich.«

Das würde sie bald. Sie hatte von Frauen gehört, die allein durch Bruststimulation zum Orgasmus kamen, aber zu denen zählte sie nicht. Sie bog sich ihm entgegen und bemerkte erst verzögert, dass sie sich wie eine läufige Hündin an seinem Schenkel rieb.

Vor Scham glühten ihre Wangen. Sie wollte etwas sagen, aber da war sein Mund wieder auf ihrem, und er hielt sie erneut so, dass sein Schwanz an ihrer Scham war.

»So ist es gut. Bleib bei mir«, raunte er.

Sie stöhnte und erwiderte seinen Kuss. Als seine Finger am Bund ihres Slips entlang von ihrer Hüfte bis zwischen die Schenkel strichen, erschauerte sie.

»Möchtest du, dass ich dich berühre?«

Sie konnte kaum mehr klar denken, geschweige denn antworten. Lust verengte ihr die Kehle, während sie sich dichter an ihn drängte, die Arme spreizte und stumm bejahte.

Sein Lächeln war ein wenig zu selbstgewiss und gänzlich bezaubernd, dann nahm er aufs Neue ihre Lippen ein und tauchte gleichzeitig mit zwei Fingern in ihren Slip.

»Hmm, bist du feucht«, flüsterte er ihr zu, dass sein heißer Atem über ihre Wange und ihren Hals wehte. Seine Finger streichelten ihre Schamlippen, bis sie sich stöhnend vor Ungeduld an ihm wiegte.

»Willst du mich in dir?« Sie nickte, klammerte sich an seinem Haar fest und kam beinahe, sowie er ihre Klitoris berührte. »Sag es.«

»Ja«, hauchte sie. »In mir.«

Er schob einen Finger in sie hinein. »So?«, fragte er und zog den Finger wieder raus.

Ihre Anspannung wuchs unerträglich. Sie wollte nichts lieber, als dass er weitermachte. »Oh …«

»Mehr?«

»Ja.« Sie seufzte, als er mit zwei Fingern in sie eindrang und zugleich seine Zunge in ihren Mund glitt. Callia war dem Orgasmus so nahe, dass es nicht mehr brauchte. Sie spannte ihre Muskeln um ihn, genoss jedes Eindringen und Zurückgleiten und wollte so viel mehr. Die Arme noch energischer um ihn schlingend, küsste sie ihn mit derselben Leidenschaft, mit der er sie küsste. Und sie genoss es, ihn stöhnen zu hören, als sie seine Zunge ansog und nicht loslassen wollte.

Auf einmal waren seine Finger fort, und sie wollte wimmern, weil er zugleich den Kuss beendete. Dann jedoch merkte sie, dass er ihr den Slip auszog.

»Keine Spiele mehr«, knurrte er.

Ihre Unterwäsche flog an ihrem Kopf vorbei irgendwo hinter die Felsen. Er blickte ihr in die Augen, als er sich wieder näherte. Hemmungslos vor Verlangen, kümmerte es sie gar nicht, dass ihr Bustier in ihrer Taille hing oder er womöglich die Narben auf ihrem Rücken sehen könnte. Im Moment zählte nur er und was er mit ihr tun sollte.

»Sag mir, dass du mich willst«, flüsterte er, legte die Hände an ihre Hüften und hob sie erneut hoch.

Sie hielt den Atem an, sowie er sich zwischen ihre Beine drängte. Er lehnte sie mit dem Rücken an die flachen Felsen, beugte sich vor und fing ihr Ohrläppchen mit den Lippen ein. Zwischen ihren Schenkeln pulsierte seine Erektion und glitt ihre Schamlippen auf und ab.

»Sag’s mir«, beharrte er und sog fest an ihrem Ohrläppchen, dass es beinahe wehtat. Aber nicht richtig. Es fühlte sich wunderbar an. Er hob seine Hüften, rieb sich an ihr und fand ihre Öffnung.

Zehn Jahre Sehnsucht schmolzen zu diesem einen Moment zusammen. »Ich will dich«, flüsterte sie. »Oh … Zander … ja …«

Endlich war es so weit. Sie hielt den Atem an, sowie die Spitze seiner Erektion in sie eindrang, stöhnte und küsste ihn. Es war so lange her, dass sie vergessen hatte, wie groß er war, welche Kraft diesem muskulösen Leib innewohnte und wie wahnsinnig gut er sich zwischen ihren Beinen anfühlte.

Er zog sich wieder zurück und drang ein wenig tiefer in sie. Derweil streichelte seine Zunge ihre. »Callia, Götter, du bist so verdammt eng. Ich werde nicht lange durchhalten, wenn du nicht locker lässt. Du bist doch geschützt, oder?«

Sie erbebte, war unmittelbar vor dem Orgasmus, und er war kaum einen Zentimeter in ihr. Bei dem Gedanken, ihn vollständig in sich zu haben, lief ihr ein Schauer über den Körper.

Abermals zog er sich zurück, griff zwischen sie und kniff sie sacht in die Brustspitze. Die Folge war ein Funkenstrahl, der ihr von der Brust bis in den Schoß fuhr. »Wie?«, fragte er.

»Was wie?«, murmelte sie und wollte ihn zu sich ziehen. Warum wollte er reden, wenn sie einfach nur ihn wollte?

»Wie bist du geschützt?«, sagte er, beugte den Kopf und strich mit der Zunge über ihren Nippel. »So kurz vor meiner Vermählung mit Isadora darf ich nicht riskieren, dich wieder zu schwängern.« Er nahm die Brustspitze in den Mund und leckte und sog an ihr.

Nur hatte es diesmal nicht denselben Effekt wie zuvor. Etwas in Callia erkaltete, das eben noch glühend gebrannt hatte. »Du willst dich immer noch … mit Isadora verbinden?«

»Natürlich.« Er neckte die andere Brust, drückte sie mit der Hand und schob seinen Schwanz wieder zwischen ihre Schamlippen. »Ich gab dem König mein Wort.«

Er meinte es ernst. Da war kein Anflug von Humor in seiner Stimme. Und wie ein Donnerschlag holte Callia die Realität ein.

Dies war keine Wiedervereinigung, wie sie es sich in ihrer grenzenlosen Naivität eingebildet hatte. Während sie vollständig von den Emotionen geblendet war, nach all den Jahren seine Nähe zu spüren, war es für ihn nichts als Sex. Und er hatte keinerlei Bedenken, seine Verlobte, die in der Burg auf ihn wartete, mit ihr zu hintergehen.

Callia wurde übel, und die kleine Stimme in ihrem Kopf schrie triumphierend: Ich hab’s dir ja gesagt!

Sie stemmte die Hände gegen seine Schultern und drückte. »Zander, stopp, warte. Es gibt etwas, das du wissen solltest.«