03:15

Viertel nach drei. Auch er war ein Zyklop. Doch sein Begriffsvermögen war nun von dem Bestreben verdunkelt, die Türen nach innen zu schließen, um das Leben sich selbst entflohen zu genießen. Er kümmerte sich nicht um die Uhrzeit. Als er wieder in die Gegenwart seiner Freunde zurückkehrte, benetzte sich das Rund seiner Augen mit zufriedener Fröhlichkeit. Die Nacht strahlte einen ruhigen Zauber aus; denn die Nacht ist sinnlich und weiblich und gehört der Frau, während der Tag männlich ist und der Mann ihn geschäftig bestehen muß. Und insgeheim harmonisierte das mit Sternen und Lichtern übersäte Indigo des Himmels mit dem von üppigem Grün geäderten Blau seiner Schrulligkeit.

Er versprühte ein vorsätzliches, spitzbübisches Lächeln und nahm Gastón beiseite: »Was für Neuigkeiten haben Sie?«

Der Zuhälter vermied längere Ausführungen. Er wußte, auf was Op Oloop anspielte, und versuchte ihn angesichts der Aufregung dieses Tages davon abzubringen.

»Nein, nein, Gastón«, wies Op Oloop ihn ab. »Keine Ausflüchte. Seien Sie ein treuer Freund. Welche Neuzugänge gibt es? Wo? Schnell!«

Sein erhitztes Blut ließ ihn den Satz mit durchdringender Lautstärke aussprechen.

Gastón bedachte seine Antwort: »Gelassenheit, lieber Freund. Ich rate Ihnen zu Gelassenheit. Ihr Nervensystem ist gereizt. Wozu mehr Erregungen?«

»Gelassenheit. Jawohl, Gelassenheit! Jemand hat von der einschläfernden Kraft des Koitus gesprochen. Das ist es, wonach ich strebe! Schlafen, SCHLAFEN, SCHLAFEN!«

»Nun gut. Wenn Sie darauf bestehen … Meine Vertreter haben mir berichtet, daß gestern eingetroffen sind: über Salto, drei São Paulanerinnen; über Paysandú, vier Uruguayerinnen; über Colonia und Tigre, zwei Französinnen; und, direkt aus Southampton, eine Schwedin.«

»Eine Schwedin! Eine Schwedin? Wo, Gastón, wo?«

»In der Avenida Santa Fe, anderthalb Block von Callao. Sie kennen die Wohnung bereits.«

Es war der unbedachte Abgang eines Heranwachsenden. Das Ankertau des Geistes und die straffen Riegel des Willens lagen zu seinen Füßen. Er rannte zum Studenten. Bevor er ihn umarmte, klopfte er ihm auf die breite Schulter und die dunkelhäutigen Wangen. Dann, etwas gebremst, verabschiedete er sich vom Zuhälter. Ein zerfahrener Abschied aus abgehackten Vokabeln und jähen Gesten, typisch für eine Person, die Gefahr läuft, ihr Schiff zu verpassen. Und er rannte. Das Gelände war eben, aber seine Begierden richteten es steil auf wie eine Laufplanke. Ein Taxi kam heran. Er kletterte hinein, schnaubend vor Erschöpfung, und ließ sich fahren. Als wäre es das Fenster einer Kajüte, hob sich sein Arm zu wiederholtem Gruße. Das Auto umkreiste in voller Fahrt die Plaza San Martín. Als es sich aus dem Blickfeld verlor, beschlich beide Gefährten das Gefühl, ein Schiff ziehengelassen zu haben, das sich ohne Steuermann zum gegenüberliegenden Ufer der Liebe aufmacht.

Doch noch hatte das Schiff nicht abgelegt.

Op Oloop trug auf seiner Netzhaut als Basrelief wie zwei Kameen die Bilder von Gastón und Robín. Und jene hüteten versunken sein Bild, als Druckstock seines Gesichts in ihre Brust eingeprägt.

Und sie führten ihr Gespräch fort, telepathisch.

In der Mannschaft der Freunde stellten der Student – ein schamloses Schandmaul – und der Zuhälter – ein ausgeglichener Zyniker – die beiden entgegengesetzten Enden des Fernrohrs dar, mit dem er auf die Welt blickte; einen Blick, den er, ein melancholischer Zyklop, mit der ansehnlichen Optik und Alchimie seiner Kultur verschärfte. Für sie war der Statistiker der Gipfel an analytischer Fähigkeit, das Wunderwerk, das Gegensätze verband und gleichzeitig das göttliche Wesen, das Wasser aus der Wüste holte.

Und sie führten ihr Gespräch fort.

Als das Auto mit kreischenden Bremsen vor der angegebenen Adresse anhielt, seufzten sie, im Park, zum Abschied. Das Gespräch versiegte daraufhin. Und in genau dem Augenblick, in dem Op Oloop – bereits entfernt – zur Wohnung hinaufstieg, stiegen Sureda und Marietti – ebenfalls von seiner Gegenwart entbunden – die vom Mond in schwaches Licht getauchten Abhänge hinunter.