Wie man Terroristen terrorisiert


Die Sache sah nicht gut aus. Das entführte Flugzeug war vor wenigen Minuten gelandet, die Terroristen hatten ihre Forderungen gefunkt und abschließend bekanntgegeben, daß sie im Nichterfüllungsfall die zur Explosion vorbereiteten Sprengstoffladungen zünden würden. Im Kontrollturm des Flughafens Lydda beriet der Krisenstab, was zu tun sei.

»Es gibt nur einen Ausweg - man muß die Bande ermüden. Man muß ihre Spannkraft zermürben, womöglich bis an die Grenzen eines Nervenzusammenbruchs.« 

»Sehr schön. Aber wie?«

»Auch darauf gibt es nur eine Antwort: Schultheiss!«

Zehn Minuten später, im Wagen des Generalstabchefs und mit Blaulichteskorte, erschien Ezechiel Schultheiss, der Star unseres bürokratischen Establishments. Er kam direkt aus dem Spital, wo er mit den Führern der Bäckergewerkschaft über eine zweiprozentige Tariferhöhung verhandelte, und zwar ununterbrochen seit drei Tagen und drei Nächten. Im Lauf der Verhandlungen waren sämtliche Bäcker unter schweren Erschöpfungssymptomen ins Spital eingeliefert worden, nur Schultheiss hatte nichts von seiner Frische eingebüßt. Jetzt wurde er vom Verteidigungsminister persönlich instruiert. 

»Wenn wir die Flugpassagiere nicht anders freibekommen, tauschen wir sie gegen inhaftierte Terroristen aus. Sie, Schultheiss, haben für Ihr Gespräch mit den Entführern freie Hand. Wenden Sie die üblichen Methoden an. Behandeln Sie die Kerle so, als ob es israelische Steuerzahler wären.«

»Okay«, sagte Schultheiss, bestellte einen Tee mit Zitrone und bat um die Telefonistin aus seinem Büro.  Nachdem Ilana sich am Schaltbrett niedergelassen hatte, wurde die Funkverbindung mit dem Flugzeug aufgenommen.

Aus dem Cockpit erklang eine tiefe Männerstimme: 

»Tod den Juden. Hier spricht die Organisation Schwarzer

September. Befolgen Sie meine Anordnungen.«

»Einen Augenblick«, unterbrach Schultheiss. »Man versteht schlecht. Wer ist schwarz - die Organisation oder der September?«

»Halten Sie den Mund und befolgen Sie -« »Verzeihung - aber wer sind Sie eigentlich?« »Was heißt das - wer ich bin?« »Woher soll ich wissen, daß Sie wirklich ein Terrorist sind?

Sie könnten ja auch ein Fluggast sein.« »Würde ich dann mit Ihnen sprechen?« »Vielleicht  hält man  Ihnen einen Revolver an die Schläfe.« »Na und?« »Das würde die Situation grundlegend ändern. Es ginge dann nicht um eine direkte Verhandlung, sondern um eine Vermittlung.« »Was für ein Unterschied wäre das, zum Teufel?!«  »Ein gewaltiger, mein Herr. Im Falle einer Vermittlung müßte ich eine andere Behörde einschalten. Ich habe die beste Absicht, mit Ihnen zu kooperieren, aber ich muß mich nach meinen Vorschriften richten. Wie ist Ihr Name, bitte?«

»Hauptmann Dschamel Rafat.«  »Mit einem >K< in der Mitte?« Man hörte ein heiseres Röcheln. Dann meldete sich der Kapitän des Flugzeugs: »Er ist der Führer der Gruppe, Sie können mir glauben.« »Ich akzeptiere Sie als provisorischen Zeugen. Ihre Paßnummer?«  »75103/97381.« »Wann und wo ausgestellt?« An dieser Stelle riß Hauptmann Rafat das Gespräch wieder an sich: »Wenn die Verhandlungen nicht in zwanzig Sekunden beginnen, jagen wir das Flugzeug in die Luft.« »Zwanzig Sekunden von wann an?« »Was meinen Sie?«

»Ich meine - wann beginnen die zwanzig Sekunden?«

»Sie beginnen jetzt, sofort, in diesem Augenblick.« 

»Wie spät haben Sie?«

»11.29 Uhr, verdammt noch einmal.«

»Auf meiner Uhr ist es erst 11.22 Uhr - ich lasse nachsehen. In solchen Situationen kann jede Sekunde eine Rolle spielen. Bitte warten Sie.«

»Hallo!« brüllte Hauptmann Rafat, aber die Verbindung war bereits unterbrochen und blieb es für drei Minuten. Dann kam Hauptmann Rafat wieder zum Kontrollturm durch. Was er hörte, war die Stimme Ilanas:

»Wer hat Ihnen erzählt, daß ich mit Chaim ausgegangen bin? Dudik lügt. Sie kennen duch Dudik... Hauptmann Rafat? Endlich. Man sucht Sie schon. Bitte sprechen.«

Und Hauptmann Rafat sprach:

»Wir verlangen die sofortige Entlassung von 390 palästinensischen Freiheitskämpfern, die sich bei Ihnen in Haft befinden. Ich diktiere die Namen...« 

»Bitte nicht über das Telefon «, sagte Schultheiss. »Außerdem liegen 390 Enthaftungen weit über der zulässigen Quote. Wir haben gar keine Transportmittel für so viele Personen. Ich dachte an sechs oder sieben, höchstens acht.«

»390.«

»Neun. Einer von ihnen stottert.«

»Ich handle nicht.«

»Also gut, zehn. Sechs bei Inkrafttreten unseres Abkommens, drei am 31. Oktober und -«

»Jetzt sofort und alle.«

»Alle zehn?« 

»300.«

»Elf, ohne Empfangsbestätigung.«

»250. Das ist mein letztes Wort.«

»Zwölf. Es kostet mich selbst mehr.« 

Die Verbindung zwischen Cockpit und Kontrollturm wurde aufs neue unterbrochen. Nach ihrer Wiederherstellung drangen rätselhafte Satzfetzen aus Hauptmann Rafats Kopfhörern:

»Galiläa-Import-Export... Schechter, Gurewitsch, Misrachi... alle weggegangen... niemand mehr hier...«  Dann schaltete sich die erregte Stimme des Flugzeugkapitäns in das Gespräch ein: »Achtung, Kontrollturm. Die Entführer treffen Vorbereitungen zur Zündung der Sprengkörper. Sie stellen Ihnen ein Ultimatum von dreißig Minuten. Und sie meinen es ernst. Achtung, Kontrollturm. Haben Sie verstanden? Ein Ultimatum! Dreißig Minuten!«

»Verstanden«, sagte Schultheiss. »Aber ich brauche es schriftlich. Ich muß mich ja meinen Vorgesetzten gegenüber decken. Sagen Sie den Leuten, sie sollen auf Sabena-Briefpapier ungefähr folgendes schreiben: >Wir, die unterzeichneten Terroristen, wohnhaft dort und dort, erklären hiermit, daß wir die auf dem Flughafen Lydda stehende Maschine der Sabena mittels chemischer Substanzen< und so weiter und so weiter. In dreifacher Ausfertigung. Hebräisch, arabisch und flämisch. Paßfotos wären erwünscht.«

Der Flugkapitän antwortete nicht. An seiner Stelle meldete sich Rafat und verlangte nach einem Rettungswagen des Roten Kreuzes.

»Das heißt bei uns Roter Davidstern«, belehrte ihn Schultheiss.

Rafat überhörte ihn.

»Der Wagen soll mit einer weißen Flagge an das Flugzeug heranfahren«, schloß er keuchend. 

»Welche Größe?«

»Was - welche Größe?«

»Wie groß soll die Flagge sein?«

»Das ist mir scheißegal, Sie Trottel! Eine weiße Flagge!« 

»Wir haben zwei Flaggen, eine zu 78 x 45 und eine zu 75 x 30, aber die ist in der Wäsche. Sollte Ihnen die andere zu groß sein, dann kann ich aus Haifa eine kleinere bestellen.«

Der Kehle des Terroristenführers entrang sich ein dumpfes Stöhnen: »Kommen sie ohne Flagge.«

»Ich oder der Rettungswagen? Bitte entscheiden Sie sich. Sonst weiß ich ja nicht, was ich ins Protokoll schreiben soll.

Hallo? Hallo?«

Auf der anderen Seite trat Funkstille ein. Dann gaben die Entführer bekannt, daß sie ihre Geiseln im Tausch gegen 25 inhaftierte Palästinenser freilassen würden, unter der Bedingung, daß sie nicht länger mit Schultheiss verhandeln müßten.

Schultheiss schlug eine gemischte Kommission vor, bestehend aus einem akkreditierten Terroristen des Gazastreifens, einem parteilosen Justizbeamten und Dr. Bar-Bizua vom Verkehrsministerium.

Hauptmann Rafat fragte, ob man ihm einen Arzt schicken könnte. Seine Stimme klang hohl. 

Auch sein Stellvertreter, der jetzt das Mikrophon übernahm, ließ deutliche Anzeichen von Nervenzerrüttung erkennen. Das Entführungskommando, erklärte er, sei bereit, in ein anderes Land abzufliegen, sobald die Maschine aufgetankt hätte.

»Ich verbinde mit unserem Treibstoffdepot«, sagte Ilana und ließ die Anwesenden den nun folgenden Dialog mithören.

ZIVA (die Telefonistin des Depots): »Bedaure, unser Abteilungsleiter ist weggegangen.«

RAFAT: »Wann kommt er zurück?«

ZIVA: »Keine Ahnung. Wahrscheinlich sitzt er beim Essen. «

RAFAT: »Öffnen Sie das Depot, oder es geschieht ein Unglück.«

ZIVA: »Die Schlüssel sind bei Modche.«

RAFAT: »Ich zähle bis drei. Dann lassen meine Leute das Flugzeug explodieren. Eins - zwei -«

SCHECHTER: »Hallo, hier Schechter, Galiläa-Import-Export. Womit kann ich dienen?«

RAFAT (mit ersterbender Stimme): »Hier... Schwarz... ich meine... der Schwarze Oktober... Wir wollen weg von hier... weg... weg...«

Da übernahm Schultheiss noch einmal das Gespräch. 

»Hauptmann Rafat? Es ist alles in Ordnung. Der Tankwagen wird sofort vorfahren.«

Er nickte dem Verteidigungsminister zu. Der Verteidigungsminister nickte dem Leiter des Einsatzkommandos zu. Den Rest kennt man aus den Zeitungsberichten, die im Wirbel der Ereignisse eine Kleinigkeit übergangen haben; sie hätten noch folgendes hinzufügen müssen:

»Nach erfolgreicher Beendigung seiner Mission auf dem Flughafen begab sich Ezechiel Schultheiss in das Spital zurück, wo er seine Verhandlungen mit den Bäckern fortsetzte.«