Eine einfache Rechnung


Zalman Weintraub, Inhaber der führenden Spielwarenfabrik Jerusalems, hatte mich beauftragt, eine schwungvolle Dankrede zur Beantwortung der Glückwunschadressen zu verfassen, die seine Angestellten und Bewunderer auf einer anläßlich seines fünfzigjährigen Geschäftsjubiläums stattfindenden Feier an ihn richten würden. Als Honorar für seine spontane Antwort bot mir Herr Weintraub die Summe von 460 Shekel -eine unverhoffte Bereicherung, über die ich im ersten Augenblick hocherfreut war. Mit Hilfe einiger arithmetischer Grundgesetzte entdeckte ich jedoch, daß zur Freude kein Anlaß bestand: Ich müßte mit meinem Wagen zweimal nach Jerusalem fahren, und der Treibstoff allein würde mich mehr kosten, als mir nach Abzug der Einkommenssteuer von meinem Honorar übrigblieb.

»Berate dich mit einem Fachmann«, sagte die beste Ehefrau von allen. »Geh zu Spielberger.«

Spielberger ist der bedeutendste Steuerexperte, den wir haben, ein Mann von ungewöhnlichem Scharfblick, der auch die winzigste Lücke in den Steuergesetzen erspäht. Das glückt ihm um so eher, als er diese Gesetze zur Zeit seiner Tätigkeit im Finanzministerium selbst formuliert hat. 

Er hörte mir mit gerunzelten Brauen zu. 

»Die Frage«, begann er sodann, »die Frage ist: Verdienen Sie mehr als 220 Shekel im Monat?«

»Leider ja.«

»Haben Sie die Absicht das Land zu verlassen? Für Emigranten gibt es gewisse Ausnahmebestimmungen.« 

»Ich bleibe.«

»Das ist eine schwierige Situation. Könnten Sie nicht mit dem Taxi nach Jerusalem fahren?«

»Nein. In diesen großen Wagen wird mir übel, weil sie so schaukeln.«

»Setzen Sie sich neben den Fahrer.«

»Das kann ich nicht riskieren. Im letzten Augenblick steigt eine schwangere Frau ein, der ich meinen Platz abtreten muß.«

»Kommen Sie morgen wieder«, sagte der Steuerfachmann. »Ich werde nachdenken.«

Damit war ich entlassen.

Am nächsten Tag empfing er mich mit der Mitteilung, daß es zwei Möglichkeiten gäbe.

»Die erste ist verhältnismäßig einfach. Ihre Frau erwirbt eine mit Verlust arbeitende Firma und fungiert als Ihr literarischer Agent.«

»Sehr gut. Es kann ja nicht schwer sein, eine solche Firma zu finden.«

»Gewiß nicht«, bestätigte Spielberger. »Aber Sie dürfen, das ist eine unerläßliche Bedingung, in keiner wie immer gearteten Form mit dieser Firma persönlich in Zusammenhang stehen, da Sie ja von ihr geschäftlich vertreten werden. Haben Sie Scheidungspläne?«

»Noch nicht.«

»Dann müssen wir uns nach etwas anderem umsehen. Die Firma Ihrer Frau wird das gesamte Honorar aus Jerusalem eintreiben und keine Steuer dafür zahlen, denn der Betrag dient dazu, das Debetsaldo der Firma zu verringern.«

»Eine glänzende Idee!«

»Warten Sie. Wenn das Geld aufs Firmenkonto verbucht wird, erhebt sich sie Frage, wie wir es wieder herausbekommen. Ihre Frau kann es nicht einfach als Gehalt abziehen, sonst müßte sie dafür Steuer zahlen.«

»Entsetzlich.«

»Es gibt einen Ausweg. Die Firma Ihrer Frau gründet eine Tochtergesellschaft im Namen Ihres Sohnes und schließt für Sie eine Lebensversicherung in Höhe des von Weintraub an Sie gezahlten Honorars ab. Wie Sie wissen, sind Lebensversicherungen steuerfrei.«

»Muß ich deshalb sterben?«

»Nicht unbedingt, obwohl es die ideale Lösung wäre. Es gibt

eine bestimmte Art von Versicherungen, in Fachkreisen >der lebende Tote< genannt, die man nach drei Jahren kündigen kann, und dann bekommt man die Versicherungssumme in bar ausbezahlt.«

»Großartig!«

»Allerdings besteht die Gefahr, daß die Behörden diesen Versicherungsabschluß als Scheingeschäft ansehen. Deshalb sollten Sie als Nutznießer eine dritte Person namhaft machen, die weder zu Ihnen noch zu der Firma Ihrer Frau, noch zur Tochtergesellschaft Ihres Sohnes irgendeine Verbindung unterhält. Haben Sie einen Freund, dem Sie vertrauen können?«

»Nein.«

»Dann bin ich bereit, als dritte Person aufzutreten. In einem zwischen uns beiden abzuschließenden Separatabkommen übernehme ich die Rolle einer Stiftung mit dem Zweck, die Versicherungssumme, die mir am Ende der dreijährigen Kündigungsfrist ausbezahlt wird, Ihnen zur Verfügung zu stellen.«

»Sie sind ein Genie.«

»Nicht so eilig. Sie müssen die Summe voll versteuern.« »Was?!«

»Aber das läßt sich vermeiden, indem ich Sie auf der Basis einer Verleumdungsklage ausbezahle.« 

»Ich verstehe nicht.«

»Es ist die einzige gesetzlich zulässige Möglichkeit zur Durchführung von Zahlungen zwischen zwei hier ansässigen Personen. Für Beträge, die Ihnen von einem ordentlichen Gericht als Wiedergutmachung einer wörtlichen oder tätlichen Ehrenbeleidigung zugesprochen werden, brauchen Sie keine Steuer zu zahlen.«

»Wieso nicht?«

»Solche Beträge gelten als Spesen.«

»Kennen Sie einen Präzedenzfall?«

»Aus meiner eigenen Praxis. Ich habe einem meiner Klienten auf diese Weise 1000 Shekel verschafft. Er brauchte nichts weiter zu tun, als sich von mir zwei Ohrfeigen geben zu lassen. In Ihrem Fall wird bereits eine kleine Beschimpfung genügen. Ich könnte Ihnen zum Beispiel höhnisch vorwerfen, daß Sie mit ungarischem Akzent sprechen.«

»Das ist keine Beschimpfung. Das ist die Wahrheit.« 

»In drei Jahren haben Sie ihn vielleicht verloren.«

»Ich glaube nicht an Wunder.«

»Nun, wir werden schon etwas finden. Hauptsache, daß Sie mich auf Ehrenbeleidigung verklagen und daß die Ihnen zugesprochene Entschädigungssumme genau mit der Versicherungsprämie übereinstimmt, die von der Tochtergesellschaft Ihres Sohnes zu meinen Gunsten als Stiftung deponiert wird, und zwar in der gleichen Höhe, in der die Firma Ihrer Frau das von Weintraub gezahlte Honorar gegen ihr eigenes Verlustkonto verrechnet. Sind Sie mit dieser Prozedur einverstanden?«

»Gerne. Aber Sie sagten etwas von einer zweiten Möglichkeit?«

»Die zweite Möglichkeit wäre, daß Sie keine Bestätigung ausstellen und der Steuer die 460 Shekel verschweigen.«

»Auf keinen Fall. Das kann zu Komplikationen führen.«