Massive Massage


Seit einiger Zeit lese auch ich die Annoncen, die im »Kleinen Anzeiger« unserer Tageszeitungen unter der Chiffre »Körperpflege« oder »Verschiedenes« immer üppiger ins Kraut schießen. »Kraut« ist vielleicht kein passender Ausdruck, aber »üppig« kommt in manchen Texten ganz ausdrücklich vor. Zum Beispiel teilt mir eine »Exotin mit üppiger Oberweite« mit, daß sie meinen Anruf erwartet, oder es ist, im Gegenteil, »Marilyn, schlank, blond, langbeinig«, die sich mir als Masseuse empfiehlt. Vergebens denke ich darüber nach, inwieweit die Tatsache, daß Marilyn blond und nicht brünett ist, ihre Massage beeinflußt, und was die Oberweite einer Exotin mit ihrer Knet-Technik zu tun hat. Wie, frage ich mich, kommt das zu dem? Und warum hat man noch nie ein Inserat gelesen, in dem sich ein schlanker, sonnengebräunter Buchhalter um einen Posten bewirbt?

Das Ganze ist wirklich sehr geheimnisvoll. Was meint die vollschlanke Sandra, wenn sie mir »individuelle Behandlung in privater Atmosphäre« anbietet? Will sie damit sagen, daß sie, solange ich bei ihr bin, keinen anderen Rücken reiben wird? Und was heißt »privat«? Hatte sie etwa die Absicht, mich vor Zuschauern zu massieren? Die dunkelhäutige Shoshana hingegen, die mir »Halt! Überraschung!« zuruft -bläst sie ein Papiersäckchen auf, um es plötzlich dicht an meinem Ohr zu zerknallen? Oder macht sie mir eine Trillerpfeife zum Geschenk?

Noch tiefer beeindruckt mich die schmiegsame Lily, die mich schon beim Frühstückskaffee wissen läßt, daß sie auch noch nach Mitternacht zu einer Spezialmassage bereit ist. Man muß sich vorstellen, wie diese humanitäre Bereitschaft sich in der Praxis auswirkt. Da erwacht man beispielsweise um drei Uhr früh mit Schmerzen im Genick, und während man sich ankleidet, beruhigt man die aufgestörte Gattin: »Das alte Rheuma,

Liebling. Dieser verdammte Ventilator im Büro. Ich mach nur rasch einen Sprung zur schmiegsamen Lily. Schlaf ruhig weiter...«

Früher oder später erhebt sich die Frage, wie eine echte Masseuse klarstellen soll, daß sie wirklich massiert. Vielleicht durch ein Inserat des folgenden Wortlauts: »Frau Selma Friedländer, Anfang 50, häßlich, Brillenträgerin, bietet Heilmassage ohne jede Überraschung.« Oder soll sie sich einen anderen Beruf suchen?

Man muß sich jedoch darüber klar sein, daß die Kunst der Massage schon am Anfang der Menschheitsgeschichte stand, daß schon Adam, sofort nachdem Eva seiner Rippe entsprungen war, sich auf die Suche nach einer Masseuse machte, um die schmerzhafte Entsprungstelle ihren lindernden Händen anzuvertrauen. Mit anderen Worten: Die Masseusen gehören zum ältesten Beruf der Welt, und es ist kein Wunder, daß sie sich gewerkschaftlich organisieren wollen.

Ich für meine Person habe allerdings nie verstanden, warum zwei erwachsene Menschen verschiedenen Geschlechts, wenn es sie drängt, von dieser Verschiedenheit Gebrauch zu machen, für die dazu nötige Zeitdauer nicht in aller Form heiraten und sich nach einer oder zwei Stunden nicht scheiden lassen sollten. Wem entstünde dadurch ein Schaden? Unsere hypokritische Gesellschaft gestattet jeder Frau, die ihre Seele dem Teufel oder einer politischen Partei verkauft, den Käufer je nach Höhe des Angebots zu wechseln. Aber wenn sie ihren Körper verkaufen will, dann muß sie sich fürs ganze Leben binden.

Auch die Klassenfrage spielt da mit hinein. Wenn Fräulein Oberweite mit einem Mann im Bett liegt, macht sie sich der Heimprostitution schuldig. Wenn Jackie Onassis mit Gastritis ins Bett geht, macht sie Schlagzeilen. Madame Pompadour hat gar nicht gewußt, daß sie eine Masseuse war.

In jahrtausendelangem Kampf ist es dem Menschen gelungen, die Natur zu beherrschen - nur seine eigene nicht. Dem Trieb seiner Sinne, dem Drängen seiner Drüsen steht er machtlos gegenüber. Und was tut er infolgedessen? Er betätigt seine Macht im Punkt des schwächsten Widerstandes. Er sperrt die Masseusen ein. Fünfzig Prozent unserer Polizeikräfte veranstalten Razzien auf liebeshungrige Männer, die anderen fünfzig Prozent jagen den Mädchen nach, die jenen Hunger zu stillen bereit sind. Zweifellos ist das eine besonders reizvolle Abwechslung im täglichen Trott der Dienststunden. 

Aber warum sollen nur die Massagesalons für die Heuchelei unserer Gesellschaft büßen? Warum kontrolliert man nicht auch die Garagen und Werkstätten, die in der Rubrik »Auto-Service« auf Kundenfang gehen? Wer weiß, vielleicht verbirgt sich das Laster auch hinter so harmlosen Inseraten wie: »Lassen Sie Ihren Wagen bei uns überholen! Sorgfältiger Service! Kulante Preise!«

Klingt das nicht verdächtig nach individueller Behandlung, privater Atmosphäre und diskreter Oberweite? 

Ich werde der Sache demnächst auf den Grund gehen.