Alarm


Um eins in der Nacht wachte ich kürzlich auf, weil draußen ein verwundeter Löwe brüllte. Das Brüllen hielt an, immer in derselben furchterregenden Tonstärke. Es kam aus der Wäscherei im Parterre unseres Hauses. 

Ich weckte die beste Ehefrau von allen.

»Hörst du das?« schrie ich ihr ins Ohr. »Alarm«, murmelte sie, ohne die Augen zu öffnen. »Sie rauben die Wäscherei aus.«

Diese Erklärung leuchtete mir ein. Ich vergrub meinen Kopf in den Kissen und versuchte weiterzuschlafen, fand aber keine Ruhe bei dem Gedanken, daß sich in der Wäscherei möglicherweise auch unsere eigene Wäsche befände, und wer weiß, was ihr zustoßen würde.

»Weib«, rief ich aufs neue, »was sollen wir tun?«

»Im Badezimmer liegt das Ohropax. Hol auch eines für mich.«

Ich trat ans Fenster. Vor der Wäscherei stand ein weißer Kombiwagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern. Die Alarmanlage heulte wie verrückt. Ich schloß das Fenster und sah, daß auch andere Fenster im Häuserblock geschlossen wurden. Der Lärm war unerträglich. 

Kaum hatten wir unsere Ohren verstopft, ging das Telefon: »Entschuldigen Sie«, sagte eine heiser gedämpfte Stimme. »Ich habe Sie soeben am Fenster gesehen. Es ist die Wäscherei, nicht wahr?«

»Ja. Ein Einbruch.«

»Schon wieder?«

In den vergangenen Monaten war nämlich schon viermal in der Wäscherei eingebrochen worden. Einmal hatten sie die Eisentüre mit großen Hämmern zertrümmert. Dieser primitive Vorgang nahm anderthalb Stunden in Anspruch und machte solchen Lärm, daß die Bewohner der umliegenden Häuser beinahe taub wurden. Dann räumten die Einbrecher den ganzen Laden aus, bis zum letzten Paar schmutziger Socken.

Am nächsten Tag ließ der Besitzer der Wäscherei, der alte Herr Wertheimer, einen Spezial-Stahlrollbalken anbringen, den die nächsten Einbrecher mühsam durchsägen mußten. Das dauerte mehrere Stunden und war eine fürchterliche Qual für die Nerven aller, die es hörten. Man mußte sich fragen, wie die Einbrecher dieses entsetzliche Geräusch überhaupt ertragen konnten, aber sie ertrugen es. Daraufhin bestellte der alte Wertheimer ein elektronisches Alarmsystem modernster Machart, mit infraroten Fotozellen und einem hochempfindlichen Fangnetz, das bei der leisesten Berührung die Alarmglocke in Betrieb setzte.

»Warum stellen sie das verdammte Zeug nicht ab, wenn sie schon einmal drin sind?« fragte mein heiserer Anrufer. »Sie müßten ja nur die Drähte durchschneiden. Ich werde mich beim Bürgermeister beschweren.  Ich bin Steuerzahler und brauche meinen Schlaf.« 

»Gehen Sie in die Apotheke«, empfahl ich ihm, »und kaufen Sie sich diese Wachsdinger für die Ohren.«

»Hab ich schon. Sie helfen nicht!«

»Dann weiß ich keinen Rat. Wer spricht denn eigentlich?«

Mein Partner legte auf, ohne zu antworten. Entweder wollte er in die Angelegenheit nicht verwickelt werden, oder er wollte mit einem Menschen, der ihm keinen Rat geben konnte, nichts zu tun haben.

Ich trat wieder ans Fenster. Vor der Wäscherei stand ein Mann auf den Schultern eines anderen und hantierte mit einem Meßband. Sie waren also noch nicht ins Innere der Wäscherei gelangt. Die Alarmglocke heulte. 

»Wie war's mit einem Sandwich?« fragte ich, aber die beste Ehefrau von allen gab keine Antwort, denn sie schlief. Wie sie das fertigbrachte, weiß ich nicht. Ich konnte sie nur stumm beneiden.

Es klopfte an der Türe. Mein Nachbar Felix Seelig stand da, in einem rosa Pyjama und mit roten Augen. Ich bat ihn herein.

»Was glauben Sie, Seelig? Wird das die ganze Nacht so weitergehen?«

In Sachen Elektrizität ist Felix Seelig ein wirklicher Fachmann. Er kann zum Beispiel durchgebrannte Sicherungen auswechseln. Die jetzt entstandene Situation erklärte er mir so, daß die Alarmanlage nach einigen Minuten aufhören werde, wenn sie auf eigenen Batterien liefe, aber wenn sie direkt an das städtische Versorgungsnetz angeschlossen sei, dann stünde es schlecht um unsere Nachtruhe.

»Vor ein paar Wochen, bei dem Einbruch in der großen Möbelfabrik im Norden von Tel Aviv«, berichteten Felix, »gingen drei japanische Alarmsysteme 48 Stunden lang in voller Stärke und hörten erst auf, als die Drähte geschmolzen waren. Aber da hatten die Einbrecher schon längst das Lager ausgeraubt und auf gestohlenen Lastwagen weggeschafft.«

Die Wäschereisirene hörte nicht auf zu heulen.

Es gäbe, so erfuhr ich von Felix, einen neuen Plastikstoff, mit dem man die Fenster nicht nur gegen Zugluft, sondern auch gegen Lärm abdichten könne. Er würde mir ein Muster verschaffen, sagte er. Von seinem jüngeren Bruder, der die Tochter des Abteilungsleiters vom Supermarkt geheiratet hatte. Das junge Paar sei erst vor kurzem von einer Reise nach dem Fernen Osten zurückgekommen. Soll ein fabelhaftes Erlebnis gewesen sein, sagte Felix.

Draußen hatte sich noch ein zweiter Lärm zu dem des Alarmsystems hinzugesellt. Die Einbrecher versuchten sich mit Autogen-Schweißgeräten Eingang zu verschaffen. Ein paar müßige Nachtschwärmer standen herum und beobachteten das Geschehen, wobei sie ihre Finger in die Ohren steckten.

Ich fragte Felix, wieviel seiner Meinung nach die Versicherung in einem solchen Fall zahlen würde. 50 bis 60 Prozent des entstandenen Schadens meinte er. Netto. 

Wie man hört, will der alte Wertheimer die Wäscherei verkaufen. Es ist zuviel für ihn.

An einem gegenüberliegenden Fenster sahen wir Frau Suschitzky auftauchen. Sie schrie etwas hinunter, was wir des Lärmes wegen nicht hören konnten. Der Fahrer des Kombiwagens stieg aus und schrie etwas zurück. Seelig wollte verstanden haben: »Was haben Sie gesagt?« 

Man sah Frau Suschitzky noch einmal aufschreien und dann das Fenster schließen.

Plötzlich erfolgte eine donnernde Explosion. Flammengarben schössen in den Himmel über Tel Aviv. Dann war es ruhig. Tatsächlich: ruhig. Auch die Alarmanlage hatte dran glauben müssen. Höchste Zeit. 

»Komm schlafen«, flüsterte die beste Ehefrau von allen. Ich zog die Decke über mein Gesicht. Draußen dämmerte der Morgen. Wir werden uns eine andere Wäscherei suchen.