7.

Miriels Kopf schmerzte, doch der stechende Schmerz der letzten Nacht war einem dumpfen Pochen gewichen, als sie aufstand und sich anzog, bevor sie durch die Hütte der Lichtung ging, auf der Angel Holz hackte. Nackt bis zur Hüfte schwang er die langschäf-tige Axt mit der Leichtigkeit langer Übung und spaltete das Holz meisterhaft.

Er hielt inne, als er sie sah, und hieb die Axt in ein Stück Holz. Dann nahm er sein Hemd und schlenderte zu ihr. »Wie fühlst du dich heute?« fragte er.

»Ich bin bereit«, sagte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Ich finde, du solltest dich heute morgen ausruhen. Du siehst müde aus.«

Ein kühler Windhauch strich durch die Luft, und Miriel schauderte. »Sie werden wiederkommen.«

Angel zuckte die Achseln. »Daran können wir nichts ändern, Miriel.«

»Nur warten?«

»Genau.«

»Das scheint dich nicht zu beruhigen.«

»O doch. Aber ich habe schon vor langer Zeit gelernt, daß es wenig Sinn macht, sich über Dinge zu sorgen, die man nicht beeinflussen kann. Wir könnten fliehen, nehme ich an, aber wohin? Wir wissen nicht, wo sie sind, und könnten ihnen direkt in die Arme laufen. Hier haben wir wenigstens den Vorteil, uns auf heimischem Boden zu bewegen. Und hier erwartet dein Vater uns zu finden. Deshalb warten wir.«

»Ich könnte den Spuren der Männer folgen«, schlug sie vor.

Er schüttelte den Kopf. »Morak war nicht bei ihnen, und Belash auch nicht. Ich möchte keinem von beiden nachspüren. Sie haben bestimmt Wachen aufgestellt, die von Bergen oder Bäumen herab Ausschau halten. Sie würden uns kommen sehen. Nein, wir warten auf Waylander.«

»Mir gefällt der Gedanke nicht, untätig herumzusitzen«, sagte sie.

»Ich weiß«, antwortete er, trat vor und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Das ist immer das schwierigste. Mir ging es genauso, wenn ich daraufwartete, in die Arena gerufen zu werden. Ich konnte das Klirren von Schwertern draußen hören, den Sand und die Sägespäne riechen. Mir war jedesmal übel.«

Miriels Augen verengten sich. »Es kommt jemand«, sagte sie.

Er fuhr herum, doch es war niemand zu sehen. »Wo?« Miriel deutete nach Süden, wo eine Schar Tauben von einer hohen Kiefer aufgeflogen war. »Es könnte dein Vater sein.«

»Könnte es«, gab sie zu, drehte sich auf dem Absatz um und ging in die Hütte. Angel blieb stehen, eine Hand auf dem Verandageländer, die andere um den lederumwickelten Griff seines Kurzschwertes gelegt. Miriel kam zurück, ein Schwert umgegürtet, ein Wehrgehänge mit Wurfmessern über die Schulter geschlungen.

Ein hochgewachsener Mann erschien am Rand der Lichtung, sah sie und schritt den Hang hinunter. Die Sonne glitzerte in seinem goldenen Haar. Er bewegte sich mit einer katzenhaften Anmut, arrogant, wie ein Herrscher in seinem Reich, dachte Miriel, in der Zorn aufstieg. Der Mann war in teures Rehleder gekleidet, das an den Schultern mit langen Fransen verziert war. Er hatte zwei Schwerter, kurze Säbel in schwarzen, mit Silber verzierten Scheiden. Seine Beinkleider waren dunkelbraun und steckten in schenkellangen, gelbbraunen Reitstiefeln, deren Schaft umgeschlagen war, so daß man das cremefarbene Seidenfutter sehen konnte.

Als er näher kam, verbeugte er sich mit einer weitausholenden Armbewegung in höfischer Manier. »Guten Morgen, Miriel.«

»Kenne ich dich?«

»Noch nicht, und das bedauere dich sehr.« Er lächelte beim Sprechen, und Miriel fühlte, wie sie rot wurde. »Ah, Angel«, sagte der Neuankömmling, als ob er den Gladiator jetzt zum erstenmal sähe. »Die Prinzessin und der Troll ... ich komme mir vor, als wäre ich mitten in ein Märchen geraten.«

»Wirklich?« entgegnete Angel. »Wenn ich dich sehe, habe ich das Gefühl, als wäre ich in etwas weit Unangenehmeres geraten.«

Der Mann kicherte mit aufrichtiger Belustigung. »Ich habe dich vermißt, Alter. Seit du die Arena verlassen hast, ist es nicht mehr dasselbe. Wie läuft dein ... Geschäft?«

»Gar nicht mehr, aber das wußtest du ja bereits.«

»Ja, irgend jemand hat es mal erwähnt. Ich war natürlich betrübt, das zu hören. Nun, möchte mir niemand ein Frühstück anbieten? Es ist ein langer Weg von Kasyra hierher.«

»Wer ist dieser ... dieser Lackaffe?« fragte Miriel.

»Ach ja. Bitte, stell uns vor, Angel, sei so gut.«

»Dies ist Senta, einer der gedungenen Mörder, die deinen Vater umbringen sollen.«

»Elegant ausgedrückt«, sagte Senta. »Aber man sollte darauf hinweisen, daß ich weder ein Bogenschütze noch ein Meuchelmörder bin, der aus dem Hinterhalt tötet. Ich bin ein Schwertkämpfer, meine Dame, wahrscheinlich der beste im Land.«

Miriels Finger schlossen sich um den Griff ihres Schwertes, doch Angel packte ihren Arm. »Er ist vielleicht eingebildet und eitel, aber er hat ganz recht«, sagte Angel, den Blick fest auf Senta gerichtet. »Er ist ein guter Schwertkämpfer. Also laßt uns Ruhe bewahren, ja? Mach etwas zu essen, Miriel.«

»Für ihn? Nein!«

»Vertrau mir«, sagte Angel leise, »und tu, um was ich dich bitte.«

Miriel blickte in seine steingrauen Augen. »Willst du das wirklich?«

»Ja«, sagte er schlicht.

Ihre Hände zitterten, als sie den kalten Braten aufschnitt. Sie fühlte sich verwirrt, verunsichert. Angels Kraft war gewaltig, und sie wußte, daß er kein Feigling war. Warum ging er dann auf diesen Mann ein? Hatte er Angst?

Die beiden Männer saßen am Tisch, als Miriel zurückkam. Senta stand auf, als sie ins Zimmer kam. »Du bist wirklich eine Augenweide!« sagte er. Ihre Antwort war kurz und deftig. Sentas Augen weiteten sich. »Solche Worte aus dem Mund einer Dame?«

Wütend und verlegen stellte Miriel das Tablett mit dem Essen auf den Tisch und verkniff sich eine zornige Erwiderung.

»Irgendwas von Morak gesehen?« fragte Angel, brach das Brot und reichte Senta ein Stück.

»Noch nicht - aber ich habe ihm eine Botschaft geschickt. Er hat Belash bei sich, wußtest du das?«

»Es überrascht mich nicht. Mich erstaunt allerdings, daß du und Morak nicht zusammen reist«, sagte Angel. »Ihr zwei seid von derselben Art - das gleiche unbekümmerte Lächeln, der gleiche scharfe Verstand.«

»Und damit endet die Ähnlichkeit auch schon«, sagte Senta. »Sein Herz ist verfault, Angel, und seine Wünsche sind bösartig. Es tut mir weh, daß du uns beide in einen Topf wirfst.« Er warf einen Blick auf Miriel. »Das ist sehr schmackhaftes Brot. Mein Kompliment.«

Miriel beachtete ihn nicht, aber er schien es nicht zu bemerken. »Schöne Gegend«, fuhr er fort. »Nahe am Meer und noch nicht von Menschen und ihrem Schmutz verseucht. Eines Tages muß ich mir auch ein solches Zuhause in den Bergen suchen.« Er sah sich um. »Und gut gebaut. Mit viel Liebe und Mühe.« Seine Augen wurden von den Waffen an der Wand angezogen. »Das ist Kreegs Armbrust, oder? Nun, nun! Seine Hure in Kasyra vermißte ihn schon. Irgendwas sagt mir, daß er nicht mehr zu ihr zurückgeht.«

»Er war wie du«, sagte Miriel leise. »Er dachte, es würde leicht sein. Aber wenn du Waylander gegenüberstehst, ist nur das Sterben leicht.«

Senta lachte. »Alle Menschen sterben, meine Schöne. Jeder. Und wenn er gut mit dem Schwert ist, bin ich vielleicht dran.«

Jetzt war es an Angel, zu lachen. »Du bist ein seltsamer Mann, Senta. Was, um alles in der Welt, läßt dich glauben, daß sich Waylander dir mit der Klinge stellt? Du wirst ihn nicht einmal sehen. Du wirst lediglich den Bolzen spüren, der in dein Herz dringt. Und auch das nicht sehr lange.«

»Nun, das wäre aber nicht sehr sportlich, oder?« erwiderte Senta, dessen Lächeln verblaßte.

»Ich glaube nicht, daß Waylander es als Sport auffaßt«, sagte Angel.

»Wie enttäuschend. Vielleicht habe ich ihn falsch eingeschätzt. Nach allem, was ich von ihm gehört habe, scheint er kein Feigling zu sein.« Er zuckte die Achseln. »Aber diese Geschichten werden halt oft übertrieben, nicht wahr?«

»Du hast eine merkwürdige Auffassung von Feigheit«, sagte Miriel. »Wenn eine Schlange ins Haus eindringt, legt man sich auch nicht auf den Bauch, um mit den Zähnen mit ihr zu kämpfen. Man tritt ihr einfach auf den Kopf und wirft den nutzlosen Kadaver hinaus. Mit Abschaum geht man anders um als mit Menschen!«

Senta klatschte langsam und theatralisch in die Hände, doch in seinen blauen Augen funkelte Zorn.

»Iß dein Frühstück auf«, sagte Angel leise.

»Und dann soll ich gehen, nehme ich an?« erwiderte Senta, schnitt ein Stück Fleisch ab, spießte es mit seinem Messer auf und führte es zum Mund.

»Nein, Senta, dann wirst du sterben.«

Das Messer verharrte in der Luft. Senta schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht dafür bezahlt, dich zu töten, alter Mann.«

»Spielt keine Rolle«, antwortete Angel. »Ich warte draußen auf dich.«

Der ehemalige Gladiator stand auf und verließ das Zimmer. Senta sah zu Miriel hinüber. »Das war ein gutes Stück. Darf ich bis zum Abendessen bleiben?«

»Töte ihn nicht!«

»Was?« Senta schien ehrlich erstaunt. »Ich habe keine Wahl, meine Schöne. Er hat mich herausgefordert.« Er starrte sie an. »Du und er, seid ihr ...? Nein, bestimmt nicht.« Er stand auf. »Es tut mir leid. Ehrlich. Ich mag den alten Knaben wirklich.«

»So alt ist er nicht.«

»Er ist doppelt so alt wie ich, Miriel, und für einen Schwertkämpfer heißt das älter als die Berge.«

»Wenn du ihn tötest, mußt du auch mich töten. Ich werde kommen und dich zum Kampf stellen. Ich schwöre es.«

Senta seufzte; dann verbeugte er sich. In seinen Augen lag keine Spur von Spott. Er machte auf dem Absatz kehrt und trat nach draußen in den Sonnenschein. Angel stand etwa zehn Meter vor der Tür, ein Schwert in der Hand.

»Arena-Regeln?« rief Senta.

»Wie du möchtest.«

»Bist du sicher, daß du das willst, Angel? Wir haben keinen Grund zu kämpfen. Und du weißt genau, daß du unterliegst.«

»Red nicht soviel. Beweis es mir!«

Senta zog seinen Säbel und rückte vor.

Waylander tauchte zwischen den Bäumen auf und sah, wie die beiden Schwertkämpfer einander umkreisten.

»He, Angel!« rief er. Die beiden Krieger hielten inne und drehten sich nach ihm um, als er den Hang hinabstieg, gefolgt von dem untersetzten Nadir. Nach Ralis' Beschreibung vermutete Waylander, daß der Schwertkämpfer Senta war.

»Überlaß ihn mir!« sagte Angel, als die Entfernung zwischen ihnen geringer wurde.

»Niemand kämpft für mich«, erwiderte Waylander, die Augen auf Senta gerichtet. Er sah die Siegessicherheit und das herablassende Lächeln des Mannes. Es lag keine Furcht darin, nur eine kalte Zuversicht, die fast schon arrogant war. Waylander hatte noch immer

keine Waffe gezogen. Er sah, wie Sentas Blick zum Schwert glitt, das in der Scheide steckte. »Du jagst mich?« fragte Waylander und kam näher. Nur ein paar Schritte trennten sie noch.

»Ich habe einen Auftrag von der Gilde«, antwortete Senta und wich einen Schritt zurück.

Waylander bewegte sich weiter vorwärts. Senta war jetzt angespannt, denn Waylander war unmittelbar vor ihm stehengeblieben.

»Arena-Regeln?« fragte der Meuchelmörder.

Waylander lächelte. Sein Kopf zuckte vor und traf den blonden Schwertkämpfer an der Nase. Senta taumelte zurück. Waylander setzte ihm nach und hämmerte ihm den Ellenbogen ans Kinn. Senta schlug hart zu Boden; das Schwert entglitt seinen Fingern. Waylander packte den Mann an den langen, goldblonden Haaren und zerrte ihn auf die Knie. »Ich duelliere mich nicht«, sagte er und zog eine rasiermesserscharfe Klinge aus seinem Wehrgehänge.

»Töte ihn nicht!« rief Angel.

»Wie du willst«, antwortete Waylander und ließ den halb bewußtlosen Schwertkämpfer fallen. Senta sank zu Boden. Waylander steckte sein Messer ein und ging in die Hütte.

»Willkommen daheim, Vater«, sagte Miriel und umarmte ihn. Er schlang die Arme um sie, streichelte ihren Rücken, das Gesicht in ihr Haar vergraben.

»Wir müssen weg hier«, flüsterte er mit zitternder Stimme. »Wir gehen nach Norden.«

»Was ist passiert?« fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Wir reden später. Bereite zwei Rucksäcke vor - Proviant für drei Tage, Winterkleidung. Du weißt, was wir brauchen.« Sie nickte und schaute an ihm vorbei. Er drehte sich um und sah den Nadirkrieger im Türrahmen stehen. »Wir haben uns in den Bergen kennengelernt«, erklärte Waylander. »Das ist Belash.«

»Aber er ist...«

»ja, er war. Aber Morak hat ihn verraten. Wollte ihn sterben lassen.« Waylander winkte den Mann herbei. »Das ist meine Tochter, Miriel.« Belashs Miene zeigte keinerlei Ausdruck, aber sein Blick wurde von ihren Waffen angezogen. Der Nadir sagte nichts, sondern ging in die Küche, wo er sich ein Stück Brot und etwas Käse nahm.

»Kannst du ihm trauen?« flüsterte Miriel.

Waylander grinste breit. »Natürlich nicht. Aber dort, wo wir hingehen, wird er uns nützlich sein.«

»Nach Gothir?«

»Ja.«

»Wieso hast du deine Meinung geändert?«

»Dort gibt es einen Mann, den ich finden muß. Und jetzt geh packen.«

»Sie drehte sich halb um, warf dann aber noch einen Blick zurück. »Warum hast du Senta verschont?«

Er zuckte die Achseln. »Angel hat mich darum gebeten.«

»Das ist wohl kaum der wahre Grund.«

»Aber genauso gut wie jeder andere.«

Miriel ging davon. Waylander ging zu dem kalten Kamin und setzte sich in den tiefen Ledersessel. Angel trat ein und zog Senta mit sich. Aus der gebrochenen Nase des Mannes lief Blut, und seine Augen waren halb zugeschwollen. Angel ließ ihn auf die Bank am Tisch sinken. Senta sackte nach vorn; Blut tropfte auf das Holz. Angel holte ein Tuch und reichte es dem Mann. Senta drückte es an sein Gesicht.

Angel kam nah zu Waylander und flüsterte: »Warum ist Belash immer noch unter den Lebenden?«

»Eine Laune«, antwortete Waylander.

»Solche Launen können dich umbringen. Sie sind nicht wie Menschen, sie sind Wilde, von Dämonen ausgebrütet. Ich glaube, du hast einen schweren Fehler gemacht.«

»Ich habe früher schon Fehler gemacht. Die Zeit wird es zeigen.« Er trat neben Senta. »Leg dich auf die Bank«, befahl er. »Dann hört die Blutung eher auf.«

»Danke für deine Besorgnis«, murmelte der Schwertkämpfer dumpf.

Waylander setzte sich neben ihn. »Nimm meinen Rat. Stell dich mir nicht noch einmal entgegen.«

Senta ließ das blutgetränkte Tuch sinken und schniefte laut. »Du hast mir eine wertvolle Lektion erteilt«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln. »Ich werde sie nicht vergessen.«

Waylander stand auf und verließ die Hütte. Angel folgte ihm. »Du hast mich nicht gefragt, warum ich ihn leben lassen wollte.«

»Es ist mir egal«, sagte Waylander, kniete nieder und tätschelte den Hund, der sich im Schatten ausgestreckt hatte. Der Hund ließ ein tiefes Knurren hören und reckte den Hals. Waylander streichelte seine Schnauze. »Es ist nicht wichtig, Angel.« »Für mich schon. Ich stehe in deiner Schuld.«

»Welche Fortschritte macht Miriel?«

»Sie ist schon besser geworden. Und ich will deine Zehntausend nicht.«

Waylander zuckte die Achseln. »Nimm sie ruhig. Ich werde sie nicht vermissen.«

»Darum geht es nicht, verdammt noch mal!«

»Warum so wütend?«

»Wohin wollt ihr?« entgegnete Angel.

»Nach Norden.«

»Kann ich mit euch kommen?«

»Warum?« fragte Waylander, ehrlich erstaunt.

»Ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll. Und ich kann Miriel weiter ausbilden.«

Waylander nickte und schwieg eine Weile. »Ist irgend etwas passiert, als ich weg war. Zwischen euch beiden, meine ich?«

Angel wurde rot. »Nichts! Bei den Göttern, Mann, meine Stiefel sind ja älter als sie.«

»Sie könnte es schlechter treffen, Angel. Und ich muß einen Mann für sie finden.«

»Das wird nicht lange dauern. Sie ist ein schönes Mädchen, und es wird guttun zu wissen, daß sie in Sicherheit ist - wie ihre Schwester.«

»Ihre Schwester ist tot«, sagte Waylander. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben; seine Stimme war kaum mehr als ein Flüsterton. Wieder tauchte Kryllas Gesicht vor ihm auf, und er spürte, wie sich eine kalte, wilde Wut in ihm aufstaute. »Deswegen jagen sie mich«, fuhr er fort. »Karnaks Sohn hat sie getötet. Der Reichsverweser hat die Kopfgeldjäger bezahlt, weil er Angst hat, ich würde den Jungen zur Rechenschaft ziehen.«

»Barmherzige Götter! Ich wußte nicht, daß es Krylla war«, sagte Angel. »Es hat einen Prozeß gegeben, aber das Opfer wurde nicht einmal genannt. Bodalen wurde für ein Jahr ins Exil geschickt.«

»Wirklich eine harte Strafe!«

»Aber du bist doch nicht hinter ihm her?«

Waylander holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Ich gehe nach Norden«, antwortete er. »Ich reise nach Gothir.«

»Das ist klug«, pflichtete Angel ihm bei. »Du kannst es nicht mit der gesamten Drenai-Armee aufnehmen. Aber du überraschst mich - ich dachte, du würdest deine Rache über alles andere stellen.«

»Vielleicht macht das Alter mich weich.«

Angel grinste. »Du hast nicht gerade weich ausgesehen, als du Senta niedergeschlagen hast. Und wo, zum Teufel, hast du diesen Hund aufgetrieben? Es ist das häßlichste Tier, das ich je gesehen habe. Guck dir nur diese Narben an!«

»Bärenkämpfer«, sagte Waylander. »Im Ruhestand - genau wie du.«

Mit geschwollener, blutverkrusteter Nase trat Senta hinaus in den Sonnenschein, gerade als Angel niederkniete, um den Hund zu streicheln.

»Weißt du, Angel«, sagte der Schwertkämpfer, »die Ähnlichkeit ist verblüffend. Wenn deine Mutter jetzt hier erschiene, sie wüßte nicht, wen von euch beiden sie zum Essen rufen sollte.«

»Die Nase ist eine Verbesserung - und sie blutet wieder«, erwiderte Angel, wandte sich ab und streckte die Hand nach dem Hund aus. Er zeigte die Zähne und knurrte. Angel wich zurück und stand auf.

Senta schniefte und spie Blut; dann ging er an den beiden Männern vorbei und holte seinen Säbel, der noch immer im Staub lag. Mit der Waffe in der Hand schlenderte er zurück zu Waylander. »Gnade ist etwas Seltenes«, sagte er. »Hältst du es für klug, mich am Leben gelassen zu haben?«

»Wenn es sich als Fehler erweist, töte ich dich«, erklärte Waylander.

»Du bist ein ungewöhnlicher Mann. Woher wußtest du, daß ich dir nicht sofort den Bauch aufschlitzen würde, als du näher kamst?«

Waylander zuckte die Achseln. »Wußte ich nicht.«

Der Schwertkämpfer nickte. »Ich glaube, ich werde mit euch reisen«, sagte er. »Ich hörte, wie du Angel sagtest, daß ihr nach Norden geht. Ich wollte immer schon nach Gothir zurück. Ich habe dort schöne Zeiten verbracht.«

»Vielleicht will ich deine Gesellschaft nicht«, meinte Waylander.

»Das könnte ich verstehen. Aber du hast Angel noch etwas anderes erzählt, das mich sehr interessiert.«

»Ich höre.«

»Du suchst einen Mann für Miriel.«

»Weiß du, wo ich einen finden könnte?« »Sehr komisch. Ich bin reich und - trotz deiner Bemühungen -nicht häßlich. Und mein Vater liegt mir ständig in den Ohren, daß ich ihm einen Enkelsohn verschaffen soll. Ich nehme Miriel aus deiner Obhut.«

»Heilige Makrele, du hast vielleicht Nerven!« tobte Angel.

»Ich mag Männer mit Nerven«, sagte Waylander. »Ich werde darüber nachdenken.«

»Das kann doch nicht dein Ernst sein!« rief Angel. »Vor ein paar Minuten hat dieser Kerl versucht, dich für Geld umzubringen. Er ist ein Kopfgeldjäger.«

»Damit stehe ich auf der sozialen Leiter natürlich tiefer als ein Arena-Kämpfer«, stellte Senta fest.

»Wahnsinn!« brummte Angel und stapfte zurück in die Hütte.

Senta steckte seinen Säbel ein. »Warum gehen wir nach Norden?« fragte er.

»Ich muß jemanden in Gulgothir finden.«

Miriel brachte eine Schale mit heißem Wasser und einen sauberen Lappen zu Senta. Sie hatte sein Gespräch mit ihrem Vater nicht gehört, aber sie sah, daß er seinen Säbel wiederhatte. Der blonde Krieger blickte sie mit verschwollenen Augen an. Er lächelte. »Barmherzige Pflege für den gefallenen Helden?«

»Du bist kein Held«, sagte sie, tauchte das Tuch ins Wasser und wusch sanft das Blut ab, das Sentas Gesicht verunzierte. Er packte ihr Handgelenk.

»Er trampelte mir zwar auf dem Kopf herum, aber er hat meinen nutzlosen Kadaver nicht in den Wald geworfen.«

»Dafür solltest du dankbar sein«, sagte sie und entzog ihm ihre Hand.

»Ein interessanter Mann. Er hat mich gut eingeschätzt. Er wußte, ich würde ihn nicht töten, ehe er nicht eine Waffe gezogen hatte.«

»Was machst du jetzt?« fragte sie.

Er grinste; dann zuckte er zusammen, als der Schmerz durch seine gebrochene Nase schoß. »Ich trete in ein Kloster ein und widme mein Leben guten Taten.«

»Ich habe meine Frage ernst gemeint.«

»Ja, du bist eine ernste Frau, meine Schöne. Zu ernst. Lachst du viel? Tanzt du? Triffst du dich mit jungen Männern?« »Was ich mache, geht dich nichts an! Und hör auf, mich meine Schöne zu nennen. Ich mag das nicht.«

»Doch, du magst es. Aber es macht dich verlegen.«

»Hast du immer noch vor, meinen Vater zu töten?«

»Nein.«

»Und das soll ich glauben?«

»Du kannst glauben, was du willst, meine Schöne. Wie alt bist du?«

»Nächsten Sommer werde ich achtzehn.«

»Bist du noch Jungfrau?«

»Das wirst du nie erfahren!« zischte sie. Sie nahm die Schale und ging zurück in die Küche, wo Belash noch immer saß. Der größte Teil des Schinken war verschwunden, dazu die Hälfte des Käses. »Hast du seit Wochen nichts gegessen?« fauchte sie ihn an.

Der Nadir blickte auf. Seine Augen waren ausdruckslos. »Hol mir Wasser!« befahl er.

»Hol es dir selbst, du Vogelhirn!«

Sein Gesicht verdunkelte sich, und er erhob sich, Miriels Dolch zuckte hoch. »Eine falsche Bewegung, du Hundefresser von einem Nadir, und das Frühstück, das du gerade gegessen hast, liegt auf dem Fußboden.« Belash grinste, ging zum Wasserkrug und füllte sich einen Becher.

»Was ist daran so witzig?« fragte Miriel.

»Ihr kol-isha«, antwortete Belash, zog sein eigenes Messer und schnitt den letzten Schinken vom Knochen. Er schüttelte den Kopf und kicherte leise.

»Was ist mit uns?« drängte Miriel.

»Wo sind deine Babys?« fragte Belash. »Wo ist dein Mann? Warum bist du gekleidet wie für einen Krieg? Messer und Schwerter - so ein Unsinn!«

»Glaubst du, Frauen könnten keine Waffen gebrauchen?«

»Natürlich können sie das. Du solltest meine Shia sehen - Messer, Schwert, Handaxt. Aber es ist wider die Natur. Der Krieg ist für die Männer, für Ehre und Ruhm.«

»Und Tod«, betonte sie.

»Natürlich. Tod. Deswegen müssen Frauen beschützt werden. Viele Kinder müssen geboren werden, um die toten Krieger zu ersetzen.«

»Vielleicht wäre es besser, einfach mit den Kriegen aufzuhören.«

»Pah! Es ist immer sinnlos, sich mit Frauen zu unterhalten. Sie begreifen nichts.«

Miriel holte tief Luft, verzichtete aber darauf, weiter mit ihm zu streiten. Sie überließ den Nadir seinem nicht enden wollenden Frühstück, ging in ihr Zimmer und begann zu packen.