4.

Dardalion drehte sich vom Fenster zu den beiden Priestern um, die vor seinem Schreibtisch standen.

»Das Argument«, erklärte er, »ist nur von intellektuellem Interesse. Es hat keine wirkliche Bedeutung.«

»Wie kann das sein, Vater Abt?« fragte Magnic. »Es ist doch sicherlich von zentraler Bedeutung für unseren Glauben?«

»Da muß ich meinem Bruder recht geben«, warf der gabelbärtige Vishna ein, dessen dunkle Augen den Abt anstarrten, ohne zu blinzeln. Dardalion bedeutete ihnen, sich zu setzen, und lehnte sich in seinem breiten Ledersessel zurück. Magnic sieht neben Vishna sehr jung aus, dachte Dardalion. Das blasse Gesicht mit den weichen Zügen, noch ohne Falten, das blonde, widerspenstige Haar, das ihm das Aussehen eines Jungen gab, der noch Jahre von den Zwanzig entfernt war. Vishna, hochgewachsen und streng, der schwarze gegabelte Bart sorgfältig gekämmt und geölt, sah alt genug aus, um Magnics Vater zu sein. Doch beide waren knapp vierundzwanzig.

»Die Debatte ist nur deshalb von Wert, weil sie uns über die QUELLE nachdenken läßt«, sagte Dardalion schließlich. »Die pan-theistische Ansicht, daß Gott in allem existiert, in jedem Stein und jedem Baum, ist interessant. Wir glauben, daß das Universum von der QUELLE in einem einzigen Augenblick blendender Energie erschaffen wurde. Aus Nichts wurde Etwas. Was könnte dieses Etwas sein, außer dem Leib der QUELLE? So argumentieren die Pantheisten. Deine Ansicht, Magnic, daß die QUELLE losgelöst von der Welt existiert und daß hier nur der Chaos-Geist herrscht, ist ebenfalls weit verbreitet. Nach einem furchtbaren Krieg gegen ihre eigenen rebellischen Engel schleuderte die QUELLE sie zur Erde, um hier zu herrschen, wie sie im Himmel herrscht. Dieses Argument macht aus unserer Welt die Hölle. Und ich muß zugeben, daß manchmal alle Anzeichen dafür sprechen, daß dem so ist.

Doch bei all diesen Debatten versuchen wir, uns das Unvorstellbare vorzustellen, und darin liegt eine große Gefahr. Die Quelle aller Dinge können wir nicht begreifen. Ihre Handlungen sind zeitlos und gehen so weit über unser Verständnis, daß sie uns ohne Sinn erscheinen. Dennoch versuchen wir unseren Verstand zu zwingen, sie zu verstehen. Wir bemühen uns, die Größe der

QUELLE zu erfassen, sie in uns aufzunehmen und in passende Schubladen zu sortieren. Das führt zu Streit und Uneinigkeit, zu Zwietracht und Disharmonie. Und das sind die Waffen des Chaos-Geistes.« Dardalion stand auf, ging um den Eichenschreibtisch und stellte sich neben die beiden Priester, um ihnen die Hände auf die Schultern zu legen. »Wichtig ist, daß wir wissen, daß die QUELLE existiert, und auf ihr Urteil zu vertrauen. Versteht ihr? Ihr könntet beide recht und unrecht haben. Hier handelt es sich um die Ursache aller Ursachen, um die eine große Wahrheit in einem Universum voller Lügen. Wie könnten wir darüber urteilen? Aus welcher Perspektive? Wie nimmt die Ameise den Elefanten wahr? Alles, was die Ameise sieht, ist ein Teil des Fußes. Ist das der Elefant? Für die Ameise schon. Habt Geduld. Wenn der Tag des Ruhms kommt, wird alles enthüllt. Wir werden die QUELLE gemeinsam finden -wie wir es geplant haben.«

»Der Tag ist nicht mehr fern«, sagte Vishna ruhig.

»Nicht sehr«, stimmte Dardalion ihm zu. »Welche Fortschritte macht die Ausbildung?«

»Wir sind stark«, antwortete Vishna, »aber wir haben noch immer Probleme mit Ekodas.«

Dardalion nickte. »Schickt ihn heute abend zu mir, nach der Meditation.«

»Du wirst ihn nicht überzeugen können, Vater Abt«, warf Magnic schüchtern ein. »Er wird uns eher verlassen als kämpfen. Er kann seine Feigheit nicht überwinden.«

»Er ist kein Feigling«, entgegnete Dardalion und verbarg seinen Zorn. »Das weiß ich. Ich ging einst dieselbe Straße, träumte dieselben Träume. Manchmal kann man dem Bösen mit Liebe begegnen. Das ist in der Tat der beste Weg. Aber manchmal muß man das Böse mit Stahl und einem starken Arm bekämpfen. Doch du darfst Ekodas nicht einen Feigling nennen, weil er an hohen Idealen festhält. Das setzt dich im selben Maße herab, wie es ihn beleidigt.«

Der blonde Priester errötete heftig. »Es tut mir leid, Vater Abt.«

»Und jetzt erwarte ich einen Besucher«, sagte Dardalion. »Vishna, nimm ihn am vorderen Tor in Empfang und bringe ihn sofort in mein Studierzimmer. Magnic, geh in den Keller und hole eine Flasche Wein, etwas Brot und Käse.«

Beide Priester standen auf. »Noch eins«, sagte Dardalion, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Gebt dem Mann nicht die Hand und berührt ihn auch sonst nicht. Und versucht nicht, seine Gedanken zu lesen.«

»Ist er böse?« fragte Vishna.

»Nein, aber seine Erinnerungen würden euch verbrennen. Jetzt geht und wartet auf ihn.«

Dardalion kehrte wieder zum Fenster zurück. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien auf die fernen Gipfel von Delnoch, und von seinem hohen Fenster aus konnte der Abt gerade noch die blasse graue Linie der ersten Mauer der Festung Delnoch erkennen. Seine Augen folgten den gewaltigen Berggipfeln von Westen nach Osten zum fernen Meer. Tiefhängende Wolken versperrten die Sicht, doch Dardalion stellte sich die Festung Dros Purdol vor, sah wieder die schreckliche Belagerung, hörte die Schreie der Sterbenden. Er seufzte. Vor den Mauern Purdols war das mächtige Vagria gedemütigt worden, und jene furchtbaren Kriegsmonate hatten den Lauf der Welt verändert. Gute Männer waren gestorben, von eisernen Speeren durchbohrt...

Die ersten Dreißig waren dort niedergemacht worden, als sie gegen die dämonischen Mächte der Bruderschaft kämpften. Dardalion hatte als einziger überlebt. Er schauderte, als er wieder schmerzhaft durchlebte, wie der Speer in seinen Rücken drang, und die Einsamkeit, als die Seelen seiner Freunde von ihm fortgeflogen waren, in den Ewigen Frieden der QUELLE. Die Dreißig hatten nur auf der astralen Ebene gekämpft und sich geweigert, in der Welt des Fleisches Waffen zu tragen. Wie unrecht sie gehabt hatten!

Die Tür hinter ihm ging auf, und er versteifte sich. Sein Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Rasch schloß er die Pforten seiner Gabe, um die berstende Gewalt auszuschließen, die von dem Besucher ausstrahlte. Langsam drehte er sich um. Sein Gast war hochgewachsen, breitschultrig und schlank, mit dunklen Augen und strenger Miene. Er war ganz in Schwarz gekleidet, und selbst der Kettenpanzer seiner Schulterstücke war schwarz gefärbt. Dardalions Augen wurden von den zahlreichen Waffen angezogen, den drei Messern, die vom Wehrgehänge des Mannes hingen, den Wurfmessern in den Scheiden an seinen Unterarmen, dem kurzen Säbel und dem Köcher für die Armbrustbolzen an seiner Seite. Noch zwei weitere Messer waren, wie er wußte, in den knielangen Mokassins des Mannes verborgen. Aber die tödliche Waffe, die ihn am meisten anzog, war die kleine Armbrust aus Ebenholz, die der Mann in seiner rechten Hand hielt.

»Guten Tag, Dakeyras«, sagte Dardalion, und in seiner Stimme lag keinerlei Willkommensfreude.

»Ich grüße dich, Dardalion. Du siehst gut aus.«

»Das ist dann alles, Vishna«, sagte der Abt, und der Priester in dem weißen Gewand verbeugte sich und ging. »Setz dich«, forderte Dardalion seinen Besucher auf, doch der Mann blieb stehen. Seine Augen suchten prüfend den Raum ab - die Bücherregale, in denen dicht an dicht alte Bände standen, die offenen Schränke, aus denen Manuskripte und Schriftrollen quollen, die staubigen Teppiche und die fadenscheinigen Samtvorhänge vor dem hohen Bogenfenster. »Ich studiere hier«, erklärte Dardalion.

Die Tür öffnete sich, und Magnic trat mit einem Tablett ein, auf dem eine Flasche Wein stand, daneben zwei Laibe Schwarzbrot und ein großes Stück blaugeäderter Käse. Nachdem er alles auf den

Schreibtisch gestellt hatte, verbeugte sich der blonde Priester und ging;

»Sie sind meinetwegen nervös«, sagte Waylander. »Was hast du ihnen erzählt?«

»Ich sagte ihnen, sie sollten dich nicht berühren.«

Waylander kicherte in sich hinein. »Du änderst dich nie, oder? Immer noch derselbe dünkelhafte, eingebildete Priester.« Er zuckte die Achseln. »Nun, das ist deine Sache. Ich bin nicht hergekommen, um dich zu kritisieren. Ich möchte dich um Informationen bitten.«

»Ich kann dir keine geben.«

»Du weißt noch nicht, wonach ich fragen werde. Oder doch?«

»Du möchtest wissen, wer die Meuchelmörder angeheuert hat und warum?«

»Das ist ein Teil meiner Frage.«

»Was sonst?« fragte Dardalion, füllte zwei Becher mit Wein und bot einen seinem Gast an. Waylander nahm ihn mit der linken Hand entgegen, nippte höflich daran und stellte den Becher dann auf den Tisch. Vom Hof unterhalb des Fensters drang das Klirren von Schwertern herauf. Waylander ging zum Fenster und lehnte sich hinaus.

»Du lehrst deine Priester zu kämpfen? Du überraschst mich, Dardalion. Ich dachte, du wärst gegen derartige Gewalt.«

»Ich bin gegen die Gewalt des Bösen. Was wolltest du sonst noch wissen?«

»Ich habe nichts von Krylla gehört, seit sie fortgezogen ist. Du könntest... deine Gabe benutzen, um mir zu sagen, ob es ihr gutgeht.«

»Nein.«

»Das ist alles? Ein schlichtes Nein? Ohne ein Wort der Erklärung?«

»Ich schulde dir keine Erklärungen. Ich schulde dir gar nichts.«

»Das stimmt«, sagte Waylander kalt. »Ich habe dir das Leben gerettet. Nicht einmal, sondern oft. Aber du schuldest mir nichts. So sei es denn, Priester. Du bist ein gutes Beispiel für tätige Religion.«

Dardalion wurde rot. »Alles, was du getan hast, diente deinen eigenen Zwecken. Ich habe meine ganze Macht gebraucht, um dich zu schützen. Ich sah meine Schüler sterben, während ich dich beschützte. Ja, einmal in deinem Leben hast du etwas Anständiges getan. Gut für dich! Du brauchst mich nicht, Waylander. Du hast mich nie gebraucht. Alles, woran ich glaube, wird durch dein Leben verhöhnt. Kannst du das begreifen? Deine Seele ist wie eine sengende Fackel aus dunklem Licht, und ich muß mich wappnen, um im selben Raum mit dir zu sein, und meine Gabe abschirmen, damit dein Licht mich nicht verdirbt.«

»Du hörst dich an wie ein furzendes Schwein, und deine Worte stinken ebenso«, fauchte Waylander. »Dich verderben? Glaubst du, ich habe nicht gesehen, was du hier tust? Du hast in Kasyra Rüstungen fertigen lassen und Helme, die Runenzahlen tragen. Messer, Bögen, Schwerter. Kriegerpriester! Ist das nicht ein Widerspruch in sich, Dardalion? Meine Gewalt ist wenigstens ehrlich. Ich kämpfe, um am Leben zu bleiben. Ich töte nicht mehr für Geld. Ich habe eine Tochter, die ich zu beschützen versuche. Was ist deine Entschuldigung dafür, daß du Priester zum Töten ausbildest?«

»Das würdest du nicht verstehen!« zischte der Abt. Er spürte, daß sein Herz schneller schlug und daß der Zorn ihn zu überwältigen drohte.

»Du hast recht, Dardalion. Ich verstehe es nicht. Aber ich bin auch kein religiöser Mensch. Ich diente einst der QUELLE, aber dann verstieß sie mich und tötete meine Frau. Jetzt sehe ich ihren Abt, der Soldat spielt. Nein, ich verstehe es nicht. Aber ich verstehe das Wesen der Freundschaft. Ich würde für die Menschen sterben, die ich liebe. Und wenn ich eine Gabe hätte wie deine, würde ich sie ihnen nicht verweigern. Bei den Göttern, Mann, ich würde sie nicht einmal einem Menschen verweigern, den ich nicht mag.« Ohne ein weiteres Wort marschierte der schwarzgekleidete Krieger aus dem Zimmer.

Dardalion sank in seinen Sessel und bemühte sich, ruhig zu werden. Eine Zeitlang betete er. Dann meditierte er, bevor er wieder betete. Schließlich öffnete er die Augen. »Ich wünschte, ich hätte es dir sagen können, mein Freund«, flüsterte er. »Aber das wäre zu schmerzlich für dich gewesen.«

Dardalion schloß erneut die Augen und ließ seinen Geist frei. Er glitt durch Fleisch und Knochen, als ob sein Körper zu Wasser geworden wäre, und tauchte auf wie ein Schwimmer, der nach Luft ringt. Als er hoch über dem Tempel war, blickte er auf die graue Burg und den hohen Hügel hinunter, auf dem sie stand, und er sah, wie sich die Stadt um den Fuß des Hügels herum ausbreitete, die schmalen Straßen, die großen Marktplätze und dahinter die Bärenkäfige, blutbesudelt. Doch seine Geist-Augen suchten nach dem Mann, der sein Freund gewesen war. Er ging leichten Schrittes den gewundenen Pfad zum Wald entlang, und Dardalion spürte seinen Kummer und seinen Zorn. Und die Freiheit des Himmels konnte nicht die Traurigkeit vertreiben, die den Abt überfiel.

»Du hättest es ihm sagen können«, flüsterte die Stimme Vishnas in seinem Geist.

»Das Gleichgewicht ist zu zerbrechlich.«

»Ist er denn so wichtig?«

»Er selbst? Nein«, antwortete Dardalion. »Aber seine Taten werden die Zukunft von Nationen verändern - das weiß ich. Und ich darf nicht - werde nicht - versuchen, ihn zu leiten.«

»Was wird er tun, wenn er die Wahrheit herausfindet?«

Dardalion zuckte die Achseln. »Was er immer tut, Vishna. Er wird jemanden suchen, den er töten kann. Das ist seine Art - ein ehernes Gesetz. Er ist nicht böse, mußt du wissen, aber er besitzt keine Kompromißbereitschaft. Könige glauben, daß es ihr Wille ist, der die Geschichte lenkt. Sie irren. Zu allen großen Ereignissen gehören Menschen wie Waylander. Die Geschichte erinnert sich vielleicht nicht an sie, aber sie sind da.« Er lächelte. »Frag ein Kind, wer den Vagrischen Krieg gewonnen hat, und es wird dir antworten: Karnak. Doch Waylander holte die Bronzerüstung zurück. Waylander tötete den feindlichen General Kaem.«

»Er ist ein Mann mit Macht«, stimmte Vishna zu. »Das konnte ich spüren.«

»Er ist der tödlichste Mann, dem ich je begegnet bin. Die ihn jagen, werden es zu spüren bekommen, fürchte ich.«

Waylander stellte fest, daß er seinen Zorn nur schwer beherrschen konnte, als er dem gewundenen Bergpfad folgte, der hinunter zum Wald führte. Er hielt inne und setzte sich an den Wegrand. Zorn macht blind, sagte er sich. Zorn stumpft die Sinne ab! Er holte tief und langsam Luft.

Was hast du von ihm erwartet?

Mehr als ich bekam.

Es war quälend, denn er hatte den Priester geliebt. Und ihn bewundert - die Sanftheit seiner Seele, den unerschöpflichen Brunnen von Vergebung und Verständnis, die er aufbringen konnte. Was hat dich verändert, Dardalion? fragte er sich. Aber er kannte die Antwort, und sie lastete auf seinem Herzen mit dem ganzen Gewicht, das nur Schuld bewirken kann.

Vor zehn Jahren hatte er den jungen Dardalion gefunden, der von Räubern gefoltert wurde. Wider sein besseres Wissen hatte er ihn gerettet - und damit war er in den Vagrischen Krieg hineingezogen worden. Er half Danyal und den Kindern, fand die Bronzerüstung, kämpfte gegen Werungeheuer und dämonische Krieger. Der Priester hatte sein Leben verändert. Dardalion war damals rein gewesen, ein Anhänger der QUELLE, unfähig zu kämpfen, selbst um zu überleben; nicht bereit, auch nur Fleisch zu essen. Er konnte nicht einmal die Männer hassen, die ihn folterten, oder den furchtbaren Feind, der das Land verheerte und Tausenden Blut und Tod brachte.

Waylander hatte ihn verändert. Als der Priester in Trance gewesen war und sein Geist durch die Leere irrte, hatte Waylander sich in den Arm geschnitten und ihn über Dardalions Gesicht gehalten. Und das Blut war auf die Wangen des Priesters getropft, auf seine Haut und die Lippen und in seinen Mund. Der bewußtlose Dardalion hatte heftig reagiert; sein Körper krümmte sich in beinahe epileptischen Krämpfen.

Und er tötete den Dämonen-Geist, der ihn jagte.

Um Dardalions Leben zu retten, hatte Waylander seine Seele besudelt.

»Du hast mich auch besudelt«, flüsterte Waylander. »Du hast mich mit deiner Reinheit berührt. Du hast ein Licht auf die dunklen Stellen geworfen.« Müde stemmte er sich hoch. Von hier aus konnte er die Stadt unter sich liegen sehen, die kleine Kirche, nur einen Steinwurf von den blutbespritzten Bärengehegen entfernt, die aus I lolz gebauten Häuser und Ställe. Er hatte nicht hierherkommen wollen. Im Süden lag sein Zuhause; im Süden wartete Danyal auf ihn, still inmitten der Blumen und des glitzernden Wasserfalls.

Sobald er die Deckung des Waldes erreicht hatte, entspannte er ein wenig und spürte den langsamen, ewigen Herzschlag des Waldes um sich herum. Was scherten sich diese Bäume um die Hoffnungen der Menschen? Ihr Geist war immerwährend, wurde in die Blätter hineingeboren, sank wieder zu Boden, mischte sich mit der Erde, nährte den Baum, und wurde wieder zu Blättern. Ein endloser, passiver Zyklus aus Geburt und Wiedergeburt im Laufe der Äonen. Keine Morde gab es hier, keine Schuld. Er fühlte das Gewicht seiner Waffen und wünschte, er könnte sie alle von sich werfen und nackt durch den Wald wandern, die weiche Erde unter seinen Füßen, die warme Sonne auf seinem Rücken.

Ein Schmerzensschrei ertönte ein Stück links von ihm, gefolgt von Rüchen. Mit raschen Schritten, ein Messer in der Hand, schob er sich durch die Büsche und sah, etwa fünfzig Schritt entfernt, vier Männer, die vor dem Eingang einer flachen Höhle standen, am Fuß eines sanften Abhangs. Drei trugen hölzerne Keulen, ein vierter hatte ein Kurzschwert, das - wie Waylander selbst auf diese Entfernung sehen konnte - teilweise verrostet war.

»Das Mistvieh hat mir fast den Arm abgerissen«, klagte ein untersetzter Mann mit beginnender Glatze. Aus einer Fleischwunde an seinem Unterarm tropfte Blut.

»Wir brauchen einen Bogen oder Speere«, sagte ein anderer.

»Laßt das Tier doch. Es ist ein Dämon«, sagte ein dritter und wich zurück. »Außerdem stirbt es sowieso.«

Einer nach dem anderen zogen sie sich von der Höhle zurück, doch der letzte Mann blieb stehen und warf einen großen Stein in die Dunkelheit. Ein tiefes Grollen war zu hören, und ein riesiger Hund erschien im Eingang, Blut an den Fangzähnen. Die Männer brachen plötzlich in Panik aus und rannten den Hang hinauf. Der erste, der dicke Glatzkopf mit dem verletzten Arm, sah Waylander dort stehen und hielt.

»Geh nicht dort hinunter, Freund«, sagte er. »Der Hund ist mörderisch.«

»Tollwut?« erkundigte sich Waylander.

»Nee. Einer der Kampfhunde. Heute morgen gab es einen Bärenkampf, und einen verdammt guten dazu. Aber einer von Jezels Hunden riß aus. Der schlimmste von ihnen, ein halber Wolf. Wir dach-

Ion, der Bär hätte ihn umgebracht, und waren dabei, die Kadaver rauszuzerren, aber er war nicht tot. Das Mistvieh sprang auf und /.erriß Jezel die Kehle. Schrecklich. Wirklich schrecklich. Dann rannte er davon. Die Götter mögen wissen, wie er das geschafft hat. Wo er doch von dem Bär halb zerrissen war.«

»Nicht viele Hunde greifen ihre Besitzer an«, meinte Waylander.

»Kampfhunde schon«, warf ein zweiter Mann ein, hochgewachsen und klapperdürr. »Das ist die Ausbildung, verstehst du? Die Schläge und das Hungernlassen und so. Jezel ist... war ... ein verdammt guter Ausbilder. Der beste.«

»Danke für die Warnung«, sagte Waylander.

»Keine Ursache«, erwiderte der Dünne. »Brauchst du ein Bett für die Nacht? Mir gehört das Gasthaus. Wir haben ein schönes Zimmer.«

»Danke, nein. Ich habe kein Geld.«

Sofort ließ das Interesse des Mannes nach, und mit einem raschen Lächeln ging er an Waylander vorbei und schlenderte, gefolgt von den anderen, in Richtung Stadt. Waylanders Blick schweifte zu dem Hund, der erschöpft ins Gras gesunken war und jetzt schwer atmend auf der rechten Seite lag. Die blutverkrusteten Flanken beb-

Waylander ging langsam den Hang hinab und blieb ein Stück vor dem verwundeten Tier stehen. Von dort konnte er sehen, daß er zahlreiche Verletzungen hatte, und die grauen Flanken trugen andere, ältere Narben von Klauen, Zähnen und Peitsche. Der Hund blickte ihn aus gequälten Augen an, hatte aber keine Kraft mehr, und als Waylander sich erhob und zu ihm ging, ließ er nur noch ein müdes Grollen hören.

»Du kannst damit aufhören«, sagte Waylander und streichelte sanft den großen grauen Kopf des Tieres. An den Wunden konnte er ersehen, daß der Hund den Bären mindestens dreimal angegriffen hatte. Aus vier parallelen Kratzern in seinem Fell sickerte Blut; die Haut hatte sich zurückgezogen, so daß Muskeln und Fleisch zu sehen waren. Nach der Größe der Klauenspuren zu urteilen, mußte der Bär sehr groß gewesen sein. Waylander steckte sein Messer weg und untersuchte die Wunden. Einige Muskeln waren zerfetzt, aber er konnte keine gebrochenen Knochen finden.

Wieder ließ der Hund ein tiefes Grollen hören, als Waylander einen Hautlappen zurechtzog. Das Tier versuchte, den Kopf zu drehen und die Zähne zu blecken. »Bleib still liegen«, befahl der Mann, »wir werden sehen, was wir tun können.« Aus einem Lederbeutel an seinem Gürtel nahm Waylander eine lange Nadel und einen dünnen Faden und nähte damit die größte Wunde zusammen, um so den Blutstrom zu stoppen. Schließlich war er zufrieden und kraulte das Tier hinter den Ohren. »Du mußt versuchen aufzustehen«, sagte er mit leiser, beruhigender Stimme. »Ich muß mir deine linke Seite ansehen. Hoch, Bursche!« Der Hund mühte sich ab, sank aber wieder zu Boden. Die Zunge hing ihm aus dem großen Maul.

Waylander stand auf und ging aus der Höhle zu einem umgestürzten Baum, von dem er einen langen Streifen Rinde schnitt, die er zu einer flachen Schale bog. In der Nähe war ein kleiner Wasserlauf, an dem er die Schale füllte. Er trug sie zurück zu dem verwundeten Hund und hielt sie ihm unters Maul. Die Nüstern des Tieres bebten, und wieder versuchte es mühsam, sich zu erheben. Waylander schob seine Hand unter die gewaltigen Schultern und half ihm auf die Füße. Der Kopf senkte sich, die Zunge schlappte langsam das Wasser auf. »Gut«, sagte Waylander. »Gut. Trink alles auf.« Auf der linken Flanke des Hundes waren noch vier ausgefranste Wunden, die jedoch mit Schmutz und Erde verklebt waren, was wenigstens die Blutungen gestillt hatte.

Nachdem der Hund gesoffen hatte, sank er wieder erschöpft zu Boden. Der große Kopf ruhte auf den gewaltigen Pfoten. Waylander setze sich neben das Tier, das ihn beäugte, ohne zu blinzeln. Er sah die vielen Narben, alte und neue, die kreuz und quer über die Flanken und den Kopf des Hundes verliefen. Das rechte Ohr war ihm vor ein paar Jahren abgerissen worden, und eine lange Narbe erstreckte sich von der Schulter zum ersten Gelenk des rechten Beines. »Bei den Göttern, du bist ein Kämpfer, Bursche«, sagte Waylander bewundernd. »Und du bist kein Jüngling mehr. Wie alt bist du? Acht? Zehn? Na, diese Feiglinge haben sich jedenfalls geirrt. Du wirst nicht sterben, oder? Die Genugtuung gibst du ihnen nicht, was?«

Der Mann griff in sein Hemd und zog ein Stück Trockenfleisch hervor, das in ein Tuch gewickelt war. »Damit wollte ich noch zwei Tage auskommen«, sagte Waylander, »aber ich kann es auch eine Zeitlang ohne Mahlzeit aushalten. Bei dir bin ich mir da nicht so sicher.« Er faltete das Tuch auseinander, nahm sein Messer und schnitt ein Stück Fleisch ab, das er dem Hund vorlegte. Das Tier sc hnüffelte lediglich daran; dann blickten die braunen Augen wieder den Mann an. »Friß, du Dummkopf«, sagte Waylander, nahm das Fleisch und hielt es dem Hund an die langen Zähne. Die Zunge schoß vor, und der Mann beobachtete, wie der Hund müde kaute. Langsam, während die Stunden vergingen, fütterte er den verletzten Hund mit dem restlichen Fleisch. Im letzten Licht des Tages warf er noch einen Blick auf die Wunden. Die meisten hatten sich geschlossen, wenn auch aus der tiefsten Verletzung an der rechten hinteren Flanke noch Blut sickerte.

»Mehr kann ich nicht für dich tun, mein Junge«, sagte Waylander und stand auf. »Viel Glück. Wenn ich du wäre, würde ich hier nicht mehr allzu lange bleiben. Möglicherweise kommen diese Schwachköpfe zurück, um dich zu jagen - und diesmal bringen sie vielleicht einen Bogenschützen mit.« Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ der Mann den Hund und ging zurück in den Wald.

Der Mond stand schon hoch, als er einen Lagerplatz fand, eine geschützte Höhle, so daß man sein Feuer nicht sehen konnte. Er saß noch bis tief in die Nacht, in seinen Umhang gewickelt. Er hatte für den Hund getan, was er konnte, aber das Tier hatte nur eine geringe Chance zu überleben. Es mußte jagen, um zu fressen, und mit seinen Verwundungen konnte es sich kaum bewegen. Wenn der Hund kräf-tiger gewesen wäre, hätte Waylander ihn ermuntert, ihn zu begleiten, und hätte ihn mit in die Hütte genommen. Miriel hätte das Tier gemocht. Waylander erinnerte sich an den verwaisten Fuchswelpen, den Miriel als Kind bemuttert hatte. Welchen Namen hatte sie ihm noch gegeben? Blue. Das war es. Er blieb fast ein Jahr lang in der Nähe der Hütte. Dann, eines Tages, war er davongelaufen und nie zurückgekehrt. Miriel war damals zwölf gewesen. Es war kurz bevor...

Die Erinnerung an das stürzende Pferd, sich überschlagend, der furchtbare Schrei...

Waylander schloß die Augen, verdrängte die Erinnerung, konzentrierte sich auf das Bild der kleinen Miriel, die den Fuchswelpen mit Brot fütterte, das in warmer Milch eingeweicht war.

Kurz vor Morgengrauen hörte er, wie sich etwas am Höhlenein-j^ang bewegte. Er rollte sich auf die Füße und zog sein Schwert. Der graue Wolfshund hinkte in die Höhle und ließ sich zu seinen Füßen nieder. Waylander lachte in sich hinein und schob das Schwert wieder in die Scheide. Er hockte sich nieder und streckte die Hand aus, um das Tier zu streicheln. Der Hund ließ ein tiefes, warnendes Grollen hören und bleckte die Zähne.

»Bei den Göttern, ich mag dich«, sagte Waylander. »Du erinnerst mich an mich selbst.«

Miriel beobachtete den häßlichen Krieger bei seinen Übungen, wie seine kräftigen Hände den Ast umklammerten; der Oberkörper war in Schweiß gebadet. »Siehst du«, sagte er, während er sich geschmeidig hochzog, »die Bewegung muß flüssig sein, die Füße geschlossen. Berühr das Holz mit dem Kinn und laß dich dann herab - aber denk dran, nicht zu schnell, ohne zu verkrampfen. Entspanne deinen Geist.« Seine Stimme klang ruhig, ohne eine Spur von Anstrengung.

Er war kräftiger gebaut als ihr Vater; seine Schultern und Arme waren voller dicker Muskelstränge. Miriel sah Schweiß über seine Schulter und an seiner Seite herabrinnen. Wie ein winziger Bach floß er über die Hügel und Täler seines Körpers. Sonnenlicht glitzerte auf seiner bronzenen Haut, und die weißen Narben schimmerten wie Elfenbein auf seiner Brust und seinen Armen. Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht, der eingeschlagenen Nase, den gespaltenen, deformierten Lippen, den geschwollenen, zerrissenen Ohren. Der Kontrast war beängstigend. Sein Körper war so schön.

Aber sein Gesicht...

Er ließ sich zu Boden fallen und grinste. »Früher hätte ich hundert geschafft. Aber fünfzig sind auch nicht schlecht. Was denkst du gerade?«

Miriel fühlte sich ertappt und wurde rot. »Bei dir sieht es so einfach aus«, sagte sie und wandte den Blick ab.

In den drei Tagen, die sie jetzt übte, hatte sie nur einmal fünfzehn Klimmzüge geschafft. Er zuckte die Achseln. »Du schaffst es schon noch, Miriel. Du mußt nur mehr daran arbeiten.« Er ging an ihr vorbei, nahm ein Handtuch und legte es sich um den Hals. »Was passierte mit deiner Frau?« fragte sie plötzlich.

»Mit welcher?«

»Wie viele hattest du denn?«

»Drei.«

»Ist das nicht etwas übertrieben?«

Er kicherte leise. »Mir kommt's inzwischen auch so vor«, gab er

»Was war mit der ersten?«

Er seufzte. »Höllenkatze. Himmel, konnte sie kämpfen. Ein halber Dämon - und das war noch die sanfte Hälfte. Die Götter allein wissen, woher die andere Hälfte stammte. Sie schwor, ihr Vater sei ein Drenai, aber das habe ich keinen Augenblick geglaubt. Aber wir hatten auch schöne Zeiten. Wenn sie auch selten waren.«

»Starb sie?«

Er nickte. »Pest. Sie kämpfte dagegen, glaub mir. Alle Schwellungen waren weg, die Verfärbung. Ihr wuchsen sogar schon wieder die Haare. Dann holte sie sich eine Erkältung und hatte keine Kraft mehr, dagegen anzugehen. Starb in der Nacht. Ganz friedlich.«

»Warst du damals schon Gladiator?«

»Nein. Ich war Buchhalter bei einem Kaufmann.«

»Ich glaub' es nicht! Wie hast du sie kennengelernt?«

»Sie tanzte in einer Kneipe. Eines Abends packte ihr jemand ans Bein. Sie trat ihm in den Mund. Er zog einen Dolch. Ich hielt ihn auf.«

»Du? Ein Buchhalter?«

»Mach nicht den Fehler, den Mut oder die körperlichen Fähigkeiten eines Mannes danach zu beurteilen, welche Art von Arbeit er tun muß«, sagte er. »Ich kannte einmal einen Arzt, der auf vierzig Schritt mit einem Pfeil durch einen Goldring traf. Und einen Straßenfeger in Drenan, der einmal zwanzig Sathulikrieger allein aufhielt und drei von ihnen tötete, ehe er seinen verletzten Offizier zurück zum Lager schleppte. Beurteile einen Mann nach seinen Taten, nicht nach seiner Beschäftigung. Und jetzt laß uns wieder an die Arbeit gehen.«

»Was ist mit den anderen Frauen?«

»Du willst wohl nicht arbeiten, was? Na schön. Mal sehen, was kann ich dir über Kalla erzählen? Sie war auch Tänzerin. Arbeitete im Südviertel von Drenan. Mädchen aus Ventria. Süß - aber sie hatte eine Schwäche. Sie liebte die Männer. Konnte nicht nein sagen. Die Ehe hielt acht Monate. Dann lief sie mit einem Kaufmann aus Ma-shrapur davon. Und schließlich war da noch Voria. Sie war älter als ich, aber nicht viel. Ich war damals ein junger Kämpfer, und sie war die Gönnerin der Sechsten Arena. Sie entwickelte eine Vorliebe für mich, überschüttete mich mit Geschenken. Ich heiratete sie ihres Geldes wegen, muß ich zugeben. Aber ich lernte sie zu lieben - auf meine Art.«

»Und sie starb auch?«

»Nein. Sie erwischte mich mit zwei Dienstmädchen und warf

mich hinaus. Machte mir das Leben zur Hölle. Drei Jahre lang versuchte sie, mich in der Arena umbringen zu lassen. Einmal versetzte sie meinen Spezialwein sogar mit einem Schlafmittel. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, als ich in die Arena mußte. Dann heuerte sie zwei Meuchelmörder an. Ich mußte Drenan für eine Weile verlassen. Ich kämpfte in Vagria, in Gothir, sogar in Mashra-pur.«

»Haßt sie dich immer noch?«

Er schüttelte den Kopf. »Sie heiratete einen jungen Edelmann. Dann starb sie plötzlich und hinterließ ihm ihr ganzes Geld. Sie stürzte aus einem Fenster. - Ein Unfall, hieß es. Aber ich sprach mit einem Diener, und der sagte mir, er habe gehört, daß sie einen schrecklichen Streit mit ihrem Mann hatte, kurz bevor sie ... fiel.«

»Du glaubst, er hat sie getötet?«

»Da bin ich mir sicher.«

»Und jetzt lebt er genüßlich von ihrem Reichtum?«

»Nein. Seltsamerweise stürzte er zwei Nächte später aus demselben Fenster. Bei dem Fall brach er sich das Genick.«

»Du hattest nicht zufällig etwas damit zu tun?«

»Ich? Wie kommst du darauf? Aber jetzt an die Arbeit! Wir machen Schwertübungen.«

Gerade als Miriel ihr Schwert zog, nahm sie eine Bewegung im Gebüsch nördlich der Hütte wahr. Zuerst dachte sie, ihr Vater sei zurückgekehrt, denn der erste Mann, den sie erblickte, war ganz in Schwarz gekleidet. Aber er trug einen Langbogen und hatte einen dunklen Bart. Ein kleinerer, stämmigerer Mann in einer gelbbraunen Lederjacke folgte ihm.

»Uberlaß das mir«, flüsterte Angel. »Und sag kein Wort, auch wenn sie dich ansprechen.«

Er drehte sich um und wartete, als die Männer näher kamen. »Guten Tag«, sagte der Schwarzgekleidete.

»Dir auch, mein Freund. Auf der Jagd?«

»Ja. Dachten, wir finden vielleicht einen Hirsch.«

»Südlich von hier gibt es viele. Auch Wildschweine, wenn man das Fleisch mag.«

»Hübsche Hütte. Deine?«

»Ja«, antwortete Angel.

Der Mann nickte. »Dann bist du wohl Dakeyras?«

»Richtig. Das ist meine Tochter. Woher kennst du mich?«

»Wir haben ein paar Leute in den Bergen getroffen. Sie sagten, daß ilu hier deine Hütte hast.«

»Dann wolltet ihr uns besuchen?«

»Nicht ganz. Wir dachten, du könntest ein alter Freund von mir sein. Er hieß auch Dakeyras, aber er war größer als du und dunkler.«

»Ist ja kein seltener Name«, meinte Angel. »Wenn ihr einen Hirsch erlegt, kaufe ich gern etwas von dem Fleisch. Wenn der Winter kommt, wird das Wild ziemlich knapp.«

»Ich denke daran«, sagte der Bogenschütze.

Die beiden Männer wanderten Richtung Süden davon. Angel sah ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren.

»Kopfgeldjäger?« fragte Miriel.

»Fährtensucher, Jäger. Sie dürften in den Diensten von Senta oder Morak stehen.«

»Du bist ein ganz schönes Risiko eingegangen mit der Behauptung, du wärst Dakeyras.«

»Eigentlich nicht«, widersprach er. »Sie hatten vermutlich eine Beschreibung von Waylander - und die paßt bestimmt nicht auf mich.«

»Und wenn sie keine Beschreibung haben? Was, wenn sie dich einfach angegriffen hätten?«

»Dann hätte ich sie getötet. Und jetzt an die Arbeit.«

Kesa Khan starrte finster in die grünen Flammen, ohne daß seine jettschwarzen Augen blinzelten. Er räusperte sich und spie ins l'euer. Seine Miene war ausdruckslos, sein Herz klopfte wild.

»Was siehst du, Schamane?« fragte Anshi Chen. Der alterswelke Schamane befahl mit einer Handbewegung Stille, und der untersetzte Häuptling gehorchte. Er konnte dreihundert Schwerter mobilisieren, aber er fürchtete den kleinen Mann so sehr, wie er nichts auf der Welt fürchtete, nicht einmal den Tod.

Kesa Khan hatte alles gesehen, was er brauchte, doch seine schrägen Augen blickten immer noch gebannt in die tanzenden Flammen. Mit einer knochigen Hand griff er in einen der vier irdenen Töpfe, die vor ihm standen, nahm eine Preise gelbes Pulver heraus und schnippte sie ins Feuer. Die Flammen flackerten auf, orange und rot; Schatten sprangen an die Höhlenwand und tobten wie Dämonen umher. Anshi Chen räusperte sich und schniefte laut. Seine dunklen Nadiraugen huschten nervös hin und her.

Kesa lächelte dünn. »Ich habe den Drachen im Traum gesehen«, sagte er mit einem zischenden Wispern.

Die Farbe wich aus Anshis Gesicht. »Dann ist es vorbei? Wir sind alle tot?«

»Vielleicht«, gab Kesa ihm recht. Er genoß die Furcht, die von dem Krieger ausging.

»Was können wir tun?«

»Was die Nadir stets getan haben. Wir werden kämpfen.«

»Die Gothir haben Tausende von Kriegern, gute Rüstungen, stählerne Schwerter, die nicht stumpf werden. Bogenschützen. Lanzenreiter. Wie können wir gegen sie kämpfen?«

Kesa schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht der Kriegsherr der Wölfe, du bist es.«

»Aber du kannst in den Herzen unserer Feinde lesen! Du könntest Dämonen ausschicken, die ihnen die Bäuche aufreißen. Oder ist Zhu Chao mächtiger als Kesa Khan?« Für einen Moment herrschte Schweigen, dann beugte Anshi Chen sich vor und senkte den Kopf. »Vergib mir, Kesa. Ich sprach im Zorn.«

Der Schamane nickte. »Ich weiß. Aber in deiner Furcht liegt Wahrheit. Zhu Chao ist mächtiger. Er kann das Blut vieler Seelen in Anspruch nehmen. Der Kaiser hat tausend Sklaven, und viele Herzen werden auf den Altar des Dunklen Gottes gelegt. Und was habe ich?« Der kleine Mann drehte sich um und deutete auf die drei toten Hühnchen. Er lachte trocken. »Damit kann ich kaum Dämonen befehligen, Anshi Chen.«

»Wir könnten die Grünaffen überfallen und einige Kinder rauben«, schlug Anshi vor.

»Nein! Ich werde keine Kinder der Nadir opfern.«

»Aber sie sind der Feind.«

»Heute sind sie der Feind, aber eines Tages werden alle Nadir vereint - so steht es geschrieben. Dies ist die Botschaft, die Zhu Chao dem Kaiser gebracht hat. Deswegen taucht der Drache im Traum auf.«

»Dann kannst du uns nicht helfen?«

»Sei kein Narr, Anshi Chen. Ich helfe dir jetzt! Bald werden die Gothir gegen uns reiten. Wir müssen uns für diesen Tag vorbereiten. Unser Winterlager muß nahe den Mondbergen sein, und wir müssen bereit sein, dorthin zu fliehen.«

»Die Berge?« flüsterte Anshi. »Aber die Dämonen ...«

»Entweder das, oder wir sterben. Deine Frauen und deine Kinder, und die Kinder deiner Kinder.«

»Warum nicht nach Süden fliegen? Wir könnten reiten, bis wir I hinderte von Kilometern von Gulgothir entfernt sind. Wir könnten uns unter andere Stämme mischen. Wie sollten sie uns dort finden?«

»Zhu Chao würde dich finden«, erwiderte Kesa. »Sei stark, Kriegsherr. Von einem aus unserer Mitte wird der Führer kommen, auf den die Nadir warten. Kannst du das verstehen? Der Mann, der die Stämme eint! Er wird die Gothirherrschaft beenden. Er wird uns die Welt geben.«

»Werde ich das noch erleben?«

Kesa schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich auch nicht«, versicherte er dem Häuptling.

»Es wird geschehen, wie du sagst«, versprach Anshi. »Wir werden unser Lager verlegen.«

»Und nach Belash schicken.«

»Ich weiß nicht, wo er ist.«

»Südlich der neuen Festung der Drenai, in den Bergen, die sie Skeln nennen. Schicke Shia, daß sie ihn heimholt.«

»Belash liebt mich nicht, Schamane. Das weißt du.«

»Ich weiß viele Dinge, Anshi. Ich weiß, daß wir uns in den kommenden Tagen auf dein beständiges Urteil verlassen werden und auf deine Fähigkeiten. Du bist bekannt und geachtet als der Schlaue Fuchs. Aber ich weiß, daß wir die Macht Belashs brauchen, den Weißen Tiger in der Nacht. Und er wird einen anderen mitbringen: Er wird uns den Schatten des Drachen bringen.«

Fkodas blieb vor dem Studierzimmer des Abts stehen, um seine C ledanken zu sammeln. Er liebte das Leben im Tempel, die Ruhe und Kameradschaft, die Stunden des Studierens und der Meditation, selbst die körperlichen Übungen: Laufen, Bogenschießen und Schwertfechten. Er fühlte sich in jeder Weise als Teil der Dreißig.

Mit einer Ausnahme.

Er klopfte an die Tür; dann drückte er die Klinke herunter. Der Kaum wurde durch drei verglaste Laternen erhellt, und er sah Dardalion am Schreibtisch sitzen, über eine Karte aus Ziegenleder gebeugt. Der Abt blickte auf. In dem sanften Licht wirkte er jünger;

die silbernen Strähnen in seinem Haar sahen aus wie schimmerndes Gold.

»Willkommen, mein Junge. Komm herein und setz dich.« Ekodas verbeugte sich und ging zu einem Stuhl. »Sollen wir unsere Gedanken teilen, oder möchtest du lieber laut sprechen?« fragte Dardalion.

»Ich möchte sprechen, Vater.«

»Schön. Vishna und Magnic erzählten mir, daß du noch immer Kummer hast.«

»Ich habe keinen Kummer, Vater. Ich weiß, was ich weiß.«

»Und du siehst keine Arroganz darin?«

»Nein. Meine Uberzeugungen sind nur die gleichen wie deine, ehe du deine Abenteuer mit dem Mörder Waylander erlebt hast. Hattest du damals unrecht?«

»Ich glaube nicht«, antwortete Dardalion. »Aber inzwischen bin ich nicht mehr der Meinung, daß es nur noch einen einzigen Weg zur QUELLE gibt. Egel war ein Mann mit Visionen und ein Gläubiger. Dreimal am Tag betete er um Führung. Doch er war auch ein Soldat, und durch ihn - ja, auch durch Karnak - wurde das Land der Drenai vor dem Feind gerettet. Jetzt ist er tot. Glaubst du, die QUELLE hat sich geweigert, seine Seele ins Paradies zu führen?«

»Die Antwort darauf weiß ich nicht«, sagte der junge Mann. »Aber ich weiß, daß ich gelehrt wurde - von dir und anderen daß Liebe das größte Geschenk der QUELLE ist. Liebe zu allem Leben, zu ihrer ganzen Schöpfung. Jetzt aber höre ich von dir, daß ich ein Schwert tragen und Leben nehmen soll. Das kann nicht richtig sein.«

Dardalion lehnte sich vor, die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, die Hände gefaltet wie im Gebet. »Akzeptierst du, daß die QUELLE den Löwen schuf?«

»Natürlich.«

»Und das Reh?«

»Ja - und der Löwe schlägt das Reh. Das weiß ich. Ich verstehe es nicht, aber ich akzeptiere es.«

»Ich möchte fliegen«, sagte Dardalion. »Komm mit mir.«

Der Abt schloß die Augen. Ekodas machte es sich in seinem Sessel etwas bequemer und ließ die Arme auf den gepolsterten Lehnen ruhen; dann holte er tief Luft. Die Freilassung des Geistes wirkte bei Dardalion mühelos. Für Ekodas dagegen war es meist außerordentlich schwierig, als ob seine Seele mit Widerhaken am Fleisch hinge.

Er folgte den Lektionen, die er seit zehn Jahren lernte, wiederholte die Mantras, klärte seinen Geist.

Die Taube im Tempel, die sich öffnende Tür, der goldene Kreis im blauen Feld, ausgebreitete Flügel im goldenen Käfig, das Abstreifen der Ketten auf dem Boden des Tempels.

Er spürte, wie er seinen Körper loszulassen begann, als ob er in den warmen Wassern des Mutterschoßes trieb. Hier war er sicher, zufrieden. Das Gefühl kehrte zurück: sein Rücken am das harten Holz des Stuhles, seine Füße in den Sandalen auf dem kalten Fußboden. Nein, nein, schalt er sich selbst. Du verlierst es! Er verstärkte seine Konzentration wieder. Aber er konnte nicht flie-gen.

Dardalions Stimme flüsterte in seinen Gedanken. »Nimm meine Hand, Ekodas.«

Ein Licht schien golden und wärmend, und Ekodas nahm das Verschmelzen dankend hin. Die Freilassung erfolgte sofort, und sein Geist durchbrach den Tempel seines Körpers, stieg empor durch den zweiten Tempel aus Stein, um hoch am nächtlichen Himmel über Drenai zu fliegen.

»Warum ist es für mich so schwierig?« fragte er den Abt.

Dardalion - wieder jung, das Gesicht faltenlos - streckte eine Hand aus und berührte seinen Schüler an der Schulter. »Zweifel sind Ängste, mein Junge. Und Träume des Fleisches. Kleine Sünden, bedeutungslos, aber beunruhigend.«

»Wohin fliegen wir, Vater?«

»Folge mir und beobachte.« Sie flogen nach Osten, über das glitzernde, sternenbeschienene Ventrische Meer. Ein Sturm tobte hier, und weit unter ihnen kämpfte eine kleine Trireme gegen die Elemente. Große Wellen schlugen über ihrem flachen Deck zusammen. Ekodas sah, wie ein Seemann über Bord gespült wurde, wie er in den Wellen versank, wie der glitzernde Funke seiner Seele aufstieg und verschwand.

Das Land unter ihnen wirkte dunkel; die Berge und Ebenen von Ventria erstreckten sich nach Osten, während hier, an der Küste, hell erleuchtete Städte und Häfen wie Juwelen auf einem schwarzen Mantel schimmerten. Dardalion flog hinab, hinab... Die beiden Priester schwebten ein paar hundert Meter hoch in der Luft, und

Ekodas sah die zahlreichen Schiffe, die hier vor Anker lagen, hörte das dröhnende Hämmern der Waffenschmiede in der Stadt.

»Die ventrische Kriegsflotte«, sagte Dardalion. »Sie wird im Laufe der Woche auslaufen. Sie werden Purdol, Erekban und Lentrum angreifen und Armeen an Land setzen, um in Drenai einzumarschieren. Krieg und Zerstörung.«

Er flog weiter, überquerte die hohen Berge und glitt dann über eine Stadt aus Marmor, deren Häuser in gitterförmig angelegten Prachtstraßen und einem Gewirr kleiner Straßen lagen. Auf dem höchsten Hügel stand ein Palast, umgeben von hohen Mauern, die von zahlreichen Wächtern in goldbetreßten, weißsilbernen Rüstungen bemannt waren. Dardalion flog in den Palast, durch die Mauern und die Wandbehänge aus Samt und Seide, bis er schließlich in ein Schlafzimmer kam, wo ein Mann mit dunklem Bart im Schlaf lag. Über dem Mann schwebte sein Geist, formlos und vage, unbewußt und unwissend.

»Wir könnten den Krieg jetzt aufhalten«, sagte Dardalion, in dessen Hand ein silbernes Schwert erschien. »Ich könnte die Seele dieses Mannes erschlagen. Dann wären Tausende von Drenaibauern und Soldaten, Frauen und Kindern in Sicherheit.«

»Nein!« schrie Ekodas und schwebte rasch zwischen den Abt und den formlosen Geist des ventrischen Königs.

»Glaubst du wirklich, ich würde so etwas tun?« fragte Dardalion traurig.

»Ich ... ich, es tut mir leid, Vater. Ich sah das Schwert und ...« Seine Stimme brach.

»Ich bin kein Mörder, Ekodas. Und ich kenne nicht den ganzen Willen der QUELLE. Den kennt niemand. Und niemals wird ein Mensch ihn kennen, auch wenn es viele gibt, die dieses Wissen zu besitzen behaupten. Nimm meine Hand, mein Sohn.« Die Mauern des Palastes verschwanden, und mit schwindelerregender Geschwindigkeit überquerten die beiden Seelen noch einmal das Meer, diesmal nach Nordosten. Farben zuckten vor Ekodas' Augen, und hätte Dardalion ihn nicht so fest gehalten, wäre er in den wirbelnden Lichtern verlorengegangen. Sie wurden langsamer, und Ekodas blinzelte, um sich wieder zurechtzufinden. Unter ihm lag eine weitere Stadt mit Marmorpalästen. Ein riesiges Amphitheater im Westen und ein gewaltiges Stadion für Wagenrennen im Zentrum wiesen sie als Gulgothir aus, die Hauptstadt des Gothirreiches.

»Was wollen wir hier sehen, Vater?« fragte Ekodas.

»Zwei Männer«, antwortete Dardalion. »Wir haben die Pforten der Zeit durchschritten, um hier zu sein. Die Szene, die du sehen wirst, geschah vor fünf Tagen.«

Immer noch die Hand des jungen Priesters haltend, schwebte Dardalion über die Palastmauern in einen kleinen Raum hinter dem Thronsaal. Der Kaiser der Gothir saß auf einem seidenbespannten Diwan. Er war ein junger Mann, nicht älter als zwanzig, mit großen, vorstehenden Augen und einem fliehenden Kinn, das von einem Bärtchen halb verdeckt wurde. Auf einem niedrigen Hocker vor ihm saß ein zweiter Mann, in lange dunkle Gewänder aus schimmernder Seide gekleidet, die mit Silber bestickt waren. Sein Haar war dunkel und mit Öl flach an den Schädel geklebt; die Koteletten waren unnatürlich lang und hingen geflochten bis auf die Schultern. Seine Augen unter den dichten hohen Brauen waren schräg; sein Mund bildete eine dünne Linie.

»Du sagst, das Reich ist in Gefahr, Zhu Chao«, sagte der Kaiser, dessen tiefe Stimme, volltönend und stark, sein schwächliches Äußeres Lügen strafte.

»In der Tat, Majestät. Wenn Ihr nicht handelt, werden Eure Nachkommen abgesetzt, Eure Städte erobert. Ich habe die Omen gelesen. Die Nadir warten nur auf den, der die Stämme eint. Und er wird kommen, vom Stamme der Wolfsschädel.«

»Und was kann ich dagegen tun?«

»Wenn die Wölfe deine Schafe töten, mußt du die Wölfe töten.«

»Du sprichst von einem ganzen Stamm der Nadir.«

»Allerdings, Majestät. Achthundertundvierzig Wilde. Sie sind keine Menschen, so wie Ihr und ich dieses Wort verstehen. Ihre Leben sind bedeutungslos. Aber ihre künftigen Söhne könnten das Ende der Zivilisation der Gothir bedeuten.«

Der Kaiser nickte. »Es wird einige Zeit dauern, um genügend Männer für diese Aufgabe zu sammeln. Wie du weißt, stehen die Ventrier kurz davor, ins Land der Drenai einzumarschieren, und ich habe meine eigenen Pläne.«

»Das verstehe ich, Majestät. Ihr wollt sicher die Sentranische Ebene als Teil Gothirs zurückerobern, was nur richtig und gerecht ist. Aber das wird nicht mehr als zehntausend Mann erfordern. Eurem Befehl unterstehen zehnmal so viele.«

»Aber ich brauche sie, Zauberer. Es gibt immer Feinde im Innern, die den Monarchen stürzen wollen. Ich kann dir fünftausend Mann für diese kleine Aufgabe überlassen. In einem Monat hast du das Massaker, das du dir wünscht.«

»Ihr mißversteht mich, Majestät«, sagte Zhu Choa mit einer tiefen Verbeugung, bei der er die Hände ausbreitete wie ein Bittsteller. »Ich denke nur an die Zukunft Gothirs.«

»Oh, ich glaube an die Prophezeiung, Zauberer. Andere Magier und mehrere Schamanen haben mir ähnliche Geschichten erzählt, wenn auch keiner einen einzelnen Stamm beim Namen nannte. Aber du hast andere Gründe für deinen Wunsch, die Wölfe zu vernichten, sonst hättest du den, der die Stämme eint, zurückverfolgt bis zu einem Mann mit einem Namen. Das hätte die Aufgabe sehr viel einfacher gemacht: ein Messer in der Nacht. Halte mich nie für einen Dummkopf, Zhu Chao. Du hast eigene Gründe dafür, warum sie alle sterben sollen.«

»Ihr seid allweise, Majestät, und allwissend«, flüsterte der Zauberer, fiel auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden.

»Nein, das bin ich nicht. Und das zu wissen, ist meine Stärke. Aber ich werde dir die Toten geben, die du willst. Du bist mir ein guter Diener gewesen und hast nie ein falsches Spiel mit mir gespielt. Und wie du schon sagst, es sind nur Nadir. Es wird die Truppe anstacheln, die Soldaten anfeuern vor der Invasion von Drenan. Ich verstehe dich doch recht - du willst die Ritter der Bruderschaft in den Kampf schicken?«

»Selbstverständlich, Majestät. Wir brauchen sie, um gegen die böse Macht Kesa Khans zu kämpfen.«

Die Szene verblaßte, und Ekodas fühlte wieder das warme Gefängnis seines Körpers. Er öffnete die Augen und sah, wie Darda-lion ihn anstarrte. »Sollte ich daraus etwas lernen, Vater Abt? Ich sah nur schlechte Männer, stolz und unbarmherzig. Die Welt ist voll davon.«

»Das stimmt«, gab Dardalion ihm recht. »Und sollten wir unser Leben damit verbringen, durch die Welt zu reisen und sie zu erschlagen, gäbe es am Ende unserer Reise mehr von ihnen als zu Beginn.«

»Aber genau das ist doch mein Argument, Herr Abt«, sagte Ekodas erstaunt.

»Stimmt. Und das solltest du bedenken. Ich schätze dein Argument, und ich akzeptiere die Voraussetzung, auf der es beruht. Dennoch glaube ich an die Sache der Dreißig. Ich glaube trotzdem, daß wir ein Tempel der Schwerter sein müssen. Ich möchte, daß du morgen abend die Diskussion leitest, Ekodas. Ich werde deine Argumente vortragen, als wären es meine eigenen. Und du wirst meine vortragen.«

»Aber ... das macht doch keinen Sinn, Vater. Ich verstehe deine Sicht nicht einmal ansatzweise!«

»Gib dein Bestes. Ich werde aus dieser Debatte eine offene Wahl machen. Die Zukunft der Dreißig hängt von ihrem Ausgang ab. Ich werde mein möglichstes tun, um unsere Brüder von der Stichhaltigkeit deiner Argumente zu überzeugen. Du darfst nicht weniger tun. Wenn ich gewinne, dann verschwinden die Schwerter und Rüstungen wieder in den Lagern, und wir werden als mönchischer Orden weiter bestehen. Gewinnst du, wollen wir die Führung der QUELLE abwarten und unserem Schicksal entgegenreiten.«

»Warum kann ich nicht für meine eigenen Überzeugungen eintreten?«

»Glaubst du, ich werde ihnen keine Gerechtigkeit widerfahren lassen?«

»Nein, natürlich nicht, aber ...«

»Dann ist es abgemacht.«