Kapitel 11

»Wo, wann, wie viele?«, fragte Bill in scharfem Ton.

»Einige Sheriffs haben sie schon abgesetzt«, erwiderte Frannie, und ich kann versichern, dass da bloß eine sehr verhaltene Freude mitschwang, als sie diese folgenschwere Neuigkeit überbrachte. »Mit kleinen Truppen schalten sie die Schwächeren aus, während sie eine größere Streitmacht um das Fangtasia zusammenziehen, um Eric zu entmachten.«

Bill telefonierte schon mit dem Handy, ehe Frannie das letzte Wort ausgesprochen hatte, und ich konnte ihn nur anstarren. Ich hatte erst so spät begriffen, wie geschwächt Louisiana war, dass ich einen Augenblick lang meinte, ich hätte die Situation mit meinen Gedanken heraufbeschworen.

»Wie ist es dazu gekommen?«, fragte ich Frannie. »Was hat Quinn damit zu tun? Wie geht es ihm? Hat er dich geschickt?«

»Natürlich hat er mich geschickt«, erwiderte sie, als wäre ich die dümmste Person, der sie je begegnet war. »Er weiß, dass du an den Vampir Eric gebunden bist, und das macht auch dich zur Zielscheibe. Die Vampire aus Las Vegas haben sogar jemanden losgeschickt, um dich unter die Lupe zu nehmen.«

Jonathan.

»Sie wollten sich einen Überblick über den Wert von Erics Besitztümern verschaffen, verstehst du, und dich sehen sie als einen Teil davon.«

»Und was hat das alles mit Quinn zu tun?«, fragte ich zunehmend verwirrt.

»Unsere Mutter, unsere gottverdammte, verrückte Mutter«, sagte Frannie verbittert. »Du weißt, dass sie von ein paar Jägern gefangen und vergewaltigt wurde, oder? In Colorado. Vor Urzeiten.« Nein, vor etwa neunzehn Jahren, denn dabei war sie mit Frannie schwanger geworden.

»Und Quinn hat sie gerettet und die Jäger getötet, obwohl er noch ein Teenager war. Aber danach stand er in der Schuld der Vampire, denn er musste sie bitten, die Toten und das Chaos zu beseitigen, damit er seine Mutter wegschaffen konnte.«

Ich kannte die traurige Geschichte von Quinns Mutter. Inzwischen nickte ich schon ganz verzweifelt, weil ich endlich etwas Neues hören wollte.

»Okay, nun, meine Mom war schwanger mit mir nach der Vergewaltigung.« Trotzig starrte Frannie mich an. »Ich wurde also geboren, aber sie war nicht mehr ganz richtig im Kopf, und bei ihr aufzuwachsen war ziemlich hart, klar? Quinn musste seine Schuld abarbeiten, in der Kampfarena.« (Der Gladiator, nur mit Wergeschöpfen, das trifft's ziemlich genau.) »Sie war nicht mehr ganz richtig im Kopf«, wiederholte Frannie. »Und es wurde immer schlimmer.«

»Verstehe.« Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Bill schien die Geschichte jeden Moment aus Frannie herausprügeln zu wollen, weil ihm das alles nicht schnell genug ging. Doch ich schüttelte den Kopf und bedeutete ihm, sich zu gedulden.

»Okay, sie bekam also einen netten Platz außerhalb von Las Vegas, für den Quinn zahlte - im einzigen Zentrum für Betreutes Wohnen in Amerika, das Leute wie meine Mom aufnimmt.« Ein Sanatorium für geistesgestörte Wertiger? »Aber vor Kurzem drehte Mom durch. Sie ermordete eine Touristin, zog ihre Kleider an und fuhr per Anhalter nach Las Vegas, wo sie einen Mann aufgabelte. Den hat sie auch ermordet. Sie hat ihn ausgeraubt und sein Geld verspielt, bevor sie schließlich aufgegriffen wurde.« Frannie hielt kurz inne und holte tief Luft. »Quinns Wunden aus Rhodes waren noch nicht mal verheilt, und das hat ihm fast den Rest gegeben.«

»Oh nein.« Warum nur hatte ich das komische Gefühl, dass ich immer noch nicht das Ende der Geschichte gehört hatte?

»Ja, man fragt sich, was schlimmer ist, stimmt's? Die Flucht oder die Morde?«

Die beiden Touristen hätten dazu wahrscheinlich eine ganz eindeutige Meinung gehabt.

Schemenhaft nahm ich wahr, dass Amelia ins Wohnzimmer kam, und auch, dass sie sich über Bills Anwesenheit gar nicht wunderte. Sie war also noch wach gewesen, als Bill Pam abgelöst hatte. Amelia war Frannie noch nie zuvor begegnet, unterbrach ihren Redefluss aber nicht.

»Nun, in Las Vegas gibt es jedenfalls ein großes Vampirkartell, weil man dort reiche Beute machen kann«, erzählte Frannie. »Sie haben Mom noch vor der Polizei aufgespürt, und sie haben wieder alle Spuren beseitigt. Es kam heraus, dass Whispering Palms, von wo Mom abgehauen war, alle Supras der Umgebung alarmiert und gebeten hatte, Ausschau nach ihr zu halten. Als ich in das Casino kam, wo sie Mom aufgegriffen hatten, erzählten die Vampire Quinn gerade, dass sie sich bereits um alles gekümmert hätten und er jetzt wieder in ihrer Schuld stehe. Und als Quinn sagte, dass er noch eine schwere Verletzung auskuriere und nicht in die Kampfarena gehen könne, schlugen sie vor, dass ich stattdessen als Blutspenderin oder Hure für Vampirtouristen einspringen könnte. Herrgott, Quinn hätte den, der das gesagt hat, fast umgebracht.«

Bill und ich wechselten einen Blick. Der Vorschlag, Frannie »einspringen« zu lassen, war natürlich nur ein Schachzug gewesen, damit alle das Gesicht wahren konnten.

»Dann sagten sie, sie hätten von einem geschwächten Königreich gehört, das leicht zu haben sei - Louisiana. Quinn erzählte ihnen, dass sie es quasi umsonst bekommen könnten, wenn der König von Nevada Sophie-Anne heiratete, denn die habe sowieso keinen Verhandlungsspielraum mehr. Da gab sich der König von Nevada plötzlich zu erkennen und sagte, er hasse Krüppel und würde unter keinen Umständen eine Vampirin heiraten, die ihren letzten Ehemann getötet hatte, egal, wie schön ihr Königreich sei, auch dann nicht, wenn's Arkansas noch obendrauf gebe.« Sophie-Anne war nicht nur Königin von Louisiana, sondern auch von Arkansas, da sie von einem Vampirgericht vom Mord an ihrem Ehemann (dem König von Arkansas) freigesprochen worden war. Wegen des Bombenattentats hatte Sophie-Anne allerdings noch keine Gelegenheit gehabt, ihre Ansprüche geltend zu machen. Aber ich hätte schwören können, dass das ganz oben auf ihrer To-Do-Liste stand.

Bill klappte noch mal sein Handy auf und wählte eine Nummer. Aber wen immer er auch erreichen wollte, es nahm keiner ab. Seine dunklen Augen glühten, er war vollkommen aufgewühlt und griff nach seinem Schwert, das am Sofa lehnte. Richtig, er war vollständig bewaffnet erschienen. Solche Dinger bewahrte ich jedenfalls nicht in meinem Geräteschuppen auf.

»Sie werden uns heimlich und schnell ausschalten wollen, damit die Presse der Menschen es nicht mitbekommt. Und mit irgendeiner erfundenen Geschichte werden sie dann erklären, warum all die vertrauten Vampirgesichter plötzlich fremden gewichen sind«, sagte Bill. »Und Sie - welche Rolle spielt Ihr Bruder in all dem?«

»Die Vampire haben ihn gezwungen zu verraten, wie viele Leute Sie hier haben und alles, was er sonst noch über die Lage in Louisiana weiß«, erwiderte Frannie. Und um das Ganze noch perfekt zu machen, begann sie zu weinen. »Er wollte es nicht, er wollte einen Deal aushandeln. Aber sie hatten ihn dort, wo sie ihn haben wollten.« Inzwischen sah Frannie fast zehn Jahre älter aus. »Eine Million Mal wollte er Sookie anrufen. Doch sie haben ihn überwacht, und er hatte Angst, sie direkt zu ihr zu führen. Aber sie haben Sookie ja auch so gefunden. Und als er wusste, was sie vorhatten, ging er ein - für uns beide - großes Risiko ein und hat mich losgeschickt. Gott sei Dank hatte ein Freund von mir vor einiger Zeit mein Auto hier bei Sookie abgeholt.«

»Wenigstens einer von euch hätte mich anrufen oder mir schreiben können, irgendwas.« Trotz der sich anbahnenden Katastrophe konnte ich meine Verbitterung nicht einfach herunterschlucken.

»Quinn konnte dir nicht mitteilen, in was für einer schlimmen Lage er steckte. Er sagte, du würdest nur versuchen, ihn da irgendwie herauszuholen. Aber es gab keinen Ausweg.«

»Klar hätte ich versucht, ihn da herauszuholen«, sagte ich. »Das tut man nun mal, wenn ein anderer in Schwierigkeiten steckt.«

Bill schwieg, aber ich spürte, dass sein Blick auf mir ruhte. Ihn hatte ich auch schon aus Schwierigkeiten gerettet. Manchmal bedauerte ich das.

»Und warum ist Ihr Bruder noch bei denen?«, fragte Bill scharf. »Die Informationen haben sie doch jetzt. Es sind Vampire. Wozu sollten sie ihn brauchen?«

»Sie bringen ihn mit, weil er die Verhandlungen mit den Supras führen soll, vor allem die mit den Werwölfen«, sagte Frannie, die plötzlich wie eine Chefsekretärin klang. Irgendwie tat sie mir leid. Als Kind eines Mensehen und einer Wertigerin besaß sie keine besonderen Kräfte, die ihr irgendeinen Vorteil oder eine stärkere Verhandlungsposition verschafft hätten. Ihr Gesicht war von Mascara verschmiert, ihre Nägel völlig abgekaut. Sie war fix und fertig.

Aber es blieb keine Zeit, sich Sorgen um Frannie zu machen, denn die Vampire aus Las Vegas setzten bereits zu einer feindlichen Übernahme Louisianas an.

»Was tun wir jetzt?«, fragte ich. »Amelia, hast du die magische Versiegelung des Hauses überprüft? Schließt sie auch unsere Autos ein?« Amelia nickte knapp. »Bill, hast du im Fangtasia und bei all den anderen Sheriffs angerufen?«

Bill nickte. »Keine Antwort von Cleo. Arla Yvonne habe ich erreicht. Sie hatte bereits Wind von der Sache bekommen und versucht, unterzutauchen und sich mit sechs Vampiren aus ihrem Nest bis Shreveport durchzuschlagen. Seit Gervaises Tod kümmern sich seine Vampire um die Königin, und deren Leutnant ist Booth Crimmons. Booth sagt, er war heute Abend unterwegs, und sein Geschöpf Audrey, das bei der Königin und Sigebert geblieben ist, geht nicht ans Telefon. Nicht mal der Stellvertreter, den Sophie-Anne nach Little Rock geschickt hat, nimmt seine Anrufe entgegen.«

Einen Augenblick lang schwiegen wir alle. Es war einfach unvorstellbar, dass Sophie-Anne bereits tot sein sollte.

Bill schüttelte sich. »Also«, fuhr er fort, »wir können hierbleiben oder auch einen anderen Platz für euch drei suchen. Wenn ihr in Sicherheit seid, muss ich so schnell wie möglich zu Eric. Er wird heute Nacht jede helfende Hand brauchen, wenn er überleben will.«

Einige Sheriffs waren bestimmt schon tot. Und Eric könnte heute Nacht auch sterben. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte Mühe, zu atmen und mich auf den Beinen zu halten. Darüber durfte ich jetzt einfach nicht nachdenken.

»Wir kommen schon zurecht«, sagte Amelia beherzt. »Ich bin überzeugt, dass Sie ein großartiger Kämpfer sind, Bill. Aber wir sind auch nicht völlig wehrlos.«

Bei allem Respekt vor Amelias Hexenkünsten - wir waren wehrlos, zumindest gegen Vampire.

Bill drehte sich plötzlich um und sah die Diele hinunter zur Hintertür. Er hatte etwas gehört, das nicht an unsere menschlichen Ohren gedrungen war. Schon eine Sekunde später vernahm ich eine vertraute Stimme.

»Bill, lass mich rein. Je eher, desto besser!«

»Eric«, sagte Bill mit größter Genugtuung. Mit einer so rasanten Bewegung, dass nichts als verschwommene Konturen von ihm blieben, war er an der Hintertür. Tatsächlich, dort stand Eric. Irgendwie entspannte ich mich augenblicklich. Er war am Leben. Auch wenn er nicht so gepflegt aussah wie sonst. Sein T-Shirt war zerrissen, und er lief barfuß.

»Ich bin nicht rechtzeitig ins Fangtasia reingekommen«, erzählte er, als er mit Bill zu uns trat. »Und bei mir zu Hause war es auch nicht mehr sicher, nicht allein. Ich konnte niemanden erreichen, aber deine Nachricht auf meiner Mailbox habe ich erhalten, Bill. Also, Sookie, ich muss dich wohl um deine Gastfreundschaft bitten.«

»Gern«, erwiderte ich automatisch, obwohl ich darüber besser noch mal nachgedacht hätte. »Aber vielleicht sollten wir hinübergehen zu -« Ich wollte gerade vorschlagen, über den alten Friedhof zu Bills Haus zu gehen, das größer und für Vampire komfortabler war, als sich von einer ganz anderen Seite Schwierigkeiten ergaben. Wir hatten Frannie kaum noch beachtet, seit sie ihre Geschichte beendet hatte. Nach ihrer dramatischen Erzählung war sie regelrecht in sich zusammengesunken und hatte Zeit genug gehabt, sich die katastrophalen Folgen auszumalen, die uns allen drohten.

»Ich muss hier raus!«, rief Frannie. »Quinn hat zwar gesagt, ich soll bleiben. Aber ihr alle ...« Ihre Stimme war schrill geworden, und ihre Muskeln waren auf das Äußerste angespannt, als sie aufsprang und wild herumfuhr.

»Frannie.« Bill legte ihr seine weißen Hände an die Wangen und sah ihr tief in die Augen. Frannie schwieg augenblicklich. »Sie bleiben hier, Sie dumme Gans, und tun, was Sookie Ihnen sagt.«

»Okay«, erwiderte Frannie. Mit einem Mal war sie vollkommen ruhig.

»Danke«, sagte ich zu Bill. Amelia starrte ihn richtig schockiert an. Vermutlich hatte sie vorher noch nie einen Vampir einen Menschen in seinen Bann ziehen sehen. »Ich hole meine Schrotflinte«, sagte ich zu niemand Bestimmtem. Doch ehe ich einen Schritt tun konnte, öffnete Eric schon den eingebauten Schrank bei der Haustür, griff hinein und holte die Benelli heraus. Mit amüsierter Miene reichte er sie mir. Unsere Blicke trafen sich.

Eric hatte sich erinnert, wo ich meine Schrotflinte aufbewahrte. Das konnte er nur aus der Zeit wissen, in der er bei mir gewohnt und sein Gedächtnis verloren hatte.

Als ich meinen Blick wieder abwenden konnte, sah ich Amelia auf selbstgefällige Weise nachdenklich vor sich hin starren. Schon die kurze Zeit, die wir zusammenwohnten, hatte mich gelehrt, dass mir dieser Ausdruck bei ihr gar nicht gefiel. Es bedeutete, dass sie gleich etwas zum Besten geben würde, das mir absolut nicht passte.

»Regen wir alle uns nicht bloß künstlich auf?«, fragte sie rhetorisch. »Vielleicht besteht ja überhaupt kein Grund zur Panik.«

Bill starrte Amelia an, als wäre sie zur Vollidiotin mutiert. Frannie wirkte völlig unbeeindruckt.

»Warum eigentlich«, begann Amelia mit einem kleinen, überlegenen Lächeln, »sollte irgendwer hinter uns her sein? Oder genauer, hinter dir, Sookie. Denn hinter mir sind die Vampire bestimmt nicht her. Aber mal abgesehen davon, warum sollten sie hierherkommen? Du bist nicht von strategischer Bedeutung für die Verteidigung der Vampire. Aus welchem vernünftigen Grund sollten sie dich also ermorden oder entführen wollen?«

Eric hatte einen Rundgang durchs Haus gemacht, um alle Fenster und Türen zu überprüfen, und kam zurück, als Amelia ihre Rede gerade beendet hatte. »Was ist los?«, fragte er.

»Amelia erklärt mir gerade«, erzählte ich ihm, »dass es keinen vernünftigen Grund gibt, warum die Vampire es bei ihrer feindlichen Übernahme von Louisiana auch auf mich abgesehen haben sollten.«

»Natürlich haben sie es auch auf dich abgesehen«, erwiderte Eric, wobei er Amelia kaum beachtete. Einen Moment lang musterte er Frannie, nickte zufrieden, und dann stand er auch schon an einem der Wohnzimmerfenster und sah hinaus. »Sookie ist durch Blutsbande mit mir verbunden. Und jetzt bin ich nun mal hier.«

»Ja«, sagte Amelia langsam. »Vielen Dank, Eric, dass Sie direkt auf dieses Haus zugesteuert sind.«

»Amelia, sind Sie nicht eine Hexe mit großen Zauberkräften?«

»Das bin ich«, erwiderte sie vorsichtig.

»Und ist Ihr Vater nicht ein vermögender Mann mit einer Menge Einfluss in Louisiana? Ist Ihre Mentorin nicht eine berühmte Hexe?«

Tja, da hatte wohl noch jemand Nachforschungen im Internet angestellt. Eric und Copley Carmichael schien einiges zu verbinden.

»Ja«, sagte Amelia. »Okay, die Vampire möchten uns also hier zusammenpferchen. Aber trotzdem, wenn Eric nicht bei uns wäre, müssten wir nicht um unsere Unversehrtheit fürchten.«

»Glaubst du etwa, dass wir eigentlich gar nicht in Gefahr schweben?«, fragte ich. »Bei all den Vampiren, der Aufregung, dem Blutdurst?«

»Wir sind nur von Nutzen, solange wir am Leben sind.«

»Irgendwann stirbt jeder«, sagte ich grimmig, und Bill lachte prustend. So aufgedreht hatte ich ihn noch nie erlebt, und ich sah ihn an. Bill war bereits ganz aufgeregt wegen des bevorstehenden Kampfes, seine Fangzähne waren ausgefahren. Frannie starrte ihn an, doch ihre Miene veränderte sich nicht. Hätte die geringste Chance bestanden, dass sie ruhig und kooperativ blieb, hätte ich Bill gebeten, sie aus diesem künstlichen Zustand zu befreien. Mir gefiel diese stille, unaufgeregte Frannie - dass sie ihren freien Willen eingebüßt hatte, gefiel mir allerdings nicht.

»Warum ist Pam gegangen?«, fragte ich.

»Im Fangtasia ist sie von größerem Nutzen. Die anderen sind heute Abend alle im Club, und sie kann mir berichten, ob sie dort eingeschlossen sind. Es war dumm von mir, sie alle im Fangtasia zu einem Treffen zusammenzutrommeln. Ich hätte ihnen lieber raten sollen, sich in alle Richtungen zu zerstreuen.« So, wie Eric jetzt dreinsah, bestand nicht die Gefahr, dass er diesen Fehler noch einmal machen würde.

Bill stand dicht bei einem der Fenster und lauschte auf die Geräusche der Nacht. Er sah Eric an und schüttelte den Kopf. Niemand da. Noch nicht.

Da klingelte Erics Handy. Eine Minute lang hörte er zu, dann sagte er: »Viel Glück«, und legte auf.

»Die meisten anderen sind im Club«, sagte er zu Bill, der nickte.

»Wo ist Claudine?«, fragte Bill mich.

»Keine Ahnung.« Wieso kam Claudine manchmal, wenn ich in Schwierigkeiten steckte, und manchmal nicht? Wurde es ihr einfach zu viel? »Vermutlich kommt sie nicht, weil ihr beide hier seid. Es wäre sinnlos, mich verteidigen zu wollen, wenn weder Eric noch du die Fangzähne von ihr lassen könnt.«

Bill richtete sich auf. Etwas war an sein scharfes Gehör gedrungen. Er drehte sich um und wechselte einen langen Blick mit Eric. »Nicht die Begleitung, für die ich mich entschieden hätte«, sagte Bill mit seiner kühlen Stimme. »Aber wir werden ihnen eine gute Show bieten. Die Frauen tun mir allerdings leid.« Und dann sah er mich an. Seine dunklen Augen waren voller Gefühl. War es Liebe? Oder Kummer? Ohne einen Hinweis aus seinen Gedanken konnte selbst ich das nicht sagen.

»Noch liegen wir nicht im Grab«, erwiderte Eric fast genauso kühl.

Jetzt konnte auch ich die Autos die Auffahrt herauffahren hören. Amelia stieß unwillkürlich einen Angstschrei aus, und Frannie riss die Augen noch weiter auf, blieb aber wie gelähmt auf ihrem Stuhl sitzen. Eric und Bill versanken in sich selbst.

Die Autos hielten vor dem Haus, dann hörten wir das Öffnen und Schlagen von Türen, und irgendwer ging auf das Haus zu.

Ein heftiges Klopfen - nicht an der Haustür, sondern an einem der Verandapfosten.

Langsam ging ich auf die Haustür zu. Bill packte mich am Arm und trat vor mich. »Wer ist da?«, rief er und schob mich sofort einen Meter zur Seite.

Er hatte erwartet, dass durch die Tür geschossen würde.

Doch es wurde nicht geschossen.

»Hier ist der Vampir Victor Madden!«, rief jemand in gut gelauntem Ton.

Tja, Überraschung. Vor allem für Eric, der kurz die Augen schloss. Der Name Victor Madden schien für ihn Bände zu sprechen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was in diesen Bänden zu lesen stand.

»Kennst du ihn?«, fragte ich Bill flüsternd.

»Ich bin ihm schon mal begegnet«, erwiderte Bill, ohne ins Detail zu gehen; innerlich schien er einen argumentativen Kampf auszufechten. Noch nie hatte ich mir so sehr wie in diesem Moment gewünscht, den Gedanken einer Person folgen zu können. Die Stille belastete mich.

»Freund oder Feind?«, rief ich.

Victor lachte. Es war ein echtes Lachen - ein herzliches, eins von der Sorte »Ich lache mit dir, nicht über dich«. »Eine ausgezeichnete Frage«, rief er, »und eine, die nur Sie beantworten können! Habe ich die Ehre, mit der berühmten Gedankenleserin Sookie Stackhouse zu sprechen?«

»Sie haben die Ehre, mit der Kellnerin Sookie Stackhouse zu sprechen«, erwiderte ich frostig. Und dann hörte ich einen kehligen, wilden Laut wie von einem Tier. Von einem sehr großen Tier.

Mir sank das Herz bis zu meinen nackten Füßen hinunter.

»Die magische Versiegelung hält«, wisperte Amelia beschwörend vor sich hin. »Die magische Versiegelung hält, die magische Versiegelung hält.« Bill blickte mich mit dunklen Augen an, Gedanken zuckten in rascher Folge über sein Gesicht. Frannie wirkte unbeteiligt und abwesend, aber ihre Augen waren auf die Tür gerichtet. Sie hatte den Laut ebenfalls gehört.

»Quinn ist da draußen bei ihnen«, flüsterte ich Amelia zu, weil sie die Einzige im Zimmer war, die es noch nicht begriffen hatte.

»Steht er auf ihrer Seite?«, fragte Amelia.

»Sie haben seine Mutter«, rief ich ihr in Erinnerung. Doch mir war richtiggehend übel.

»Und wir haben seine Schwester«, sagte Amelia.

Eric wirkte genauso nachdenklich wie Bill. Die beiden sahen sich an, und es bestand kein Zweifel, dass sie ein komplettes Gespräch miteinander führten, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Doch all diese Nachdenklichkeit war kein gutes Zeichen. Es bedeutete, dass sie sich noch auf keine Vorgehensweise geeinigt hatten.

»Dürfen wir vielleicht hereinkommen oder mit einem von Ihnen von Angesicht zu Angesicht sprechen?«, fragte die charmante Stimme. »Sie scheinen einige Schutzvorkehrungen am Haus getroffen zu haben.«

Amelia stieß einen Arm in die Luft. »Genau!«, rief sie und lachte mich an.

Nichts gegen ein wenig verdiente Selbstbeweihräucherung, auch wenn das Timing vielleicht etwas schlecht war. Ich lächelte zurück, obwohl ich fürchtete, meine Miene könnte mir gefrieren.

Eric schien sich gesammelt zu haben, und nach einem letzten langen Blick entspannten Bill und er sich ein wenig. Eric drehte sich zu mir um, küsste mich ganz sachte auf den Mund und betrachtete einen Augenblick mein Gesicht. »Er wird dich verschonen«, sagte Eric, doch er sprach gar nicht wirklich mit mir, sondern mit sich selbst. »Du bist zu wertvoll für eine solche Verschwendung.«

Und dann öffnete er die Haustür.