17
Als in der zweiten Aprilwoche Ostern nahte, war Meggan sich dessen sicher, was sie schon seit einigen Wochen vermutete. Sie erwartete ein Kind von Con. Jetzt stand sie vor dem Dilemma, was sie tun sollte. Da David in den Monaten ihrer Ehe nicht mehr als ein halbes Dutzend Mal auf seinem Recht als Ehemann bestanden hatte, war es äußerst unwahrscheinlich, dass er sich einreden ließe, er hätte seiner Frau ein Kind gezeugt. Zudem schreckte sie innerlich vor einer solchen Täuschung zurück. Zu gut wusste sie um die verborgenen Gefahren, wenn die wahre Elternschaft eines Kindes verheimlicht wurde. So undenkbar es war, David einzureden, er sei der Vater, war es ihr noch verhasster, ihm ihre Untreue zu gestehen. Ihr Mann hatte etwas Besseres verdient als den Schmerz und die Enttäuschung, die er bei so einem Geständnis erleiden würde. Er hatte ihr alles gegeben, seinen guten Namen, sein Zuhause, seinen Wohlstand. Er hatte ihr die Möglichkeit geboten, sich einen lange gehegten Traum zu erfüllen. Vor allem aber hatte er ihr seine Zuneigung und seinen Respekt entgegengebracht. Ob die Zuneigung ihres Mannes so tief war, dass man sie als Liebe bezeichnen konnte, wusste Meggan nicht. Liebe war das, was sie mit Con teilte. Für David empfand sie Dankbarkeit und Sympathie und hatte ihn im Laufe der gemeinsam verbrachten Zeit sehr ins Herz geschlossen. Niemals im Leben würde sie so einem guten Mann wehtun wollen. Doch wie sollte es ihn nicht schmerzen, wenn er von ihrem Zustand erfuhr? Zum Glück litt sie nicht unter der Morgenübelkeit, von der andere Frauen berichtet hatten. Die einzigen körperlichen Anzeichen für ihre Schwangerschaft – abgesehen davon, dass ihr Monatsfluss ausblieb -, waren eine leichte Zunahme ihres Taillenumfangs und ein Spannen in den Brüsten. Einige Wochen konnte sie ihren Zustand noch verheimlichen. Obwohl sie immer noch nicht gerne nähte, ging sie davon aus, dass sie Kleider, die ihr zu eng wurden, an der Taille etwas auslassen konnte. Nicht einmal die stets wachsame Madame Marietta hatte einen Verdacht. Sie machte zwar eine Bemerkung über die blühende Gesundheit ihres Schützlings, führte diese jedoch auf den romantischen Aufenthalt in Hahndorf zurück. Meggan wusste, dass sie die Einzige war, der sie sich anvertrauen konnte. Wenn jemand verstand, wie leidenschaftlich Meggan dieses Kind wollte, diesen Teil von Con, den sie für immer behalten konnte, dann Madame. Im Juni war sie im fünften Monat schwanger und ihre Taille war immer noch recht schlank. Und Meggan wusste immer noch nicht, wie sie ihrem Mann beibringen sollte, dass sie ein Kind von einem anderen erwartete. Egal wie sie es im Geiste formulierte, es blieb doch die Tatsache, dass sie David betrogen hatte. Als Madame von ihren Plänen für ein großes Opernkonzert im Oktober sprach, wurde Meggan klar, dass sie nicht länger schweigen konnte. Am Ende ihrer Gesangsstunde, nachdem Frederick gegangen war, gestand sie es ihr. »Madame, ich muss Ihnen etwas sagen. Ich bekomme ein Kind.« Unglaube und Schock explodierten in Madames Gesicht. »Nein! Ausgeschlossen! Ihre Karriere hat gerade angefangen. Nein, Meggan, Sie können keine Kind bekommen.« Sie warf ihrer Schülerin einen Blick zu, der besagte: Du wagst es nicht, ungehorsam zu sein. »Haben Sie verstanden?« »Madame, Sie haben mich nicht verstanden. Ich habe nicht gemeint, dass ich vorhabe, ein Kind zu bekommen. Ich erkläre Ihnen, dass ich schwanger bin. Ich gehe davon aus, dass das Kind Anfang Oktober zur Welt kommt.? Eine Hand flog in einer dramatischen Geste an die Stirn, und Madame taumelte einige Schritte, um sich auf einen Sessel fallen zu lassen, wo sie ihre verzweifelte Pose beibehielt. »Mögen die Götter mich beschützen. Wie können Sie so dumm, wie können Sie so undankbar sein?« Meggan empfand die Reaktion als übertrieben dramatisch und vollkommen egozentrisch und schwieg, obwohl sie ein nervöses Flattern im Magen nicht unterdrücken konnte. Madame ließ die Hand sinken und sah Meggan wütend an. »Sie sagen, Sie wollen ein große Sängerin sein. Und ich arbeite hart mit Ihnen. Ich kleide Sie gut. Ich nehme ein Stimme ohne jeden Ausbildung und nähre und perfektioniere sie, bis sie wie eine lupenreine Edelstein ist.« Sie sprang auf, Zornesröte im Gesicht. »Und jetzt sagen Sie, dass ich mein Zeit vergeudet habe. Sie bekommen stattdessen eine Kind.« Mit einem empörten Schnauben wandte Madame Meggan den Rücken zu, verschränkte die Arme und tippte mit dem Zeh ihres Hausschuhs einen aufgewühlten Rhythmus auf den Boden. »Es tut mir leid, dass Sie so dazu stehen, Madame. Ich versichere Ihnen, dass Ihre Zeit nicht vergeudet war. Mein Wunsch, eine große Sängerin zu werden, ist nicht geringer, nur weil ich in diesem Zustand bin. Ich habe dieses Kind nicht geplant.« Madame wirbelte herum. »Nicht geplant! Dann hätten Sie Ihre Mann vielleicht sagen sollen, Sie wollen keine Kind. Aber er ist schließlich eine alte Mann. Vielleicht ist er ja glücklich über seine fruchtbare Frau.« Ihre Bitterkeit erklärte Meggan alles. Madame war nicht aus eigenem Wunsch kinderlos. Was auch immer der Grund für Madames Zorn war, Meggan wusste, dass sie ihr unmöglich anvertrauen konnte, dass David nicht der Vater des Kindes war. Sie suchte ihre Sachen zusammen. »Was passiert ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, Madame. Es tut mir leid, dass mein Zustand Ihnen so viel Kummer bereitet. Ich würde gerne mit dem Gesangsunterricht fortfahren.« »Aber will ich Sie unterrichten? Das ist den Frage.« »Es ist Ihre Entscheidung, Madame. Ich werde abwarten, bis ich von Ihnen höre.« Und heute Abend, fügte sie in Gedanken hinzu, sage ich es meinem Mann und bitte ihn um Verzeihung. Schuldgefühle und Angst und Sorge um David führten zu starken Kopfschmerzen, und sobald Meggan zu Hause war, zog sie sich in ihr Zimmer zurück und legte sich mit einem feuchten, mit einigen Tropfen Lavendelöl getränkten Waschlappen auf der Stirn ins Bett. Gedanken und Erinnerungen an die vergangenen zwölf Monate ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Sie machten ihre Kopfschmerzen nur noch schlimmer. Sie war wohl doch eingeschlafen, denn ein Klopfen an der Tür riss sie aus einem tiefen Schlaf. Erst als das Klopfen wiederholt wurde, verzog sich der Nebel und sie wurde richtig wach. »Herein«, rief sie und rieb sich mit den Fingerknöcheln die Augen. Die Zeiger der Uhr zeigten, wie sie sah, auf die Zwölf und die Sechs. Auf der Frisierkommode war eine Lampe angezündet worden. Draußen vor dem Fenster war die Dunkelheit der frühen Winternacht hereingebrochen. »Hast du geschlafen, meine Liebe?« Ihr Mann trat ans Bett. »Du bist doch nicht krank, oder?« Seine Besorgnis weckte in ihr nur neue Schuldgefühle. Sie verdiente diesen Mann nicht. »Ich hatte Kopfschmerzen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einschlafe, und auch nicht, dass ich so lange schlafen würde.« »Geht es dir so gut, dass du heute Abend auswärts essen möchtest?« »Meine Kopfschmerzen sind fast verflogen.« Sie schob sich in den Kissen höher. »Gut. Ich möchte mit einem Handelsschiffer ein Geschäft abschließen. Über einige Kleinigkeiten sind wir uns noch nicht handelseinig geworden. Er hat uns eingeladen, heute Abend mit ihm und seiner Frau zu speisen. Nach dem Abendessen werden Nuttal und ich unserem Vertrag die endgültige Form geben, während du und Mrs. Nuttal euch Gesellschaft leisten könnt.« »Was sind die Nuttals für Menschen?« »Aufrichtig. Fleißig. John Nuttal hat es in der Handelsschifffahrt weit gebracht. Er hat sich und seiner Familie ein behagliches Leben verdient. Aber jetzt steht er in Konkurrenz zu anderen Kaufleuten mit schnelleren Schiffen. Nuttal wäre zufrieden, sein Geschäft unverändert weiterzuführen, doch das ist leider nicht möglich.« »Welcher Natur ist euer Vertrag?« »Wir bilden eine Partnerschaft. Ich werde den größeren Teil des Geschäfts besitzen und den Bau eines neuen Schiffes finanzieren. Ich habe vorgeschlagen, unseren Handel nach China und Indien auszudehnen.« Er lächelte, was er selten tat. »Ich muss gestehen, meine Liebe, dass es mir richtig Spaß macht, Geld zu verdienen. Mehr wegen der Herausforderung, etwas anzupacken und zum Erfolg zu bringen, als wegen des Geldes an sich.« »Ich bin mir sicher, dass du immer Erfolg haben wirst, egal was du in die Hand nimmst. Wann sollen wir essen?« »Wir werden gegen acht Uhr erwartet, du hast also genug Zeit, dich fertig zu machen. Oh, und das hier ist für dich, meine Liebe.« Er reichte ihr einen Umschlag, den er in der Hand gehalten hatte. »Die Post hat ihn heute wohl sehr spät gebracht.« Meggans Herz machte einen Satz vor Hoffnung und Angst, der Brief könnte von Con sein, doch als sie den Umschlag in Händen hielt, erkannte sie die Handschrift ihres Bruders. »Er ist von Will. Ich hoffe, er schickt Nachricht von ihrer sicheren Ankunft.« Sie schwang die Füße auf den Boden, um zu ihrem Schreibpult zu eilen, wo sie einen Brieföffner zur Hand nahm. »Ich lasse dich in Ruhe deinen Brief lesen, meine Liebe. Du kannst mir später davon erzählen.« Meggan rückte die Lampe näher an den Sessel und setzte sich, um Wills Brief zu lesen. Meine liebe Megs, wir sind ohne weitere Pannen in Ballarat angekommen und haben an einem Ort namens Red Hill, etwas mehr als eine Meile außerhalb der Siedlung, einen Claim abgesteckt. Wir hatten das Glück, fast sofort auf Gold zu stoßen. Die geringe Menge, die wir geschürft haben, reicht uns, um auf zukünftigen Erfolg zu hoffen.
Ich will gar nicht versuchen, Dir das Goldbergwerk zu beschreiben, außer dass es eine Zeltsiedlung ist, überfüllt, schmutzig und laut, und man sieht nur selten eine Frau. Wenn eine auftaucht, schallt laut der Ruf »Eine Frau, eine Frau« über das Gelände, und die Männer lassen alles stehen und liegen, um sie zu begaffen. Ich glaube, es wäre gefährlich, wollte eine Frau versuchen, sich ohne entsprechende Begleitung ins Goldbergwerk zu wagen. Wir haben schon festgestellt, dass es viele Schurken gibt.
Tommy und Hal schicken Dir liebe Grüße. Beide haben keine Lust, Briefe zu schreiben. Ich habe auch Ma und Pa geschrieben, um ihnen zu sagen, dass es uns gut geht. Von dem Unfall mit dem Wagen habe ich nichts geschrieben. Pa würde sich nur Sorgen machen, während ich den Verdacht habe, dass Ma es aus irgendeinem Grund als eine von Gott verhängte Strafe betrachten würde.
Wir haben in und um Ballarat viele Bekannte aus Burra wiedergetroffen. Einer der Ersten, dem wir begegnet sind, war Tom Roberts. Mach Dich auf eine Überraschung gefasst, Megs. Tom ist Wachtmeister! Er ist hier in Victoria der Polizei beigetreten. Ich kann dazu nur sagen, dass der Staat wohl große Schwierigkeiten hat, Kr?fte f?r die Polizei zu gewinnen, dass sie bereit sind, Hinz und Kunz zu nehmen. Die Freundschaft, die einst zwischen uns herrschte, ist ein f?r alle Mal vorbei.
Bitte schreib uns. Die Stadt kann sich noch keines Postamts rühmen. Bei der Ankunft der Postkutsche versammeln die Menschen sich, um die Post entgegenzunehmen. Die Briefe, die keinen Abnehmer finden, werden in Hudsons Laden hinterlegt.
Ich hoffe, Du bist wohlauf und glücklich. Dein Dich liebender Bruder Will
Meggan las den Brief ein zweites Mal, bevor sie
ihn in die Schublade ihres Schreibpults steckte. Auch sie musste
ihren Eltern schreiben, um ihnen zu erzählen, dass sie ein Kind
erwartete. Doch zuerst musste sie es David sagen. Sie wünschte, sie
würden am Abend zu Hause essen, dann könnte sie ihr Geständnis ohne
weitere Verzögerungen machen. Obwohl ihr das Herz schwer war,
genoss Meggan den Abend. Die Nuttals waren ein charmantes Paar mit
einem behaglichen Heim an der Küste in der Nähe von Port Adelaide.
Im Laufe des ausgezeichneten Mahls entfaltete Mrs. Nuttal ihr
Talent als amüsante Gesprächspartnerin, und als die Männer sich
zurückzogen, um ihre Geschäfte zu besprechen, unterhielt sie
Meggan. Zum ersten Mal seit Wochen konnte Meggan unbeschwert
lachen. David und sie verabschiedeten sich wenige Minuten vor
Mitternacht. In der Kutsche fielen Meggan die Augen zu, und sie
nickte fast ein. David legte ihr einen Arm um und zog ihren Kopf
näher, damit er an seiner Schulter ruhen konnte. »Wir haben ein
Stück bis nach Hause, meine Liebe. Schlaf ruhig, wenn du willst.«
Zärtlich an seine Schulter geschmiegt, dachte Meggan: Ich sage es
ihm heute Nacht noch nicht. Ein Tag mehr wird nicht schaden.
David Westoby ließ seine Frau schlafen, als er am nächsten Morgen
in die Stadt ging. Im Büro seines Anwalts Reilly traf er sich mit
John Nuttal, um den Vertrag zu unterschreiben. Als das
Geschäftliche erledigt war, aßen die drei Männer zusammen zu
Mittag. Um zwei Uhr verabschiedete David sich von seinen
Geschäftspartnern. Er war überzeugt, dass sein Leben nie besser
gewesen war, und beschloss, seine Frau mit einem neuen Schmuckstück
zu überraschen. Beim Juwelier Boynton’s konnte er sich jedoch nicht
zwischen einem Saphirarmband und einem Rubinring entscheiden. Er
überlegte schon, beides zu kaufen, da betrat Madame Marietta den
Laden. »Guten Tag, Madame«, begrüßte er sie. »Vielleicht könnten
Sie mir bei der Auswahl helfen. Glauben Sie, meiner Frau würde der
Ring besser gefallen oder das Armband?« Madame inspizierte beide
Schmuckstücke. »Ich glaube, die Armband. Sie kaufen also Schmuck,
um ihr für die Baby zu danken.« »Wie bitte, Madame? Haben Sie
›Baby‹ gesagt?« Madame warf die Hände in die Luft. »Ach je, sie hat
es Ihnen noch nicht gesagt, und ich verderbe ihr den Überraschung.
Vergessen Sie, was ich gesagt habe.« Sie wies mit einem Nicken auf
den Ladentisch. »Ja, die Armband.« Und verließ eiligen Schrittes
den Laden. David bezahlte das Armband und schob das Päckchen in
seine Jackentasche, ohne recht mitzubekommen, was er tat. Er
versuchte zu begreifen, was Madame gesagt hatte. Hatte sie wirklich
angedeutet, dass Meggan ein Kind erwartete? Da er mit seiner Frau
seit vor Weihnachten nicht mehr intim gewesen war, musste man
Meggan die Schwangerschaft doch deutlich ansehen. Falls das Kind
von ihm war! David hatte gerade den Laden verlassen, als ihn dieser
Gedanke traf. Er stolperte und fuhr sich mit der Hand ans Herz,
sodass ein Passant ihm zu Hilfe eilte. »Es ist alles in Ordnung.
Vielen Dank«, sagte er und atmete tief durch. Auf Beinen, die ihm
plötzlich zu schwach schienen, um ihn zu tragen, ging er langsam
die Straße hinunter. Er weigerte sich, die Tatsache zu akzeptieren,
dass Meggan von einem anderen Mann schwanger war. Doch war es so?
Vielleicht hatte Madame etwas missverstanden, was Meggan zu ihr
gesagt hatte. Das musste es sein. Meggan würde ihn nie mit einem
anderen Mann betrügen. Er liebte sie und glaubte, dass sie auf dem
besten Weg war, seine Liebe zu erwidern. Die Kraft kehrte in seine
Beine zurück, und er war überzeugt, dass diese Sache mit dem Baby
nur ein dummes Missverständnis war. Er beeilte sich, über die
Straße zu kommen, und achtete nicht darauf, dass die Straße
hinunter ein Tumult war. Erst als jemand in seiner Nähe aufschrie,
schaute er auf und sah die durchgegangenen Kutschpferde, die auf
ihn zugaloppierten.
In Riverview konfrontierte Mary Winton Jane. Sie waren in dem
kleinen Zimmer, das Mary als privates Wohnzimmer nutzte und in das
sie Jane gebeten hatte, um ihr nach dem Mittagsmahl Gesellschaft zu
leisten. »Ich hatte gehofft, Jane, du würdest es mir aus eigenem
Antrieb erzählen. Du erwartest ein Kind, nicht wahr?« Jane blickte
zu Boden. Sie hatte gewusst, dass der Tag kommen würde, wo sie
nicht länger so tun konnte, als würde sie nur dick werden. »Wie
weit bist du?« »Im fünften Monat.« »Du bist dir ganz sicher?« »Ja,
Madam. Ich habe es nur einmal gemacht.« »Wer war der Mann? Ich
hoffe, es war keiner von meinen Söhnen.« Jane schüttelte den Kopf.
»Wer war es dann?« »Das kann ich nicht sagen.« »Du meinst, du
willst es nicht sagen. Sei nicht dumm, Jane. Der Mann, der dich in
diese Lage gebracht hat, muss zur Verantwortung gezogen werden.
Falls dies möglich ist, sollte er dich heiraten.« »Er kann mich
nicht heiraten.« »Hat der Mann bereits eine Frau?« Wieder
schüttelte Jane den Kopf. »Bitte, Jane, du musst mir sagen, wer der
Vater dieses Kindes ist. Ich möchte dir helfen. Wir wenden uns
nicht von dir ab, wenn du verführt worden bist.« Jane riss rasch
den Kopf hoch. Mary sah ihre Miene und keuchte auf. »James
Pengelly, Tremayne, wie auch immer er heißt, ist verantwortlich
dafür. Oh, Jane, sag, dass das nicht wahr ist.« Die ausbleibende
Antwort war ihr Bestätigung genug. »Wann ist es passiert?« »In
Adelaide.« »Am Abend des Balls?« »Ja.« »Ich vermute, du hast es
Anne nicht gesagt.« »Ich möchte Anne nicht wehtun.« »Das hättest du
dir vor fünf Monaten überlegen sollen. Was meinst du wohl, wie Anne
sich fühlt, wenn sie es erfährt?« »Anne muss nur erfahren, dass ich
ein Baby erwarte.« »Anne muss die Wahrheit erfahren. Der Vater
deines Kindes ist der Mann, mit dem sie verlobt ist. Das kannst du
ihr nicht verheimlichen.« »Ich weiß nicht, wie ich es Anne sagen
soll.« »Mir was sagen?«, fragte Anne, die das Zimmer nach einem
kurzen Klopfen betreten hatte, das die beiden Frauen nicht gehört
hatten. »Du sollst nicht einfach so ins Zimmer platzen, Anne. Wo
sind deine Manieren?« »Ich habe geklopft, Mama.« Sie schaute von
ihrer Mutter zu ihrer Adoptivschwester und sah die Anspannung in
deren Mienen. »Was ist los? Mama? Jane?« »Jane wird es dir
erzählen.« »Ich liebe dich, Anne. Ich wollte dir nicht wehtun.«
Tränen liefen Jane über die Wangen. »Was hast du getan, was so
schlimm ist?« »Ich erwarte ein Kind.« Jane lief aus dem Zimmer,
mehr brachte sie nicht heraus. Nach einem Augenblick wandte Anne
sich verwirrt an ihre Mutter. »Stimmt das, Mama? Bekommt Jane
wirklich ein Baby?« »Ja, Anne, Jane ist schwanger. Ich wünschte,
ich müsste es dir nicht sagen, Schatz, aber ich kann dich nicht in
Unkenntnis lassen. Der Vater des Kindes ist James.« »James? Mach
dich nicht lächerlich, Mama. Sehr viel eher doch wohl Joshua.«
»Warum denkst du, Joshua könnte dafür verantwortlich sein?«
Bestürzt suchte Mary im Gesicht ihrer Tochter nach einer Erklärung.
»Ich habe mitbekommen, wie er Jane ansieht. Mach nicht so ein
schockiertes Gesicht, Mama, du musst es doch auch bemerkt haben.«
»Joshua würde es nicht wagen, Jane anzurühren. Dein Vater würde ihn
dafür grün und blau schlagen, und das weiß er. Das Baby wurde in
der Nacht gezeugt, als James Jane vom Ball nach Hause gebracht
hat.« Mindestens eine ganze Minute lang sagte Anne gar nichts. Sie
nahm ein Kissen, sch?ttelte es auf und legte es wieder weg. ?Ich
frage Jane selbst.? Sie redete sich ein, dass sie es nicht glaubte,
auch wenn sie tief im Herzen wusste, dass es wahr war. Jane war
seit dem Ausflug nach Adelaide ganz verändert. Ich bleibe ganz
ruhig, sagte sie sich. Jane hat mich bestimmt nicht absichtlich
hintergangen. Falls James der Vater von Janes Kind ist, dann ist er
nicht der Mensch, für den ich ihn gehalten habe. Und in dem Fall
bin ich ziemlich erleichtert, dass ich hinter seinen Fehltritt
gekommen bin, bevor ich mit ihm den Bund fürs Leben geschlossen
habe. Jane war in ihrem Zimmer, wo Anne sie auch vermutet hatte.
Sie saß am Fenster, hatte das Kinn in die Hand gestützt und starrte
hinaus. Als Anne hereinkam, wandte sie sich langsam zu ihr um. Anne
war unverblümt. »Ist James der Vater deines Kindes?« Jane nickte.
Anne ermahnte sich, ganz ruhig zu bleiben. »Erzählst du mir, wie es
passiert ist? Wenn James dich gezwungen hat, kann ich ihn unmöglich
heiraten.« »Er hat mich nicht gezwungen, Anne.« Ich werde nicht
wütend. Ich werde nicht weinen. Anne riss die Augen weiter auf, um
ihre Tränen in Schach zu halten. »Hat er dich verführt?« »Nein,
Anne, er hat mich nicht verführt. Ich habe ihn gebeten, bei mir zu
bleiben.« »Du hast ihn gebeten? Du hast ihn gebeten, dich zu
lieben? Wie konntest du so egoistisch sein?« Anne hörte, dass ihre
Stimme sich hysterisch in die Höhe schraubte. »Warum, Jane? Warum?«
»Ich habe ihn in dieser Nacht gebraucht. Ich liebe ihn, Anne.«
»Aber James liebt dich nicht. Du musst dich ihm aufgezwungen
haben.« »Mehr, als ihn zu bitten, bei mir zu bleiben, war nicht
notwendig. Er mag mich nicht lieben, Anne, aber f?r dich empfindet
er noch weniger.? Anne keuchte auf. Der Zorn in ihr explodierte.
»Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen? Du versuchst, James die
Schuld zu geben, wo du doch diejenige bist, die Schuld hat. Mrs.
Harrison hat recht daran getan, dich ein Flittchen zu nennen. Denn
genau das bist du.« »Wage es nicht, mich ein Flittchen zu nennen.«
Janes Wut wurde von Annes Zorn noch angestachelt. Sie stand auf,
die Hände seitlich am Körper zu Fäusten geballt. »Tut die Wahrheit
weh, Jane?« »Hat die Wahrheit über den Mann, den du heiraten
willst, dir wehgetan, Anne?« Mit einem wütenden Kreischen stürzte
Anne sich auf Jane und schlug mit beiden Händen auf sie ein. Jane
setzte sich zur Wehr. In weniger als einer Minute war Mary Winton
da und befahl ihnen aufzuhören. Doch die aufgewühlten, wütenden
jungen Frauen achteten nicht auf sie. Erst als Adam auf den Ruf
seiner Mutter reagierte und beide jungen Frauen fest an einer
Schulter packte, wurden sie getrennt. »Was hat das zu bedeuten?«,
wollte Mary wissen. »Das weißt du sehr gut, Mama. Schaff sie hier
raus. Schick sie weg. Ich will sie nie wiedersehen.« »So beruhige
dich doch, Anne. Wir müssen vernünftig darüber reden.« Jane rieb
sich den rechten Unterarm. Sie war gegen eine Frisierkommode
gestürzt und würde bestimmt eine Beule bekommen. »Ich will nicht
hier weg. Ich kann nirgendwo hin.« Anne wandte Jane den Rücken zu,
stemmte die Hände in die Hüften und trat ihrer Mutter gegenüber.
»Wenn du sie nicht wegschickst, gehe ich. Ich kann immer zu Meggan
gehen.« »Sei nicht so dramatisch, Anne. Ich rede heute Abend mit
deinem Vater. Dann entscheiden wir, was zu tun ist.« »Ich verstehe,
wie du dich fühlst, Anne. Jane, ich denke, du solltest ins
Gästezimmer ziehen. Anne kann mit mir kommen, und du kannst deine
Sachen jetzt rüberbringen. Ich schlage auch vor, du bleibst im
Zimmer, bis die Angelegenheit geklärt ist.« Selbst wenn unsere
Rollen umgekehrt wären, sinnierte Jane bitter, wäre ich
wahrscheinlich trotzdem die, die ins andere Zimmer ziehen müsste.
Selbst wenn Anne mir verzeiht, kann ich nicht bleiben, aber wohin
soll ich? Was wird aus meinem Leben? Ich bin wie eine weiße Frau
erzogen worden, doch selbst wenn meine Haut weiß wäre, wäre ich
eine unverheiratete Frau mit einem Kind. Den ganzen Nachmittag über
und während ihres einsamen Abendessens quälte sich Jane, um eine
Lösung für ihr Dilemma zu finden. Immer wieder ging sie in dem
kleinen Zimmer auf und ab und sprach ihre Gedanken laut aus. Oft
lag sie auf dem Bett, starrte an die Decke und wollte nicht
nachdenken, brachte ihren Geist aber nicht zur Ruhe. Erst um neun
Uhr am Abend kam Mary Winton in Janes Zimmer. Als Jane die
Besorgnis und die Traurigkeit in der Miene ihrer Adoptivmutter sah,
floh sie schluchzend in ihre Arme. Sie sah, dass Mary Winton sie
liebte und großen Schmerz empfand. »Bitte verzeih mir, Mama. Ich
wollte niemandem wehtun.« »Liebe Jane, das weiß ich. Bitte beruhige
dich, damit wir darüber reden können, was zu tun ist.« Jane
schniefte und suchte ein Taschentuch, um sich die Nase zu putzen
und die Augen zu wischen. »Ich muss weg.« »Wir wollen dich nicht
wegschicken, Jane. Ich möchte, dass du mir genau erzählst, wie es
passiert ist. Anne ist außer sich vor Wut. Sie behauptet, du
hättest James verführt.« »Ich war durcheinander. Ich brauchte
jemanden, der mich trösten konnte.« In einer Flut von Worten
erzählte Jane von den ganzen Demütigungen und der Wut und dem
Schmerz in der Zeit in Adelaide, wo sie doch nichts anderes wollte,
denn als Mensch akzeptiert und nicht wegen ihrer Ethnie abgewiesen
zu werden. »Was soll ich machen, Mama? Ich bin weder eine Weiße
noch eine Schwarze. Was für eine Zukunft habe ich?« »Deine Zukunft
ist hier bei uns, bei deiner Familie. Ich habe dir gesagt, dass wir
dich nicht wegschicken.« »Was ist mit Anne? Ich glaube nicht, dass
sie mir so leicht verzeiht.« »Ich gebe zu, dass die Beziehung
zwischen euch schwierig werden wird. Aber nur für einige Wochen.
Dein Papa und ich haben beschlossen, Anne nach Adelaide zu
schicken. Anne schreibt ihrer Freundin Meggan, ob sie bei ihr
wohnen kann. Adam kann den Brief morgen mitnehmen. Mit ein wenig
Glück findet Anne einen besseren Mann, den sie lieben und heiraten
kann. Dann wird sie bereit sein, dir zu verzeihen.« Nachdem ihre
gequälten Gedanken so beruhigt worden waren, ging Jane zu Bett und
schlief fast sofort ein. Sie hörte weder, wie die Zimmertür
geöffnet wurde, noch die leisen Schritte über den Boden, bis sich
eine Hand über ihren Mund legte und sie entsetzt aufwachte. Joshuas
Gesicht schwebte begehrlich über ihr. »Ich will nur mit dir reden«,
sagte er. »Du schreist nicht, oder?« Jane schüttelte den Kopf.
Joshua nahm die Hand weg, beugte sich aber weiter über sie. Jane
beobachtete ihn misstrauisch und schob sich im Bett so weit nach
hinten, wie sie konnte. Joshua streichelte ihr mit der Hand, die er
von ihrem Mund genommen hatte, über die Wange. Jane zuckte
zusammen. »Arme Jane. Ich habe gehört, du hast dich in
Schwierigkeiten gebracht. Weißt du, ich bin sehr enttäuscht von
dir. Du hast Anne wehgetan, und das wäre wirklich nicht nötig
gewesen. Ich hätte dir gegeben, was du wolltest, wenn du mich nur
gefragt hättest.« »Ich hätte dich nie gefragt. Ich mag dich nicht,
Joshua.« »Zu schade, denn ich mag dich, Jane. Aber das Problem ist,
verstehst du, dass ich jetzt sehr w?tend auf dich bin, weil ich
nicht der Erste war, der dich hatte.? Er schob die Hand von ihrer
Wange den Hals hinunter, wo sie nahe ihrer Brust verweilte. »Wenn
du nicht gehst, schreie ich.« Selbst da hatte sie noch keine Angst
vor ihm. »Na, na, Jane, ich spüre dein Herz schlagen.« Er drückte
die Hand fester gegen ihre Brust. »Du bist aufgeregt. Du willst
mich. Ihr schwarzen Frauen wollt doch immer.« Jane schlug ihn mit
der Faust auf die Wange, hatte jedoch keine Zeit, den Mund zu
öffnen und zu schreien, denn Joshua reagierte blitzschnell. Er
hielt ihr mit einer Hand den Mund zu und zerriss ihr mit der
anderen das Nachthemd. »Du Flittchen. Dafür wirst du büßen.« Er
biss ihr in die Brustwarze und lachte, als sie vor Schmerz
zusammenzuckte und aufkeuchte, was er mit seiner Hand auf ihrem
Mund erstickte. »Sei nett zu mir, Jane.« Er fummelte am Gürtel
seines Morgenmantels herum. Jane sah, dass er darunter nackt war.
In diesem Augenblick bekam sie wirklich Angst. Sie schob ihn mit
den Händen weg, schlug nach ihm, war wild entschlossen, ihn
abzuwehren. Obwohl er ihr mit einer Hand den Mund zuhielt, parierte
er ihre Schläge mit Leichtigkeit. Ein leises Lachen jagte ihr ein
Frösteln über den Rücken. »Wehr dich nur, Jane. Ich mag es grob.«
Die freie Hand schob er forschend zwischen ihre Beine. Es tat
höllisch weh, und Jane hörte auf zu kämpfen. Wenn sie still lag,
war es vielleicht schnell vorbei. Stattdessen biss er ihr wieder in
die Brustwarze, und ihr Körper zuckte noch einmal zusammen vor
Schmerz. Tränen traten ihr in die Augen. Joshua lachte auf. »Ich
genieße es, Jane. Ich wette, du auch.« Er rollte sie rasch auf den
Bauch, drückte ihren Kopf ins Kissen und hielt ihre Handgelenke
eisern fest. So erniedrigte er sie. Jane biss sich so fest auf die
Lippe, dass sie Blut schmeckte. Die Befriedigung, vor Schmerz laut
aufzuschreien, w?rde sie ihm nicht gew?hren. Sie versuchte, ihr
Schluchzen zu unterdr?cken. Die Tr?nen konnte sie nicht
zur?ckhalten. Als er zum H?hepunkt kam, griff er unter ihren
K?rper, um ihre Brustwarzen zu quetschen, was ihn noch mehr zu
erregen schien. Als er schließlich fertig war, rollte er Jane auf
den Rücken. »Von jetzt an wirst du gut zu mir sein, Jane. Ich werde
dich nehmen, so oft ich will. Du erzählst es niemandem, nicht wahr?
Niemand wird dir glauben, dass du ganz unschuldig daran bist. Wo du
deine Sittenlosigkeit doch schon unter Beweis gestellt hast.«
Selbstsicher spottete er über sie, überzeugt davon, dass er sie
gehörig eingeschüchtert hatte. Jane starrte ihn durch ihre Tränen
hindurch an. »Eines Tages bringe ich dich um.« Er lachte nur und
verließ das Zimmer. Jane rollte sich zu einer Kugel zusammen und
weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte. Joshua hatte es ihr
unmöglich gemacht, in Riverview zu bleiben.
Als der kühle, graue, neblige Morgen hell genug war, um etwas zu
sehen, stand sie auf, zog warme Reisekleider an und ging leise
hinüber zur großen Scheune, wo Adam seine Abreise vorbereitete. Ihr
Herz pochte wild vor Angst, Joshua zu begegnen. Deswegen näherte
sie sich vorsichtig dem Scheunentor und vergewisserte sich erst,
dass Joshua nicht bei Adam war. Der Farmhelfer Ted half Adam, den
Wagen zu beladen. Er schaute Jane ziemlich überrascht an, nickte
zum Gruß und fuhr mit seiner Arbeit fort. Adam kam zu ihr herüber.
»Warum bist du so früh auf?« Neugierig beäugte er ihr Reisekleid.
»Ich möchte, dass du mich mit nach Adelaide nimmst. Bitte, Adam.
Ich kann nicht bleiben.« »Ich dachte, die Eltern wollten, dass du
bleibst? Haben sie es sich anders überlegt?« »Ich habe beschlossen
zu gehen.« »Selbst wenn ich einverstanden bin, dich mitzunehmen,
wohin willst du gehen?« »Ich habe an Annes Freundin Meggan gedacht.
Du könntest mich doch mit dahin nehmen, wo du den Brief abgibst.
Ich bin mir sicher, sie hilft mir, einen Platz zu finden, wohin ich
gehen kann.« »Ich reise allein, Jane. Nach den Scherereien, in die
er beim letzten Mal geraten ist, erlaubt Vater nicht, dass Joshua
mit nach Adelaide kommt.« »Wenn Joshua mitfahren würde, würde ich
dich nicht bitten.« Adam kniff die Augen zusammen. »Ist Joshua der
Grund, warum du weggehen willst?« Ungebetene Tränen traten Jane in
die Augen, und sie nickte. Adam stieß einen heftigen Kraftausdruck
aus, und Ted schaute zu ihnen herüber. Adam legte Jane die Hände
auf die Schultern. »Jane, hat er …?« Wieder nickte Jane. »Ich
bringe ihn um«, fluchte Adam. Jane brachte ein schiefes Lächeln
zustande. »Das habe ich ihm auch schon versprochen.« »Dann geh und
pack deine Sachen. Ich erkläre es den Eltern.« »Nein. Bitte, Adam,
ich will nicht, dass sie es erfahren.« »Sie müssen es erfahren.
Joshua darf damit nicht durchkommen.« »Er wird seine Schuld niemals
zugeben. Er wird sagen, ich hätte mir das alles nur ausgedacht, und
man wird ihm glauben.« »Also, ich glaube dir. Ich weiß, was für
eine Schlechtigkeit in meinem Bruder steckt, etwas Böses, das er
vor den meisten Leuten verbergen kann. In Ordnung, Jane.« Er sah,
dass sie ihn noch einmal um sein Schweigen bitten wollte. »Ich sage
nichts, bis du sicher in Adelaide bist.« Sorgsam darauf achtend,
Joshua nicht über den Weg zu laufen, eilte Jane zurück in ihr
Zimmer und packte rasch einen Koffer mit all ihren Besitztümern.
Sie hatte nicht vor, mit nichts wegzulaufen. Wenn sie eine ehrbare
Anstellung finden wollte – und sie würde sich Arbeit suchen müssen
-, dann wollte sie gut gekleidet sein. Erst als alles gepackt war
und bereit, auf den Wagen geladen zu werden, suchte sie ihre
Adoptiveltern auf. Sie saßen, wie sie gehofft hatte, allein beim
Frühstück. »Mama, Papa, ich gehe mit Adam nach Adelaide.« »Jane?«
»Was ist das jetzt?«, wollte Charles Winton wissen. »Wir haben doch
gestern Abend über alles gesprochen, Jane. Es ist absolut nicht
notwendig, dass du dein Heim verlässt.« »Ich glaube, es ist die
beste Lösung, wenn ich weggehe. Ich habe mich entschieden. Adam ist
einverstanden.« »Wohin willst du? Was hast du vor?« »Ich werde
Annes Freundin Meggan bitten, mir eine gute Stellung zu suchen. Ich
möchte mir meinen Lebensunterhalt auf ehrbare Weise verdienen.«
»Oh, meine Liebe«, Mary schüttelte den Kopf, »das ist so viel
leichter gesagt als getan. Sei vernünftig, Jane. Hier bei deiner
Familie bist du sicherer als allein in Adelaide.« Jane schüttelte
den Kopf. »Ich reise mit Adam. Ich komme schon zurecht.« »Wenn du
so wild entschlossen bist wegzugehen, Jane«, sagte Charles Winton,
»dann zwingen wir dich nicht zu bleiben. Wir versprechen dir, uns
immer wie um eine Tochter um dich zu kümmern und dich als solche zu
behandeln. Und wir erlauben nicht, dass du ohne genügend Geld, um
dich zu unterhalten, abreist.« »Danke, Papa, Mama. Ich liebe euch
beide sehr.«
Nachdem Jane die Scheune verlassen hatte, fuhr Adam mit seiner
Arbeit fort, doch in seinem Innern baute sich ein gewaltiger Zorn
gegen Joshua auf. Diesmal war der Lump zu weit gegangen. Um Janes
willen würde er diesmal nicht schweigen. Sobald er nach Riverview
zurückkehrte, würde er allen erzählen, wessen Joshua sich schuldig
gemacht hatte. Der Wagen war fertig beladen, und Adam wollte
hinüber zum Haus gehen, um zu frühstücken, als Joshua in die
Scheune geschlendert kam. Er pfiff, wie ein Mann, der gänzlich ohne
Sorgen ist, leise vor sich hin. Joshuas Selbstzufriedenheit war zu
viel für Adam. Er trat auf ihn zu und landete einen eisernen
Fausthieb auf dem Kinn seines Bruders. Joshua wurde von der Wucht
des Schlags nach hinten geschleudert. Adam sah den Schock im
Gesicht seines Bruders, abgelöst von einem Begreifen. »Ganz
richtig, Joshua. Du weißt genau, warum ich dich geschlagen habe.
Ich nehme Jane mit nach Adelaide. Und wenn dir deine Haut lieb ist,
gehst du uns aus dem Weg, bis wir weg sind.«
Die Tür des Westoby-Hauses wurde von einer Frau geöffnet, die Adam
und Jane für die Haushälterin hielten, denn sie trug ein einfaches
schwarzes Kleid und hatte die Haare schmucklos aus dem Gesicht
gekämmt. »Guten Morgen«, sagte Adam, »ich bin Adam Winton, und dies
ist meine Adoptivschwester, Miss Jane Winton. Wir würden gerne mit
Meggan sprechen, Mrs. Westoby.« Mrs. Mills, die die strikte
Anweisung hatte, alle Besucher abzuweisen, zögerte, denn die Art,
wie der junge Mann den Vornamen ihrer Herrin sprach, deutete an,
dass er gut mit ihr bekannt war. »Ist die Angelegenheit wichtig?
Mrs. Westoby empfängt keinen Besuch.« »Die Angelegenheit ist von
größter Wichtigkeit.« »Sehr wohl. Bitte warten Sie, während ich
meiner Herrin sage, dass Sie sie gerne sprechen würden.« Die
Haushälterin schloss die Tür, und Adam und Jane blieben auf der
Veranda stehen. Jane zupfte an ihrem Umhang herum. Adam schaute zum
Fluss hinüber. Obwohl er auf dem Weg in die Stadt ununterbrochen
darüber nachgedacht hatte, wusste er nicht, was er mit Jane machen
würde, wenn Meggan ihr nicht helfen konnte. Er konnte sie nicht in
Adelaide zurücklassen, wenn er nicht ganz gewiss war, dass sie in
Sicherheit war. Die Tür ging wieder auf. »Mrs. Westoby wird Sie
empfangen. Bitte kommen Sie hier entlang.« Sie wurden in einen
stattlich möblierten Salon geführt, wo Meggan in einem Tageskleid
aus schwarzer Seide aufstand, um sie zu begrüßen. »Adam, wie schön,
dich zu sehen. Sie müssen Jane sein. Ich freue mich sehr, Sie
endlich kennenzulernen. Ich hatte schon beim letzten Mal, als Sie
in der Stadt waren, darauf gehofft.« »Ich habe schon viel von Ihnen
gehört, Mrs. Westoby.« Jane sah, dass die Frau, von der sie hoffte,
Hilfe zu bekommen, in einem leicht fortgeschritteneren Zustand war
als sie selbst. »Bitte nennen Sie mich Meggan.« Mit einer Geste bat
sie die beiden, Platz zu nehmen. »Es tut mir leid, dass Sie vor der
Tür stehen bleiben mussten. Mrs. Mills wusste natürlich nicht, wer
Sie sind. Ich lebe sehr zurückgezogen.« Einen Augenblick blickte
sie zu Boden, um den immer noch frischen Schmerz zu verbergen. »Ich
habe erst kürzlich meinen Mann verloren.« »Meggan, das tut mir sehr
leid. Sollen wir ein andermal wiederkommen?« »Nein, Adam. David ist
jetzt mehr als fünf Wochen tot. Wenn ihr in einer Woche nach
Adelaide gekommen wärt, hättet ihr mich verpasst, denn ich kehre
nach Burra zurück.« Bei dem besorgten Keuchen, das Jane ausstieß,
wandte Meggan sich ihr überrascht zu. Sie bemerkte die Unruhe der
jungen Frau und den flehentlichen Blick, den sie Adam zuwarf.
»Stimmt etwas nicht? Ich habe mich so gefreut, euch zu sehen, dass
ich ganz vergessen habe, dass Mrs. Mills sagte, die Angelegenheit
sei dringend.« »Wir hatten gehofft, du könntest Jane helfen. Doch
wenn du nach Burra gehst …« Er ließ den Satz unvollendet. Dass
Meggan Adelaide verlassen könnte, war ihm gar nicht in den Sinn
gekommen. »Was für Hilfe suchen Sie, Jane?« Doch die Frage war
eigentlich überflüssig. Janes Hand ruhte schützend auf ihrem Bauch.
»Ich kann nicht länger in Riverview leben, aber ich kenne in
Adelaide niemanden. Ich wollte Sie bitten, mir zu helfen, einen
Platz zum Leben zu finden.« Meggan runzelte die Stirn. »Adam, deine
Familie hat diese junge Frau doch wohl nicht hinausgeworfen?« »Mein
Vater hat finanziell für Jane gesorgt. Sie wird eine monatliche
Zuwendung erhalten, die ausreichend ist, um davon zu leben.« »Und
was steckt hinter der Sache für eine Geschichte?« »Eine lange,
Meggan. Jane muss entscheiden, ob sie sie dir anvertrauen möchte
oder nicht.« »Ich würde es Ihnen gerne erzählen.« Jane spürte, dass
Meggan Westoby eine unvoreingenommene Frau war. Sie würde sich ihre
Geschichte anhören, ohne ein Urteil über sie zu fällen. »Ich würde
Ihre Geschichte gerne hören, Jane.« »Dann kann ich Jane und dich
eine Weile allein lassen, Meggan? Du kannst freier sprechen, wenn
ich nicht dabei bin, nicht wahr, Jane?« »Vielen Dank, Adam.« Er
stand auf und gab ihr einen brüderlichen Kuss auf die Wange.
»Erzähl Meggan alles.« »Das mache ich.« Meggan lächelte Jane an,
als Adam weg war. »Ich bin sehr neugierig, alles über Sie zu
erfahren, Jane. Anne hat mir erzählt, wie es kam, dass Sie als ihre
Schwester aufgewachsen sind. Ich lasse uns Nachmittagstee bringen,
und dann erz?hlen Sie mir, warum Sie nicht mehr bei Ihrer
Adoptivfamilie leben wollen.? »Ich würde lieber auf den
Nachmittagstee verzichten. Auch ich erwarte ein Baby, Meggan.« »Ich
habe es vermutet. Hat man Sie zu Hause rausgeworfen?« »Nein, ganz
und gar nicht. Meine Entscheidung, wegzugehen, wurde nicht mit
Begeisterung aufgenommen. Meggan, wollen Sie mir zuhören, ohne mich
zu unterbrechen, während ich Ihnen die ganze Geschichte von Anfang
an erzähle?« »Ich werde Ihnen ohne einen Mucks zuhören, Jane.«
Als Adam zurückkehrte, stellte er erleichtert fest, dass Jane bei
weitem nicht mehr so unglücklich war. Er nahm an, ihr Verhalten
bedeutete, dass eine Lösung gefunden worden war. Die starke
Anspannung der vergangenen zwei Stunden ließ nach. »Jane hat mir
ihre Geschichte erzählt, Adam. Ich muss sagen, es gibt einige
Aspekte, die mich sehr erzürnen. Wenn ich in Adelaide bleiben
würde, würde ich Jane bei mir aufnehmen. Deswegen kommt Jane mit
mir nach Burra. Die Familie, für die ich gearbeitet habe, die
Heilbuths, waren zur Beerdigung meines Mannes in Adelaide. Zu ihnen
gehe ich. Ich weiß, dass sie Jane mit offenen Armen willkommen
heißen werden.«