9

 

Der Regen setzte am Montag in den frühen Morgenstunden ein, und Meggan wurde von dem schweren Trommeln auf dem Blechdach geweckt. Sie lag eine Weile wach und lauschte und versuchte einzuschätzen, wie stark der Regen war. Wenn es den ganzen Tag regnet, überlegte sie, muss ich die Kinder im Haus halten. Das konnte leicht dazu führen, dass Barney sich langweilte und Sarah zänkisch wurde. Die Kinder mochten es nicht, im Haus eingesperrt zu sein. Die wenigen Stunden, die von der Nacht noch blieben, schlief Meggan kaum, denn der immer heftigere Regen hielt sie die meiste Zeit wach. Und der Regen ließ auch nicht nach. Meggan war froh über Jennys Angebot, die Zwillinge mit Rätseln und Ratespielen zu unterhalten. »Regnet es hier immer so schwer und so lange ununterbrochen?«, fragte Jenny Meggan. »Wenn es regnet, ja, sehr oft.« Besorgnis furchte Jennys Stirn. »Wie lange wird der Regen anhalten?« »Ich glaube nicht, dass er heute noch nachlässt. Vielleicht morgen. Warum?« »Ich warte ungeduldig auf Cons Rückkehr. Ich hatte gehofft, er wäre gestern schon wiedergekommen.« »Sie vermissen ihn?« »Ich bin ungeduldig«, erklärte sie mit Nachdruck. »Ich habe das Gefühl, wir sollten mehr unternehmen, um Rodney zu finden. Oh, ich wei?, dass Con jeden, den er kennenlernt, nach ihm fragt, und doch haben wir, seit wir Adelaide verlassen haben, nichts weiter in Erfahrung gebracht.? Meggan nahm Jennys Hand, um sie tröstend zu drücken. »Australien ist ein sehr großes Land. Sie hatten Glück, dass Sie Ihre Suche auf Südaustralien eingrenzen konnten und dann noch weiter auf die Kupferregion. Setzen Sie sich nicht zu sehr unter Druck, Jenny. Ich bin mir sicher, dass Sie Ihren Bruder finden.« »Ich hoffe es sehr, Meggan.« Aus einem Impuls heraus umarmte sie Meggan. »Sie sind mir eine teure Freundin geworden.« Der Tag schleppte sich trostlos dahin. Meggan, Jenny, Mrs. Heilbuth und die Zwillinge waren im Salon, wo sie Kinderlieder und einfache Volkslieder sangen, als sie draußen Pferdeschnauben hörten. »Wer kann das sein?«, rief Mrs. Heilbuth. Sie wandte sich vom Klavier ab, um durchs Fenster zu spähen. »Ach, du meine Güte, das sind Mr. Heilbuth und Mr. Trevannick. Sie sind sicher nass bis auf die Knochen.« Die Männer waren tatsächlich ganz durchnässt. Als sie am frühen Morgen ihr Nachtquartier verlassen hatten, war der Himmel nur mit Wolken überzogen gewesen, erklärten sie. Und als sie in den schweren Regen ritten, hatte es nichts gegeben, wo sie hätten Schutz suchen können. Da half nur Weiterreiten. »Im Burra Creek wird es sicher eine Flut geben«, erklärte Mr. Heilbuth. »Alle Gullys laufen über, und die Bäche, die wir überquert haben, waren schon am Steigen.« »Was passiert mit den Menschen, die am Bach wohnen?«, fragte Jenny. »Strömt die steigende Flut in den Zulauf zum Creek, an dem Mrs. Heilbuth neulich mit uns vorbeigefahren ist? Die Hütten schienen ziemlich hoch und trocken zu liegen.« »Das tun sie auch, es sei denn, wir kriegen sehr viel Regen, und danach sieht es im Augenblick aus. Wer klug ist, schafft bestimmt schon seine Möbel aus der Wohnung. Sie lagern alles, was sie können, unter Ladenmarkisen oder sonst irgendeinem Schutz, bis das Wasser wieder sinkt. Dann schaffen die meisten ihr Hab und Gut einfach wieder in die H?hlenwohnungen.?  
Auch den ganzen nächsten Tag regnete es in einem fort. Am Mittwoch flaute der Regen zu periodischen Schauern ab. Am Donnerstag schien die Sonne auf eine schlammige Landschaft, und David Westoby kam nach Grasslands. David Westoby war seit vielen Jahren mit Mr. Heilbuth befreundet. Beide Männer waren jetzt Mitte vierzig und hatten sich als junge Männer auf der Überfahrt nach Australien kennengelernt. Meggan wusste nur wenig über David Westoby. Ihr war bekannt, dass er in Adelaide ein Importgeschäft betrieb und mehrfach nach England gereist war, seit er in Australien lebte. Sie wusste auch, dass die Heilbuths an jenem schicksalhaften Nachmittag, als Barney in den Torrens River gefallen war, bei David Westoby und seiner verwitweten Schwester zu Gast gewesen waren. Meggan hatte ihn als wahren Gentleman kennengelernt, gebildet, kultiviert und charmant. Er war mittelgroß und trug kein überflüssiges Gramm Fett an einem Körper, der ein Bild starker Gesundheit bot. In seinem dunklen Haar zeigten sich an den Schläfen erste graue Stellen, was ihm eine distinguierte Aura verlieh. Alles in allem war er ein Mann, der von Frauen verehrt wurde. Meggan wusste, dass er ihr den Hof machen würde, wenn sie ihn nur im Geringsten ermutigte. Bei seiner Ankunft in Grasslands wurde er sofort um Neuigkeiten aus Burra gebeten. »Gestern hat es in der Stadt erhebliche Überschwemmungen gegeben. Als die Kutsche gestern Abend ankam, lief immer noch Wasser durch die Hauptstraße. Heute Morgen aber war das Wasser im Bach stark zurückgegangen. Einige Bachbewohner haben ihre Möbel schon wieder in ihre Hütten geschafft. Man sollte denken, sie würden sich sicherere Wohnungen suchen.« »Die letzte Flut, die Schäden angerichtet hat, ist über sechzehn Monate her, und die davor war 1848«, sagte Mr. Heilbuth. »Die Bachbewohner sind optimistisch, dass sie die nächsten zwei Jahre sicher sind.« »Man könnte darüber streiten, ob die Bachbewohner optimistisch oder tollkühn sind.« »Wir Cornwaller sind ein zäher Menschenschlag«, bemerkte Con. »Ein kornischer Bergmann ist kein Dummkopf. Er ist seit Jahrhunderten an harte Arbeit, Sorgen und Armut gewöhnt. Da ist es ganz natürlich, dass ein Mann jeden Penny sparen möchte, solange er zur Arbeit noch fähig ist.« »Dann sind Sie mit ›Sammy‹ einer Meinung, Trevannick, dass es richtig ist, den Menschen zu erlauben, unter den unhygienischen Bedingungen entlang des Creek zu leben? Es ist doch eine Tatsache, nicht wahr, dass die Sterblichkeitsziffer durch Krankheiten sehr hoch ist, besonders unter Kindern. Ich glaube, es stehen eine Reihe Cottages für diese Menschen zur Verfügung.« »Ich kann zu dieser Sachlage keine Meinung abgeben, Westoby. Ich weiß praktisch nichts über die S. A. M. A. und auch nicht über die Gesundheitsrisiken der Creek Street. Ich verstehe jedoch, warum Menschen lieber eine kostenlose Wohnstatt wählen, statt Miete zu zahlen. Menschen, die ihr ganzes Leben lang arm waren, horten jeden Penny, den sie zu fassen kriegen, in der Hoffnung, eines Tages ein besseres Leben führen zu können. Das ist schließlich der Grund, warum die kornischen Bergleute nach Australien ausgewandert sind.« David Westoby neigte den Kopf. »Ich sehe, Sie sind ein Fürsprecher der Bergleute. Nichts für ungut, Trevannick.« Con nickte anerkennend. »Ach was, Westoby.« Und Meggan blickte vom einen zum anderen und überlegte, ob die beiden gewissermaßen Kräfte gemessen hatten. David Westoby stand am Klavier und blätterte in dem Notenheft, das er mitgebracht hatte. »Hier ist ein wunderschönes Lied, Miss Collins, eins meiner Lieblingslieder, dem Sie, wie ich denke, vollkommen gerecht werden. Es heißt The True Lovers’ Farewell und ist ein Lied aus dem Mittelalter. Vielleicht kennen Sie es ja.« »Ich glaube nicht.« Meggan schaute Mrs. Heilbuth über die Schulter, um sich den Text anzuschauen. Sie konnte gerade einmal die einfachsten Melodien in Notenschrift lesen. »Ich kann kein Lied singen, das ich nicht kenne.« »Wir erwarten beim ersten Mal keine Perfektion, meine Liebe, obwohl ich bezweifle, dass Sie einen falschen Ton singen könnten, selbst wenn Sie es versuchten.« »Sie schmeicheln mir, Mr. Westoby.« Als Antwort wandte er den Kopf leicht, um sie anzulächeln. »Die Wahrheit ist keine Schmeichelei, Miss Collins.« Während er die Noten für Mrs. Heilbuth auf den Notenständer stellte, warf Meggan rasch einen Blick auf Con und überlegte, was er von der Galanterie des älteren Mannes hielt. Er erwiderte Meggans Blick, doch sie konnte seine Miene nicht deuten. Mrs. Heilbuth spielte einige Töne mit der rechten Hand. Meggan trat näher ans Klavier und sang im Geiste den Liedtext zu der Melodie. »Der Text ist wunderschön.« Sie schaute zu David Westoby auf. »Ein richtiges Liebeslied. Wollen Sie es versuchen?« »Sie müssen mir erlauben, zuerst die Melodie richtig hinzukriegen«, unterbrach Mrs. Heilbuth und nahm die linke Hand hinzu, um die rechte auf den Tasten zu unterstützen. Nach wenigen vorsichtigen Takten spielte sie das ganze Stück. Meggan summte leise mit und folgte mit den Augen dem Text. »Nun, Miss Collins, singen Sie für uns?«, fragte David Westoby in das darauf folgende Schweigen hinein. »Ich will versuchen, dem Lied gerecht zu werden. Urteilen Sie nicht zu hart über mich, wenn ich Fehler mache.« »Über Sie kann man nicht zu hart urteilen, Miss Collins.« »Bereit?« Mrs. Heilbuth schaute Meggan über die Schulter an. »Wenn Sie so weit sind, Mrs. Heilbuth.« Die Eröffnungstakte der Musik durchdrangen die erwartungsvolle Stille, und dann begann Meggan zu singen. O fare you well, I must be gone
And leave you for a while;
But wherever I go, I will return,
If I go ten thousand mile, my dear,
If I go ten thousand mile. Ten thousand miles it is so far
To leave me here alone,
Whilst I may lie, lament and cry,
And you will not hear my moan, my dear,
And you will not hear my moan. The crow that is so black, my dear,
Shall change his colour white;
And if ever I prove false to thee,
The day shall turn to night, my dear,
The day shall turn to night. O don’t you see that milk-white dove
A-sitting on yonder tree,
Lamenting for her own true love,
As I lament for thee, my dear,
As I lament for thee. The river never will run dry,
Nor rocks melt with the sun;
And I’ll never prove false to the girl I love
Till all these things be done, my dear,
Till all these things be done.

Schweigen folgte auf ihren letzten Ton, bevor die kleine Zuhörerschaft ihr begeistert applaudierte. »Bravo«, rief David Westoby. »Wie schön«, sagte Jenny. »Sie sind ein wahres Talent, Meggan.« »Wohl wahr«, stimmte Mr. Heilbuth ihr zu. »Was meinen Sie, Trevannick?« »Ich glaube«, antwortete Con langsam, »dieses Lied wird von jetzt an mein Lieblingslied sein. Stellen Sie sich darauf ein, dass ich Sie oft bitten werde, es zu singen, Meggan.« Und in seinen Augen lag ein Ausdruck, von dem sie sich nicht abwenden konnte. »Eines Tages«, erklärte Westoby, »werde ich Miss Collins überreden, Sie zu verlassen, George. Sie würde in den Städten einschlagen wie eine Sensation.« »Würden Sie gerne öffentlich singen, Meggan?«, fragte Mrs. Heilbuth. »Ich weiß nicht.« Meggan war im Geiste noch bei der Melodie und den Worten, die auch sie sehr gefühlvoll gefunden hatte. »Früher habe ich mir vorgestellt, ich würde in den großen Opernhäusern der Welt singen. Aber damals war ich ein Kind und lebte noch in Cornwall. Als wir nach Australien kamen, ist alles anders geworden.« Sie lächelte ihre Arbeitgeber an. »Ich bin zufrieden mit meinem Leben.« »Das freut uns, meine Liebe. Aber Sie besitzen wirklich eine bemerkenswert schöne Stimme. Und sosehr wir Sie auch lieben, würden wir Ihnen doch nicht im Wege stehen wollen, wenn Sie Ihren Traum verwirklichen möchten. Mr. Westoby würde dafür sorgen, dass man sich gut um Sie kümmert.« »Es wäre auch nichts Unschickliches daran, Miss Collins. Meine verwitwete Schwester lebt bei mir, sie könnte Ihre Anstandsdame sein. Sie würden nur an den respektabelsten Orten singen. Meine Schwester und ich würden dafür sorgen, dass Ihr Ruf untadelig bliebe.« »Ich verstehe das alles, und ich weiß Ihre Freundlichkeit zu schätzen, Mr. Westoby. Aber ich weiß nicht, ob eine große Sängerin zu sein immer noch das ist, was ich vom Leben möchte.« Meggan schaute von ihm zu Mrs. Heilbuth, denn sie wusste nicht recht, ob sie undankbar klang. Doch sie wusste auch nicht, was sie sonst noch sagen sollte. »Sie waren hier in Burra zu lange isoliert, meine Liebe. Ich finde, Sie sollten Mr. Westoby erlauben, Sie in die Gesellschaft einzuführen. Finden Sie nicht, Mr. Trevannick?« Zusammen mit den anderen richtete Meggan den Blick auf Con Trevannick. Er lehnte sich fast lässig zurück, die langen Beine weit von sich gestreckt – die Pose eines Zuschauers. »Meine Meinung zählt nicht. Meggan wird ihre eigene Entscheidung treffen und dieser folgen, ungeachtet dessen, was andere denken.« Er warf ihr wieder so ein rätselhaftes angedeutetes Lächeln zu. Meggan spürte, dass ihre Wangen rot anliefen. »Das klingt, als wäre ich eigenwillig und selbstsüchtig, Mr. Trevannick.« »Willensstark und unabhängig«, verbesserte Con sie. »Vergessen Sie nicht, ich habe Sie schon als Kind gekannt.«  
Das Wohltätigkeitskonzert fand in dem großen Gebäude der Parochial School in Kooringa statt, wo mehr als zweihundertfünfzig Menschen Platz fanden. Diejenigen, die drinnen keinen Sitzplatz fanden, konnten dem Konzert gegen einen kleinen Obolus draußen vor den Fenstern und vor der Tür lauschen. Will war das einzige Mitglied von Meggans Familie, das drinnen saß. Henry war, zu seinem großen Bedauern, gezwungen, in der Grube zu bleiben. Hal und Tommy erklärten, sie würden lange genug drau?en stehen, um ihre Schwester singen zu h?ren, bevor sie zu einem der Hotels eilten, wo sie eine ausgelassenere Form der Samstagabendunterhaltung erwarteten. Die Parochial School war von der Church of England Building Society errichtet worden, und Joanna betrachtete es als Verrat an ihrem treuen wesleyanischen Methodismus, sie zu betreten. Sie kam ihrer Christenpflicht nach, indem sie die arme Witwe jeden Tag besuchte. Die Familie Heilbuth saß mit Con Trevannick, Jenny Tremayne und David Westoby in der dritten Reihe. Will stand hinten im Saal. Meggan saß mit den anderen Musikern des Abends in der ersten Reihe. Sie drehte sich zu ihrem Bruder um und lächelte ihm zu. Doch er schaute nicht in ihre Richtung, sondern starrte so intensiv in Richtung des Paars aus Cornwall, dass Meggan die Stirn runzelte. Was ging ihrem Bruder nur durch den Kopf? Grund zur Sorge bot auch Tom Roberts, der sich mit kaum verhohlener Neugier für das interessierte, was Will so fesselte, und den Blick von Jenny Tremayne zu Will und wieder zurück schweifen ließ. Das Konzert wurde von einem Chor walisischer Schmelzer aus der Stadt Llwchwr eröffnet. Ihm folgte ein deutsches Trio, das die Gäste mit Liedern aus seiner Heimat unterhielt. Die Frau des Arztes aus Kooringa spielte auf dem Klavier ein Stück von Chopin, und ein Schotte gab ein schwermütiges Stück auf seinem Dudelsack zum Besten. Musikalisch waren alle Nationalitäten aus den fünf Siedlungen von Burra vertreten. Meggans Auftritt kam in der Mitte des Abends. Mit Mrs. Heilbuths Hilfe hatte sie ein Repertoire von fünf Liedern ausgesucht, das mit dem stets beliebten Long, Long Ago anfing. Das Lampenfieber, das ihr arg auf den Magen geschlagen war, verschwand in dem Augenblick, da sie anfing zu singen. Als sie ihre erste Ballade sang, The Golden Vanity, wusste sie, dass es ihr gelingen würde, die Tapferkeit des Kabinenstewards, den Verrat des Kapitäns und das Pathos des Todes des Jungen heraufzubeschwören. Ich kann das, dachte sie erstaunt, als sie den Applaus h?rte. Ich kann die Menschen in den Liedern lebendig werden lassen. Sie wurde die freche Mattie Groves, die trotzige Lady Arlen und der betrogene Lord Arlen. Ihre dritte Ballade war das Lebewohl des Matrosen an seine Black-Eyed Susan. Jede Ballade rief beim begeisterten Publikum eine der Stimmung des Stücks entsprechende Reaktion hervor. Meggan beschloss ihre Aufführung mit dem übermütigen Sträflingslied Botany Bay. Die meisten Zuhörer fielen in den Refrain ein. Überwältigender Applaus und »Zugabe, Zugabe«-Rufe hallten durch den Saal. Meggan wandte sich zu Mrs. Heilbuth am Klavier um, um das walisische Lied One Bright Summer Morning vorzuschlagen, als sie laut und deutlich Con Trevannicks Stimme vernahm. »Eine Bitte, Miss Collins. The True Lovers’ Farewell.« Mrs. Heilbuth lächelte bei der Bitte und nickte, und schon spielten ihre Finger die Einleitung. Con lächelte Meggan an. Und so sang sie wieder das Lied, dessen Worte ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen waren, seit sie es zwei Abende zuvor zum ersten Mal gesungen hatte. Con hielt ihren Blick fest, bis sie sich mit Macht losriss, da sie fürchtete, ihre Gefühle stünden ihr für alle sichtbar ins Gesicht geschrieben. Bei den letzten Zeilen schaute sie Con wieder an, und er sah sie an, und genau wie im Salon der Heilbuths lag in seinen Augen eine Botschaft, von der sie sich nicht abwenden konnte. Während etliche Menschen den Saal verließen, als das Konzert zu Ende war, blieb doch mehr als die Hälfte der Zuhörer da, um sich noch ein wenig zu unterhalten. Männer, die sich aus der Zeit in Wheal Pengelly noch an Con Trevannick erinnerten, traten auf ihn zu. Will schob sich durch die kleine Menschenmenge, die seine Schwester umringte. »Du warst wunderbar, Megs. Bei weitem der Höhepunkt des Abends.« »Ich bin ganz aufgeregt, dass den Leuten meine Vorstellung gefallen hat.« Sie lächelte ihren Gratulanten zu, bevor sie sich bei ihrem Bruder unterhakte und sich abwandte. »Ich bin ganz überwältigt, Will. Ich wusste immer, dass ich singen kann, aber ich hätte nie solche Vergötterung erwartet. Ich habe das Gefühl, zu schweben.« »Du hast es verdient. Ich kann kaum glauben, dass ich so eine talentierte Schwester habe. Du solltest dir deinen Traum erfüllen, Megs.« Meggan drückte ihrem Bruder mit einem glücklichen Seufzer den Arm. »In diesem Augenblick denke ich auch, dass ich das tun sollte. Ich fühle mich so wunderbar. Oh, Will, findest du wirklich, ich soll Sängerin werden?« »Wenn es das ist, was du dir wirklich vom Leben wünschst, dann solltest du es auch tun. Ich weiß immer noch nicht, was ich mit meiner Zukunft anfangen soll.« Eine kleine Gruppe von Zuhörern blieb im Vorbeigehen stehen, voll der lobenden Worte für Meggans Vortrag. »Siehst du, Megs«, sagte Will, als sie weitergingen, »alle fanden dich wundervoll. Aber sag mir: Warum hat Trevannick dich um dieses spezielle Lied gebeten?« Meggan spürte, dass ihr Herz einen Schlag aussetzte. Sie wandte das Gesicht ab. »Ich glaube nicht, dass es da einen besonderen Grund gab, außer dass er es mich neulich abends hat singen hören.« Will betrachtete sie aufmerksam. »Megs, ich stelle mir nur ungern vor …« Doch was auch immer er sagen wollte, Meggan sollte es nicht zu hören bekommen, denn Jenny trat auf sie zu. Meggan entgingen weder Wills verschlossene Miene, noch Jennys unsicheres Lächeln. »Hallo, Will.« Ihre Stimme war so zittrig wie ihr Lächeln. »War Meggan nicht fantastisch?« »Ja.« Er nickte der jungen Frau ganz knapp zu. »Wussten Sie, dass Sie so eine talentierte Schwester haben?« »Ja, Miss Tremayne.« Er wandte ihr den Rücken zu. »Wir sehen uns später noch, Megs.« Ohne ein weiteres Wort ging er davon. Meggan starrte ihm noch mit offenem Mund hinterher, da trat Tom Roberts näher. »Was für ein Vergnügen, dich zu hören, Meggan.« Er warf der anderen jungen Frau einen neugierigen Blick zu. »Wie geht’s, Miss? Ich bin Tom Roberts.« Meggan sah mit Bestürzung, wie Jenny auf sein Lächeln reagierte. Sie war hin- und hergerissen: Sollte sie Jenny von Tom wegzerren oder sollte sie Will hinterherlaufen? Sie sah Mrs. Heilbuth auf sie zukommen, und das nahm ihr die Entscheidung ab. »Jenny, ich glaube, Mrs. Heilbuth sucht uns. Sagen Sie ihr doch bitte, ich bin gleich wieder da.« Meggan eilte nach draußen. Will war nicht weit gegangen. »Auf ein Wort, Will Collins.« »Was?«, fuhr er sie an und schüttelte die Hand ab, die sie ihm auf den Arm gelegt hatte. Meggan hätte ihm für seine grobe Geste fast eine Ohrfeige gegeben, so wütend war sie auf ihn. »Hast du deine guten Manieren im Grubenschacht gelassen?« »Lass mich in Ruh, Megs.« »Warum bist du einfach so weggegangen?« »Ich bin nicht in der Stimmung für unnützes Gerede.« »Unnützes Gerede! Jenny war ganz aus der Fassung über deine Grobheit.« »Ich war höflich.« »Höflich? Als Beleidigung verkleidet vielleicht.« »Das ist lächerlich.« »Ist es nicht. Jenny würde dir gerne ihre Freundschaft erweisen. Du wirst ihr die Vergangenheit doch nicht nachtragen?« »Das ist noch lächerlicher.« »Und warum bist du dann nicht freundlicher zu ihr?« »Ich sehe keine Notwendigkeit. Und die junge Frau scheint mir auch nicht besonders best?rzt.? Er nickte in Richtung der offenen T?r, durch die man Jenny mit Tom Roberts lachen sehen konnte. ?Du solltest dir lieber Sorgen machen, dass der da etwas zu freundlich zu deiner lieben Jenny ist.? Er stolzierte in die Nacht hinein. Die Hände tief in den Taschen vergraben, ging Will eine ganze Weile mit gesenktem Kopf, und die ganze Strecke über konnte er Jenny Tremayne weder aus seinen Gedanken vertreiben, noch aus seinem Herzen.  
Am nächsten Morgen, Sonntag, wachte Meggan, wie es ihre Gewohnheit war, früh auf. Sonntags, wenn der restliche Haushalt später aufstand als unter der Woche, ging sie gerne in der frühmorgendlichen Stille spazieren. An diesem Morgen war sie überrascht, auf der Veranda auf Con zu treffen, der auf sie wartete. »Wir scheinen nie allein zu sein, um zu reden«, begrüßte er sie. »Ich dachte, das wäre die perfekte Gelegenheit.« »Wir unterhalten uns doch dauernd.« Con neigte den Kopf. »Ja. Aber es gibt manches, was nur unter vier Augen gesagt werden kann.« Was mochte das sein?, überlegte Meggan, und ihr Herz schlug ein wenig schneller. Da sie sich nicht ganz sicher war, ob sie es wirklich wissen wollte, antwortete sie nicht, sondern stieg die wenigen Stufen von der Veranda hinunter und marschierte zügig die Auffahrt hinauf. Con hatte keine Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Er sprach ungezwungen über seine Eindrücke von Südaustralien. Wie es schien, ließ er sich durch ihre knappen Antworten nicht aus dem Konzept bringen. Allmählich legte sich ihre Verwirrung, und sie entspannte sich, plauderte unbeschwert und lachte sogar über einige seiner Bemerkungen. »So ist’s besser.« Er blieb stehen und fasste sie am Arm, damit sie ebenfalls stehen blieb. Seine Miene wurde so ernst, dass Meggan ganz unsicher wurde. Was wollte er ihr sagen? »Meggan, ich reise heute ab.« »Oh.« Sie war überrascht. Beim Abendessen tags zuvor war davon noch keine Rede gewesen. Sie war vielmehr davon ausgegangen, dass die Besucher noch einige Wochen bleiben würden. »Jenny wird mir fehlen.« »Jenny bleibt hier. Gestern Abend habe ich sehr spät noch gute Nachrichten über Rodney erhalten. Um diesen Spuren zu folgen, muss ich nach Norden in die Flinders Ranges reisen.« »Verstehe.« Verstand sie ihn wirklich? »Meggan, es kann sein, dass ich nicht nach Burra zurückkehre. Abhängig davon, ob ich Rodney finde oder nicht, reise ich womöglich direkt nach Adelaide.« »Und Jenny?«, fragte sie, auch wenn ihr eine ganz andere Frage im Kopf herumspukte. »Sollte es sich so ergeben, wird Mr. Heilbuth Jenny nach Adelaide zu uns bringen.« »Dann ist das der Abschied.« Con neigte den Kopf. Er nahm ihre beiden Hände und zog sie näher. »Ich muss wissen, was Sie für mich empfinden, Meggan.« Sie versuchte zu enträtseln, was in seinen Augen war. Wie konnte sie ihm sagen, dass sie ihn liebte … ja, liebte? »Bitte, meine kleine Zigeunernixe. Es ist wichtig für mich.« Der alte Kosename. Meggan unterdrückte das Beben des Verlangens, das er auslöste. Das kann nicht sein, niemals, sagte sie sich. »Ich genieße Ihre Gesellschaft. Ich würde sagen, wir sind Freunde.« »Nicht mehr?« »Mehr kann nicht sein.« Er hob ihre Hände höher und drückte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel. »Wir haben unsere Gefühle nicht immer unter Kontrolle. Ich hege große Zuneigung zu Ihnen, Meggan. Ich möchte wissen, ob sie erwidert wird.« »Zu welchem Zweck, Con?« Meggan wandte den Kopf ab, denn sie h?rte den Schmerz in ihrer Stimme und wusste, dass er ihn auch in ihren Augen sehen w?rde. ?Sie reisen ab. Sie werden Jenny heiraten. Was sollten meine Gef?hle da f?r eine Rolle spielen?? »Dann haben Sie Gefühle für mich.« In seiner Stimme lag mehr ernste Genugtuung als Triumph. »Ich …« Meggan schaute ihm in die Augen. So wie sie aufloderten, wusste sie, dass er ihr mitten ins Herz geschaut hatte. Er ließ ihre Hände los, um stattdessen ihre Schultern zu umfassen, zog sie an sich, senkte den Kopf und strich mit den Lippen sanft über ihren Mund. Meggan zitterte, ihre Lippen waren weich und geschmeidig. Beinahe überließ sie sich dem Kuss, doch als sie spürte, wie er intensiver wurde, zog sie sich zurück. »Nein. Ich kann Ihnen nicht erlauben, mich zu küssen. Wie sollte ich Jenny je wieder in die Augen sehen, wenn wir sie betrügen?« »Wir haben sie nicht betrogen, meine Liebste, sondern uns nur unsere wechselseitigen Gefühle gestanden. Ich würde Jenny niemals wehtun, genauso wenig wie Ihnen. Ich bin zufrieden damit, zu wissen, dass die Anziehung nicht einseitig ist.« Er ließ die Hände von ihren Schultern sinken und machte nicht noch einmal den Versuch, sie zu küssen. »Sie gehen besser zurück. Ich will Sie nicht in Verlegenheit bringen, indem ich mit Ihnen zusammen gesehen werde. Ich komme später zurück.« Meggan wandte sich ab, um viel langsamer zum Haus zurückzugehen, als sie es verlassen hatte. Ihre Gedanken und Gefühle waren in Aufruhr. Sie hatte es vorher schon schwierig gefunden, mit ihrer wachsenden Liebe zu Con zurechtzukommen. Doch zu wissen, dass ihre Gefühle bis zu einem gewissen Grade erwidert wurden, machte es ihr noch schwerer, die Vergeblichkeit einer solchen Liebe zu akzeptieren. Als er am Vormittag aufbrach, stand sie mit den Kindern auf der Veranda. Sie sah zu, wie er sich mit einer Umarmung von Jenny verabschiedete, die ihr mehr wie die eines Bruders vorkam denn die eines Liebsten. F?r sie hatte er nur ein Nicken und ein schlichtes ?Auf Wiedersehen, Meggan?. Das waren die Worte, die die anderen h?rten. Die stumme Botschaft in seinem Blick galt ihr allein.  
Gedanken an Meggan beschäftigten an diesem Morgen auch noch einen anderen Mann. Tom Roberts lauerte an der Straße nach Grasslands. Seit dem vorangegangenen Abend war der Wunsch, Meggan Collins zu besitzen, zu einem beharrlichen Schmerz in der Leiste geworden. Während ihres Vortrags auf der Bühne hatte er ausgeheckt, wie er es anstellen wollte, ihre Gunst zu gewinnen. Vielleicht, hatte er gedacht, sollte ich sie um ein besonderes Lied bitten. Es hatte ihm nicht gefallen, dass Trevannick ihm zuvorgekommen war, und noch weniger hatte ihm gefallen, wie Meggan den Mann angesehen hatte. Wie er die beiden so beobachtete, beschlich Tom ein Verdacht, wem Meggans Zuneigung galt. Sein Hass auf die Tremaynes wurde dadurch nur noch stärker. Trevannick oder Tremayne war kein Unterschied. Von denen war einer nicht besser als der andere. Den Rest der Nacht hatte Tom in einem der Hotels verbracht, wo er beim Aufwachen feststellte, dass er noch mit einer Barkellnerin im Bett lag. Er hatte keine klare Erinnerung an die Nacht, sah jedoch, dass die schlafende Frau einen großen blauen Fleck auf der Wange hatte. Ob er sie geschlagen hatte oder nicht, wusste er nicht, und es interessierte ihn auch nicht. Er wusch sich, verließ das Hotel und spazierte die Straße hinunter. Da er exzessiven Alkoholgenuss gewohnt war, war sein Kopf bald wieder klar. Während er spazieren ging, dachte Tom gründlich über Meggan nach. Er dachte daran, wie es wäre, sie im Bett zu haben. Er dachte daran, wie sie ihm das Essen kochte und all die Dinge für ihn tat, die eine Frau tun sollte. Er dachte daran, wie er mit ihr am Arm die Straße hinunterging, von allen Männern beneidet. Diese angenehmen Bilder, einem Überbleibsel des Wunsches entsprungen, sich zu bessern, waren in einem behaglichen Cottage angesiedelt, nicht in seiner Hütte in der Böschung des Creek. Wenn Meggan doch nur lernen könnte, ihn zu lieben; mit ihr an seiner Seite würde er bestimmt ein besserer Mensch werden. Während er über ein Leben mit Meggan sinnierte, scherte es ihn kein bisschen, dass er bereits eine angetraute Ehegattin hatte. Milly war unwichtig, lediglich ein kleines Problem, das leicht zu beseitigen war. Bei seinem Aufbruch hatte er die Idee gehabt, bis nach Grasslands zu spazieren. Er würde Meggan wie ein richtiger Freier besuchen. Dass ihre Dienstherren am Abend zuvor so freundlich ihm gegenüber gewesen waren, konnte er sicher zu seinem Vorteil nutzen. In ihrer Gesellschaft würde Meggan sich verpflichtet fühlen, höflich zu sein. Er würde sie und die Heilbuths mit all seinem Charme davon überzeugen, dass sie nicht recht daran tat, schlecht von ihm zu denken. Die erfreuliche Aussicht, die Zustimmung der Heilbuths zu erlangen, die hoffentlich auf Meggan einwirkten, geriet ins Stocken, als er sich daran erinnerte, wem er auf Grasslands womöglich noch begegnen würde. Trevannick hatte ihn nie gemocht, nicht einmal damals in Wheal Pengelly. Tom fluchte laut. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Meggan einen Überraschungsbesuch abzustatten. Der Verdacht, der ihm am Abend zuvor bezüglich Meggan und Trevannick gekommen war, stieg wieder in ihm auf. Das angenehme Bild, von den Heilbuths und der bezaubernden Meggan freundlich begrüßt zu werden, wurde von einem Bild verdrängt, wie er auf Meggans Bitte hin von Trevannick des Grundstücks verwiesen wurde. Verunsichert setzte Tom sich auf einen Felsblock am Straßenrand und holte aus seiner Jacke eine Taschenflasche Whisky. Gehen machte einen Mann durstig. Er dachte über Meggan und Trevannick nach. Er stellte sich vor, dass sie ein Liebespaar waren, und verwarf den Gedanken gleich wieder. Er war sich sicher, dass Meggan, die sich von M?nnern fernhielt, sich auch Trevannick nicht hingegeben hatte. Doch vielleicht war das nur eine Frage der Zeit. Meggan und Trevannick. Caroline und Tremayne. Verdammt. Verdammte Meggan. Verdammte Tremaynes. Verdammter Trevannick. Und verdammter Will. Das war auch so einer, der nach Höherem strebte und die Augen nicht von Jenny Tremayne lassen konnte. Tom spürte, wie der alte Zorn sich wieder regte. Er nährte ihn mit Bildern von Meggan, wie sie mit Trevannick im Bett lag. Als die Taschenflasche halb leer war, verblasste die Idee, sanft um Meggan zu freien, unter seiner besessenen Begierde. Er war ein Narr, dass er sich eingebildet hatte, sie würde ihn je mit etwas anderem bedenken als mit ihrer gewohnten Geringschätzung. Die Hoffnung, dass sie aus irgendeinem Grund die Straße entlangkäme, wo er saß, erregte seine wütenden, geilen Gedanken. Meggan Collins würde sich nicht noch einmal über ihn lustig machen. Und sie würde auch nicht stark genug sein, ihn daran zu hindern, sie sich zu nehmen. Dann war da noch Jenny Tremayne. Sie sah Caroline so ähnlich, dass er überlegte, ob an der Geschichte von Caroline und Rodney nicht doch mehr dran war. Will wusste womöglich etwas. Eine Wahrheit hatte Tom schon aus Will herausgeprügelt; er konnte leicht noch mehr aus ihm herausprügeln. Doch was auch immer dahintersteckte, Tom beschloss, dass er auch Jenny Tremayne haben würde. Er musste sie nur aus Meggans Einflusssphäre herauslocken, dann konnte sie ihm nicht lange widerstehen. Tom wusste, wie man eine Frau schwach machte vor Verlangen. Seine durch rachsüchtige und zornige Gedanken ausgelöste und vom Whisky angeheizte Stimmung wurde im Laufe des Tages immer finsterer. Am späten Nachmittag ging er zurück in die Stadt. Auf der Fußgängerbrücke blieb er stehen, um den Bach hinauf in Richtung der Hütten zu schauen. Kleine Kinder spielten im Schmutz. Die meisten T?ren der unterirdischen Wohnungen standen offen. Vor einigen standen Frauen und klatschten, vor anderen sa?en Frauen und n?hten oder bereiteten Gem?se f?r den abendlichen Schmortopf vor. Schon jetzt wehte der Essensgeruch aus den runden Schornsteinaufs?tzen entlang des Ufers und vermischte sich mit dem ?berw?ltigenden Gestank nach Schweinen und Abf?llen, der zur Creek Street dazugeh?rte. Die Tür seiner eigenen Behausung war zu, und aus seinem Schornsteinaufsatz wehte kein Rauch. Er bekam keine Mahlzeit gekocht, auf ihn wartete nicht einmal ein heißes Getränk. Die Schlampe scherte sich einen Dreck um seine Bedürfnisse. Sie hatte seinen Handrücken oft genug zu spüren bekommen, um sie von ihrer Schlampigkeit zu kurieren, und doch schien es ihm, als würde sie immer aufsässiger. Es war ihm längst aufgefallen, dass Männer ihre Gespräche unterbrachen, wenn er hinzutrat, und ein neues Thema anschlugen. »Einmal ein Flittchen, immer ein Flittchen«, hatte er einen Mann sagen hören und den warnenden Blick gesehen, den ein anderer dem Mann zugeworfen hatte, als er näher kam. Da der Sprecher aus Pengelly kam, wusste Tom genau, von wem er sprach. Milly hatte stets bereitwillig die Beine breitgemacht. Er ärgerte sich seit Jahren darüber, dass sie ihn mit einem Trick dazu gebracht hatte, sie zu heiraten. Sie war damals gar nicht schwanger gewesen und seither auch nicht. Sie war bestimmt unfruchtbar, und das war vielleicht ganz gut so. Wenn sie je versucht hätte, ihm das Kind eines anderen unterzuschieben, hätte er sie mit bloßen Händen erwürgt. Sie hielt ihn auch so genug zum Narren. Allein dafür fühlte Tom sich berechtigt, sie zu schlagen. Dass er selbst ein oder zwei uneheliche Kinder in Cornwall oder womöglich sogar hier in Burra herumlaufen hatte, scherte ihn nicht. Die Frauen fühlten sich zu ihm hingezogen, und wenn sie willig waren, war er es auch. Einige, die zögerlich gewesen waren, hatte er sogar gezwungen. Tom fand nichts Falsches dabei, einer Frau zu geben, was sie wollte. Die meisten Frauen waren im Grunde doch Huren, selbst die, die es hinter ihrer Ehrbarkeit versteckten. Und dann waren da noch solche wie Meggan Collins, die sich zu fein waren, ihn zu grüßen. Sie war wie ein Stachel, tief im Fleisch seiner Leiste. Er würde keinen Frieden finden, solange er sie nicht gehabt hatte, und wenn er sie mit Gewalt nehmen musste. Vielleicht war das genau das, was sie brauchte, um sie von ihrem Hochmut zu kurieren. Bei der Vorstellung, wie er sich Meggan Collins unterwarf, wie sie sich hilflos unter ihm wand, während er sie brutal fickte, ließ ihn hart werden, und das verlangte nach Erlösung, selbst wenn es bei seiner Schlampe von einer Frau sein musste. Während er noch überlegte, wie und wann er Meggan an einen geeigneten Ort locken konnte, ging die Tür zu seiner Wohnstatt auf. Ein Mann kam heraus. Tom sah die klatschenden Frauen von der Seite rasch einen Blick auf den Mann werfen und dann den Kopf abwenden. Dann tauchte Milly in der Tür auf, und in ihrem Blick auf die Frauen lag ein Trotz, der ihnen verriet, wie wenig sie sich um deren Meinung scherte. Zorn stieg in Tom auf. Er hatte nicht gewusst, dass seine Frau sich in seinem Bett mit anderen Männern vergnügte. Sie musste ihn doch für einen rechten Idioten halten. Im Zorn trat Tom nach einem vorbeischleichenden Köter. Wahrscheinlich hielten die Nachbarn ihn für einen feigen Dummkopf. Zum Teufel mit dem treulosen Weib. Sollte sie doch lügen und betrügen, aber er würde nicht mit ansehen, wie die Leute hinter seinem Rücken über ihn lachten. Wenn er nach Hause kam, würde er sie grün und blau schlagen. Und er würde sie zwingen, die Beine breitzumachen, und sie so lange nehmen, dass sie eine ganze Weile viel zu wund sein würde, um herumzuhuren.  
Weder Meggan noch Jenny kamen an diesem Tag auf die Idee, das Haus zu verlassen. Die Euphorie über ihren Erfolg am Abend zuvor war rasch verebbt, und Meggan war müde und lethargisch. Als die Zwillinge am Nachmittag schliefen, lag sie auf dem Bett und war zufrieden, Jennys Geplauder zuzuh?ren. »Ich finde, die Gesellschaft hat viel zu viel Macht über unser Leben«, bemerkte die junge Frau. »In welcher Hinsicht?«, fragte Meggan. »Sehen Sie sich uns an. Wir sind die besten Freundinnen. Weil Sie bei den Heilbuths leben und wie eine Tochter behandelt werden, ist unsere Freundschaft akzeptabel. Doch wenn Sie bei Ihrer Familie leben und in der Grube arbeiten würden, würde unsere Freundschaft zweifellos als seltsam angesehen werden.« »Wenn ich bei meiner Familie lebte und in der Grube arbeitete, hätten wir wohl kaum Gelegenheit gehabt, Freundinnen zu werden.« »Das stimmt. Aber ich finde es unfair. Die Heilbuths akzeptieren Menschen als die, die sie sind, und nicht für das, was sie sind oder was sie besitzen. Ich finde, so sollte es überall sein. Nur weil ein Mensch in wohlhabende Verhältnisse hineingeboren wird, macht ihn das doch nicht unbedingt zu einem besseren Menschen als jemanden, der hart für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss.« »Ich bin ganz Ihrer Meinung, Jenny. Doch die Gesellschaftsschichten sind, wie Sie sicher bemerkt haben werden, in Australien nicht so streng abgegrenzt wie in Cornwall. Aber wie sind Sie auf diese Gedanken gekommen?« Jenny zuckte mit den Achseln. »Das sind nur Gedanken. Wenn mein Vater mich hören würde, würde er denken, ich hätte den Verstand verloren. Vielleicht ist das seltsam, aber in gewisser Weise bin ich froh, dass wir uns erst jetzt kennengelernt haben, wo wir ohne gesellschaftliche Einschränkungen wirklich Freundinnen sein können.« Meggan schenkte ihr ein Lächeln. »Ich auch.« Schweigend vergingen einige Augenblicke, bevor Jenny fragte: »Glauben Sie, es ist besser, aus Liebe zu heiraten?« Meggan antwortete nicht gleich. Eine Heirat aus Liebe war ihr vom Schicksal nicht bestimmt. ?Eine Frau, die aus Liebe heiraten kann, hat gro?es Gl?ck. Vielleicht ist es kl?ger, als Ehemann einen Mann zu w?hlen, der sowohl r?cksichtsvoll als auch ein treusorgender Ehegatte ist.? »Würden Sie Mr. Westoby heiraten?« Die Frage überraschte Meggan. »Er hat mich nicht gefragt.« »Er würde, wenn Sie ihn ermutigten.« »Ich habe keine Eile, zu heiraten.« »Ich auch nicht«, antwortete Jenny mit so eiserner Stimme, dass Meggan verdutzt aufschaute. »Lieben Sie Con nicht?« »Natürlich liebe ich ihn.« Jenny unterbrach sich und senkte die Stimme, sodass Meggan fast den Eindruck gewann, sie spräche zu sich selbst. »Aber wenn ich Con nicht heiraten und stattdessen zufällig einen Bergmann lieben würde, würde ich nicht zulassen, dass der Klassenunterschied zwischen uns stünde.« Meggan stützte sich auf ihre Ellbogen und sah Jenny überrascht an. »Wollen Sie mir damit sagen, Sie haben sich in einen Bergmann verliebt?« Jenny zuckte mit den Achseln, doch die Röte, die ihre Wangen überzog, war Meggan Antwort genug. »Jenny. Ist das wahr?« »Es ist sicher nur eine dumme Vernarrtheit, denn ich war noch nie richtig verliebt. Was ich für Con empfinde, ist eher behaglich als leidenschaftlich.« Der tiefere Sinn dieser Bemerkung ging Meggan erst sehr viel später auf. Erst einmal war sie mit Jennys Vernarrtheit beschäftigt. »Erwidert der Mann, dieser Bergmann, Ihre Gefühle?« Jenny stieß ein kleines, bitteres Lachen aus. »Er scheint nicht einmal meine Existenz zur Kenntnis zu nehmen. Wenn ich glauben würde, dass er mich je lieben könnte, würde ich in Australien bleiben.« »Wer ist er?« Meinte sie etwa Will? Lieber Gott, lass es nicht Tom Roberts sein. Jenny wandte den Kopf ab. »Das verrate ich nicht. Sie würden mich für vollkommen töricht halten.« Eine Antwort, die Meggans Beklemmung nicht milderte. »Was ist mit Con? Sie haben gesagt, Ihr Vater wünsche diese Verbindung.« »Mein Vater kann nicht immer alles nach seinem Willen haben. Ich glaube, Con geht es nicht anders als mir. Wenn ich mich in einen anderen Mann verlieben würde, würde er mir nicht im Weg stehen. Mein Vater hingegen würde es mir sehr schwer machen. Wahrscheinlich müsste ich Cornwall verlassen, wie Rodney.« »Könnten Sie Ihrem Vater wirklich so wehtun?« Jenny seufzte – ein resignierter Seufzer mit einem Hauch von Traurigkeit. »Nein, Meggan, ich werde Con heiraten, wie mein Vater es wünscht. Con ist ein guter Mann, und ich glaube, wir werden eine gute Ehe führen. Ich hoffe, Sie finden eines Tages auch einen guten Mann.« Ich will keinen guten Mann, dachte Meggan, ich will den Mann, der Ihr Ehemann wird. Sie legte sich wieder hin, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte an die Decke. »Ich glaube, ich werde noch lange nicht heiraten.« »Warum nicht? Sie wollen doch sicher Kinder. Sie können so gut mit den Zwillingen umgehen.« »Wollen Sie Kinder?«, entgegnete Meggan und wünschte gleich, sie hätte nicht gefragt. Sie wollte sich nicht vorstellen, wie Jenny Cons Kind unter dem Herzen trug.