12
Die Wochen, die auf
die Abreise der Gäste folgten, waren für Meggan unruhige Wochen. In
Grasslands fand das Leben wieder in seine normale Routine zurück,
auch wenn die Besucher bei einigen ihre Spuren hinterlassen hatten.
Sarah erklärte, sie vermisse Miss Jenny. Barney wiederholte viel zu
oft die Hoffnung, Mr. Tvannick möge sie wieder besuchen. Meggan
fühlte nichts als Leere und Trostlosigkeit. Dann kam der
Donnerstag, an dem ihre Stimmung so niedergedrückt war, dass sowohl
Cookie als auch Mrs. Heilbuth eine Bemerkung machten. »Sie sehen
aus, als hätten Sie drei Pence verloren und ein Halbpennystück
gefunden.« Cookie stelle Schalen mit dampfendem Haferflockenbrei
auf den Tisch. »Esst, Kinder. Und Sie, Meggan, brauchen jemanden,
der Sie ein wenig aufpäppelt.« Mehr als den Hauch eines Lächelns
brachte Meggan nicht zustande. Wie einfach wäre doch das Leben,
dachte sie, wenn Essen das Heilmittel für jedes körperliche wie
seelische Leiden wäre. Doch der Haferflockenbrei würde die
Traurigkeit und die enttäuschte Leere nicht vertreiben, die ihr
ihren normalerweise herzhaften Appetit raubten. Mrs. Heilbuth kam
gerade rechtzeitig in die Küche, um Cookies Worte zu hören. »Geht
es Ihnen nicht gut, Meggan?« Sie schaute Meggan forschend ins
Gesicht. »Sie scheinen mir ein wenig blass zu sein.« »Ich bin nicht
krank, Mrs. Heilbuth, nur traurig. Heute ist in der Grube
Abrechnungstag. Meine Brüder gehen jetzt nach Victoria.« »Aha. Und
Sie denken schon daran, wie sehr Sie sie vermissen werden.« »Ich
bin mir sicher, Ma und Pa empfinden ihr Weggehen viel ärger. Will
werde ich am meisten vermissen.« Mrs. Heilbuth wusste, wie nah sich
die Geschwister standen, und suchte nach Worten, um sie zu
beruhigen. »Ihr Will ist ein anständiger junger Mann mit einem
vernünftigen Kopf auf den Schultern. Um ihn müssen Sie keine Angst
haben; er wird seinen Weg in der Welt machen.« »Indem er den
anderen Optimisten folgt, die der Verlockung des Goldes
nachgelaufen sind?«, fragte Meggan mit einer gewissen Schroffheit.
»Das bürgt wohl kaum für eine wohlhabende Zukunft.« »Sie machen
sich unnötig Sorgen, meine Liebe. Barney, Sarah, hört auf, mit den
Ohren zu wackeln, und esst euren Haferbrei.« Mrs. Heilbuth ließ
sich auf der Bank Meggan gegenüber nieder und häufte drei Löffel
Zucker in die Tasse Tee, die Cookie ihr hingestellt hatte. Sie
rührte heftig und nahm dann mit einem zufriedenen Seufzer einen
Schluck des süßen Gebräus. »Ihr Bruder ist viel zu vernünftig, um
alles an aussichtslose Hoffnung oder leichtsinniges Spiel zu
vergeuden. Wenn er kein Gold findet, wird er etwas anderes
versuchen, bevor sie alle verarmen.« Meggan musste zugeben, dass an
der Bemerkung etwas Wahres dran war. »Sie haben natürlich recht.
Will hat diese Unternehmung sehr sorgfältig geplant. Wochenlang
haben sie alles zusammengetragen, was sie auf der Landreise nach
Victoria womöglich brauchen werden.« Mrs. Heilbuth nickte
zufrieden. »Wie ich schon sagte, ein sehr vernünftiger junger
Mann.«
Am folgenden Nachmittag ritten die drei Collins-Brüder hinaus nach
Grasslands, um ihrer Schwester Lebewohl zu sagen. Sie saßen alle in
der Küche, wo Cookie sie reichlich mit Tee bewirtete. Die Zwillinge
waren von ihrer Mutter angewiesen worden, sich so zu benehmen, dass
Meggan Zeit hatte, mit ihren Br?dern zu reden. Cookie stellte einen
Teller Kekse auf den Tisch. »Ich habe auch noch einen Schwung Kekse
gebacken, die können Sie in Ihren Proviantbeutel tun.« »Sehr
freundlich von Ihnen, Cookie.« Will schenkte ihr sein Lächeln, das
sie von ihrem ersten Zusammentreffen an bezaubert hatte. »Wir
müssen für uns selbst kochen, da wird es nicht viel Luxuriöses
geben. Die meiste Zeit essen wir wohl gepökeltes Rindfleisch und
Kartoffeln.« »Sie haben doch wohl ein bisschen Mehl dabei, um
Damper zu machen?« Die Brüder sahen einander an, bevor sie unisono
verdutzt den Kopf schüttelten. »Was ist Damper?«, fragte Hal. »Wie
macht man das?« Cookie lachte ungläubig. »Das wissen Sie nicht?
Nun, Sie werden es bald lernen. Alles, was man für den Teig
braucht, ist Mehl, Wasser und eine Prise Salz. Wenn man Backpulver
hat, kann man ein wenig davon hinzufügen, um den Teig lockerer zu
machen. Alles, was man fürs Backen braucht, ist ein gutes Bett
heißer Kohlen. Man mischt den Teig, formt ihn zu einem runden Laib
und legt diesen dann auf die heißen Kohlen. Dann häuft man einige
Kohlen obendrauf, damit es gleichmäßig bäckt.« »Klingt ziemlich
einfach«, bemerkte Hal. »Dann kannst du das übernehmen«, sagten
seine Brüder. »Macht mir nichts aus. Ihr zwei könnt das Feuer
machen und hinterher abwaschen.« »Ist das nicht die Aufgabe des
Kochs?« Meggan sah Will mit einem verschmitzten Grinsen an. Er
grinste zurück. »Du hast recht, Megs. Der Koch sollte sich um alles
kümmern, was mit dem Essen zu tun hat.« »Hey, Meggan. Auf wessen
Seite stehst du?« Eine Weile neckten die Brüder sich fröhlich, und
Meggan und Cookie beteiligten sich gut gelaunt mit weiteren
streitlustigen Vorschl?gen. Als das Wortgepl?nkel sich der Sorge um
die Pferde zuwandte, sah Meggan ihre beiden j?ngeren Br?der an.
»Wie gefällt euch das Reiten?« Beide verzogen das Gesicht. »Okay,
nehm ich an«, murmelte Tommy. Hal war freimütiger. »Ich würde
lieber auf Deck eines stampfenden Schiffs stehen als rittlings auf
einem schaukelnden Pferd sitzen. Ich weiß gar nicht, was Will am
Reiten so großartig findet.« Will, der, als er das erste Mal auf
einem Pferd gesessen hatte, augenblicklich eine Zuneigung zu seinem
Pferd und bis dahin ungeahnte Reitkünste entdeckt hatte, beruhigte
seine weniger begabten Brüder. »Ihr braucht nur ein bisschen mehr
Praxis. Bis wir an den Goldfeldern ankommen, seid ihr auch
sattelfest.« Hal und Tommy stießen Schnauber aus, die andeuten
sollten, dass sie davon noch nicht recht überzeugt waren. »Ihr
solltet dankbar sein«, schalt Meggan sie. »Viele sind den ganzen
Weg zu Fuß gegangen. Wie würde es euch gefallen, wenn ihr gezwungen
wärt, Schubkarren, hoch beladen mit all euren Habseligkeiten, zu
schieben? Ihr habt zwei Pferde zum Reiten und noch eins, das euren
Wagen zieht.« »Und nur noch sehr wenig Geld übrig«, fügte Will
hinzu. »Die Ausrüstung hat den größten Teil unserer Ersparnisse
verschlungen. Wir müssen hoffen, sehr schnell Gold zu finden.« »Und
was, wenn nicht?« »Dann muss mindestens einer von uns versuchen,
irgendeine bezahlte Arbeit zu finden, um uns über Wasser zu
halten.« Cookie nickte anerkennend. »So gut, wie Sie diese
Unternehmung vorbereitet haben, hätten Sie es verdient, Erfolg zu
haben.« »Vielen Dank, Cookie. Hoffentlich behalten Sie recht.«
Cookie stellte noch mehr Kekse auf den Tisch. »Wenn – und falls –
Sie ein Vermögen machen, was fangen Sie dann mit Ihren Reichtümern
an?« Will nahm sich achselzuckend noch einen Keks. »Ich glaube, das
überleg ich mir, wenn es so weit ist. Hal und Tommy haben schon
Pläne.« »Wir wollen ein Boot kaufen«, führte Hal Wills Andeutung
weiter aus. »Ein Fischerboot?«, fragte Meggan. »Ein großes
Fischerboot. Wir kommen zurück nach Südaustralien und lassen uns am
Spencer-Golf als Fischer nieder.« »Das überrascht mich nicht. Ihr
beide, aber besonders du, Hal, seid immer schon gerne mit Joes Boot
rausgefahren.« »Irgendwo in der Familie muss es einen Fischer
gegeben haben. Wir können nicht immer Bergleute gewesen sein.«
»Unter unseren Vorfahren muss auch ein Zigeuner gewesen sein, so
wie Meggan immer übers Moor gestreift ist.« Bei dem Wort »Zigeuner«
empfand Meggan einen Stich wie mit einer Messerspitze. Sie linderte
ihn, indem sie Will anlachte. »Vielleicht waren auch ein oder zwei
spanische Marodeure darunter mit schwarzem Haar und dunklen Augen,
die sie uns beiden vererbt haben.« Alle vier lachten zusammen. Sie
scherzten, neckten sich und sprachen noch eine Weile über Pläne,
Hoffnungen und Träume, bis es für die Brüder Zeit wurde, sich zu
verabschieden. Meggan blickte ihnen nach, wie sie die Straße
hinunterritten, und erwiderte Wills letztes Winken, bevor sie um
eine Kurve ritten und außer Sichtweite waren. Sie würde ihn
schrecklich vermissen.
»Bist du glücklich, Pa?« Henry richtete den Blick, der in die Ferne
geschweift war, wieder auf das Gesicht seiner Tochter. Drei Wochen
waren vergangen, seit Will, Hal und Tommy fortgegangen waren.
?Warum fragst du?? »Du wirkst … besorgt.« Er seufzte schwer. »Es
ist nichts, worüber du dir Sorgen machen musst, Kind. Vielleicht
ist es das ganze Gerede der Männer, die nach Victoria gehen. So
viele sind schon weg. Ich denke, Ende des Jahres sind nur noch
wenige Männer in Burra.« Ein tiefes Stirnrunzeln zog seine dichten
Augenbrauen zusammen. »Ich weiß nicht, wie die Grube dann noch
weiterarbeiten soll.« »Du denkst aber doch nicht auch daran, mit
Will Gold zu suchen?« Henry wirkte ein wenig verdutzt über die
Frage. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe mein Leben lang in
einer Kupfermine gearbeitet. Ich werde älter, Meggan, und
allmählich überlege ich, ob es nicht an der Zeit wäre, etwas
anderes zu machen, bevor ich zu alt dazu bin.« Meggan nickte
langsam. »Ich glaube, ich verstehe dich.« »Ja? Ich bezweifle, dass
deine Ma mich verstehen würde.« Die Erwähnung ihrer Mutter, die das
Cottage nach dem sonntäglichen Mittagessen verlassen hatte, um eine
bettlägerige ältere Dame zu besuchen, brachte Meggans Gedanken auf
ein sorgenvolleres Thema. »Ma ist nie richtig in Australien
angekommen, nicht wahr?« Henry schüttelte den Kopf. Joanna sagte
selten ein Wort und lächelte nie. Sie hielt das Haus sauber und
sorgte dafür, dass die Familie ordentlich gekleidet war und etwas
Gutes zu essen bekam. Doch um sich herum hatte sie eine unsichtbare
Mauer aus Religiosität errichtet, die niemand durchdringen konnte.
Sie zeigte keine Gefühle und wirkte auch von den Gefühlen anderer
ungerührt. Ihre Familie wusste sehr wohl um die Buße, die sie sich
insgeheim auferlegt hatte. Trotz ihrer vielen guten Taten galt sie
als mürrisch und reserviert. Sie kleidete sich auffällig schlicht,
fast wie eine Quäkerin, und Meggan dachte oft, dass ihre Mutter
sich mit Absicht bem?hte, jede Spur ihrer fr?heren Attraktivit?t zu
verbergen. »Glaubst du, Ma wird je wieder sie selbst sein?« »Ich
sehe wenig Hoffnung. Sie ist schon zu lange so. Ich dachte, nach
Australien zu kommen würde ihr helfen. Vielleicht hätte es das,
wenn wir woanders hingegangen wären oder wenn ich eine Farm
gegründet hätte. Vielleicht war es ein Fehler, nach Burra zu
kommen, das im Grunde nicht viel anders ist als Cornwall. Da sind
die Grube, die sie stets an früher erinnert, und Menschen aus ihrer
Heimat, die ihre Schuld lebendig halten.« »Du meinst Tom Roberts.«
Henry nickte. »Tom hat sich nach Carolines Tod auch verändert.«
»Tom hat nur seine wahre Natur offenbart«, erwiderte Meggan. »Ich
bin froh, dass Caro nicht gezwungen war, ihn zu heiraten. Sie hätte
ein schreckliches Leben gehabt.« Henry war ein wenig überrascht
über die heftige Reaktion seiner Tochter. »Du hast ihn doch gut
leiden können? Ich glaube mich zu erinnern, dass du mal gesagt
hast, du würdest ihn gerne heiraten, wenn Caroline ihn nicht nehmen
würde.« Bei der Erinnerung daran verzog Meggan angewidert das
Gesicht. »Meine Meinung über Tom hat sich genauso schnell geändert
wie sein Betragen. Als er jünger war, war er nett, und ich war
damals nur ein Kind.« »Und jetzt bist du eine liebenswerte junge
Frau. Bist du glücklich, Meggan?« Nicht darauf vorbereitet, dass
ihre Frage ihr selbst gestellt wurde, antwortete Meggan vielleicht
ein wenig zu schnell: »Ja, Pa.« »Du bereust nichts?« Ihr Vater
hatte seinen scharfen Blick auf ihr Gesicht gerichtet. Sie
schüttelte den Kopf und schenkte ihm ein Lächeln, das alle Zweifel
auslöschen sollte. »Ich habe ein gutes Leben bei den Heilbuths und
freue mich immer, wenn ich für ihre Gäste singen kann.« »Dann hast
du deinen Traum aufgegeben?« »Nur zur Seite gelegt. Ich bin erst
neunzehn, Pa. Vielleicht, wenn ich älter bin. Wenn es sein soll,
wird es sich ergeben.« »Mit neunzehn sind die meisten jungen Frauen
verheiratet.« Anscheinend erwartete er keine Antwort, denn er
streckte die Beine aus und betrachtete seine Stiefel. Meggan
überlegte, welche Gedanken ihrem Vater wohl solche Falten in die
Stirn gruben. Schließlich fragte er: »Glaubst du, die Dinge
passieren, weil sie passieren sollen?« »Bis zu einem gewissen
Grade, ja.« Meggan sprach langsam, während sie ihre Gedanken
sortierte. »Es gibt Zeiten, da muss man das akzeptieren, was man
nicht ändern kann. Wenn man die Wahl hat, kann man nur hoffen, die
richtige Entscheidung zu treffen. Ich halte es für klug, vorher
sorgfältig darüber nachzudenken, ob man die eine oder andere
Richtung einschlägt.« »Du hast einen klugen Kopf auf deinen jungen
Schultern.« »Das ist der Einfluss von Mr. Heilbuth. Er ist so etwas
wie ein Philosoph, und wir führen abends oft interessante
Gespräche.« »Du erfüllst mich mit Stolz, Kind. Wenn für dich die
Zeit zum Heiraten kommt, musst du einen Mann wählen, der deine
Klugheit und dein Talent ebenso zu schätzen weiß wie deine
Schönheit.« »Bitte, Pa, sag das nicht.« Meggan wandte den Kopf ab,
denn sie spürte, dass sie rot wurde. »Was? Dass du bei weitem die
hübscheste junge Frau in Burra bist? Es stimmt aber doch. Ich bin
überrascht, dass du nicht schon einen ganzen Schwarm Verehrer
hast.« Meggan wollte nicht, dass ihr Vater dieses Thema weiter
verfolgte. »Ich ermutige niemanden. Die meisten sind meiner
Gleichgültigkeit bald überdrüssig.« »Die meisten?« Meggan
verfluchte ihren Versprecher und die Hitze, die sie auf ihren
Wangen spürte. »Alle, Pa«, sagte sie mit einer Bestimmtheit, die
das Thema f?r beendet erkl?rte. Tom hatte Burra verlassen, und es
war nicht n?tig, ihren Vater mit den Drohungen des Mannes zu
beunruhigen. Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die
Wange. ?Ich muss gehen. Gr?? Ma von mir, wenn sie heimkommt.? Henry
begleitete sie bis an den Zaun, wo sie ihr Pony angebunden hatte.
Er sah zu, wie sie die Leine losmachte und auf den Wagen stieg. Er
hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass seine Tochter Pferd und
Wagen so gut zu führen wusste. Er bemühte sich, genug Abstand zu
halten, denn er mochte das Maul voller kräftiger Zähne nicht, die
das Tier entblößte, als es jetzt als Antwort auf ein anderes Pferd
auf der Koppel wieherte. Er schaute dem Wagen bis zum Ende der
Straße hinterher. Ja, seine Meggan hatte es gut getroffen. An der
Ecke schaute sie sich noch einmal um und winkte, und Henry winkte
zurück. Er hoffte inbrünstig, dass das Leben zu ihr freundlicher
sein würde als zu ihrer Schwester.
Vielleicht war es das Ergebnis des Gesprächs mit ihrem Vater.
Vielleicht hatte der Wunsch auch schon eine Weile in ihrer Seele
geköchelt. Was auch immer der Auslöser war, Meggan erwischte sich
immer häufiger dabei, dass sie darüber nachdachte, Sängerin zu
werden. Gegen diesen wachsenden Wunsch kämpfte sie mit ihrer Liebe
zu den Zwillingen und ihrer tiefen, respektvollen Zuneigung zu
ihren Dienstherren an. Sie zu verlassen, redete sie sich ein, wäre
ein Akt der Selbstsucht. Meggan rechnete jedoch nicht mit der
Scharfsinnigkeit der Heilbuths. Eines Abends, als die Zwillinge
schon im Bett waren und Mr. Heilbuth sich in sein Arbeitszimmer
zurückgezogen hatte, bat Mrs. Heilbuth Meggan, sich zu ihr zu
setzen, um zu reden. »Sie haben etwas auf der Seele, meine Liebe.
Vermissen Sie Ihre Brüder?« Meggan, bestürzt darüber, dass ihre
Unruhe ihr so deutlich anzumerken war, stimmte ihr bereitwillig zu.
?Ich vermisse sie. Besonders sonntags, wenn ich meine Eltern
besuche und wir nur zu dritt am Tisch sitzen, wo wir doch fr?her zu
sechst waren.? »Ihre Eltern vermissen sie sicher auch.« »Ich weiß,
dass Pa einsam ist. Ma zeigt niemandem, was sie empfindet.« »Doch
es gibt noch jemanden, den Sie viel mehr vermissen als Ihre Brüder,
nicht wahr?« Mrs. Heilbuths Miene war freundlich und
verständnisvoll. Meggan schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter.
Sie hatte gedacht, ihr Geheimnis sei wohlbehütet. »Woher wissen Sie
das?« »Sie haben beide gedacht, Sie würden Ihre Gefühle verbergen,
doch jedes Mal, wenn Sie einander anschauten, war es für alle
deutlich zu sehen. Ich glaube, ich liege richtig, wenn ich annehme,
dass Con Trevannick der gewichtigere Grund für Ihr Unglücklichsein
ist.« Die Tränen, die Meggan so lange in Schach gehalten hatte,
kullerten ihr jetzt über die Wangen. Mrs. Heilbuth nahm sie
mütterlich in die Arme. Meggan legte das Gesicht an ihre tröstende
Schulter, und während eine Hand ihr sanft übers Haar strich, weinte
sie umso mehr, weil ihre eigene Mutter sie nie so im Arm halten
würde. Schließlich ging ihr verzweifeltes Schluchzen in einige
hicksende Schluchzer über. »Fühlen Sie sich jetzt besser, meine
Liebe? Es tut gut, sich richtig auszuweinen.« Meggan setzte sich
auf und fingerte in der Tasche ihres Rocks nach einem Taschentuch,
um sich die Augen zu wischen und die Nase zu putzen. »Nun«, fragte
Mrs. Heilbuth, »was wollen Sie deswegen unternehmen? Er liebt Sie
auch.« Meggan antwortete mit ausdrucksloser Stimme: »Nichts werde
ich tun. Er ist Jenny versprochen. Er wird sie heiraten, wenn sie
nach Cornwall kommen. Vielleicht sind sie inzwischen l?ngst
verheiratet.? Sie unterdr?ckte den Schmerz, der ihr das Herz
zerriss. ?Ich muss ihn vergessen, Mrs. Heilbuth, und mein Leben
weiterleben.? »Wie schade.« Sie seufzte. »Sie schienen so gut
zueinander zu passen. Manchmal ist das Leben einfach zu hart.«
»Bitte, Mrs. Heilbuth, ich muss ihn vergessen. Den Mann, den man
liebt, nicht heiraten zu können ist nicht das schlimmste Schicksal,
das eine Frau ereilen kann. Ich bin gesund und munter und besitze
ein Talent.« »Und hier bei uns werden Sie immer ein Zuhause haben.
Für uns sind Sie wie eine ältere Tochter.« »Ich weiß, und ich liebe
Sie alle sehr. Deswegen habe ich mich lange mit dem gequält, um was
ich Sie j etzt bitten möchte.« Sie holte tief Luft. »Mrs. Heilbuth,
falls Mr. Westoby noch bereit ist, mich zu fördern, würde ich gerne
eine Gesangskarriere aufnehmen.« Zu Meggans Erleichterung freute
Mrs. Heilbuth sich uneingeschränkt. »Meine Liebe, das ist die beste
Entscheidung, die Sie treffen konnten.« »Es macht Ihnen nichts aus?
Ich habe ein schlechtes Gewissen, Sie zu verlassen. Die Zwillinge
verstehen es vielleicht nicht.« »Sie werden es verstehen, wenn Sie
es ihnen erklären, auch wenn sie Sie schrecklich vermissen werden.
Wir alle.« Mrs. Heilbuth nahm Meggans Hand. »Ich habe Ihnen immer
gesagt, dass wir Ihnen nicht im Weg stehen. Wir finden jemanden,
der Ihren Platz einnimmt … nein, das ist falsch. Niemand wird je
Ihren Platz einnehmen. Wir stellen für die Zwillinge ein anderes
Kindermädchen ein. Es gibt viele, die diese Arbeit tun können. Ihre
Stimme dagegen ist etwas ganz Besonderes.« Meggan umarmte ihre
Dienstherrin leidenschaftlich. »Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Schreiben Sie für mich an Mr. Westoby? Ich habe das Gefühl, es wäre
angemessener, wenn die Anfrage von Ihnen käme.« »Ich glaube, Sie
haben recht. Ich schreibe noch heute Abend einen Brief und schicke
ihn gleich morgen früh in die Stadt.« Jetzt, da die Entscheidung
getroffen war, fand Meggan auch innerlich wieder mehr Ruhe. Die
Sicherheit, dass sie das Richtige tat, wuchs mit jedem Tag. Am
meisten bedauerte sie, dass sie die Zwillinge verlassen würde, die
sie beide innig liebte. Vorerst sagte sie Barney und Sarah noch
nichts von ihrer drohenden Abreise. Dazu war Zeit genug, wenn sie
mit David Westoby alles besprochen hatte. Seine Antwort auf Mrs.
Heilbuths Brief kam unerwartet schon mit der nächsten Kutsche. Der
Wortlaut war kurz, fast knapp. Liebe
Virginia,
kann keine Vereinbarungen treffen. Meine
Schwester ist
krank.
Bitte entschuldigen Sie mich bei
Meggan.
Mit freundlichen Grüßen
David Westoby
»Was meint er damit?«, fragte Meggan, als sie
ihrer Dienstherrin das kurze Schreiben zurückgab. »Glauben Sie, Mr.
Westoby hat seine Meinung über mich geändert?« »Nein, nein.« Mrs.
Heilbuth schüttelte den Kopf. »So ein Mann ist David Westoby nicht.
Sein wiederholtes Angebot, Sie zu fördern, war stets ehrlich
gemeint. Wenn seine Schwester sich von ihrem Leiden erholt,
bekommen wir sicher eine zufriedenstellendere Antwort.« Der zweite
Brief kam erst zwei Wochen später. Sein Inhalt war gleichermaßen
kurz gefasst. Liebe Virginia,
meine liebe Schwester ist vor drei Tagen
gestorben.
Ihr Tod ändert die Sachlage, was Meggan
betrifft. Ich komme nächste Woche nach
Grasslands, um die Angelegenheit
zu besprechen.
Mit freundlichen Grüßen
David Westoby
»Was glauben Sie, was er damit meint?«, fragte
Meggan wieder, nachdem sie die kurze Nachricht gelesen hatte. Mrs.
Heilbuth runzelte verwirrt die Stirn. »Mr. Westoby hatte stets
geplant, seine Schwester sollte Ihre Anstandsdame sein, damit
nichts Anstößiges daran ist, dass Sie in seinem Haus leben.
Vielleicht braucht er Zeit, um eine andere Person zu finden, die
diese Rolle übernehmen kann.« »Vielleicht«, sagte Meggan
niedergeschlagen, »hat er es sich doch anders überlegt, und ich
bleibe hier in Grasslands. Die Zwillinge werden sich freuen.« Doch
davon wollte Mrs. Heilbuth nichts wissen. »Quälen Sie sich nicht,
Meggan, meine Liebe. Gedulden Sie sich noch eine Woche. Ich bin mir
sicher, dass sich alles klärt.« Geduld war schwer zu finden. Obwohl
sie selbst wochenlang voller Unentschlossenheit hin und her
überlegt und lange gebraucht hatte, um einen neuen Weg
einzuschlagen, quälte Meggan sich jetzt damit, dass dies womöglich
nicht mehr möglich war, denn sie war sich sehr wohl der
Schwierigkeiten bewusst, sollte sie eine solche Karriere ohne
Aufsichts- und Begleitperson in Angriff nehmen. Ihre Moral würde
sofort in Zweifel gezogen und von vielen in Versuchung geführt
werden. Ihr Wunsch, zu singen, war nicht so groß, dass sie bereit
war, dafür ihren Ruf aufs Spiel zu setzen. David Westoby kam eines
Nachmittags spät, als Meggan und die Zwillinge unten am Bach waren
und nach bunten Steinen und anderen Dingen suchten, die von
Interesse sein konnten, denn sie wollten an ihrem Ende der Veranda
auf einem kleinen Tisch eine Ausstellung von Fundstücken aus der
Natur machen. Meggan sprach Mr. Westoby ihre Anteilnahme wegen des
Verlusts seiner Schwester aus; doch abgesehen davon konnte sie erst
mit ihm sprechen, als die Kinder ins Bett geschickt worden waren
und die Erwachsenen sich zum Abendessen hinsetzten. Während des
Essens drehte sich das Gespräch um die Abwanderung der Männer zu
den Goldfeldern von Victoria und die Auswirkungen, die das auf den
Kupferbergbau und die Politik der Regierung in dieser Angelegenheit
haben würde. Erst nachdem das Mahl beendet war, sprach David
Westoby die Sache an, die Meggan am meisten interessierte. »Würden
Sie bitte für mich singen, Meggan? Später besprechen wir dann, was
sich machen lässt.« Einige von Meggans Sorgen fielen bei der
unausgesprochenen Versicherung hinter seinen Worten von ihr ab. Mr.
Westoby wird mir helfen, frohlockte sie, und als sie ihren kurzen
Vortrag beendet hatte, war sie nur leicht überrascht über Mrs.
Heilbuths Worte. »Meggan, meine Liebe, Mr. Westoby hat mit uns
darüber gesprochen, wie er Ihnen am besten unter die Arme greifen
kann. Mr. Heilbuth und ich sind uns vollkommen mit ihm einig. Doch
die Entscheidung liegt bei Ihnen.« Meggan schaute den Mann an, auf
dem all ihre Hoffnungen ruhten. »Was schlagen Sie vor, Mr.
Westoby?« Bevor er antworten konnte, entschuldigten die Heilbuths
sich rasch. Mr. Heilbuth zog sich wie jeden Abend in sein
Arbeitszimmer zurück, Mrs. Heilbuth nahm Meggans Hand und
tätschelte sie beruhigend. »Wir lassen Sie allein, dann kann David
Ihnen darlegen, was er im Sinn hat.« David? Meggan war verdutzt.
Nie zuvor hatte sie Mrs. Heilbuth ihren Freund bei seinem Vornamen
nennen hören. »Meggan.« David Westoby war neben sie getreten. »Sie
müssen auch lernen, mich beim Vornamen zu nennen.« »Das wird mir
nicht leichtfallen, Mr. Westoby.« »Warum nicht?« »Man hat mir
beigebracht, Älteren mit Respekt zu begegnen.« »Ich bin zwar älter
als Sie, Meggan, aber ich würde mich Ihnen gegenüber nie als
Respektsperson gerieren. Sie sind eine würdige junge Frau.« Meggan
akzeptierte das Kompliment ohne Schüchternheit. »Vielen Dank.«
»Möchten Sie sich setzen, meine Liebe?« Meggan nahm auf dem Sofa
Platz. David Westoby blieb stehen. Er hielt die Hände hinter dem
Rücken verschränkt und schaukelte leicht auf den Fersen, bevor er
weitersprach. »Mein Angebot, Sie zu unterstützen, war stets
aufrichtig, Meggan. Ich verstehe vollkommen, in welches moralische
Dilemma eine junge Frau geraten könnte, die diesen Weg alleine zu
gehen versucht. Verzeihen Sie mir, dass ich so offen spreche, aber
ich bin mir vollkommen sicher, dass Sie nicht den Wunsch haben,
Achtbarkeit gegen Berühmtheit einzutauschen. Nein«, er hob eine
Hand, als Meggan den Mund aufmachte, um etwas einzuwerfen.
»Erlauben Sie mir, zuerst alles zu sagen, was ich sagen möchte,
meine Liebe.« Meggan neigte den Kopf und wartete darauf, dass er
fortfuhr. »Wäre meine liebe Schwester noch am Leben, hätte sie Ihre
Anstandsdame sein können. Sie könnten in meinem Haus leben und
meine Unterstützung annehmen, ohne dass daran etwas Ungehöriges
wäre. Doch mit ihrem Tod hat sich die Situation verändert. Es ziemt
sich für eine junge Frau nicht, mit einem Junggesellen unter einem
Dach zu wohnen.« »Ich verstehe.« Meggan spürte, wie Enttäuschung
sich in ihr breitmachte. »Doch es gibt eine Lösung«, fuhr David
Westoby fort. »Eine, von der ich hoffe, dass Sie sie akzeptabel
finden.« Er unterbrach sich, wie um seine Gedanken zu sammeln.
Meggan betrachtete ihn mit fragender Miene und einer leisen Ahnung
von dem, was er ihr vorschlagen w?rde. »Meggan, meine Liebe, würden
Sie mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?« Meggan biss sich
auf die Unterlippe. Sie richtete den Blick auf die wunderschöne
italienische Vase aus gebändertem Amethyst und weißem Glas, die auf
dem Klavier stand. David Westoby hatte Mrs. Heilbuth das kostbare
Stück vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt. »Überrascht meine
Frage Sie?« Er schien nach einem Grund für ihr Schweigen zu suchen.
»Nein.« Meggan richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. »Ich
habe immer um Ihre Gefühle für mich gewusst.« »Und erwidern Sie
diese Gefühle?«, fragte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
Meggan sah ihm in die Augen. Sie würde nicht lügen. »Ich schätze
Sie sehr, Mr. Westoby. Doch ich muss ehrlich sein und Ihnen sagen,
dass in meinem Herzen weder Liebe noch Zuneigung sind.« Zu ihrer
Überraschung lächelte er bei ihren Worten. »Ich bewundere Ihre
Ehrlichkeit, Meggan. Ich suche nicht Liebe. Zuneigung wird, glaube
ich, im Laufe der Zeit wachsen. Seien Sie versichert, meine Liebe,
dass ich nie mehr von Ihnen verlangen werde, als Sie zu geben
bereit sind.« Er trat näher, setzte sich neben sie und nahm ihre
Hände. »Als meine Frau kämen Sie in den Genuss materiellen
Wohlstands, einer Position in der Gesellschaft und eines
untadeligen Rufs, wenn Sie auf die Bühne gehen.« »Achtbarkeit ist
mir wichtiger als eine gesellschaftliche Position oder materielle
Besitztümer. Ich würde Sie nicht wegen Ihres Wohlstands heiraten,
Mr. Westoby.« Wieder umspielte ein Lächeln seinen Mund. »Ich hätte
Ihnen nicht alles, was ich habe, zu Füßen gelegt, wenn ich
befürchten m?sste, Sie w?rden es aus Habsucht annehmen. Ich
bewundere Sie, Meggan. Ich gestehe, dass ich bereits ein ger?ttelt
Ma? an Zuneigung zu Ihnen hege. Ich bewundere Ihre Ehrlichkeit und
Ihre Integrit?t. Ich glaube, wir k?nnten eine sehr gute Ehe
f?hren.? Meggan senkte einen Augenblick den Kopf, bevor sie ihn
wieder hob, um ihm direkt in die Augen zu sehen. »Ich bin zutiefst
geschmeichelt, Mr. Westoby. Würden Sie mich für undankbar halten,
wenn ich mir noch ein wenig Zeit ausbitte, bevor ich Ihnen meine
Antwort gebe?« »Ich möchte, dass Sie sich Ihrer Entscheidung ganz
sicher sind. Ich werde geduldig warten.« »Vielen Dank, Mr.
Westoby.« »David.« Er lächelte. Meggan erwiderte sein Lächeln.
»David.«
In dieser Nacht konnte Meggan nicht schlafen, denn zu vieles ging
ihr durch den Kopf, als dass ihr Körper Ruhe hätte finden können.
Mitten in der Nacht stand sie auf, zog einen dicken Morgenmantel
über ihr Nachthemd und trat hinaus in die kühle Nacht. Sie hörte
das Getrippel von Nachttieren, das Zirpen von Insekten und das
Dröhnen eines Wallabys, das über die Koppel hüpfte. Doch vor diesen
Geräuschen musste sie keine Angst haben, als sie die Einfahrt
hinunterging und die diamantengleiche Klarheit der Sterne
bewunderte. Am Tor blieb sie stehen und durchlebte mit
geschlossenen Augen noch einmal das letzte leidenschaftliche
Zusammentreffen mit Con. Trotz seines Schwurs wusste sie nicht, wie
sie je zueinanderfinden sollten. Sie mochte Jenny viel zu sehr, um
ihr Schmerz oder Kummer zu bereiten, und ihre Sehnsucht nach Con
ließ sie erkennen, dass es ganz gut war, dass sie an
entgegengesetzten Ecken der Welt lebten, wo sie nicht in Versuchung
gerieten. Meggan wandte ihre Gedanken entschlossen von dem Mann ab,
den sie liebte, um an den Mann zu denken, der ihr die Ehe
angetragen hatte. David Westoby war noch nie verheiratet gewesen,
und Meggan ?berlegte, warum wohl. Sie zweifelte nicht daran, dass
er ein guter, freundlicher Ehemann sein w?rde. Mit der Zeit mochte
sie in der Tat Zuneigung zu ihm entwickeln. Er bot ihr eine sichere
Zukunft. Und was noch wichtiger war, er unterst?tzte sie in ihrem
Wunsch, eine Karriere als S?ngerin einzuschlagen. Er w?rde alles in
seiner Macht Stehende tun, um ihr ihren langgehegten Wunsch zu
erf?llen. Der Mann, den ich wirklich will, ist so weit weg wie die
Sterne da oben, gestand Meggan sich ein, indem sie noch einmal gen
Himmel schaute. Es wäre dumm, mein Leben zu vergeuden, indem ich an
dem Unmöglichen festhalte. Männer, die bereit waren, ihre Frauen
auf die Bühne gehen zu lassen, waren dünn gesät. Wenn sie einen
anderen Mann als David Westoby heiratete, würde sie womöglich nie
mehr in der Öffentlichkeit singen können. Die Entscheidung fiel ihr
letzten Endes leicht. Meggan ging zurück ins Haus, wo sie sich ins
Bett kuschelte, um tief und fest zu schlafen, bis die Zwillinge am
Morgen in ihr Zimmer stürmten.
Henry Collins setzte, wie es sein Recht als Vater war, dem Mann,
der seine Tochter heiraten wollte, mit vielen Fragen zu. Insgeheim
war er stolz, dass ein so wohlhabender und gesellschaftlich so
angesehener Mann wie der Kaufmann Meggan zur Frau wollte. Er
schaute zu Joanna hinüber, die schweigend zugehört hatte. Sie
lächelte nicht, doch sie neigte leicht den Kopf. »Wir würden uns
glücklich schätzen, Sie in unserer Familie willkommen zu heißen,
Sir. Aber zuerst muss ich mit Meggan sprechen.« »Verstehe. Sie
wollen sicher sein, dass sie aus freiem Willen Ja gesagt hat.«
Henry warf ihm einen scharfen Blick zu. »Unsere Meggan würde nie
etwas tun, was nicht ihr freier Wunsch ist. Ich möchte wissen, ob
sie wirklich glücklich ist über diese Heirat.« Damit überließ er es
Joanna, den potenziellen Bräutigam zu unterhalten, und suchte seine
Tochter auf, die in der Küche wartete. »Was meinst du, Pa?«, fragte
sie und stand rasch von der Bank auf, auf der sie, das Kinn in die
Hand gestützt, gesessen hatte. »Dein Mr. Westoby ist ein feiner
Mann. Und er scheint dich ehrlich gernzuhaben.« Als sie nicht
antwortete, drängte er: »Und du?« »Ich bewundere und respektiere
ihn, Pa. Er würde nie etwas tun, was mir Kummer bereitet.« »Der
Mann ist beträchtlich älter als du.« Der Gedanke, der ihm gerade
kam, ließ ihn den Kopf schütteln. »Ich hätte einen Schwiegersohn im
selben Alter wie ich.« Meggan warf ihrem Vater die Arme um den Hals
und umarmte ihn. »Kommst du dir dann alt vor, Pa?«, fragte sie
neckend. Henry schob sie ein Stück von sich weg und lächelte,
obwohl seine Worte ernst waren. »Macht der Gedanke an die Ehe dich
glücklich, Kind?« »Ich bin glücklich. Ich betrachte mich als vom
Glück begünstigt, dass ein so guter Mann um meine Hand angehalten
hat.« »Dann ist alles gut.« Er umarmte seine Tochter. »Komm, meine
Liebe. Wir gehen zu deiner Ma und deinem zukünftigen Ehemann. Wir
müssen die Hochzeit planen.«