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Tremayne Manor erhob sich hoch über der Klippe. Die prächtige georgianische Fassade des Herrenhauses überblickte aufwändig angelegte Gärten, und auf seiner Rückseite lag das Meer. Drei Generationen von Tremaynes hatten im Herrenhaus gelebt, seit ein wohlhabender Vorfahre die verarmte Tochter des Hauses geheiratet hatte. Damals war es als Pengelly Manor bekannt gewesen, bis derselbe Vorfahr anstelle des alten Herrenhauses einen nutzlosen Prunkbau errichtet hatte, von dem aus er seinen ganzen Besitz überblicken konnte, und das Anwesen umbenannt hatte. Als der gegenwärtige Squire, Phillip Tremayne, Louise Pengelly geheiratet und sie in das Haus ihrer Vorfahren gebracht hatte, hatten die Menschen im Dorf dies für ein gutes Zeichen gehalten. Die Grube Wheal Pengelly, zu Lebzeiten von Phillips Vater gegründet, war nur vom Zierpavillon aus zu sehen, denn sie klebte hinter dem fernen Ende der kleinen Bucht an der Klippe. Obwohl die Grube die Hauptquelle ihres Wohlstands war, konnten die Tremaynes ihre Existenz und die Hässlichkeit der Bergehalden größtenteils ignorieren. Phillip wagte sich vielleicht zweimal im Jahr in die Nähe der Grube. Die Verwaltung überließ er seinem Pflegesohn Con, der ein Händchen dafür zu haben schien. Nicht dass jemand im Dorf dem Squire hätte vorwerfen können, er sei gleichgültig. Seit Antritt des Erbes seines Vaters hatte er für die Ausführung notwendiger Reparaturen an den Cottages gesorgt und einiges getan, um die Lebensqualität der Dörfler zu verbessern, auch wenn viele Familien noch zu mehreren in einem Zimmer lebten. Im Laufe der Jahre gab er noch mehr Geld für den Unterhalt der Cottages seiner Arbeiter aus. Hauptsächlich, weil Con ihn dazu anstiftete, der alles über jeden zu wissen schien, besonders welche Familien am dringendsten Hilfe nötig hatten. Phillip wünschte sich oft, sein Sohn ähnelte mehr seinem entfernten Cousin Con. Der hatte seinen Verstand zweifellos von seinem Vater geerbt, einem Schiffskapitän. Phillips Kinder, Rodney und Jenny, hatten beide das sanfte Gemüt ihrer Mutter. Phillip liebte seinen Sohn, doch er war dankbar dafür, dass Con zu dem Zeitpunkt, wenn Rodney die Zügel auf dem Gut übernähme, da sein würde, um ihm zur Seite zu stehen und ihm Kraft zu geben. Dass sowohl sein Sohn als auch seine Tochter etwas von seiner eigenen selbstherrlichen Sturheit mitbekommen hatten, hätte Phillip nie für möglich gehalten.  
Drei Tage, nachdem er Caroline das letzte Mal gesehen hatte, saß Rodney Tremayne im Zierpavillon und starrte auf die Spitze des Maschinenhauses von Wheal Pengelly. Dort drüben war seine Liebste zusammen mit den anderen Grubenmägden bei der Arbeit, das Kupfererz vom tauben Gestein zu klauben. Der Gedanke, dass sie so hart arbeiten musste, gefiel ihm gar nicht. Wenn sie sich trafen, küsste er jeden einzelnen ihrer schlanken Finger und dann die Handflächen ihrer zierlichen Hände, als könnte er damit die Schwielen und Blasen lindern. Hände wie ihre, erklärte er, waren für Juwelen gemacht, nicht für harte Arbeit. Obwohl sie sich erst seit zwei Wochen heimlich trafen, wusste Rodney, dass Caroline Collins die Frau war, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte. Er zweifelte nicht an ihrer Bestimmung füreinander. Die wechselseitige Anziehung war vom ersten Augenblick an da gewesen. Es schien, als wären sie durch unsichtbare Fäden verbunden, die sie zueinanderzogen. Er erinnerte sich, wie er eines Nachmittags spät zur Grube geritten und einer Gruppe von Frauen begegnet war, die nach getanem Tagwerk auf dem Heimweg ins Dorf waren. Sie traten auf dem Weg zur Seite, um ihn durchzulassen. Er hatte dankend den Kopf geneigt und begegnete dabei dem kecken Blick einer Frau, die ihren Gefährtinnen erklärte: »Das ist mal’n Mann, der’ner jungen Frau das Bett wärmen könnt. Ich wett, ich könnt ihm noch das eine oder andere beibringen.« Lüsternes Kichern trieb ihm vor Verlegenheit die Röte in die Wangen. Entschlossen, die zu Scherzen aufgelegten Frauen zu ignorieren, bemerkte er dennoch, dass eine sich nicht an den Anzüglichkeiten der anderen beteiligte, sondern mit gesenktem Blick abseits stand, eine leichte Röte auf den Wangen. Sein Interesse war geweckt, als ihm dämmerte, dass das Gerede ihrer Gefährtinnen sie ebenfalls in Verlegenheit gebracht hatte. Er ritt weiter, konnte der Versuchung aber nicht widerstehen, sich nach ein paar Metern noch einmal umzudrehen. Die junge Frau hatte sich gleichzeitig nach ihm umgesehen. Ihre Blicke begegneten sich, eine süße Röte überzog ihre Wangen, und Rodney wusste, dass er verliebt war. Herauszufinden, wer sie war, war leichter als gedacht. Gleich am nächsten Morgen ging er wieder zur Grube, wo er sie beobachtete, wie sie mit dem Obersteiger sprach. Eine beiläufige Bemerkung Con gegenüber entlockte diesem sofort die gewünschte Information. Rodney heckte rasch eine Möglichkeit aus, vertraulich mit Caroline zu sprechen, während er darauf achtete, dass niemand etwas von seinem Interesse gewahrte. Oft konnten sie nur rasch im Vorbeigehen einen Blick wechseln. Doch diese seltenen vertraulichen Augenblicke, wenn sie keine Worte brauchten, um einander zu offenbaren, wie sie zueinander standen, waren nicht genug. Rodney sehnte sich danach, Caroline zu berühren und sie in den Armen zu halten, und hatte zaghaft vorgeschlagen, sich am nächsten Sonntagnachmittag im Wald auf dem Tremayne Estate zu treffen. Caroline sagte weder Ja noch Nein, und Rodney war nervös und unruhig und schlief schlecht. Als der Sonntag kam, zögerte er es hinaus, in den Wald zu gehen. Obwohl er begierig war, mit seiner Angebeteten zusammen zu sein, hatte er Angst, enttäuscht zu werden. Seine Freude, als er sah, dass sie auf ihn wartete, war grenzenlos. Als sie ihn näher kommen sah, stand Caroline von dem langen Baumstamm auf, auf dem sie gesessen hatte. Eine Minute lang standen sie einander nur gegenüber und lächelten. Dann fielen sie sich in die Arme und verharrten in einer Umarmung, die ausdrückte, wie groß das wechselseitige Verlangen war. Als sie an diesem Nachmittag sehr viel später auseinandergingen, hatten sie einander zugeflüstert, wie sehr sie einander liebten, und diese Liebe auch vollzogen. Seit diesem ersten heimlichen Stelldichein waren die Tage der Woche nutzlos verstrichene Zeit, die nicht vergehen wollte, bevor sie wieder zusammen sein konnten. Die wenigen heimlichen Stunden waren ihnen nie genug. Nachdem sie sich am vergangenen Sonntag geliebt hatten, hatte Caroline weinend von Rodney wissen wollen, was die Zukunft wohl für sie bereithielte. Er hatte ihre Tränen weggewischt und sie an sich gedrückt und ihr versprochen, sie zu heiraten. Doch bei all seinem Feuer wusste er doch, dass ihm mit gerade mal achtzehn Jahren ohne die Einwilligung seines Vaters die Hände gebunden waren. Und deswegen saß Rodney jetzt allein im Zierpavillon: Er bereitete sich innerlich auf ein Gespräch vor, das, wie er wusste, sehr schwierig werden würde.  
Rodney fand seinen Vater wie gewöhnlich um diese Tageszeit in seinem Arbeitszimmer, Papiere und Geschäftsbücher um ihn herum ausgebreitet. Während sein Vorfahr gleichen Namens ein ansehnliches Wissen über Mineralogie besessen hatte, war Phillip Tremayne sehr geschickt im Umgang mit Zahlen. Ordentlich mit Anmerkungen versehene Zahlenreihen und ausgeglichene Hauptbücher gaben ihm fast genauso viel Befriedigung wie der am Ende erzielte Gewinn. Eine Begabung f?r die Mathematik war eine Fertigkeit, die Rodney von seinem Vater geerbt hatte. Zumindest in dieser Hinsicht konnte Phillip stolz auf seinen Sohn sein. Phillip schaute stirnrunzelnd auf, als der Junge klopfte und eintrat. »Was ist?«, wollte er wissen. Wusste Rodney nicht, dass sein Vater um diese Zeit nicht gestört werden wollte? »Ich muss mit Euch sprechen, Sir. Würdet Ihr mir ein paar Minuten von Eurer Zeit gewähren?« »Ist es so wichtig, dass es nicht warten kann?« »Ja, Sir, das ist es.« »Nun gut, aber fass dich kurz.« Phillip schloss mit einem verärgerten Seufzer das Hauptbuch, lehnte sich zurück und war bereit zuzuhören. Ihm war aufgefallen, dass Rodney etwas nervös war und seinem Vater nicht in die Augen sah. Der Junge schien allen Mut zusammenzunehmen, um zu sprechen. Phillip beschlichen böse Vorahnungen. Hier stimmte eindeutig etwas nicht. Er hoffte, sich nicht anhören zu müssen, dass sein Sohn gespielt hatte und in ernste Schulden geraten war. Ein früherer Vorfahr war wegen seiner verschwenderischen Art enterbt worden. Solche Charakterzüge vererbten sich manchmal in Familien. Rodney war, wie Phillip sich schmerzlich eingestehen musste, von Natur aus leicht beeinflussbar. Da er sich innerhalb von Sekunden gewappnet hatte, dass sein Sohn ihm seine Schulden gestehen und um einen Kredit bitten würde, begriff er nicht gleich, was Rodney sagte. »Ich habe ein Mädchen kennengelernt.« Phillip blinzelte. »Wie bitte?« Rodney, der ziemlich unzusammenhängend mit den Worten herausgeplatzt war, spürte, wie er rot wurde, weil er sie wiederholen musste. »Ich habe ein Mädchen kennengelernt, Vater.« »Aha.« Phillip entspannte sich. Seine Erleichterung darüber, dass er mit seinen Vermutungen so weit danebengelegen hatte, war in der Tat so groß, dass er seinen Sohn anstrahlte. »Stößt dir die Hörner ab, was? Hab mich schon gefragt, wann es so weit sei. Du hast aber doch kein Mädchen in Schwierigkeiten gebracht, oder?« Tief verletzt darüber, dass sein Vater sein Geständnis so beiläufig abtat, spürte Rodney, wie sich seine Wangen röteten. »So ist es nicht, Sir. Ich liebe dieses Mädchen.« Alles, was er mit diesem Ausruf erreichte, war, dass aus Phillips strahlendem Lächeln ein nachsichtiges Lächeln wurde. Er nickte. »Ah, ja. Erste Liebe. Du wirst ohne Zweifel noch oft glauben, du wärst verliebt, bevor du heiratest. Achte nur darauf, dass du deinen Samen nicht an unpassender Stelle verstreust.« Er beugte sich vor, um das Hauptbuch wieder aufzuschlagen. Rodney wusste, dies war das Zeichen, dass er entlassen war. Er war bestürzt über die vollkommen unerwartete Reaktion seines Vaters. Ganz gegen seine Natur drängte es ihn, seinen Vater bei den Schultern zu packen und zu schütteln und darauf zu bestehen, dass er die Sache ernst nahm und seinem Sohn zuhörte, was der ihm zu sagen hatte. »Ihr irrt Euch, Vater. Sehr. Dies ist die Frau, die ich heiraten möchte.« Rodney hörte die Veränderung in seiner Stimme von mangelndem Selbstvertrauen hin zu großer Entschlossenheit. Er sah die Überraschung im Gesicht seines Vaters, war sich aber nicht sicher, ob diese auf seine Worte zurückzuführen war, auf den Ton, den er angeschlagen, oder auf die Tatsache, dass er nicht gehorsam den Raum verlassen hatte. »Mumpitz! Du bist viel zu jung, um Ehepläne zu schmieden. Gütiger Himmel, du bist ein junger Schnösel. Ich war zwanzig Jahre älter als du, als ich deine Mutter geheiratet habe.« »Verzeiht mir, Sir, aber ich bin nicht Ihr. Ich mag jung sein, aber ich weiß, was in meinem Herzen vor sich geht.« Phillip machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das bildest du dir jetzt ein. Ich kann dir versprechen, dass du es dir anders ?berlegt hast, bevor das Jahr um ist. Aber ich w?sste doch gerne, wer die junge Dame ist? Es gibt in der Gegend wenige, die geeignet w?ren, die Braut eines Tremayne zu werden.? Jetzt, da er seinem Vater mutig entgegengetreten war, entdeckte Rodney eine innere Entschlusskraft, von deren Existenz er bislang nichts geahnt hatte. Er würde sich starkmachen für das Mädchen, das er liebte, und nicht vor der Autorität des Mannes zurückweichen, der sein Leben mit großer Strenge regierte. »Vielleicht hängt das davon ab, welche Vorstellungen Ihr davon habt, was geeignet ist, Vater. Wenn Ihr eine junge Dame gleichen Vermögens und gleicher Erziehung meint, dann, nein, dann würdet Ihr sie nicht geeignet finden. Doch wenn Ihr jemanden meint, der mich liebt und mir eine treue und hingebungsvolle Ehefrau sein wird, dann, ja, dann habe ich den perfekten Menschen gefunden.« »Das sind doch nichts als Wortklaubereien, Sohn. Du weißt sehr wohl, dass kein Tremayne je unter Stand geheiratet hat. Und du wirst nicht der erste sein. Genieß getrost deine kleine Romanze, aber schlag dir jeden Gedanken an Hochzeit aus dem Kopf. Ich werde es nicht erlauben.« Rodney kniff die Lippen zusammen. Er hatte gewusst, wie sein Vater reagieren würde, doch bis er ausdrücklich des Raums verwiesen wurde, musste er jedes Argument vorbringen, um sich seinem Vater begreiflich zu machen. »Wenn Ihr sie kennenlernen würdet, würdet Ihr sehen, dass sie ein liebenswürdiges, gut erzogenes Mädchen ist.« »Gut erzogen? Schäkerst du mit der Tochter des Arztes oder dem Mädchen des Vikars? Wenn dem so ist, muss es sofort aufhören. Diese Männer wären nicht erbaut, wenn du ihre Töchter verführtest. Genauso wenig wie ich.« »Die interessieren mich nicht, Sir. Für mich gibt es nur ein Mädchen. Sie ist die Tochter des Obersteigers.« »Was?«, donnerte Phillip und erhob sich so plötzlich von seinem Stuhl, dass dieser gefährlich ins Wanken geriet, bevor er sich wieder beruhigte. Beide Hände flach auf den Tisch gestützt, starrte er seinen Sohn entsetzt an. »Welches Obersteigers?« »Henry Collins. Ich liebe Caroline Collins.« »Nein!« »Vater …« »Genug«, dröhnte Phillip. »Du wirst niemals wieder mit diesem Mädchen reden. Hast du mich verstanden?« »Ich verstehe das nicht.« Er verstand es wirklich nicht. Die heftige Reaktion seines Vaters verblüffte Rodney. Er hatte gewusst, dass sein Vater dagegen sein würde, doch seinen Zorn, ja, Zorn, konnte Rodney nicht verstehen. Er hatte geglaubt, sein Vater hielte große Stücke auf Henry Collins. »Warum habt Ihr so große Vorbehalte? Ihr haltet immerhin so viel von der Familie Collins, dass Ihr die jüngere Tochter ins Haus holt.« Phillip winkte ab. »Das gehört nicht zur Sache und hat nichts mit … mit deiner Vernarrtheit zu tun.« »Das ist keine Vernarrtheit«, flehte Rodney. »Ich liebe Caroline, und sie liebt mich.« In Phillips Miene war nichts als Zorn. »Du hast gehört, was ich gesagt habe. Halt dich von dem Mädchen fern. Sie ist nicht die Richtige für dich. Ich habe gehört, dass sie einen Bergmann heiraten soll.« »Das ist der Wunsch ihrer Mutter, nicht Carolines.« »Dann legt ihre Mutter mehr Verstand an den Tag als du. Lass das Mädchen einen Burschen ihres eigenen Stands heiraten. Du gehst, falls du das vergessen haben solltest, nächstes Jahr nach Oxford. Ich empfehle dir, deine Zeit besser zu nutzen und für die Aufnahmeprüfungen zu lernen.« Phillip setzte sich und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen Hauptbüchern zu. Rodney begriff, dass das Gespräch zu Ende war. Er zitterte, ob aus Zorn, aus Entt?uschung oder aus einer Mischung aus beidem, vermochte er nicht auszumachen. Auf einer abstrakten Ebene registrierte er, dass auch die Hand seines Vaters zitterte, als er die Seiten des Hauptbuchs umbl?tterte. Rodney drehte sich auf dem Absatz um und verlie? den Raum. Nachdem die Tür sich geschlossen hatte, machte Phillip eine ganze Minute lang weiter Eintragungen ins Hauptbuch. Doch in Gedanken war er nicht bei den Zahlen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte mit leerem Blick auf die Tür. Dann stand er auf und ging im Raum umher. Am Fenster blieb er stehen und schaute eine ganze Weile hinaus. Dann kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück und griff nach einem Blatt Papier. Der Brief, den er an seinen Cousin in Northumberland schrieb, kam ohne Umschweife zur Sache. Phillip vertraute nicht darauf, dass Rodney dem väterlichen Verbot Folge leistete. Der Junge glaubte wirklich, er sei verliebt. Die Affäre musste unverzüglich ein Ende haben. Dazu würde er Rodney weit weg von Cornwall schicken und auf Henry Collins eindringen, dafür zu sorgen, dass seine Tochter auf dem schnellsten Wege unter die Haube kam. Die Angelegenheit wurde zwischen Vater und Sohn nicht wieder erwähnt. Rodney war verärgert über die Weigerung seines Vaters, ihn überhaupt ernst zu nehmen, und die darauf folgende heftige Ablehnung, deshalb ging er Phillip aus dem Weg. Zur Essenszeit, wenn Con ebenfalls zugegen war, konzentrierten sich die Gespräche auf Angelegenheiten, die mit dem Tremayne Estate zu tun hatten. Nicht einmal wenn das Gespräch auf die Grube kam, ließ Phillip in irgendeiner Weise durchblicken, dass ihm die Vernarrtheit seines Sohnes in eine Grubenmagd noch im Kopf herumging. Rodney, der sich verzweifelt danach sehnte, seinem Vater irgendwann begreiflich zu machen, wie ernst es ihm war, Caroline zu heiraten, überlegte schon, wie er die beiden zusammenbringen konnte. Für ihn war Caroline die freundlichste und sanfteste Seele auf der Welt. Er war ?berzeugt, wenn Phillip das M?dchen erst einmal kennenlernte, w?rde er ihnen seinen Segen nicht l?nger verweigern. Der baldige Einzug Meggans ins Herrenhaus war sicher von Vorteil. Caroline konnte eingeladen werden, um ihre jüngere Schwester zu besuchen. Solche Ränke schmiedete Rodney und gelangte mit jedem Tag mehr zu der Überzeugung, der Ausbruch seines Vaters sei nur eine spontane Reaktion ohne große Bedeutung gewesen.  
»Ich lauf jederzeit schneller als ihr, auch wenn ich’n Mädchen bin.« Meggan schaute Hal und seinen Freund Jimmy Goss an, die zusammen mit Tommy und dem fünf Jahre alten Jack Goss erst den halben Weg den Hügel herunter waren. Auf dem Heimweg von der Schule war sie wie so oft den steilen Hügel hinuntergelaufen. Sie liebte den Nervenkitzel, die bange Aufregung, dass ihr Körper schneller sein könnte als ihre Beine und sie stolpern und den ganzen Weg bis nach unten kullern würde, wo zwischen ihr und dem Rand der Klippe nur ein paar Wildblumen standen. Eigentlich durften sie diesen Pfad, der einen Umweg ums Dorf machte, nicht nehmen. Ma wäre verärgert, wenn sie es herausfände. Doch da nur noch zwei Tage Schule war und in der nächsten Woche das Leben im Herrenhaus begann, bestand Meggan darauf, den langen Heimweg zu nehmen. Den ganzen Nachmittag hatte Meggan mit ihrem neuen Leben geprahlt, nur um die Jungen zu ärgern. Als sie anfing zu laufen, rief Hal: »Damen, die in großen Häusern wohnen, laufen nicht.« Er wurde nicht beachtet. »Du wirst nie eine Dame«, rief er noch, bevor er in einen Singsang verfiel, in den die anderen bald einstimmten: »Meggan wird keine Dame. Meggan wird keine Dame.« Immer wieder, bis sie sie eingeholt hatten. Meggan wartete auf sie, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf zur Seite gelegt. »Ich werd’ne Dame, wenn ich muss. Aber ich bin trotzdem noch ich selbst. Und wenn ihr vorauslaufen wollt, werd ich euch beweisen, dass ich schneller bin als ihr alle zusammen.« »Ich wette, das kannst du nicht.« »Ich wette, das kann ich doch. Wir laufen an Mawther Hopkins’ Haus vorbei, um Miners Row herum und dann hoch am Laden vorbei und dann wieder den Hügel runter bis hierher.« Die Jungen wirkten nicht besonders begeistert, und der kleine Jack sprach aus, was alle dachten: »Das ist ganz schön weit, Meggan.« Die Hände in die Hüften gestemmt, betrachtete Meggan sie mit Verachtung. »Ihr müsst nicht mit mir um die Wette laufen. Ihr könnt auch gleich zugeben, dass ich schneller bin.« »Ich lauf gegen dich«, erklärte Hal. »Ich auch.« »Und ich.« »Du kannst hier warten und auf unsere Bücher aufpassen«, erklärte Hal Jack. »Ich gebe euch den halben Weg bis Mawther Hopkins’ Haus Vorsprung, bevor ich loslaufe«, sagte Meggan. »Wart mal’ne Minute.« Jimmy packte Hal am Arm. »Sie hat Schuhe. Wir nicht.« Meggan warf ihm ein süßes, spöttisches Lächeln zu und setzte sich, um ihre Stiefel aufzuschnüren. Sie wusste, dass Jimmy darauf hoffte, dass sie empfindliche Fußsohlen hätte. Die Jungen hatten ja keine Ahnung, dass sie bei jeder Gelegenheit die Stiefel auszog. Ihre Fußsohlen waren abgehärtet genug, um sie geschwind über das bucklige Kopfsteinpflaster zu tragen. Die Jungen liefen los, bevor Meggan ihre Stiefel fertig aufgeschnürt hatte. »Ich krieg euch trotzdem«, rief sie. Eilig zog sie die Stiefel aus und dann die Socken und verharrte dann noch ein wenig, um ihren Rock an den Seiten aufzuknoten, damit der viele Stoff ihre Unterschenkel nicht behinderte. Bis dahin hatten die Jungen fast Mawther Hopkins? Cottage erreicht. Meggan setzte ihnen nach. Sie achtete darauf, nicht gleich so schnell wie möglich zu laufen. Solange sie sie am Laden einholte, würde sie sie den Hügel hinunter schlagen. Die Jungen waren losgelaufen, so schnell sie konnten, und Meggan ging davon aus, dass sie, wenn sie den Laden erreichten, schon außer Atem wären. Außerdem zweifelte sie daran, dass einer von ihnen den Mut besaß, mit voller Geschwindigkeit den Hügel hinunterzujagen. Tommy überholte sie in der Miners Row und die beiden Älteren holte sie kurz vor dem Laden ein. Sie lief an ihnen vorbei und blickte, als sie ein gutes Stück vor ihnen war, über die Schulter und rief: »Könnt ihr nicht schneller?« Mit grimmig entschlossenen Mienen verdoppelten die Jungen ihre Anstrengungen, und Hal schoss seinem Freund davon. Meggan, die ihre Geschwindigkeit verringert hatte, um sich nach den Jungen umzusehen, lachte laut und sammelte sich zu ihrem rasenden Lauf den Hügel hinunter, wo Jack von der Ecke aus zuschaute. Doch ihre Spötteleien kamen sie teuer zu stehen. Mit dem großen Zeh stieß sie gegen einen hochstehenden Pflasterstein, stolperte und fiel, wobei sie sich des Schmerzes deutlicher bewusst war als der Tatsache, dass die Jungen triumphierend an ihr vorbeiliefen. Irgendwie gelang es ihr, dem Kullern Einhalt zu gebieten, obwohl sie sich sicher war, dass ihr Gesicht und ihre Hände voller Schrammen waren und dass sie sich wahrscheinlich auch das Kleid zerrissen hatte. Leise fluchend – Worte, die sie gelegentlich bei den Bergleuten aufgeschnappt hatte und für die ihre Mutter ihr das Fell gerben würde – schaffte sie es auf die Füße und schrie vor Schmerz laut auf, als sie versuchte, den linken Fuß zu belasten. Sie spürte Tränen in ihren Augen brennen und hätte am liebsten vor Entt?uschung mit dem Fu? aufgestampft. Das Wettrennen konnte sie auf keinen Fall beenden. Sie wusste nicht einmal, ob sie es schaffen w?rde, nach Hause zu humpeln. Sie schaute hinunter und sah, dass ihr Zeh schon zur doppelten Gr??e angeschwollen war und sich rasch schwarz verf?rbte. Die Jungen waren den Hügel wieder heraufgestapft. »Alles in Ordnung, Meggan?«, fragte Hal. »Nein«, fuhr sie ihn an. »Ich glaub, ich hab mir den Zeh gebrochen.« Wenig mitfühlend, wie es nur ein Bruder fertigbrachte, stellte Hal bloß die Wahrheit fest: »Du warst die, die ein Wettrennen wollte.« »Weil du nicht zugeben wolltest, dass ich schneller bin. Es ist deine Schuld.« Jimmy eilte empört zu seiner Verteidigung. »Ist es gar nicht.« »Schlechter Verlierer«, höhnte Hal. »Bin ich nicht«, schrie Meggan und versetzte Hal einen Schubs, der ihn mit einem Aufschrei auf den Hintern beförderte. Tränen brannten in seinen Augen. »Gemeinheit.« »Heulpeter. Ich hab dich doch kaum angefasst.« »Du hast mich feste gestupst.« »Hab ich nicht.« »Hast du doch.« Hal stand wieder auf und schubste seine Schwester so, dass sie das Gleichgewicht verlor und das Gewicht auf ihren verletzten Zeh verlagern musste. Der Schmerz ließ sie noch einmal aufschreien. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hob die Hand, um ihren Bruder zu schlagen, so fest sie konnte, doch da sah sie, dass sein Gesichtsausdruck sich völlig veränderte. Einen Augenblick später wurde ihr Handgelenk fest gepackt. »Das reicht jetzt«, sagte eine energische Stimme, eine Stimme, an die Meggan sich gut erinnerte. Mr. Trevannick hielt ihre Hand fest. Die Jungen rannten davon, sollte sie doch zusehen, wie sie allein zurechtkam. Meggan war versucht, ihnen hinterherzurufen, was f?r Feiglinge sie doch seien, doch mit einiger M?he gelang es ihr, ihre Zunge zu z?geln. Pl?tzlich war sie sich bewusst, dass Mr. Trevannick sie recht ungezogen finden musste, und richtete den Blick auf ihren schwarzen Zeh. Wenn er Mr. Tremayne erz?hlen w?rde, dass sie zu raubeinig und zu wild war, um Miss Jennys Gesellschafterin zu werden, w?rde sie vor Scham im Boden versinken. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihren Vater entt?uschen und ihre Mutter erz?rnen w?rde. Aufgebracht, wütend und unter großen Schmerzen trotzte Meggan ihrem Kaperer. »Ich geh jetzt, Sir.« »Das denke ich nicht, kleine Meggan.« »Sie können mich nicht daran hindern«, erklärte Meggan und wollte sich aus seinem Griff befreien. »Du hast dich verletzt, als du gestürzt bist.« »Das ist nichts. Ich kann gehen.« Er ließ ihren Arm los. »Zeig’s mir.« Sie schaffte es, zwei Schritte auf der linken Ferse zu humpeln, bevor die Schmerzen unerträglich wurden und ihr wieder Tränen über die Wangen liefen. Mit dem Rücken zu ihm blieb sie stehen. »Starrköpfiges Kind, was?«, bemerkte er und trat vor sie. »Komm, ich bringe dich nach Hause. Da drüben steht der Wagen.« Meggan wurde allmählich übel vor Schmerz, und so ließ sie sich von ihm hochheben und den Hügel hinauftragen, wo gegenüber dem Laden das Pferd und der Wagen warteten. Als sie gewahr wurde, dass etliche Leute sich dafür interessierten, was da vor sich ging, wand Meggan sich innerlich. Das würde sich schnell herumsprechen. Ihre Ma würde bald erfahren, wie ihr Unfall sich ereignet hatte, selbst wenn sie Mr. Trevannick überreden konnte, nicht zu verraten, wie sie sich benommen hatte. Auf dem Sitz des Wagens abgesetzt, spitzte Meggan verärgert und verlegen die Lippen. Obwohl sie gezwungen war, Mr. Trevannicks Hilfe in Anspruch zu nehmen, war sie fest entschlossen, sich in hochm?tiges Schweigen zu h?llen, bis ihr ihre Schulb?cher einfielen. Er holte sie von da, wo sie sie abgelegt hatte, reichte sie Meggan, stieg neben ihr auf und warf einen, wie Meggan fand, belustigten Blick auf ihre st?rrisch zusammengepressten Lippen. »Du bist verärgert, dass du das Wettrennen nicht gewonnen hast.« Meggan wandte den Kopf noch weiter ab. Gefangen zwischen Belustigung und Verärgerung, schwieg Con. Wenn das Kind widerspenstig sein wollte, würde er sie in Ruhe lassen. Er hatte die vier den Hügel herunterkommen sehen, und seine Aufmerksamkeit war zuerst ganz von Meggans verwegenem Lauf den Hügel herunter gefesselt gewesen. Das Mädchen war ihm seit dem vorausgegangenen Sonntag nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und so war er stehen geblieben, um ihr zuzusehen. Er war fasziniert, als sie sich hinhockte, um die Stiefel auszuziehen, und staunte nicht wenig, als er erkannte, dass sie die Jungen zu einem Wettrennen herausgefordert hatte. Was für ein faszinierendes Kind. Leidenschaftlich, ungehemmt, ganz das Gegenteil von Jenny. Er kicherte über das Bild in seinem Kopf und sah aus dem Augenwinkel, dass Meggan ihm den Kopf zugewandt hatte. Er bemerkte ihre ungehaltene Miene, als sein Kichern lauter wurde. »Sie haben kein Recht, mich auszulachen.« »Ich lache dich nicht aus, Meggan. Das würde mir nie in den Sinn kommen. Ich habe gerade daran gedacht, wie du die Jungen zum Wettlauf herausgefordert hast. Das Rennen hättest du auf jeden Fall gewonnen. Und dann ist mir in den Sinn gekommen, dass ich Jenny noch nie laufen gesehen habe. Nicht einmal, als sie noch klein war.« Seine Bemerkung dämpfte ihre Empörung, und Meggan spürte die Hitze der Dem?tigung in ihren Wangen. ?Sie denken, ich bin keine passende Gesellschaft.? »Ganz im Gegenteil. Ich glaube, du wirst Jenny sehr guttun. Sie muss aus ihrem Schneckenhaus gelockt werden und …« »Und ich muss lernen, eine Dame zu sein.« »Das wollte ich nicht sagen.« »Das sagt Ma. Die ganze Zeit. Sie findet mich viel zu wild, und ich fürchte, sie hat recht. Ich versuch wirklich, mich zu ändern.« »Veränder dich nicht zu sehr, Meggan, meine kleine Zigeunernixe.« So wie er das sagte, »meine kleine Zigeunernixe«, entzündete es in Meggan innerlich ein warmes Glühen. Die Wärme, die sie spürte, stieg ihr in die Wangen und ließ sie sich auf dem harten Wagensitz winden. »Sie scherzen, Mr. Trevannick. Eine Zigeunerin kann keine Nixe sein und umgekehrt auch nicht.« »Aber du bist beides, Meggan. Eine Nixe, die auf dem Felsen sitzt und mit ihrem Lied bezaubert und die dann die Klippe hinaufsteigt, um sich in eine Zigeunerin zu verwandeln und durchs Moor zu streifen.« »Da sind die Jungen.« Meggan war erleichtert, sie zu sehen. Obwohl Mr. Trevannick sie sicher nur auf den Arm nahm, wollte sie nicht mehr hören. Con zog schon die Leine an. Die Jungen kletterten auf den Wagen, und danach hörte Con amüsiert zu, wie sie eine passende Geschichte ausheckten, mit der sie vielleicht der Strafe entkamen, um Meggans gebrochenen Zeh zu erklären.  
»Und du solltest diesen Sonntag ins Herrenhaus gehen, Meggan. Das wär mir ‘ne schöne Bescherung, dass du mit’nem gebrochenen Zeh zur Arbeit erscheinst. Wie gut, dass du noch nicht gehst.« Meggan keuchte bestürzt auf. »Nicht? Was meinst du damit, Ma? Hat Mr. Tremayne es sich anders überlegt?« »Nein, Kind. Hab dich nicht so. Miss Tremayne bleibt nur noch’n bisschen länger in London, das ist alles. Du gehst ins Herrenhaus, wenn sie wiederkommt. Mr. Trevannick hat heut Bescheid gesagt. Es ist ein Glück. Jetzt, wo du still zu Hause sitzen musst, kannst du deine Näharbeit fertig machen.«  
Und das war, wie Meggan zugeben musste, die schlimmste Strafe, die sie für ihre Torheit bekommen konnte: im Haus gefangen und zu der verhassten Näharbeit verpflichtet. Der nächste Sonntag brachte heftigen Wind und Regen, sodass es Meggan nicht ganz so schwer ankam, dass sie sich nicht vom Fleck rühren konnte. Doch sie hatte sich über die ungenutzten zusätzlichen Tage in Freiheit geärgert. Und da sie mit ihrer Näharbeit fast fertig war, hatte sie ihrer Mutter die Erlaubnis abgerungen, den Nachmittag im Bett liegen und lesen zu dürfen, was in der Tat ein seltenes Zugeständnis war. Sie war ein wenig überrascht, als Caro hereinkam, um sich ein besseres Kleid anzuziehen und ihren Mantel zu holen. »Es ist schrecklich schlechtes Wetter, um auszugehen, Caro.« »Ich geh nur Mrs. Ryan besuchen, um ihr eine Pastete zu bringen, die Ma gebacken hat.« »Was für eine Ausrede würdest du benutzen, wenn Ma keine Pastete für Mrs. Ryan gebacken hätte?« Caroline erstarrte, ohne ihre Schwester anzusehen. »Ich weiß nicht, wovon du redest, Meggan.« »Ich red von dir und Rodney Tremayne. Ich weiß, dass du ihn triffst, wenn du ausgehst. Aber heute könnt ihr nicht im Wald liegen, sonst müsstest du Ma erklären, wie du so dreckig geworden bist.« »Sei nicht vulgär, Meggan.« Caroline mochte trotzig sein, doch die hitzige Röte in den glatten Wangen verriet Meggan, dass ihre Schwester sehr aufgeregt war. »Du bist vulgär, Caro, dich so zu benehmen. Du solltest vorsichtig sein, dass du kein Baby bekommst.« Meggan sah ihre Schwester bleich werden. Unruhe ergriff sie. »Caro …« Doch Caro war bereits zur Tür hinaus, und Meggan blieb zutiefst verstört zurück. Der weiße Hase, den sie am vergangenen Sonntag gesehen hatte, fiel ihr wieder ein, und sie machte sich große Sorgen. Sie vergaß ihr Buch, legte sich hin und starrte an die Decke. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie wäre älter und wüsste, wie sie mit dem Geheimnis ihrer Schwester und ihren eigenen aufgewühlten Gedanken umgehen sollte.  
In ihrer Zuflucht im Gartenhaus der Tremaynes schmiegte sich Caroline in die Arme ihres Geliebten. Tränen flossen langsam über ihre Wangen. Sie war oft den Tränen nahe, wenn sie sich liebten. Ihre Vereinigung war immer so schön, denn ihre Seelen gingen eine ebenso innige Verbindung ein wie ihre Körper. Es konnte nicht ausbleiben, dass eine solche Leidenschaft Folgen hatte. Die Gewissheit, dass in ihrem Leib ein neues Leben heranwuchs, war mitverantwortlich für ihre Tränen. Seit sie dies wusste, hatte sie Angst, Rodneys Liebe könnte nicht ehrlich sein. Sie fürchtete, dass sie nur eine von vielen dummen Bergmannstöchtern war, die sich von einem Mann von Stand hatte verführen lassen. Rodney fuhr ihr mit der Hand über die Wange, barg sie darin und drehte ihr Gesicht ihm zu. »Was ist, meine Liebste? Warum weinst du so?« Seine Miene war so zärtlich, und sie liebte ihn so sehr, dass ihre Tränen noch reichlicher flossen. »Caro, Caro.« Er zog sie fest an die Brust und wiegte sie, bis ihre Tränen versiegten, dann flüsterte er die Frage in ihr Ohr: »Bekommst du ein Kind?« Als sie schluchzend nickte, wurde sie noch fester umarmt und schweigend einige Augenblicke so gehalten. »Unser Kind«, murmelte er und ließ sie aus seiner stürmischen Umarmung frei. »Meine liebste Caro, ich kann kaum glauben, dass es wahr ist.« »Es stimmt aber«, antwortete Caro, zog sich zurück und vergrub das Gesicht in den Kissen, auf denen sie lag. Schluchzer sch?ttelten ihren K?rper. »Wein doch nicht, Liebste.« Er wollte sie wieder in die Arme schließen, doch sie wehrte ihn mit einer Bewegung der Schulter ab. »Geht es dir so schlecht deswegen?« »Ja … nein … ich will nicht in Schande geraten.« »Schande?«, rief er, setzte sich auf, packte sie fest bei den Schultern und zog sie hoch, sodass sie einander gegenübersaßen. »Glaubst du etwa, ich würde zulassen, dass du in Schande gerätst?« »Was hast du vor? Willst du Vorkehrungen treffen, dass ich bis nach der Geburt irgendwo hinfahre? Die Leute kämen doch dahinter. Ich wüsste es. Wüsste, dass ich ein Kind hätte, das von Fremden aufgezogen wird.« Sie konnte den bitteren Groll nicht aus ihrer Stimme vertreiben, denn dies war ihre größte Angst, dass Rodney sie nicht genug liebte. Und wenn dem so war, wenn er sie nicht genug liebte, um sie zu heiraten, wenn seine Worte nichts als schöne Worte waren, dann wollte sie lieber sterben, als mit der Schande zu leben, ein uneheliches Kind zur Welt gebracht zu haben. Da er nicht antwortete, schaute sie auf, um ihm in die Augen zu sehen. Der Schmerz darin verriet ihr, dass ihre Worte ihn verletzt hatten. Sie streckte die Hand aus, um seine Wange zu berühren. »Ich liebe dich, Rodney, aber was bleibt uns anderes übrig?« Er fasste sie zärtlich am Kinn, um ihr Gesicht anzuheben, damit sie ihm nicht auswich. »Liebste Caro, das Kind, das du trägst, ist die Frucht unserer Liebe, und ich verspreche dir, dass es umgeben von der Liebe beider Eltern aufwachsen wird.« »Dann liebst du mich wirklich?« Er drückte ihr einen zarten Kuss auf die Lippen und fuhr mit der Hand über ihre Brust und dann hinunter bis zu der leichten Rundung ihres Bauchs. Dort ließ er seine Hand ruhen. »Wie konntest du daran zweifeln, meine Liebste? Wir heiraten so schnell wie möglich.« Caroline schüttelte den Kopf. »Das wird dein Vater nie erlauben.« »Er wird«, erklärte Rodney. »Ich sorge dafür, dass er versteht, wie sehr wir einander lieben.« Doch seiner Stimme mangelte es an Überzeugungskraft, was Caroline durchaus nicht entging. »Du sagst das, was du hoffst, und nicht, was du wirklich glaubst.« »Ich sorge dafür, dass er uns seinen Segen gibt. Wenn es sein muss, bitte ich Con um Unterstützung. Mein Vater hält viel auf seine Meinung.« Caroline schüttelte wieder den Kopf, und in ihrer Rüge lag eine zarte Traurigkeit. »Du glaubst, Con Trevannick wird unser Fürsprecher sein? Oh, mein Liebster. Er ist dein Pflegebruder. Er wird nichts tun, was ihm die Gunst deines Vaters entziehen könnte.« »Warum sagst du so etwas?«, rief Rodney gequält aus. »Liebst du mich nicht mehr?« »Du weißt, dass das nicht so ist. Deine Frau zu sein würde mich zum glücklichsten Menschen in ganz Cornwall machen. Ich kann mir bloß nicht einreden, dass ich es je sein werde.« Er packte ihre Hände, und in seinem Blick lag ein feierliches Versprechen. »Wir werden heiraten, meine liebste Caroline. Selbst wenn wir durchbrennen müssen.« Mit diesem Versprechen musste Caroline sich für den Augenblick zufriedengeben. Sie wollte ihrem Liebsten verzweifelt glauben, konnte sich aber nicht davon überzeugen, dass alles gut werden würde. Wenn Rodney ihr die Treue brach, wenn er auf den Rat seines Vaters hörte, wollte sie sich lieber umbringen, als Schande über ihre Familie zu bringen.