11
Barney war am Samstag
den ganzen Tag zänkisch gewesen. Am Abend jammerte er, ihm sei
übel. Am Sonntagmorgen war er mit kleinen rosafarbenen Punkten
übersät. Er begrüßte Meggan mit Tränen. »Mir juckt.« »Ja, mein
Lieber, das sehe ich.« »Ich hab überall Punkte.« »Du hast die
Windpocken, Barney.« »Hab ich die vom Wind bekommen?« »Nein, mein
Lieber. Und jetzt versuch, nicht zu kratzen. Ich gehe etwas suchen,
was wir auf die Punkte schmieren können.« »Mama«, rief er, als
seine Mutter ins Schlafzimmer kam, »ich hab Windpocken.« »Du meine
Güte, ja.« »Was hat Barney?«, fragte eine kleine, verschlafene
Stimme aus dem anderen Bett. »Oh, Sarah, hast du Punkte auf der
Haut?« Sarah inspizierte ihre Arme. »Nein. Warum, Mama? Hat Barney
Punkte?« Barney streckte den Arm aus, damit seine
Zwillingsschwester ihn begutachten konnte. »Siehst du, Sarah. Sie
jucken.« »Du hast auch Punkte im Gesicht.« »Er hat überall Punkte«,
sagte Meggan und zog die Decke wieder über Barney. »Am Bauch und an
den Beinen und überall.« Sarah zog, zum Entsetzen ihrer Mutter,
sofort ihr Nachthemd hoch. »Sarah! Du sollst dein Hemd nicht so
hochheben.« »Aber ich hab auch Punkte auf dem Bauch. Schau.« Mrs.
Heilbuth strich rasch Sarahs Nachthemd schicklich nach unten und
seufzte. »Nun, ihr seid Zwillinge, da muss man wohl damit rechnen,
dass ihr gleichzeitig die Windpocken bekommt.« »Wenn sie beide im
Bett stecken, ist es immerhin leichter, nach ihnen zu schauen, Mrs.
Heilbuth. Ich verzichte auf meinen freien Tag und den Besuch bei
meiner Familie. Sie können sich unmöglich allein um zwei kranke
Kinder kümmern.« »Vielen Dank, Meggan, meine Liebe. Ich muss
gestehen, ich weiß nicht, was das Beste für sie ist. Wissen Sie,
wie man Windpocken behandelt?« Meggan schüttelte seufzend den Kopf.
»Als meine Brüder und ich die Windpocken hatten, ist unsere Ma zu
einer Frau gegangen, die einen Kräutertrank zusammengestellt hat.
Sie hat Ma auch einen Brei gegeben, der das Jucken gestoppt hat.
Ich habe keine Ahnung, was es war, selbst wenn man in Burra Kräuter
erhalten könnte.« Mrs. Heilbuth hatte eine Idee. »Cookie weiß
vielleicht etwas. Gehen Sie doch bitte in die Küche und fragen Sie
sie. Bertie kann mit dem Pony in die Stadt reiten, um den Arzt zu
holen.« Meggan eilte in die Küche. »Allein?«, fragte Cookie. »Die
Zwillinge haben die Windpocken.« »Ach, du meine Güte. Der kleine
Barney wird uns auf Trab halten.« Meggan verzog zustimmend ein
wenig das Gesicht. »Wissen Sie etwas, womit wir das Jucken lindern
können?« »Wenn wir woanders leben würden, wo Eukalyptusbäume
wachsen, könnte ich einen Tee aus Eukalyptusblättern machen. So
kann ich nur regelmäßiges Baden und Abreiben mit einem Schwamm
empfehlen. Vielleicht sollten Sie dafür sorgen, dass die Kinder
Handschuhe tragen, dann kratzen sie sich nicht so viel.« »Das mache
ich. Vielen Dank, Cookie.« Barney war in der Tat so anstrengend,
dass Meggan ihren ganzen Einfallsreichtum brauchte, um ihn zu
unterhalten. Sarah war unglücklich, als sie hörte, dass Jenny sie
nicht besuchen würde. »Miss Jenny hatte die Windpocken noch nicht.
Wenn sie euch besuchen würde, würde sie auch Punkte kriegen und
krank werden. Das wollt ihr doch nicht, oder?« Sarah wollte
natürlich nicht, dass Miss Jenny krank wurde, fing aber trotzdem an
zu weinen. Am späten Vormittag hoffte Meggan inbrünstig, dass die
Sache bald ausgestanden wäre. Die Kinder aßen ein sehr leichtes
Mittagessen und legten sich dann schlafen, und Meggan war froh über
die Gelegenheit, ein wenig zu entspannen. Sie holte sich ihre
vielgelesene Ausgabe von Miss Austens Stolz und
Vorurteil aus ihrem Zimmer und machte es sich auf der
Veranda vor dem Kinderzimmer auf dem Liegesofa bequem. Dort war sie
in der Nähe, um die Kinder zu hören, falls sie sich rührten. Sie
hatte keine halbe Stunde gelesen, da hörte sie die Stimme ihres
Bruders, die ihren Namen rief. »Will, was machst du denn hier? Ist
zu Hause alles in Ordnung?« »Der Familie geht’s gut.« Er setzte
sich neben Meggan, die die Füße auf den Boden stellte. »Hast du
etwas von der Flut letzte Woche gehört?« »Nur, dass die Erdhütten
am Creek zerstört wurden und dass ein Mann sein Leben verloren
hat.« »Ja, William Box. Er war Witwer und hat fünf kleine Kinder
hinterlassen, das jüngste noch ein Baby. Er war mit seiner
Haushälterin und den Kindern die Böschung rauf in Sicherheit
geklettert. Als er dann in die Hütte zurückging, um seine Möbel zu
retten, ist das Dach über ihm eingestürzt.« »Oh, wie traurig. Was
ist aus den Kindern geworden?« »Ich hab nichts gehört.« »Was für
ein Glück, dass nicht noch mehr Menschen umgekommen sind.« »Es gab
noch einen Todesfall, aber er wurde nicht gemeldet.« Bei Wills
ernstem Tonfall überlief Meggan ein leichter Schauer der Angst.
»Wer?« »Toms Frau Milly. Sie ist ertrunken.« »Oh.« Meggan brauchte
ein Weilchen, um die Nachricht zu verdauen. Ihr Bruder schaute zum
Horizont, und ein Stirnrunzeln zog seine dichten, dunklen
Augenbrauen zusammen. »Hast du gesagt, ihr Tod wurde nicht
gemeldet?« »Tom hat Ma und Pa glauben gemacht, er hätte Millys
Ertrinken gemeldet. Aber ich weiß, dass er das nicht gemacht hat.«
Seine Worte schienen ihn niederzudrücken. »Was ist los, Will? Warum
zögerst du so?« Will richtete den Blick wieder auf seine Schwester.
»Ich weiß nicht, Megs. Ich habe gesehen, wie Tom Millys Hand
losgelassen hat.« »Du hast gesehen …? Oh, und jetzt glaubst du …?«
Meggan sah, dass die Miene ihres Bruders noch grimmiger wurde. »Ja,
Megs, das glaube ich. Ich fürchte, Tom hat Milly ertrinken lassen.«
Er hörte seine Schwester nach Luft schnappen. »Kann sein, dass ich
Tom Unrecht tue.« Meggan schüttelte den Kopf. »Du kannst auch sehr
gut recht haben mit deinem Verdacht. Ich halte Tom einer solchen
Niedertracht durchaus für fähig.« »Je länger ich über diese Nacht
nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass ich recht habe mit
meinem Verdacht. Aber was soll ich tun, Megs? Tom wird jede
Anschuldigung leugnen. Außer mir hat niemand gesehen, was passiert
ist. Ich weiß aber, dass ich nicht mehr mit dem Kerl
zusammenarbeiten möchte.« »Kannst du die Kameradschaft auflösen?«
»Ich kann Burra verlassen.« »Was?!« »Das Kupfer geht zu Ende. Die
Schächte sind zu tief, die ganze Zeit läuft Wasser rein.« »Was ist
mit dem neuen Pumpenhaus, das gebaut werden soll, und der neuen
Balancier-Dampfmaschine, die extra aus Cornwall kommt?« »Könnte
sein, dass beides zu spät kommt, um die Grube zu retten.« »Steht es
so schlecht?« »Viel fehlt nicht mehr.« Er unterbrach sich. »Meggan,
ich überlege, nach Victoria zu gehen, wie sie es jetzt nennen.«
»Warum nach Victoria?« »Dort wurde ein reiches Goldfeld gefunden.
Viele Männer werden Burra verlassen.« »Und du willst einer von
ihnen sein«, stellte sie nüchtern fest. »Ja.« »Ist es dir wirklich
ernst?« »Sehr ernst.« »Nun, Will Collins, du erwartest aber nicht,
über Nacht dein Glück zu machen?« »So dumm bin ich nicht, Meggan.
Nur ein Dummkopf verlässt sich auf das Glück. Ich bin bereit, hart
zu arbeiten, und zufrieden, wenn ich genug verdiene, um zu leben
und vielleicht für die Zukunft ein wenig zur Seite zu legen. Eines
Tages suche ich mir bestimmt eine Frau.« »Was sagen Pa und Ma
dazu?« »Ich habe es ihnen noch nicht gesagt.« Sie saßen eine Weile
schweigend da, und ihre Gedanken gingen in eine ähnliche Richtung.
»Wie kann die Grube ohne Männer weitermachen?« »Die Grube hat
ausgedient, Megs. Hohe Kupferpreise werden den Betrieb noch eine
Weile in Gang halten, doch sobald sie fallen, bedeutet dies das
Ende der Grube. Nicht nur Burra ist davon betroffen. Männer haben
Kapunda verlassen. Sogar Moonta, Kadina und Wallaroo, wie es hei?t.
Der Kupferbergbau in S?daustralien geht zu Ende.? »Kommt hinzu,
dass der Schein von Kupfer noch nie so verlockend war wie das
Glitzern von Gold.« »Wohl wahr. Im Kupferbergbau kann ein Bergmann
nur für Gedingelohn arbeiten. Ein Mann mit einem eigenen Claim hält
die Zukunft in seinen eigenen Händen.« »Glaubst du, hier könnte je
Gold gefunden werden?« »Meinst du, dann würde ich bleiben?« Er
schüttelte den Kopf. »Es ist das falsche Land für Gold, Meggan.
Victoria, ja. Es heißt, Ballarat ist nur der Anfang. Überall in der
Kolonie wartet das Gold nur darauf, gefunden zu werden.« »Du willst
wirklich weg.« Auch dies eine Feststellung. »Ich gebe zu, ich habe
mehr als nur darüber nachgedacht, Megs. Ich gehe.« »Was wird Pa
sagen?« »Pa weiß besser als die meisten, wie es um die Grube steht.
Ich bin jetzt dreiundzwanzig. Ich brauche seine Erlaubnis nicht.«
»Aber seinen Segen würdest du doch wollen. Und meinen. Deswegen
bist du doch hergekommen, oder?« »Ich werd dich vermissen, Megs. Du
bist die Einzige, die ich mit Bedauern zurücklasse.« »Du musst tun,
was du tun musst.« Sie umarmte ihn fest. »Ich werde dich auch
vermissen, Will.« Sie hielten sich umklammert, um sich zu
versichern, welche Lücke in ihrem Leben entstehen würde. »Wann
gehst du?«, fragte Meggan und wischte sich die Tränen aus den
Augen. »Erst in ein paar Wochen. Ich stürme nicht unvorbereitet
los, ich bereite alles gründlich vor. Und dann sind da noch Hal und
Tommy. Sie wollen bestimmt auch mit.« »Dann geht ihr alle
miteinander weg.« Meggan seufzte, obwohl die Trennung von ihren
jüngeren Brüdern ihr nicht so viel ausmachte. »Ich bin froh, Burra
verlassen zu können. Und obwohl ich das nicht sagen sollte, bin ich
froh, Mas übertriebene Religiosität und ihre Wohltätigkeit hinter
mir zu lassen.« »Ma hat ihren Frieden gefunden, Will.« »Aber es ist
schwer, mit ihr zu leben.« Sie unterhielten sich über die
Goldgräberei und Wills Pläne, bis Sarah aus dem Schlafzimmer nach
Meggan rief. »Ich bin dann weg, Megs.« Will stand auf und reckte
sich. »Es wird ein Vergnügen sein, nicht jeden Tag durch niedrige
Strossen zu kriechen, um sich sein Brot zu verdienen.« Er gab
Meggan einen Kuss auf die Wange. »Pass gut auf dich auf, Megs. Wenn
du das nächste Mal nach Hause kommst, reden wir weiter.« Will nahm
eine Abkürzung durch den Garten zu einem kleinen Baum, in dessen
spärlichem Schatten er sein Pferd angebunden hatte. Er konnte nicht
anders, als zur Vorderseite des Hauses hinüberzuschauen. Die ganze
Zeit, da er bei seiner Schwester gesessen hatte, hatte sich sein
Magen zusammengekrampft. Er hatte sich gar nicht richtig entspannen
können, denn er war sich die ganze Zeit bewusst gewesen, dass Jenny
Tremayne irgendwo in diesem Haus war. Will war fest entschlossen,
nichts mit der jungen Frau zu tun haben zu wollen. Sein Herz jedoch
hoffte auf einen kurzen Blick auf sie. »Viel besser, dass ich sie
nicht gesehen habe«, murmelte er, um abrupt stehen zu bleiben, als
sie plötzlich vor ihm auftauchte. »Ich habe auf Sie gewartet,
Will.« Sie zeigte auf den Felsbrocken, auf dem sie gesessen hatte.
Will schwieg. Jenny drückte die Zähne in die Unterlippe. Das würde
viel schwieriger werden, als sie gedacht hatte. »Ich möchte mich
entschuldigen.« Er stand verstockt da und wappnete sich gegen die
Gefühle, die nur sie je in ihm geweckt hatte. »Wann haben Leute wie
die Tremaynes sich je bei Menschen wie uns entschuldigt? Die Gentry
schert sich doch nicht um gewöhnliche Bergleute.« »Das stimmt
nicht.« Sie holte tief Luft. »Ich schon, Will.« »Dann sollten Sie
denen in der Stadt helfen, die bei der Überschwemmung ihr Zuhause
verloren haben.« Er schritt weiter, um die Zügel des Pferds
loszubinden. »Will«, rief Jenny hinter ihm her. »Sehen Sie nicht,
was …« »Sehen?« Er wirbelte herum und sah sie voller Zorn an. »Ich
verbringe zu viel Zeit unter Tage, um über meine Nasenspitze
hinauszusehen.« Tränen traten in Jennys Augen. »Tut mir leid, dass
ich das gesagt habe.« »Dann tut es Ihnen eben leid, denn mir tut es
leid, dass wir uns je begegnet sind.« Er bestieg das Pferd, während
er das sagte, und trieb es zu einem Handgalopp an, ohne sich noch
einmal nach ihr umzusehen. Er hatte sich benommen wie ein Flegel,
und diese Erkenntnis heizte seinen Zorn nur noch weiter an. Als
Jenny Tremayne vor dem Benefizkonzert auf ihn zugekommen war, hatte
er vor Verlegenheit keinen Ton herausgebracht, was in Groll auf die
junge Frau umschlug. Mit ihrer sanften, musikalischen Stimme sagte
sie, sie wünschte, sie könnten Freunde sein. Sein steifes »Ich sehe
keinen Grund, warum« provozierte ihrerseits eine wütende Entgegnung
über seine Sehkraft. Die anfängliche Kränkung verflog bald und
machte der Erleichterung Platz, sie wütend gemacht zu haben. Er
konnte sich vor seinen Gefühlen schützen, indem er an diesem Zorn
festhielt. Miss Jenny Tremayne, das wusste er von Meggan, würde Con
Trevannick heiraten. Es konnte nur eines geben, was sie von Will
Collins wollte. Und er war nicht bereit, sich für eine romantische
Tändelei zur Verfügung zu stellen. Er würde sich nicht der Illusion
hingeben, dass ihre Gefühle eine Spiegelung seiner eigenen waren,
da konnte Meggan andeuten, was sie wollte. Eine Woche später waren
die Zwillinge schon wieder munter. Meggan fiel es schwer, sich an
den Gedanken zu gewöhnen, dass Will bald abreisen würde. Zu ihrem
Kummer trug noch das Wissen bei, wie sehr sie Con vermisste und
dass sie ihre Gefühle für sich behalten musste – und die
Erkenntnis, dass David Westoby ihr den Hof machte. Sie befürchtete,
dass er ihr vor seiner Abreise aus Grasslands einen Heiratsantrag
machte. Meggan mochte ihn und wollte weder seine Gefühle verletzen
noch seinen Stolz. Als Con schließlich zurückkehrte, geriet Meggan
in einen solchen Tumult der Gefühle, dass sie sich, wäre sie nicht
mit den Zwillingen im Schulzimmer gewesen, in seine Arme gestürzt
hätte. Der Blick, den sie tauschten, war so emotionsgeladen, dass
auf Barneys Gesicht ein Ausdruck unverhohlener Neugier erschien.
Con wandte den Blick von Meggans Gesicht ab, um die Zwillinge
anzulächeln. »Ich habe gehört, ihr hattet beide die Windpocken.
Freut mich, dass es euch jetzt wieder besser geht.« »Uns auch, was,
Sarah?« Sarah nickte. »Es hat schrecklich gejuckt, und ich hatte
viel mehr Punkte als Sarah.« »Tatsächlich?« »Wann sind Sie
zurückgekommen?«, fragte Meggan, die ihren spontanen
Gefühlsausbruch bezwungen hatte. »Vor einer Stunde. Ich habe schon
mit Jenny gesprochen.« Seine Miene verriet Meggan, worüber sie
gesprochen hatten. »Dann war Ihre Reise nicht erfolgreich?« »Ich
habe den Mann gefunden, den ich gesucht habe. Er war ein Rodney
Trelawn. Der Vorname und die erste Silbe ›Tre‹ im Nachnamen waren
das Einzige, was er mit unserem Rodney gemeinsam hatte.« »Was
werden Sie jetzt tun?« »Kann sein, dass wir erfolglos nach Hause
zurückkehren müssen. Unsere Passage wurde gebucht, bevor wir
England verließen. Wir waren jetzt so lange in Südaustralien und
hatten keinen Erfolg, dass ich f?r die letzten paar Wochen keine
gro?en Hoffnungen mehr hege.? »Es tut mir leid.« Er nickte. »Mir
auch. Ich hätte Rodney um Jennys – und um Phillips – willen gerne
gefunden. Wir setzen unsere Suche in den anderen
Kupferbergbaustädten am Spencer-Golf fort, bevor wir an Bord gehen,
um nach Hause zu fahren.« Con und Jenny blieben noch drei Tage bei
den Heilbuths. Drei Tage wachsender Qualen für Meggan. Die Tage
überstand sie einigermaßen. Jenny, die sehr deprimiert war, dass
sie ihren Bruder nicht hatten finden können, verbrachte die Tage
größtenteils mit Meggan und den Kindern, sodass die Zusammentreffen
zwischen Meggan und Con bar jeglicher unausgesprochener Gefühle
waren. Doch die Abende waren für Meggan eine rechte Strapaze,
besonders wenn das Gespräch auf Cons und Jennys Rückkehr nach
England kam. Der letzte Abend war der schwerste von allen. »Sie
müssen noch einmal für uns singen, Meggan«, sagte David Westoby,
der sich entschlossen hatte, mit den anderen abzureisen. »Ein
Abschiedskonzert.« Meggan bemühte sich um ein Lächeln. »Natürlich,
Mr. Westoby. Haben Sie einen besonderen Wunsch?« »Singen Sie, was
Ihnen beliebt, meine Liebe. Wir werden an allem Freude haben.« »Ich
habe eine Bitte.« »Und die wäre, Mr. Trevannick?« »Ich möchte, dass
Meggan The True Lovers’ Farewell singt.«
»Ah, ja. Das würde ich auch gerne hören. Würden Sie uns den
Gefallen tun, Meggan?« Meggan wandte sich von Cons ruhigem Blick
ab, um David Westoby ein Lächeln zu schenken. »Ich werde es als
Letztes singen.« Sie würde Con nicht ansehen, während sie sang,
denn dann würde sie allen verraten, wie es um ihr Herz stand.
Stattdessen l?chelte sie, als sie mit ihrem Vortrag fertig war,
David Westoby an. »Ich bin so froh, dass Sie mir die Noten
mitgebracht haben. Ich mag dieses Lied sehr.« »Ich auch«, bemerkte
Con. Da schaute Meggan ihn an, ohne zu bemerken, dass sowohl Jenny
als auch Mrs. Heilbuth die beiden beobachteten. Und dass Jenny sich
im Sessel zurücklehnte und gedankenversunken die Lippen schürzte.
Mrs. Heilbuth schloss den Klavierdeckel und richtete den Blick
wieder auf Meggan. So liegen die Dinge also, dachte sie.
Meggan blieb stehen, als sie das äußere Tor zum Küchenhof
erreichte. Der Abend war angenehm, die Brise hatte eine Frische,
die kühl war, aber nicht kalt. Sie umfasste den obersten Balken des
Tors mit den Händen und legte den Kopf in den Nacken, um den
Nachthimmel zu betrachten. Sie würde nie aufhören zu bewundern, wie
strahlend die Sterne vor dem schwarzen Himmel funkelten. Diese
abendliche Einsamkeit war ihr noch kostbarer als die
frühmorgendlichen Spaziergänge, die sie manchmal machte. Am Abend
hatte sie das Bedürfnis, ein paar Schritte zu gehen, um ihrer Seele
Frieden zu geben. Sie hatte weder Angst vor der Dunkelheit noch vor
unsichtbaren Geschöpfen, die vor ihren Füßen wegflitzten. Einige
Augenblicke schloss sie die Augen und nahm die nächtliche
Atmosphäre in sich auf. Nachtgeräusche waren deutlich zu hören: das
ferne Blöken eines Schafs, der Ruf eines Nachtvogels, das Knirschen
von Kieselsteinen unter einem Stiefel. Da hörte sie die Schritte.
Ihr Herz machte einen Satz und schlug dann schneller. Nicht vor
Angst, sondern vor Erwartung. Noch bevor sie sich umdrehte, wusste
sie, dass es Con war, der näher kam. Sie hatte gespürt, dass er auf
der dunklen Veranda saß. Hatte sie nicht gehofft, dass er ihr
folgte? Langsam drehte sie sich um. Sie standen einander gegenüber,
und das Licht der Sterne war so hell, dass sie das Verlangen in den
Augen des anderen sehen konnten. Con streckte die Hand aus, und sie
sank bereitwillig in seine Arme. Bei der ersten Berührung ihrer
Lippen explodierte die Leidenschaft. Sie waren hungrig, wollten
einander mit jeder Faser. All die Gefühle, über die nie gesprochen
worden war, lagen in diesem Kuss. »Meggan, Meggan.« Seine Stimme
war heiser an ihrem Ohr. »Du warst jede Minute jedes Tages, die ich
von dir fern war, bei mir. Jetzt muss ich dich verlassen.« Er zog
sie wieder an sich, und Meggan, verwirrt von dem ersten Kuss,
überwältigt von ihrer Liebe zu dem Mann, stand ihm in ihrer
Leidenschaft nicht nach. Verlangen brannte in ihrem Körper, und sie
wusste, dass sie sich nichts mehr wünschte, als von Con Trevannick
geliebt zu werden. Hätte er sie gefragt, hätte sie sich ihm
freimütig hingegeben. Als Cons Mund ihre Lippen schließlich
freigab, zitterte sie am ganzen Körper. Sie lehnte sich an ihn,
legte die Wange auf seine Brust und schlang die Arme um seine
Hüften. Er stützte das Kinn auf ihr Haar und hielt sie in den
Armen. »Liebste Meggan, ich glaube, ich habe mich schon beim
allerersten Mal, als wir uns begegnet sind, in dich verliebt.« Sie
beugte sich nach hinten, um ihn anzusehen. »Da war ich erst zwölf
Jahre alt.« »Eine wunderschöne, leidenschaftliche Zwölfjährige, die
zu einer noch schöneren und leidenschaftlicheren Frau
herangewachsen ist.« Er drückte ihr einen leichten Kuss auf die
Lippen. »Ich glaube, ich habe damals beschlossen, dich zu meiner
Frau zu machen, wenn du erwachsen bist. Wie anders wäre alles
gekommen, wenn du Pengelly nicht verlassen hättest?« »Ich wäre
Jennys Gesellschafterin gewesen, eine Hausangestellte, keine
gleichrangige Freundin.« »Für mich wärst du immer dieselbe Meggan.«
»Wozu? Hättest du mich zu deiner Geliebten gemacht? Mich vielleicht
mit einem Kind sitzen gelassen, wie Mr. Tremayne es mit Mutter
gemacht hat?« Die Heftigkeit ihres Verlangens flocht einen Hauch
Bitterkeit in ihre Worte. »Meggan, Liebste. Ich bin nicht mein
Onkel. Ich hätte dir nie wehgetan.« »Aber du hättest mich auch
nicht geheiratet.« Sie befreite sich aus seinen Armen, um noch
einmal über den Zaun zu schauen. »Meggan.« Seine Stimme war sanft,
bedauernd. »Ich kann dich jetzt nicht heiraten. Phillip liegt im
Sterben. Ich habe ein Versprechen gegeben.« »Du wirst Jenny
heiraten.« Sie spürte sein Seufzen mehr, als dass sie es hörte.
»Ich kann auch Jenny nicht wehtun.« »Was sollen wir nur machen?«
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie liebte ihn mit
jeder Faser ihres Seins. Und jetzt wusste sie, dass er sie auch
liebte. Und doch war diese Liebe dazu bestimmt, niemals Erfüllung
zu finden. Er war durch gesellschaftliche und moralische
Verpflichtungen gebunden. Sie waren dazu bestimmt, ihr Leben in
entgegengesetzten Teilen der Welt zu leben. Meggan dachte über die
aussichtslose Liebe ihrer Mutter zu Phillip Tremayne nach. Sie
dachte an die im Keim erstickte Liebe zwischen Caroline und Rodney.
Ihr Herz war so verzweifelt, dass es sie nicht gewundert hätte,
wenn sie einen weißen Hasen vorbeihoppeln gesehen hätte. Sie ließ
sich von Con wieder in die Arme nehmen. »Ich liebe dich, Meggan,
meine kleine Zigeunernixe. Sag mir, dass du meine Liebe erwiderst.«
»Du weißt, dass ich dich liebe, aber wozu?« »Ich wünschte, es
könnte anders sein. Ich wünschte, wir wären uns in einer anderen
Zeit an einem anderen Ort begegnet, wo ich frei wäre, dich zur Frau
zu nehmen. Liebste Meggan, wenn es einen Weg gibt, dass wir
zusammen sein k?nnen, dann finde ich ihn, das verspreche ich dir.?
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Es hat nicht sein sollen.« In
ihren Augen stiegen Tränen auf. Das erste Mal waren sie sich an dem
Tag begegnet, da sie den weißen Hasen gesehen hatte. Lange Zeit
sahen sie einander einfach nur an. Es gab nichts mehr zu sagen.
Schließlich beugte Con sich vor, um mit seinem Mund zärtlich über
ihre Lippen zu streichen. »Komm. Ich bringe dich zurück zum Haus.«
Will und Tom Roberts waren seit über drei Stunden unter Tage. Das
Vorkommen, an dem sie jetzt arbeiteten, lieferte Erz von guter
Qualität, was ihnen am Abrechnungstag einen guten Lohn garantieren
würde. Mit dem Fimmel durchbrach Will ein Stück Fels. Unter der
Oberfläche schimmerte dunkelgrün Malachit auf. »Sieh dir das an,
Tom. Wir sind schon wieder auf Malachit gestoßen.« Tom kletterte
die steile Strecke zu Will hinauf. Zusammen schlugen sie Fels ab,
bis sie die Malachitschicht gänzlich freigelegt hatten. Tom stieß
einen leisen Pfiff aus. »Das wird uns was einbringen, Will.« Will
stimmte ihm zu. Ihr letzter Gedingelohn war der geringste aller
Zeiten gewesen und hatte für jeden nur sechzehn Pfund, acht
Shilling und vier Pence ergeben. Verteilt auf acht Wochen Arbeit,
belief sich das kaum auf mehr, als die Gedingearbeiter bekamen. Als
Erzgedingehauer konnten sie sich normalerweise darauf verlassen,
beträchtlich mehr Lohn zu erhalten. Wenn sie in ihrem letzten
Vorkommen nicht auf den Malachit gestoßen wären, hätten sie nicht
einmal diese Summe erreicht. Will lächelte bei sich. Er hob ein
eigroßes Stück des grünen Edelsteins auf, das von der Oberfläche
abgebrochen war. Im Licht der Kerze, die in ihrer metallenen
Halterung an der Strossenwand befestigt war, studierte er die
schöne Streifenbildung des Malachits. Vor seinem geistigen Auge
wurde daraus wundersch?ner Schmuck: Halskette, Armband, Ohrringe
und Ring. Er steckte den Stein in die Tasche. Ein kleines St?ck
Malachit aus seiner Grube w?rde Sammy nicht vermissen. Er
beschloss, der Grube am n?chsten Zahltag den R?cken zu kehren. Doch
von seinen Gedanken und Entschl?ssen verriet er Tom nichts. Sie
machten sich in ihrer Strosse wieder an die Arbeit. Eine Stunde
später beschlossen sie, eine Essenspause einzulegen. Ihre
Henkelmänner hatten sie auf einer kleinen Felswand in der
Haupthöhle gelassen, aus der noch zwei andere Strossen in
verschiedene Richtungen führten. Die Männer in der einen legten ihr
Werkzeug weg. In der dritten bereiteten drei Gedingearbeiter,
darunter ein Neuling von fünfzehn Jahren, ein Bohrloch für die
Sprengung vor. Tom, der immer noch bei der Familie Collins wohnte,
nahm die Fleischpastete heraus, die Joanna gebacken hatte. »Was
deine Ma kocht, ist wirklich ein Vergnügen. Meine Ma konnte nicht
so lecker kochen, und Millys Essen war immer mehr, als ein Mann
vertragen konnte.« Die Erwähnung von Milly gab Will die
Gelegenheit, auszusprechen, was ihm im Kopf herumging. »Kommt mir
vor, als hättest du nicht lange um sie getrauert.« Tom zuckte nur
die Achseln, biss in die Fleischpastete und sagte mit vollem Mund:
»Mir hat nie viel an der Frau gelegen. Ich bin froh, dass ich sie
los bin. Sie war nur zu einem gut, und da war ich nicht der
Einzige, der das gekriegt hat.« »Aber dass sie so sterben musste.«
Will hatte noch nicht vergessen, wie er entsetzt zusehen musste,
wie Milly ertrank. »Ich hab versucht, sie zu retten.« »Hast du das
wirklich, Tom?« Die Frage schien in der staubigen Luft zu hängen,
und in der Stille knisterte die Spannung zwischen den beiden. Aus
einer der anderen Strossen kamen Männer, blieben stehen und
schauten in ihre Richtung. Einen Augenblick später verklang auch
das dumpfe Aufschlagen des Ladestocks aus der dritten Strosse. Die
Stille schien auf Toms Antwort zu warten. Jetzt, wo er seinen
Verdacht in Worte gefasst hatte, hielt Will Toms Blick fest und
wartete angespannt auf dessen Wutausbruch. Obwohl Toms Gesicht mit
dem Ruß der Grube bedeckt war und nur von trübem gelbem
Kerzenschein erhellt wurde, bemerkte Will die Zornesröte darin. Tom
erhob sich. Will ebenfalls, er war auf eine bestimmte körperliche
Reaktion gefasst. Er hatte keine Angst, sich mit Tom zu prügeln.
Und es war ihm auch egal, wenn es das Ende ihrer Freundschaft
bedeutete. Er mochte den Mann schon lange nicht mehr. Tom stürzte
sich auf ihn. Will duckte sich, kam wieder hoch und drehte sich
wieder zu Tom um. In diesem Augenblick gab es einen
ohrenbetäubenden Knall, der sie fast taub machte, und eine
Druckwelle warf sie zu Boden. Steine polterten um sie herum. Die
dritte Strosse verschwand in einer Staubwolke. »Holt Hilfe! Holt
Hilfe!«, schrie Will. Der jüngere der beiden anderen Bergleute
stürzte zur Grubenleiter, um Männer von der Abbausohle zu rufen und
jemanden nach oben zu schicken. Will, Tom und der dritte Mann
packten ihre Keilhauen und machten sich daran, den Steinschlag
wegzuräumen. Bald eilten ihnen weitere Bergleute zu Hilfe. Sie
arbeiteten viele Stunden, auch wenn alle wussten, dass wenig
Hoffnung bestand, dass einer der Männer die vorzeitige Explosion
überlebt hatte. Als man die Leichen schließlich herausgezogen
hatte, wurden sie zum Förderschacht getragen, um mit dem Göpel nach
oben befördert zu werden. Will saß eine Weile da, die Ellbogen auf
die Knie gestützt, und hielt den Kopf in den Händen. Dies war nicht
das erste Mal, dass er geholfen hatte, Männer aus einem Steinschlag
zu befreien. Solche Unfälle waren eine anerkannte Gefahr des
Bergbaus. Außer dass dieser Unfall nicht hätte passieren müssen.
Einer der Männer war offensichtlich so dumm gewesen, das Ende des
eisernen Ladestocks zu benutzen, um den Sprengstoff ins Bohrloch zu
stampfen. Er stand müde auf und sah sich um. Er sah Männer die
Leiter hochsteigen und beobachtete das Flackern der Kerzen an ihren
Kappen. Tom stand nicht weit weg. »Du glaubst, ich hätte Milly
ertrinken lassen.« In Toms Stimme war kein Zorn mehr. Will sah sein
Gegenüber einige Augenblicke an. »Ich weiß, dass du’s getan hast.«
»Du hast keinen Beweis.« »Nein. Dein Wort gegen meins. Wir arbeiten
hier zusammen an diesem Vorkommen, Tom, aber ich glaube, es wäre
besser, wenn du dir was anderes zum Wohnen suchst.« Tom brummte
nur. »Ich geh eh bald von Burra weg.« Er amüsierte sich über Wills
Überraschung. »Ich denk, ich versuch’s mit dem Gold.« Er nickte
Will zu. »Und du gehst doch auch.« »Wenn, dann nicht mit dir.«
»Vielleicht wart ich nicht noch sechs Wochen. Bis dahin kann ich
schon auf den Goldfeldern sein und mein Glück machen.« »Wenn du
unvorbereitet gehst, kannst du auf den Goldfeldern leicht
verhungern.« »Jeder, der da hingeht, findet Gold. Wenn ich reich
genug bin, komme ich zurück und heirate Meggan.« »Was!« Will war
erschüttert bis ins Mark. »Meggan heiratet dich?« »Du denkst wohl,
sie will mich nicht. Bei der Farbe von Gold wird sie es sich bald
anders überlegen.« Will schüttelte nur den Kopf. Er konnte sich
einfach nicht vorstellen, dass Megs mit Tom verheiratet sein
wollte. »Das glaub ich erst, wenn’s so weit ist. Ich geh rauf.« Er
ging zur Leiter und erwartete, dass Tom ihm folgte. Den ganzen Weg
hinauf über hundertachtzig Meter Leitern gingen ihm Toms Worte im
Kopf herum. Je eher Tom wegging, desto froher w?rde er, Will, sein.
Wenn sie in sich ?berschneidenden Schichten arbeiteten, w?rde er
das Vorkommen immer noch mit Hal und Tommy abbauen k?nnen. Wenn Tom
weg war, war der Gedingelohn f?r den Einzelnen sogar noch h?her.
Getreu seinem Wort verließ Tom Burra zwei Tage später mit einer
Gruppe von rund zwanzig Männern, acht Frauen und fünfzehn Kindern.
Alle wollten nach Victoria. Einige hatten vor, nach Adelaide zu
reisen, um von dort per Schiff nach Melbourne zu gelangen. Andere,
darunter auch Tom, hielten es für besser, auf dem Landweg zu den
Goldfeldern zu reisen.
Als Meggan ihre Familie das nächste Mal besuchte, war sie froh zu
hören, dass Tom Burra verlassen hatte, und bestürzt über das, was
Will ihr über die Vorfälle unter Tage vor Toms Abreise erzählte.
Empört und ungehalten reagierte sie auf Wills Enthüllung, Tom wolle
sie heiraten. »Nie im Leben würde ich Tom Roberts heiraten. Wie
kann er sich so etwas einbilden, wo ich ihm doch klar gesagt habe,
dass ich nichts mit ihm zu tun haben will?« »Hat er zu dir vom
Heiraten gesprochen?« Will wusste nicht, wann Tom vor seiner
Abreise von Burra die Gelegenheit gehabt haben sollte, mit Meggan
zu sprechen. »O ja, er hat mit mir vom Heiraten gesprochen. Und da
hat seine Frau noch gelebt.« »Dann hat er sie doch ertrinken
lassen.« Will kniff die Lippen zusammen ob der bitteren Tatsache.
»Glaubst du immer noch, Millys Tod war kein Unfall?« »Ich weiß es.
Tom war so kurz davor, es zu gestehen, dass ich absolut keinen
Zweifel mehr habe.« Meggan unterdrückte ein Schaudern. »Er ist ein
böser Mann. Nur gut, dass wir ihn für immer los sind.« »Ja. Ich
hoffe nur, dass sich unsere Wege in Victoria nicht noch einmal
kreuzen.« »Hast du Pa inzwischen erzählt, was du vorhast?« »Ich
wollte es tun, wenn du zu Hause bist.« Will brachte das Thema beim
Mittagessen zur Sprache. »Es gehen noch viele Männer nach Victoria,
bevor das Jahr zu Ende ist. Die Männer reden von nichts anderem als
vom Gold. Besonders seit die Nachricht sich verbreitet hat, dass
Peder und Jory Kent in der ersten Woche ein Vermögen gemacht
haben.« »Sie hatten Glück«, bemerkte Henry. »Hast du von anderen
gehört, die ein Vermögen gemacht haben?« »Nicht von Männern aus
Burra«, musste Will einräumen, »aber es heißt, dass jeden Tag einer
einen großen Fund macht.« »Das mag ja sein, doch für jeden Mann,
der Erfolg hat, gibt es hundert, vielleicht tausend andere, die
sich für nichts und wieder nichts abplagen. Ich würde nicht in der
vagen Hoffnung auf Glück zu den Goldfeldern gehen, wenn ich mir
nicht sicher wäre, dass ich genug verdienen könnte, um meiner
Familie das tägliche Brot zu sichern.« »Ich hab keine Familie, um
die ich mich kümmern muss«, sagte Will und sah seinen Vater direkt
an. Henrys Blick war scharf. »Heißt das, was ich vermute, was es
heißt, Sohn?« Will blickte seinen Vater unverwandt an. »Ja, Pa. Ich
bin dreiundzwanzig Jahre alt. Ich bin mir sicher, das Leben hat
mehr zu bieten als den Kupferabbau.« »Und du glaubst, das findest
du bei der Suche nach Gold?« »Wenigstens bin ich nicht unter Tage
und warte darauf, unter einem Steinschlag zu sterben.« Auf dieses
Argument hatte Henry keine Erwiderung. Er sprach zu seinen anderen
Söhnen: »Überlegt ihr beiden auch, auf die Goldfelder zu gehen?«
»Jeder Bergmann in Burra hat darüber nachgedacht«, antwortete Hal.
»Wenn du gehst, Will, dann gehen wir alle drei.« Tommy stimmte dem
zu. Henry sah Joanna an, doch sie sagte nichts dazu. »Scheint, als
hätten unsere Söhne sich entschieden. Sie lassen uns hier allein.«
»So ist das Leben, Mann. Wir können sie nicht zwingen zu bleiben.«
»Haben wir deinen Segen, Ma?«, fragte Will. »Ich werd zum Herrn
beten, dass er euch beschützt.« »Pa?« »Geht mit meinem Segen.
Obwohl ich nicht überrascht wäre, euch alle innerhalb von sechs
Monaten wieder hier zu sehen.« Will schüttelte den Kopf. Er hatte
nicht die Absicht, je nach Burra zurückzukehren. »Es ist nicht
meine Art, mich auf das Glück zu verlassen und am Ende zu
verhungern. Ich hab Pläne gemacht, Pa. Ich hab vor, mich gut mit
Werkzeug und Vorräten auszustatten, bevor ich gehe. Hal und Tommy
werden sich gleichfalls gut vorbereiten und reiten lernen müssen,
sonst nehme ich sie nicht mit.« Henry nickte. »Gut. Du bist ein
vernünftiger junger Mann. Wir essen jetzt fertig. Später reden wir
über deine Pläne.«