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Müde stieg Will
Collins die letzte Grubenleiter des Paxton-Schachts der Mine in
Burra Burra hinauf. Seine Hände langten über den Kopf, um nur drei
Sprossen unter den schweren Stiefeln seines Bruders Hal zuzupacken.
Sie hatten auf der Fünfzig-Lachter-Sohle eine Pause gemacht, wo sie
Tom Roberts und ihren jungen Bruder Tommy getroffen hatten, die auf
dem Weg nach unten waren, um ihre Schicht anzutreten. Jetzt lockte
der Fleck blauen Himmels über ihren Köpfen sie die letzten zwei
Lachter zur Erdoberfläche hinauf. Als sie oben waren, zog Will
seinen Schutzhelm ab, um sich mit der Hand durch sein schmutziges,
schweißverkrustetes Haar zu fahren. Er blinzelte mehrmals in der
strahlenden Nachmittagssonne und wandte den Blick von ihrem hellen
Schein hinunter auf den Schachtzugang, aus dem sie gekommen waren.
Inzwischen mussten Tom und der kleine Tommy eigentlich das
Vorkommen erreicht haben, an dem die vier Männer als Kameradschaft
arbeiteten. Sie arbeiteten seit etwas mehr als drei Wochen an
diesem Vorkommen. Drei Wochen frustrierender, unergiebiger
Plackerei. Vor vier Tagen waren ihre Hoffnungen gestiegen, bis der
Kupfergang, dem sie folgten, nur noch mageres Erz hergab. Falls die
Dinge im Laufe der nächsten drei Wochen nicht besser wurden, würde
es für sie alle am Abrechnungstag wenig Geld geben. Von den rund
zweihundertfünfzig Erzgedingehauern, die in der Grube in Burra
arbeiteten, machten die Collins-Brüder mit Tom Roberts in der
Kameradschaft regelm??ig gutes Geld. Gl?ck nannten das einige der
M?nner. Will schrieb ihren Erfolg harter Arbeit zu sowie seinem
normalerweise unfehlbaren Instinkt f?r ein gutes Vorkommen. Ein
rauer, tief sitzender Husten lenkte Wills Aufmerksamkeit auf Hal.
»Ist der verdammte Wind kalt«, murmelte der junge Mann, bevor ihn
ein schwerer Anfall trockenen, stoßweisen Hustens überkam. »Ja. Die
Sonne scheint zwar, aber der Wind kommt direkt vom Südpol. Aber wie
du klingst, das gefällt mir auch nicht. Komm rüber zum Schuppen,
umziehen, und dann siehst du zu, dass du aus der Kälte nach Hause
kommst, bevor du dir noch die Lungen aus dem Hals hustest.« »Kommst
du nicht mit nach Hause?«, fragte Hal, nachdem sie sich trockene
Kleider angezogen und ihre kupferroten, schweißfleckigen
Arbeitskleider an Nägeln aufgehängt hatten. »Ich komme bald. Ich
will zuerst mit Pa reden. Ich finde, wir sollten eine neue Zuwegung
zu diesem Vorkommen versuchen. Vielleicht kann er für uns ein Wort
mit Captain Roach reden.« »Ich bezweifle, dass Captain Roach
einverstanden ist. Er erwartet, dass wir das Beste aus dem machen,
was wir haben.« »Irgendwo da unten ist gutes Erz. Ich habe mich
noch nie geirrt, und ich glaube, dass ich mich diesmal auch nicht
irre. ›Sammy‹ würde es sicher vorziehen, wenn wir gutes Zeug
rausholten.« »Da hast du recht. Viel Glück bei Pa und Captain
Roach.« »Ja. Bis nachher zu Hause.« Die Brüder trennten sich vor
dem Schuppen. Die Schultern gegen den eisig kalten Wind
hochgezogen, schlurfte Hal davon. Will eilte zurück über das
Grubengelände zum Ayers-Schacht. Pa musste bald von seiner Schicht
als Obersteiger hochkommen. Er hoffte, ja betete fast, dass er
seinen Pa überzeugen konnte, mit Roach zu sprechen. Die Chance,
dass der Betriebsführer sich einverstanden erkl?rte, dass Bergleute
eine andere Zuwegung zu ihrem Vorkommen vorantrieben, war mehr als
unwahrscheinlich. Er w?rde trotzdem fragen. Ein Mann, der im Leben
vorw?rtskommen wollte, tat alles, um gutes Geld zu verdienen. Zum
ersten Mal nahm Will das Leben und Treiben über Tage bewusst wahr.
Fast einhundert Morgen, überragt von dem riesigen weißen
Schornstein, der oben auf dem mittleren Hügel stand, daneben das
solide gemauerte Pulvermagazin mit seinem charakteristisch
gerundeten Dach. Jeder Schacht hatte seinen eigenen Pferdegöpel, wo
ein Bursche ein Pferd immer im Kreis führte, um Erz und
Nebengestein nach oben zu ziehen. Überall auf dem Grubenareal waren
Männer bei der Arbeit, karrten Erz zum Scheidplatz und zum Pochwerk
und fuhren Abraummaterial weg. Zimmerleute arbeiteten an
Holzkonstruktionen, die dauernd instand gehalten werden mussten.
Lärm und Geschäftigkeit wurden beherrscht von dem lauten Dröhnen
des Brechers. Auf einer kleinen Erhebung blieb Will stehen, um den
Blick über den Brecher mit seinem Wasserrad, die Sägemühle und die
Zimmermannswerkstatt dahinter schweifen zu lassen. Wiederum
dahinter hörte er aus den Ställen das Wiehern eines Pferds. Dort in
der Nähe häckselten zwei Männer. Will drehte sich im Kreis. Drei
Pferde waren nahe der Schmiede angebunden. Einen der sechs
Schmiede, die in der Grube beschäftigt waren, kannte er gut. Von
den anderen Männern, die über Tage den verschiedenen Arbeiten
nachgingen, kannte er nur eine Handvoll. Kaum überraschend,
sinnierte er, war er doch kaum mit der Hälfte der Männer bekannt,
die unter Tage arbeiteten. Über hundert Gedingearbeiter, Hauer und
Erzgedingehauer plagten sich unter der Erde ab. Über Tage waren
mehr als dreimal so viele Menschen beschäftigt. Die meisten
Arbeiter der »Sammy« erwarteten, wie Will vermutete, für die Dauer
ihres Arbeitslebens derselben Beschäftigung nachzugehen. Es hatte
eine Zeit gegeben, da hatte Will zu ihnen geh?rt, in den ersten
Jahren in S?daustralien, als die Begeisterung f?r die reichen
Vorkommen an Bodensch?tzen, den leichten Zugang ?ber Sch?chte, die
oft nur ein Viertel so tief waren wie manche in Cornwall, und die
?beraus guten Lebensbedingungen den rosigen Schimmer des Gl?cks
gehabt hatten. An welchem Punkt genau Will zu dem Schluss gekommen
war, unzufrieden mit seinem Leben zu sein, konnte er nicht genau
sagen. Was er jedoch genau wusste, war, dass der Drang immer
stärker wurde, dem Kupferbergbau den Rücken zu kehren. In den
letzten zwei Wochen, da ihnen ein geringer Lohn drohte, war er noch
rastloser geworden. Es musste doch, überlegte er, einen leichteren
Weg geben, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, als im Gedinge zu
arbeiten, stundenlang unter Tage in einer Hitze, die außer einem
kornischen Bergmann niemand ertrug, um dann hinaufzusteigen in
einen kalten Wind, der noch eisiger wurde, sobald er ihre
schweißnassen Kleider kühlte. Im Sommer war es besser, dann war die
Lufttemperatur draußen häufig genauso hoch und manchmal sogar noch
höher als die Temperatur unter Tage. In dieser Jahreszeit war es
nicht die Angst vor einer Lungenentzündung, die die Männer plagte,
dann zerrte die lähmende Hitze ihnen alle Kraft aus dem Leib,
besonders beim langen Gang zum nachmittäglichen Schichtwechsel.
Will seufzte, konzentrierte sich wieder auf das Leben und Treiben
um ihn herum und setzte seinen Weg über das Grubenareal fort. Das
hier war nicht mehr sein Leben. Was er wollte, wusste er noch nicht
recht. Er war sich nur sicher, dass es nicht der Kupferbergbau war.
Mit seinem Vater hatte er darüber noch nicht gesprochen. Dazu war
noch Zeit, wenn er ein bisschen mehr Geld gespart und wenigstens
eine vage Vorstellung davon hatte, was er tun wollte. Er hatte fast
die Straße erreicht, die von Kooringa zu der angrenzenden Bon
Accord Mine durch die Burra Mine führte, als er die vier Reiter
sah. Zuerst warf er nur einen flüchtigen Blick auf sie. Captain
Roach und General Superintendent Burr erkannte er sofort. Besucher
waren in der Grube nichts Ungewohntes; ihr Ruf als ?Monster Mine?
hatte sich weit herumgesprochen. Einige Schritte näher an der
Straße warf Will noch einmal einen Blick auf die Gruppe. In dem
dritten Mann erkannte er Meggans Arbeitgeber Mr. Heilbuth. Das
überraschte ihn so sehr, dass er nun auch den vierten Mann genauer
in Augenschein nahm. Befremden bremste seine Schritte. Ich muss
mich irren, dachte er, auch wenn er wusste, dass er sich keineswegs
irrte. Wer da auf ihn zuritt, war Mr. Trevannick aus Pengelly. Ohne
recht zu wissen, warum, drehte Will sich abrupt um und ging den Weg
zurück, den er gekommen war. Er hatte nicht den Wunsch, diesem Mann
zu begegnen. Vor allem so lange nicht, bis er wusste, warum Mr.
Trevannick in Burra war und warum er sich in Gesellschaft von Mr.
Heilbuth befand. Hieß das, dass Meggan wusste, dass der Mann in
Burra war? Hieß es, dass Mr. Trevannick oder Squire Tremayne
erwogen, in die Grube zu investieren? Sämtliche Gedanken daran,
seinen Vater zu suchen, waren vergessen, und Will ging um den
Roach-Schacht herum zu den Schuppen, wo das Erz aufbereitet wurde.
Mehrere der Frauen, die mit dem Ausklauben des Erzes beschäftigt
waren, riefen ihm einen Gruß zu. Einige waren dabei unverhohlener
als andere. Will antwortete ohne Wärme. Er wusste, dass er
jederzeit jede von ihnen hätte haben können. Wenn er guter Stimmung
war, flirtete er manchmal ein wenig. Ein Blinzeln oder eine freche
Bemerkung, weiter ging er nicht. Die Tragödie, die außerehelich
gezeugte Kinder über seine Familie gebracht hatten, war nicht
vergessen. Und er würde sich auch nicht – wie Tom – in eine
lieblose Ehe locken lassen. »Komm heute Abend zum Creek, Will«,
rief Milly ihm jetzt zu. »Wir servieren dir ein Abendessen, so eins
hast du noch nich’ gehabt.« Sie stand in aufreizender Pose da, die
Hände in die Hüften gestemmt, die Br?ste nach vorn gereckt,
begleitet vom Kichern, Knuffen und verschlagenen Zwinkern ihrer
Gef?hrtinnen. Will antwortete nicht. Der Blick, den er ihr zuwarf,
sollte ihre Ann?herungsversuche abbremsen. Er hatte es l?ngst
aufgegeben, ihr zu erkl?ren, dass er nicht interessiert war, selbst
dann nicht, wenn Tom nicht sein Freund w?re. Will ging weiter. »Er
denkt wohl, er wär zu gut für unsereins«, folgte ihm Millys
verärgerte, überlaute Stimme. »Wenn du wissen willst, was du
verpasst, Will Collins, dann frag deinen Bruder Hal.« Will blieb
abrupt stehen und drehte sich um. Mit einem Lächeln, das alle
Schläue enthielt, deren die Frau fähig war, warf sie nur den Kopf
zurück und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Will beschleunigte
seine Schritte und holte seinen Bruder am Stadtrand ein. Bis dahin
hatte er sich ziemlich in Rage gearbeitet. Er packte Hal grob am
Arm. »Hast du mit Milly Roberts rumgemacht?« Hals Miene
beantwortete seine Frage. »Du verfluchter Idiot.« Will löste seinen
Griff mit einem Schubs, der Hal zum Stolpern brachte. »Was ist,
wenn Tom dahinterkommt?« »Tom?« Hal versuchte zu lachen, was jedoch
nur in einem Hustenanfall endete. Ohne Mitgefühl wartete Will mit
verschränkten Armen, bis sein Bruder sich beruhigt hatte. Hal
wischte sich mit dem Ärmel über seine tränenden Augen. »Er ist zu
sehr damit beschäftigt, sich mit sämtlichen Frauen zu befriedigen,
die ihn ranlassen, um zu merken, was da abgeht. Er denkt, nur weil
er Milly prügelt, wäre sie sein gehorsames Weib.« »Du bist trotzdem
ein Idiot, Hal. Eines Tages kommt Tom dahinter, und dann wird er
sämtliche Männer, die was mit seiner Frau hatten, windelweich
schlagen. Und da wir in derselben Kameradschaft sind, bist du der
Erste.« »Ich war nur zweimal da.« »Und wenn du nur einen Funken
Verstand im Leib hast, gehst du nicht mehr hin. Die Frau bedeutet
nichts als ?rger, und ich will nicht, dass du da mit reingezogen
wirst.? »Was bildest du dir ein, mir vorzuschreiben, was ich tun
soll? Ich bin achtzehn. Ich mach, was ich will.« »Ja, und ich bin
fünf Jahre älter als du und pass auf dich auf.« »Es ist aber nicht
nötig, dass du auf mich aufpasst. Du bist genau wie Meggan. Ihr
denkt, ihr wärt was Besseres als Tommy und ich, und sagt uns
dauernd, was wir tun oder lassen sollen. Na, dann sag mir doch mal,
großer Bruder, was du machst, wenn du Befriedigung brauchst?« Wills
Miene verhärtete sich. »Meistens kontrolliere ich meinen Drang.
Wenn es sein muss, bezahle ich eine anständige, saubere Hure. So
komme ich keinem Ehemann in die Quere und setze auch keine Bastarde
in die Welt.« »Na, vielleicht bin ich mehr Manns als du und
brauch’s zu oft, um mir eine deiner anständigen Huren leisten zu
können. Wenn eine Frau sich anbietet, nehme ich sie, und das geht
dich verdammt noch mal nichts an.« Der Trotz in seinen Worten wurde
von einem Hustenanfall abgeschwächt. Hal stolperte einige Schritte
weg. Will fand, es sei das Beste, das Thema für den Augenblick
fallen zu lassen, trat neben seinen Bruder und fasste ihn am Arm.
»Komm, lass uns heim ins Warme gehen, bevor dein Husten noch
schlimmer wird.«
Jeden zweiten Sonntag aß Meggan mit ihrer Familie zu Mittag. Zehn
Tage waren seit der Ankunft der Gäste der Heilbuths vergangen,
bevor Meggan sich wieder im Familiencottage an den Tisch setzte.
Eine Weile drehte sich das Gespräch um allgemeine Themen, bis Will
plötzlich einwarf: »Ich könnte schwören, ich hätte neulich Con
Trevannick gesehen. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was er
in Burra will.« Er sah Meggan direkt an. Henry riss den Kopf hoch.
Hal und Tommy wirkten äußerst interessiert. Meggans Herz hatte
einen Schlag ausgesetzt, bevor es ein wenig schneller als vorher
weiterschlug. Auch wenn sie nicht die geringste Ahnung hatte, woher
er es wusste, sah sie, dass Will wusste, bei wem Con Trevannick zu
Besuch war. Ein rascher Blick auf ihre Mutter verriet ihr, dass
Joanna, Messer und Gabel reglos in den Händen, auf ihren Teller
starrte. »Wo hast du den Mann gesehen?«, fragte Henry Collins. »Auf
dem Grubengelände. Als ich letzten Mittwoch bei Schichtende aus dem
Schacht kam.« »Und du bist dir ganz sicher?« »Ja. Er war es.«
Meggan hatte wieder einmal allen Grund, ihr ausdrucksstarkes
Mienenspiel zu bereuen, denn Will sagte scharf: »Du weißt etwas,
Megs.« Als sie nichts sagte, wurde sein Ton vorwurfsvoller. »Es war
Con Trevannick, den ich gesehen habe, und du hast gewusst, dass er
in Burra ist. Ich hab nämlich auch Mr. Heilbuth gesehen.« Meggan
biss sich auf die Lippe, schaute zu ihrer Mutter hinüber, die jetzt
Messer und Gabel abgelegt hatte, jedoch weiterhin auf ihren Teller
starrte, und dann zu ihrem Vater, dessen Miene zugleich fragend und
streng war. »Mr. Trevannick und Jenny Tremayne sind Gäste der
Heilbuths«, sagte sie ruhig und blickte dabei nur ihren Vater an.
»Und du bist nicht auf die Idee gekommen, es uns zu sagen, Kind?«,
wandte ihr Vater ruhig ein. Meggan zuckte hilflos ein wenig mit den
Schultern und warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf das andere
Tischende, wo Joanna ihr Besteck wieder aufgenommen und sich
darangemacht hatte, ihr Fleisch zu schneiden. Henry, Will und die
Jungen folgten Meggans Blick. Henry nickte leicht, und alle aßen
schweigend weiter. Will, der das Thema aufgebracht hatte, das zu
diesem unbehaglichen Schweigen gef?hrt hatte, berichtete von einem
h?bschen Malachit, den sie am Tag zuvor in ihrem Vorkommen gefunden
hatten. »Der macht die schlechte Qualität des Kupfers wieder wett.
Am Ende kriegen wir doch einen vernünftigen Lohn.« »Du solltest ihn
sehen, Pa«, fügte Hal hinzu. »Ich wette, der hat Edelsteinqualität.
Captain Roach kommt morgen, um ihn sich anzusehen.« »Ist er durch
und durch von guter Qualität, Sohn?« »Wenn nicht, werfe ich meine
Haue weg. So hübsch ist er, mit strahlend blauen Azuritkristallen
durchsetzt.« Vor Meggans geistigem Auge erschienen leuchtende
Bilder. »Ich wünschte, ich könnte auch einmal unter Tage gehen, um
dieses Wunder mit eigenen Augen zu sehen, so eine
Malachitfundstelle, die ihr ›Bergmannsgärten‹ nennt.« »Das
Schlängeln durch die schmalen Gänge würde dir ebenso wenig gefallen
wie das trübe Licht der Strossen, selbst wenn Frauen unter Tage
erlaubt wären.« »Ich weiß.« Meggan seufzte. »Macht nichts, Megs.
Ich verspreche dir, zu deiner Hochzeit schenke ich dir ein
Malachithalsband.« Bei Wills Worten riss Joanna den Kopf hoch. »Was
ist das jetzt? Hast du vor zu heiraten, Meggan?« »Nein, Ma.« »Aber
du schäkerst mit einem Mann herum? Vielleicht mit Tom Roberts?«
»Niemals! Es gibt keinen Mann, Ma. Ich habe nicht den Wunsch zu
heiraten.« »Du solltest aber bald heiraten. Ich hab gesehen, wie
die Männer dir hinterherschauen. Wart zu lange, und du hast auch
ein Baby im Bauch und keinen Ring am Finger.« Meggan schnappte nach
Luft. Brennend heiße Tränen schossen ihr in die Augen. Ihr Vater
langte über den Tisch, um ihre Hand zu drücken. »Lass sie in Ruhe,
Joanna.« Joanna warf ihrem Mann einen harten Blick zu. »Diese
Familie hat sich versündigt.« Sie wandte sich wieder ihrem Essen
zu, ohne die Blicke zu bemerken, die zwischen ihrem Mann und ihren
Kindern gewechselt wurden. Ihre religiöse Besessenheit war immer
schwerer zu ertragen.
Nach dem Essen zog Joanna sich in ihr Schlafzimmer zurück, um in
ihrer Bibel zu lesen, wie sie es jeden Sonntagnachmittag tat, und
Hal und Tommy gingen ihren eigenen Beschäftigungen nach. Meggan,
Will und ihr Vater setzten sich auf die schattige Veranda. »Erzähl
uns von Con Trevannick, Meggan, Kind.« Meggan traktierte ihre
Unterlippe mit den Zähnen. »Er ist vorletzten Mittwoch mit Mr.
Heilbuth aus Adelaide gekommen. Jenny Tremayne ist bei ihm.« Henry
runzelte die Stirn. »Das Tremayne-Mädchen und Mr. Trevannick? Warum
sind sie hier? Weißt du etwas?« »Sie wollen versuchen, Jennys
Bruder zu finden.« »Rodney Tremayne?«, entfuhr es Will. Meggan sah
ihn an. »Ja. In Pengelly hat jeder gewusst, dass er weggegangen
ist. Wir haben nicht gewusst, dass er nie zurückgekehrt ist. Jenny
sagte, er habe einen schrecklichen Streit mit seinem Vater gehabt
und gesagt, er würde weggehen und nie mehr wiederkommen. Bis heute
hat er sein Wort gehalten.« »Warum suchen sie ihn jetzt, und warum
ausgerechnet in Burra?« »Ich glaube, Mr. Tremayne ist sehr krank
und möchte mit seinem Sohn Frieden schließen oder ihn wenigstens
noch einmal sehen. Alles, was über seinen Verbleib bekannt ist,
ist, dass er eine Überfahrt auf einem Schiff nach Südaustralien
gebucht hat. Als Mr. Heilbuth Mr. Trevannick traf und von seiner
Suche hörte, hat er die beiden eingeladen, bei ihm zu wohnen,
w?hrend sie hier in der Gegend Erkundigungen einholen.? »Wie geht
es dir, ständig in ihrer Gesellschaft zu sein?« »Zuerst war ich
schockiert. Ich fand es schwer, denn Jenny sieht Caroline sehr
ähnlich. Das hat so viele unglückliche Erinnerungen wieder
aufgeweckt. Aber Jenny ist ganz anders als Caroline. Sie ist nett
und freundlich wie Caro, aber sie hat eine sehr viel resolutere
Persönlichkeit. Sie gibt selbst zu, dass sie ziemlich stur sein
kann.« Sollte Jenny je in eine Situation wie Caroline geraten,
besäße sie den Mut, weiterzumachen. Doch das sagte Meggan nicht.
Damit hätte sie bei ihrem Vater nur alte Wunden wieder aufgerissen.
Je mehr der Schmerz mit den Jahren verblasste und je mehr Meggan
über die wahre Geschichte von Caroline und Rodney erfuhr, umso
schwerer fiel es ihr, zu verstehen, warum ihre Schwester eine so
verzweifelte Lösung für ihr Problem gewählt hatte. »Du weißt ja,
dass ich Will so lange in den Ohren gelegen habe, bis er mir alles
erzählt hat.« Sie warf ihrem Bruder einen entschuldigenden Blick
zu, um der Entrüstung in seinem Blick zu begegnen. »Ich habe es
niemandem erzählt, Pa. Manchmal habe ich gehofft, es wäre nicht
wahr. Doch dann bin ich Jenny Tremayne begegnet.« Schweigen
breitete sich aus. Was ihr Vater und ihr Bruder dachten, wusste
Meggan nicht. Sie selbst dachte daran, wie schwer es ihr gefallen
war, das zu akzeptieren, was ihr stets unannehmbar erschienen war.
Doch sie würde es nie wieder wagen, das, was ihre Eltern taten, zu
hinterfragen. »Magst du die junge Frau?«, fragte Henry. »Jenny
Tremayne? Ja, sehr sogar. Wir haben uns recht angefreundet.« »Und
Con Trevannick?« Meggan gab sich Mühe, Miene und Stimme
ausdruckslos zu halten. »Er ist höflich und freundlich.« Und dann
schlug sie ein anderes Thema an. Der junge Stallbursche Bertie
begleitete Meggan bei ihren Fahrten nach Kooringa. Meggan fuhr den
Ponywagen nach Redruth, wo Berties Familie lebte, und holte ihn auf
dem Rückweg von ihrem eigenen Familienbesuch wieder ab, und dann
fuhren sie zusammen zurück nach Grasslands. Auf der Straße zwischen
den beiden Ortschaften war Meggan überrascht, Tom Roberts zu
begegnen. Da er zu Fuß Richtung Kooringa unterwegs war, fragte sich
Meggan, was er wohl in Redruth zu tun gehabt hatte. Am Sonntag, dem
einzigen Tag, wo die große Mine stillstand, blieben verheiratete
Männer im Allgemeinen zu Hause bei Frau und Kindern. Doch Tom
scherte sich, wie Meggan wusste, wenig um seine Frau. Er stand
mitten auf der Straße und versperrte dem Wagen den Weg. Verärgert,
doch nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun, zog Meggan die Leine
an, bis das Pony stillstand. Tom ging an ihm vorbei, um sich
seitlich am Wagen festzuhalten. »Guten Tag, Meggan.« »Was willst
du, Tom?« »Das Vergnügen, dich anzusehen. Du bist ein Anblick, der
einem Mann das Auge erfreut und das Herz erwärmt. In ganz Burra
gibt es keine, die es mit deiner Schönheit aufnehmen kann.« »Wenn
ich glauben könnte, dein Kompliment sei ehrlich gemeint, würde ich
dir danken. Ich glaube jedoch, dass du das zu jeder Frau sagst.«
»Frauen sind so dumm und eingebildet, dass sie nur hören, was ihnen
gefällt. Wenn ein Mann sein Vergnügen will, sagt er einer Frau
eben, was sie hören will.« »Nun, es gibt nichts, was ich von dir zu
hören wünsche, Tom Roberts, und ich möchte dir auch in keiner Weise
zum Vergnügen dienen. Wenn du also erlaubst, setze ich jetzt meinen
Weg fort.« Sie hob die Hand, um mit der Leine zu schnalzen, doch da
packte er sie mit einer Gewalt am Arm, die sie beinahe vom Sitz
riss. »Was machst du da?«, schrie sie, ebenso erschrocken wie
wütend. »Du läufst mir nicht mehr davon, Meggan. Gibst du dich
zimperlich, damit mein Verlangen noch wächst?« »Verlangen? Was
bildest du dir ein, Tom Roberts? Auch wenn das etwas ist, worüber
du viel weißt, hast du zu mir nicht in so einem vulgären Ton zu
sprechen. Ich habe gewiss kein Verlangen nach dir, und ich habe es
satt, dass du ständig versuchst, dich mir aufzudrängen.« Sie hatte
ein gehöriges Maß an Verachtung in ihre Worte gelegt, doch zu ihrem
Verdruss lächelte er nur. »Immer hitzig, die gute Meggan. Wenn
deine Augen funkeln und du den Kopf so überheblich zurückwirfst,
reizt mich das nur umso mehr. Ja, du bist im Bett sicher sehr
hitzig. Du kannst einen Mann eine ganze Nacht lang hart und
glücklich machen.« Meggan keuchte auf. Sie spürte, dass ihr Gesicht
vor Schock ganz heiß wurde, und wollte sich von ihm frei machen.
»Lass mich los. Ich will weiter.« Sie war wütend, so wütend, dass
sie das Gefühl hatte, wenn sie nur eine geeignete Waffe zur Hand
hätte, könnte sie seine Hand leicht wegschlagen. Er ließ ihren Arm
los, ließ die andere Hand jedoch auf dem Wagen liegen. »Ich mache
keine Witze, Meggan. Ich will dich, und ich werd dich kriegen, ob
du freiwillig dabei bist oder nicht. In dieser Stadt wirst du deine
Jungfräulichkeit nicht mehr lange bewahren, und ich hab vor,
derjenige zu sein, der sie dir raubt.« Die Lüsternheit in seinem
Blick verwandelte sich in eine Drohung. Meggan bekam richtig Angst,
er könnte seine Worte an Ort und Stelle in die Tat umsetzen. Sie
schnalzte fest mit der Leine, sodass das Pony einen Satz machte.
Sie sah sich nicht mehr um und ließ das Pony auch erst in einiger
Entfernung in einem ruhigeren Tempo gehen. Dann erst warf sie einen
Blick über die Schulter. Tom Roberts stand noch auf demselben
Fleck, doch inzwischen zu weit weg, als dass sie seinen
Gesichtsausdruck hätte erkennen können. Er hob den Arm spöttisch
zum Gruß, bevor er sich umdrehte und weiterging. Schauder liefen
Meggan den Rücken hinunter. Sie hatte Angst, gro?e Angst. Jeder in
der Stadt wusste, dass mit Tom Roberts nicht gut Kirschen essen
war. »Hatten Sie einen schönen Besuch bei Ihrer Familie, Meggan?«
»Ja, danke, Mrs. Heilbuth. Ich freue mich immer, meine Brüder zu
sehen, besonders Will.« »Ah, der Lieblingsbruder.« »Wir haben uns
immer sehr nahegestanden, genau wie mein Vater und ich.« »Geht es
Ihrem Vater gut? Und Ihrer Mutter?« »Ja, es geht ihnen gut.« »Ich
habe überlegt, ob Mr. Heilbuth und ich sie nicht auf einen Besuch
einladen sollten, solange Mr. Trevannick und Miss Tremayne hier
sind. Ihre Familie ist schon so viele Jahre in Australien, dass sie
doch sicher die neuesten Nachrichten von zu Hause hören möchten.«
»Sie würden nicht kommen, Mrs. Heilbuth.« »Oh.« Mrs. Heilbuth
wirkte geknickt. »Sie haben doch unsere Einladungen bisher immer
angenommen. Sie denken doch wohl nicht, sie wären gesellschaftlich
unterlegen? Wir leben so weit von der Zivilisation in Adelaide weg,
dass hier kein Platz ist für gesellschaftliche Intoleranz.« »Mein
Vater hat sich noch nie jemandem unterlegen gefühlt. Aber ich
versichere Ihnen, dass er es nicht als angemessen erachten würde,
geselligen Umgang mit Mr. Trevannick und Miss Tremayne zu pflegen.«
»Wer findet es nicht angemessen, gesellschaftlichen Umgang mit uns
zu pflegen?«, fragte Jenny, die in diesem Augenblick mit Con den
Raum betrat. »Meggans Familie. Behauptet sie.« »Vielleicht hat sie
recht«, stimmte Con ihr zu. »Sie würden sich in unserer Gegenwart
nicht wohl fühlen.« »Nicht?« »Nein, Mrs. Heilbuth. Sie würden sich
nicht wohl fühlen.« Sein Blick verriet Meggan, dass er ihre
Dankbarkeit bemerkte. Er hatte sich just in dem Augenblick
eingemischt, da Meggan sich gefragt hatte, wie sie sich erklären
sollte, ohne irgendetwas aus der Vergangenheit preiszugeben.
»Meggan«, fuhr er fort, »ich glaube, die ganze Stadt wird bald das
Vergnügen haben, Sie singen zu hören.« »Ich habe, seit wir in Burra
sind, auf allen Wohltätigkeitskonzerten gesungen.« »Gab es deren
viele?« »Zu viele. Unsere Wohltätigkeitskonzerte helfen Witwen und
Familien von Bergleuten, die umgekommen sind.« »Dann gibt es hier
nicht weniger Grubenunglücke als damals in Cornwall?« »Leider
nicht. Die meisten Bergleute kommen durch herabstürzende
Felsbrocken und vorzeitige Explosionen um. Die Familie, für die
dieses Konzert gegeben wird, ist ein sehr tragischer Fall. Der Mann
kam vor drei Wochen um, als Felsbrocken herabgestürzt sind. Während
sie ihn beerdigten, spazierte das jüngste Kind, ein achtjähriger
Junge, von den Trauernden weg und wurde von einer Schlange
gebissen. Sie können sich vorstellen, dass die arme Frau schier
außer sich war. Den Mann gerade unter die Erde gebracht, und keine
fünfzig Meter weiter liegt der Sohn tot am Boden.« »Wie
schrecklich«, weinte Jenny. Ihr Blick huschte zu Mrs. Heilbuth.
»Sterben hier viele Menschen an Schlangenbissen?« »Man hört nur
selten davon. Die meisten Schlangen machen sich einfach aus dem
Staub. Der Arzt war der Meinung, dass der Junge versucht hatte, die
Schlange aufzuheben. Der tödliche Biss war an seinem Handgelenk.«
Jenny schauderte es. »Er kannte doch sicher die Gefahr, wenn er
hier lebte.« »Die Familie war kaum mehr als einen Monat in Burra«,
antwortete Meggan. ?Die Witwe hat drei kleine Kinder gro?zuziehen.
Meine Mutter besucht sie jeden Tag, um sie, so gut es geht, zu
unterst?tzen. Die Frau hat sonst keine Verwandten in Australien und
w?rde gerne nach Cornwall zur?ckkehren. Das Konzert soll das Geld
f?r die Schiffspassage nach Hause erbringen.? »Wir haben viele
tragische Geschichten gehört.« Jennys Augen wurden von Besorgnis
überschattet. »Glaubst du …«, setzte sie an und schaute Con an.
»Nein, Jenny. Ich glaube nicht, dass Rodney etwas Schreckliches
zugestoßen ist.« »Wir sind schon drei Wochen in Australien und
haben noch nichts von ihm gehört.« Tränen zeigten sich in ihren
Augen. Con trat zu ihr, um sie tröstend in die Arme zu nehmen.
»Weine nicht, meine Liebe. Ich bin mir ganz sicher, dass wir ihn
finden.« »Finden wir ihn auch rechtzeitig?« »Wir finden ihn
rechtzeitig.« »Meggan.« Die Zwillinge platzten ins Zimmer. »Sie
haben doch gesagt, wir könnten auf den Hügel steigen, um den
Sonnenuntergang zu sehen.« »Kinder!« »Tut mir leid, Mama.« »Tut mir
leid, Mama.« »Und?« »Bitte verzeihen Sie, Mr. Tvannick und Miss
Tremayne.« »Es sei dir verziehen, Barney.« Cons Mundwinkel verzogen
sich zu einem Lächeln. Sein Blick begegnete Meggans, und sie fragte
sich, ob sie seine Gedanken wirklich verstand. Con Trevannick
mochte Barneys Temperament. Hatte er einst auch ihr Temperament
gemocht? »Wo ist der Hügel, den Sie besteigen wollten, um den
Sonnenuntergang zu sehen?«, fragte er. »Man kann ihn hinter dem
Schuppen, wo die Schafe geschoren werden, sehen. Der Blick ist
wirklich herrlich.« Er schien zu wissen, welchen Hügel sie meinte.
»Gehen Sie den ganzen Weg?« Meggan schüttelte den Kopf. »Der Hügel
ist viel weiter weg, als er scheint. Bis zum Fuß des Hügels nehmen
wir den Ponywagen. Es gibt einen gut ausgefahrenen Weg.« »Wenn Sie
nichts dagegen haben, begleite ich Sie.« »Ja, bitte, Mr. Tvannick«,
jubelte Barney, der seinen Helden mit jedem Tag mehr verehrte.
»Kann Miss Tremayne auch mitkommen?«, fragte Sarah. »Ich glaube,
ich habe keine Lust, einen Hügel zu besteigen, Sarah. Ich bleibe
lieber hier.« »Dann gehe ich auch nicht mit. Ich bleibe hier bei
Ihnen.« Und um ihre Vorliebe zu unterstreichen, setzte sie sich
neben ihr Idol aufs Sofa. Sie fand Miss Tremayne schön wie eine
Prinzessin und hatte ihr schon ein wenig schüchtern gestanden, wenn
sie erwachsen sei, wolle sie genauso sein wie sie. »Will sonst noch
jemand den Sonnenuntergang sehen?«, fragte Con. Die Heilbuths
schüttelten den Kopf. Mrs. Heilbuth erklärte, sie sei nicht dazu
geschaffen, Hügel zu besteigen, und Mr. Heilbuth wollte lieber
Zeitung lesen und entspannen. »Wenn Sie mitgehen, Trevannick,
braucht Meggan meine Begleitung nicht.« »Dann nur wir drei«,
bemerkte Con. »Gehen wir.« Barney ging zur Tür. Meggan erhob sich.
»Wollen Sie uns wirklich nicht begleiten, Jenny?« Sie war
gleichermaßen aufgeregt wie besorgt. Aufgeregt bei der Vorfreude
darauf, die gefühlvolle Schönheit eines Sonnenuntergangs mit Con
Trevannick zu teilen. Besorgt wegen der Vertraulichkeit, die daraus
erwachsen mochte. Besorgt, sie könnte unabsichtlich ihre Gefühle
für diesen Mann verraten. Als Con vorschlug, er könnte reiten und
Barney vor sich auf den Sattel nehmen, war der Junge so begeistert,
dass Meggan unmöglich darauf bestehen konnte, den Wagen zu nehmen.
»Sie haben eine Weile nicht auf einem Pferd gesessen, Meggan«,
bemerkte Mr. Heilbuth. »Sie müssen in Übung bleiben.« »Wann haben
Sie reiten gelernt, und auch noch im Herrensattel?«, fragte Con,
sobald sie die Pferde bestiegen hatten und losgeritten waren. »Kurz
nachdem ich bei den Heilbuths angefangen habe. Mr. Heilbuth hat
darauf bestanden, dass ich reiten und den Ponywagen fahren lerne.
Er findet, in diesem Land muss man einfach reiten können. Wenn es
regnet, ist ein Pferd zuweilen das einzige Transportmittel. Mein
Bruder Will hat auch reiten gelernt.« »Ihr Vater und die anderen
Brüder?« »Die interessieren sich nicht für Pferde, obwohl Mr.
Heilbuth ihnen die Gelegenheit geboten hat, es zu lernen.« »Hat Mr.
Heilbuth Ihnen auch geraten, im Herrensattel zu reiten?« »Er hat
erklärt, es sei sicherer und praktischer. Damensättel sind seiner
Meinung nach etwas für elegante Damen in der Stadt, nicht für
Frauen im Outback.« »Er hat natürlich recht. Reiten Sie oft?«
»Nicht sehr oft. Ich nehme lieber den Wagen.« Zu ihrer Überraschung
schürzte er plötzlich amüsiert die Lippen. »Was ist daran so
witzig?« »Nichts, Meggan. Ich habe nur gerade daran gedacht, dass,
als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, keiner von uns gedacht
hätte, dass wir eines Tages durch die australische Landschaft
reiten würden.« Meggan lächelte zustimmend. »Ja, wer hätte das
gedacht!« »Aber ich bin froh darüber.« Das Lächeln, das er ihr
schenkte, ließ sie den Kopf abwenden, unsicher, was es zu bedeuten
hatte, unsicher, was es mit ihr anrichtete. Barney rettete sie aus
der Verlegenheit, etwas darauf sagen zu müssen, indem er auf ein
Trio Kängurus zeigte, die sie im Vorbeireiten beobachteten, mit
wachsam gespitzten Ohren, bereit, jederzeit die Flucht anzutreten,
sollten sie irgendeine Gefahr wittern. »Faszinierende Geschöpfe«,
bemerkte Con. »Eigentlich fasziniert mich alles an diesem Land. Ich
würde gerne noch viel mehr von Australien sehen.« »Burra ist ganz
anders als Cornwall.« »Ich wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn dem
nicht so wäre. Wenn die Zeit es erlaubte, würde ich gerne die
Kolonien im Osten besuchen.« »Ich würde sie auch gerne sehen,
obwohl ich wahrscheinlich nie die Gelegenheit bekomme.« »Was haben
Sie vor? Heiraten und Ihr ganzes Leben lang in Burra bleiben?«
Meggan zuckte die Achseln und wandte das Gesicht ab. Es gab nur
einen Mann, den sie gerne geheiratet hätte. Sie hätte die Hand
ausstrecken und seine berühren können, und doch war er für sie
unerreichbar und würde es immer bleiben. Und sie wollte auch nicht,
wie sie gestehen musste, ihr ganzes Leben lang in Burra bleiben.
Die Welt war so groß. Am Fuß des Hügels banden sie ihre Pferde an
Bäume, und Barney ging voraus. »Folgen wir einem Weg?«, fragte Con,
der den trittsicheren Aufstieg des Jungen beobachtete.
»Kängurupfad. Sie haben den leichtesten Weg um die Felsblöcke herum
gefunden«, antwortete Meggan. »Das hier ist aber ein Wallabypfad«,
ließ Barney sich vernehmen, der, obwohl er vorausging, ihr Gespräch
offensichtlich belauscht hatte. »Das sieht man an den Kötteln.«
»Kannst du die wirklich unterscheiden, Barney?« »O ja, Mr.
Tvannick. Ein Mann, der letztes Jahr bei Vater gearbeitet hat, hat
es mir erklärt. Er hat mir auch gezeigt, wie man die verschiedenen
Spuren erkennt. Ich will mal schauen, ob ich ein paar für Sie
finde, wenn wir oben sind.« Der Hügel war oben annähernd flach, mit
wenig Bewuchs, wenigen großen Geröllblöcken und einer weiten Fläche
lockerer Erde. Barney hockte sich hin, um den Boden abzusuchen.
»Schauen Sie, Mr. Tvannick. Die Spur hier ist von einem Wallaby.
Das sind seine Pfotenabdrücke, und die Spur hier stammt daher, dass
sein Schwanz den Boden berührt hat.« Con hockte sich neben den
Jungen. »Du bist ganz schön schlau, was?« »Ja«, stimmte Barney ihm
ohne die geringste Bescheidenheit zu. »Ich kann auch Eidechsen- und
Schlangenspuren erkennen, aber hier gibt es keine.« »Die Sonne
beginnt zu sinken.« Meggan lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf
den eigentlichen Grund für ihren Ausflug. Der Mann und der Junge
standen auf. »Wenn man das doch nur malen könnte«, murmelte Con.
Die Wolkenstreifen hatten die Sonnenstrahlen eingefangen und
verwandelten den ganzen westlichen Himmel in ein Feuer aus Gold-,
Orange- und Rottönen. Feuer und leuchtende Farben veränderten sich
und wechselten einander in einem atemberaubenden Schauspiel ab.
Meggan seufzte. »Das ist einer der schönsten Sonnenuntergänge, die
ich je gesehen habe.« »Schauen Sie, Mr. Tvannick.« Auf das
beharrliche Ziehen des Jungen an seiner Hand drehte Con sich um. Im
Osten lugte der Mond – überdimensional, buttergelb – vor dem
mauvefarben getönten Himmel über den Horizont. Meggan, die
aufgestanden war und sich ebenfalls umgewandt hatte, lächelte, als
er verblüfft nach Luft schnappte. »Deswegen sind wir heute Abend
hergekommen. Nur in den Wintermonaten kann man den Mond aufgehen
sehen, wenn die Sonne untergeht.« Sie standen schweigend da und
sahen zu, wie die Sonne tiefer sank und der Mond höherstieg. Als
nur noch der Rand der Sonne sichtbar war und das Feuer am
westlichen Himmel zu Rosa- und Purpurrotschattierungen verlosch,
erkl?rte Meggan, es sei Zeit, aufzubrechen. »Es wäre klug,
abzusteigen, solange noch ein wenig Tageslicht herrscht.« Con
stimmte ihr zu. »Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, dass es
hier keine richtige Dämmerung gibt. Es wird so schnell dunkel.«
»Heute Abend nicht, der Mond wird das Land fast taghell
erleuchten.« Barney dominierte das Gespräch auf dem Heimritt, indem
er endlose Fragen stellte, die Con mit demselben Ernst
beantwortete, mit dem er auch einem Erwachsenen begegnen würde.
Manchmal betraf eine Frage oder eine Antwort auch Meggan. Die
meiste Zeit ritt sie schweigend und erfreute sich an der Nacht, dem
Mondlicht und der Gegenwart des Mannes, der neben ihr ritt. Als sie
das Haus der Heilbuths erreichten, nahm der Stallbursche Bertie
ihnen die Pferde ab. Barney lief voraus ins Haus und erklärte, er
sterbe vor Hunger. Meggan und Con folgten ihm langsamer in
geselligem Schweigen. Am Eingang zum Küchenhof blieb er stehen und
nahm ihre Hand. »Vielen Dank, dass Sie diese Erfahrung heute Abend
mit mir geteilt haben, Meggan. Jetzt habe ich noch eine Erinnerung,
die ich den anderen, die ich hege, hinzufügen kann.«
»Erinnerungen?« »An Sie.« Er senkte den Kopf, und seine Lippen
strichen so rasch und so leicht über ihre, dass sie sich nicht
sicher war, ob sie es wirklich gespürt hatte. Er lächelte – sein
ureigenes rätselhaftes, leicht amüsiertes Lächeln. »Vielen Dank«,
sagte er noch einmal, und Meggan blieb nichts anderes übrig, als
weiter neben ihm herzugehen, statt wie eine dumme Naive die Flucht
anzutreten.