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Meggan! Meggan, meine Liebe.« Mrs. Heilbuth, deren rundes, hausbackenes Gesicht ganz rot war und in deren Augen das Funkeln unterdrückter Aufregung stand, stürzte in das kleine Hinterzimmer, wo Meggan den Zwillingen Unterricht erteilte. »Was ist, Mrs. Heilbuth?«, fragte Meggan. Auch die Kinder starrten ihre Mutter an, die ihnen abwesend ein Lächeln schenkte. »Mr. Heilbuth ist gerade aus Adelaide zurückgekehrt. Er hat zwei Besucher mitgebracht.« »Wie schön für Sie.« Grasslands lag rund hundert Meilen und eine Zweitagesreise von Adelaide entfernt, und Besucher waren auf der Schaffarm der Heilbuths stets willkommen. »Ich soll Ihnen wohl heute Abend etwas vorsingen.« Meggan sagte dies mit einem Lächeln. In den vier Jahren, da sie bei den Heilbuths war, gewährte ihr die Unterhaltung von Besuchern ebenso viel Freude wie ihren Zuhörern. »Ja, ja. Aber, oh, meine Liebe, es ist so aufregend.« Mrs. Heilbuth drückte wie ein Kind, das ein wunderbares Geheimnis in Händen hält, eine Hand auf die Brust. »Unsere Besucher kommen aus derselben Gegend von Cornwall wie Sie und glauben, dass Sie sie kennen.« Meggan zog vor Schock zischend den Atem ein. Besucher aus Cornwall? Wen aus Pengelly kannte sie, der bei den Heilbuths zu Besuch weilen könnte? Bergleute wohl kaum, aber vielleicht Dr. Gribble mit seiner Frau oder sogar der Geistliche von Pengelly, derjenige, der sich geweigert hatte, Caroline in geweihter Erde zu beerdigen. Wer auch immer sie waren, Meggan wollte sie nicht hierhaben, so nah bei ihrer Familie in Burra. ?Wer sind diese G?ste?? »Wenn ich Ihnen ihre Namen verrate, verderbe ich Ihnen die Überraschung. Jetzt kommen Sie mit, meine Liebe, und lernen Sie sie kennen.« »Ich …« Meggan schaute an sich hinunter. Die Kinder hatten mit Wasserfarben gemalt, und einige farbige Streifen hatten den Weg von Barneys Pinsel auf die Ärmel ihres Kleids gefunden. Da sie aus Erfahrung wusste, dass Barney seine Farben großzügig verteilte, trug sie eins ihrer alten Kleider, ein blau geblümtes Musselinkleid, das am Saum ein wenig fleckig war und am Kragen geflickt. »Ich sollte mich umziehen. Ich bin nicht angemessen gekleidet, um Besucher zu empfangen.« »Reden Sie keinen Unsinn. Natürlich sind Sie gut gekleidet. Sie wissen ganz genau, dass wir hier draußen nichts auf Förmlichkeiten geben. Sie sehen immer bezaubernd aus, egal was Sie tragen.« Meggan machte den Mund auf, um noch etwas zu sagen, doch Mrs. Heilbuth hatte sich schon an ihre interessiert lauschenden Kinder gewandt: »Barney, du und Sarah könnt in die Küche gehen und Cookie bitten, euch etwas zu essen zu geben. Und macht keine Dummheiten.« Meggan machte den Mund wieder zu, während die Zwillinge flink die Stühle zurückschoben, um eilig in der Küche zu verschwinden. Da also sämtlichen Einwänden widersprochen worden war, strich sie ihren Rock glatt, steckte mit nervösen Fingern ein paar lose Haarsträhnen fest und folgte Mrs. Heilbuth. Statt durch das Haus zu gehen, ging Mrs. Heilbuth über die seitliche Veranda, zu der sich zuerst das Schulzimmer öffnete, dann Meggans Zimmer, danach das Zimmer der Zwillinge und das Elternschlafzimmer. Die Veranda führte weiter an der Vorderseite des Hauses entlang. In einem weiteren langen Flügel mit Türen, die sich auf die vordere Veranda öffneten, lagen das Wohnzimmer, Mrs. Heilbuths Salon und zwei der vier Gästezimmer. Die anderen beiden Gästezimmer, das Speisezimmer und Mr. Heilbuths Arbeitszimmer gingen von einem Durchgang ab, der hinter den vorderen Zimmern vorbeiführte. Zwischen den beiden Flügeln erstreckte sich von der Vorderseite des Hauses bis zur Rückseite eine breite Halle. Sie führte in den Küchenhof, zu dem das Schulzimmer ebenfalls eine Tür hatte. Das Zimmer der Köchin und die Spülküche lagen seitlich vom Hof gegenüber dem Schulzimmer. Die lange Küche, ein Bad und eine Waschküche bildeten die vierte Seite. Ein Durchgang zwischen Küche und Waschküche führte zum äußeren Hof und zu den Gärten des Anwesens und zu der Milchküche mit den dicken, kühlenden Mauern, wo Mrs. Heilbuth ihren Käse machte. Anfangs war Meggan fasziniert gewesen von dem für sie neuen besonderen Zimmer, in dem es eine Badewanne gab und wo man vom Waschkessel in der angrenzenden Küche heißes Wasser einlaufen lassen konnte, doch inzwischen hatte sie sich längst an den Komfort eines großen, massiven Herrenhauses gewöhnt. Sie scheute sich auch nicht, mit Gästen am Tisch zu sitzen. Mrs. Heilbuth hatte sich um Meggans Erwachsenwerden gekümmert. Aus der lebhaften Bergmannstochter war inzwischen eine redegewandte junge Frau geworden, die sich in jeder Gesellschaft behaupten konnte. An der Tür zum Salon blieb Mrs. Heilbuth stehen, warf Meggan ein aufgeregtes Lächeln zu, nahm sie bei der Hand und drängte sie, als Erste einzutreten. Ein Schritt ins Zimmer hinein, und Meggan blieb wie angewurzelt stehen. Sie spürte, wie ihre Gesichtszüge vor Schock erstarrten. So viele Namen waren ihr zwischen dem Schulzimmer und dem Salon durch den Kopf gegangen, doch ausgerechnet dieser nicht. Plötzlich war sie wieder zwölf Jahre alt und schlug die Augen auf, da saß Con Trevannick auf einem Fels und lauschte ihrem Gesang. Er blickte sie jetzt mit derselben fragenden Miene an. Er hatte sich nicht verändert. Die Jahre, in denen sie vom Mädchen zur jungen Frau herangewachsen war, schienen an ihm spurlos vor?bergegangen zu sein. Meggan merkte, dass sie ihn anstarrte, konnte den Blick jedoch nicht von seinem Gesicht lösen. Nur er allein schien im Raum zu existieren. Con Trevannick. Hatte sie ihn je wirklich vergessen? War er nicht immer da gewesen, irgendwo in den tiefsten Regionen ihres Geistes? Hatte sie nicht gewusst, dass sie dazu bestimmt waren, sich eines Tages wiederzusehen? Der Bann wurde gebrochen, als er mit ausgestreckter Hand einen Schritt machte, um nach ihrer Hand zu greifen. »Meggan, meine kleine Zigeunernixe. Ich sehe, dass Sie sich an mich erinnern.« Meggan spürte, dass er nach ihrer Hand griff. Kleine Zigeunernixe. Auch diesen neckenden Kosenamen hatte sie nie vergessen. Sie blinzelte und konzentrierte sich wieder auf sein Gesicht. Das unwirkliche Gefühl wollte nicht von ihr weichen, also blinzelte sie noch einmal, während sie nach ihrer Stimme suchte, die sie verloren zu haben schien. Nach einer – wie es ihr schien – Ewigkeit fand sie sie endlich wieder. »Wie geht es Ihnen, Mr. Trevannick?« Seine Lippen verzogen sich zu dem halb amüsierten Lächeln, an das sie sich so gut erinnerte. »Sehr gut. Und Ihnen geht es zweifellos auch sehr gut.« Die offene Bewunderung in seinen Augen ließ sie den Blick senken. Sie versuchte, die Hand sanft aus seinem Griff zu lösen, doch er war nicht bereit, sie loszulassen. »Ich war erstaunt«, fuhr er fort, »als George Ihren Namen erwähnte. Doch lassen Sie mich Ihnen Jenny vorstellen.« Erst jetzt richtete Meggan den Blick auf die junge Frau, die auf dem braunen Samtsofa saß, und keuchte auf. Der Schock war fast mehr, als sie ertragen konnte. Bis auf die Tatsache, dass die Augen der jungen Frau eher grau denn blau waren, hätte es Caroline sein können, die da im Salon der Heilbuths saß. Jetzt war es unmöglich, die Wahrheit zu leugnen, die sie aus Will herausgepresst hatte. Die junge Frau, die sie mit einem z?gernden L?cheln anschaute, war der lebende Beweis daf?r, dass Carolines Vater in der Tat Phillip Tremayne gewesen war. Meggan verspürte den fast überwältigenden Drang, aus dem Raum zu stürzen, vor einer Vergangenheit wegzulaufen, die, wenn auch nicht vergessen, so doch noch tiefer vergraben gewesen war als ihre Erinnerung an Con Trevannick. Jetzt war sie auf einer Schaffarm in Südaustralien wieder mit dieser Vergangenheit konfrontiert. So weit weg von Cornwall und Pengelly, und doch nicht weit genug. Und sie bekam auch nicht die Gelegenheit, das Durcheinander in ihrem Kopf zu sortieren. Con Trevannick zog sie mit sich, die Heilbuths strahlten, und ihre guten Manieren hinderten sie daran, eine Szene zu machen. Jenny Tremayne stand auf, um sie zu begrüßen, und Meggan stellte überrascht fest, dass auch sie nervös war. Nach der Bekanntmachung nickten sie einander zu, fragten gestelzt: »Wie geht es Ihnen?«, und hatten sich weiter nichts zu sagen. Jenny Tremayne nahm wieder Platz. Mrs. Heilbuths stattliche Gestalt ließ sich auf dem passenden Sofa gegenüber nieder und klopfte auf das Kissen neben sich, um Meggan aufzufordern, sich zu ihr zu setzen. Die liebe, gute Mrs. Heilbuth malte sich sicher aus, sie hätte Meggan die schönste Überraschung bereitet und diese hätte mit den Besuchern aus ihrem Heimatdorf vieles zu bereden. Stattdessen trat Meggan einen Schritt zurück. »Ich sollte wieder zu den Kindern gehen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen.« Mrs. Heilbuth war enttäuscht. »Es ist in Ordnung, wenn Sie eine Weile bleiben, Meggan.« Meggan schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht bleiben, nicht solange sie so unter Schock stand. »Ich hätte das Gefühl, meine Pflichten zu vernachlässigen.« Sie nickte dem Mann und der jungen Frau knapp zu. »Ich hoffe, Sie genießen Ihren Besuch in Burra.« Dann floh sie eilig, doch nicht zu den Kindern, sondern in ihr Zimmer, wo sie sich mit geschlossenen Augen r?cklings an die geschlossene T?r lehnte und ihren wirren Gef?hlen freien Lauf lie?. Warum, oh, warum nur waren sie hierhergekommen, um Erinnerungen an eine schmerzliche Vergangenheit wachzur?tteln? Und Jenny Tremayne sah Caro so ?hnlich. Was, wenn ihre Ma sie sah? Ma war nicht mehr dieselbe, seit Caroline sich das Leben genommen hatte. Während der letzten Monate in Cornwall hatte sie kaum ein Wort mit jemandem gesprochen, nicht einmal mit ihrer eigenen Familie. Auch auf der Reise nach Australien hatte sie sich, so gut es auf dem überfüllten Auswandererdeck möglich war, abgesondert. Seit ihrer Ansiedlung in Burra ging sie in die methodistische Kirche, und ihre religiöse Hingabe wurde allmählich zur Obsession. »Ich muss das tun«, erklärte sie ihrer Familie, die sie nur bei ganz seltenen Gelegenheiten begleitete, »um Carolines Seele zu retten.« Sie widmete freimütig einen Großteil ihrer Zeit, um Menschen in Not zu helfen – »um vor den Augen des Herrn Erlösung zu finden«. Wie mochte ihre Ma auf den Anblick von Jenny Tremayne reagieren? Meggan hatte keine Ahnung, nur das sichere Gefühl, dass aus dieser Begegnung nichts Gutes erwachsen würde. Es war sinnlos, darüber zu grübeln, warum die beiden nach Burra gekommen waren. Die Gegend hier besaß keinerlei Reize, die Besucher anziehen mochten. Die runden Hügel waren baumlos, die wenigen Bäume, die darauf gestanden hatten, waren längst gefällt worden, um die hungrigen Kessel der Pumpenhäuser und der Schmelzhütten zu füttern. Die Sommer waren heiß, die Winter kalt. Der Qualm von den Schmelzhütten durchdrang die Luft, und die Grubengebäude dominierten alles. Meggan konnte nur hoffen, dass der Besuch von kurzer Dauer war und das Paar wieder abreiste, bevor ihre Familie etwas von ihrer Anwesenheit erfuhr. Und Tom Roberts! Du lieber Gott, was würde Tom wohl tun, wenn er ihnen begegnete? Von dem Tag an, an dem Caroline starb, hatte er seinen intensiven Hass gegen die Tremaynes gesch?rt. Klatsch und Tratsch hatten bald das Ihre dazu getan. Auch Tom hatte sich ver?ndert. Im Laufe der Jahre war er seinem Vater immer ?hnlicher geworden. Oft betrunken, h?ufig gewaltt?tig, war er jetzt ein Mann, dem man besser nicht in die Quere kam. Meggan ging zu ihrem Bett, setzte sich darauf und vergrub den Kopf in den Händen. Ihres Wissens wusste Tom nur, dass Caroline Rodneys Kind erwartet hatte. Die Bestätigung, dass dieser Klatsch wahr war, hatte er buchstäblich aus Will herausgeprügelt. Würde Tom, falls er Jenny Tremayne begegnete, den ihm bis dato nicht bekannten Teil der Geschichte erraten? Welche Büchse der Pandora würde dann geöffnet werden? Mit einem aufgewühlten Seufzer stand Meggan auf, ging zu dem Waschständer und goss aus dem Wasserkrug mit dem Rosenmuster Wasser in die dazu passende Waschschüssel. Ein feuchtes Handtuch ans Gesicht zu pressen half ihr, sich ein wenig zu beruhigen. Bis sie ihre Haare gelöst, gebürstet und wieder ordentlich festgesteckt hatte, waren ihre Gefühle wieder im Gleichgewicht. Es war sinnlos, sich mit dem zu quälen, was passieren konnte, denn womöglich passierte überhaupt nichts Dramatisches. Sie atmete tief durch, ermahnte sich, vernünftig zu sein, und ging die Kinder suchen. Bruder und Schwester waren im Küchenhof und spielten unter dem aufmerksamen Blick der Colliehündin Bess mit deren Welpen. »Was für eine gute Idee.« Meggan setzte sich auf das Kopfsteinpflaster neben die Kinder und war genauso verzaubert wie die Zwillinge. Mit ihren acht Wochen waren die Welpen entzückende verspielte Fellbällchen. Einer krabbelte sofort auf Meggans Schoß. »Das ist Alice«, erklärte Barney ihr. »Oh?« Meggan rollte den Welpen herum, um ihm den Bauch zu kitzeln, und die Zwillinge kreischten vor Lachen, als ein kleines Hinterbein unkontrolliert durch die Luft tanzte. Lachend kitzelte Meggan absichtlich mal heftiger und mal zarter, um das Kitzeln dem Rhythmus des tanzenden Beins anzupassen. ?Alice ist ein h?bscher Name, Barney, au?er dass das hier ein kleiner Junge ist.? »Tatsächlich? Den hier nenne ich Roger.« Ein weiterer Welpe wurde auf Meggans Schoß gehoben. »Er kann Roger sein. Er ist ein kleiner Hundejunge.« Barney nahm den ersten Welpen aus Meggans Schoß und drehte ihn auf den Rücken, um seine Unterseite genauso in Augenschein zu nehmen wie Meggan. »Woher wissen Sie, wer ein Junge und wer ein Mädchen ist? Haben sie was am Bauch?« »Oh, also …« Meggan schaute die stille Sarah an, die ihre Erklärung mit demselben Interesse zu erwarten schien wie ihr Bruder. Gütiger Himmel, dachte Meggan, wie soll ich bloß Sechsjährigen den Unterschied zwischen Welpenmädchen und Welpenjungen erklären? In ein paar Jahren würden sie es sicher selbst herausfinden, schließlich lebten sie auf einer Schaffarm und hatten eine Vielzahl von Tieren um sich herum. Inzwischen warteten die Kinder auf ihre Antwort. Sie machte Ausflüchte. »Erwachsene wissen so etwas. Ich weiß, dass du ein Junge bist und Sarah ein Mädchen. Und ich weiß auch, dass Roger und Alice beides Hundejungen sind.« »Woher?« »Ich … ich weiß es einfach, mehr nicht. Du stellst zu viele Fragen, Barney.« »Aber Sie haben doch gesagt, es ist gut, Fragen zu stellen, um etwas über die Dinge zu lernen.« Ein tiefes Kichern, an das sie sich nur allzu gut erinnerte, erlöste Meggan aus der Verlegenheit, eine Antwort zu finden, während es sie gleichzeitig noch tiefer in Verlegenheit stürzte. Sie schaute auf und sah Con Trevannick an der Rückwand des Hauses lehnen. Wie lange beobachtete er sie schon? »Setzen die Kinder Ihnen immer so zu?«, wollte er wissen, trat näher und hockte sich neben sie, um mit den Ohren des Welpen namens Alice zu spielen. Sarah, die eher schüchtern war, ließ den Kopf hängen. Meggan, die an sich nichts dabei fand, mit den Kindern auf dem Kopfsteinpflaster zu sitzen, fand ihre Situation jetzt, wo sie mit den Kindern nicht mehr allein war, wenig schicklich. Sie stand so anmutig wie möglich auf, den Welpen noch auf dem Arm. Barney plauderte über die Welpen, als spräche er mit jemandem, den er schon sein ganzes Leben lang kannte. »Sir, wissen Sie, wie man Welpenjungen von Welpenmädchen unterscheidet?« »Barney!« Meggans verlegene Ermahnung wurde durch den amüsierten Blick, der sie aus Con Trevannicks Augenwinkel traf, nur noch verschärft. »Bitte entschuldigen Sie uns, Mr. Trevannick, die Kinder sollten zurück zu ihren Lektionen.« Er stand ebenfalls auf und blickte ihr herausfordernd ins Gesicht. »Laufen Sie schon wieder weg, Meggan?« Sie spürte, dass die Röte auf ihren Wangen sich vertiefte, und wusste sehr wohl, dass ihr Gesicht die Verwirrung verriet, die sie empfand. Sie senkte die Lider, um ihre Augen vor seinen forschenden Blicken zu verbergen, und bückte sich, um Sarah aufzuhelfen und den Welpen abzusetzen. »Komm, Barney. Morgen kannst du wieder mit den Welpen spielen.« Barney stand mit einem widerstrebenden Murren auf. »Aber ich weiß immer noch nicht, wie man einen Jungen von einem Mädchen unterscheidet.« Wieder kam Cons tiefes Kichern Meggans Antwort zuvor. »Ganz schön hartnäckig, was?«, murmelte Con. Ungeachtet ihrer anderen Gefühle musste Meggan über sein Amüsement lächeln. »Was ist so lustig?« Barney beäugte die Erwachsenen misstrauisch. »Überhaupt nichts«, versicherte Con ihm. »Soll ich Ihnen aushelfen? ?, fragte er Meggan, immer noch ein Lachen in den Augen. Und schon kniete er sich hin und nahm einen Welpen auf den Arm. Er drehte ihn um, um einen guten Blick zwischen seine Hinterbeine werfen zu k?nnen. ?Das hier ist ein M?dchen, und das hier?, er hob einen weiteren Welpen hoch, ?das ist ein Junge. Siehst du, dass sie unterschiedlich gebaut sind?? Barney machte sich daran, sämtliche Welpen zu untersuchen. Sarah ließ rasch Meggans Hand los, um ihrem Bruder zu helfen. Ihrer unerleuchteten Miene nach zu urteilen, hatte sie offensichtlich keine Ahnung, welchen Körperteil der Welpen ihr Bruder so beflissen studierte. »Jetzt verstehe ich es.« Barney nickte zufrieden. »Jungen haben …« Er unterbrach sich, sah erst seine Schwester und dann Meggan an und stand dann auf, um dem Mann hinter vorgehaltener Hand etwas ins Ohr zu flüstern. »Ganz genau«, pflichtete Con ihm bei. »Deswegen sind Jungen Jungen und Mädchen Mädchen.« Er stand auf und schaute Meggan wieder auf eine Art und Weise an, die ihr den Atem verschlug. Sie wandte sich hastig ab, zog Sarah mit sich und befahl Barney, ihnen zu folgen. Zurück im Schulzimmer, erteilte sie den Kindern die Aufgabe, ihre Buchstaben zu üben. Da dämmerte Meggan allmählich, wie unhöflich sie gewesen war. Was hatte dieser Mr. Trevannick an sich, dass sie ihre guten Manieren in seiner Gegenwart stets vergaß? Warum konnte er sie so aufstacheln? Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, muss ich mich entschuldigen, dachte sie, auch wenn sie sich dabei noch unbehaglicher fühlen würde. In den Jahren seit ihrer Kindheit war ihr freier und widerspenstiger Geist gezähmt, jedoch nie gebrochen worden. Meggan war immer noch ganz sie selbst. Unterwürfigkeit ging ihr immer noch so sehr gegen den Strich wie früher. Wie glücklich sie sich schätzen konnte, diese Position bei der Familie Heilbuth gefunden zu haben. Vom allerersten Tag ihrer Stellung an war sie eher als Familienmitglied denn als Hausangestellte behandelt worden. Sie liebte die Zwillinge und empfand gro?e Zuneigung zu deren Eltern. Darin lag mehr Grund zur Sorge als in dem, was Mr. Trevannick von ihrer Unhöflichkeit halten mochte. Falls er ihr schlechtes Benehmen erwähnte, würde es der guten Meinung der Heilbuths über sie Abbruch tun. Das allein wäre schon schlimm genug, doch gänzlich unerträglich fände sie es, wenn die Heilbuths von ihrem Benehmen enttäuscht wären. Vielleicht, dachte Meggan, war doch richtig, was Ma immer behauptete: Ihr Stolz würde eines Tages noch ihr Untergang sein. Obwohl sie sich immer noch Sorgen machte, verging der restliche Vormittag wie immer, ohne dass sie noch einmal mit den Besuchern aus Pengelly zusammentraf. Das Mittagessen im Haus war normalerweise eine zwanglose Angelegenheit, die Familie aß in der Küche. Doch wenn Gäste auf Grasslands waren, wurden die Mahlzeiten im Speisezimmer eingenommen. Meggan und die Zwillinge aßen normalerweise trotzdem in der Küche. Mrs. Heilbuth schlug ihr vor, bei dieser Gelegenheit könne sie sich gerne zu den Gästen gesellen, doch Meggan lehnte ab. Dass das Paar aus Pengelly kam, war noch lange kein Grund, erklärte sie ihrer Dienstherrin, alles auf den Kopf zu stellen. Ganz abgesehen von dem Wunsch, diesen speziellen Besuchern aus dem Weg zu gehen, zog Meggan die Gemütlichkeit der Küche der Förmlichkeit des Speisezimmers bei weitem vor, besonders tagsüber. Bei den Gelegenheiten, da Meggan formell mit ihren Dienstherren und Gästen zu Abend speiste, amüsierte sie sich jedoch stets. Sie besaß jetzt zwei hübsche Abendkleider, die ihr beide sehr gut standen, und unter Mrs. Heilbuths sorgfältiger Anleitung hatte sie mühelos Etikette und gesellschaftliche Umgangsformen entwickelt. Im Gegensatz zu dem Speisezimmer mit seinem eleganten Mobiliar konnte man die Küche nur als schlicht bezeichnen. Sie hatte einen h?hlenartigen Kamin zum Kochen, auf dessen erh?hten seitlichen Simsen Schmort?pfe und Eisent?pfe mit Deckeln standen. Blankpolierte Kupferkannen und Pfannen waren auf dem schweren Sims ?ber dem Kamin aufgereiht. An einer Wand stand ein schwerer Eichenschrank und in der Mitte, flankiert von zwei langen B?nken, der Tisch, den Mr. Heilbuth aus eigenh?ndig gef?llten B?umen bei der Gr?ndung des Hausstands gezimmert hatte. Cookie, eine freundliche, mütterliche Frau, hätte von ihrer Natur her eigentlich einen üppigen Busen und dieselbe gemütliche Rundlichkeit besitzen müssen wie Mrs. Heilbuth. Doch stattdessen war sie groß und schlank und erinnerte äußerlich eher an eine Lehrerin denn an eine Köchin auf einer Farm. Sie war Mitte vierzig und kinderlos, was ihren Mann, einen Schäfer, ebenso schmerzte wie sie selbst, und sie liebte die Zwillinge abgöttisch. Die beiden hielten Cookie – nach Meggan – für »den bestesten Menschen auf der ganzen Welt«. »Wir haben Besuch«, verkündete Barney in der Annahme, Cookie müsse informiert werden. »Ich weiß, kleiner Mister Barney. Auch aus Cornwall, wie man hört.« »Meggan kennt sie.« »Tatsächlich?« Cookie drehte sich mit überraschter Miene um. »Cornwall ist nicht sehr groß«, sagte Meggan. Cookie war im Outback von Neusüdwales geboren und aufgewachsen und konnte sich kein Land vorstellen, wo man leicht von einem Dorf zum nächsten spazieren konnte. »Mir ist zu Ohren gekommen, es sind Angehörige der Gentry?« »Ja.« »Oh, ich wollte Sie nicht kränken, Meggan, meine Liebe. Ich habe immer gehört, dass der Standesunterschied zwischen Gentry und gewöhnlichen Menschen in England viel größer sei als in den Kolonien.« »Das stimmt.« Meggan unterbrach sich, kam dann aber zu dem Schluss, dass Cookie eine befriedigendere Antwort verdient hatte. ?Miss Tremaynes Vater ist der Besitzer der Grube, in der meine Familie gearbeitet hat.? »Sie waren sicher überrascht, sie hier zu sehen.« »Allerdings.« »Und Mrs. Heilbuth hat Sie hinzugeholt, sobald sie ankamen. War Ihre Familie in Cornwall gut mit ihnen bekannt?« »Nicht mehr als die meisten anderen im Dorf.« Bitte, hör auf, Fragen zu stellen, flehte Meggan im Geiste. »Barney, halt deine Gabel anständig.« »So, Meggan?«, fragte Sarah. »Ja. Ja, genau so, Barney.« »Tut mir leid, Meggan, hab’s vergessen.« Seliges Schweigen für eine kurze Minute, bevor Barney wieder das Wort ergriff. »Cookie, wissen Sie, wie man einen Welpenjungen von einem Welpenmädchen unterscheidet?« »Barney!« Cookie kicherte. »Schon gut, Meggan. Er war immer schon wissbegierig.« »Was bedeutet ›wissierig‹?« »Es bedeutet, dass du zu viele Fragen stellst«, antwortete Meggan. »Und jetzt sei still und iss.« Der Junge verzog das Gesicht, senkte den Blick auf seinen Teller und legte die Hände mit Messer und Gabel darin links und rechts vom Teller ab. Sarah beobachtete ihren Bruder. »Barney weint gleich.« Das hatte Meggan auch schon bemerkt. »Was ist los, Barney?« »Sie finden, ich bin ungezogen«, antwortete der Junge mit einem Schniefen. »Das habe ich nicht gesagt.« »Sie haben gesagt, ich würde zu viele Fragen stellen. Das haben Sie gesagt, als wir mit den Welpen gespielt haben.« »Oh, Barney, das sollte aber nicht heißen, dass du ungezogen bist.« »Und warum ist es falsch, Fragen zu stellen?« »Du kannst so viele Fragen stellen, wie du willst, Barney. Aber manchmal wissen die Erwachsenen auch nicht alle Antworten.« »Ich wette, Mr. Tvannick weiß sie.« »Dann habt ihr die Besucher schon kennengelernt.« Cookie fand, es sei an der Zeit, sich einzumischen. Meggan wirkte schon ein wenig entnervt, und der junge Barney konnte, das wusste sie nur zu gut, so eine »Warum«-und-»Warum nicht«-Diskussion endlos fortführen. Barney strahlte sofort. »Mr. Tvannick hat mir gezeigt, wie man einen Welpenjungen von einem Welpenmädchen unterscheidet.« »Also, ist das nicht toll?« Cookie strahlte. »Aber ich weiß es nicht«, beschwerte sich Sarah. »Mädchen brauchen das nicht zu wissen«, erklärte Barney seiner Schwester mit der Überlegenheit dessen, der männlichen Geschlechts ist und zehn Minuten älter. »Warum nicht?« Meggan seufzte. Cookie kicherte. »Ich denke«, sagte Meggan, »das war jetzt genug über Welpen. Und jetzt seid ihr beide still und esst euer Mittagessen.« Meggans Tonfall duldete keinen Widerspruch, und die Zwillinge taten, wie ihnen geheißen. Als sie fertig waren, fragten sie, ob sie vom Tisch aufstehen könnten. Meggan wusste, dass sie direkt zu den Welpen laufen würden. Cookie und sie konnten jetzt in Ruhe noch eine Tasse Tee trinken, bevor die letzten Vorbereitungen für das Mittagessen der Heilbuths und ihrer Gäste anstanden. »Sie sind heute nicht ganz Sie selbst«, bemerkte Cookie, als sie den Tee einschenkte. Meggan seufzte. »Stimmt.« »Das sind natürlich die Besucher.« »Ja. Es war ein ganz schöner Schock.« »Sie sagten, Sie kennen sie?« »Miss Tremayne bin ich noch nie begegnet. Und Mr. Trevannick kannte ich nur flüchtig.« »War die Bekanntschaft freundschaftlich?« »Ziemlich freundschaftlich, was ihn anging.« Sie lächelte reumütig bei der Erinnerung. »Ich fürchte, ich war als Kind ihm gegenüber ziemlich ungehobelt.« »Sie? Niemals.« Schweigen. »Wollen Sie darüber reden?« Meggan schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.« Cookie musterte sie einen Augenblick und sah mehr, als Meggan für möglich hielt. Sie nickte wie zu sich selbst. »Das ist in Ordnung, meine Liebe. Aber Sie wissen, wenn Sie je etwas auf dem Herzen haben, dann habe ich ein Ohr, das zuhören kann, und eine Schulter, an der Sie sich ausweinen können.« »Ich weiß, Cookie.«  
Als die Zwillinge zum Mittagsschlaf in ihrem Schlafzimmer verschwunden waren, zog sich Meggan, wie sie es gewohnt war, in ihr Zimmer zurück. Sie würde den Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten, bevor sie sich wieder an die mühsame Arbeit machte, den Rock zu nähen, den sie sich vor einigen Tagen zerrissen hatte. Unter der unaufhörlichen Kritik ihrer Mutter hatte sie einigermaßen akzeptable Stiche erlernt. Barney war ein typischer Junge, der sich ständig die Kleider zerriss und Knöpfe verlor, und das Flicken war eine Aufgabe, die Meggan, auch wenn sie ihre Abneigung gegen das Nähen nie überwunden hatte, als kleinen Preis für ihr glückliches Leben gerne auf sich nahm. Sie hatte herausgefunden, dass die Arbeit ihr leichter von der Hand ging, wenn sie leise dabei sang oder ihrer Fantasie erlaubte, nach Belieben zu wandern. An diesem Nachmittag sang Meggan, denn sie wollte nicht dahin reisen, wohin ihr Geist sie entführen wollte. Doch so aufrichtig sie sich auch bem?hte, sich ganz auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, dr?ngten sich Con Trevannick und Jenny Tremayne immer wieder in ihre Gedanken. Und damit kehrten Erinnerungen an die Vergangenheit zur?ck, Gedanken ?ber die Gegenwart und unbeantwortbare Fragen ?ber die Zukunft. Das erste Mal seit Jahren dachte Meggan an den weißen Hasen, den sie damals gesehen hatte. Wie deutlich sie sich an das Geschöpf erinnerte. Es hatte eindeutig eine Aura von Jenseitigkeit an sich gehabt. Die Hände müßig im Schoß und die Augen geschlossen, empfand sie dieselbe Besorgnis wie damals, eine Vorahnung – diesmal nicht einer Tragödie, sondern von etwas, das noch unbekannt war, das sie innerlich jedoch zusammenzucken ließ. Gab es eine Verbindung, sinnierte sie, zwischen der alten Tragödie und der Anwesenheit von Con Trevannick und Jenny Tremayne in Burra? Die Welt war doch sicher nicht so klein, dass ihr Aufenthalt just in der Stadt, in die Henry Collins mit seiner Familie gezogen war, reiner Zufall war. Meggan nahm ihre Näharbeit wieder auf und runzelte über den Stichen die Stirn. Sie überlegte, ob sie mit ihrem Pa über ihre vage Unruhe reden sollte. Das Band zwischen Vater und Tochter, das stets stark gewesen war, war im Laufe der Jahre noch stärker geworden. In seinen Armen hatte sie wegen ihrer Schuldgefühle geweint. Ihm hatte sie ihre qualvolle Angst gestanden, dass sie für Caros Tod verantwortlich war. Andere mochten über den Grund für Carolines Tod sagen, was sie wollten, sie, Meggan, hatte zuerst den weißen Hasen gesehen und dann die jungen Liebenden. Caroline hatte sich das Leben genommen, Rodney Tremayne war weggelaufen, ihre Ma hatte sich in eine harte Schale zurückgezogen, in der es keinen Platz für etwas anderes gab als fanatische Religiosität. Solche Tragödien wurden kaum aufgewogen von dem guten Leben, das der restlichen Familie in Burra zugefallen war. Und dann war da Tom Roberts. Meggan wusste, dass sie allen Grund hatte, ihm gegenüber wachsam zu sein. An jenem Abend kleidete Meggan sich ziemlich nervös zum Abendessen an. Die Versuchung, abzusagen, Kopfschmerzen oder eine andere Unpässlichkeit vorzugeben, war groß. Nur das sichere Wissen, dass Con Trevannick wüsste, sie ginge ihm aus dem Weg, und dass Mrs. Heilbuth sie mit Fragen plagen würde, auf die es keine Antworten gab, hielt sie davon ab. Ganz gegen ihre Natur überlegte sie lange hin und her, was sie anziehen sollte. Einerseits wollte sie ihr bestes Kleid tragen, um sich dem Paar aus Pengelly als ebenbürtig zu präsentieren. Andererseits fand sie es besser, etwas Schlichtes zu tragen, um die Distanz, die sie zu ihnen zu halten wünschte, noch zu unterstreichen. Am Ende fand sie, es sei das Beste, sich so normal wie möglich zu benehmen, und zog ein Kleid aus grau-weiß gestreifter Seide an, das sie häufig zum Abendessen trug. Die Unentschlossenheit hatte dazu geführt, dass sie erst im letzten Augenblick erschien, und so betrat sie das Speisezimmer just in dem Moment, da die anderen sich setzten. Zu ihrer Bestürzung fand sie sich gegenüber dem Mann wieder, der sie so durcheinanderbrachte. Unsicher – ihrer selbst genauso wie ihm gegenüber – bemühte sie sich, den Blick gesenkt zu halten und sich möglichst wenig am Gespräch zu beteiligen. Obwohl er seinem Gastgeber und seiner Gastgeberin die gebührende Aufmerksamkeit schenkte, spürte sie immer wieder seinen Blick auf sich. Mr. Heilbuth erzählte den Besuchern von Burra, seiner Grube und den Lebensverhältnissen in der Stadt. »Sie werden Burra interessant finden, Trevannick. Es ist ein ziemlich großer Ort mit rund fünftausend Einwohnern. Es gibt um die Grube herum fünf einzelne Siedlungen. Die walisischen Schmelzer haben ihre eigene Stadt Llwchwr, dann sind da Redruth, Hampton, Aberdeen und Kooringa. Kooringa ist die Siedlung der Bergwerksgesellschaft. Die South Australian Mining Association, abgekürzt ›Sammy‹, hat für ihre Bergleute Hunderte von Häusern mit drei und vier Zimmern gebaut.« »Dann kümmert sich die Gesellschaft um ihre Leute?« Mrs. Heilbuth nickte. »Auch wenn nicht alle es dankbar annehmen. Viele wollen die wöchentlich sechs bis zehn Shilling Miete nicht zahlen. Sie haben das Gefühl, die Gesellschaft bereicherte sich an ihnen.« »Das ist natürlich lächerlich«, stellte Mr. Heilbuth fest. »Welche Alternative gibt es zum Mieten eines Cottage in der Bergmannssiedlung?« »Steine gibt’s reichlich«, antwortete Mr. Heilbuth. »Man sieht ja, wie viele Steine beim Bau dieses Hauses und der anderen Farmgebäude verwendet wurden. Außerhalb des Grubenareals steht auch sehr viel Land zur Verfügung. Viele haben Steine gebrochen und behauen, um ihre eigenen Häuser da zu bauen, wo sie nicht den Regeln der Bergwerksgesellschaft unterliegen.« »Zu Hause in Cornwall war es allgemein üblich, dass Männer ihre eigenen Häuser bauten«, bemerkte Jenny, die bis dahin zugehört, sich aber nicht am Gespräch beteiligt hatte. Mr. Heilbuth zog die Augenbrauen hoch. »Die Bergarbeiter konnten Land kaufen?« »Nicht kaufen«, antwortete Con Trevannick. »Sie haben auf Land gebaut, das zum Ackerbau nicht zu gebrauchen war und das ihnen auf drei Lebenszeiten verpachtet wurde.« »Wie hat das funktioniert?« »Ein Bergmann konnte für eine nominelle Pacht ein Stück Brachland erhalten. Dann hat er drei Menschen benannt, um die Länge seiner Pachtzeit zu bestimmen. Es galt die Übereinkunft, dass beim Tode desjenigen, der von den drei genannten Personen am längsten lebte, das Land an den Grundbesitzer zurückfiel, der es für den eigenen Gebrauch behalten, verkaufen oder wieder verpachten konnte. Das System versagt, wenn der Cottagebewohner die drei genannten Personen überlebt.« »Bedeutet das, dass der arme Mann, der das Haus gebaut hatte, nichts hatte, wo er leben konnte?« Mrs. Heilbuth war schockiert. Con zuckte die Achseln. »So war, so ist das System in Cornwall. Die Tremaynes haben den Leuten für einen geringen Betrag stets erlaubt, in ihren Häusern zu bleiben. Schließlich wurde der Boden kultiviert, und es war ja auch praktisch, einem Bergmann zu erlauben, in geringer Entfernung zu der Grube zu wohnen, wo er beschäftigt war.« »Dann machen diejenigen, die sich in den Gemeinden von Burra eigene Häuser gebaut haben, nur genau dasselbe, was sie auch in Cornwall getan hätten. Der Vorteil hier ist, dass man das Stück Land, auf dem man baut, auch besitzen kann.« »So scheint es.« Con Trevannick wandte seine Aufmerksamkeit Meggan zu. »Was ist mit Ihrer Familie, Meggan? Wo lebt sie?« »In einem Cottage der Bergwerksgesellschaft. Mein Vater ist, wie in Pengelly, Obersteiger und hat ein komfortables Wohnhaus auf dem Gelände der Grube zur Verfügung gestellt bekommen.« »Ihr Vater hat nicht den Wunsch, Land zu besitzen oder sein eigenes Haus zu bauen?« »Das ist nicht notwendig«, erwiderte sie in der irrationalen Annahme, das sei ein Affront gegen ihren Vater gewesen. »Oh, ich bin mir sicher, Con wollte Sie nicht kränken«, mischte Jenny Tremayne sich ins Gespräch. Überrascht über ihre Sensibilität, schaute Meggan die junge Frau an und richtete dann den Blick wieder auf Mr. Trevannick. »Nein, das wollte ich nicht. Es tut mir leid.« Doch er verzog die Lippen auf eine Art, die nur bedeuten konnte, dass er sich über ihre Reizbarkeit amüsierte. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Essen auf ihrem Teller zu. »Wenigstens wohnen wir nicht im Creek.« »Im Creek?«, wiederholte er, und sie konnte die Verwirrung in seiner Stimme hören. »Sie haben richtig gehört«, bestätigte Mr. Heilbuth. »Es gibt viele, die weder Miete zahlen noch das Land kaufen wollen, auf dem sie ein eigenes Haus bauen könnten. Stattdessen haben sie auf einer Strecke von ?ber einer Meile die B?schungen eines Zuflusses zum Burra Burra Creek ausgegraben.? »Sie meinen so etwas wie Höhlen oder Erdbauten?« »Von außen sehen sie aus wie ganz normale Hütten, einige haben sogar eine Veranda. Hinter der Front wurden die Böschungen ausgegraben, und zwischen den Wohnungen ist gerade noch so viel Erdreich, wie nötig ist, damit es nicht ganz einbricht. Sie wären überrascht, wenn Sie sie von innen sehen könnten. Einige dieser unterirdischen Wohnstätten haben sogar zwei oder drei Zimmer. Innen sind sie weiß getüncht. Die meisten haben links und rechts der Haustür ein Fenster, damit Licht hereinkommt. Viele sind hübsch möbliert, mit guten Möbeln und Teppichen auf dem Boden. Die Familien, die dort leben, betrachten sie als ziemlich behaglich. Die Schornsteine sind entweder mit runden Schornsteinaufsätzen oder Lehmhaufen abgedeckt. Es ist ein ziemlich interessanter Anblick, wenn man die Straße am Bach entlangfährt und unendliche Reihen dieser Schornsteinaufsätze sieht und die Essensdüfte riecht, die daraus hochziehen. Es heißt, ein Mann könnte seinen Schornsteinaufsatz am Duft des Essens erkennen, das darunter gekocht wird.« »Wie faszinierend. Ich nehme an, in diesem Bach ist kein Wasser.« »Am Boden des Bachs ist ein kleines Rinnsal. Die Hütten der Bachbewohner liegen weiter oben in der Böschung.« »Und wenn es regnet?« »Regen führt zu kleineren Überschwemmungen. Im Februar letzten Jahres war eine große Überschwemmung, die rund achtzig Hütten weggeschwemmt hat.« »Ein solcher Vorfall hat die Leute doch sicher abgeschreckt, weiterhin am Creek zu leben.« »Nicht im Geringsten. Bei der letzten Schätzung ergab sich, dass rund sechshundert Familien, etwa achtzehnhundert Menschen, am Bach leben.« »Erstaunlich. Ich würde mir diesen Creek mit seinen unterirdischen Wohnungen gerne ansehen.« »Wir machen mit Ihnen einen Ausflug durch den ganzen Bezirk Burra. Sie werden feststellen, dass es ganz anders ist als in Ihrem kornischen Dorf, von dem Meggan uns sehr viel erzählt hat.« »Kennen Sie jemanden, der am Bach wohnt, Meggan?« Wieder war Meggan genötigt, den Mann anzuschauen, der ihr am Tisch gegenübersaß. »Einige. Tom Roberts und seine Frau Milly, die kurz nach meiner Familie ausgewandert sind, leben im Creek.« »Tom Roberts, ja. Ja, ich erinnere mich an ihn. Der Rest der Familie lebt noch in Pengelly. Ich erinnere mich auch an Milly.« Da gehe ich jede Wette ein, dachte Meggan, die den unmoralischen Ruf der jungen Frau kannte. Und da dieser Gedanke keineswegs freundlich war und dazu noch eine Beleidigung gegenüber Con Trevannick, schob sie ihn rasch beiseite. »Wie geht es Ihrer Familie?«, fuhr er fort. »Sind alle wohlauf?« »Sie sind gesund, vielen Dank.« »Und Sie? Singen Sie noch?« »Unsere Meggan hat eine ganz bezaubernde Stimme«, erklärte Mrs. Heilbuth. »Ich weiß«, murmelte Con. »Ich habe sie vor vielen Jahren einmal singen gehört, am Strand in Pengelly.« Sein angedeutetes Lächeln trieb Meggan Farbe in die Wangen, die noch tiefer wurde, als er hinzufügte: »Ich dachte, ich würde einer Nixe zuhören.« »Das hört sich an, als steckte dahinter eine Geschichte«, bemerkte Mrs. Heilbuth mit mehr als einem angedeuteten Fragezeichen am Ende. »Eine denkwürdige Begegnung. Eine, die ich nie vergessen habe. Ihrer charmanten Farbe nach zu urteilen, erinnert Meggan sich auch noch daran.« »Con«, sagte Jenny Tremayne mit sanftem Tadel. »Hör auf, Miss Collins zu hänseln. Du bringst sie in Verlegenheit.« Sie warf Meggan einen freundlichen, entschuldigenden Blick zu. ?Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang, und er war immer schon ein rechter Qu?lgeist. Achten Sie gar nicht auf ihn.? »Genau das habe ich vor«, antwortete Meggan. »Ich sehe, dass ich Sie um Verzeihung bitten muss«, erklärte er, ohne einen Deut reumütig zu klingen. »Wollen Sie zeigen, dass Sie mir verzeihen, indem Sie heute Abend für mich singen?« Mrs. Heilbuth kam Meggans Antwort zuvor. »Meggan singt immer für unsere Gäste. Sie singt sehr gerne, nicht wahr, meine Liebe? Unsere Gäste erfreuen sich natürlich stets an ihrem Talent. Manchmal habe ich fast ein wenig den Eindruck, unsere regelmäßigen Besucher kommen nicht um unseretwillen, sondern um Meggans Gesang zu hören. Von einem wissen wir genau, dass er nur aus diesem Grund herkommt. Unser guter Freund Mr. Westoby ist einer von Meggans glühendsten Verehrern.« »Tatsächlich?«, fragte Con und zog die Stirn auf eine Weise kraus, die Meggan weit mehr ärgerte als das leichte Geplauder ihrer Dienstherrin. »O ja. Ich bin mir sicher, wenn Sie ihn kennenlernen – wir erwarten ihn in einigen Wochen -, werden Sie sehen, wie sehr er Meggans Stimme schätzt. Mr. Westoby ist ein wohlhabender, ganz vortrefflicher Mann. Er ist Kaufmann und hält einen Anteil an der Mine in Burra Burra. Er besitzt ein stattliches Haus in der Nähe des Torrens River in Adelaide.« Meggan wand sich innerlich. Mrs. Heilbuths Begeisterung war nur mit viel Wohlwollen nicht als Kuppelei zu verstehen. Con zog wieder auf seine typische fragende Art eine Augenbraue hoch. »Ist es nur Ihr Gesang, den er bewundert, Meggan?« »Con!« Doch er achtete nicht auf Jennys empörten Ausruf. Meggan spürte die Hitze in ihren Wangen. Con Trevannick amüsierte sich über ihre Verunsicherung. Meggan war stark versucht, ihm unter dem Tisch einen ordentlichen Tritt zu geben, wie Will ihn zu spüren bekommen hatte, wenn er sie ?rgerte, doch jetzt stemmte sie die F??e fest auf den Boden und antwortete so sachlich wie m?glich. »Mr. Westoby findet, ich sollte Sängerin werden.« »Und wie stehen Sie selbst dazu, eine Karriere als Sängerin einzuschlagen?« Er klang, als interessierte es ihn ehrlich. »Diesen Wunsch habe ich nicht mehr. Ich bin zufrieden mit dem, was ich bin.« Sie lächelte die Heilbuths an. »Ich habe die besten Dienstherren, kann mich um zwei entzückende Kinder kümmern und bin in der Nähe meiner Familie.« Mrs. Heilbuth beugte sich über den Tisch, um Meggan die Hand zu tätscheln. »Sie wissen, dass wir Sie nicht halten würden, wenn Sie eine Gesangskarriere einschlagen wollten, meine Liebe.« »Ich weiß, Mrs. Heilbuth. Einst habe ich mir das mehr gewünscht als alles in der Welt.« »Was hat Ihre Meinung geändert?«, fragte Con. »Ich bin erwachsen geworden«, sagte sie, »und habe die kindischen Träume hinter mir gelassen. Ich habe gelernt, das Leben realistisch zu betrachten.« Dann presste sie die Zähne in die Unterlippe, denn sie hörte einen leisen Hauch von Bedauern in ihrer Stimme. Er kommentierte ihre Aussage nicht, doch eine leichte Veränderung seiner Miene verriet ihr, dass er sich an die tragische Lektion, die sie in jungen Jahren hatte lernen müssen, gut erinnerte.  
Nach Beendigung des Mahls zog die Gesellschaft sich ins Wohnzimmer zurück. Mrs. Heilbuth setzte sich ans Klavier, und Meggan, die sich weit weg wünschte, nahm ihren gewohnten Platz neben dem Klavier ein. Zuerst war sie uncharakteristisch nervös, doch nach wenigen Takten des ersten Lieds verdrängte die Freude am Gesang jeden anderen Gedanken. Sie brachte fünf Lieder dar, bevor sie darauf hinwies, dass ihr Vortrag beendet sei. Con Trevannicks Stimme übertönte den Applaus, um sie um das Lied zu bitten, das sie absichtlich ausgelassen hatte. »Würden Sie bitte Greensleeves singen? Nur für mich.« »Ein sehr schönes Lied«, stimmte Mrs. Heilbuth ihm zu und spielte die ersten Töne auf dem Klavier, bevor Meggan Gelegenheit hatte, ihm seine Bitte auszuschlagen. Mit jedem Wort, das sich von ihren Lippen löste, berührte die Melodie sie weit stärker als je zuvor. Die Menschen, für die sie sang, verschwanden vor ihrem Blick. Stattdessen sah sie sich selbst, wie sie vor sieben Jahren am Strand in Pengelly zwischen den Felsen gekauert hatte. Als der letzte Ton verklang, waren ihre Wangen nass vor Tränen, und Con Trevannick schaute sie auf eine Weise an, die ihr Herz einen Schlag aussetzen ließ. Mit einem gemurmelten »Entschuldigen Sie mich bitte« eilte sie durch die Fenstertüren auf die Veranda, denn sie wollte allein sein, bevor aus den Tränen Schluchzer schmerzlicher Erinnerungen wurden. Ihr erster Gedanke war, die Zuflucht ihres Zimmers aufzusuchen, doch sie wusste, wenn sie sich aufs Bett legte und weinte, würde sie kein Ende finden. Sie musste sich so weit zusammenreißen, dass sie in den Salon zurückkehren konnte. Sie verließ die Veranda und spazierte über den Rasen vor dem Haus zu einer Sitzbank unter einer weinberankten Laube. Dort setzte sie sich hin, um zu weinen und zu trauern, wie sie es nur noch selten tat. Nicht dass sie Caros Tragödie je vergessen hatte. Die Zeit war, wie alle sagten, ein guter Heiler. Das Leben in Südaustralien war gut zu ihr gewesen. Sie war zufrieden und glücklich. Warum hatten die beiden nach Burra kommen müssen, um längst begrabene Gefühle wieder aufzurütteln? Mit einem Seufzer lehnte Meggan den Kopf nach hinten, schloss die Augen und machte sich daran, Gedanken und Gefühle zu sammeln. Sie hatte sich einigermaßen beruhigt, als leise Schritte sie gemahnten, dass sie nicht mehr allein war. Eine lächerliche Angst, dass die Schritte von Con Trevannick stammten, ließ sie ganz starr werden, bis sie die Person sah, deren Schritte sie gehört hatte. Jenny Tremayne kam auf sie zu, das hübsche Gesicht von Sorgen überschattet. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich zu Ihnen setze, Meggan? Ich darf Sie doch Meggan nennen, oder? Und Sie müssen mich Jenny nennen«, fuhr sie fort und setzte sich, nachdem Meggan zustimmend genickt hatte. »Schließlich sollten Sie einmal meine Gesellschafterin werden.« Als sie keine Antwort bekam, stellte Jenny die Frage, die sie quälte. »Hat unser Herkommen Sie so aufgewühlt?« Sie klang ehrlich besorgt, und Meggan schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin nur dumm. Ich singe dieses Lied nur selten. Aus gewissen Gründen erinnert es mich daran, wie meine Schwester gestorben ist.« »Das tut mir leid. Möchten Sie darüber reden?« Meggan schüttelte den Kopf. Jenny seufzte. »Sie sind immer noch aufgewühlt. Sie hätten Con seine Bitte abschlagen sollen.« »Er konnte nicht wissen, wie sehr es mich berührt. Ich habe ja selbst nicht erwartet, dass ich so emotional reagiere. Sie müssen mich alle sehr merkwürdig finden.« »Keineswegs. Mrs. Heilbuth war ziemlich besorgt und Con, wie ich mich freue, sagen zu können, recht reuig. Er wäre Ihnen nachgegangen, wenn ich ihn nicht daran gehindert hätte. Con ist mir sehr teuer, aber er ist nicht immer besonders sensibel. Ich habe gesagt, Sie wollten sicher einen Augenblick allein sein, denn ich habe bemerkt, dass das, was Sie so aufgewühlt hat, etwas sehr Persönliches war.« Meggan sah ihr ins Gesicht. Dies war das längste Gespräch, das sie geführt hatten, seit die junge Frau nach Grasslands gekommen war. Meggan spürte einen ersten Anflug von Freundschaft. Unter ihrem ruhigen Äußeren besaß Jenny Tremayne sowohl Mitgefühl als auch Geist. »Miss Tremayne … Jenny«, fragte Meggan aus einem Impuls heraus, »was hat Sie nach Burra geführt? Sie sind doch sicher nicht hier, um Ferien zu machen?« »Ich versuche, meinen Bruder zu finden.« »Ihren Bruder?« »Rodney. Erinnern Sie sich an ihn?« »Ja.« Meggan schluckte einen Kloß herunter. »Sie wissen wahrscheinlich nicht, dass er sich vor sieben Jahren mit meinem Vater entzweit hat. Er hat sein Zuhause verlassen, und seither haben wir nichts mehr von ihm gehört. Jetzt ist unser Vater sehr krank und möchte sich mit Rodney versöhnen.« Meggan schwieg. Sie wusste, dass Rodney Tremayne nach Carolines Tod weggegangen war. Sie hatte ihn egoistisch und schwach gefunden, als er in dem überdachten Friedhofstor hockte, während Caroline beerdigt wurde. Doch sie hätte sich nie vorgestellt, dass er die Bande zu seiner Familie löste. Hatte auch er die Wahrheit darüber erfahren, wer Carolines Vater war? Und wusste Jenny es? Meggan erkannte, dass sie sehr vorsichtig vorgehen musste. »Ihr Bruder ist weggegangen und nie zurückgekehrt? Wissen Sie, warum?« Jenny schüttelte den Kopf. »Ich habe es nie verstanden. Ich war mit meiner Tante in London und war sehr gekränkt, dass er nicht einmal lange genug gewartet hat, um sich von mir zu verabschieden. Das erste Jahr hat Vater stets behauptet, Rodney werde bald nach Hause kommen, aber er hat nicht einmal eine kurze Nachricht geschickt, um uns wissen zu lassen, dass es ihm gut ginge. Con weiß, warum mein Vater und Rodney sich gestritten haben, aber er sagt es mir nicht. Er behauptet, es sei Sache meines Vaters zu entscheiden, ob ich es wissen solle oder nicht.« »Und Ihr Vater hat es Ihnen nie gesagt?« »Nein. Ich habe ihn einmal danach gefragt, kurz nachdem mir klarwurde, dass Rodney nicht zurückkommen würde. Er sagte, das sei eine Sache zwischen ihm und Rodney. Ich bat ihn noch einmal, es mir zu sagen, bevor wir von Cornwall aufgebrochen sind, doch er wollte es mir nicht anvertrauen.« Meggan wandte den Kopf ab und tat so, als wischte sie sich Tränen aus den Augen. Wie viel schlimmer konnte die Situation noch werden? Jenny Tremayne schien freundlich und nett zu sein, und doch musste Meggan ihr die Wahrheit vorenthalten, die die junge Frau so sehnlichst zu erfahren w?nschte. »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihr Bruder könnte hier sein? In Burra müssten ihn dann viele kennen, doch ich habe seinen Namen hier noch nie gehört.« »Wir auch nicht. Wir sind als Gäste zu den Heilbuths gekommen, weil Con großes Interesse daran hat, etwas vom Land zu sehen. Alles, was wir über Rodney herausgefunden haben, ist, dass er ein Schiff nach Adelaide genommen hat. Con hat eine Anzeige in den Adelaide Advertiser gesetzt in der Hoffnung, wir würden mehr über Rodney erfahren oder sogar von ihm selbst hören.« »Aber das haben Sie nicht.« Wieder sah Meggan sie an. »Nein.« »Das tut mir leid. Ich hoffe, Ihre Suche wird irgendwann erfolgreich sein.« »Das hoffe ich auch. Ich habe sowohl Con als auch meinem Vater gesagt, dass ich erst heiraten werde, wenn Rodney an meiner Hochzeit teilnehmen kann.« »Oh? Sie sind verlobt?« Jenny lächelte. »Es war stets der Wunsch meines Vaters, dass ich Con heirate. Er hat vorgeschlagen, wir sollten heiraten, bevor wir von Cornwall aufbrachen, und dies zu unserer Hochzeitsreise machen. Con war einverstanden, aber, wissen Sie, Meggan«, sie legte ihr verschwörerisch die Hand auf den Arm, »ich kann wirklich sehr stur sein, wenn ich will. Und ich will, dass mein Bruder bei meiner Hochzeit dabei ist.« Meggan lächelte. Sie schloss Jenny Tremayne mit jeder Minute mehr ins Herz. Vielleicht wären sie wahre Gefährtinnen geworden, wenn nicht das Schicksal – oder ein weißer Hase – sich eingemischt hätte. »Vielen Dank, dass Sie mit mir gesprochen haben, Jenny. Ich wünsche Ihnen alles Gute.« »Danke.« Die jungen Frauen standen zusammen auf, und als sie am Haus anlangten, lachten sie beide über Meggans Anekdoten über das Leben in den Kolonien. Con schaute sie an und lächelte ebenfalls. »Das sehe ich gerne.« Jenny lachte ihn an und nahm Meggans Arm mit beiden Händen. »Meggan hat mir wunderbare Geschichten erzählt. Ich bin sicher, wir werden die besten Freundinnen.« »Das freut mich sehr«, sagte Con und schaute Meggan wieder auf eine Art an, die sie sehr verunsicherte. Am nächsten Morgen bekam Meggan die Besucher nicht zu sehen, denn sie hatte alle Hände voll damit zu tun, die Zwillinge zu waschen, ihr Frühstück zu beaufsichtigen und den täglichen Unterricht vorzubereiten. Nach dem Vormittagstee nahm Mr. Heilbuth seinen männlichen Gast mit, um ihm irgendwo auf seinem riesigen Besitz etwas zu zeigen, und Jenny gesellte sich zu Meggan und den Kindern ins Schulzimmer. Zu Meggans Überraschung reagierte die normalerweise recht schüchterne Sarah begeistert auf die Besucherin. Jennys Betragen war so vollkommen natürlich, dass beide Kinder bezaubert waren. Meggan, die die drei beobachtete, dachte, was für eine gute Mutter Jenny werden würde, und erwischte sich bei dem Gedanken an kleine Jungen, die genauso aussahen wie Con Trevannick. Sie schüttelte das Bild aus ihrem Kopf, war sie sich doch nicht einmal sicher, von wo es überhaupt aufgetaucht war. Innerhalb einer Woche wusste sie es. Sie fühlte sich mächtig zu Con Trevannick hingezogen. Eine Anziehung, die sich, so schwor sie sich, niemals zu etwas Tieferem entwickeln durfte. Selbst wenn seine Heirat mit Jenny Tremayne nicht schon längst ausgemacht wäre, war er so weit außerhalb von Meggans Reichweite, wie ein Mann nur sein konnte. Er mochte kein Tremayne sein, doch ein wenig von deren Blut lief auch durch seine Adern. Und die Tremaynes heirateten nie unter ihrem Stand.