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In der Annahme, nur
ihre jüngere Schwester wüsste von den heimlichen Treffen mit Rodney
und nur er allein wüsste um ihr anderes Geheimnis, dachte Caroline
nicht an Joannas mütterliche Instinkte. Und so hatte sie nicht die
leiseste Ahnung, was sie erwartete, als Joanna sie zwei Tage später
bat, nach dem Abendessen einen Spaziergang mit ihr zu machen. Der
Boden war nach dem Regen am Wochenende wieder getrocknet, doch die
Wildblumen entlang der Klippe hatten ihre Frische verloren. Die
beiden Frauen sprachen wenig und nur über Belanglosigkeiten, bis
sie an den Rand der Klippe kamen, wo jemand eine schwere Bank
aufgestellt hatte, auf die sie sich setzen konnten, um über das
Meer zu schauen. Sie saßen schweigend eine Weile da und blickten
beide aufs Meer hinaus, als Joanna das Wort ergriff. »Du bekommst
ein Kind, nicht wahr?« Carolines einzige Antwort war, in Tränen
auszubrechen. Joanna seufzte. »Wie weit bist du?« »Im zweiten
Monat.« »Dann sag mir, mein Mädchen, warum du immer noch vorgibst,
Tom nicht heiraten zu wollen. Dafür magst du ihn offensichtlich
genug. Jetzt kannst du die Heirat nicht länger hinauszögern. Ich
bitte deinen Pa, mit Tom zu sprechen und alle Vorkehrungen zu
treffen.« »Nein!«, rief Caroline gequält. »Bitte nicht!«
»Caroline?« Joanna packte ihre Tochter bei den Schultern, um ihr
ins Gesicht zu sehen, denn sie begriff nicht, was der Grund für die
Angst war, die sie darin sah. ?Was ist los? Hast du Angst vor Tom?
Hat er dir Gewalt angetan?? Joanna geriet ins Zweifeln. Hatte Tom
sie alle get?uscht? War er ein brutaler Mann wie sein Vater? »Nein,
das ist es nicht.« »Und was ist dann das Problem?« »Es ist nicht
Tom.« Caroline hatte so leise gesprochen, dass Joanna ihre Worte
kaum verstanden hatte. Sie zwang sich, die eigene Stimme ganz ruhig
zu halten. »Nicht Tom? Du warst mit einem anderen Mann zusammen?«
»Ja.« »Mit wem?« Als ihre Tochter nicht antwortete, riss Joanna die
Geduld. Sie stand auf, zog Caroline hoch, packte sie an den
Schultern und schüttelte sie. »Wer ist der Vater, Caro? Sag’s mir.«
»Ich kann nicht. Aber ich liebe ihn, Ma, und er liebt mich.« »Du
wirst es mir sagen, Caro, und wenn wir die ganze Nacht hier draußen
bleiben. Ich sag deinem Vater nicht, dass du ein Kind erwartest,
ohne ihm den Namen des Mannes nennen zu können, der dafür
verantwortlich ist.« Caroline hickste ihre Tränen hinunter,
schniefte und fand dann den Mut, ihrer Mutter in die Augen zu
sehen. »Rodney Tremayne.« »Oh, mein Gott.« Joanna ließ die
Schultern ihrer Tochter los. Sie setzte sich schwer auf die Bank,
und sowohl Stimme als auch Miene verrieten ihre Angst. »Sag, dass
das nicht wahr ist, Caro.« »Er liebt mich, Ma. Er hat versprochen,
mich zu heiraten.« Joanna starrte ihre Tochter an und schüttelte,
verzweifelt leugnend, den Kopf. Caroline, die sah, dass sie von
ihrer Mutter keine Unterstützung zu erwarten hatte, wandte sich ab
und senkte beschämt den Kopf. »Du glaubst mir nicht.« Joanna stand
wieder auf, um ihre Tochter zu umarmen, die sie so innig liebte.
»Oh, mein liebes Kind. Dass du so getäuscht wurdest. Das wird
niemals passieren, Caro. Du bist nicht das erste M?dchen, das von
einem Gentleman mit falschen Versprechungen um den Finger gewickelt
wurde.? Caroline machte sich aus den Armen ihrer Mutter frei. »Du
verstehst das nicht. Er liebt mich wirklich, Ma.« »Nun, vielleicht
liebt er dich … jetzt. Doch es ist nun mal so, dass Tremaynes nicht
unsereinen heiraten, Tochter. Es wird das Beste sein, du heiratest
Tom ungesäumt.« »Ich will Tom nicht heiraten. Und Tom wird mich
auch nicht mehr wollen, wenn er hört, dass ich mich von’nem anderen
Mann hab schwängern lassen.« »Das sagst du ihm auf keinen Fall.«
Joanna hatte die Stimme erhoben. »Wenn es kommt, sagst du, es
wär’ne Frühgeburt.« Caroline war schockiert. »Das ist nicht recht!«
Sie konnte sich weder vorstellen, eine solche Lüge auszusprechen,
noch ertrug sie den Gedanken, dass Tom sie in sein Bett führte. Was
mit Rodney ein schöner Akt der Liebe war, würde ihr mit einem
anderen Mann zuwider sein. »Das kann ich nicht, Ma.« »Du kannst und
du wirst, und damit ist die Sache erledigt. Ich red heute Abend mit
deinem Vater. Ich erzähl ihm, das Kind ist von Tom, und morgen
sagst du Tom, dass du ihn heiratest. Er wird keinen Aufschub
wollen. Er hat lang genug gewartet.« »Nein, Ma. Bitte. Sprich
wenigstens zuerst mit Rodney. Falls … falls er mich wirklich auf
den Leim geführt hat, dann geh ich einfach weg. Ich könnt nie einen
anderen heiraten.« »Du wirst Rodney Tremayne niemals heiraten, es
wär also das Beste, du gewöhnst dich an den Gedanken, Toms Frau zu
werden. Ich lass nicht zu, dass du ein uneheliches Kind kriegst. Du
hast ja keine Vorstellung, was für ein Leben dir dann bevorsteht.«
»Warum bist du dir so sicher, dass Rodney mich nicht heiratet?«,
weinte Caroline. »Das kannst du doch gar nicht wissen.« Sie
bemerkte, dass ihre Mutter plötzlich sehr müde wirkte. »Ich weiß
es, Caro. Glaub mir, ich weiß es.« Am nächsten Vormittag wünschte
sich Joanna, sie wäre dem Flehen ihrer Tochter gegenüber, ihren
Zustand wenigstens noch ein paar Tage zu verheimlichen, hart
geblieben. Während sie sorgfältig ihr bestes Kleid anzog, war sie
nach wie vor davon überzeugt, es sei das Beste, wenn Caro Tom
sofort heiratete und ihm niemals sagte, wer der Vater des Kindes
war. Doch sie hatte sich vom fortgesetzten Schluchzen ihrer Tochter
rühren lassen und stand jetzt vor einer Aufgabe, auf die sie gut
und gerne hätte verzichten können. Auf Tremayne Manor angekommen,
ging sie mutig zur Haustür und läutete. Da Meggan bald ihre
Stellung im Herrenhaus antreten sollte, konnten die Bediensteten
nichts Unziemliches dabei finden, dass sie mit Phillip Tremayne zu
sprechen wünschte. Während der Butler wegging, um festzustellen, ob
Mr. Tremayne abkömmlich sei, blieb Joanna allein in der Halle
zurück. Sie bewunderte die herrschaftliche Einrichtung. Ein
prachtvoll gemusterter Teppich lief durch die Mitte, und die
Dielenbretter links und rechts davon waren zu höchstem Glanz
gewienert. An der Wand standen in Abständen einige geschnitzte und
mit Brokat bespannte Stühle. Auf einem kleinen Schrank stand eine
riesige Vase mit frischen Blumen, deren Schönheit der vergoldete
Spiegel verdoppelte. Joanna betrachtete alles eingehend. Im
Vergleich dazu kam ihr ihr eigenes hübsches Cottage sehr ärmlich
vor. Doch Joanna fühlte sich wohl in ihrem Cottage, auf eine Weise,
wie sie sich im Herrenhaus niemals hätte wohl fühlen können. Selbst
wenn ihr ein solches Leben je offengestanden hätte. Innerhalb
weniger Minuten kehrte der Butler zurück. »Mr. Tremayne wird Sie
unverzüglich empfangen, Mrs. Collins. Hier entlang, bitte.« Sie
wurde ins Arbeitszimmer geführt, wo sie nur einen kurzen Eindruck
von der Pracht der Einrichtung bekam, bevor Phillip Tremayne sich
hinter seinem Schreibtisch erhob und vortrat, um sie zu begrüßen.
»Wie schön, Sie zu sehen, Mrs. Collins.« So höflich. So formal. Bis
der Butler sich, auf ein Nicken seines Herrn hin, zurückzog. Dann
nahm Phillip ihre Hand, um sie zu einem Stuhl zu führen. »Joanna.
Du bist schön wie je.« Doch Joanna nahm keine Notiz von der
Bewunderung in seinen Augen, setzte sich auf die vorderste
Stuhlkante, drückte Füße und Knie zusammen und verschränkte die
Hände im Schoß. »Vielen Dank, dass Sie bereit waren, mich zu
empfangen, Mr. Tremayne.« »Phillip, bitte. Wir müssen doch nicht so
förmlich sein.« Er schürzte die Lippen, während er sie einen
Augenblick musterte. »Über welche deiner Töchter möchtest du
reden?« Die Frage kam so unerwartet, dass Joanna nur den Mund
aufriss. »Du weißt es?« »Die Sache mit Caroline und Rodney, ja. Der
Junge hat letzte Woche mit mir gesprochen. Er ist auf die dumme
Idee gekommen, er wäre verliebt. Er wird darüber hinwegkommen.«
Worte, die Joanna wenig Trost boten. »Was genau hast du zu ihm
gesagt?« »Ich habe ihm gesagt, er soll sich die Hörner woanders
abstoßen und mindestens die nächsten zehn Jahre keinen Gedanken ans
Heiraten verschwenden. Und ihn gewarnt, er solle aufpassen, wohin
er seinen Samen sät.« Dass seine Worte sie verletzten, schien er
nicht zu bemerken. Joanna wusste sehr wohl, dass Phillip Tremayne,
obwohl er ein guter Gutsherr und Dienstherr war, sich niemals
Gedanken um das Feingefühl anderer Menschen machte. Hatte Phillip
sich je darum geschert, wohin er seinen Samen säte? »Dein Rat kommt
zu spät. Caroline bekommt ein Kind.« Ihre Worte waren mit leerer,
vollkommen leidenschaftsloser Stimme gesprochen. Joanna hatte sich
streng unter Kontrolle und war zufrieden, als sie sah, dass Phillip
genauso entsetzt reagierte wie sie am Abend zuvor. »Rodney hat sie
geschwängert?« »O ja.« Diesmal konnte Joanna nicht verhindern, dass
sich Bitterkeit in ihre Stimme schlich. »Auch sie glaubt, sie ist
verliebt. Sie ist überzeugt, dass Rodney sie heiratet.« »Niemals!
Das weißt du so gut wie ich.« Joanna senkte den Kopf. »Das hab ich
ihr gesagt. Die Tremaynes heiraten nicht unter ihrem Stand.«
Phillip musterte sie scharf, doch ihre Miene verriet keinen Hinweis
auf irgendeinen Hintersinn. Er schüttelte sich im Geiste. Was
vergangen war, war vergangen. Er bereute nichts. »Was wirst du
tun?«, fragte er. »Ich hab Caroline gesagt, sie muss Tom Roberts
unverzüglich heiraten und das Kind als seins ausgeben.« »Verstehe.«
Er nickte nachdenklich. »Das ist offenkundig die einzige Lösung,
doch da du bereits einen Entschluss gefasst hast, warum bist du da
noch zu mir gekommen?« »Ich brauche deine Hilfe. Caroline kann
gelegentlich ziemlich stur sein. Sie hat geschworen, Tom niemals zu
heiraten. Wenn wir sie glauben machen könnten, Rodney hätte sie
verlassen, überlegt sie es sich vielleicht. Ich will, dass du
deinen Sohn fortschickst, bis Caroline und Tom verheiratet sind.«
»Beruhige dich, Joanna. Ich habe schon an einen Cousin in
Northumberland geschrieben und ihn gebeten, Rodney zu sich zu
holen, bis er nach Oxford geht.« Eine Last hob sich von Joannas
Herz. »Danke. Mit ein wenig Glück wird alles gut.« Da ihr Auftrag
ausgeführt war, stand sie sofort auf, um zur Tür zu gehen. Phillip
erreichte diese zur gleichen Zeit und blieb, die Hand am Türknauf,
stehen. »Ist sonst noch etwas, Joanna?« In seinen Augen lag eine
Frage, die sie geflissentlich ignorierte. Sie blickte ihn ruhig an.
»Nein. Sonst ist nichts.« Obwohl die Unterredung mit Phillip
Tremayne ihre Besorgnis beträchtlich erleichtert hatte, wusste
Joanna, dass sie erst vollkommen zur Ruhe kommen würde, wenn
Caroline Mrs. Tom Roberts war. Am Abend würde sie mit Henry
sprechen, der zweifellos auf einer unverzüglichen Heirat bestehen
würde. Da sie Zeit hatte, über die Angelegenheit nachzudenken, sah
sie auch den Nachteil, der darin lag, Tom als den Vater zu
bezeichnen. Henry würde Tom zu Recht ins Gebet nehmen. Und das
würde Joannas Plan vereiteln. Der mütterliche Instinkt sagte ihr,
dass Caro nicht mit Tom geschlafen hatte. Und deshalb musste sie
ihrem Mann die Wahrheit sagen. Eine Wahrheit, die schmerzlicher war
als eine Lüge. Ihr vorsichtiger Optimismus erhielt einen Schlag,
als Henry sich beim Abendessen an seine ältere Tochter wandte. »Ich
habe den jungen Mr. Tremayne heute mit dir reden sehen, Caroline.
Was wollte er?« Caroline lief knallrot an, was ihrer Mutter alles
verriet. Und Meggan, obwohl die anderen das nicht mitbekamen.
Caroline murmelte vage etwas von wegen, sie sei gefragt worden, ob
die Arbeit ihr gefalle. Joanna hörte kaum, was ihr Mann antwortete,
und bekam auch die nachfolgende Diskussion über die Vorzüge
verschiedener Grubenbesitzer und Dienstherren nicht mit. Von Furcht
ergriffen, wusste sie, dass sie Caroline wegen der Affäre mit
Rodney Tremayne noch am Abend ins Gebet nehmen musste. Caroline
wollte nicht hören. Noch sturer, als ihre Mutter es für möglich
gehalten hatte, weigerte sich das Mädchen, irgendein Argument zu
akzeptieren, das Joanna vorbrachte. »Warum verstehst du das nicht,
Ma? Rodney und ich lieben uns wirklich. Wir heiraten. Auch wenn wir
durchbrennen müssen.« »Ihr seid wirklich verrückt. Durchbrennen?
Sein Vater würde ihn enterben.« »Das weiß er, und ich auch. Es ist
uns egal. Wir gehen nach Amerika oder Australien. Irgendwohin, wo
es keine Rolle spielt, wer unsere Familien sind.? Caroline war so
entschlossen und so eisern, dass Joanna blass wurde vor Angst.
Diese Sturheit hatte sie nicht von ihrer Mutter geerbt. »Das ist
ein dummer Traum, Caro. Du kannst Rodney nicht heiraten. Vertrau
mir, ich weiß, was das Beste für dich ist. Heirate Tom. Du bist
eine Bergmannstochter. Du solltest eine Bergmannsfrau werden. Das
ist das Leben, das du kennst.« »Oh, warum verstehst du mich nicht?
Hast du Pa nicht geliebt?« Joanna musste den Zorn, der in ihr
aufflackerte, mit Macht zügeln. »Das hat damit nichts zu tun.«
»Verstehe. Du hast aus Vernunftgründen geheiratet. Ich werde aus
Liebe heiraten. Ich heirate den Vater meines Kindes.« »Das kannst
du nicht, Caro.« Joanna war den Tränen nahe. »Warum glaubst du mir
nicht, wenn ich dir sage, dass du niemals, niemals, niemals Rodney
Tremayne heiraten kannst?« »Du kannst uns nicht daran hindern. Das
kann nicht mal Mr. Tremayne.« »Caro, Caro. Warum bist du nur so
stur?« Joanna vergrub das Gesicht in den Händen und drängte Tränen
des Schmerzes zurück. Einen Moment herrschte Schweigen. Warum, oh,
warum war das Schicksal nur so hart? Wurde sie, Joanna, für ihre
eigenen Sünden bestraft? Wenn es doch nur nicht so wäre. Joanna
holte tief Luft und hob den Kopf. »Ich würd’s dir lieber nicht
sagen, Tochter, aber es ist wohl der einzige Weg.« Als Caroline den
Schmerz im Gesicht ihrer Mutter sah, machte sich in ihrem Herzen
ängstliche Bestürzung breit. »Mir was sagen?« »Die Wahrheit
darüber, warum du Rodney Tremayne nicht heiraten kannst.« Joanna
nahm sich Zeit, um ihre Gedanken zu sammeln. Als sie zu sprechen
begann, richtete sie den Blick nicht auf ihre Tochter, sondern auf
die H?nde, die sie fest im Scho? verschr?nkt hatte. »Ich war
sechzehn, als ich Phillip Tremayne zum ersten Mal begegnet bin. Ich
hab mich wahnsinnig in ihn verliebt und er sich in mich. So sagte
er jedenfalls. Aber er hat Louise Pengelly geheiratet und mich
gebeten, seine Geliebte zu werden. Ich hab mich geweigert. Wenn er
mich nicht genug liebte, um mich zu heiraten, sollte er mich auch
nicht anders haben. Dein Vater wollte mich heiraten, aber ich hab
auch ihn abgewiesen. Wenn ich Phillip nicht haben konnte, wollt ich
keinen.« Sie hob den Kopf, um Caroline anzusehen. »Kommt dir das
bekannt vor, Tochter?« Ohne auf eine Antwort zu warten, senkte sie
den Blick wieder auf ihre Hände und fuhr fort. »Sie waren zwei
Jahre verheiratet, bevor Louise schwanger wurde. Sie hatte
Schwierigkeiten mit der Schwangerschaft und der Geburt. Damals hat
Phillip sich mir wieder genähert. Zuerst hab ich ihn abgewiesen,
aber ich war, seit er geheiratet hatte, so unglücklich, dass ich
bald nachgegeben hab. Obwohl es unmoralisch war, war ich in diesen
Monaten glücklicher als je in meinem Leben. Als ich entdeckte, dass
ich ein Kind erwartete, war ich ganz aufgeregt bei dem Gedanken,
dass ich stets einen Teil des Mannes besitzen würde, den ich
liebte. Er konnte mich nicht heiraten, doch ich dachte, er würde
mir irgendwo ein hübsches Haus einrichten und mich oft besuchen.
Siehst du, ich hab ihm geglaubt, als er sagte, er liebe mich.
Stattdessen hat er meine Hochzeit mit deinem Vater arrangiert.«
Caroline hatte das Gefühl, einer Fremden zuzuhören. Sie konnte sich
einfach nicht vorstellen, dass ihre praktische Mutter Phillip
Tremayne so sehr geliebt hatte, dass sie sowohl bereit gewesen war,
ein uneheliches Kind zu bekommen, als auch, als seine Geliebte zu
leben. »Wusste Pa es, oder hast du dich verstellt, wie ich mich Tom
gegenüber verstellen soll?« »Nein. Ich wollt ihn nicht heiraten,
ohne dass er die Wahrheit wusste. Er hat mich trotzdem geliebt und
war bereit, mich zu nehmen und das Kind als seins auszugeben. Er
ist von Phillip gro?z?gig belohnt worden, mit der Bef?rderung zum
Obersteiger und diesem Cottage.? »Ich hätte gedacht, er besäße mehr
Stolz.« »Dein Pa ist ein guter, großzügiger Mensch. Es war der
Beweis, wie sehr er mich liebte. Und ja, er hatte seinen Stolz,
also hat er abgewartet. Warum glaubst du, wird Meggan Miss Jennys
Gesellschafterin?« »Was ist aus dem …«, eine grausame, scharfe
Erkenntnis überkam Caroline, »… dem Baby geworden? … Das war ich.«
Ihre Stimme stieg hysterisch. »Dann … dann ist Rodney mein Bruder?
Ich bekomme ein Kind von meinem Bruder? Nein, nein, das kann nicht
wahr sein.« Der Schmerz in Joannas Herz drückte sie schwer nieder,
und die Qual und das Entsetzen im Gesicht ihrer Tochter zerrissen
ihr die Seele. »Es tut mir leid, Caro, Liebes. Ich wünscht, ich
hätt’s dir nicht erzählen müssen. Hätt’st du doch nur auf mich
gehört und wärst einverstanden gewesen, Tom zu heiraten.« Caroline
vergrub das Gesicht in den Händen. »Was soll ich nur machen?«
Joanna holte tief Luft. Eine von ihnen musste stark bleiben. »Du
tust genau das, was ich dir sage. Du heiratest Tom, Kind, und außer
uns beiden muss niemand die Wahrheit erfahren.« Das Mädchen starrte
seine Mutter ungläubig an. »Du bist so hart, Mutter. Ist es dir
egal, wie ich mich fühle?« »Du weißt ja nicht, wie schwer mir das
Herz ist, Kind. Aber ich muss praktisch denken.« »Rodney?« Caroline
versagte die Stimme. »Weiß er es? Wird er es erfahren?« Joanna
schüttelte den Kopf. »Sein Vater schickt ihn weg, bis du und Tom
verheiratet seid.« »Wenn ich Tom heirate, wird er denken, ich würde
ihn nicht lieben.« Was redete sie da? Wie konnte sie so etwas
sagen? Wie konnte sie darüber reden, Tom zu heiraten? Es wollte ihr
einfach nicht gelingen, das, was ihre Mutter ihr gestanden hatte,
wirklich zu begreifen. »Es wär nicht das Schlechteste, wenn Rodney
das denken würde. Er wird eine Frau seines Standes finden und dich
mit der Zeit vergessen, wie auch du ihn vergessen musst.« »Das kann
ich nicht, Ma. Ich kann weder Rodney anlügen noch Tom. Und auch
nicht das Baby. Es ist ein Kind der Blutschande. Es könnte nicht
normal sein.« Hysterie trieb ihre Stimme immer höher. »Ruhig jetzt.
Das ist dummes Gerede. Meine Worte haben dich schockiert. Vertrau
mir, Kind, es war das Beste für dich, es zu erfahren. Ich hab
Phillip Tremayne wirklich geliebt, aber ich musste lernen, meine
Gefühle hintanzustellen, dem Mann zuliebe, den ich geheiratet hab.
Dein Vater ist ein guter Mann, und ich bin glücklich mit ihm. Tom
ist ein guter Mann, und du wirst lernen, mit ihm glücklich zu sein.
Komm jetzt, Caroline, meine Liebe«, sie umarmte ihre Tochter, »für
heute Abend haben wir genug geredet. Morgen früh siehst du die
Dinge klarer.«
Lange vor dem Morgen waren Carolines Gedanken in der Tat vollkommen
klar. Lange vor Tagesanbruch, Stunden, bevor die anderen sich im
Schlummer regten, stieg sie aus dem Bett, in dem sie die ganze
Nacht schlaflos gelegen hatte. Um ihre jüngere Schwester nicht zu
wecken, zog sie sich sehr leise an und schlich mit den Stiefeln in
der Hand verstohlen aus dem Zimmer. In der Küche zog sie sie an und
verließ das Haus heimlich durch die Hintertür. Sie ging die
Dorfstraße hinunter und bog dann in den Pfad ein, der über die
Klippe führte. Am höchsten Punkt blieb sie stehen, um
zurückzuschauen, über das Dorf dahin, wo Tremayne Manor als dunkle
Silhouette im Mondlicht lag. Sie wusste nicht, wie lange sie so
dort stand, und bemerkte auch nicht die Tr?nen auf ihren Wangen.
Ihr einziger Gedanke war, dass der Mann, den sie mehr liebte als
ihr Leben, ihr Bruder, in diesen dunklen Mauern schlief. Ihre Liebe
zu dem Mann, dessen Kind sie unter dem Herzen trug, hatte in den
langen, verzweifelten Nachtstunden nicht gewankt. Doch in ihrem
Herzen war ein großer Zorn gegen ihre Mutter gewachsen und mit ihm
eine Bitterkeit gegen den gefühllosen Mann, der ihr Vater war. Sie
war zu dem Schluss gekommen, dass die beiden für die Verzweiflung,
die sie erlitt, büßen sollten. »Verzeih mir, Rodney. Es ist am
besten so«, flüsterte sie, bevor sie ihren Weg zur Grube
fortsetzte.
Als Meggan wach wurde, sah sie, dass das Bett ihrer Schwester leer
war. Caroline, dachte sie, muss heute Morgen sehr früh aufgestanden
sein. Sie zog sich an und ging nach unten, wo sie in der Küche nur
ihre Mutter antraf. Pa und Will hatten das Haus für ihre Schicht in
der Grube schon verlassen, während die kleineren Jungen erst
aufstanden, wenn es sich gar nicht länger aufschieben ließ.
»Morgen, Ma. Ist Caro draußen?« Hoffentlich blieb ihre Schwester
nicht zu lange auf dem Abort, denn dort musste Meggan dringend hin.
»Caro? Ist sie nicht mehr im Bett?« »Nein. Sie ist wohl wach
geworden und hat sich angezogen, als ich noch geschlafen hab.«
Joanna seufzte verärgert. Sie hatte sich die ganze Nacht gefragt,
ob es wirklich klug gewesen war, Caroline die Wahrheit über ihren
Vater zu gestehen. Ein winziger Anflug von Beklemmung ließ ihr Herz
ruckartig klopfen. »Wo ist das Mädchen dann?« »Ich weiß nicht, aber
wenn sie nicht draußen ist, geh ich jetzt mal raus.« Als Meggan
wenige Minuten später ins Haus zurückkehrte, zog ihre Mutter gerade
den Mantel an. Ihre Stiefel f?r drau?en hatte sie bereits
geschn?rt. Meggan schnappte ?berrascht nach Luft. Sie sah, dass die
H?nde ihrer Mutter an den Kn?pfen des Mantels herumfummelten.
»Stimmt was nicht, Ma?« In ihrem Bauch machte sich ein
unbehagliches Gefühl breit. »Kümmer dich um das Frühstück für deine
Brüder, Meggan. Ich hab was zu erledigen.« »Wo gehst du hin, Ma? Wo
ist Caro?« Irgendetwas stimmte nicht, dessen war Meggan sich jetzt
ganz sicher. »Darum musst du dich nicht kümmern. Tu nur, was ich
dir aufgetragen hab, und sorg dafür, dass ihr alle zur Schule geht,
falls ich bis dahin noch nicht zurück bin.« Dann war ihre Mutter
weg, und Meggan wurde übel. Der weiße Hase war ihr wieder
eingefallen.
Joanna war viel schneller in Tremayne Manor, als man für diese
Entfernung normalerweise brauchte, und als sie dort ankam, hatte
sie solche Stiche in der Seite, dass sie keuchend nach Luft
schnappte und nur noch stolpernd vorwärtskam. Um diese frühe Stunde
schien niemand da zu sein. Joanna läutete wiederholt und klopfte
laut an die Tür und schluchzte fast, so voller Sorge war sie. Nach
einer, wie es ihr schien, endlosen Zeit öffnete die Haushälterin
ihr die Tür. »Wozu der Aufruhr, Mrs. Collins? Und was machen Sie an
der Haustür?« Joanna achtete nicht auf den missbilligenden Tonfall
der Frau. Sie und Haddy Brown waren gleichaltrig und hatten
einander schon als Mädchen nicht gemocht. »Ich muss mit Mr.
Tremayne sprechen. Dringend.« »Hmmm. Der gnädige Herr ist noch im
Bett. Ich störe ihn nicht ohne guten Grund.« »Er wird es verstehen,
wenn ich mit ihm spreche.« »Sie kommen ums Haus zur Küchentür, Mrs.
Collins, und warten da. Der gnädige Herr wird Sie sicher empfangen,
sobald er aufgestanden ist und gefrühstückt hat.« »Oh, du dummes
Weibsstück. Es ist dringend.« Joanna wollte ins Haus treten, doch
die Haushälterin stellte sich ihr mit ihrer ganzen massigen Gestalt
und weit ausgestreckten Armen in den Weg. Joanna war so wütend,
dass nicht viel gefehlt hätte, und sie hätte Haddy Brown
geschlagen. »Was gibt es, Joanna?« Die Stimme von der Treppe zog
die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich. Das Nachthemd über den
Breeches zeugte von Phillip Tremaynes Eile beim Ankleiden. Er kam
die Treppe herunter. »Ich habe den Tumult gehört. Was ist
passiert?« Obwohl sie ihre Sorge unbedingt loswerden musste, warf
Joanna einen bedeutungsvollen Blick in Haddy Browns Richtung. Einen
Blick, den die Frau offenkundig zu ignorieren gedachte, bis Phillip
sie mit einem kurzen »Vielen Dank, Mrs. Brown« entließ. Die
Haushälterin zog sich eingeschnappt zurück, und erst als sie weit
außer Hörweite war, sprach Joanna mit leiser Eindringlichkeit. »Wo
ist Rodney?« Phillip zuckte überrascht die Achseln. »Ich nehme an,
reiten. Normalerweise reitet er sehr früh aus.« »Caroline hat auch
sehr früh das Haus verlassen.« Er blickte sie scharf an. »Du
denkst, sie haben sich verabredet.« »Ich befürchte Schlimmeres.«
Phillip begriff sofort. »Du denkst, sie sind zusammen weggelaufen?«
»Caro hat gesagt, sie würden durchbrennen, wenn ich versuche, sie
mit Tom Roberts zu verheiraten.« Phillip stieß ein abschätziges
Schnauben aus. »So etwas Dummes tut Rodney nicht.« Sein
Stirnrunzeln jedoch verriet, dass er kein allzu gro?es Vertrauen in
den gesunden Menschenverstand seines Sohnes hatte. »Aber du hältst
es für möglich. Was sollen wir tun?« »Nichts, solange wir nichts
Genaues über ihren Verbleib wissen.« Er nahm sie am Arm und führte
sie zu einem Sofa an der Wand. »Ruh dich hier aus, während ich zu
den Ställen schicke. Der Stallbursche wird wissen, um welche Zeit
Rodney losgeritten ist.« Haddy Brown wurde erneut herbeizitiert.
Sie konnte ihre Neugier kaum verhehlen, und ihr Blick verweilte auf
Joannas Gesicht, als könnte sie dort eine Erklärung finden. Doch
sie tat, wie ihr geheißen, und kehrte wenige Minuten später mit der
Kunde zurück, dass Mr. Rodney in der Tat sehr früh ausgeritten sei,
jedoch gesagt habe, er sei vor dem Frühstück zurück. »Siehst du,
Joanna, sie sind nicht zusammen. Vielleicht ist Caroline zu einem
frühen Spaziergang aufgebrochen. Wenn du zum Cottage zurückkehrst,
ist sie wahrscheinlich schon wieder zu Hause.« Joanna erhob sich.
»Ich bete, dass du recht hast, Phillip, aber ich hab Angst, sie
kommt nicht nach Hause.« »Hast du Grund zu der Annahme, oder ist es
nur die ganz natürliche Angst einer Mutter?« »Nein. Das ist es
nicht.« Joanna knetete die Hände, sie machte sich größere Sorgen,
als sie zugeben mochte. »Sie weiß es, Phillip. Caro weiß, dass du
ihr Vater bist.« Phillip Tremayne starrte sie an. »Du hast es ihr
gesagt? Warum um alles in der Welt hast du das getan? Wir waren
uns, bevor du Henry Collins geheiratet hast, einig, dass nur wir
beide und dein Mann es je erfahren sollten. Du hast dein
Versprechen gebrochen, Joanna.« Er war ungehalten. Und zwar sehr.
Joanna schmerzte sein unfaires Urteil. »’s ist schon recht, dass du
wütend bist, Phillip Tremayne. Du musstest dir ja nicht ihre Tränen
und ihre ungestümen Drohungen anh?ren. Sie war wild entschlossen,
mit Rodney zusammen zu sein. Ich hab?s ihr nur gesagt, um sie davon
zu ?berzeugen, Tom Roberts zu heiraten.? »Ich nehme an, ohne
Erfolg.« »Ich hab ihr gesagt, am Morgen würd sie die Dinge klarer
sehen.« »Und jetzt ist es Morgen, und du sagst, sie sei
verschwunden. Wie hat Caroline auf dein Geständnis reagiert?« »Sie
war natürlich außer sich.« »Natürlich.« Joanna verlor die Nerven.
»Schlag mir gegenüber nicht diesen sarkastischen Ton an, Phillip
Tremayne. Ich versuch nur, meine Tochter zu schützen. Unsere
Tochter. Oh, wie ich mir wünschte, ich hätte mich nie auf die Lügen
und Täuschungen eingelassen. Ich wünschte, ich hätt’s ihr vor
langer Zeit schon gesagt.« Voller Zorn und Besorgnis eilte sie zur
Haustür. Sie achtete nicht auf Phillip Tremaynes »Warte, Joanna«
und verließ das Haus ohne einen Blick zurück. Sie war noch nicht
ganz davon überzeugt, dass die jungen Leute nicht durchgebrannt
waren. Natürlich würde Rodney erwähnen, wann er vom Ausritt
zurückkäme, einfach, um jeden Verdacht zu zerstreuen. Doch wenn die
beiden nicht durchgebrannt waren, wohin war das Mädchen dann
gegangen? Bei Meggan hätte sie Phillips Vorschlag eines
frühmorgendlichen Spaziergangs glauben können. Doch ihre andere
Tochter streifte ihres Wissens am Morgen nicht durch die Gegend.
Joanna ging nicht auf direktem Weg zurück ins Dorf, sondern nahm
den Pfad entlang der Klippe und blieb häufig stehen, um auf die
Felsen unter ihr zu starren. Es herrschte Ebbe, und zwischen den
Felsen waren Flecken Strand zu sehen. Doch auf dem Strand war
nichts, was darauf hindeutete, dass Caroline sich in ihrer
Verzweiflung die Klippe hinuntergestürzt hätte. Und doch wollte das
Grauen nicht von Joanna weichen. Tom Roberts, dachte sie in
verzweifelter Hoffnung. Vielleicht hatte Caro früh das Haus
verlassen, um ihm zu sagen, dass sie ihn heiraten würde. Bestimmt
war das Mädchen dorthin gegangen. Hatte Joanna ihr nicht geraten,
keine Zeit mehr zu vergeuden und eine anständige Ehefrau zu werden?
Am Abend würden sie sicher zusammensitzen, um die Hochzeitspläne zu
besprechen. Inzwischen war Joanna bis dahin gekommen, wo der Weg
von der Klippe wegführte, und wandte sich wieder dem Dorf zu. Nach
fünf Minuten stieß sie auf den Weg zur Grube. Sie schlug ihn ein
und schaute zur Grube hinüber. Eine Gruppe kam langsam den Pfad
herauf. Die haben aber spät Schichtende gemacht, dachte sie. Dann
sah sie, dass ihr Mann und ihr ältester Sohn unter den Männern
waren. Sah auch, dass zwei von ihnen, Tom und ein anderer Mann,
eine Trage trugen. Entsetzen packte sie und lähmte sie viele lange
Sekunden. Dann lief sie den Männern voller Verzweiflung entgegen.
Alle, auch Will, hatten den Kopf gesenkt. Nur Henry Collins hob den
Blick vom Boden. Die Männer blieben stehen und warteten. Joanna sah
den Schock auf den gesenkten Gesichtern, die nasse Tränenspur auf
Wills Wangen. Henrys Miene war kalkweiß und angespannt. Mann und
Frau sahen einander an, dann trat Joanna seitlich an die Trage und
hob das Sackleinen hoch, um in das Gesicht ihrer toten Tochter zu
blicken. Nur ein leiser, erstickter Schluchzer entfuhr ihren
Lippen. »Wir bringen sie nach Hause.« Wie erstarrt ging Joanna mit
versteinertem Gesicht den ganzen Weg zurück ins Dorf neben Caroline
her.