13

 

Die Collins-Brüder mussten bald feststellen, dass sie den Neid der Männer auf sich zogen, die auf der Straße nach Adelaide unterwegs waren. Von Burra aus machten sich so viele Bergleute auf den Weg, dass nur wenige Glückliche einen Platz in einer Postkutsche fanden. Die Mehrheit ging zu Fuß und nahm wenig mehr mit als Kleidung und ein paar Lebensmittel. Die ersten ein oder zwei Tage schritten die, die zu Fuß gingen, mit forscher Begeisterung aus, angefeuert von dem trügerischen Vertrauen auf die Reichtümer, die sie in Victoria erwarteten. Wenn die erwartungsvollen Horden Gawler erreichten, von wo aus es immer noch mehr als zwanzig Meilen Fußmarsch waren, war die Begeisterung einer müden, verbissenen Entschlossenheit gewichen. Obwohl sie, lange bevor sie am ersten Abend Halt machten, wund geritten und müde waren, begriffen Hal und Tommy Collins doch allmählich, warum ihr Bruder auf Pferden und Wagen bestanden hatte. Reiten war auf jeden Fall besser, als zu Fuß zu gehen, besonders da sie auch um einiges schneller vorankamen als die anderen. »Hoffentlich machen wir in Adelaide ein paar Tage Pause.« Hal lümmelte dicht an dem kleinen Kochfeuer an einem Sattel. Tommy rührte einen Eintopf aus Kartoffeln, Kohl und Pökelfleisch. Er runzelte über seinen ersten Kochversuch die Stirn. »Wäre nett, zur Abwechslung mal was Anständiges zu essen. Schätze, das kommt auf Will an.« »Was kommt auf mich an?« Will, der von einem dringenden Bedürfnis aus dem Busch zurückkehrte, hockte sich neben Hal. »Ein paar Tage Pause in Adelaide. Die Stadt genießen, bevor wir uns auf den Treck rüber nach Victoria machen.« Will gab nach. »Vielleicht ein oder zwei Tage. Ich würde gerne mit Leuten reden, die das Land kennen, um rauszufinden, welchen Weg wir am besten nehmen.« »Übers Meer«, erklärte Hal. »Das ist schneller und sicherer.« »Eine Passage für uns drei kostet Geld, das wir nicht haben.« »Wir hätten jede Menge Geld, wenn wir bis Melbourne gewartet hätten, bevor wir uns mit Pferden und Wagen ausstatten.« Von den Brüdern war Hal derjenige, der sich auf dem Pferderücken am wenigsten wohl fühlte. »Und du wärst begeistert den ganzen Weg bis Adelaide zu Fuß gegangen«, erwiderte Will. Hal zuckte die Achseln. »Ich wette, du hättest uns Plätze in der Postkutsche besorgen können. Wo du doch so gut organisieren kannst.« Seine Verdrießlichkeit überraschte Will. »Was ist denn in dich gefahren?« Tommy kicherte. »Frag lieber, wo er nicht reingefahren ist. Wenn er nicht bald eine Frau findet, wird er unerträglich.« Will stieß ein angewidertes Schnauben aus. »Wenn das, was zwischen deinen Beinen ist, so verdammt wichtig ist, sollten wir dich vielleicht besser in Adelaide lassen.« »Vielleicht finde ich eine Frau, die mit mir kommt. Sie könnte für uns kochen und waschen.« »Gute Idee«, erklärte Tommy und wies mit einer Grimasse auf die unansehnliche Pampe, die er jetzt auf die Teller verteilte. »Es wird keine Frau mit uns kommen.« Will nahm seinen Teller. »Essen ist Essen. Mir ist es egal, wie es schmeckt. Du gewöhnst dich besser gleich an den Gedanken, dass es ohne gehen muss, Hal. Oder«, er sprach so langsam, dass seine Brüder wussten, dass er es ernst meinte, »ich zahle dir deinen Anteil aus, und du kannst uns gleich verlassen, wenn du willst.« Schweigen breitete sich aus. Tommy schaute von Will zu Hal und dann wieder zu Will, dessen Blick unverwandt auf Hals Gesicht gerichtet war. Hal wandte zuerst den Kopf ab, und die Röte in seinen Wangen war das einzige Eingeständnis, dass er die Rüge seines Bruders eingesteckt hatte. »Ich bleib bei euch.«  
Adelaide war überfüllt, in allen Unterkünften warteten Menschen darauf, eine Passage auf einem Schiff nach Melbourne zu bekommen. Die meisten gingen an den drei jungen Männern mit ihren Pferden und ihrem Wagen vorbei, ohne sie eines zweiten Blicks zu würdigen. Einige jedoch betrachteten den Wagen mit so viel Interesse, dass Will sich hüten wollte, ihn unbeaufsichtigt zu lassen. »Es ist sicherer, wenn einer von uns immer beim Wagen bleibt. Wir müssen einen Platz finden, wo wir für eine oder zwei Nächte kampieren können.« Sie setzten den Weg die Straße hinunter fort. Will und Hal ritten, Tommy fuhr den Wagen. Sie kamen nur langsam voran, doch das gab ihnen die Gelegenheit, sich umzusehen. Die Gebäude waren so unterschiedlich wie die Menschen. Solide Gebäude standen neben Bauten, die kaum mehr waren als Schuppen. Gut gekleidete Männer und Frauen gingen zwischen schlicht gekleideten Arbeitern und den von der Reise staubigen Goldsuchern umher. Zerlumpte Aborigines, deren Gesichter nicht verrieten, was sie über die Weißen dachten, lungerten in Gruppen herum. Zwei Männer in Moleskinhosen und breitrandigen Palmbasthüten kamen aus einem Hotel. Nur Hal nahm Notiz von ihnen, und das auch nur beiläufig, bis einer von ihnen aufschaute und er sein Gesicht sah. »Das gibt’s doch nicht«, rief er. »Da sind Joshua und Adam Winton.« Will schaute zu den Männern hinüber. »Tatsächlich.« Er hob die Hand zum Gruß, denn die Wintons hatten sie offenkundig auch erkannt. »Will Collins, Hal, Tommy, was für eine Überraschung!« »Ebenso. Wie geht’s euch, Adam, Joshua?« »Könnt nicht besser sein. Ich glaub’s nicht, euch drei vor mir zu haben.« Adam betrachtete den Wagen. »Ihr seid nicht zufällig unterwegs nach Victoria?« »Doch, sind wir. Und ihr?« »Ha! Unser Pa würde uns bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren ziehen, wenn wir ihm mit so einer Idee kämen. Hey! Aufgepasst!« Der Fahrer einer Kutsche, die sich den Weg durch die verstopfte Straße bahnte, rief den Männern Beschimpfungen zu, weil sie die Durchfahrt blockierten. Das Zugpferd wollte sich vom Wagen entfernen, und Will zog die Leine an, um es wieder zum Stehen zu bringen. »Wir können unmöglich mitten auf der Straße stehen bleiben, um zu reden. Wohin wollt ihr? Können wir uns irgendwo treffen?« »Wir suchen im Augenblick nach einer Bleibe, wo wir auch den Wagen sicher unterstellen können.« »Da habt ihr Glück, dass wir euch getroffen haben. In unserem Hotel ist gerade ein Zimmer frei geworden. Und euren Wagen könnt ihr in der nächsten Straße bei unserem lassen.« »Ist er da auch sicher? Ich hab gesehen, dass einige großes Interesse an dem bekundet haben, was wir mit uns führen.« »Euer Wagen wird vollkommen sicher sein. Und es gibt Ställe für eure Pferde.« So wurde es verabredet. Joshua Winton ging zurück zum Hotel, um das Zimmer zu sichern, während Adam neben Will auf den Wagen stieg, um ihm den Weg zu dem Mietstall zu zeigen. Obwohl Will zufrieden war, dass der Ort sicher war, verzog er innerlich das Gesicht bei dem Preis, den man ihm für das Einstellen des Wagens und der Pferde abknöpfte. Und da das Hotelzimmer zusätzliche Ausgaben bedeutete, würden sie nicht allzu lange in Adelaide bleiben können. Später saßen die fünf jungen Männer in dem Hotelzimmer, Joshua und Adam auf einem der schmalen Betten, Will und Hal auf dem anderen und Tommy auf der Matratze, die man für ihn noch auf den Boden gelegt hatte. Nachrichten darüber, was die Familien in den Jahren, seit sie zusammen als Auswanderer ins Land gekommen waren, gemacht hatten, waren bereits ausgetauscht worden. »Und jetzt wollt ihr Gold schürfen, statt Kupfer abzubauen«, bemerkte Adam. »Erwartet ihr, reich zu werden?« »Die Geschichten, die wir in Burra gehört haben, lassen erwarten, dass wir mehr verdienen als beim Kupferbergbau«, antwortete Will ernst. »Wir gehen allerdings davon aus, dass wir hart arbeiten müssen. Klar hoffen wir, reich zu werden.« »Warum nehmt ihr den Landweg und nicht das Schiff?«, fragte Joshua. »Das war Wills Idee«, sagte Hal. »Er fand es besser, die Ausrüstung schon in Burra zu kaufen.« »Der Meinung bin ich immer noch. Durch Melbourne ziehen so viele, da ist das Angebot knapp, und die Preise sind hoch. Ich hoffe, in Adelaide kann mir jemand einen Rat geben, welche Reiseroute wir am besten wählen.« »Das können wir euch sagen. Bis Riverview – wo wir wohnen – ist der Weg gut. Dort könnt ihr aber den Murray nicht überqueren, denn der Fluss ist viel zu breit, selbst die Pferde schaffen das schwimmend nicht. Etwa auf halbem Weg nach Riverview, in der Nähe der Mündung des Murray River in den Lake Alexandria, wendet ihr euch nach Süden, um runter nach Wellington zu gelangen. In Wellington überquert ihr den Fluss auf der Fähre. Wie die Reise auf der anderen Seite in Victoria weitergeht, weiß ich nicht.« »Wann wollt ihr nach Hause zurück?« »Übermorgen. Wir waren eine Woche in der Stadt. Morgen laden wir all unsere Vorräte auf, um am nächsten Tag früh loszukommen.« »Würde es euch etwas ausmachen, wenn wir euch begleiten?« Bei Adams freundlichem Lächeln bildeten sich Fältchen um seine Augen. »Das wollte ich gerade vorschlagen.« »Aber dann können wir nur einen Tag in der Stadt bleiben«, beschwerte sich Hal. »Das sind immerhin zwei Nächte«, meinte Joshua. »Du bist wohl auf ein bisschen Spaß aus, was?« Er zwinkerte Hal zu. »Komm mit mir, ich zeig dir, wo man sich richtig amüsieren kann.« Er zwinkerte Hal noch einmal zu und schenkte ihm ein schiefes, lüsternes Grinsen. Hal grinste zurück. Joshua und er hatten, wie es schien, dieselbe Vorstellung davon, was ein richtiges Vergnügen war. Die jungen Männer aßen im Speisesaal des Hotels zusammen zu Abend, und danach verabschiedeten Joshua und Hal sich für eine Nacht in der Stadt. Will und Tommy schlenderten eine Stunde die Hindley Street und die Randall Street hinunter und kehrten dann zum Hotel zurück. Joshua und Hal bekamen sie nicht mehr zu sehen.  
Die beiden waren froh, den strengen Blicken ihrer älteren Brüder entkommen zu sein, und hatten es eilig, ein Hotel aufzusuchen, wo die Bardamen als gefällig galten. Reichlich betrunken verließen die jungen Männer das Hotel wieder. »Warst du schon mal mit einer Schwarzen zusammen?«, fragte Joshua Hal. »Ist das anders als mit einer Weißen?« »Such dir’ne nette Junge, dann ist es sogar noch besser. Und billiger als eine Hure obendrein. Den Schwarzen bedeutet Geld nichts. Gib ihnen ein bisschen Grog, und sie sind zu allem bereit.« Bei Hals leicht schockierter und doch neugieriger Miene stieß er ein geiles Lachen aus. »Komm, wir holen uns ein bisschen schwarzen Samt. Am Fluss kampieren bestimmt ein paar von ihnen.« Die beiden machten sich trunken taumelnd auf den Weg an den Stadtrand. Als Joshua einen Polizisten, der zu Fu? auf Wachrundgang war, die Stra?e herunterkommen sah, zog er den stolpernden Hal hinter ein Geb?ude. »Du willst doch nicht den Rest der Nacht auf der Polizeiwache verbringen, alter Kumpel.« Er stolperte noch ein wenig weiter in den Schatten hinein und öffnete seine Hose, um zu urinieren. Auch Hal nutzte die Gelegenheit. Er sah die junge Aborigine, die sie beobachtete, zuerst. Er stieß Joshua an und fummelte gleichzeitig an seiner Hose herum, um sie wieder in Ordnung zu bringen. Joshua, der noch nicht fertig war, ging auf die junge Frau zu. »Willst du?«, fragte er. »Schätze, sie will«, sagte er über die Schulter zu Hal. Er nahm ein Kopftuch aus der Tasche, hielt es ihr verführerisch vor die Nase und schwenkte es hin und her, während er mit seinem Glied wedelte, um ihr zu bedeuten, was sie tun müsse, um sich das Kopftuch zu verdienen. Die junge Frau verzog keine Miene. Sie stand nur schweigend da. Joshua hielt es selten für nötig, sein hitziges Temperament in Schach zu halten. So auch jetzt. »Gib schon ein Lebenszeichen von dir, du dummes schwarzes Flittchen. Ich will keine verdammte Statue bumsen.« Er schlug der jungen Frau mit dem Handrücken ins Gesicht und warf sie dann zu Boden. Er war sofort auf ihr und hielt ihr mit einer Hand den Mund zu, um sie am Schreien zu hindern. Sie wehrte sich, und es gelang ihm kaum, sie festzuhalten. Sie fuchtelte mit den Armen und trat mit den Beinen aus. »Das verdammte Flittchen ist wie eine Krake«, knurrte er wütend, »ich kann sie nicht gleichzeitig halten und bumsen.« Er schwang sich hinter sie, um ihre Arme mit den Knien zu Boden zu drücken. »Du darfst zuerst, Hal, während ich mit ihren Titten spiele. Ich schätze, sie beruhigt sich bald.« Dass das, was sie da taten, eine Vergewaltigung war, kam dem betrunkenen Hal dort noch nicht in den Sinn, besonders, nachdem die junge Frau aufgeh?rt hatte, sich zu wehren. Tage sp?ter w?rde er sich fragen, ob Joshua bewusst war, dass sie eine junge Frau vergewaltigt hatten. Sie lie? es teilnahmslos und stumm ?ber sich ergehen, dass sie nacheinander in sie eindrangen. Joshua verlor bald die Lust. Er kam wankend auf die F??e und zog Hal weg, als der die junge Frau noch einmal besteigen wollte. »Lass sie. Sie taugt nichts mehr, und ich hab’nen ziemlichen Durst bekommen.« Die beiden stolperten zurück zur Straße, ohne noch einen Gedanken an die junge Frau zu verschwenden, die sie in der Dunkelheit liegen gelassen hatten. Gerade als sie um die Ecke des Gebäudes gehen wollten, schrie Hal auf und stolperte. Ein faustgroßer Stein hatte ihn mit schmerzhafter Wucht an der Schulter getroffen. »Verdammt!« Joshua hievte Hal auf die Füße und lief los. »Lass uns bloß hier abhauen.« Erst als sie in das Hotel stolperten, das auf ihrem Weg lag, konnte Hal keuchend fragen: »Was ist passiert?« »Ein Schwarzer hat Steine nach uns geworfen. Weiß nicht, wo der herkam.« »Glaubst du, er hat mitgekriegt, was wir gemacht haben?« »Wahrscheinlich.« Joshua zuckte die Achseln. »Der kommt jetzt nicht mehr hinter uns her.« Davon war Hal keineswegs überzeugt, er hatte Angst. »Und was ist, wenn wir wieder rausgehen? Vielleicht wartet er auf uns und ist mit mehr bewaffnet als mit Steinen.« Bei dem Gedanken an einen geräuschlosen Speer, der seinen Körper traf, krümmte er sich vor Angst. Joshua blieb vollkommen unbesorgt. »Die sind beide inzwischen zurück in ihr Lager gegangen, aber wir können ruhig noch eine oder zwei Stunden hier rumhängen, um ganz sicherzugehen, dass uns nichts passiert. Sieht so aus, als würde hier Karten gespielt. Hast du je Karten gespielt, Hal? Nicht? Na, dann wird?s aber Zeit, dass du?s lernst.? Hal entdeckte bald, dass er weder Talent zum Kartenspiel besaß noch Glück beim Austeilen hatte. Innerhalb einer Stunde war er blank. Zuerst schlug er Joshuas Angebot, ihm etwas zu leihen, aus. Was, wenn er das auch noch verspielte? Joshua winkte seinen Protest beiseite. »Niemand verliert dauernd. Noch ein paar Runden, und du hast den Dreh raus. Du bekommst dein Geld zurück. Komm, ich hab grad’ne Glückssträhne.« Leider änderte Hals Geschick sich nicht, und Joshuas Glückssträhne setzte sich auch nicht fort. Als sie in den frühen Morgenstunden zurück zu ihrem Hotel taumelten, hatten beide Schulden. Dort fanden sie die Tür verriegelt. »Mist!« Joshua trat gegen die Tür. »Man sollte doch denken, ein Mann könnte in seinem eigenen verfluchten Bett schlafen. Ich wecke den verdammten Scheißkerl auf.« Seine Stiefeltritte gegen die Tür wurden begleitet von obszönem Gebrüll. Hal setzte sich einfach neben die Tür und stützte den Kopf in die Hände. Er fühlte sich zu nichts mehr fähig, außer dort einzuschlafen, wo er saß. Dass andere, strenge Stimmen anfingen, Joshuas Flüche zu kontern, drang kaum noch in sein Bewusstsein. Als er hochgehievt wurde, protestierte er halbherzig. Der feste Griff des Polizisten an seinem Arm und der erzwungene Fußmarsch zur Polizeiwache schienen mit ihm gar nichts zu tun zu haben.  
Als Will am nächsten Morgen wach wurde und feststellte, dass Hal in der Nacht nicht zurückgekommen war, wollte er gerade voller Unruhe Adam suchen gehen, als der an die Tür klopfte und eintrat. Sein Blick ging geradewegs zu dem unbenutzten Bett. »Hal ist also auch nicht zurückgekommen.« »Ich bin froh zu hören, dass Joshua auch nicht da ist.« Adam schüttelte mit grimmiger Miene den Kopf. »Aber ich habe so eine Ahnung, wo er sein könnte.« Die Resignation und die Verachtung in Adam Wintons Stimme ließen Will vermuten, dass Joshua nicht zum ersten Mal nicht nach Hause gekommen war. Will wusste genau, was für eine Art von Unterhaltung Hal gesucht hatte. »Glaubst du, Joshua hat die Nacht in einem Bordell oder sonst wo verbracht?« »Vielleicht, aber ich vermute, er ist eher auf dem Polizeirevier gelandet. Und Hal auch.« »Was!« Dass Adam das so ruhig sagte, machte es für Will umso schockierender. Tommy, der von den Stimmen wach geworden war, setzte sich auf seiner Matratze auf und blinzelte verschlafen. »Hab ich richtig gehört, Hal ist auf dem Polizeirevier?« »Wenn dem so ist, wird er sich vor mir zu verantworten haben.« Will wandte sich wütend an Adam. »Hat Joshua es sich zur Gewohnheit gemacht, sich einsperren zu lassen?« »Das letzte Mal, als wir in der Stadt waren, wurde er wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet. Ich habe ihn gewarnt, diesmal nicht wieder in Schwierigkeiten zu geraten.« »Was machen wir denn jetzt mit den beiden?« »Ich habe nicht vor, irgendetwas zu machen, bevor ich nicht gefrühstückt habe. Dann gehe ich zum Polizeirevier und schaue, was zu tun ist. Hoffentlich müssen wir nicht auf sie warten, weil sie vor einem Friedensrichter erscheinen müssen. Mit ein wenig Glück können wir nur ihre Geldstrafe zahlen und sie rausholen.« »Geldstrafe!«, rief Will. »Wir haben doch fast nichts mehr!« Adam hob die Hände in einer »Was soll ich machen?«-Geste. »Hal könnte mit einer Verwarnung davonkommen, besonders da ihr nur auf der Durchreise seid. Joshua wird sich glücklich schätzen, wenn er nicht vor den Friedensrichter geschleift wird.« Adams Vorhersage erwies sich als richtig. Hal wurde unter der Bedingung entlassen, dass er sich für den Rest seines Aufenthalts in Adelaide des Alkohols enthielt. Joshua wurde dem Friedensrichter vorgeführt und bekam dort gesagt, er könne sich die Zeit bis zum nächsten Morgen im Gefängnis vertreiben. »Hal hilft dir, eure Vorräte aufzuladen«, sagte Will zu Adam. »Tommy kann mir helfen, das, was wir brauchen, zu besorgen.« Hal stöhnte. Er wollte nur irgendwo sitzen und sich seinen pochenden Kopf halten. Er wollte sich nicht einmal hinlegen, denn dann wurde das Pochen nur schlimmer. Das Letzte, wonach ihm war, war, einen Wagen mit Vorräten zu beladen. Doch er stritt nicht mit Will. Obwohl seine Erinnerungen nicht allzu deutlich waren, wusste er, dass er in der Nacht zuvor Dinge getan hatte, von denen er hoffte, dass niemals jemand davon erfuhr. Am Abend war ihm der Gedanke an Essen immer noch zuwider, und er war froh, sich auf sein Bett plumpsen lassen zu können. Niemals, schwor er sich, würde er je wieder so viel trinken. Die nachfolgende Strafe war das ursprüngliche Vergnügen nicht wert. Er wünschte sich von ganzem Herzen, er hätte sich nie mit Joshua Winton eingelassen. Wenigstens versicherte sich Hal als Letztes, bevor er einschlief, dass sie am nächsten Morgen früh abreisen würden. Mit ein wenig Glück würde Will nie etwas von den Schuldscheinen erfahren, die er unterzeichnet hatte. Wenn er Adelaide erst einmal den Rücken gekehrt hatte, würde niemand hinter ihm herkommen und die Einlösung verlangen. Er hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als er von jemandem wachgerüttelt wurde, der ihn nicht besonders sanft in eine sitzende Position zog. Das Zimmer drehte sich um ihn. Er stöhnte und versuchte, die Hand abzuschütteln, die seinen Arm gepackt hielt. Mit einem gemurmelten Protest wollte er sich wieder hinlegen. Stattdessen spürte er, wie zwei Hände ihn weiter hochzogen, bis er stand. Er schwankte, blinzelte zweimal und starrte seinem älteren Bruder ins Gesicht. »Wassis los?« »Das hier.« Zwei kleine Papierfetzen wurden Hal dicht vor die Nase gehalten. Zuerst runzelte er die Stirn, weil er nicht begriff, was das für Papiere waren und warum Will so wütend war. Er schob den Kopf zurück, um erkennen zu können, was auf den Zetteln stand. »Oh«, war alles, was er herausbrachte. Und er konnte seinem Bruder auch nicht ins Gesicht sehen. Er ließ sich auf die Bettkante plumpsen und legte den Kopf in die Hände. Das konnten unmöglich die Schuldscheine sein, die er unterschrieben hatte. Entsetztes Leugnen kämpfte gegen die Wahrheit. Diese Burschen konnten doch unmöglich so bald ihre Forderungen anmelden. Er hatte ihnen gesagt, innerhalb einer Woche bekämen sie ihr Geld. Er stöhnte. Das alles konnte unmöglich passiert sein. Er spürte, dass Will vor ihm stand und auf eine Erklärung wartete. Und da er wusste, wie zwecklos das Leugnen seiner Schuld war, ließ er die Hände neben den Knien hängen, schaffte es aber immer noch nicht, Will anzusehen. Ein Blick zur Seite zeigte ihm, dass Tommy in der Tür stand und gleichzeitig besorgt und enttäuscht aussah. »Es war Joshuas Schuld.« Die Bockigkeit, die er in seiner Stimme hörte, ließ ihn innerlich zusammenfahren. »Das ist nicht Joshuas Unterschrift, Hal.« »Joshua hat vorgeschlagen, Karten zu spielen.« Jetzt war er defensiv. »Das war dumm von dir. Du kannst nicht Karten spielen«, erwiderte Will beißend. Von Schuld genährter Zorn wühlte Hal auf. Er sprang auf die Füße, um seinem Bruder ins Gesicht zu sehen. »Glaubst du, das wüsst ich verdammt noch mal nicht?« »Du meinst, du hast es zu spät rausgefunden?« »Oh, Himmel!« Der Zorn war so schnell verraucht, wie er aufgeflackert war. Hal setzte sich wieder aufs Bett. Will hatte jedes Recht, auf ihn w?tend zu sein. ?Ich war betrunken, Will. Es tut mir leid.? »Es tut dir leid? Und das soll reichen?« Will wirbelte herum; er fürchtete sich vor dem, wozu er fähig wäre, wenn er in Reichweite seines Bruders blieb. Der Anblick von Tommys verletzter und besorgter Miene heizte seine Wut noch an. Er ging wieder hinüber zu Hal. »Glaubst du wirklich, du könntest zu diesen Männern hingehen und sagen: ›Tut mir leid, ich wollte das Geld nicht verlieren‹, und von ihnen erwarten, dass sie es vergessen und uns unserer Wege ziehen lassen?« »Ich dachte, wir wären längst weg.« Die Worte waren nicht mehr als ein defensives Gemurmel. »Was! Was hast du gesagt?«, brüllte Will ungläubig. »Du hast es gehört.« »Willst du etwa behaupten, du hast diese Schuldscheine unterzeichnet und hattest nie die Absicht, sie zu bezahlen?« Hal nickte wie betäubt. Er hörte Will fluchen, zwei harte Schritte Richtung Fenster machen und dann zurückkommen. Daran, dass Will in einen kornischen Tonfall zurückgefallen war, erkannte er, wie wütend sein Bruder war. Er spürte Wills Anspannung und welche Mühe es ihn kostete, vor Wut nicht ganz außer sich zu geraten. Schattenhafte Bilder der anderen schlimmen Sache, die er in der Nacht zuvor getan hatte, gingen ihm durch den Kopf. Wenn Will das herausfand … Hal stützte die Unterarme auf die Oberschenkel, ließ den Kopf hängen und weinte. Er weinte aus Reue, aus Scham und aus Angst vor Entdeckung. Er weinte, weil Will so wütend war und weil er gesehen hatte, wie enttäuscht Tommy von ihm war. Er weinte auch, weil er sich so verdammt schrecklich fühlte, dass er sich wünschte, der Boden würde sich unter ihm auftun und ihn verschlingen. »Was würden Ma und Pa sagen, wenn sie das wüssten?« Hal schüttelte den Kopf, bei der Erwähnung ihrer Eltern wurden aus den Tränen laute Schluchzer. Er brachte kein Wort mehr heraus. Und es gab auch nichts, was er h?tte sagen k?nnen, um die Situation zu verbessern. Will ließ die Reue seines Bruders ungerührt. Das Geld war weg. »Ich habe deine Schulden bezahlt, Hal. Aber verstehst du, was das bedeutet?« Diesmal nickte Hal. O ja, er wusste ganz genau, was das bedeutete. »Wir haben keine zwei Pfund mehr. Was glaubst du, wie weit wir damit kommen?« Er schniefte und rieb sich mit dem Ärmel wütend über die Augen. »Haben wir unsere Vorräte nicht schon?« »Nicht genug für die fünf oder sechs Wochen, die wir schätzungsweise bis nach Ballarat brauchen.« »Was sollen wir machen?«, meldete Tommy sich zu Wort. »Wir können nur versuchen, unterwegs ein bisschen Arbeit zu finden. Selbst wenn es Arbeit gegen Essen ist.« Will hatte seine Wut zwar unter Kontrolle, aber sie war noch nicht verraucht. Hal wusste, dass Will noch sehr lange wütend auf ihn sein würde. Und was für einen Schaden hatte er mit seinem dummen Betragen der engen Beziehung zu dem kleinen Tommy zugefügt? Die Enttäuschung seines Bruders schmerzte ihn mehr als alles andere. Er stieß einen tiefen, aufrichtigen Seufzer aus. »Ich weiß, dass es nicht viel bedeutet, wenn ich sage, dass es mir leidtut, Will, Tommy. Aber es tut mir wirklich leid, dass ich so ein Dummkopf war. Ich versprech auch, dass ich alles tun werde, was ich kann, um es wiedergutzumachen.« »Oh, das wirst du«, versicherte Will ihm, »verlass dich drauf. Und jetzt sollten wir zusehen, dass wir noch eine Mütze Schlaf bekommen. Wir brechen früh am Morgen auf.« »Mit Adam und Joshua?« »Nein. Die bleiben mindestens noch einen Tag. Adam kann erst fertig aufladen, wenn Joshua entlassen wurde. Abgesehen davon m?chte ich dich von Joshua Winton fernhalten. Er war dir kein Freund.? »Ich will ihn auch gar nicht zum Freund.« Hal war überrascht, wie erleichtert er war. »Ich bin froh, dass wir nicht mit ihnen reisen.«  
Im weichen grauen Licht der verblassenden Nacht waren alle Farben zu Schatten gedämpft. Die Menschen, die schon auf den Beinen waren, achteten kaum auf diejenigen, die meist mit gesenkten Köpfen dahin gingen, wo sie den ganzen Tag arbeiten würden. Die Brüder Collins gingen schweigend, grüßten niemanden und sprachen auch nicht miteinander. Sie waren aufgestanden, hatten ohne viele Worte ihre Habseligkeiten zusammengepackt und das Hotel verlassen. Auch am Mietstall sprachen sie nur das, was notwendig war, um die zwei Reitpferde zu satteln und das dritte Pferd anzuspannen. Als sie bereit waren, ihre Reise fortzusetzen, tauchte die Morgendämmerung die Stadt Adelaide in ein rosagoldenes Licht. Die erste Pause des Tages machten sie nach mehr als drei Stunden. Danach übernahm Will das Führen des Wagens und ließ seine Brüder so weit vorausreiten, dass er ihre Stimmen nicht mehr hörte. Was auch immer Hal gegenüber Tommy als Entschuldigung vorbringen wollte, Will wollte davon nichts mitbekommen. Er machte sich mehr Sorgen darum, wie sie das Geld zurückerlangen konnten, das Hal vergeudet hatte. Will würde seinem Bruder diese Dummheit erst verzeihen, wenn Hal jeden einzelnen Penny zurückgezahlt hatte. Sobald sie Ballarat erreichten, würde er Hal losschicken, damit er sich eine bezahlte Arbeit suchte. Sein Anteil an dem Gold, das sie fanden, würde im Verhältnis zu den Stunden stehen, die er für die Goldgräberei erübrigen konnte. Die Straße in die Hügel hinein war gut ausgefahren, genau wie die von Burra nach Adelaide, und Pferde und Wagen kamen gut voran. Mehrere kleine deutsche Siedlungen in den Adelaide Hills fesselten die Br?der, denn sie waren anders als alles, was sie je gesehen hatten. Die h?bschen Giebelh?user mit ihren kleinen Fenstern und gro?en Dachb?den standen inmitten bl?hender G?rten. Alte Frauen sa?en in der Sonne vor der T?r und waren mit Stricken besch?ftigt. Kinder in ihrer Nationaltracht spielten zusammen, die M?dchen trugen bunte Taschent?cher auf den K?pfen. M?nner, Pfeife im Mund, bestellten die Felder oder k?mmerten sich um Ziegen und K?he. M?nner, Frauen und Kinder winkten den drei jungen Reisenden l?chelnd zu. Die Collins-Brüder wussten, dass die Straßen und Wege immer schlechter werden würden, nachdem sie die Vorgebirge mit ihren freundlichen deutschen Siedlungen hinter sich gelassen hatten. Am ersten Abend kampierten sie in den Mount Lofty Ranges. Will ging davon aus, dass sie weitere zwei Tage brauchen würden, um die steile Bergkette zu überwinden. Wenn sie sich nicht völlig verausgaben wollten, würden Pferde und Männer häufigere Pausen brauchen. Die ersten Schwierigkeiten begannen, als sie einsehen mussten, dass der Wagen zu schwer war, um von einem Pferd allein über die Passhöhe gezogen zu werden. Unerfahrenheit und die Tatsache, dass sie kein anständiges Geschirr hatten, führten dazu, dass sie lange herumprobieren mussten, bis alle drei Pferde vor den Wagen gespannt waren. Der Abstieg war glücklicherweise etwas sanfter, unterbrochen von einer Reihe von mehr oder weniger steilen kürzeren Anstiegen. Das Gelände, das sie in den nächsten Tagen passierten, war manchmal sanft gewelltes, manchmal hügeliges Land, doch hier brauchten sie nicht mehr als die Kraft eines Pferdes, um die Höhen zu schaffen. Die drei Männer nahmen sich die Zeit, die Landschaft, durch die sie reisten, zu genießen. Häufig sahen sie kurz vor sich Wallabys über den Weg hüpfen. Gelegentlich deutete nur ein schweres Dröhnen an, dass eines in der Nähe war und durch den Busch davonhüpfte. »Diese Wallabys sind im Busch schwer zu erkennen«, bemerkte Hal. »Wenn sie unerwartet aufspringen, können sie einem richtig Angst einjagen.« Seine Worte sollten sich als prophetisch erweisen, denn plötzlich sprang ein staubig-graues Wallaby fast direkt unter der Nase des Kutschpferds aus dem Busch. Erschrocken wich es rasch seitwärts aus, ohne jedoch langsamer zu werden. Das Kutschpferd scheute vor Angst, und Tommy brauchte all seine Kraft, um es unter Kontrolle zu bringen. Zunächst gelang ihm das, auch wenn sein Herz aus Angst schneller pochte, doch dann folgten mehrere Wallabys in rascher Folge dem ersten. Das Pferd machte einen Satz und brach in einen Galopp aus. Tommy zog mit aller Kraft an der Leine und rief: »Hüh! Hüh!« Er hörte Hal und Will rufen und merkte, dass Will neben ihm galoppierte. »Zieh die Bremse an«, schrie Will. Dann war Will an ihm vorbei und beugte sich herüber, um das Zaumzeug des in Panik geratenen Kutschpferds zu packen. Doch er bekam es nicht zu fassen. Tommy spürte, wie er durch die Luft flog. O Gott, nein, dachte er bei sich. Bitte nicht. Will schaffte es gerade so, mit seinem eigenen Pferd dem durch die Luft fliegenden Wagen auszuweichen, bevor dieser auf der Seite landete. Vollkommen verängstigt setzte das angeschirrte Pferd seinen ungestümen Galopp fort, bis der Wagen seitlich über den Rand des Weges rutschte und das Gewicht des Wagens das Pferd zum Straucheln brachte. Das Tier stürzte unglücklich und wurde von dem Wagen, der weiter bergab rutschte, mitgeschleift. Bestürzt und hilflos sah Will dem Wagen noch etwa zehn Sekunden lang hinterher, bevor er rasch zurück zu Hal ritt, der sich über Tommy beugte. »Lebt er noch?«, fragte er, noch bevor er aus dem Sattel stieg. »Ich glaube schon.« Will beugte sich über seinen jüngsten Bruder. Tommy atmete, r?hrte sich aber nicht. Gesicht und H?nde waren voll Blut, und auch das rechte Hosenbein war mit Blut getr?nkt. Das Bein war zwischen Knie und Kn?chel grotesk verdreht. Will legte Tommy sehr vorsichtig eine Hand auf das Bein. Er sp?rte, wo der Knochen gebrochen war. Hal kniete auf der anderen Seite seines Bruders und sah Will verstört an. »Was machen wir jetzt? Er ist böse verletzt, nicht wahr?« Wills Miene war grimmig, ihm schossen alle möglichen Gedanken durch den Kopf. »Ich hab Angst, ihn zu bewegen.« »Soll ich Hilfe holen? Schauen, ob ich einen Arzt finden kann?« »Aber wo? Den ganzen Weg zurück nach Adelaide?« »Was ist mit den deutschen Siedlungen?« »Das ist fast genauso weit.« »Dann sollte ich weiterreiten. Vor uns liegt sicher auch noch eine Siedlung.« Es musste noch eine Siedlung geben, das blasse Gesicht seines jüngeren Bruders gefiel ihm gar nicht. »Am besten versuchen wir zuerst, es Tommy bequem zu machen.« Will zog seine Jacke aus und faltete sie zusammen, um ein Kissen zu machen, das er Tommy vorsichtig unter den Kopf schob. »Leg ihm eine Jacke über, Hal, um ihn warm zu halten, und bleib bei ihm. Ich gehe schauen, was mit dem Pferd und dem Wagen ist, dann entscheiden wir, was wir am besten machen.« Will nahm sein Gewehr aus der Halterung am Sattel seines Pferds, bevor er den Hügel hinunterkrabbelte, -rutschte und -glitt. Das Pferd, das schwer verletzt war, jedoch noch lebte, lag auf der Seite, die Zugriemen um seine gebrochenen Beine verheddert. Will, der wenig Übung im Umgang mit Waffen hatte, hielt dem Pferd den Lauf an den Kopf. Der Rückstoß riss an seinem Arm und an seiner Schulter, der Knall dröhnte ihm in den Ohren. Das Pferd hatte ein dunkles rotes Loch im Schädel. Es lag still, denn jetzt litt es nicht mehr. Will ließ die Schulter kreisen, um sich von dem R?cksto? zu erholen. Ihm war ?bel von dem, was er da hatte tun m?ssen. ?Du armes Vieh, mehr konnte ich nicht f?r dich tun.? Der Wagen war arg demoliert, die Ladung war auf dem ganzen Weg den Hügel hinunter und um den Baum herum, wo der Sturz geendet hatte, verteilt. Ein Blick genügte, um Will zu verraten, dass der größte Teil ihrer Vorräte an Mehl, Reis und Zucker weit verstreut war. Abgesehen von diesen Lebensmitteln jedoch konnte der größere Teil der Dinge, die auf dem Wagen gewesen waren, gerettet werden. Er zog unter Schaufeln und Keilhauen einige Decken hervor und kletterte wieder hinauf zum Weg. Nachdem sie Tommy in Decken eingewickelt hatten, erklärte er Hal, was sie seiner Meinung nach tun sollten. »Ich denke, wir sollten weiterfahren. Hoffe, dass wir an einer weiteren Siedlung vorbeikommen.« »Ich reite sofort los.« Hal stand auf. »Nein. Wir gehen alle zusammen. Ich will nicht, dass wir uns trennen. Wir müssen Tommy ein paar Minuten allein lassen. Ich will, dass du mitkommst, um ein paar Bretter und Seile vom Wagen zu holen.« »Wofür?« »Wir müssen eine Art Schlitten bauen, der von einem der Pferde gezogen werden kann. Wir müssen Tommy irgendwie transportieren. Und ich glaube, wir sollten versuchen, sein Bein zu richten. Ich weiß«, sagte er, als Hal aufkeuchte, »mir ist dabei auch nicht wohl zumute. Aber es scheint mir das Beste zu sein, es zu richten und mit einem Brett zu fixieren, statt es so zu lassen, wie es jetzt ist. Solange er bewusstlos ist, spürt er hoffentlich die Schmerzen nicht.« Die Brüder machten sich rasch daran, die Dinge, die sie brauchten, den Hang hinaufzutragen. Mit einer Axt spaltete Will das bewegliche Rückbrett des Wagens, um für Tommys verletztes Bein eine Schiene zu machen. Er riss ein Hemd in Streifen, um die Schiene am Bein zu fixieren. Dann wappnete er sich f?r das, was er tun musste. »Du hältst ihn am besten fest, Hal, falls er zu sich kommt.« Hal kniete sich in Kopfhöhe neben seinen jüngeren Bruder und hielt dessen Schultern. Ihm war übel vor Sorge. Tommys von den vielen blauen Flecken rasch anschwellendes Gesicht war ein schrecklicher Anblick. Mit einem Messer schnitt Will das blutgetränkte Hosenbein ab. Er spürte, wie sich auf seiner Stirn Angstschweiß bildete und ihm in die Augen tropfte. Mit dem Ärmel wischte er ihn weg. Er hatte Angst – verdammt große Angst. Einen Augenblick hob er den Blick, um Hal anzusehen. Die offene Angst in Hals Miene war der Ansporn, den er brauchte, um das zu tun, was getan werden musste. Er packte Tommys Bein oberhalb und unterhalb der Bruchstelle. Sie hörten das Knirschen von Knochen auf Knochen. Tommys Körper zuckte. Ein rascher Blick auf Hal zeigte, dass der die Lippen zusammenbiss, als kämpfte er gegen das Bedürfnis, sich zu übergeben. Auch in Wills Magen rumorte es ziemlich. Er holte tief Luft und wischte sich noch einmal mit dem Ärmel die Schweißperlen von der Stirn. »Ich hoffe um Tommys willen, dass ich das richtig gemacht habe.« Er verband das gerichtete Bein so fest, wie er konnte. Hal half ihm, die provisorischen Schienen auf beiden Seiten des Beins festzubinden. Die beiden blieben noch mehrere Minuten an der Seite ihres Bruders sitzen, bis Will sich davon überzeugt hatte, dass es Tommy nach der primitiven Behandlung nicht schlechter ging. »Dem Burschen scheint’s gut zu gehen. Wir beide machen uns jetzt am besten daran, den Schlitten zu bauen.« Sie schnitten Schösslinge, die sie als Querstreben verwendeten, um die Seitenbretter der Kutsche miteinander zu verbinden. Die Querstreben wurden an kräftigere Stämmchen gebunden, die ein wenig länger waren als die Bretter. Die Enden dieser provisorischen Kufen w?rden der einzige Teil des Schlittens sein, der den Boden ber?hrte. Will hoffte, dass diese Konstruktion Tommy die Weiterreise einigerma?en ertr?glich machen w?rde. Aus dem Geschirr des toten Kutschpferds fertigten sie ein Geschirr, um den Schlitten zu ziehen. Als die behelfsm??ige Trage fertig war, hoben sie Tommy auf ein Bett aus Decken, deckten ihn mit weiteren Decken zu und zurrten ihn f?r den Transport an der Trage fest. Jetzt mussten sie nur noch den Rest des Wassers, der nicht verschüttet war, holen. Ihre übrigen Sachen mussten auf dem Hügel zurückbleiben, und die Brüder konnten nur hoffen, dass nicht alles gestohlen wurde, bevor sie zurückkehren konnten. Wenn der Weg bergan führte, gingen Will und Hal zu Fuß und führten die Pferde. Sobald sie flacheres Land erreichten und die Anstrengung für die Pferde nicht mehr so groß war, ritten sie. Am späten Nachmittag waren beide Brüder erschöpft und voller Sorge. Tommy atmete zwar noch, zeigte jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass er das Bewusstsein wiedererlangte. Hal betrachtete verzweifelt die Landschaft um sie herum. Sie waren in ein Gebiet gekommen, wo die Bäume weniger dicht standen und man eigentlich hoffen konnte, auf die Hütte eines Siedlers zu stoßen. »Wir finden sicher bald ein Haus. Wir müssen jemanden finden.« Hals Stimme stockte, und dann schluchzte er auf. »Tommy darf nicht sterben.« Will antwortete nicht. Er war todunglücklich und gab sich die Schuld. Sich in Südaustralien komplett auszustatten und dann auf dem Landweg nach Ballarat zu reisen war seine Idee gewesen. Wären sie per Schiff gereist, wäre Tommy jetzt nicht in so einem ernsten Zustand. Will konnte seine Schuld nicht in Worte fassen. Er konnte nur beten und wiederholte Worte und Wendungen, die er bei seiner Ma immer gehört hatte. Er, der Gott nie viel Zeit gewidmet hatte, wünschte sich jetzt, er stünde auf besserem Fuße mit dem Herrn. Plötzlich stieß Hal einen Schrei aus. »Will, schau! Da drüben, das sieht nach Rauch aus. Endlich Menschen.« Will schaute in die Richtung, in die Hal zeigte. »Du hast recht.« Vielleicht hatte Gott seine Gebete erhört. Obwohl er sich noch nicht erlaubte, sich erleichtert zu entspannen. »Reit voraus, Hal. Sag ihnen, dass ich mit Tommy komme.« Hal trieb sein Pferd mit den Knien zu einem kurzen Galopp an und folgte dem Weg, bis er um ein Dickicht aus Sträuchern außer Sicht geriet. Wenige Augenblicke später war er wieder da und ritt schneller als vorher. Will zügelte sein Pferd. »Was ist passiert?« »Der Rauch kommt von einem Lager von Schwarzen, nicht von einem Haus.« Will wunderte sich, warum sein Bruder so beunruhigt war. »Hast du etwa Angst vor denen? Du hast doch in Burra und auch in Adelaide viele Aborigines gesehen. Ist es ein Kampftrupp?« Er sah, dass Hal zitterte und im Gesicht aschfahl war. Hal kämpfte gegen seine wachsende Panik an. Ein Kampftrupp, ja, das sollte er Will sagen, damit der umkehrte. Als er der Gruppe ansichtig geworden war, hatte er sich mit Übelkeit erregender Deutlichkeit daran erinnert, was er an dem Abend in Adelaide mit Joshua abgesehen vom Kartenspiel noch getrieben hatte. Von den Aborigines war bekannt, dass sie Rache nahmen. Was, wenn er wiedererkannt wurde? Ein Laut drang an seine Ohren, der ihm ein angstvolles Frösteln über den Rücken jagte. Erst als Will aufschrie und sich rasch vom Pferd schwang, wurde ihm klar, dass der Laut von Tommy gekommen war. »Schnell, Hal, in meiner Satteltasche ist eine Flasche Whisky.« Hal stieg behände ab. »Ist er bei Bewusstsein?« »Nur teilweise. Aber ich glaub, ich gieß ihm ein bisschen Whisky die Kehle runter. Wenn es sonst nichts hilft, dann wärmt es ihn wenigstens ein wenig.« Sehr vorsichtig brachte Will Tommy dazu, winzige Schlückchen Whisky zu schlucken. Der Bursche st?hnte ein paarmal und schien dann wieder in Bewusstlosigkeit zu versinken. »Wir gehen zu dem Lager der Schwarzen.« »Die können uns auch nicht helfen.« Sämtliche Nerven in Hals Körper warnten ihn, sich von dort fernzuhalten. »Aber sie können uns wahrscheinlich sagen, wo das nächste Haus ist.« »Du sprichst ihre Sprache nicht.« »Wir können uns in Zeichensprache verständigen. Sie sehen bestimmt, dass Tommy einen Arzt braucht.« Hal, der noch mehr Argumente vorbringen wollte, sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Er sprang rasch auf und wollte sich schon auf das Gewehr stürzen, doch Will packte ihn fest am Arm und hinderte ihn daran. »Nein, Hal. Sie sind friedlich.« Wenigstens hoffte er, dass die beiden Männer friedlich waren, obwohl sie Speere, Kriegskeulen und Bumerangs bei sich trugen. Ein Mann trug ein ziemlich großes Wallaby, der andere zwei große Eidechsen. Sie waren barfuß und nur in Umhänge aus Opossumfell gekleidet, die ihnen von den Schultern hingen und bis zu den Knien reichten. Ob sie überhaupt schon einmal Weiße gesehen haben?, überlegte Will. In ihren Mienen lag, soweit er das sagen konnte, weder Aggression noch Neugier. Die beiden Aborigines traten an die Trage und schauten schweigend auf Tommy hinunter. Einer sagte in ihrer gutturalen Sprache etwas zu dem anderen. Der zweite, jüngere Mann nickte und schaute Will an. »Sehr krang Bursche.« Will staunte. Er hörte Hal nach Luft schnappen. Hatten sie wirklich so viel Glück? »Sie sprechen Englisch? Er, mein Bruder, hat sich das Bein gebrochen.« Er tat mit den Händen so, als breche er einen Zweig entzwei. Der jüngere Mann nickte. »Kommen mit.« Die beiden entfernten sich. »Willst du wirklich mit denen gehen?«, flüsterte Hal. »Natürlich folgen wir ihnen. Der Jüngere hat Englisch gesprochen, oder? Er muss wissen, wo es Weiße gibt.« »Aber sie tragen nur Opossumfell. Schwarze, die Kontakt zu Weißen haben, tragen normalerweise anständige Kleidung.« »Vielleicht tragen sie im Busch keine Kleider. Ich weiß es nicht. Mir ist nur wichtig, dass wir uns verständlich machen können. Wir müssen alles tun, was wir können, um Hilfe für Tommy zu kriegen.« Er schluckte seine Angst vor Vergeltung und seine schuldbewusste Panik herunter. Diese Menschen, sagte er sich, gehörten ohne Zweifel einem anderen Stamm an. Selbst wenn sie versuchen sollten, ihm etwas zu tun, konnte er sich immer noch mit seinem Gewehr verteidigen. Der arme Tommy war hilflos. Sein Leben war in größerer Gefahr. Schweigend folgten die weißen Männer den beiden Aborigines in ihr Lager. Die Gruppe war eine kleine Familie, eine alte Frau, zwei jüngere Frauen, ein halbes Dutzend Kinder verschiedenen Alters und ein Jugendlicher von etwa sechzehn Jahren. Der jüngere der beiden Männer sagte schnell etwas in ihrer Sprache. Die alte Frau stand auf und ging zur Trage. Sie starrte auf Tommy hinunter, nickte weise und sagte etwas zu dem Mann. Er wandte sich an Will. »Ihr bleiben, heute Abend.« Will schüttelte den Kopf. »Mein Bruder braucht einen Arzt. Können Sie uns zu Weißen bringen?« »Weiße weit weg. Alte Frau kennt Medizin.« »Weiße Medizin?« »Medizin unsere Volk.« Hal sprach Will leise ins Ohr, damit der Aborigine ihn nicht hören konnte. »Frag ihn, wie weit es bis zur nächsten Weißensiedlung ist. Der Gedanke, dass die alte Frau etwas mit Tommy macht, behagt mir nicht.? »Mir auch nicht, aber ich glaube, wir haben keine andere Wahl.« Mit lauter Stimme fragte er den Aborigine: »Wie weit ist es zum Haus der Weißen?« »Vielleicht ganze Nacht.« »Was ist mit einem Arzt – einem weißen Medizinmann?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Schwarze Medizin gut.« Die alte Frau wandte sich in einem raschen Redefluss erst an die Männer, dann an eine der jüngeren Frauen. Diese antwortete kurz und verließ dann das Lager. »Mirritji gehen Medizin suchen.« Er wies auf Tommy. »Bringen Junge Feuer.« Zusammen lösten Will und Hal das Geschirr, an dem Tommys Schlitten hing. Mit Hilfe der beiden Aborigines trugen sie ihn näher ans Feuer. Schon lag die Kühle der heranrückenden Nacht in der Luft. Will bat Hal, sich um die Pferde zu kümmern, und knüpfte die Seile auf, mit denen Tommy an der Trage festgebunden war, während die alte Frau sich neben ihn hockte und das gebrochene Bein aufdeckte. In Wills Kehle stieg Galle auf. Die Wunde eiterte schon. Die alte Frau nickte ernst. Dann kratzte sie ein wenig Holzkohle vom Rand des Feuers, nahm die Blätter, die die junge Frau ihr gebracht hatte, und ließ sie in den Feldkessel fallen, der im Feuer stand. Wills Sorge um seinen Bruder war im Augenblick von der Neugier verdrängt, wie die Aborigines wohl Wasser erhitzt hatten, bevor der weiße Mann mit seinen Blechbehältnissen gekommen war. Aus dem dampfenden Feldkessel, der vom Feuer genommen worden war, um abzukühlen, stieg der an Minze erinnernde Duft von Eukalyptus auf. Will erinnerte sich, dass er gehört hatte, das Extrakt der Eukalyptusblätter besäße reinigende Fähigkeiten. Er fragte den Mann, der ein wenig Englisch sprach. Der Aborigine nickte. »Gute Medizin. Reinigt gutt.« Hal, der nach den Pferden gesehen hatte, kehrte jetzt zurück. Als er Tommys Bein sah, keuchte er auf. »Gütiger Himmel! Wenn wir nicht bald Hilfe für ihn holen, wird Tommy sterben oder, wenn’s nicht ganz so schlimm kommt, das Bein verlieren.« »Wir bekommen Hilfe. Es ist vielleicht nicht die Medizin, die wir kennen, aber es ist doch Medizin.« Im Stillen betete Will, dass er recht behielt. Die alte Dame machte sich daran, den Eukalyptustee über die offene Wunde zu gießen, bis das Fleisch sauber und roh aussah. Dann mischte sie aus den Blättern und der Holzkohle einen Brei und schmierte ihn um die Wunde. Will und Hal sahen einander an, und in ihren Augen stand dieselbe Frage. Würde dieser primitive Brei heilen oder schaden? Sie konnten nur still bei sich beten, dass er half. Dann nahm die Frau ein Stück Rinde, befeuchtete die Innenseite und legte sie Tommy auf die Stirn. »Rinde hilft aufwachen«, erklärte der Aborigine. »Du bleiben hier, bis Sonne kommen.« Die Aborigines teilten großzügig ihr Essen mit ihnen. Auch wenn ihnen das rohe Kängurufleisch nicht besonders zusagte, wollten Will und Hal ihre Gastgeber nicht beleidigen, indem sie sich weigerten, es zu essen. Will unterhielt sich mit dem Mann, der sich Jerry nannte. »Name hat Weißer mir gegeben.« »Wo haben Sie Englisch gelernt, weiße Sprache?« »Arbeit für Boss Harvey, lange her. Schafe.« »Jetzt kümmern Sie sich nicht mehr um die Schafe.« Das war eine Feststellung und eine Frage. »Jetzt Walkabout. Bald zurück.« »Wenn morgen die Sonne aufgeht, müssen wir meinen Bruder zur nächsten Weißensiedlung bringen. Zeigen Sie uns den Weg?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht gehen. Bleiben hier, bis Boss Harvey kommen.« »Sie rechnen damit, dass Ihr Boss in Ihr Lager kommt«, rief Will. »Wann?« »Bald. Junge bringen Boss Harvey Nachricht.« Will schaute sich in der Gruppe um und sah, dass der Jugendliche nicht mehr unter ihnen war. Er hatte nicht mitbekommen, wie er fortgegangen war. Tiefe Dankbarkeit erfüllte sein Herz. Entweder hatte Gott ihre Gebete erhört, oder das Schicksal hatte beschlossen, freundlich zu ihnen zu sein. Er überlegte, was er den Aborigines geben konnte, um seine Dankbarkeit zu bezeigen. Ob der Mann wohl beleidigt war, wenn er ihm ein Geschenk machte? Während Will mit dem Mann sprach, war sich Hal, der neben Tommy saß, unbehaglich der geschmeidigen Anmut der beiden jungen Frauen bewusst und der Art, wie das Feuer auf ihren Körpern schimmerte. Die Verunsicherung, die er empfand, seit sie das Lager betreten hatten, war durch das gelegentliche Kichern und die scheuen Blicke, mit denen die jungen Frauen die weißen Männer betrachteten, noch gewachsen. Doch ihre anziehende Halbnacktheit erregte Hal nicht. Vielmehr war ihm fast körperlich übel vor Schuld und Reue. Wenn diese Menschen von seinem Verbrechen in Adelaide gewusst hätten, hätten sie sie wahrscheinlich alle drei umgebracht, statt ihnen zu helfen. Beschämt wandte er den Blick von den jungen Frauen ab. Hal hoffte von ganzem Herzen, dass er nie im Leben mehr mit Joshua Winton zusammentraf.  
In den kältesten Stunden der Nacht, die der Morgendämmerung vorausgingen, rührte Tommy sich und schlug die Augen auf, immer noch halb in dem Traum von Cornwall gefangen, den er geträumt hatte. Doch das hier war nicht Cornwall. Er hatte keine Vorstellung davon, wo er war. Sein Kopf schmerzte scheußlich, genau wie sein rechtes Bein. Als er versuchte, sich zu rühren, schrie er auf vor Schmerz. Er hörte Hals Stimme, die nach Will rief, und sah dann, wie sich das Gesicht seines ältesten Bruders über ihn beugte. »Tommy. Gott sei Dank, dass du wach und wieder bei Bewusstsein bist.« »Wie geht’s dir?« Auch Will beugte sich über ihn. »Mein Bein … was ist passiert?« »Erinnerst du dich nicht?« Tommy wollte den Kopf schütteln, zuckte jedoch vor Schmerz zusammen. »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, wie ich mit dem Wagen einen Hügel raufgefahren bin.« »Das Pferd ist durchgegangen, es hat sich über ein Wallaby erschrocken, das vor ihm über den Weg gehüpft ist. Du wurdest vom Wagen geworfen. Und du warst bewusstlos und hast dir ein Bein gebrochen.« »Wann war das?« »Gestern Nachmittag.« »Wo sind wir jetzt?« »Im Lager einiger Aborigines. Die alte Frau hat dich mit ihrer Buschmedizin behandelt.« »Wie spät ist es?« »Kurz vor der Morgendämmerung, glaube ich. Lieg einfach still und versuch zu schlafen, bis es hell wird.« Will stand auf, um sich einige Schritte vom Lager zu entfernen. Als er an Jerry vorbeiging, sah er das Weiße in dessen Augen im Dunkeln glimmen. Ohne dass ein Wort gesprochen wurde, drückte der eine aus, wie zufrieden, und der andere, wie dankbar er war. Will ging zu den Bäumen, wo er einen Platz fand, um sich zu erleichtern. Jetzt, wo er sich körperlich wieder wohl fühlte, spürte er auch, dass die Anspannung erheblich nachgelassen hatte. Ob Tommy ohne die Hilfe der Rindenarznei wieder zu Bewusstsein gekommen wäre, würde er nicht hinterfragen. Was jetzt zählte, war nur die Gewissheit, dass Tommy den Unfall überleben würde. Vor Tagesanbruch hatten die Frauen schon das Feuer neu entfacht und einen Kessel mit frischem Wasser aufgestellt. Sobald es kochte, nahm eine der Frauen einen kleinen Beutel und schöpfte daraus eine Handvoll Teebl?tter in das kochende Wasser. Dann nahm sie den Feldkessel vom Feuer und r?hrte den Tee dreimal mit einem Stock. Will erinnerte sich daran, dass er gehört hatte, die Aborigines wären wild auf Tabak und Tee. Die Collins-Brüder rauchten nicht, doch in der Satteltasche war eine Packung Tee. Er konnte ihnen den Tee und vielleicht noch einen zweiten Feldkessel schenken, denn die Aborigines schienen nur den einen zu haben. Als er sah, dass die Frau Zucker holte, um ihn in den Tee zu tun, beschloss er, ihnen auch ihr Paket Zucker zu geben. Der Tee war stark und fast Übelkeit erregend süß. Die Aborigines tranken aus zerbeulten Blechtassen. Die Collins-Brüder holten ihre Becher aus den Satteltaschen. Aus den Sätteln bauten sie eine Stütze, mit deren Hilfe sich Tommy halb aufsetzen konnte. Obwohl er den Becher mit beiden Händen halten musste, trank er den ganzen Tee. »Hast du Hunger?«, fragte Hal. »Ein bisschen. Ich glaub, ein bisschen was zu essen würd meinen Magen ein wenig beruhigen.« Hal holte die Keksdose heraus. Er nahm einige für Tommy heraus und reichte die Dose dann den Aborigines. Die Hände der Kinder griffen begierig nach der süßen Speise, und auf ihren dunklen Gesichtern machte sich ein breites, vergnügtes Grinsen breit. Doch die alte Frau erlaubte nicht, dass sie sich satt aßen. Als Kinder und Erwachsene einige Kekse genommen hatten, schloss sie die Dose und reichte sie Hal zurück. Sie zeigte auf Tommy, und Hal wusste, dass sie ihm bedeutete, er solle den Rest der Kekse für seinen Bruder aufheben. Die Stunden vergingen nur langsam. Als der Tag allmählich wärmer wurde, bewegte sich die Gruppe in den Schatten der Bäume an einem nahe gelegenen Wasserloch. Die Frau bereitete ein Gebräu aus verschiedenen Pflanzen zu und gab es Tommy gegen seine Schmerzen. Die Kinder spielten am Rand des Wassers, und die wei?en M?nner beobachteten interessiert ihre Spiele. Jerry und der ?ltere Mann hatten ihre Speere genommen und waren jagen gegangen, w?hrend die beiden jungen Frauen mit ihren aus Bast gekn?pften Beuteln loszogen, um im Busch nach Essbarem zu suchen. Bei ihrer Rückkehr hatten sie die Taschen voller Knollen und wilder Beeren. Kurze Zeit später kehrten die Männer mit einer Schlange und einer Eidechse zurück. Beide Reptilien wurden so, wie sie waren, auf die Kohlen geworfen. Wieder wurde das Essen freigebig mit den Weißen geteilt. Die Brüder zögerten zwar, die Reptilien zu probieren, doch der Hunger war stärker. Zu ihrer großen Überraschung stellten sie fest, dass die gekochte Schlange einem Huhn nicht unähnlich schmeckte. Die Beeren erinnerten im Geschmack an Himbeeren. Wieder einmal wurde der Feldkessel aufgesetzt, um Tee zu kochen. Jerry grinste, als Hal ein Stück Eidechse nahm. »Schwarzenfutter gut, was?« Hal, der sich unter den Aborigines inzwischen wohler fühlte, erwiderte das Grinsen. »Ziemlich gut. Was meinst du, Will? Jetzt brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen, dass uns die Lebensmittel ausgehen. Wir können uns einfach eine Schlange oder eine Eidechse fangen.« Zu seiner ungeheuren Überraschung brach Jerry in schallendes Gelächter aus. Die Worte, die er in seiner eigenen Sprache sprach, lösten in der Gruppe ausgelassene Fröhlichkeit aus. Hal sah Will an. »Was sagt er? Was ist so witzig?« Jerry schaffte es, sein Lachen unter Kontrolle zu bringen. »Lustig ist, dass Weißer versuchen, Eidechse fangen. Eidechse läuft verdammt schnell.« Nun stieß Will ein leises Kichern aus. »Ich glaub, Jerry hat recht, Hal. Wir sollten besser von den Frauen einiges über Buschnahrung lernen.« Worauf Jerry mit offensichtlicher Schadenfreude grunzte. »Weißer denken ziemlich klug, aber Schwarzer auch klug.« »Sie haben recht.« Will wurde augenblicklich ernst. »Ohne Ihre Hilfe wäre Tommy womöglich nicht mehr am Leben. Und wir wären zweifellos sehr hungrig.« Um die Mittagszeit ruhten alle. Die alte Frau, der alte Mann und einige Kinder schliefen. Tommy und Hal schliefen ebenfalls. Will konnte nicht einschlafen. Er setzte sich mit dem Rücken an einen Baum und lauschte auf alles, was die Ankunft von Jerrys Boss Harvey ankündigen konnte. Erst am späten Nachmittag, als die Männer in der Hoffnung, noch ein Wallaby zu fangen, wieder ihre Jagdwaffen genommen hatten, hörte er das unmissverständliche, doch immer noch ferne Geräusch eines näher kommenden Wagens. Er sprang auf, um zu dem Weg zu laufen, dem sie gefolgt waren. Und tatsächlich näherte sich von Osten ein von zwei Pferden gezogener kleiner Wagen. Er lief zurück ins Lager, um sein Pferd zu holen. »Was ist los?«, fragte Hal alarmiert. »Es kommt ein Wagen. Ich reite ihnen entgegen. Sag’s Tommy.« Hastig sattelte er sein Pferd, stieg auf und galoppierte dem herannahenden Wagen entgegen. Der Wagen hielt, als er ihn erreichte. Auf dem leichten, vierrädrigen Wagen saßen zwei Männer, in die Moleskinhosen und Flanellhemden der Siedler gekleidet. Der junge Aborigine hockte auf der Ladefläche. Will vergeudete keine Zeit mit einer formellen Begrüßung. »Ich bin wirklich froh, Sie zu sehen, Mr. Harvey.« Er sprach den dicken Mann an, der die Leine hielt, den Mann, der aussah, als gäbe er die Befehle. »Ich bin Will Collins. Wie viel hat der Junge Ihnen erzählt?« Zum ersten Mal überlegte Will, ob der junge Aborigine Englisch sprach. Er musste wohl, denn Hilfe war gekommen. »Ich habe gehört, dass es einen Unfall gegeben hat und dass Sie einen bewusstlosen Mann mit einem gebrochenen Bein hier haben.« »Zum Glück ist er nicht mehr bewusstlos. Ich mache mir trotzdem noch Sorgen um ihn. Ich wünschte, wir könnten ihn zu einem Arzt bringen.« »Auf dieser Seite von Adelaide gibt es keinen Arzt. Hier draußen kümmern wir uns selbst um uns. Hier, Sie fahren am besten mit mir, dann können Sie mir alles erzählen, was passiert ist. Jack kann Ihr Pferd nehmen.« Der Mann namens Jack tauschte mit Will den Platz. Sobald Harvey den Wagen wieder in Bewegung gesetzt hatte, erzählte Will ihm alles, von da an, als ihnen die ersten Wallabys über den Weg gehüpft waren. »Wir hatten Glück, dass wir die Aborigines getroffen haben. Ich weiß nicht, was der Breiumschlag der alten Frau für Tommys Bein tun kann. Ich weiß nur, dass das, was sie ihm zu trinken gegeben hat, seine Schmerzen gelindert hat.« »Sie wären wahrscheinlich überrascht, aber ich habe öfter, als ich zählen kann, erlebt, wie wirksam die Medizin der alten Mary ist.« Er nahm die Leine in die linke Hand, um mit der rechten den Ärmel seines Hemds hochzuschieben. Über den Unterarm vom Ellbogen bis zum Handgelenk lief diagonal eine tiefe weiße Narbe. »Das hat sie für mich gerichtet.« »Wie ist das passiert?« »Bei einem Unfall, beim Holzsägen. Ich habe schrecklich viel Blut verloren, bis Jerry seine Mutter geholt hat. Ich schätze, ich verdanke ihr mein Leben.« »Die Frau ist Jerrys Mutter? Was ist mit dem älteren Mann?« »Ein Onkel. Der Bursche hintendrauf ist sein ältester Sohn. Eine der jüngeren Frauen ist seine Frau, die andere irgendeine Cousine. Welches Kind zu wem gehört, dahinter bin ich noch nicht gekommen. Bei den Aborigines übernimmt der ganze Stamm die Aufzucht der Kinder. Da scheint es nicht so wichtig zu sein, wer die Eltern sind.« »Jerry sagte, er kümmert sich um Ihre Schafe. Was ist mit den anderen?« »Ich lasse sie am Bach wohnen. Der kleine Billy«, er wies mit dem Kopf auf die Ladefläche des Wagens, »hilft auf dem Hof.« Sie hatten das Lager erreicht. Harvey ging sofort zu Tommy hinüber. »Wie geht es Ihnen, junger Mann?« »Mir geht’s schon besser.« »Hmm. Soweit Ihr Bruder mir das erzählt hat, hatten Sie verdammtes Glück, dass Sie nicht umgekommen sind. Nun, wir laden Sie am besten auf den Wagen und bringen Sie zum Haus? Wir haben eine Matratze auf den Wagen gelegt, damit Sie nicht zu sehr herumgeschleudert werden. Ah, hier kommt Jerry. Wie ich sehe, hat er auch etwas zu essen.« Jerry trug ein kleines Wallaby, das er auf den Boden legte. »Tag, Boss.« »Sind Sie jetzt fertig mit dem Walkabout, Jerry? Kommen Sie zurück zum Haus.« »Wir kommen zurück, Boss. Vielleicht wir reiten in Wagen.« »Vielleicht nicht. Hab nicht genug Platz für euch alle. Aber ich nehme Mary mit. Sag ihr, sie soll mit mir kommen.«  
Obwohl die Männer vorsichtig waren, bereitete es Tommy große Schmerzen, als sie ihn zum Wagen trugen, und er schrie mehrmals auf vor Pein. Als sie ihn auf der Matratze gelagert hatten, standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. Will machte sich Sorgen, dass er wieder ohnmächtig werden könnte. Obwohl das vielleicht nicht das Schlechteste war. Die Reise, die ihnen bevorstand, würde für Tommy nicht einfach werden, auch wenn die dicke Matratze das Holpern abfederte. Will und Hal banden ihre Pferde hinten an den Wagen, luden die Sättel auf und kletterten neben Tommy. Die alte Mary kletterte hoch und setzte sich im Schneidersitz nach hinten. »Wie lange dauert es?«, fragte Tommy mit einer Stimme, die schwach und vor Schmerzen rau war. »Ich schätze, wir sollten vor Mitternacht zu Hause sein. Zum Gl?ck ist Vollmond, und wir k?nnen unseren Weg gut erkennen.? Er schnalzte mit der Leine. ?Setzt euch in Bewegung, ihr faulen Biester, wir m?ssen den armen Kerl nach Hause bringen.? Harvey lenkte den Wagen über einen kaum erkennbaren Weg Richtung Norden. Als die Pferde ein gleichmäßiges Tempo eingeschlagen hatten, schaute Harvey über die Schulter zu Will. »Was machen Burschen wie Sie überhaupt hier draußen? Hatten Sie vor, eine Farm zu gründen?« »Wir wollen, ich meine, wollten, nach Ballarat auf die Goldfelder.« Harvey schnaubte. »Ha, hätt ich mir doch denken können. Dasselbe wie bei allen andern Männern in der Kolonie. Jack hier ist der einzige Weiße, der noch für mich arbeitet. Wie gut, dass Jerry und zwei andere Schwarze bereit sind, als Schäfer zu arbeiten.« »Sind sie gute Schäfer?« »Kann mich nicht beschweren, außer wenn sie auf Walkabout gehen. Das ist verdammt lästig. Egal, erzählen Sie mir von sich.« Ohne in Einzelheiten zu gehen, erzählte Will, wie es gekommen war, dass die Familie nach Australien ausgewandert war, um in der Grube in Burra Burra zu arbeiten. Keiner der Brüder, sagte er, hatte sich über die Arbeitsbedingungen in der Grube oder über das Leben, das sie abseits der Grube lebten, beschweren können. Es war nur so, dass die Lust auf Veränderung sie umtrieb und die Goldgräberei sie gereizt hatte. Sie wussten, dass sie hart arbeiten mussten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Genug, um behaglich zu leben, mehr wollten sie gar nicht. Keiner von ihnen erwartete, ein Vermögen zu machen. »Freut mich, dass Sie ein bisschen Verstand in der Birne haben. Schätze, jetzt müssen Sie Ihre Pläne ändern.« »Ja.« Nichts konnte entschieden werden, bevor Tommys Bein nicht geheilt war, und das konnte mehrere Wochen dauern. Falls Harvey bereit war, sie bei sich wohnen zu lassen, überlegte Will, konnten sie bei ihm bestimmt auch arbeiten. Finanziell waren sie jetzt noch mehr unter Druck als bei der Abreise aus Adelaide. Dann war da die Sorge, dass das Bein nicht ordentlich zusammenwuchs und Tommy sein Leben lang ein Kr?ppel bleiben k?nnte. »Mr. Harvey …« »Harvey tut’s auch.« Ein krächzendes Kichern war zu hören. »Harvey Ignatius Harvey wurde ich getauft. Je einen lächerlicheren Namen gehört?« Da die Frage keine Antwort zu erfordern schien, fuhr Will mit seiner Frage fort. »Harvey, ich würde gerne irgendwann zurückreiten, um die Reste unserer Habseligkeiten zu holen. Denken Sie, das wäre möglich?« »Schätze schon. Heute Abend kümmern wir uns erst mal um Ihren Bruder. Wenn Sie bereit sind, ihn allein zu lassen, kann Jack Sie morgen zurückbringen. Er kennt eine Abkürzung, sodass Sie an einem Tag hin- und zurückkönnen.« Jack, der praktisch die ganze Zeit noch kein Wort gesagt hatte, schaute sich um und nickte. »Könnten wir irgendein Beförderungsmittel mitnehmen, um alles zu transportieren? Es wäre mir lieber, ich müsste nicht zu oft reiten.« »Die Abkürzung können Sie nicht mit einem Wagen nehmen. Glauben Sie, zwei Packpferde tun’s auch?« »Vielleicht. Tiere und Vögel werden sich sicher an unseren verstreuten Lebensmitteln gütlich getan haben, außer an den Dosen.« »Richtig. Gütiger Himmel, heute Nacht wird’s aber verdammt kalt. Wenn der Mond scheint, kommt’s mir immer kälter vor. Wie geht’s Ihnen da hinten?« »Verdammt kalt«, wiederholte Hal. Er zog ihre Decken heraus, um Tommy zuzudecken und sich eine um die Schultern zu legen. Will suchte die Whiskyflasche und reichte sie herum. Ein oder zwei Schlucke halfen vielleicht, das Fr?steln aus den Knochen zu vertreiben. Harvey nahm dankbar an. »Hätte selbst dran denken sollen. Es geht doch nichts über ein bisschen Schnaps, um die Eingeweide zu wärmen.« Die alte Mary hatte ihnen den Rücken zugewandt. Will überlegte, ob er ihr auch einen Schluck anbieten sollte. Harvey, der nach hinten schaute, schien Wills Gedanken lesen zu können. »Besser nicht, junger Mann. Sobald die Schwarzen ein bisschen Alkohol intus haben, sind sie zu nichts mehr zu gebrauchen. Bei den Frauen kann es so schlimm sein wie bei den Männern. In Neusüdwales habe ich gesehen, welchen Schaden der Alkohol anrichten kann. Was ich im Haus hab, halt ich gut unter Verschluss.« »Vertrauen Sie ihnen nicht?« »Das ist keine Frage des Vertrauens, sondern eine Frage, sie richtig zu behandeln. Der Alkohol tut ihnen nicht gut. Besser, man versorgt sie reichlich mit Tee und Zucker. Und ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass ein betrunkener Schwarzer, der nicht weiß, was er tut, mir mitten in der Nacht mit einem Handbeil den Schädel spaltet.« »Ich hatte den Eindruck, Sie trauen Jerry.« Will war verdutzt, Harveys barsche Reden schienen etwas anderes anzudeuten. »Das tue ich auch. Er ist ein guter Mann, genau wie der junge Billy. Verstehen Sie mich nicht falsch, Bursche. Die Aborigines sind gute Leute, solange man sie richtig behandelt und ihnen nicht ihre Selbstachtung nimmt.« »Ich kann nicht leugnen, dass sie sehr gut zu uns waren.« »So sind sie. Solange man nicht so dumm ist, ihnen mit einer Waffe vor der Nase rumzufuchteln, sind sie ein friedliches Volk.« Will sagte nichts mehr. In seine Decke eingehüllt überlegte er, wie wenig er im Grunde über die Aborigines wusste. In Burra waren sie einfach da gewesen, Teil des Landes. Niemand hatte besonders auf sie geachtet. In Adelaide schien es im Großen und Ganzen genauso zu sein. Obwohl die Umstände sehr bedauerlich waren, war er froh, jetzt ein wenig mehr ?ber ihre Lebensweise zu wissen. Hals Gedanken nahmen einen ähnlichen Verlauf. Er war sich jetzt fast sicher, dass die Frau, die er so brutal behandelt hatte – ein anderes Wort zu denken verbot ihm sein Gewissen -, nach Alkohol gerochen hatte. Nicht dass ihr Zustand sein Verhalten in irgendeiner Weise gerechtfertigt hätte. Es gab keine Möglichkeit, das, was er der Frau angetan hatte, wiedergutzumachen, selbst wenn er sie je wiedersah und überhaupt erkannte. Nur durch Taten, beschloss er in diesem Moment, konnte er das Böse, das er begangen hatte, tilgen. Nur durch seine Haltung konnte er den Aborigines danken, die ihnen so bereitwillig geholfen hatten. Von diesem Abend an, schwor er sich, würde niemand in seiner Gegenwart einen Aborigine schlecht behandeln oder schlecht über sie reden.