Ethan saß am Tisch. Vor ihm stand eine Tasse Tee, als ob nichts Böses sein Leben je bedroht hätte. „Hast sie nicht mehr erwischt, was?“
Daniel schüttelte den Kopf. „Wenigstens ist sie vorläufig vor Grigorjew in Sicherheit.“ Die Sorge um sie zerrte an ihm. Ebenso wie die Liebe, die sich trotz Schwüren und Verboten in sein Herz geschlichen hatte. In diesem Kampf brauchte er Verstärkung. Er würde Pelto-Pekka heimsuchen. Der Finne würde seinen Geist erkennen.
Pelto-Pekka hatte schon auf die Bruderschaft geschissen, als es noch keine Wasserklosetts gegeben hatte. Mit seiner Hilfe hatte er die Flügel gespannt und über den schäbigen Hütten der Menschen nach Freiheit gesucht. Jetzt musste er Lucy suchen.
Auf einem Dach saß eine Krähe. Sie spreizte die Flügel, hob ab und flog einen weiten Bogen um das fremde Haus. Auf die Hilfe ihrer Artgenossen im Norden wäre er erst angewiesen, wenn er eine Stimme und einen Körper brauchte, um sich bemerkbar zu machen.
Daniel zog den Gürtel aus seiner Jeans und band sich die Fußgelenke zusammen. Der Körper wollte dem Geist folgen, egal, wohin. Er wollte sich aus Höhen stürzen und sich vom Wind fangen lassen. Ethan war kein Schwächling. Mit etwas Glück würde er Daniels Körper halten können, wenn der Geist ihn verlassen hatte. Er streckte Susanna die Hände hin. „Fessel mich. Was auch geschieht, ich darf meine Hände nicht freibekommen und dann habt ihr zwei die Verantwortung für meinen Körper, wehe, ihr lasst mich los und ich wache mit gebrochenen Knochen und aufgeschlagenem Schädel wieder auf.“
„Was hast du vor?“ Susanna kaute nervös auf der Unterlippe, als sie Ethans Schal vom Hals zog. Als sie die Wundmale sah, pfiff sie durch die Zähne.
„Ich verreise.“
Pelto-Pekka war Finne. Immer gewesen. Er hatte dem Land in allen Leben nie länger als wenige Monate den Rücken gekehrt. Er wäre in der Kälte, irgendwo. Die Verbundenheit vieler Jahrhunderte würde ihn zu ihm führen. Freundschaft war ein guter Kompass für den Geist. Daniel fixierte den Himmel, lockte in sich die Sehnsucht nach Wind und Kälte, nach Schnee und Höhe. Hinter seinem Brustbein begann es zu flattern wie ein junger Spatz, der flügge wurde. Der Seidenschal schlang sich fest um seine Handgelenke. Mehr als sinnlos durch die Gegend rollen würde er nicht können. Daniel schloss die Augen. Für einen Moment klammerte sich sein Geist noch an ihn, ängstlich, nach all der Zeit. Dann schüttelte er ihn ab, warf ihn in den Winterhimmel. Er flog.
*
Die letzten Akkorde verklangen im Dom. Roope Turunen atmete die Vibration der Orgelpfeifen wie Luft. Dieses Volumen, dieser Donner, wenn er ihnen die Abgründe seiner uralten Seele anvertraute.
„Sing für mich.“ Er schlug machtvolle Töne an. Die Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. Das war es. Keine Elektronik reichte an diesen aus der Tiefe des Daseins kommenden Sound. Aus diesen Akkorden wurden Welten geschaffen. Diese Akkorde würde sie auch wieder einstürzen lassen.
Die Johanniskirche war leer, er konnte wüten, wie er wollte. Als dicke Schweißtropfen auf die Tasten fielen, brach er ab. Aus der Kälte einer finnischen Winternacht hatte er Disharmonien ins Leben gezerrt, die seinen Fans den Atem gefrieren lassen würden. Finster, eisig, glasklar. Roope lachte, bis das Kirchenschiff vibrierte. Er liebte seine Musik wie das Land, das sie gebar. Jedes Leben, das nicht in Finnland stattfand, war ein verlorenes.
Sein Körper dampfte, als er die knarrenden Stufen hinabging. Aus den dunklen Ecken zwischen den Holzbänken wisperte ihm die Nacht zu, dass sie ihn liebte. Morgen würde er wiederkommen. Die Düsternis seiner Kompositionen entfaltete sich nur hier. Dennoch würde er zu Hause weiter experimentieren. Klänge warteten geduldig in der Dämmerung, um von ihm zueinandergeführt, umschlungen, geliebt und erwürgt zu werden.
Der Volvo war mit zartem Schnee bedeckt. Über die Motorhaube zogen sich die Spuren von Vogelkrallen. Roope legte seine Hand darauf und ließ die dünnen Abdrücke unter seiner Hitze schmelzen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der diese Zeichen ihm lieb und teuer gewesen waren. Jedes Krächzen eines Raben hatte ihn zum Himmel sehen lassen in der Hoffnung, dass der Vogel mehr war als ein nervöser Herzschlag und eine Ansammlung zerrupfter Federn. Sinnlose Schwermut pirschte sich durch die verschneite Straße. Roope stieg ein und ließ den Motor laufen, bis der Schnee von der Scheibe geschmolzen war. Die Eisschicht auf dem Asphalt ließ den Wagen bei jeder Kurve ausbrechen. Roope gab in den Scheitelpunkten Gas und nahm ließ den Wagen driften. Seine Leben waren wie diese Straße. In regelmäßigen Abständen brachen sie aus und führten ihn an den Rand sämtlicher Begrenzungen. Manchmal darüber hinaus. Dann begann ein Neues.
Knapp vor seiner Windschutzscheibe segelte ein Rabe über die Fahrbahn. Er hockte sich auf einen Torpfosten, sah zu ihm. Eine unsichtbare Seite schlug in Roope an, schwang, heftiger, erzeugte uralte Töne. Er fuhr langsamer. Der Rabe blieb sitzen, sah ihm hinterher.
Roope fuhr rechts ran und stieg aus. „Abay Coskun?“
Der Vogel breitete seine Flügel auseinander und krächzte. Dann hob er ab, umkreiste Roope einmal, zweimal, dreimal. Sein Herz begann zu singen. Er streckte dem Tier den Arm entgegen, doch der Rabe flog knapp über ihn hinweg. Seine Krallen fuhren ihm durchs Haar und rissen eine Strähne dabei aus. Mit lautem Krächzen verschwand er in der Dunkelheit des Abendhimmels.
Er war es.
Freude ballte sich in seinem Bauch und explodierte in seiner Kehle. Der Rabengott. Der Gott der Ekstase und des Todes. Der Kerl hatte ihn tatsächlich gefunden.
„Mein Name ist Roope Turunen!“ Über ihm erklang wieder ein Krächzen. „Wehe, du gestehst mir bei unserem Wiedersehen, dass du diesen Schwachsinns-Stunt allein fabriziert hast!“ Diese Torheit würde er ihm aus den Knochen prügeln und ihn erst dann in seine Arme schließen. Der sanfte Tod lebte, teilte sich eine Erdenzeit mit ihm. Roope jubelte wie ein Kind.
Alle Mythen der Erde vereinigten sich zu einem heißen Strom des beginnenden Lebens, der den Tod durchfloss, um wiedergeboren zu werden. Er musste Urho, Nouel, Adone, Rochus, Abay, Ebenezer, oder wie er diesmal auch immer heißen mochte, ausfindig machen. Ohne ihn und sein Arsenal an Breitschwertern und Morgensternen war der sanfte Tod hilflos.
*
Aus unendlicher Höhe trudelte Daniel hinab wie Ikarus zu seiner schlechtesten Zeit.
Er hatte den Raben zu früh verlassen. Wo war er?
Unter ihm türmten sich eisige Wellen. Sie rasten auf ihn zu, je schneller er fiel. Der Aufschlag auf die Wasseroberfläche fühlte sich nur in der Erinnerung an Kälte entsetzlich an. Er durfte keine Angst haben. Ertrank sein Geist, gab auch der Körper auf.
Wassermassen pressten ihn zusammen, bis er nur noch aus fadendünnen Gedanken bestand. Strömungen erfassten ihn, zogen ihn auseinander, drohten, ihn zu zerreißen. Keine Teilung. Kein Verlorengehen in den Elementen. Er musste ein Ganzes bleiben, wenn er je wieder seinen Körper ausfüllen wollte.
Eine Welle schleuderte ihn an einen Felsen. Er nutzte den Schwung und befreite sich aus den überschlagenden Wassermassen. Luft, er war frei. Es zog ihn dorthin, wo ein wesentlicher Teil seines Seins auf ihn wartete. Felsen, Weiden, dann Wald. Dächer, stinkende Schornsteine, ein Meer aus Licht, Straßen, die er kannte, eine Backsteinmauer, ein Fensterbogen, ein blutender Körper, der an der Wand entlangschrammte.
Der Gürtel lag abgestreift neben ihm, Ethan und Susanna versuchten, Daniels Körper einzufangen, der wild um sich schlug.
Daniel krachte mit voller Wucht in sich hinein.
Er öffnete die Augen und fand sich auf dem Boden wieder. Sein Mund war staubtrocken, sein Magen rebellierte und Lichtblitze tanzten vor seinen Augen. Vorsichtig kam er auf die Knie. Jeder Muskel schmerzte und aus seiner Nase tropfte Blut. Sein Schädel dröhnte verdächtig. Er tastete und fühlte eine walnussgroße Beule am Hinterkopf. Sein verletzter Fuß schmerzte höllisch. Beim geistlosen durch die Gegend toben nahm ein Körper keine Rücksicht auf Schwachstellen.
„Mach das nie wieder!“ Ethan keuchte vor Anstrengung. „Du hirnloser Bastard! Das war das Schlimmste, was ich je mit ansehen musste.“
Auch Susanna war blass um die Nase. „Gruselig. Wie ne Leiche an nem Starkstromkabel.“
Sie band seine Hände los und Daniel schleppte sich zum Laptop. Roope Turunen. Die gab es massenweise. Daniel ergänzte den Namen mit Pelto-Pekka. Da, eine Metalband aus Tampere. Daniel rief die Homepage der Musiker auf. Der Leadsänger hieß Roope Turunen. Auf dem ersten Bild reckte er seinen eindrucksvollen Schädel dem Fotografen direkt vor die Linse und grinste auf eine apokalyptische Weise, die Daniel kannte und liebte. Er war es. Daniel strich mit den Fingern über den Schirm. Er würde seinem alten Freund eine Nachricht senden, die nur er verstehen konnte.
*
Roope stürmte in seine Wohnung, warf die Tür hinter sich zu und schaltete den Rechner an. Fahr schon hoch, du langsames Drecksding! Das letzte Mal war er nervös gewesen, als der sanfte Tod in sich selbst versunken war. Nur wegen einer Frau, die ein fremder Tod geraubt hatte. Roope hatte Tag und Nacht für ihn gekämpft. Ihn ermahnt, geschlagen, gefüttert und zig Mal das Messer aus seiner verkrampften Hand genommen. Er hatte seine Tränen ertragen. sein irres Lachen und endlose Nächte mit ihm durchwacht, wenn die Gedanken ihn nicht hatten zur Ruhe kommen lassen.
Es war dringend. Sonst wäre er dieses Wagnis nicht eingegangen. Warum hatte er ihm keine einfache Mail geschickt, verdammt noch mal? Roope war zu allen Zeiten Pelto-Pekka für seine wiedergeborenen Freunde gewesen. Der Kerl hätte nur googeln müssen.
In Windeseile hämmerte er sämtliche Pseudonyme für den Tod ein, die sein flirrendes Hirn stürmten. Hinter einem der Götternamen würde er sich verstecken, würde sich auf irgendeine Weise zu erkennen geben. Es wäre diffiziler, diskreter als bei Roope. Unter Raben- oder Totengott bräuchte er gar nicht erst zu suchen.
Vielleicht funktionierte es mit Tuoni, dem finnischen Gott der Unterwelt. Er empfing seine zu ihm Befohlenen mit Fröschen und Würmern. Das war nicht die Art des sanften Todes.
Roope holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. „Wo steckst du?“
Sie hatten sich immer gefunden, wenn sie einander gebraucht hatten, seit Roope ihn in einer Schenke in Dover unter den Tisch gesoffen hatte. Damals hatte die Stadt noch Portus Dubris geheißen. Erschreckend, wie schnell die Jahre ins Land gingen.
Der Tod war populär. Zu jedem Synonym gab es massenhaft Einträge. Raben waren auch populär, und Mythen und morbide Poesie und Sehnsucht nach Freunden. Roopes Augen brannten. Wie lange saß er schon vor dem Rechner? Nichts. Kein sanfter Tod.
Nergal, Mot, Cromm Cruach, Yama. Kein Hinweis. Anubis oder Osiris? Auch nichts. Das hätte er auch nicht erwartet. Hatte er irgendein soziales Netzwerk vergessen? Xing, Facebook, Myspace. Alle abgegrast. Bebo, Orkut. Vergeblich. Jappy? Wohl kaum.
Ein kleiner gelber Brief erschien in der Taskleiste. Eine Nachricht von einem Thanatos. Im Betreff stand Dunkle Schwingen. Roope hielt die Luft an, als er die Mail öffnete. Sein Herz sprang in seiner Brust wie ein Elchkalb.
Dunkle Schwingen kreisen über mir. Ihr Rauschen begleitet mich wieder und wieder. Der ewige Tod ist ein Trunk, zu köstlich, als dass er mir gereicht würde.
Thanatos. Der sanfte Tod. Deutlicher konnte es nicht sein. Die Mail war mit Daniel Levant unterschrieben. Ein schöner Name. Roope schüttelte die Gänsehaut von sich. Dunkle Schwingen. Der Kerl hatte es geschafft, diesen arroganten Bastarden wieder ins Netz zu gehen. Einer Einladung in den Chat folgte eine sofortige Annahme.
Roope lachte, als das Chatfenster aufpoppte.
„Was hast du Kardinal della Rovere auf dem Piazza Venezia gezeigt?“
Eine Erkennungsfrage? Wann war er in Rom gewesen? Die Stadt war zu warm und voll mit Klerikern, die Schaden stifteten. Es lag lange zurück.
„Hilf mir mal.“ Wenigstens einen Tipp brauchte er noch.
„Armbrustbolzen.“
Scheiße aber auch. Fast wäre er vom Stuhl aufgesprungen, als die Erinnerung des Schmerzes durch ihn zuckte.
„Ich habe dem Gecken meinen nackten, dreckigen Arsch gezeigt.“
Und als Dank hatte einer der Wachen seine Armbrust auf ihn angelegt und den Bolzen auf eine Reise geschickt, die in Roopes Hintern ein jähes Ende fand. Trotzdem. Das war es wert gewesen.
„Du bist es!“
„Wer sonst, Thanatos. Was ist los? Pflügst du wieder Schlangenacker?“
„Damit habe ich nie aufgehört. Ich habe einen Job versaut. Es ist eine Frau. Ich habe sie geliebt. In meinem Bett und in meinem Herz und sie hat mich überlebt.“
„Wie das denn?“
„Kondition.“
Daniel schilderte den Hergang. Eine Diebin, die neben einem Nephilim auch ihren Killer bestahl, verdiente Respekt. Die Website vom Flughafen Tampere-Pirkkala öffnete er nebenbei. Am Mittag ging ein Flug nach London. Das war zu spät. Helvi schuldete ihm noch mehrere Gefallen, außerdem liebte sie spontane Überfälle auf ihren Terminplan. Nachdem sie wie eine Hyäne über ihn hergefallen wäre und ihn einen ignoranten Berserker genannt hätte, würde sie ihn nach London fliegen. Umsonst. Die Gefallen waren groß.
„Bin in drei Stunden da.“
Für dieses Abenteuer brauchte er seine Freunde. In der Holzkiste unter seinem Bett ruhten sie und warteten auf ihre Erweckung aus der Friedensstarre. Den Morgenstern würde er hierlassen. Die Waffe war zu auffällig. Aber das Schwert und die Breitaxt mussten mit. Schon für die Moral. Der sanfte Tod war stets zu feinstofflich für die Rauheiten dieser Welt gewesen.
*
Kurz nach Launceston war es Lucy schlecht geworden. Die Übelkeit lag am leeren Magen, an den vielen Kurven oder an der Angst, die sie überkam, wenn sie an Kolja dachte.
Die Straße schlängelte sich seit einer Stunde durch die Felder, die grau und trist den Winter hinnahmen. Nur noch wenige Minuten, dann würde sie Tintagel durchqueren und etwas weiter westlich, dichter am Atlantik und an ihrer eigenen Trübsinnigkeit sein. Unbekannt war sie in Tintagel nicht. Versteckte sie sich im Cottage, hieß sie Maggie McFadden und war eine Freundin von Geoffrey Terrell, einem Ex-Geliebten von Ethan.
Ihr Bauchgefühl sagte, dass sie mit falschem Namen dort sicherer war als irgendwo sonst auf der Welt. Im Winter gab es nur wenig Touristen, die einen Blick auf Arthus’ angebliche Zeugungs- und Geburtsstätte werfen wollten.
Lucy brauchte Einsamkeit, um über ihr verrücktes Leben nachdenken. Ständig sah sie Daniel vor sich. Sein liebevolles Lächeln verwandelte sich in ihrem schlechten Gewissen zu vorwurfsvollem Stirnrunzeln. Wäre sie mutig, würde sie zurückfahren, ihm die Ikonen bringen und um Verzeihung flehen. Und Kolja würde sie erschießen. Gepriesen sei die Ausweglosigkeit.
Sie schlug aufs Lenkrad. Außer, dass der Mietwagen ausschlug, geschah nichts Sinniges.
Endlich lag der kleine Ort Tintagel vor ihr. Sie fuhr die Hauptstraße entlang. Das King Arthur’s Arms warb mit Tee und cornischen Pasteten. Kaffee wäre ihr lieber. Mit Croissants und Daniel. Wieder schlich sich eine Träne über ihre Wange. Lucy wischte sie ab. Jammern war zwecklos. Sie hatte sich diesen Schlamassel komplett allein eingebrockt.
Am alten Postamt fuhr sie langsamer vorbei. Nur zwei Touristen standen davor und knipsten sich gegenseitig vor dem Eingang. Lucy fuhr durch ein Wäldchen, bis rechts die Klippen mit den Festungsresten und der Ruine der Kapelle auftauchten. Dahinter, auf der Halbinsel, die Mauerreste des Schlosses Tintagel.
Der Feldweg wurde immer schmaler, bis er nur noch einem Trampelpfad glich. Was scherte sie der Mietwagen? Er würde schon nicht aufsetzen.
An den Rücken einer Felserhöhung geduckt wie ein schüchternes Kaninchen stand Geoffreys Häuschen. Lucy fuhr den Wagen hinter die einsturzgefährdete Gartenmauer, auf der jetzt nur Gras den Winterstürmen trotzte. Im Sommer blühten zwischen den verwitterten Steinplatten wilde Blumen. Als sie ausstieg, hörte sie die Brandung. Der Wind hatte schwarze Wolken über dem Meer aufgetürmt, zwischen denen nur einzelne, blasse Sonnenstreifen auf die Gischt gekrönten Wellen trafen. Wie hatte sie diesen Anblick vermisst. Die Möwen schrien mit dem Sturm um die Wette und weckten ein schwermütig schönes Gefühl, das sie allein nicht aushalten wollte. Unter dem windgebeutelten Schieferdach lugten über dem Türsturz die in Stein gemeißelten Worte Rest in peace zwischen einem mutigen Efeu hervor. Vielleicht lag ein Bann auf diesem Ort, der jeden verbarg, der bei ihm Schutz suchte.
Der Schlüssel lag unter einer mit Moos überzogenen Steinschnecke. Da weder Blumentöpfe noch Fußabtreter in der Nähe waren, sprang den blödesten Einbrecher dieses Versteck geradezu an. Dass noch kein Unbefugter das Cottage betreten hatte, lag an dem Zauber dieses Ortes. Kolja würde sie hier niemals finden.
*