Paolo war ein Freund vor Jahrhunderten gewesen. Frauen seien Blumen, die unter der Liebe aufblühten und die Schlichteste konnte in diesen köstlichen Momenten die Schönheit einer Rose überstrahlen. Ein grober Klotz sei jeder Mann, der das nicht wüsste.
Dieses Wissen hatte Paolo nicht vor der Pest bewahrt und Daniel nicht vor der Trauer um seinen Freund, doch es hatte ihm die Augen für dieses Geschenk der Natur noch weiter geöffnet.
Zaghaft fasste Lucy seine Hand, schob sie unter ihr Kleid. „Hör nicht auf.“
„Lucy, nur noch wenige Minuten, dann sind wir bei mir.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Der Fahrer wird den Verstand verlieren.“
Lächelnd schloss sie die Augen. „Soll er doch.“
Wie sehnsüchtig sie seine Zärtlichkeiten annahm. Ihre Erregung strömte durch seine Finger, sammelte sich in ihm, bis er sich selbst nach ihren Liebkosungen sehnte.
Der Taxifahrer leckte sich über die Lippen und sein Schlucken war bis in den Fond zu hören.
„Um diese Uhrzeit erfordert der Verkehr draußen auf der Straße Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.“
Sie waren fast allein auf der Shaftesbury Avenue. Dennoch huschte der ertappte Blick schuldbewusst nach vorn.
Daniel könnte ihn links ranfahren lassen, ihn bitten, die Sun zu lesen, die auf dem Beifahrersitz lag und ihnen ein paar zusätzliche Minuten verschaffen. Er sehnte sich danach, Lucy in die Augen zu sehen, wenn sie aufblühte. Doch auf der schmalen Rückbank eines Taxis konnte er es ihr unmöglich bequem machen. Er hatte ihr versprochen, ihre Schmerzen fortzulieben. Das würde er halten. Es kostete Kraft, sich nur auf ihre Lust zu konzentrieren, während die eigene sich immer weiter ausdehnte und ihr Recht forderte. Ihre Lider flatterten. Sie krallte sich in sein Bein und presste die Lippen zusammen. Er löste ihre Hand und ließ sie seine Erregung fühlen. Sie sollte wissen, dass es auch ihm Lust bereitete, sie zu verwöhnen.
Sie strich über zu straff anliegenden Jeansstoff. Spürte dort, was er ihr versprochen hatte. Ihr Atmen wurde zu einem Keuchen, wurde lauter, je stärker sie das Zucken unter ihrer Handfläche fühlte. Es gefiel ihr. Ein verträumtes Lächeln verriet sie und machte es ihm noch schwerer, sich zurückzuhalten. Im Moment ihrer Erlösung biss er sich auf die Zunge, um ihren Anblick ohne Folgen ertragen zu können. Kein Laut kam über ihre Lippen, nur ein Zittern durchlief ihren Körper, das er unendlich gern mit ihr geteilt hätte.
*
Wie der Hunger in seinen Eingeweiden wühlte. Caym hielt sich den Magen. Er musste etwas essen. Fleischhüllen waren anfällig. Wurden sie nicht gehütet, wurden sie schwach und starben. Die Vibration der Ringmagie lag in der Luft wie grüner Nebel. Er würde ihr folgen können. Weder die Frau noch der Meister konnten ihm entkommen.
Regenwasser sickerte am Brückenpfeiler hinab. Caym öffnete den Mund. Zu wenig. Zu fade. Die Erinnerung an süßes Blut zuckte über seine Zunge, aber er hatte nur wenig Zeit. Es war Nacht. Die Gegend war schmutzig und einsam. Menschen verkrochen sich bei Dunkelheit, wenn sie nicht noch dunkleren Geschäften nachgingen.
Kehliges Frauenlachen ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die schleppende Männerstimme würde nicht stören. Er schlich näher. An der Brückenwölbung lehnte sie. Hohe Stiefel, kurzer Rock, viel nacktes Fleisch für eine Winternacht. Die Haare umschmeichelten ein volles Kinn, die Augen gierten nach Mammon statt nach Lust. Ihr Freier war betrunken. Caym leckte sich über die Lippen. Wie verschwenderisch Menschenmänner mit Frauen umgingen. Er würde es ihnen gleichtun. Mit diesem Körper konnte er es. Es gab viele Gelüste. Er würde sich in allen suhlen.
Der tumbe Mann drehte sich zu spät zu ihm um. Sein Genick brach, bevor ein Laut seine triefenden Lippen verlassen hatte. Sein Blut würde in toten Venen gerinnen, doch das der Frau würde Caym laben und ihm einen Vorgeschmack auf noch köstlichere Genüsse bieten. Sie schrie. Gellend und ohne Luft zu holen. Bis er sie ansprang und lehrte, dass ewiges Schweigen eine Tugend war.
*
„So, da wären wir dann.“
Der Taxifahrer zog seine Mundwinkel hoch, als litte er an einem Gesichtskrampf. Daniels Lächeln war angespannt, aber echt. Lucy wusste, woher die Anspannung kam. Sie hatte es gefühlt und fühlte es noch.
„Wie lange hältst du es noch aus?“ Ganz sanft berührte sie ihn zwischen den Beinen.
Daniel hielt ihre Hand fest. „Du bist grausam.“
Seine Kiefermuskeln verspannten sich. Es war wundervoll, ihn erregt zu sehen. Die stumme Bitte in seinem Blick bat nur um vorübergehende Schonung.
Das Taxi hielt vor dem Backsteinbau. Bei Nacht war er noch beeindruckender als am Tag. Er erinnerte an Gotham City. Doch er war nicht ansatzweise so überwältigend wie der Sturm, der nur langsam in ihr zur Ruhe kam. Sie konzentrierte sich auf das Rascheln der Pfundscheine, auf die nichtssagenden Worte des Fahrers und auf Daniels Arm, der ihr aus dem Wagen half. Ihre Knie waren weich wie Butter. Nach zwei Schritten knickte sie ein. Wieder legte Daniel den Arm um ihre Taille, um sie zu stützen. Wieder so behutsam, dass sie seine Berührung kaum fühlte. Dabei war er es, der auf eine Krücke angewiesen war.
Die Dunkelheit, die aus den Ecken kroch, konnte von der nackten Glühlampe an der Decke nicht verscheucht werden. Ein langer Flur verlor sich in der Schwärze, ebenso wie die Räume, die rechts und links von ihm abzweigten. Daniel schob das Gitter eines Lastenaufzugs auf. Die Fahrt ging bis unters Dach. Nackte Steinwände, geschmückt mit den schönsten Ikonen, die sie je gesehen hatte. Die Farben mussten selbst im Dunkeln leuchten. Ethan würde seine rechte Hand dafür geben. Einige wiesen so viele Risse in den Farbschichten auf, dass sie ein paar Hundert Jahre alt sein mussten. Zwei wirkten, als ob sie gestern erst gemalt worden wären. Ein Nikolaus von Myra sah streng auf Lucy herab, ein Franz von Assisi voll Verständnis. In dem Blick einer Gottesmutter lag reine Liebe. Wer hatte diese Wunder gemalt?
Daniel trat hinter sie und legte seine Arme um ihre Schultern. Seine Nähe reichte, um ihr Blut zum Schwingen zu bringen.
„Sie gefallen dir.“ Wieder stellte er nur fest.
„Ich habe nie Schönere gesehen.“
„Und du kennst dich mit solchen Dingen aus?“ Seine Lippen streiften ihr Ohr, seine Stimme schlich sich warm und weich in ihr Herz.
„Ich kenne mich mit vielem aus, was alt und wunderschön ist.“
Daniel lachte leise. „Wirklich?“
Er drehte sie in seinem Arm, dass sie sein Gesicht sehen konnte. Sie legte die Hände an seine Wangen. Sie musste ihn einfach berühren. „Du bist der Traumgott eines längst vergessenen Mythos und nur für mich in diese Welt hinaufgestiegen. Nimm mich mit zu dir.“ Was für Worte kamen aus ihrem Mund? Aber Daniel lachte nicht. Er zog sie an sich, umarmte sie so behutsam, als ob er Angst hätte, sie zu zerbrechen. Nichts zerbrach sie. Doch das konnte er nicht wissen.
„Und wenn es die Unterwelt wäre?“ Wie traurig er klang. „Würdest du mir auch dorthin folgen?“
Sie nicke. Wieder blockierte etwas ihren Hals. Stand sie so weit neben sich?
Gedrechselte dunkle Pfosten und schwerer dunkelblauer Samt. Das Himmelbett sah aus, als käme es direkt aus einem Museum.
„Ein wenig protzig.“ Ihre spitze Zunge hatte ihr schon immer gegen zu viel Sentimentalität geholfen.
„Es gefällt dir nicht?“
„Besser als die Rückbank des Taxis.“
„Das habe ich mir auch immer wieder sagen müssen.“
Für einen Moment flammte reine Lust in seinem Blick auf. Er schloss die Augen, und als er sie wieder ansah, lächelte er. Ihre Lippen begannen, sich nach seinem Mund zu sehnen. Nach diesem wehmütigen Lächeln, das sie mit Küssen überdecken wollte.
Daniel humpelte zu einem der großen Bogenfenster und sah über die lichterglänzende Stadt. Die Reklameleuchten reflektierten auf seinem Gesicht, spiegelten sich in seinen Augen und plötzlich wirkte er fremd und verloren.
Vielleicht war er ein Elb oder ein anderes Wesen, das nur zufällig unter den Menschen gestrandet war und nicht mehr nach Hause konnte.
Er zog seine Jacke aus warf sie auf den Stuhl. Das rote und grüne Leuchten der Straße huschte über seine Brust. Es brach sich an dem silbernen Anhänger. Er sah schwer aus. Und alt. Und unsäglich kostbar. Ob er ihn ablegen würde, wenn sie sich liebten?
„Mich bezaubert der verträumte Ausdruck deiner Augen, wenn du etwas siehst, was dir gefällt, oder wenn du etwas fühlst, was dir gefällt.“ Daniel lehnte sich an die Fensterbrüstung. „Ich frage mich nur, gilt dein Verzücken mir oder meinem Amulett?“
„Euch beiden. Zusammen seid ihr das Schönste, das ich je gesehen habe.“
Daniel sah sie versonnen an. „Dann hast du Glück. Du bekommst uns beide. Du brauchst nur zuzugreifen.“
In Lucys Fingern juckte es. Ein Amulett. Wenn es ein Original war, war es keltischen Ursprungs. Die zu Knoten verschlungenen Kordeln ließen keinen Zweifel.
„Setz dich.“
Die Geste umschloss den einzigen Sessel und das Bett gleichermaßen und holte Lucy aus ihren diebischen Visionen. Sie wählte den Sessel. Das Leder war spröde und hatte Risse. Die Lehnen waren so hoch, dass sie darin versank.
„Möchtest du etwas trinken?“
Auf dem Tisch stand eine leere Whiskeyflasche, daneben war eine angebrochene Zigarettenschachtel und auf dem Boden lagen Scherben. Eine davon war blutig. Er hatte getrunken, ein Glas zerschlagen, war in die Scherbe getreten. Angst schlich sich langsam an. Konnte sie ihm trauen?
Daniel beobachtete sie dabei, wie sie ihn beobachtete. Schnell sah sie weg. Ihr Blick fiel auf einen täuschend echt aussehenden Totenschädel. Er stand neben dem Bett und grinste sie an. Würde sie jetzt noch einen Drudenfuß finden, würde sie gehen.
Daniel drehte ihr den Rücken zu. Er öffnete die Fensterflügel und ließ die kalte Luft über seinen nackten Oberkörper streichen. In grünem Flackerlicht zuckte eine schwarze Schwinge auf seiner Schulter, als ob sie sich auf und ab bewegen würde. Lucy konnte nicht wegsehen. Es war nur ein Tattoo. Nichts, weshalb sie nervös werden musste. Trotzdem schlug ihr Herz schneller. Sie sollte gehen. Sofort.
„Du hast Angst vor mir.“
Der Schatten in seinem Gesicht war so real wie der Stuhl, die Scherben auf den Steinen und das Himmelbett. Er verging nicht. Auch nicht, als Daniel darüber hinweg lächelte.
„Ich habe es dir bereits gesagt und ich sage es noch einmal. Fürchte dich nicht.“
Er nahm sie an der Hand und führte sie zum Bett. Ihr Herz stolperte, als sie seine Wärme neben sich fühlte. Sie würden sich lieben. Gleich. Warum war sie nervös? Sie wollte es. Trotzdem schüchterte seine Nähe sie ein.
„Du hast mir nicht gesagt, was du trinken möchtest.“
Wie im Taxi ließ er sie vorsichtig aufs Bett gleiten und blieb dicht vor ihr stehen.
„Ein Wasser vielleicht.“ Ihre Kehle war ausgedörrt.
„Wasser?“
Beim Versuch, ihm in die Augen zu sehen, legte der Schmerz eine scharfkantige Spur vom Nacken über die Schulterblätter bis in den Rücken. Ihr Hals wollte sich weder drehen noch beugen lassen.
„Du brauchst Wärme.“ Daniel schloss das Fenster, ging zum Tisch und goss den letzten Tropfen Whiskey auf das Holz. „Und Liebe.“ Er tauchte den Finger hinein. Dann kam er zu ihr und kniete sich vor sie.
„Wasser überdeckt weder meinen Geschmack noch meinen Geruch, den du nicht magst. Im Krankenhaus hast du dich von mir abgewandt.“
Er hatte es bemerkt. Natürlich. Der winzige, minimale, vollkommen zu ignorierende Hauch Alkohol störte sie plötzlich nicht im Geringsten. Dazu war Daniels Mund zu schön. Er fuhr mit dem feuchten Finger über ihre Lippen.
„Jetzt schmeckst du genauso. Das macht es für dich erträglicher, mich zu küssen.“
Rauchig, herb, sinnlich. Seine Lippen auf ihrem Mund, die die Nässe kosteten, waren unfassbar erregend. Es war nur ein Kuss. Wieder blieb ihr die Luft weg. Sanft streichelte seine Zunge über den letzten Hauch. Sie schob sich tiefer. Lucy schloss die Augen. Daniel verführte ihren Mund. Streichelte, liebkoste ihre Zunge, ihren Gaumen.
Er setzte sich neben sie, legte ihr fest und sicher die Hand in den Nacken.
„Loslassen. Ich halte dich, bis du liegst.“
Noch nie war sie so sanft gebettet worden. Noch nie hatte sie sich unter einem schlichten Griff so geborgen und beschützt gefühlt.
„Bequem?“
Noch einmal hob er ihren Kopf an, schob ein Kissen unter, streichelte sanft über ihre Schultern. Der Gedanke, dass sie das Wichtigste in seinem Leben war, schlich sich an. Es war albern, ein Mann wie Daniel hatte viele Frauen, dennoch blieb dieser Gedanke und wurde mit jeder Zärtlichkeit zur Gewissheit, die sich tief in ihr einnistete.
„Wie machst du das?“
Daniel küsste eine Spur der Erregung auf ihren Bauch, hoch über ihre Brust bis zu ihrem Mund.
„Was meinst du?“
„Du schenkst mir das Gefühl reiner Liebe. Bettest mich in eine Geborgenheit, die ich noch nie vorher …“ Bevor sie sich für den Kitsch schämen musste, biss sie sich auf die Lippen.
Daniels Augen erstrahlten in warmen Glanz. „Nimm mein Geschenk einfach an.“
Seine Berührungen glitten wie sanfte Flügelschläge über sie hinweg. Sie bezirzten ihre Haut, lockten ihre Beine, näher zu kommen, überredeten ihre Brust, sich ihm entgegenzuwölben. Welcher Rückenschmerz? Sie hatte nie einen Rücken gehabt. Sie bestand nur aus dem, was Daniel liebkoste.
Ihr Kleid lag neben ihr. Ihr Slip auf der anderen Seite. Sie hatte nichts davon bemerkt.
„Ob mein Klumpfuß durch die Röhre passt?“
Er klang rau vor Erregung. Seine Haare hingen ihm ins Gesicht und sein Mund schloss sich auch nicht, als er sie anlächelte. Er brauchte Atem, ebenso wie sie.
„Vielleicht muss ich dich mit Jeans lieben.“
„Lieb mich, wie du willst. Nur tu es.“ Sie kniete sich auf die Bettkante vor ihn und Daniel lachte leise, als er ihr dabei zusah, wie sie versuchte, den widerspenstigen Knopf durch das zu enge Loch zu zwängen.
„Du hast dich eben geschmeidig wie eine Katze auf mich zubewegt. Und ebenso schnell.“
Warum dauerte es so lange, bis der Knopf auf war?
„Was macht dein Rücken?“
„Der Knopf geht nicht auf.“
Er nahm ihre Hände in seine und küsste die Fingerspitzen. „Du zitterst.“
Sie schmiegte ihr Gesicht an seinen Bauch. Er war wärmer als ihre Wange und die fühlte sich an, als ob sie brennen würde. Unter ihren Lippen öffnete er die Jeans, sie küsste über seine Finger, küsste über duftende zarte Haut, streifte die Hose von seinen Hüften, küsste noch heißere Haut. Der Duft wurde stärker, ihre Finger und Lippen gieriger. Daniel legte den Kopf in den Nacken, stöhnte auf, als sie ihn zärtlich biss.
„Lass mir Zeit.“
Er flehte, doch sie überhörte es. Sie umschloss pralle Lust, spürte dem kleinsten Zucken nach, streichelte über jede pulsierende Erhebung.
Daniel hielt ihre Hand fest. Umschloss sie mit seiner, drückte fester zu.
„Du tust mir gut.“
Er keuchte jedes Wort, das Zucken wurde stärker. Sie wollte es tief in sich fühlen, wollte sich von ihm ausfüllen lassen. Noch einmal ließ sie ihn hilflos aufstöhnen. Daniel umklammerte den Bettpfosten, legte die nasse Stirn ans Holz und keuchte das Übermaß der Lust aus sich heraus. Er sollte die Ekstase in ihr erleben und sie hatte ihn dazu schon fast zu weit getrieben. Seine Augen blieben geschlossen, als er sich an das Holz schmiegte. Er umklammerte es so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
„Sieh mich an.“ Lucy legte sich zurück. Warten war ein Ding der Unmöglichkeit.
Nur ein leises Keuchen begleitete seinen sehnsüchtigen Blick über ihren Körper. Dann ließ er los, schob sich auf sie. Die Kühle des lackierten Holzes haftete noch an ihm. Er wärmte sich an ihr, küsste sie so hingebungsvoll, dass sie nur für den Bruchteil einer Sekunde an das Schmuckstück dachte, das sie auf ihrer Brust fühlte. Sie konnte seine Küsse nicht erwidern, nur empfangen. Er fütterte sie mit Liebe, bis sie nicht mehr wusste, was sie war. Ein zärtlicher Biss in ihre Lippe und er glitt unerträglich langsam in sie hinein.
„Nein! Warte!“ Sie hatte geschrien, vor Lust und vor Schreck. Der Mann war dabei, ihr den letzten Rest Verstand wegzulieben. Lucy musste wegsehen, um einen klaren Gedanken fassen zu können.
„Daniel, meine Handtasche. Bitte!“ Sie zeigte irgendwo in den Raum. Was wusste sie, wo sie das Ding abgelegt hatte. Mit Sicherheit wusste sie nur, dass sie Daniel in sich fühlen musste.
Sie hielt ihren Mund zu, um das verzweifelte Wimmern zu ersticken und schloss die Augen. Irgendwo jenseits ihrer Lider hörte sie sein Atmen. Plötzlich fühlte sie seine Zungenspitze zwischen ihren Fingern. Sie drängte sich hindurch.
„Hör auf!“ Sie drehte den Kopf zur Seite, presste ihr Gesicht ins Kissen.
„Du quälst mich, ich quäl dich.“ Die Vibration seines Flüsterns erreichte jede Stelle ihres Körpers gleichzeitig.
Als sie ihn nicht mehr an sich fühlte, sah sie auf.
„Wolltest du das?“ Zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt er ein latexfreies Gummi hoch.
„Wo sind die anderen?“ Versonnen stupste er die mehr oder weniger nützlichen Utensilien in ihrer Handtasche hin und her.
„Die anderen? Welche anderen?“
„Warte.“
„Auf was?“ Ihr panischer Ton brachte ihn zu einem Lächeln. Sie konnte nicht warten. Alles pochte, quälte, wollte geliebt werden.
Aber Daniel ging zum Tisch und klappte die Zigarettenschachtel auf. „Drei Stück.“
Was interessierte sie jetzt sein Zigarettenvorrat?
„Wenn du nicht sofort zu mir ins Bett kommst, weiß ich nicht, was passiert!“ Wie konnte er sich ins Profil stellen? Schön, verlockend, und viel zu weit von seinem Zielort entfernt. „Bitte!“
Daniel schüttelte entschieden den Kopf. „Ein Gummi. Drei Zigaretten. Das passt nicht.“
„Doch. Das passt. Alles an dir passt. Komm und fühl es.“ Lucy kämpfte mit ihren Emotionen, die sich nach und nach verselbstständigten. Was tat er ihr an?
„Du bist eine wunderschöne Frau.“
Er drehte sich um und ging. Lucy raufte sich die Haare. Er musste wiederkommen. Musste halten, was seine Berührungen und sein Körper ihr versprochen hatten. Sie ließ sich auf den Rücken fallen, schlang die Arme um sich und wartete. Etwas Kaltes und Leichtes wurde sanft auf ihren Bauch gelegt, eins auf ihren Schoß, eins auf ihr Herz.
„Drei Zigaretten, drei Gummis.“ Er kniete sich vor ihr aufs Bett und spreizte seine Oberschenkel.
Er sah ihr dabei zu, wie sie die Hülle aufriss und ihre Hände zur Ruhe zwang, um das Gummi abrollen zu können. Für einen Moment behielt sie ihn in der Hand, legte ihren Kopf an Daniels Brust und hörte seinem schnell schlagenden Herzen zu.
*
Ihre zärtlichen Küsse auf seiner Brust wurden fester, gieriger. Sie hinterließen Male auf seiner Haut, die sie wieder küsste. Daniel griff in ihr Haar und zog ihren Kopf in den Nacken.
„Lucy, hör mir zu. Es ist wichtig, dass du mir heute Nacht vertraust.“ Er würde ihr den schönsten aller Wege zum Tod weisen und sie begleiten, solange er konnte.
Sie legte ihren Finger auf seine Lippen, streckte sich ihm entgegen und verführte seinen Mund auf eine Weise, die sein Herz rasen ließ. Zärtlich umfassten ihre Hände seinen Nacken und als sie sich zurücklegte, musste er folgen. Lucy schlang ihre Beine um ihn und er versank in reiner Lust, tiefer und tiefer, bis er vergaß, dass er sich kontrollieren musste. Der Glanz in Lucys Augen, ihre feuchten Lippen und ihr Körper, der unter seinem zu zittern anfing, waren zu wundervoll, um sich zurückzuhalten.
Das kalte Klirren der Kette weckte ihn aus seinem Taumel. Es gab einen Grund für diese Nacht. Er hatte nichts mit seiner Liebe zu Lucy zu tun. Der Gedanke stach durch sein Hirn. Im letzten Moment zwang er sich zu Bewegungslosigkeit. Würde er den Rausch mit ihr erleben, könnte er es nicht mehr tun. Lucy schluchzte und wisperte ein Bitte, das er nur unter Qualen ignorieren konnte.
„Ich sterbe.“ Tränen glitzerten in ihren Augen. „Und du merkst es nicht.“
Er küsste ihre nassen Schläfen, streichelte über ihr Gesicht. Er würde es merken. Nur sie nicht. Je dichter er sich an sie schmiegte, desto mehr flüchtete seine Seele zu ihr.
„Du hast Flügel.“ Lucy strich über seine Schultern. „Lass mich fliegen.“
„Sie wurden mir gestutzt.“
Mit dem Finger streichelte sie über seinen Mund. „Du klingst traurig, Daniel mit den dunklen Schwingen.“
Sie umklammerte ihn, krallte sich in seinen Rücken. Vor Schmerz stöhnte er auf. Sie lächelte grausam über seine Qual hinweg.
„Flieg!“
Sie zwang ihn, sich weiter zu bewegen. Er durfte sich nicht gehenlassen. Er musste handeln, kühl bleiben, den Überblick behalten. Irgendwann war Mitternacht. Irgendwann, ganz weit weg. Jenseits der Gefühle, die seinen Kopf von jedem klaren Gedanken fortlockten. Er hatte einen Auftrag. Welchen? Diese Frau zu töten, die sich unter ihm in ihrer Lust wand. Er brauchte Zeit dafür. Zeit, die sie ihm freiwillig nicht geben würde. Daniel hielt ihre Hände fest und zwang ihr einen Rhythmus auf, den er ertragen konnte. Lucy schüttelte wild den Kopf.
„Tu mir das nicht an.“
Sie spannte die Muskeln an und wollte sich aus seinem Griff befreien. Er legte sich auf ihr ab und wartete, bis sie seine Schwere zu genießen begann. „Vertrau mir, Lucy und lass dich von mir führen.“
Noch einmal schluchzte sie auf, dann gab sie sich ihm hin. Er musste sie vor sich her treiben. Dahin, wo kein Atmen mehr möglich war. Daniel hatte selbst kaum noch Luft, so sehr hielt ihn seine Erregung umschlungen. Sein Körper schrie danach, sich aufgeben zu dürfen, doch noch war es nicht so weit. Er nahm ihren Mund mit seiner Zunge ebenso langsam, wie er ihren Schoß nahm. Mit seiner gesamten Willenskraft stemmte er sich gegen den Urinstinkt, der mit jedem Gleiten tief in Lucy hinein stärker wurde. Er musste sich zurückhalten, wusste nicht mehr, wie er es schaffen sollte. Die Sehnsucht nach dem erlösenden Moment war unendlich. Daniel spürte sich in ihr immer intensiver, ertrank in Geborgenheit, ertrank in Lust. Der Ort, an dem er ganz sein durfte, ohne Erinnerung und dunkle Träume, war in Lucy. Er wollte ihn nicht verlassen, nicht zerstören. Er brauchte ihn. Er würde ihn wieder brauchen, und immer wieder, bis sich seine Seele heilgeliebt hatte.
Ihr Blick wurde weit, die Lider zuckten und sie streckte sich unter ihm in der lustvollen Qual der nahen Ekstase. Im Moment des verzweifelten Luftholens erstickte er ihren Schrei. Er fühlte ihr Beben unter sich, hielt ihre Lippen weiter umschlossen. Er musste sie hinhalten. Im letzten Moment vor dem erlösenden Stoß kämpfte sie um jeden Atemzug. Nur ein wenig warten. Nur noch einen Moment durchhalten.
Vergebens. Lucy hatte sich befreit. Ihre Hände suchten Halt an seinem Körper, fanden ihn, und pressten Daniel noch tiefer in sich hinein. Ihr dabei zuzusehen, wie sie sich ihren Gefühlen ergab, war zu viel für ihn. Er gab sich auf, ließ sich von seinem Verlangen treiben und genoss Lucy in einer Intensität, wie er noch nie eine Frau genossen hatte. Seine Lust explodierte in ihm, überschwemmte ihn, zog Lucy mit sich. Sie presste sich an ihn, hielt ihn mit aller Kraft fest und ließ nicht zu, dass er in den tosenden Wirbeln verloren ging, die in ihm tobten.
Sie brauchten lange, um sich zu beruhigen. Zitternd lagen sie ineinander verschlungen und ließen die Nachbeben über sich ergehen. Irgendwann stützte sich Lucy auf den Ellbogen und streichelte über seine Brust. Daniel spürte, wie sein Herz an ihrer Hand schlug. Es war ein schönes Gefühl.
„Vor was hast du Angst?“ Ihre Stimme zitterte immer noch. „Ich habe es in deinen Augen gesehen, als du gekommen bist. So viel Erfüllung neben so viel Angst ist wie Tag und Nacht im selben Moment.“
Der Biss in sein Ohr war gerade noch sanft genug, um nicht zu schmerzen.
„Ich habe Angst, weil ich dich töten muss.“
Den kalten Stein in seinem Bauch küsste sie weg.
„Lass mich zu Atem kommen, dann darfst du es gern probieren.“
*
„Sie paaren sich wie Besessene.“
Die knisternde Stimme des Dämons ließ Kolja einen Schauder über den schmerzenden Körper fließen.
„Wo bist du?“
„Auf der Feuerleiter vor dem Fenster. Der Meister ist verletzt. Ich kann sein Blut riechen.“
„Und die Frau?“
„Sie lebt.“
Der Meister hatte versagt. Mitternacht war seit fünfunddreißig Sekunden verstrichen. Ein Vertragsbruch. Kolja konnte Bedingungen stellen und was noch wichtiger war, er konnte die Dinge selbst regeln.
„Ich will den Meisterkörper und dann die Frau, so wie es mir gefällt. Jetzt.“ Die Gier nach Blut verzerrte die Dämonenstimme noch mehr. „Du hast mir ihr Blut versprochen. Ich will es über meinen Menschenkörper fließen sehen. Ich will es ablecken, während ihre Augen bei meinem Anblick brechen.“
Ähnliche Sehnsüchte wuchsen in Koljas kurzatmiger Brust. Er musste den Dämon von seiner Tat abhalten. „Der Plan hat sich geändert. Sollte er sie am Leben lassen, bleib in ihrer Nähe. Ich werde dich für deinen Gehorsam entlohnen. Üppiger, als du es dir vorstellen kannst.“
Am anderen Ende knurrte es. Kolja bezwang seine Angst. Jetzt war Sorokin sein. Weder Baraq’el noch der Dämon konnten das verhindern. Häppchenweise würde er ihr seine Rache angedeihen lassen.
„Du weißt, dass du gehorchen musst?“ Der Dämon durfte ihm nicht dazwischenkommen.
„Ich weiß, dass ich dich vernichten werde, solltest du dein Versprechen brechen.“
Kolja verweste. Er konnte es sehen, riechen und fühlen. Keine Dämonenrache konnte grausamer sein. Er brauchte den Ring. Dann würde er es mit allem aufnehmen. „Dein Lohn wird deine sehnsüchtigsten Wünsche erfüllen, doch bis dahin halte dich zurück.“ Kolja beendete das Gespräch. Um den Dämon würde er sich später kümmern.
„Wir fahren zu Scarborough. Er weiß, wo der Ring ist.“ Und er würde sein Wissen preisgeben.
Aus den vollgestellten Schaufenstern drang mildes Licht. In der klammen Winternacht wirkte das halbrunde Haus wie ein Hort der Geborgenheit. Kolja war hier, um diesem Anschein zu spotten.
„Parke eine Straße weiter.“
Hinter einem angrenzenden Café bog Ilja ab und hielt an. Wortlos reichte er Kolja eine Jarygin. Sie war mit Schalldämpfer ausgestattet. Kolja wog die Waffe in der Hand, dann gab er sie Ilja zurück.
„Behalte sie. Wenn etwas abseits des Planes läuft, benutzt du sie. Nachdem wir wissen, wo der Ring versteckt ist, verstanden?“
Ilja grunzte und stieg aus. Kalte Nässe umfing sie, als sie die wenigen Schritte zum Antiquitätengeschäft zurücklegten. Nur russische Winter waren Winter, die auch das Recht hatten, sich so zu nennen. Kolja fuhr sich durchs Haar.
„Das würde ich lassen, bis du den Ring wiederhast.“ Ilja grinste verlegen.
Zwischen Koljas Fingern klemmten graue Haare.
Lew ging vor zum Schaufenster. „Da ist einer drin. Der könnte Scarborough sein.“
Ein Mann machte sich an einem verbeulten Bollerofen zu schaffen. Das rostige Teil würde die klamme Kälte dieser Stadt nicht aus dem alten Haus vertreiben können.
Als die Türglocke anschlug, sah Scarborough erschrocken über seine Schulter und richtete sich auf. Ein stattlicher Mann, vielleicht Anfang fünfzig. Auf eine kultivierte Art attraktiv. Wie weit reichte sein Mäzenatentum bei Jana? Jana, Lucy, irgendwie, namenlos, nie gekannt. Ihre Existenz versickerte bereits in der Zeit.
„Der Laden ist geschlossen. Kommen Sie bitte morgen früh wieder.“
Das äußerst höfliche Lächeln breitete sich mit einem Moment Verzögerung in seinem Gesicht aus.
„Ich will nichts kaufen. Ich will etwas wiederhaben, was mir gestohlen worden ist.“
Scarborough wechselte die Farbe. Er wusste von dem Ring. Den empörten Gesichtsausdruck setzte er einen Moment zu spät auf. Davor war es Schrecken gewesen, der seine Miene dominiert hatte.
„Das hier ist keine Pfandleihe. Diebesgut werden Sie bei mir umsonst suchen.“
Ein bewundernswerter Charakterzug, trotz einer offensichtlichen Bedrohung gelassen bleiben zu können. Aber auch er war nur ein Mensch und Menschen gaben ihre Gelassenheit früher oder später auf, wenn sie in Koljas Hände fielen. Ilja ließ seine Fingerknöchel knacken. Ein primitiver Versuch, Scarborough einzuschüchtern, der jedoch gelang. Der Mann ging einen Schritt zurück.
„Ich will offen mit Ihnen reden, denn ich sehe, Sie sind ein kultivierter Mensch.“
„Dazu gibt es geteilte Meinungen.“ Scarborough sprach ruhig, ohne den Blick von Kolja zu wenden. „Meine Schwester zum Beispiel, die längst auf mich wartet, würde Ihnen an dieser Stelle widersprechen. Übrigens hasst sie es, wenn ich mich verspäte. Wenn Sie mich also entschuldigen wollen?“
Er griff zu seinem Mantel und hatte den Regenschirm bereits im Visier, als ihm Iljas Wurfmesser den Mantel aus der Hand riss und ihn an ein Regal pinnte.
„Ihre werte Schwester wird warten müssen, bis wir uns in aller Ruhe unterhalten haben. Sagen Sie mir, wo der Ring ist, und ich lasse Sie vielleicht am Leben.“
Scarboroughs Kehlkopf quälte sich nach oben, dann rutschte er wieder nach unten. „Bedaure zutiefst, aber von welchem Ring sprechen Sie?“ Der Kerl wagte sogar ein ahnungsloses Lächeln.
„Ist Ihnen Ihr Schweigen Ihre Nase wert? Oder Ihre rechte Hand?“
Ilja gluckste vergnügt neben Kolja und zog ein weiteres Messer aus den Tiefen seiner Jacke. Kolja hob die Hand. Diese warnende Geste weckte eine verständliche Enttäuschung in Iljas Blick, aber das hier war London. Fremder Boden. Sie sollten subtiler agieren. Um Blutlachen fortzuwischen, fehlte die Zeit und Rinnsale ließen sich leichter beheben. Menschen konnten auf vielerlei Wege gebrochen werden.
Kolja schritt um den Tresen. Eine Schublade nach der anderen fiel auf den Boden. Scarborough rührte sich nicht. Neben dem Tacker und der Zange zum Heftklammern entfernen, lag Paketband. Kolja reihte alle nützlichen Dinge vor Scarborough auf den Tresen auf. Auch das Knäuel Sisalschnur zum Verschnüren von Paketen würde hilfreich sein, ebenso wie die große Papierschere und der Brieföffner.
Scarborough streifte die Auswahl mit einem Blick, der verzweifelt die Angst zu verbergen suchte. „Sie haben spitzfindige Argumente. Gut. Reden wir.“
Lew schloss die Ladentür zu und steckte den Schlüssel ein.
Es würde eine anstrengende Nacht werden.
*