Callahans Hand lag kalt auf Lucys Rücken. Er lotste sie in seine Suite und nahm ihr den Mantel ab. Wenigstens hatte er den Chauffeur nicht dabei. Lucy schob die Phiole zurecht. Er sollte sie nicht gleich bei der ersten Tuchfühlung ertasten. Das charmante Lächeln fühlte sich an wie ins Gesicht gemeißelt, aber Callahan schien sich daran nicht zu stören. Der gierige Glanz verließ seine Augen keinen Moment. Erwartungsgemäß stand der Champagnerkühler neben dem Bett. Die Schalen daneben.
„Keine Erdbeeren?“
Aiden verzog kurz den schmalen Mund.
„Muss ja auch nicht sein.“ Lucy dekorierte sich auf die kühlen Batistlaken, Callahan legte seinen Mantel ab, lockerte die Krawatte und setzte sich etwas steif neben sie. Seine Hand fühlte sich nach trockenem Pergament an. Immerhin eins, das noch keinen Schimmel angesetzt hatte. Sie raschelte über ihren Rücken, verschwand im tiefen Ausschnitt und Lucy war froh, die Phiole nicht dort versteckt zu haben. Schon rutschte er näher, schob ihr Kleid hoch und gab es auf, leise zu atmen. Der erste Träger rutschte von ihren Schultern, der zweite folgte. Als Callahan sein Gesicht in ihre Brust versenken wollte, flüchtete Lucy nach hinten.
„Ein wenig vorglühen wäre schön.“ Sie lächelte zu den Champagnergläsern. Aiden wandte sich ab, um ihr einzuschenken. Die Phiole verschwand in ihrer Hand, als er sich wieder zu ihr herumdrehte und das Glas an ihre Lippen hob. Er kippte es zu schnell. Ein Teil rann an ihr hinunter. Callahans lüsternes Grinsen verriet, dass es Absicht gewesen war. Als seine schlaffe Zunge über ihre Haut leckte, hätte sie sich am liebsten geschüttelt.
*
„Ich muss zu ihr.“
Daniel schnappte sich den schweren Umschlag. Keph hielt ihn fest. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, erledige deinen Job gleich. Ob Ruben ein oder zwei Leichen bergen muss, ist ihm völlig egal.“
Daniel konzentrierte sich auf das Schillern der Benzinpfützen auf dem Asphalt. Kephs Worte hallten in seinem Kopf. Sein Herz weigerte sich, ihre Bedeutung zu erfassen.
Der Herr am Empfang nickte diskret, als er einen Blick in seine Zukunft geworfen hatte. Schweigend ging er Daniel voran in den Aufzug, führte ihn vor eine Suite und öffnete die Tür. Dann verschwand er im Sturmschritt.
Der Schlafbereich war abgeteilt. Lautlos schlich Daniel näher. Lucy saß auf Callahan mit dem Rücken zur Tür. Das Kleid umschlang locker ihre Hüften und gab genug preis, um in Daniel eine tiefe Sehnsucht nach dem zu wecken, was es fast nicht mehr verbarg. Als Callahan aufkeuchte wie ein Walross, flutete bittere Eifersucht Daniels Inneres. Sie würde einen Zweck mit ihren Aktionen verfolgen. Sie tat das hier nicht zum Vergnügen. Sie traf keine Schuld. Und warum wand sie sich auf ihm? Der Kerl steckte noch in Hose und Hemd. Geduckt schlich sich Daniel näher an ihn heran. Lucys verlockend nackte Schenkel spannten sich um seine Hüften, aber steckte er in ihr? Die Vorstellung schnitt seine Därme in Streifen. Daniel ging noch näher. Ruckelte sie nur auf ihm herum? Callahan hatte die Augen vor Verzückung verdreht. Er schien nichts mehr gewohnt zu sein. Als plötzlich seine Hände hektisch an seiner Hose fuchtelten, duckte sich Daniel an den Boden. Es war noch nicht zu spät. Er konnte Katastrophen noch verhindern. Würde es der Callahan-Sippe auffallen, wenn ihr Patriarch den Lough Neagh niemals wieder besuchen konnte? Callahan bewegte sich in Daniels Jagdgründen. Lucy war sein Ziel. Alles, was der Alte befingerte, stand allein Daniel zu. Wehe, er dachte ernsthaft daran, sich in Lucys süßem Schoß zu versenken. Daniels Herz raste vor Zorn.
Lucy erstarrte. Daniel konnte nur einen Teil ihres Gesichtes sehen. Sie griff in die Falten ihres Kleides, schnippte etwas weg und griff gierig in Callahans Gesicht. Er stöhnte auf, als er ihre Finger in seinem Mund fühlte. Lucy leckte über seine Wange. Daniel stellten sich die Haare zu Berge. Lucy griff unter sich. Was sie in Händen hielt und heftig massierte, durfte sich Daniel nicht vorstellen. Callahan bäumte sich vor Lust auf, Lucys andere Hand zwang seinen Kopf in den Nacken, ihre Finger schoben seinen Kiefer auseinander. Sie massierte ihn noch schneller. Seltsame Laute wurden aus Callahans weit geöffnetem Mund gestoßen.
Plötzlich schnellte sie nach vorn und kippte ihm etwas in den Mund. Daniel konnte ihn schlucken hören. Lucy ließ nicht von ihm ab. Er wurde immer lauter, versuchte, Lucy dahin zu platzieren, wo zweifelsfrei seine gesamte Aufmerksamkeit hinströmte, aber sie ließ sich nicht beirren. Als er gierig nach ihrer Brust greifen wollte, sank seine Hand kraftlos zurück. Noch ein letztes, raues Keuchen, dann blieb er bewegungslos unter Lucy liegen. Sie strich über seinen Körper, fühlte hektisch den Puls. Fingerte an seinen Händen, richtete ihr Kleid.
Sie schwang ihre schönen Beine von ihm, da schnellte Callahan hoch. Lucy schrie. Irre Augen starrten sie hasserfüllt an, faltige Hände legten sich um ihren Hals. Lucy röchelte.
Daniel sprang auf. Callahan sah erstaunt an ihm hoch und reagierte nicht, als Daniel seinen Schädel umfasste. Es ging schnell. Callahans Genick knackte und er fiel zur Seite.
Lucy hielt sich den Hals, sie zitterte und rang nach Luft. Daniel wickelte sie in seine Jacke und behielt sie im Arm. „Gleich geht es besser. Atme so ruhig wie möglich.“ Sanft massierte er ihre Kehle, während er die Nummer des Cleaner-Teams tippte. Lucy starrte ihn an, als wäre sie eben aus einem Traum erwacht.
„Ich wollte ihn töten.“
„Hab ich gesehen.“ Vielleicht wäre es bei einem normal sterblichen Greis auch gelungen. „Aber du hast es nicht getan. Ich war es. Mir macht es nichts aus, aber du bist keine Mörderin.“ Er zog sie auf seinen Schoß und strich immer wieder über ihre Wangen. Wie sollte er Keph erklären, was er getan hatte?
„Was wollte dieser Mann von dir?“
„Mich als Diebin denunzieren, wenn ich ihm nicht über einen öden Nachmittag hinweghelfen würde. Ethan hat ihn ins Vertrauen gezogen und Callahan hat Käufer vermittelt. Dafür werde ich Ethan büßen lassen.“ Lucy sah ihn misstrauisch an. „Was machst du eigentlich hier? Bist du mir gefolgt?“
„Ich hatte den Auftrag, Callahan zu liquidieren. Ich war sehr erstaunt, dich bei ihm vorzufinden.“ Keph würde ihn lynchen, dass er ohne Auftrag ein Oberhaupt der alten Familien getötet hatte. Die Leiche musste sofort spurlos entsorgt werden.
Lucys Stirnrunzeln war niedlich. Hätte sie nicht überall nach diesem alten Bastard gestunken, er hätte sie geküsst.
„Langsam wird es mir unheimlich, dass wir uns ständig über den Weg laufen.“
Sie kletterte von seinem Schoß, Daniel hielt sie am Bein fest. Dieses feste warme Fleisch hatten welke Lenden nehmen wollen.
„Dusch dich.“ Nebenbei tippte er in rasender Eile ein Stopp für Ruben. „Oder stört dich die Leiche?“
Lucy lächelte kalt. „Und dann verdrückst du dich, während ich unter dem Wasser stehe.“
Daniel konnte nicht warten. Er würde diesen süßlichen Geruch von ihrem Körper herunterlieben, bis sie nur noch nach ihm duftete. Er zog sie in seinen Arm, strich über ihren Rücken, bis seine Hände im verboten tiefen Ausschnitt verschwanden. Da war nichts. Keine Seide, kein Satin, keine Spitze. Nur nackte zarte Haut.
„Hast du uns zugesehen?“
Wie wundervoll rau ihre Stimme klang, als er fester zugriff. Daniel nickte in ihrer Halsbeuge.
„Warst du eifersüchtig?“
Tief in den grünen Abgründen ihrer Augen leuchtete etwas auf. Es lauerte. Wollte Bestätigung.
Daniel nickte wieder und das Etwas explodierte.
*
Seine Hände fuhren sehnsüchtig durch ihr Haar. Er neigte sein Gesicht nah zu ihrem, sah ihr tief in die Augen.
„Ich rase vor Eifersucht, wenn ich dich in fremden Armen liegen sehe, wenn du fremde Lust befriedigst und mein Körper nach dir schreit, vor Sehnsucht nach deinen Berührungen.“
Es lag eine Leiche im Bett.
Das war egal. Dieser Blick. Dieser fantastische, lustvolle Blick aus schwarzen Augen. Er war vollkommen anders als dieses anzügliche Glitzern von Callahan. Daniels Blick versprach die Erfüllung ihrer Wünsche und Sehnsüchte. Sie würde alles dafür geben, sich jetzt und hier von ihm lieben zu lassen. Nur nicht den Rubinring, dessen Festhalten intime Muskelpartien herausforderten. Als Daniel über Callahan hergefallen war, war ihr auf die Schnelle kein besseres Versteck eingefallen. Ihr eigener Ring steckte noch in der Brusttasche von Callahans Jackett, wenn er ihn nicht irgendwo im Auto verwahrt hatte.
Mit einem kurzen Ruck zog Daniel den leblosen Körper vom Bett. Der dumpfe Aufschlag ließ nicht einmal Daniels Wimpern zucken.
Wie in Zeitlupe schob er sich auf sie. Sofort bebte ihr Körper. Seine sinnlichen Küsse vernebelten ihre Sinne. Und diese zarten Berührungen seiner Hände. Lucy schmolz unter seinen Liebkosungen, verlor den Atem, als seine Küsse tiefer wurden. Plötzlich lag seine Hand auf ihrem Schenkel. Langsam streichelte sie höher, noch höher. Lucy stöhnte auf und zerrte Daniel den Pullover über den Kopf. Seine Küsse brachen jeden Widerstand. Sie krallte sich in sein Haar, zog sich zu ihm hoch. Da merkte sie es.
„Halt!“ Unmöglich konnte sie zulassen, dass sie sich liebten. Sie musste erst ein neues Versteck für ihre Beute finden.
Daniel legte sich auf sie. Seinen harten Herzschlag fühlte sie an ihrer Brust. Er wurde noch stärker, als er ihr Kleid hochschob und eine Spur leidenschaftlicher Küsse über ihre Brust bis zu ihren Lenden legte. Es half nichts. Sie musste den Ring in Sicherheit bringen. Lucy schob ihn von sich. „Fahr mich nach Hause und mach genau an der Stelle weiter, die du fast erreicht hast.“
Daniel sah sie verwirrt an, dann lächelte er. Qual lag in seinem Blick, als er wieder zum Handy griff und einen Ruben samt Team herbestellte. Diese Qual stand ihm sehr gut. Sie könnte sie ihm oft bereiten, bevor sie ihn erlösen würde. Ein verlockender Gedanke. Ein kaum erträglich verlockender Gedanke. Plötzlich zog sich eine heiße Spur durch ihren Körper. Ihr Ursprung war dort, wo sie den Ring sanft umschlossen hielt. Sie musste ihn dringend loswerden. Schon setzte ein dumpfer Schmerz im Kopf ein.
Lucy kletterte aus dem Bett, raffte ihr Kleid zusammen und schnappte sich ihre Schuhe.
Daniel hielt sie fest. „Wo willst du hin?“
„Ins Bad. Du kannst vor der Badezimmertür Wache schieben, wenn du mir nicht vertraust.“
Sein Lächeln war nicht zu deuten. „Das werde ich.“
Kaum war die Tür zu, flutschte der Ring in ihre Hand und verschwand an dem Platz, wo vorher die Phiole untergebracht war.
Als sie herauskam, lehnte Daniel mit verschränkten Armen an der Wand und beobachtete drei Männer in der Kluft des Room-Service dabei, wie sie Callahan eintüteten. „Moment. Der Mann hat etwas, das mir gehört.“
Daniels Brauen zuckten. „Wirklich?“
Lucy tastete die Jacketttaschen ab, bis sie den Ring fühlte. „Reichst du mir bitte meinen Mantel?“
Daniel gehorchte mit verschmitztem Grinsen. Der Ring verschwand in der Manteltasche. Später würde sie beide Schmuckstücke im Ofenrohr deponieren.
Daniel fasste sie im Nacken, zog sie sanft zu sich und Lucy konnte dem, was seine Zunge mit ihrem Mund machte, nichts entgegensetzen. Sie hielt sich an ihm fest, als die Wellen der Erregung höher schlugen. Er reizte sie bis zur Atemlosigkeit.
„Ich liebe deine Skrupellosigkeit, Lucy Sorokin.“ Die verführerische Rauheit seiner Stimme schürte den Aufruhr in ihr. „Wirst du heute Nacht wieder kalt lächelnd verschwinden, während ich vor ungestillter Lust vergehe, oder wirst du bleiben, und das Versprechen einlösen, was deine Hände und deine süßen Lippen mir heute Mittag gegeben haben?“
Ihre Antwort trank er aus ihrem Mund. Lucys Beine gaben nach. Er hob sie auf und trug sie durch Flure, Aufzüge, Hallen. Ihr war, als ob die Welt um sie her verschwamm. Plötzlich blieb er stehen und setzte sie ab.
„Lass uns den Hinterausgang nehmen. Hier ist zu viel los.“
Bevor sie sehen konnte, was er meinte, führte er sie zum Fahrstuhl und drückte den Knopf für die Parkdecks. Die Tür öffnete sich viel zu schnell. Ihre Enttäuschung verschwand schlagartig, als sie die Flotte der Prachtwagen vor sich sah.
„Darf ich dir zur Feier des Tages ein Auto knacken?“ Die meisten der Kisten hatten eine Alarmanlage, aber allein die Aussicht war verlockend. Daniel lachte. „Wir nehmen uns ein Taxi. Mit Haymans Geld solltest du dir auf legalem Weg ein ebenso schickes Auto leisten können.“
Er nickte zu einem Porsche 911. Keine schlechte Wahl.
Die Abfahrt rannten sie hinunter wie Kinder. Lucy schleuderte nach der zweiten Etage die Schuhe von den Füßen, bei der ersten nahm Daniel sie huckepack, bis sie an der Straße ein Taxi anhielten.
„Blasen?“ Zärtlich streichelte Daniel ihre asphaltschwarzen Sohlen.
„Ist egal. Das war es wert.“ Die Baker Street erreichten sie viel zu schnell.
„Oh, bitte nicht.“
Daniel sah sie erschrocken an. „Was hast du?“
Vor dem Haus stand Peters Ford. Er hatte ihr angedroht, den Abend mit ihr zu verbringen. „Peter.“
Aus dem glücklichen Lächeln wurde tiefer Ernst. In seinem Blick lag etwas, das uralt zu sein schien und das sie nie vorher bemerkt hatte.
„Ich kann ihn abwimmeln.“ Irgendeine Lüge würde ihr mit Sicherheit einfallen und im schlimmsten Fall tat es auch die Wahrheit. Sie hatte sich in einen Mann verliebt, der charmant genug war, ihren geplanten Mord zu Ende zu bringen und mit jeder Berührung einen Orkan in ihr auslöste. Von den Küssen ganz zu schweigen.
„Nein. Er wartet auf dich und du solltest nicht so grausam sein, ihn zu enttäuschen. Es ist besser so. Verbringe die Nacht mit ihm.“ Die Dunkelheit in seinen Augen war erschreckend, als er ihr aus dem Wagen half. „Soll ich dich auf die andere Straßenseite tragen? Du bist barfuß.“
„Ich werde rennen. Der Dreck wird ihn ohnehin abschrecken und dann wird er lamentieren, sich die Nase schnäuzen und mich erst an sich ranlassen, wenn ich in Sakrotan gebadet habe.“
Daniel nickte geistesabwesend. Plötzlich wirkte er unnahbar wie der kalte Winterhimmel.
„Du warst eben auf einen alten Mann eifersüchtig. Jetzt schickst du mich zu Peter. Ich verstehe das nicht.“ Wollte er sie auf einmal los sein?
Die Hand war kühl, die sich an ihr Kinn legte und es sanft anhob. „Unterschätze meine Gefühle für dich nicht. Ich bin eifersüchtig. Rasend, und wenn du dich nicht beeilst, werde ich Ruben ein zweites Mal bemühen müssen.“
„Sag mir, dass ich dich morgen wiedersehen werde.“
Totenstille.
Die Stadt hielt den Atem an, ebenso wie sie selbst. Daniels Blick war unergründlich. Warum war es plötzlich so kalt? Sicher, es war Winter. Nur fühlte sie es in Daniels Nähe normalerweise nicht. Jetzt schon. Seltsam war nur, dass sich die Kälte von innen auszubreiten schien. Ihr Magen gefror ebenso wie ihr Herz.
„Überlassen wir es dem Schicksal, Lucy.“
Seine Lippen strichen über ihre Stirn. Dann drehte er sich um, gab dem Fahrer ein Zeichen und fuhr weg, ohne zu ihr zurückzusehen.
*
Mit der Hauswand zu verschmelzen, war schwer mit diesem Menschenkörper. Die Frau sprang barfuß über die schmutzige Straße. Der Mantel, das an ihr herabfließende Kleid, alles schmiegte sich eng an, wollte ihr nah sein.
Caym leckte sich über die Lippen. Ungestillte Lust oszillierte wie ein Schleier um ihren beeindruckend wohlgeformten Körper. Wo hatte sie sie hergeholt? Warum war sie nicht gestillt worden? Sein Menschenleib reagierte auf diese Frau. Er hätte sie, randvoll mit sättigenden Lüsten, nie von dannen ziehen lassen. Er hätte sie genommen, bis sie um Gnade gewinselt hätte. Menschen waren dumm, schwach, leicht zu verführen. Ebenso wie sein neuer Herr. Wie mutig von Kolja Grigorjew, einem Geist seinen Willen aufzuzwingen. Und wie leichtsinnig. Um Caym gefügig zu halten, brauchte es einen stärkeren Willen, einen, der ihn brechen konnte. Ramuell Grigorjews Willen hatte er zu spüren bekommen. Er war mächtig. Caym hatte sich qualvoll unter seinem Zwang gewunden, doch er war mit heißem Blut für seine Dienste entlohnt worden.
Die Frau verschwand im Haus. Bevor die Tür zuschlug, stellte er den Fuß in den Spalt. Als ein Schlüssel klimperte und eine Tür klappte, schlich er der Frau nach. Ihr Duft war geschwängert von der Begierde nach einem Mann. Auch dessen Geruch konnte Caym wahrnehmen. Er strömte von ihr ab, zog ein Band über die Stufen, durch die Streben des Geländers bis vor ihre Wohnung. Da war noch eine andere Note. Fremder, doch nicht unbekannt. Der Duft alten Blutes, vermischt mit dem Lebenselixier der Wächter. Interessant. Es gab mehr Spieler in diesem Spiel, als Kolja Grigorjew vermutete. Daraus würde sich für Caym ein Vorteil herausschlagen lassen. Diese Karte musste er weise und zur rechten Zeit ausspielen.
Ein Mann sprach mit ihr. Caym presste die Nase auf das Schlüsselloch. Ein widerlicher Blütengestank wehte ihm entgegen, gemischt mit dem Geruch des Mannes, der nicht derselbe war, nach dem sie sich verzehrte. Seine Stimme klang überheblich, war zu kraftlos. Er würde ihr nichts von dem geben können, was sie brauchte. Menschenmänner waren dumm in ihrer selbstherrlichen Arroganz. Sie drängten sich Weibchen auf, die nie für sie geschaffen waren. Caym könnte ihr alles geben. Mehr als das. Vor seinen Geistaugen sah er sie röchelnd im Straßendreck liegen, mit Wunden übersät, die er ihr beigebracht hatte. Das war der Preis, den sie für die Qual unmenschlicher Lusterfüllung bezahlen musste.
*
Wo zum Henker sollte sie den verdammten Ring verstecken?
Der Rubin leuchtete wie pulsierendes Blut. Er stand seinem Samaragd-Bruder an Schönheit in nichts nach.
„Haselkätzchen? Bist du fein?“
Peter kratzte an der Badezimmertür. Mit dem Teil konnte sie das Bad nicht verlassen. Zwei Ringe hätten selbst Peter misstrauisch gemacht.
„Gleich. Einen Augenblick noch.“ Die Dose mit der Gesichtscreme war noch voll. Lucy schraubte den Deckel ab und drückte den Rubin-Ring in die Creme. Sie quoll an den Seiten über den Rand. Den anderen behielt sie in der Hand. Heute Nacht war ihr nach Wunscherfüllung. Nachdem sie die überschüssige Schönheitspflege auf Po, Knien und Ellbogen verteilt hatte, schlüpfte sie in einen Hauch von Nichts und stellte sich Peter. Er war neben dem Bett und lächelte unsicher.
„Wir hatten lange kein Schäferstündchen mehr, Lucy. Bist du aufgeregt?“
Lucy befahl ihrem Mund ein Klein-Mädchen-Lächeln. Der Strauß Nelken, den Peter mitgebracht hatte, verseuchte mit seinem penetranten Gestank das Schlafzimmer. Ob der Ring ihr noch einmal zu Diensten sein würde und die Nelken mit Rosen und Peter mit Daniel tauschte? Sie steckte ihn an und drehte ihn um den Daumen. Nichts geschah.
„Wolltest du diesen Ring nicht Ethan schenken?“ Sorgfältig legte er seine Hose über die Stuhllehne. „Er ist zu wuchtig für dich. Du solltest zierlicheren Schmuck tragen.“
Es war ein Fehler gewesen, ihm zu gestatten, die Nacht bei ihr zu verbringen. „Ethan wollte ihn nicht. Da habe ich ihn behalten.“
Peter entnahm seiner Reisetasche einen sorgfältig gefalteten Pyjama.
„Über was wolltest du vorhin mit mir reden?“
Kosmetiktücher für später, Asthmaspray und seine Armbanduhr wurden nebeneinander auf dem Nachttisch platziert. Peter bereitete sich stets auf alles vor. Die Vorstellung, dass Daniel ins Zimmer stürmte, sie an sich presste und vor Leidenschaft nicht einmal seine Jeans vollständig ausziehen, geschweige denn an Kosmetiktücher denken würde, versetzte ihre Nerven in einen sirrenden Zustand. Ohne Vorwarnung würde er ihr dieses Nichts vom Leib reißen und sie tief, wild und laut nehmen. Lucy schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Körper schrie sie an, was für einen elende Idiotin sie war, dass sie ihn hatte davonfahren lassen. Sie hatte ihn gesehen, gefühlt und geschmeckt. Daniel hatte nicht übertrieben, die Szene auf dem Shunga wäre ein Kinderspiel mit ihm.
„Und? Hast du es vergessen?“ Peter knöpfte den obersten Knopf des Pyjamaoberteils zu.
Lucy verdrängte die Vorstellung aus ihrem Schoß, Daniels wilde Erregung zuckend in sich zu spüren. „Ich habe über unsere Beziehung nachgedacht.“
Peter hob die Brauen. „Du klingst heiser. Bist du sicher, dass du gesund bist?“
Daniels Hitze auf ihrer nackten Haut. Seine Lippen, die ihrem Mund Dinge zumuteten, die ihr gesamter Körper aushalten musste. Sie würde sich revanchieren. Könnte ihn liebkosen. Noch aggressiver, als sie es heute in seinem Loft getan hatte. Wie bei Kolja, in dieser seltsamen Nacht. Kolja hatte gebrüllt vor Lust, bevor er zusammengesunken war.
„Mir geht es gut. Mach dir keine Gedanken.“ Sie schlüpfte unter die Decke und konzentrierte sich auf eine Spinnwebe an der Wand. Sie würde die Beziehung zu Peter beenden und zwar noch bevor er seine lange Unterhose auszog. Nur wie? Sie hatte ihr Leben lang gelogen. Vielleicht war es an der Zeit, es mit der Wahrheit zu versuchen. „Ich habe mich verliebt.“
Peter sah auf.
„In den Mann, der mich am Flughafen geküsst hat.“
„Welcher Mann hat dich geküsst?“
Sein selektives Erinnerungsvermögen war zum ersten Mal ein Ärgernis. „Es ist derselbe, der auch bei Ethan im Laden war. Er ist nicht mein Cousin. Das war eine Lüge. Wir sind uns beruflich in den letzten Tagen oft über den Weg gelaufen, und da ist es passiert.“ Das war immerhin nur eine ganz kleine Lüge.
Peter schüttelte ungläubig den Kopf. „Du ziehst diesen Kerl mir vor? Warum?“
Die endlose Liste der Gründe würde sie unmöglich abspulen können.
„Mutter wird entsetzt sein. Sie hat dich ins Herz geschlossen. Wie soll ich ihr das verständlich machen?“
Seine Mutter würde fünf Kreuze schlagen und ihrem Sohn zu diesem Verlust gratulieren. Die Mundwinkel dieser Frau waren jedes Mal über den Boden geschliffen, wenn sie Lucy gesehen hatte.
„Ist das dein letztes Wort?“
Lucy nickte und Peter schlug sich heroisch auf die Knie, bevor er aufstand.
„Nun denn, dann soll es wohl so sein.“
Die Lippen wie im Schmerz zusammengekniffen, zog er sich schweigend wieder an. Allzu viel schien es ihm nicht auszumachen, wenn er nicht den kleinsten Versuch unternahm, um sie zu kämpfen.
„Aiden Callahan hat mich gleich davor gewarnt, mich zu früh an eine Frau zu binden. Das stünde meiner Karriere im Weg.“ Er rückte die Brille zurecht und verstaute seine Habseligkeiten in seiner Tasche. Es war erstaunlich, wie leer ihr Nachttisch plötzlich aussah.
„Verzeih, wenn ich mich nicht um gebührende Worte des Abschieds mühe. Ich muss den Schmerz erst verwinden.“ Schnell neigte er sich zu ihr und küsste sie flüchtig auf die Stirn. „Leb wohl. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du hast einen großen Fehler begangen, einen Mann wie mich wegen eines dahergelaufenen Cousins ziehen zu lassen.“
„Er ist nicht mein Cousin.“
Peter sah sich nicht mehr um. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete Lucy auf. Ein Grund weniger in ihrem Leben, zu lügen.
*