Sein Rücken schmerzte bestialisch. Mühsam richtete sich Kolja im Hotelbett auf. Der kurze Schlaf hatte ihn kaum erquickt. Wie er das Altwerden verabscheute. Ballte er die Faust, spannte sich welke Haut über die Fingerknöchel, als ob sie zerreißen wollte.

Lew und Ilja standen hilflos um den Koffer. Aus seinem Inneren war ein Scharren zu hören.

„Hilf ihm da raus.“

Lew sah Kolja flehend an. „Auf keinen Fall. Ich habe dir geholfen, ihn da reinzuzwängen. Da soll er bleiben.“

„Er wird ersticken, wenn wir ihn im Koffer lassen.“

„Und wenn du mich häutest, ich rühr den Kerl nicht an.“

Ilja seufzte und zog Lew beiseite. „Ist doch nur ein Pferdeknecht. Piss dir nicht ins Hemd.“

Lew schüttelte verzweifelt den Kopf. „Das da drin ist nicht Sascha. Sascha kenne ich. Sascha würde niemals die Laute ausstoßen, die der da von sich gegeben hat.“

„Wir haben ihn durch eine stinkende Blutlache gezogen, wie hättest du das gefunden?“

Lew wurde grau im Gesicht. „Daran darf ich nicht denken.“

Es war nicht einfach gewesen, den Dämon in einen ohnmächtigen Körper zu bannen. Der Körper hatte sich gewehrt und der Dämon ebenso. Die nächste Hürde wäre, ihn aus diesem Körper wieder hinauszukriegen.

Ilja ließ die Schnallen zurückschnappen und Lew bekreuzigte sich. Der Deckel schnellte hoch, keuchend lag der Körper, der früher dem Knecht gehört hatte, zusammengekrümmt im Inneren. Als er sich aufrichtete, floh Lew in die entfernteste Zimmerecke und brabbelte das Herzensgebet vor sich hin.

„Halt’s Maul!“ Ilja warf mit seinem Schuh nach ihm. „Wenn du beten musst, tu es still.“

Sofort formten Lews Lippen stumme Worte.

„Du kennst mich?“

Das Wesen fixierte Kolja mit stechendem Blick und nickte.

„Ich bin es, der dich aus dem Blutkreis befreit und dir einen Körper geschenkt hat.“

In der ausdruckslosen Miene glühten Menschenaugen in einem fremden Glanz. „Dein Vater hat mich gebannt, du zwingst mich zum Gehorsam. Erwarte keine Dankbarkeit.“

Saschas Zunge wirkte unter dem Einfluss des Dämons seltsam spitz, als sie über die trockenen Lippen fuhr. Kolja fröstelte. Der Dämon sah es und bleckte die Zähne zu einem hässlichen Grinsen.

„Wie dem auch sei. Du schuldest mir Treue, bis ich dich entlasse, also hör zu.“ Trotz des holprigen Herzschlags sprach er ruhig und gelassen. Es gab einen Herrn und einen Diener. Der Dämon musste begreifen, dass Kolja der Herr war.

„Die Frau während der Beschwörung …“

„Ist längst tot.“ Die Stimme des Dämons klang nach dem Rascheln alter Blätter.

Lew wimmerte in seiner Ecke.

„Ich meine die Jüngere.“ Kolja stellte sich dicht vor ihn und sah ihm in die Augen. Die Tiefen waren nicht auszuloten. Sie versanken in Schwärze. „Ich meine die, bei der du versagt hast. Kannst du sie finden?“

„Ich versage nie. Mein Auftrag lautete Angst, nicht Tod.“

„Gut. So soll es bleiben. Finde sie und folge ihr. Ein Mann wird sich ihr nähern. Er soll sie töten. Wenn er das tut, fahre in ihn und gestalte das Geschehen nach deinem Gutdünken.“

Die krächzenden Geräusche sollten ein Lachen sein. Kolja musste sich zur Ruhe zwingen. Es klang entsetzlich.

„Ich soll einen Meister besetzen?“

„Ist das ein Problem?“

„Kein unüberwindbares. Aber es erhöht den Preis. Baraqels Lakaien sind geschützt durch altes Silber. Ich muss Schutzzauber durchbrechen, die einen Geringeren als mich vernichten würden.“

„Deshalb habe ich dich gewählt.“

Boshaftes Gelächter antwortete ihm. „Dein Vater hat mich gewählt. Vor langer Zeit. Doch du wirst mich bezahlen.“

„Wie viel?“

Der Dämon stieg steifgliedrig aus seinem Gefängnis. Kolja erstarrte, als er die Finger nach ihm ausstreckte und sich in sein Hemd krallte. Mit einem Ruck riss er es auseinander.

„Sieh dich an, alter Mann.“

Die zusammengesunkene Brust, das graue Haar, die schlaffen Lenden. Ihm ekelte vor sich selbst.

„Sie hat deinen Ring. Daher deine Wut. Daher deine Angst.“ Der Dämon neigte sich zu ihm. Er stank nach altem Blut. „Deine Finger sind nackt, dein Leben sickert aus dir heraus. Es sollte dir einen Menschenkörper wert sein.“ Geduckt schlich er um Kolja herum. „Den Meister besetze ich für dich. Ich lasse seine Hände Dinge tun, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen werden. Aber er wird nur zusehen können, nicht eingreifen. Bis ich mein Werk an der Frau vollbracht habe. Aber dafür gibst du mir diesen Körper.“

Er schlug sich auf die Brust. Wie dumm konnte eine Ausgeburt der Finsternis sein? Kolja würde den Körper des Pferdeknechtes in gleichschwere Stücke zerteilen und jedes an einem anderen Ort vergraben. Er musste nur darauf achten, ihm nicht in die Augen zu sehen, dann würde er dahin zurückfahren müssen, woher Ramuell ihn gerufen hatte.

„Gut. Du bekommst den Knecht und kannst als Mensch unter Menschen wandeln, bis der Körper um dich abstirbt.“ Kolja hielt dem lauernden Blick des Dämons stand, bis dieser langsam nickte.

„Lew?“ Lew erwachte aus seiner Angststarre. „Gib ihm die Wagenschlüssel für den SUV. Er muss mobil sein.“

„Wozu? Sascha kann nicht fahren.“ Mit zitternder Hand reichte er dennoch die Schlüssel.

„Jetzt schon.“ Ein unkoordiniertes Grinsen verzerrte das Gesicht, das immer weniger der Miene eines Menschen glich.

Ilja warf ihm frische Kleidung zu. „Wasch dich und zieh dich um.“

Es schnappte sich die Sachen und stakste zur Dusche. Die Türöffnung verfehlte es um eine Handbreit. Seine Schulter knackte, als sie gegen das Holz rammte.

„Der muss sich erst an die Ausmaße seines Körpers gewöhnen.“ Ilja lachte. „Armer Sascha. Wenn der seinen Körper zurückbekommt, ist er total zerschunden.“

„Er wird seinen Körper nie wieder zurückbekommen.“

Lew und Ilja starrten ihn schweigend an. Glas klirrte, etwas fiel hinunter, es klirrte noch einmal. Endlich kam der Dämon heraus. Saschas Körper war sauber und hatte frische Kleider an. Trotzdem wirkte er nicht menschlich. Es war der maskenhafte Gesichtsausdruck, der von unnatürlich glühenden Augen beherrscht wurde. Aber er war jung. Fühlte keinen Zerfall, strotzte vor Kraft. Das alles hatte Kolja weggeworfen für ein paar Augenblicke Vergnügen mit dem kleinen Miststück. Es waren großartige Augenblicke gewesen. Dennoch war der Preis unerträglich hoch. Umso grausamer musste die Rache sein. Kalt und endlos. Durch seinen dürren Körper ging eine heiße Welle der Erregung. Sie würde ihm sein Leid zurückzahlen. Hundertfach, tausendfach. Und der Dämon wäre seine ausführende Hand.

„Hast du einen Namen?“

Boshafte Kälte sah ihn an. „Nicht für dich.“ Er drehte sich um und wollte gehen.

Kolja schluckte an seiner Angst, doch noch größer war die Wut. Wie konnte der Geist es wagen, so mit ihm zu reden?

„Hey!“ Ilja warf ihm eines der Handys zu. „Du musst Kontakt zu uns halten. Unsere Nummern sind gespeichert.“

Der Dämon steckte es in die Brusttasche und wandte sich zu Kolja. „Vergiss unseren Handel nicht, Nephilim.“

Eisig und grausam hart ballte sich alte Angst in Koljas Magen. Der Dämon durfte es nicht sehen. Keine Schwäche vor verbannten Augen oder sie machten den Herrn zum Diener.

Der Dämon ging. Ilja drückte leise die Tür zu. Sein warnender Blick heftete auf Kolja.

„Die Geister, die du riefst, werden wir nicht mehr los, hm?“

*

 

Jade klopfte wild ans Fenster, als Lucy ihr Fahrrad an den Abgang zum Souterrain lehnte. Sie war noch nicht unten, als die Tür aufgerissen wurde.

„Lucy! Gut, dass du kommst. Ich brauche dich für die Bestätigung meiner Theorie.“

„Welche Theorie?“ Lucy hängte ihre Jacke an den Zweig einer abgeschnittenen Astgabel, die als Garderobenständer diente. Eine beachtliche Spinne huschte in die Ecke ihres noch beachtlicheren Netzes. „Du hast ein Haustier?“

„Nur im Winter. Draußen würde sie erfrieren. Sie heißt Rosalie. Pass auf, dass du ihr Netz nicht kaputtmachst, der Ärmel hängt rein.“ Mit Tadel im Blick pflückte sie den Jackenärmel ab. „Ich habe Tee gekocht und die Kartendecks liegen schon bereit.“

Lucy bahnte sich einen Weg durch Bücher, verstreute Runensteine und Sternenkarten.

„Setz dich aufs Bett und lass die Energie des Universums durch deinen Körper fließen.“ Jade verschwand in der Küche und kam mit zwei Bechern wieder. „Folgendes: Ich will einem Freund beweisen, dass intuitiver Tarot ebenso verlässlich ist wie die klassischen Varianten.“ Jade tauschte den Becher mit einem Kartenstapel. „Denk an nichts, zieh fünf Karten und dann lass dich überraschen.“

„Jade, ich glaube nicht an diesen Mist.“

„Musst du nicht. Der Mist glaubt an dich. Das reicht.“ Jade breitete einen Kartenfächer vor ihr aus. „Mach die Augen zu.“

Lucy atmete tief ein. Gestern hatte sie sich von einem Ring Daniel herbeigewünscht. Heute war er im Laden erschienen. Lucy hielt die Luft an und zog fünf Karten.

„Wirf sie hoch.“

Lucy gehorchte. Als sie die Augen öffnete, saß Jade mit geblähten Wangen vor ihr. Eine Frau mit wallenden Gewändern hielt ein Schwert in der Hand und sah Lucy herausfordernd an. Quer über ihr lag ein Mann mit schönem Gesicht und ernsten Augen. An den Stellen, wo sein schwarzer Mantel auseinanderklaffte, kam sein Skelett zum Vorschein. Die Knochenhand hielt eine Sense. Lucy fröstelte es.

„Wenn die Karten falsch herum liegen, dreh sie einfach um. Du wirst schon spüren, ob sie für dich eine Bedrohung oder Rettung bedeuten.“

Jades Lächeln konnte Lucy nicht aufmuntern. Sie hob die dritte Karte an. Ein dicker Teufel mit Widderhörnern fläzte fett auf einem Thron aus Flammen. Warum wunderte sie das nicht? Auf der vierten Karte waren sieben goldene Kelche und auf der Fünften steckten zehn Schwerter im Rücken eines auf dem Boden liegenden Mannes.

„Faszinierend. Als ich für dich die Karten gelegt hatte, kam etwas Ähnliches bei heraus.“

„Und ist das gut oder schlecht?

Jade zuckte die Schultern. „Für meine Theorie ist es hervorragend. Für deine Zukunft ziemlich düster.“

Lucy erinnerte sich daran, dass sie an Hokuspokus nie geglaubt hatte. „Lass uns das hier mal vergessen. Ich brauche einen Rat.“

Mit versonnenem Blick sammelte Jade die Karten ein. „Der Tod liegt auf dir. Da gibt es keinen Rat. Du kannst ihn lieben oder es lassen. Das entscheidest du selbst.“

Die Zeit schien stillzustehen. „Das ist mein Problem. Ich habe mich verliebt. In einen Auftragskiller.“

Jade fielen die Karten aus der Hand.

„Ich habe versucht, es mir auszureden, vergeblich. Daniel ist wundervoll, seine schwarzen Haare, der sinnliche Mund, die Art, wie er einem in die Seele zu blicken scheint. Selbst sein Name. Levant. Ich habe gegoogelt, es heißt Wind und das passt zu ihm. Der Wind, der mir den Atem nimmt.“ Lucy schlug die Hände vors Gesicht. „Sag nichts, Jade. Ich weiß selbst, dass ich grottenpeinlich bin. Ich träume schon von ihm und heute hat er mich im Laden besucht. Er kommt auf mich zu, berührt mich auf eine Weise, die mich alles vergessen lässt und …“

„Hast du mit ihm geschlafen?“

„Ich kenne nicht mal seine Adresse.“

„Ich schon.“ Sie tippte auf die Todeskarte. „Du hast die Wahl, Lucy Sorokin. Entweder nimmst du den Tod oder der Tod nimmt dich. Was ist dir lieber?“

„Keine der Varianten?“ Warum war die Luft so stickig? Das mulmige Gefühl wurde stärker.

Jade seufzte, holte Lucys Jacke und hielt ihr die Hand hin. „Komm mit. Du besuchst jetzt deinen persönlichen Tod und stellst dich ihm. Ich dachte, Daniel sei ein Vampir, den ich mit Energiearbeit aus seiner Blutsucht therapieren könnte, aber ich habe mich geirrt. Daniel ist elementarer und er ist nicht mein Problem, sondern deins.“

 

*

 

Morgen Nacht.

Etwas mehr als vierundzwanzig Stunden blieben Lucinde Sorokin zum Leben. Daniel rutschte an der Duschwand hinunter. Das Wasser rann heiß über seinen Nacken und entspannte ihn trotzdem nicht. Eine ausweglose Situation. Er hasste ausweglose Situationen.

Als er sich die Haare trockenrubbelte, sah sein Gesicht unter dem weißen Handtuch grau und müde aus. Ein martialisches Kreischen quälte seine Nerven. Der Fußboden vibrierte, von der Decke rieselte Staub. Ob er hinuntergehen und Susannas Freunden klarmachen sollte, dass weder tragende Wände noch tragende Balken eingerissen werden durften? Nach einem letzten verzweifelten Aufschrei verstummte die Kreissäge wieder, dafür war Susannas dumpfes Schimpfen zu hören. Daniel verkroch sich unter Decken und Kissen. Nur eine Stunde Schlaf, dann würde er Ives ablösen und Lucy wieder persönlich observieren.

Der Aufzug knarrte in den Seilen. Daniel fluchte ins Kopfkissen. Sollte Ives seinen Posten verlassen haben, würde er ihn einen Kopf kürzer machen.

„Daniel? Wo bist du?“

Jade? Ihr fröhliches Gesicht erschien zwischen den Stäben.

„Die Kleine von unten hat mich hereingelassen. Seit wann schließt du ab? Spontane Besuche sind schicksalsbestimmt. Es ist nicht gut fürs Karma, wenn sie unterbunden werden.“

Daniel verkroch sich noch etwas tiefer unter die Decken.

„Hey, dunkler Held! Deine düstere Aura tentakelt bis in den Aufzugschacht. Ich finde das sexy.“ Sie hielt ein Deck Spielkarten hoch. „Willst du in deine Zukunft schauen?“

„Auf keinen Fall.“

Als er Jade das erste Mal getroffen hatte, hatte sie im Kreis um ein Arrangement aus Blüten und Knochen mitten im Sherwood Forest getanzt. Dass sie von einem Haufen Touristen umstanden und angestarrt wurde, hatte ihr nichts ausgemacht. Irgendwann war die Polizei gekommen und hatte sie in eine Decke gehüllt und mitgenommen. Engländer waren empfindlich, wenn es um Nudismus in der Öffentlichkeit ging. Mit ihren endlos blonden Haaren war sie ihm wie eine Nymphe erschienen. Doch wenn sie noch so schön war, sie sollte verschwinden und ihn allein lassen.

Jade rümpfte die Nase. „Sei nicht so negativ. Das Universum hält überraschende Wendungen in deinem Leben bereit.“

„Ich kann heute nicht. Termine.“

„Das wird sich ändern. Ich habe dir eine Fußreflexzonenmassage versprochen und die bekommst du jetzt.“

Das konnte nicht ihr ernst sein. „Mir fehlt dazu jetzt der Nerv.“

Jade schüttelte energisch den Kopf, kramte ein Buch aus ihrem Rucksack und legte es aufgeklappt neben ihn. „Ich bin dabei, meine neue Mitarbeiterin einzuarbeiten. Sie wird dich heute übernehmen.“ Sie lächelte ihn an wie ein Arzt einen Sterbenden.

„Ich will das nicht!“ Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Morgen tötete er die Frau seines Lebens. Sein Inneres stülpte sich nach außen bei dem Gedanken daran. Konnte Jade nicht gehen und ein Nein akzeptieren?

„Ich akzeptiere kein Nein, Daniel. No Chance.“

„Jade! Bitte!“

„Lucy, du kannst kommen. Er ist so weit.“

Lucy kam aus dem Aufzug. Sie musste sich hinter der Absperrung versteckt haben.

„Ich geh dann mal. Lucy, alles, was du brauchst, liegt für dich auf dem Bett bereit. Solltest du nicht weiterkommen, sieh ins Buch. Die Meridiane sind farblich markiert.“

Sie ging. Und ließ ihn mit Lucy allein.

„Jade hat gesagt, du seist mein Tod und ich soll dich lieben, weil du mich sonst umbringen würdest.“

Lucy setzte sich im Schneidersitz vor ihn und begann, kräftig über seinen Fuß zu streichen. Sein Mund war trocken. Er brachte keinen Ton heraus.

„Ich glaube nicht an Prophezeiungen, aber ich brauchte eine Ausrede.“ Sie zog an seinen Zehen und lächelte ihn dabei an. „Wenn wir uns sehen, schürst du ein Chaos in mir, das du nicht beseitigst. Ich bin gekommen, um mich zu rächen.

„Lucy, du solltest nicht hier sein.“

Sie legte den Finger auf seine Lippen. „Hast du eine Freundin?“

Er schüttelte den Kopf.

„Eine Frau?“

Er schüttelte wieder den Kopf.

„Begehrst du mich?“

Er nickte, seine Gedanken verselbstständigten sich. Gut, dass er wenigstens ein Handtuch trug. Mit Schwung zog sie es von seinen Hüften. Ihre Augen weiteten sich. Daniel schloss seine. Das hier war verrückt. Es konnte nur ein Traum sein, entsprungen aus seinem wundgedachten Hirn, das nach Lösungen suchte, und keine fand.

Als der Handy-Gong dröhnte, hätte er am liebsten gebrüllt. Lucy saß da, seinen Fuß in ihrem Schoß und massierte seine Sohle.

„Du bist verspannt. Du solltest jetzt nicht telefonieren.“

„Ich muss rangehen, es ist wichtig.“ Ives Nummer blinkte. Er würde ihn durchs Telefon ziehen. Lucy streckte sich auf dem Bauch aus, streichelte vom Fußknöchel zum großen Zeh und biss hinein. Daniel hielt ihr den anderen Fuß auch noch hin. Sie lächelte und biss wieder zu. Diesmal fester.

„Hier tut sich nichts.“ Ives Stimme klang zittrig.

Lucys Zunge umspielte Daniels Fußknöchel.

„Von der Sorokin keine Spur. Bis jetzt hat sie das Haus nicht verlassen.“

„Ist ziemlich warm bei dir.“ Sie knöpfte ihre Strickjacke auf, führte seine Hand zu ihrer Brust, lenkte sie in großzügigen Kreisen über heißes, festes Fleisch. Daniel schloss die Augen, um sich auf Ives konzentrieren zu können.

„Bist du sicher, dass sie nicht den Hintereingang genommen hat?“ Immerhin massierte er nicht die zarte Brust einer Fata Morgana. Ihr Herz schlug schneller in seiner Hand. Seinen Puls konnte er weit vom Herzen entfernt spüren. Auch er wurde schneller, stärker und beanspruchte immer mehr Platz um sich herum.

„Ganz sicher.“

Lucy kroch wieder zu seinen Füßen, strich mit der Zunge kräftig über seine Sohle. Daniel keuchte auf.

„Daniel? Geht es dir gut? Du stöhnst so, kam es besorgt aus dem Handy.

„Mach dir keine Gedanken. Ich bin müde. Ich habe gegähnt.“ Als sich ihre Zunge zwischen seine Zehen schlängelte, biss er sich auf die Lippen.

„Im Auto wird es immer kälter. Ich hab schon zwischendurch den Motor laufen lassen. Kannst du nicht einfach kommen, sie töten und dann kann ich duschen und was essen?“

„Nein. Willkommen im aufregenden Dasein der Bruderschaft. Außerdem verfügt die Karre garantiert über eine Standheizung.“

Zärtlich streichelte Lucy über seine Schenkel, je höher sie kam, desto knapper wurde ihm die Luft. Daniel hielt das Mikro zu. „Das ist eine Fußreflexzonenmassage?“

Lucy grinste zu ihm hoch. „Nicht mehr. Jetzt aktiviere ich deine Meridiane. Halt still, wenn du schon dabei quatschen musst.“

Ihre sanften Finger tänzelten über seine Fußknöchel hoch zu seinen Oberschenkeln bis in seine Leiste. Seine Erregung sammelte sich vor Lucys Augen. Er konnte es nicht ändern. Sie lag auf dem Handtuch.

Sie nickte zu seinem Handy, das er immer noch zuhielt. „Dein Gesprächspartner wartet.“

Offenbar hatte Ives gar nicht bemerkt, dass Daniel kurz abgelenkt gewesen war.

„Ich verhungere hier. Sei gnädig und schick wenigstens Ruben.“

Lucy blätterte in dem Buch „Mit dem Magenmeridian fangen wir an. Und zwar genau hier.“

Ihre festen Küsse verteilte sie großzügig auf seinen Lenden. Daniel versuchte, sich zu entspannen. Wo sie küsste, war sein Magen auch während seiner Ausweidung im Sommer 1084 nicht gewesen.

„Hör auf damit, ich halte das nicht aus.“ Lusttrunkene Augen sahen zu ihm auf, blitzen ihn an und ihr Mund machte weiter. Daniel biss die Zähne zusammen.

„Was soll ich denn sagen?“

Warum hielt Ives nicht einfach die Klappe?

„Hier verläuft dein Nierenmeridian.“ Sie hauchte auf empfindliche Haut. „Er ist wunderschön, weißt du das?“

„Der Nierenmeridian?“ Seine Gedanken verschwammen.

„Nein, das hier.“ Sanfte Küsse weckten ein Pulsieren, das er kaum noch folgenlos ertragen konnte. „Soll ich immer noch aufhören?“

Daniel schüttelte den Kopf. Die Erregung legte ihn in süße Fesseln, die Hingabe forderten. „Mach weiter. Das tut gut.“

„Was? Ich kann dich nicht verstehen. Die Standheizung rauscht so laut.“

Daniel schnappte nach Luft, der Biss war grausam gewesen. „Ich sagte, folge ihr weiter. Das wäre gut.“

Eine Kaskade französischer Flüche folgte, die plötzlich ins Portugiesische wechselten. „Bist du blöd? Ich sagte doch, da gibt es nichts zu verfolgen. Ich will Kaffee, ein Steak und eine Dusche! Ich verhungere und dich kümmert es nicht!“

„Oh Gott!“ Daniel fasste in ihr Haar und presste die Lippen zusammen. Welcher Meridian es auch war, sie aktivierte ihn heftig.

„Ach, so schlimm ist das nun auch wieder nicht. Aber danke, dass du dich um mich sorgst.“

Daniel biss sich in den Handballen. Ives Geplapper war unwichtig. Was diese Zungenspitze an ihm vollführte, grenzte an Schmerz. Lucy nahm ihm das Handy ab und drückte das Gespräch weg. Er wollte sie von sich schieben, konnte aber nur die Schenkel öffnen. Sanft drückte er ihren Kopf zurück in seinen Schoß. Was sie mit ihm tat, war zu gut, um darauf verzichten zu können. Sie liebte ihn. Das zwang ihn zu nichts. Er musste ihr das Leben jetzt nicht stehlen. Er brach keine Schwüre. Er hatte Zeit, morgen war auch noch ein Tag. Und übermorgen und nächste Woche und die Ewigkeit unter Lucys Lippen, ihrer Zunge, ihren Händen. Daniel streckte sich unter ihr, um Platz für das Übermaß an Lust zu schaffen, das sie auf konsequente Weise auf die Spitze trieb. Gleich. Bitte, gleich. Das Aufkeuchen brach aus ihm heraus. Er konnte es nicht mehr verhindern.

Lucy hob den Kopf, legte ihr Kinn auf seinem Schenkel ab und sah ihn mit einem grausamen Leuchten in den Augen an. „Soll ich dir zeigen, wie es mir geht, wenn du mich küsst und dann gehst?“

Was hatte sie vor? Er konnte nicht reden, sie um nichts bitte, nur um Atem ringen.

„Das ist der Moment, in dem du vor Lust vibrierst und nichts dringender ersehnst als Erlösung.“ Ihre Fingerspitze zog sanfte Kreise an hochsensiblen Stellen. „Und an dem du dann einfach gehst und mich allein mit meiner Qual lässt.“

Lucy stand auf, knöpfte ihre Jacke zu, zog sich an und ging, ohne sich nach ihm umzudrehen.

 

*

 

Daniels verzweifeltes Aufstöhnen hörte sie noch im Fahrstuhlschacht. Lucy kämpfte mit den Tränen. Sie hatte nicht nur ihn gequält. Auch sich selbst. Der Fahrradsattel machte es nicht besser und sie hätte sich für ihre Konsequenz ohrfeigen können. Auch wenn sie fuhr wie der Teufel, die Visionen höchster Lust verließen sie nicht. Auch nicht, als Peters Ford vor dem Starbucks parkte. Lucy stieß die wüstesten russischen Flüche aus, die ihr einfielen. Peter hatte sich angekündigt. Er wollte die Nacht mit ihr verbringen. Sie quoll über vor Leidenschaft, die nicht für Peter gedacht war. Daniels nackter, erregter Körper war hingegossene Poesie gewesen. War sie bescheuert, ihn ungeliebt liegen zu lassen? Das silberne Amulett wäre auf seiner schweißnassen Brust hin und her gerutscht. Es hätte den Reiz erhöht. Sicher war der Verschluss nur ein Häkchen. Der komplizierte Schiebemechanismus des Colliers von Raquelerre war ein Hindernis gewesen. Lucy hatte ihm die Ellbogen hinter dem Rücken zusammengebunden, um genug Zeit zu haben, es zu lösen.

 

Vor dem Antiquitätengeschäft parkte ein austernfarbener Rolls-Royce inklusive Chauffeur mit Mütze. Offenbar hatte Ethan liquide Kundschaft. Lucys Herz war voll mit Gefühlen, die es flattern und schmerzen ließen. Auf einen höflichen Small Talk hatte sie keine Lust.

„Lucy, schön, dass du da bist.“ Ethans Lächeln krampfte in den Mundwinkeln. Neben ihm, mit dem Rücken zu ihr, stand ein großer Mann mit weißen Haaren und langem Lodenmantel.

„Ich habe dir erzählt, dass ein Freund von mir die Ringinschrift für mich entziffert hat. Er ist persönlich vorbeigekommen, um ihn in Augenschein zu nehmen.“

Hatte Ethan den Verstand verloren? Er sah betreten zu Boden, als sich der Mann umdrehte. Die stechend stahlblauen Augen musterten Lucy voll Interesse. Ihr Herz setzte aus. Vor ihr stand Aiden Callahan. Peters Mentor. Hatte Ethan vor, sie auffliegen zu lassen?

„Ich war überrascht, als mein guter alter Freund Ethan die Bilder dieses beeindruckenden Ringes mailte.“

Ethan verzog hinter Callahan das Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse.

„Ich hege ein persönliches Interesse an diesem Schmuckstück und bin hier, um mit Ihnen über den Preis zu verhandeln.“ Er spreizte den Mund zu einem Lächeln, das Lucy frieren ließ. „Selbstverständlich muss unser gemeinsamer Freund Peter nichts von unseren geschäftlichen Angelegenheiten erfahren. Ich denke, darin stimmen Sie mit mir überein oder sollten Sie ihn über ihr lukratives Hobby informiert haben?“

Callahan war der Teufel. Er würde sie zappeln lassen und Bedingungen stellen. Der Ring beulte ihre Jeanstasche aus. Daniel hatte recht. Er war gefährlich. Aber auf eine andere Weise.

„Begleiten Sie mich zu einem kurzen Ausflug mit meinem Wagen. Dort können wir ungestört plaudern.“

Ethans knappes Nicken machte ihr keinen Mut. Schweigend ging sie voraus. Der Chauffeur stieg sofort aus, hielt die Tür auf und wartete, bis auch Callahan bequem saß. Sein irritierend leerer Blick schien über das, was er ansah, hinwegzugehen. Kaum setzte sich der Rolls-Royce in Bewegung, zog Callahan ein Seidentuch aus der Manteltasche.

„Ich hielt es für besser, Ihnen meinen Familienring nicht bereits im Laden zu präsentieren. Der gute Ethan wäre nur unnötig beunruhigt worden.“

Der prachtvolle Goldring fasste einen gigantischen Rubin. Der Ring war bis auf den Edelstein das exakte Gegenstück von ihrem.

„Die Familie Grigorjew, von der dieses Prachtstück, das Sie irgendwo an ihrem bezaubernd jungen Körper tragen, stammt, teilt sich mit der Sippe der Callahans gemeinsame Vorväter.“

„Helden, wie ich vermute?“

Callahan lächelte verzückt. „Sie haben meine Übersetzung der Keilschrift erhalten?“

„Was hat es mit diesen Ringen auf sich?“ Bevor sie ihre Beute zücken würde, musste Aiden mehr Informationen preisgeben.

Callahan sah sie mit kaltem Blick an. „Der Ring steht Ihnen nicht zu. Sie wissen nicht, wie gefährlich die Grigorjews sind. Sollten sie Ihnen auf die Schliche kommen, wird ein schneller Tod das Letzte sein, mit dem Sie rechnen dürfen.“

Dieser alte Mann bluffte. Lucy schluckte ihren Schreck hinunter. „Wir leben nicht mehr im Mittelalter.“

Sein spontanes Lachen erschreckte sie. „Meine Liebe, die Wurzeln der Grigorjews reichen über das Mittelalter weit hinaus. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie geben mir den Ring und ich verrate Sie dafür nicht an Kolja Grigorjew, der zweifellos schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben wird, um Sie zu finden. Zusätzlich erwarte ich von Ihnen einen kleinen Bonus. Sonst erfährt die ganze Welt, dass Sie seit Jahren Ihre Hände nach fremdem Eigentum ausstrecken.“ Die langen knochigen Finger legten sich auf ihr Knie. „Ich wohne im Waldorf-Hilton. Sie könnten mir den Nachmittag versüßen.“

„Wer garantiert mir, dass Sie sich an die Absprache halten?“ Sie war oft genug erpresst worden. Wer an der Leine hing, spürte sie. Sein ganzes Leben. Callahan legte ihr die Prawda auf den Schoß. Unter dem Papier schob sich seine Hand zwischen ihre Beine. Das gierige Aufleuchten seiner kalten Augen und sein grobes Zugreifen widerten sie an.

„Lies, Jana Kusnezow und dulde meine Berührungen, Lucy Sorokin. Du wirst sie zur Genüge genießen dürfen.“

Es kostete sie sämtliche Anstrengung, das Zittern ihrer Hände zu verbergen. Er schlug die Zeitung auf. Sein dürrer Finger tippte auf die Nachricht von Igors Tod.

„Dieser Mord trägt Koljas Handschrift. Bei seinem Nächsten werden Sie es sein, die die Londoner Polizei stückchenweise aus der Themse fischt.“

Sein Griff unter dem knisternden Papier wurde zudringlicher. Lucy zwang sich, stillzuhalten. „Und Sie garantieren mir Schutz? Wie?“

„Die Grigorjews und ihre stets wachsende Macht sind mir seit Langem ein Dorn im Auge. Alles, was sie schwächt, ist mir willkommen. Der Ringdiebstahl wird sie zweifellos schwächen. Sie haben mir quasi damit einen Gefallen getan. Ich erweise mich aus Prinzip großzügig gegenüber Menschen wie Ihnen. Der Ring, wenn ich bitten darf.“

Seine Hand wanderte direkt vor ihre Nase. Lucy zog den Schmuck aus der Tasche. Sie hasste solche Situationen. Es war lange her, seit sie das letzte Mal in solch eine Falle getappt war.

Callahan hielt den Ring ins Licht. „Wunderbar, nicht wahr?“ Sein gehässiges Lachen wollte nicht aufhören. In Lucys Magen fühlte es sich an, als kröchen Schlangen herum. „Machen Sie sich keine Gedanken mehr. Kolja Grigorjew wird weder Ihren richtigen Namen noch Ihren Wohnsitz erfahren.“

Er hatte Igor gefoltert. Kolja wusste alles, was er gewusst hatte. Dass Callahan sie für derart naiv hielt, schürte ihre Wut mehr, als das Gegrapsche seiner geilen Hand, die sich unter ihren Pulli schob. Sie musste diesen Mann loswerden und verschwinden. So schnell wie möglich.

„Ich schlage vor, Sie begleiten mich gleich. Gutes soll man nicht warten lassen.“

Der Brechreiz ließ sich im letzten Moment hinunterwürgen. „Vorher fahren Sie mich bitte nach Hause. Ich möchte mich frisch machen und dem Anlass entsprechend umziehen. Es wird schnell gehen. Sie können im Wagen auf mich warten. Baker Street 126.“

Callahans Augen leuchteten auf. „Es ist mir ein Vergnügen. Wussten Sie, dass ich es war, der den Großteil der Waren, die durch Ihre Hände gegangen sind, an vertrauensvolle Käufer vermittelt hat? Betrachten Sie Ihren kleinen Dienst an mir als Provision.“

Die Provision, die Lucy vorschwebte, hatte etwas mit einem hoffentlich ewig währendem Schlaf zu tun.

„Gestatten Sie meinem Chauffeur, dass er Sie in die Wohnung begleitet. Es wäre ungünstig, würden Sie eine Flucht in Erwägung ziehen.“

„Bitte, wenn er mir nicht vor den Füßen steht.“ Auf die Toilette würde ihr der Kerl nicht folgen und da wartete das, was sie brauchte.

Schweigend folgte ihr der Mann in die Wohnung. Sie sperrte die Badezimmertür vor seiner Nase zu. Zur Tarnung drehte sie das Wasser der Dusche an. Dann klappte sie den Toilettenspülkasten auf. Noch zwei Phiolen schwammen im Spülwasser. Igor hatte ihr die Fläschchen grinsend in die Hand gedrückt und versprochen, dass sie bei moderater Anwendung nicht töteten. Was war moderat? Offenbar war es die Konzentration gewesen, die sie Kolja verabreicht hatte, denn er hatte überlebt. Sie versteckte die Phiole im BH, ging an dem starr blickenden Chauffeur vorbei und wählte ein Abendkleid mit tiefem Ausschnitt im Rücken. Für diese glänzende Verführung war es zu früh am Tag, aber der Kerl sollte seine Augen an ihrem Hintern haben und nicht ihre Hand bemerken, die irgendwann nach dem Gift greifen musste. In den silberglänzenden Riemchen mit den nadeldünnen Absätzen würde sie sich im Zweifel die Knöchel brechen. Falls sie rennen musste, könnte sie es barfuß tun. Wie nah würde sie Callahan an sich heranlassen? Nah genug, um ihm die Sinne zu vernebeln. Er würde ihr Champagner anbieten und aus Höflichkeit mittrinken. Ob er sich von ihr füttern lassen würde? Dann könnte sie ihm das ganze Zeug auf einmal in den Rachen kippen. Bevor er den Geschmack bemerkte, würde die Wirkung schon einsetzen. Es durfte nur kein Zeuge in der Nähe sein. Noch heute Abend würde sie die Stadt verlassen. In einem Mietwagen. Anonym. Niemand würde wissen, wo sie war. Auch Daniel nicht. Bis man Callahans Leiche finden würde, wäre sie über alle Berge.

Der Kloß in ihrem Hals wuchs mit jedem Augenblick. Ebenso wie die Angst.

*

 

Sie hatte ihn hängen lassen.

Daniel tigerte auf und ab. Was für eine eiskalte Frau. Das Buch von Jade lag noch auf seinem Bett. An Lucys Behandlung durfte er nicht denken, sofort reagierte sein Körper mit massivem Protest. Als der Handygong erklang, zuckte er zusammen.

„Daniel? Es tut sich was bei der Sorokin. Eben hat sie ein alter Kerl im Rolls-Royce mitgenommen. Ihrem Gesicht nach war sie nicht begeistert. Ich folge ihnen Richtung Marylebone, schätze, sie wollen zu ihr.“

Finde heraus, wem der Wagen gehört. In zehn Minuten bin ich da.“

Eine Frau mit einer Pudelmütze sprang erschrocken zur Seite, als Daniel auf das Taxi zurannte. „Baker Street. Schnell!“ Auf was für Leute ließ sich Lucy ein? Rachsüchtige Nephilim, Auftragskiller und jetzt dieser Fremde. Daniel fühlte es bis in die Eingeweide. Lucy war in Gefahr.

Der Fahrer sah ihn konsterniert an, als Daniel auflachte. Er war ihr Killer. Gefährlicher konnte ihr der Kerl kaum werden.

Ives parkte auf der anderen Straßenseite. Direkt vorm Haus stand der Rolls.

„Der Wagen gehört einem Aiden Callahan, Wohnsitz in Dublin. Und jetzt halte dich fest, er ist führendes Mitglied einer Nephilim-Sippe, die seit den Zeiten der Tuatha de Danaan in Irland siedelte. Und es wird noch besser, die Callahans rivalisieren mit den Grigorjews um die Alphastellung unter den alten Familien.“ Ives holte Luft. „Kepheqiah geht davon aus, dass er hinter dem Ring her ist.“

„Wir müssen Lucy da rausholen.“ Musste sich diese Frau mit den ältesten Kriminellen der Weltgeschichte anlegen? Genügten ihr keine normalen Verbrecher?

Lucy erschien in der Tür. Der Saum eines schimmernden Abendkleides spielte um ihre nackten Knöchel.

Ives pfiff leise durch die Zähen. „Mann, sieht die klasse aus. Ich kann dich verstehen.“

Konnte er nicht. Würde der Kerl seine Finger nicht bei sich lassen, musste heute noch das Cleaner-Team ausrücken.

Ives ließ den Motor an. „Der fährt in die City.“

Vor dem Waldorf-Hilton hielten sie an. Der Mann reichte Lucy den Arm und sie nahm zögernd an. Die Situation gefiel Daniel immer weniger. Keph musste ihm helfen. Er wählte die Nummer und atmete auf, als Keph nach dem zweiten Freizeichen das Gespräch annahm.

„Ich brauche Geld. Der Umschlag sollte dick sein. Wozu sage ich dir später. Das Ziel wurde von Callahan ins Waldorf abgeschleppt. Der Kerl sieht reich aus, ist groß, schlank, Ives schickt dir gleich ein Foto.“ Er stieß Ives in die Seite, der fahrig sein Handy zückte. „Wenn du rauskriegst, wer das ist, wäre ich dir dankbar. Er stammt aus Dublin, sein Vorname ist Aiden.“

„Ein neuer Mitspieler?“ Keph klang besorgt. Das würde unserem Klienten mit Sicherheit nicht gefallen. Beschatte sie. Das Geld kommt sofort. Ich bringe es selbst.“

Hoffentlich beeilte sich Keph. Jede Minute mit diesem Mann allein war für Lucy ein Risiko.

 

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