Claudia Carl: Am See

Ein kühler Wind streicht um uns herum. Von ihrer Brustwarze auf meine, von ihren schräg liegenden Schamhaaren auf meine glatten Lippen. Wir haben unsere Handtücher nebeneinander auf die Sonne zu gelegt. Unsere Blicke fallen genau auf das kleine Toilettenhäuschen. Durch die linke Tür können wir nackte Männerrücken sehen, wie sie seitlich zu uns gewandt stehen. Die entscheidende Hälfte der Körper wird durch die Wand bedeckt.

 

Seit sie da ist, kann ich nicht mehr ruhig liegen. Ihre kleinen Brustwarzen stellen sich im Wind auf, ihre Zähne leuchten gerade aufgereiht, während sie blinzelnd in die Sonne lacht. Eine Spange hängt schief in ihrem Haar.

 

»Ich bin es ja gar nicht gewöhnt, so nackt herumzulaufen«, sagt sie.

 

»Ich traue mich auch nicht«, sage ich. »Nicht einmal bis zum Klo.«

 

Sie lacht.

 

Andrea lacht auf eine besondere Art. Ihr Tonfall hat etwas Männliches, sie schießt die Worte rau hervor. Sie reagiert schnell. Kaum hat man ausgesprochen, ist ihre Erwiderung da. Die oft eine Ergänzung ist, eine Fortführung.

 

»Das war ja vielleicht heute ein Stress«, sage ich.

 

»Wahnsinn«, schießt sie hervor, »das war der Wahnsinn.«

 

Ich muss lachen.

 

Ihre Wortknallerei ist wie ihre Kameraknallerei. Wenn sie Fotos macht, sagt sie: »Die knall ich alle ab.«

 

Wenn ein braungebrannter FKKler vorbeimarschiert, sagt sie: »Die sind auch ganz schön abgebrutzelt hier.«

 

Wenn ich meine hohen Schuhe trage, sagt sie: »Rattenscharfe Schuhe hast du an!«

 

Ihre Worte sind Reize, kühle, dünne Metallstangen, an denen man sich reiben kann. »Das ist der Wahnsinn. Das ist der Wahnsinn.«

 

Sag’s nochmal, Andrea! Sag’s nochmal!

 

Ich möchte unter deiner schaurigen Schnodderigkeit duschen, dahinter deine Weichheit erahnen, mich an dein Schnellreden anlehnen. Ich mit meinem leicht versiegenden Singsang, meiner Jammertendenz, meiner Hingabemasche. Vor unseren Augen glitzert der See. Kleine Wellchen in Blau und Grün. Andrea hat sich aufgesetzt, die Brustwarzen haben sich aufgestellt. Und sie schaut überrascht auf das Wasser.

 

»Es ist irre hier«, sagt sie. »Fast wie am Strand.«

 

Wenn ich wollte, könnte ich sie zu Allem überreden. Wenn ich meinen Finger in ihre Wärme stecken würde, würde sie unter mir glucksen und dem glasigen Glanz in ihren Augen nachgeben. Mit ihr könnte ich spielen.

 

»Was hast du denn, du kleines Biest? Warum schaust du mich so schimmernd an?«

 

Den Finger langsam quälend in ihr hin und her schieben.

 

»Warum stöhnst du so? Geiles Luder.«

 

Ihn fest in sie hineinstoßen.

 

Ihre Fußnägel sind sanft lila lackiert. Als wir vor Tagen zum ersten Mal am See waren, damals noch am Badehosenstrand, sie war oben ohne, hat sie ihre Fußnägel auf der Luftmatratze lackiert. Wenn sie aufgestanden ist, hat ihr Busen mir zugewinkt. Ihre Nachgiebigkeit hat mir Hoffnung gemacht, von Anfang an.

 

Ihre schnelle Ping Pong Kommunikation, die keine Verlegenheit aufkommen lässt. Sie sagt immer sofort Ja. Oder Nein.

 

»Das ist mir heute echt zu viel«, schreibt sie via sms, am Abend der Bierzeltverabredung. »Diese lauten gröhlenden Menschen. Ich krieg meine Tage …«

 

Ohne Hintergedanken. Da ist kein Stauraum hinter ihrer Psyche, keine blubbernde Seelenblase, womöglich kurz vorm Platzen. Keine Vorbehalte und keine heimlichen Ängste. Keine Aversion.

 

So wie ihr Körper glatt und übersichtlich ist – wenn sie auf dem Bauch auf dem Handtuch liegt, hat sie einen runden, symmetrischen Po – ist sie ein klarer Widerstand. Ein Wesen ohne Watteschicht.

 

Wir reden über Schwangerschaft.

 

»Das Schlimmste ist,« sage ich, »dass die Männer einen nicht mehr so anschauen wie sonst. Sie ignorieren einen einfach. Starren nur noch mit diesem verwirrten Blick auf den Bauch.«

 

»Echt!« sagt sie sofort. »Das stimmt. Verrückt.«

 

Sie rollt die »r«s.

 

»Total verrückt. Der Wahnsinn.«

 

»Wenn man dann den Kinderwagen schiebt, sieht’s schon wieder anders aus«, sage ich.

 

»Da wird’s laaaangsam besser«, wirft sie mir herüber. »Aber nur laaangsam!«

 

Sie hat Sehnsucht nach etwas, das ich mit den Fingerspitzen tasten kann. Sie möchte atemlos werden, vergessen, was sie sagen wollte.

 

Ihre Lüste schweben über dem See. Vor uns hängt ein männliches Geschlechtsteil.

 

»Dass diese Typen sich einem genau vor die Nase setzen müssen«, sagt sie. »Da kennen die nix.«

 

»Stimmt«, sage ich und werfe einen Blick auf das groß überhängende Teil.

 

»Sollen wir ein Stück rüber rutschen?« fragt sie.

 

»Ach nein«, sage ich. Ich will sie zwingen, ihre Grenzen zu überschreiten. Sie gibt nach. Ich spüre einen kleinen Rausch von Macht.

 

Mein erster Blick auf ihren nackten Körper, nachdem sie sich ausgezogen hatte, tat weh. Sie setzte sich auf das Handtuch neben meinem, unser Busen vervielfachte sich. Über ihrem Bauchnabel wellte sich die Haut. Schwangerschaft. Auf meinem Brustkorb spürte ich sie wie einen Magnet. Eine Anziehung, die nicht nachgebbar war. Wir saßen da, durch unsere Körperhüllen getrennt.

 

Sehnsucht nach ihr. In ihre Dunkelheit zu kriechen, nur noch ihre Stimme zu hören. Nicht zu wissen, wie sie aussieht, wie verletzlich sie ist. Nur zu wabern in ihrer Gegenwart. Doch ich bin außerhalb von ihr und kann es nicht rückgängig machen. Nicht weiter zu ihr vordringen als an ihre äußere Hülle. An ihre Hautkühle oder Hitze, ihren Saft, dessen Geruch fremd bleibt.

 

Ihr Geheimnis ihres Innenraums bleibt ihr Geheimnis.

 

Ich will sie quälen. Mit Lüsten, die ich ihrer Hülle antue. Sie soll dieselbe Sehnsucht verspüren und sie nicht erfüllt bekommen. Nur das Prallen gegen Mauern, unser Voneinander- abstoßen.

 

Ich bekomme die Gelegenheit, als mein Handy klingelt. Ein Internetbekannter ist dran. Wir wollen uns treffen.

 

»Ich kenne ihn noch nicht«, sage ich zu Andrea. »Ich habe nur eine Geschichte auf seiner Homepage gelesen.«

 

Ich fange sie mit einem Hauch von wohldosierter Verlegenheit bei dem Wort »Geschichte«.

 

»Eine Geschichte?« fragt sie. »Was für eine?«

 

Sie zieht die Augenbrauen hoch und klingt für ihre Verhältnisse verdammt zweideutig.

 

»Erotische«, sage ich. Sie hat es gewollt.

 

»Aber wie er seine Website aufmacht, gefällt mir nicht. Sie ist zu pornografisch. Nichts gegen Pornos …«

 

»Aber die meisten sind Schrott«, sagt Andrea.

 

»Viele«, sage ich. »Aber nicht alle …«

 

»Ach jaaaa?« Sie horcht auf. »Wo hast du die denn gesehen?«

 

Es gibt kein Halten mehr.

 

»Im Pornokino.«

 

Sie schaut mich an.

 

»Ich würde mich ja nie alleine in ein Pornokino trauen … oder mit wem warst du da?«

 

»Mit D. Und mit A.«

 

»Echt …« Sie macht eine kurze Pause. Dann sagt sie: »Bring mir doch mal einen guten Film mit.«

 

Mir fällt mein Zustand ein beim Anschauen solcher Filme, ich sehe mich und sie so wie jetzt nackt auf den Handtüchern zu Hause bei ihr auf dem Sofa, ich spüre eine Sinnesverwirrung. Ich bin zu weit gegangen, ich kriege dicke Hartgummibeine und -arme.

 

»Naajaaa«, sage ich und wünschte, ich säße im tiefsten Erdloch.

 

Warum kann ich auch nie den Mund halten. »Wo soll ich den denn hernehmen …?«

 

»Weißt du was?« sagt sie.

 

»Ich trau mich jetzt was. Ich gehe zum Wasser. Splitternackt.«

 

Sie steht auf. Ich wage nicht, ihr nachzuschauen. Erst als sie einige Meter tief im Wasser steht, die langen Haare mit der kecken Spange fallen über ihre Brust, riskiere ich einen Blick. Sie winkt.

 

Es ist spät geworden. Ich muss gehen. Ich ziehe mich an, packe ein.

 

Sie schaut aus dem Wasser zu. Ich winke ihr zum Abschied, sie wedelt mit dem Arm.

 

Wir sehen uns morgen im Büro.