Reimund Neufeld: Angelika

Warten, sitzen und warten. Ist mir im Grunde auch recht. Wie mir eigentlich alles recht ist. Sollte. – Warten. Auf’s Ankommen – bis man dran ist, bis was kommt, bis wer kommt … Warten kann so schön sein. Wie lange dauern. Auf etwas Schönes – warten … Es ist wie sehen, anschauen. Ein Gesicht. Das Gesicht einer Frau. Dieser Frau! – der im Gesicht geschrieben steht, daß sie etwas bewegt, innerlich. Und doch ist sie offen für das, was um sie herum vor sich geht. Sie schaut ab und zu auf, nach links und rechts, zu einem anderen Fahrgast. Und immer wieder – aber nur für ganz kurz – sieht sie jemandem in die Augen. Wie gerade mir. Warum tut sie das? Ich kann in Augen lesen. Ich kann sehen was darin geschrieben steht. Sie hat sehr dunkle Augenränder und nicht wenige Falten, sogar tiefe Falten. Ihr Gesicht ist anziehend. Ihr Blick spricht, spricht von dem, was sie innerlich bewegt. Vielleicht Sorgenvolles.

 

So gerne will ich sie ansprechen und sie fragen, und ihr sagen, sie braucht sich keine Sorgen mehr zu machen, weil ich jetzt bei ihr bin. Ich will ihre Hand in meine nehmen und ihren Kopf soll sie auf meine Schulter legen. Ich werde dann ihren Geruch wahrnehmen, werde wissen wie sie riecht, und sofort spüren was für ein Mensch sie ist. Wenn ich den Geruch eines Menschen wahrnehme, bin ich mir sofort über ihn im Klaren. Es ist viel mehr als nur ein erster Eindruck; viel prägender. Zwischen anziehend und abstoßend ist weniger als eine Sekunde – ein Bruchteil dessen, und ich reagiere körperlich. Es zieht mich hin, sie in den Arm zu nehmen, ich will sofort ihren Geruch, ihre Haut und ihre Haare. Ich weiß schon jetzt, daß ich sie auch ganz will. So, wie sie mich anschaut – in Abständen von weniger als einer halben Minute – bin ich sicher, daß auch sie mich haben will. Ihr Blick spricht: Ja, ich will! –, aber leider gibt es diese Schranke, diese unsichtbare, die so fest, so hart und unüberwindbar erscheint. Es gibt sie nun mal, diese Schranke.

 

Oder hast du etwa den Mut sie zu durchbrechen und herüberzukommen, zu mir, und einfach meine Hand zu nehmen? Ich weiß, daß auch du mich willst –, also komm und laß dich spüren – spüre auch mich! Ja, jetzt lächelst du mich an! Oder ist es nur deshalb, weil ich dir ein Lächeln entgegengebracht habe? Wer ist sie nur?

 

Was keine Rolle spielt. Schließlich stehen wir gleichzeitig auf, und ich gehe mit ihr –, steige mit ihr gemeinsam aus, und wir gehen schweigend die Straßen entlang – weit, immer weiter, bis an den Stadtrand, und immer weiter gehen wir, bis wir das Meer erreichen, und dann gehen wir noch weiter, kilometerlang den weißen Strand entlang. Die Sonne steht hoch, rechts, von uns ausgesehen, und sendet uns ihre heißen Strahlen. Trotz der großen Hitze trägt sie noch weiter ihre Sachen – diese Lederjacke und diesen halblangen schwarzen Wollrock, und die ebenfalls schwarze Nylonstrumpfhose. Die hohen Absätze ihrer Schuhe graben sich tief in den Sand ein. Sie hakt sich in meinen rechten Arm ein und zieht mich seitlich an sich heran, lehnt ihren Kopf leicht an meinen, und sie lacht, sie lacht laut dazu, bis mir etwas aufgeht: Wir haben uns! –, die U-Bahn war nur der Vorhof zu dem was jetzt ist, was jetzt wird. Sie lacht weiter ihr helles Lachen heraus, und dann rennen wir gleichzeitig los, so als hätten wir dazu eine Aufforderung gehört.

 

Warum aber trage ich einen Anzug der mir nicht gehört? –, einen fremden Anzug, hell, champagnerfarben – und warum laufe ich barfuß? Bei unserem Lauf halten wir uns an der Hand und geraten ganz dicht ans Meerufer. Ein karibisches Meerufer. Karibik. Der Name weckt Phantasien. Karibik. Warum sich die Blöße geben? Warum sich nicht lieber die Blöße zeigen? Die Blöße aufdecken.

 

Und nicht allein die körperliche. Wir schauen uns an und haben gleichzeitig dieselbe Idee: ja, uns unsere Blöße zu zeigen! Ich beginne meinen Anzug auszuziehen, ich trage keine Unterwäsche, und schon steh ich nackt vor ihr, und sie lacht und umhalst mich dafür, und leckt mir beiläufig ins Ohr, so daß mir ein leichter Schauer den Nacken herunterläuft, bis zum rechten Oberarm, auf dem sich die Härchen aufrichten. Ein herrliches Gefühl, so nackt am Strand zu stehen, mit ihr, vor ihr, und zuzusehen, wie auch sie sich jetzt auszieht. Sie trägt keinen Slip unter ihrer Strumpfhose, so daß ich durch das transparente Schwarz ihre dichte Schambehaarung sehen kann, was mich mächtig erregt.

 

Und erst jetzt erkenne ich, welch einen schönen Körper sie doch hat! –, und wie üppig, drall und weiblich er ist … Schöne, gesunde, satte Weiblichkeit, strotzendes, festes Fleisch, eine Fleischeslust! Ja, das ist Fleischeslust, so eine Frau, mit solchen prallen Brüsten, mit solchen breiten Hüften, mit diesem voluminösen, festen Hintern, mit diesen vollen Schenkeln. Ich flüstere ihr ins Ohr, sie möchte ihre Strumpfhose noch anbehalten, fasse sie bei der Hand und laufe mit ihr so schnell es geht ins offene Meer hinein. Das Wasser spritzt unsere Nacktheit an, und schon wälzen wir uns in die tosende Flut, in diese schäumenden Wellen, die über unsere erhitzten Körper rauschen, sie ganz mit ihrem salzigen Naß bedecken, um sodann zurückzufließen und für wenige Momente unsere Körper freilegen und uns sofort wieder bedecken – im steten Rhythmus – vor und zurück, vor und zurück; und wir liegen weiter im Sand, immer wieder von den Wellen umspült und überwältigt, halten uns verschlungen, und sie legt sich mit einem Mal auf mich – wir müssen aufpassen, daß wir uns nicht an dem salzigen Meerwasser verschlucken, was immer wieder über unsere Köpfe fließt. Ihr Schoß ist dicht auf mein Geschlecht gepreßt, was mir augenblicklich eine Erektion beschert. Ich drücke meine Handflächen fest in das volle Fleisch ihres Hinterns, obendrein erregt mich das Nylongewebe ihrer Strumpfhose, dennoch beginne ich, ihr diese auszuziehen.

 

Eine berauschende Anstrengung, während wir weiterhin immer wieder von den Wellen bedeckt werden – und endlich ist auch sie nackt, mir gänzlich entblößt, und ich flüstere es ihr ins Ohr, zweimal, und noch einmal, bis sie anfängt ja zu sagen, ein lautes Ja zu stöhnen, und wir wälzen uns weiter in den salzigen Wellen, beginnen einen erotisch-ekstatischen Ringkampf, bei dem sich unsere Hände, unsere Finger in des anderen Haaren verfangen, unsere Münder aufeinander treffen und die Zungen sich wild belecken, sich tief in die andere Mundhöhle bohren, die sich weit offen zeigt. Mein ganzes Gesicht beleckt sie mit ihrer Zungenspitze, dringt in meine Ohrmuscheln, in meine geschlossenen Augenhöhlen, und versucht auch in die Nasenlöcher einzudringen. Die Nässe unserer Zungen ist uns nicht spürbar, alles ist Nässe, wir sind über und über mit Nässe behaftet, sind durch und durch naß. Ja, naß und feucht wird auch ihre Spalte sein, in die einzudringen ich bemüht bin, in diesem geilen Wildkampf, denn sie hält fest ihre Beine geschlossen, diese mächtigen, vollen Schenkel, die in ihrer Sonnenbräune an die stolze Haltung englischer Vollblutpferde erinnern, die sich im Trab bewegen. Und so geht der Kampf weiter, sie will erst besiegt werden – kein Sieg ohne Kampf, kein Triumph ohne Sieg! Ich drücke sie fest in den nassen Sandboden, sie liegt auf dem Rücken und schreit und schlägt mit den Fäusten gegen meine Brust, die Wellen gehen aber weiter über unsere kämpfenden, nackten Körper hinweg, so daß es auch immer wieder ein Schlucken und Glucksen ist, ein hektisches Atmen, damit ja nicht Meerwasser in die Lungen gerät! In aufgebrachter Ungeduld versuche ich vergebens, ihre angewinkelten Beine mit meinen Händen auseinanderzudrücken, während mich weiter heftige Faustschläge schmerzhaft auf Brust und Oberarme treffen. Ich will ihr Einhalt gebieten, versuche, ihre Handgelenke zu ergreifen, was mir schließlich auch gelingt, aber noch etliche Schläge muß ich von ihr hinnehmen –; ihre Kraft und Geschicklichkeit scheint sich zu steigern. So drücke ich ihre Handgelenke rechts und links neben ihren Kopf in den nassen Sand, beuge mich herunter und beiße ihr sanft in die Halsbeuge. Sie schreit auf vor Lust, immer fester werden meine Bisse, die herunterwandern zu ihren Brüsten, und noch immer halte ich ihre Handgelenke fest, genau wie mein Hintern sich schwer auf ihren Unterleib drückt –, ihre heftig strampelnden Beine können nichts mehr ausrichten. ja, ich sitze auf ihrem Unterleib, fest wie auf einem Sattel. Die Nippel ihrer Brustwarzen sind hoch aufgerichtet, haben sich zu einer enormen Festigkeit zusammengezogen und vertragen so den massiven Druck, den ich durch meine in Fahrt geratenen Lippen erzeuge, und doch schreit sie aus Leibeskräften und versucht mich in die Schulter zu beißen, aber es will ihr nicht gelingen, denn rechtzeitig richte ich mich auf und lache ihr höhnisch ins rotglühende Gesicht, was sich in wütender Empörung laut schimpfend Luft macht. Aber plötzlich verändert sich ihr Gesichtsausdruck, sie beginnt zu lachen, nicht höhnisch wie ich gerade zuvor, nein, es ist ein spöttisches Lachen, das noch dazu hysterisch klingt. Noch immer halte ich ihre Handgelenke in den Sandboden gedrückt, und in einem wütenden Anfall darüber, daß sie es noch immer nicht vermag, sich aus ihrer mißlichen Lage zu befreien, beginnt sie, mit vor Anstrengung tränenden Augen, und unter spöttisch hysterischen Lachsalven, die sie durch laute fäkalwortige Beschimpfungen unterstreicht, mir zielgerichtet ins Gesicht zu spucken! Doch ich lache nur höhnisch weiter, halte sie weiter fest im Griff, beuge mich wieder zu ihr herunter und versuche, meine linke Wange, an der noch der dicke Schleim ihrer Spucke herunterläuft, an ihr Gesicht zu drücken.

 

Doch sie wirft ihren Kopf schnell und ruckartig von links nach rechts, so daß es mir äußerst schwer fällt, aber doch gerät ein gut Teil der Spucke an ihr Gesicht. Die wüstesten Beschimpfungen begleiten den weiteren Kampfverlauf, es entspringen derartig unflätige Worte ihren Lippen, die ich nie zuvor aus einem schönen Frauenmund vernommen habe –, aber auch ich überhäufe sie jetzt mit den schmutzigsten und beschämensten Beschimpfungen, die mir für sie gerade einfallen, und ich stachel sie weiter an, worauf sie mich verzweifelt weiter anspuckt, und auch ich spucke sie an, gegenseitig spucken wir uns ins Gesicht, von frechen Drohungen begleitet, bis uns die Spucke ausgeht, und ich beuge mich wieder herunter und lecke ihr mit meiner Zunge heftig übers Gesicht, wie ein Hund, und damit fangen wir auf einmal – beide gleichzeitig – wieder zu lachen an. Nur ist es jetzt ein herzliches, ein gelöstes Lachen, obwohl ich sie noch immer in meinem Griff halte, und fest auf ihrem Unterleib sitze –; doch unser Lachen ist vielleicht auch nur das Lachen einer Pause, die unsere erschöpften Körper einfordern, vielleicht ein verschlagenes Lachen, ein hinterhältiges. Wer kann das wissen – was uns bevorsteht …? Sie fordert mich in ordinären Sätzen auf, sie jetzt zu nehmen, es ihr hart und gründlich zu besorgen – falls ich dazu imstande wäre … (diese Teufelin!) –, denn sie ergebe sich, sie ergebe sich mir, sie liefere sich mir bedingungslos aus – dann! Was ist in mich gefahren? Ja, ich komme ihren Aufforderungen nach! Und schon öffnen sich mir ihre nackten, vollen Schenkel und ich gewahre die wie eine klaffende Wunde sich darstellende Spalte, die zu schreien scheint: Dring endlich ein! Gib mir die süßen Schmerzen, die ich verdiene! Tu es mir endlich an! – Was ist in mich gefahren? Ja, ich tu es ihr an, es dringt ein in diese schreiende, dunkle Spalte, tief dringt es ein, mein Geschlecht, aber nicht zartfühlend und auf Harmonie bedacht, sondern in Rage geraten hackt es wie auf einem Fleischbrett herab, immer hinein, in dieses dunkle feuchte Loch, wie in ohnmächtige Wut geraten, aber ohne wütend zu sein, immer wieder herab und hinein, herab und hinein – der Schmerz beginnt sofort! Was ist in mich gefahren? Erst nehme ich ihre Schreie nicht wahr – zwar höre ich sie, aber sie bedeuten mir nichts – doch dann, wie sie lauter und lauter werden, und von wütenden, anstachelnden Stoßseufzern begleitet werden, und ich für kurz innehalte, ihren Körper herumreiße, um sogleich von hinten in sie einzudringen, ihr dabei einen heftigen Schlag mit meiner Hand auf ihren nackten, fleischigen Hintern gebe –, da dringt auf einmal ihr Aufschrei mir ins Hirn zu vollem Bewusstsein, und es erweckt auch keinerlei Mitleid wegen ihrer Schmerzen, die sie gerade erleidet, nein, ihr Schreien stachelt meine Lust zu weiteren Schlägen an, die ich ihr jetzt mit beiden Händen, rechts und links, auf ihre fleischigen Hinterbacken verabreiche, und die in kürzester Zeit eine hochrote Färbung aufweisen. ja, das ist in mich gefahren: diese lüsterne Raserei … in der ich kaum mehr Gehör habe, ihre Worte wahrzunehmen, die sie in ihrer Ekstase ausruft – komm! kommen, ankommen …! – Ja! sicher –, auch ich kämpfe mich dem Höhepunkt entgegen, ich will auch gleich kommen …! Aber zusammen? Gemeinsam? Ich glühe. Ihr Gesicht kehrt sich auf einmal mir zu, es wirkt so entspannt, sie lächelt mich an, öffnet ihren Mund, und reicht mir die Hand …

 

»Da sind wir! Piallo! Wir sind angekommen –, hier ist Endstation! Sie haben mich dauernd so sonderbar angeschaut, und mich auch angelächelt –, da habe ich mir ganz einfach erlaubt zu Ihnen herüberzukommen. Wollen wir nicht für kurz in das Café, hier gleich gegenüber? Ja? Also kommen Sie, ich glaube, Sie sind mir eine Erklärung schuldig – kommen Sie! Ich heiße übrigens Angelika!«