Reimund Neufeld: Zum Achtzehnten

Etwas Besonderes. Zum Achtzehnten. Sie ist was Besonderes, Schönes, und viel mehr noch. Ein fixer Zeitpunkt, eine fixe Obsession hatte sie beseelt – nicht länger warten! Gedanken über Phantasien, um von diesem Punkt in eine andere Sphäre aufzusteigen, um zum nächsten, höheren Lebenslevel zu gelangen, bei dem es verheißungsvoll heißt: ENDLICH ALLES!

 

Und sie ist soweit, schon längst soweit! Ja, weiter noch. Schade oder nicht. Den Wunsch nach Besonderem braucht er ihr nicht gesondert zu entlocken. Er weiß: Sie ruht im Vertrauen, dass er ihr darin entspricht.

 

Warten. Noch eine Zeit lang. Nicht gerade lang. Vorfreuden verkürzen die Qual des Langwartens, Herbeisehnens.

 

Im größten Maße angetan von der Faszination der Liebe, von der Faszination des erotischen Gefühls, durchdrungen durch und durch, selbst übervoll davon, beglückt sie sich selbst – und ihn.

 

Davon etwas Besonderes zu kosten ist ihr großer Wunsch, so wusste er. In einem langen Brief schilderte er ihr ausführlich seine Idee, seinen Plan dazu, zum Achtzehnten – und genau an jenem Tag, vielmehr in jener Nacht. Zum Achtzehnten.

 

An jenem Tag würde er ihr noch einen weiteren Brief zukommen lassen, in dem er ihr ein Hotel nennen würde, wohin sie in einem von ihm bestellten Taxi, zu einer bestimmten Stunde, kommen möchte. An der Rezeption solle sie ihren Namen angeben, daraufhin würde das Taxi bezahlt und ihr ein Zimmerschlüssel ausgehändigt werden. Des Weiteren solle sie keinen besonderen Wert auf ihre Kleidung, Schuhe, Make-up und alles Übrige legen …

 

Das Taxi ist abgetan, die Ende-August-Sonne bleibt draußen, den Hotelzimmerschlüssel mit dem großen, elfenbeinfarbenen Anhänger in der Hand geht sie gezielt auf den Lift zu und ist überwältigt von all dem Luxus, der sie hier umgibt. Es ist nicht allein der ganze Marmor und die vielen polierten Spiegel, es sind nicht die Goldbeschläge, die riesigen Kristallleuchter oder der wertvolle rote Teppichbelag, es ist nicht die kühlende, klimatisierte Luft – es ist die gesamte Hotelatmosphäre, die, wenn sie nicht zum gewohnten Lebensstil gehört, diesen faszinierenden Eindruck hervorruft. Dieses Gesamte prägen noch mehr die Menschen, die sich in dieser besonderen Sterne- Hotelwelt bewegen. Sie bewegen sich auf absonderliche Weise – so, als würde jeder seine eigene Wichtigkeit mit Gleichgültigkeit tragen. Ob in der Westentasche eines Designersmokings, in einer giftgrünen Armanikrokohandtasche, oder, offen und für alle sichtbar, verteilt auf beide hochmütige Schultern. Geschäftlich oder privat, oft sind die Grenzen fließend, allein der Status zählt. Hoch.

 

Durch diese Wesen gleitet ihre schöne schlanke, junge Gestalt. Natürlich ist sie schön. Und im vollen Bewusstsein dieser Tatsache ist sie weit davon entfernt, die Alltäglichkeiten solcher Menschen zu beneiden.

 

So fährt sie im vollen Bewusstsein der Genuss versprechenden Besonderheit mit dem Lift ins angegebene 18. Stockwerk und schaut dabei in den großen Spiegel, der ihre gesamte schöne Statur wiederspiegelt: Sie hatte es einfach nicht fertig gebracht, keinen besonderen Wert auf ihr Äußeres zu legen. Natürlich hat sie sich extra chic angezogen, sie steht da in einem blass-rosa geblümten Kleid und in hochhackigen weißen Lackschuhen, die ihre Waden zusätzlich verschönern und beugt sich zum Spiegel leicht vor. Ihr Gesicht, mit dem stilvollen und dezenten Make-up lacht frisch, da die hellroten Lippenstiftlippen dem Spiegel ein Siegel aufdrücken. Bevor der Lift zum Halten kommt, hebt sie für sich noch schnell das Kleid hoch und betrachtet das schöne Darunter.

 

Die weiße Lacklederhandtasche schwenkt mädchenhaft hin und her, als sich die Lifttür öffnet, und auch weiterhin, den ganzen langen Gang entlang, bis die Zimmertür Nummer 1848 gefunden ist. Sie klopft das ausgemachte Klopfzeichen und es wird ihr aufgetan.

 

Dunkelheit. Für einen kurzen Moment ein wenig durchbrochen durch das Öffnen der Tür – und doch erkennt sie nichts, und dann, beim Schließen – Dunkelheit. Jetzt erinnert sie sich wieder der weiteren Details aus dem Brief: Sie würde in ein Dunkel eintreten und er würde sie nicht ansprechen, würde während der gesamten Zeit dieser Begegnung nicht mit ihr sprechen, und auch sie dürfe nicht sprechen. Einzig erlaubt wären sämtliche Laute der Lust. Er würde daliegen, in Erwartung auf sie, und sie müsse sich herantasten im Dunkeln – zu ihm.

 

Ein ungekanntes Prickeln macht sich auf ihrer Haut bemerkbar, es ist, als stellten sich ihr sämtliche Härchen aufrecht, wie auf der Lauer. Ist er da? Liegt er da irgendwo auf einem großen Bett und wartet auf sie? Wird auch er es sein und nicht jemand anders? Liegt da überhaupt jemand? Langsam, fast lautlos, bewegen sich ihre Füße in kleinen Schritten vorwärts, die Hände halten die kleine Handtasche vor ihren Bauch gedrückt, und da, endlich ein vertrautes Etwas, ganz deutlich zu vernehmen – sein Parfum. Unverkennbar. So intensiv, wie gerade dick aufgetragen, den körpereigenen Geruch erstmal übertüncht, erst viel später wird es zu der individuellen Vermischung kommen, die den einzigartigen Körpergeruch ergibt, die keine zweite Person hervorbringt. Doch dieses Später scheint noch nicht eingetreten zu sein, ihre Nase vernimmt nur das alleinige Parfum. Weitere Schritte vorwärts, noch kleinere, bis sie plötzlich gegen ein Hindernis stoßen – was ein Bettrahmen sein könnte. Sie bleibt stehen, riecht und horcht auf. Ja, da ist jemand, er muss direkt vor ihr sein, denn sie hört einen Atem, leise, in mäßigem Rhythmus auf und ab gehen.

 

Ihre innere Anspannung hat einen hohen Grad erreicht, eine Vermischung von unbehaglicher, ängstlicher Unsicherheit und behaglichem, lustvollem Schauder. Wie gern hätte sie jetzt seinen Namen gesagt, damit er antworte, ihr Sicherheit gäbe, doch wie spannend und lustvoll ist die Atmosphäre dieser dunklen Unsicherheit! Erotisch!

 

Ja, sie wird sich gleich herunterbeugen, diesen Mut aufbringen und sich von ihm in Empfang nehmen lassen, und sie wird bei all der Dunkelheit seine Griffe spüren, seine Handhabungen, sie wird die Konturen seines Körpers, seines Gesichtes, seiner Haare erkennen, sie wird ihn schließlich erriechen!

 

Da plötzlich greift eine Hand nach ihr, und gleich eine zweite. Die Hände tasten sich zurecht bis sie ihre Hüften gepackt halten, rechts und links, nicht zu fest, und wandern höher, gleiten synchron über ihre Taille, und noch weiter höher bis unter die Achseln. Ihre Handtasche liegt schon längst irgendwo auf dem weichen Teppich, als dieselben Hände die feinen Trägerchen ihres dünnen Kleides über ihre Schultern herab streifen. Die eine Hand greift sogleich nach ihrem Rücken, und das Geräusch, das der Reißverschluss ihres Kleides verursacht, verschmelzt mit dem Gefühl, das an ihrem Körper spürbar ist – wie das so gleitet, ihren Rücken herunter … – sie spürt ein lustvolles Aufkommen bis tief in ihren Unterleib.

 

Und weiter bleibt eine Unsicherheit, weiter dringt durch das schwere Parfüm nicht der geringste menschlich-männliche Körpergeruch, und an dem, wie diese Hände sie bisher behandelten, ließ er sich nicht erkennen. Noch nicht.

 

Das Kleid ist hinten offen, die Trägerchen hängen rechts und links über ihren Schultern herab und die Hände haben wenig Mühe, es in Hüfthöhe zu ergreifen, um es ihr ganz abzustreifen. So liegt es an ihren Füßen und sie steckt nur noch in ihren Schuhen, da sie keine Unterwäsche trägt. Ob er es ahnt? Oder schon gespürt hat? Ja, jetzt weiß er es, da die Hände sich wieder auf ihre Hüften legen: kein Höschen! – und herauf gleiten, nach vorn, zu ihren kleinen Brüsten: kein BH!

 

Ja, das müssen seine Hände sein, so keck greift keiner nach ihrem Busen! Das weitere Vorgehen bringt sie in Verlegenheit: sie wird sanft gepackt und auf den Bettrand gesetzt, ihre Schuhe werden abgestreift, nackt wie sie ist, legt sie sich von selbst mit dem Rücken auf das Bett, streckt sich behaglich, und breitet erwartend Hände und Beine aus. Was wird er tun?

 

Mit offenen Augen in die Dunkelheit, die absolut geblieben ist, schaut sie in den Raum, nach ihm, ohne zu sehen, unsicher, ob sie weiterhin so passiv bleiben soll.

 

Der Gedanke ist verfehlt, schon ist ein Körper über ihr, schon tasten wieder diese Hände – es müssen seine Hände sein – nach ihren Handgelenken, fassen diese und richten sie hoch, rechts und links über ihren Kopf, an das Kopfende des Bettes, was einen Metallrahmen hat, das spürt sie deutlich, und sie lässt zu, gedankenlos, dass eine Hand nach der anderen, genau dort, rechts und links über ihrem Kopf, mit Tüchern festgemacht wird, und die Tücher, die sich erst so seidig anfühlen, ziehen sich beinah schmerzhaft um ihre Handgelenke fest, bis diese ans Bettgitter gebunden sind.

 

Übrig bleibt ihr nackter Körper im Dunkeln auf dem Rücken ausgestreckt auf einem großen, weichen Bett – die Arme über ihrem Kopf festgebunden. In hoher Erwartung auf eine besondere Lust. Sie ist bereit. Sie vertraut. Sie fällt. Was bleibt ihr auch übrig, als sich fallen zu lassen? Was kann ihr jetzt Schöneres wiederfahren? Sie winkelt ihre Knie leicht an und spreizt weit ihre Beine, und es ist ihr, als spürte ihre nackte, frisch rasierte junge Vagina einen kühlen Lufthauch, und so kommt ihr die Nacktheit ihres Unterleibs besonders deutlich ins Bewusstsein. Diese frische, erst vor knapp einer Stunde vollführte Intimrasur sollte für ihn sein, für sie beide sein – für eine besondere kleine und neue Überraschung sorgen.

 

Sie ist da, die Sehnsucht, die Sehnsucht nach leidenschaftlicher Vereinigung – mit ihm, körperlich, geistig, seelisch, diese leidenschaftliche Sehnsucht nach Verschmelzung – eins werden – mit ihm …! Phantastische bunte Bilder tanzen ihr in der Dunkelheit vor den offenen Augen, und sie will diese irrealen Szenen willkommen heißen. Sie heißen Erlösung – hier und jetzt! Sie schmecken nach süßer glatter Haut und nach einem Saft, den zu kosten sie kaum erwarten kann, sie sind begleitet von Harfen- und Posaunenklängen, keine Musik, nein, es muss etwas anderes, höheres sein – dabei erfüllt ein animalischer Moschusgeruch die Luft – doch schließlich die Szenenbilder: von nebelhafter Undurchsichtigkeit, und doch so bunt, kaum erkennbare Körper in Nacktheit, die alle auf sie zukommen, und über sie – ein erotischer Reigen … Wie wird es sich wohl anfühlen …?

 

Da! Seine Hände streicheln sanft ihre Innenschenkel, die noch immer weit gespreizt sind, und sie spreizt ihre Beine noch weiter, bis es nicht mehr geht. Hier durchbrechen erste verhaltene Laute der Lust die bis dahin so andächtige Stille, sie haucht mehrere lang gezogene Atemzüge gut hörbar ihm entgegen. Ihre Hände, weiterhin ans Bettgitter gefesselt, umgreifen die seidenen Tücher, damit diese sich nicht stärker festziehen und ihren Handgelenken Schmerzen verursachen. Das Streicheln ihrer Innenschenkel ist nur schwer zu ertragen, sie meint, dass es bereits zu fließen beginnt – aus ihr heraus, da unten, aus diesem schmalen kleinen Spalt. Eine kleine Wohltat also, da das Streicheln unterbrochen wird und sie ein weiches, ein großes Kissen zu spüren bekommt, welches ihr unter den Kopf gelegt wird, um ihn zu stützen. Oh, und dann noch ein zweites, ein kleines Kissen – unter den Po, der somit leicht in die Höhe kommt.

 

Ihre Augen werden feucht, da er seinen Körper leicht auf sie legt und zwischen ihre weit gespreizten Beine – sein Kopf ruht auf ihrem Busen. Auch er ist nackt, das spürt sie sofort. Doch unmöglich seinen Kopf zu erreichen, womit auch? – um seine duftigen Locken zu fühlen, zu riechen, rein zu greifen, um sicher zu sein, letzte Gewissheit, dass es auch er … – Aber wer sonst …

 

Ja, diese Küsse, dieser Mund auf ihrem Busen, so kann nur er, das ist er, das muss er sein, der sie dabei noch weiter streichelt, ihren schönen nackten, so jungen Leib, und seine Lippen umschließen feucht ihre wartenden Brustwarzen, die sich längst stark aufgerichtete haben, erst die eine, dann die andere, und ihr ganzer Körper beginnt leicht zu zittern, da sein Kopf weiter herunter sich einen geraden Weg sucht, über ihren Nabel, ihn nur kurz mit der Zunge umspielt – sie will wohl noch nicht zu viel verraten, und seine Hände drücken jetzt wieder ihre Schenkel, von innen, weiter auseinander – damit sein Kopf sich dem Ziel unbeschwert nähern kann – über einen kleinen süßen Hügel – rosige Venus: Ab hier beginnt das rosige Land, nur rosa Farben, die man nicht sehen darf, und die doch spürbar sind, da sie rosig duften, rosig schmecken – alles Rosa! – ja, wie schon zuvor ihre süßlichen Brustwarzen – hellrosa! – blaßrosa Haut auf dem Hügel der so glatt und seidig – und herunter – endlich! – Zentrum des rosa-roten Landes, das sich hier süß und überfeucht aufspaltet, wo rosa Lippen rosa Lippen kosten, wo die rosa Zunge die rosa Rosenknospe leckt, wo sich die Zunge tief eingräbt zwischen die rosa Lippenpaare, die kleinen, wie die großen, und wo dieselbe rosa Zunge ihr Hauptwerk verrichtet, ihren Dienst tut, unter Mithilfe der rosigen Lippen, seiner Lippen, die so feucht ihr nasses Rosa-Land beackern, wo seine flinke Zunge so übermütig wird, das Rosenfeld für kurz zu verlassen, um sich über einen Damm zu lecken, der zu einem dunkelroten, kleinen Loch hinführt, und die seine rosa Zunge erröten lässt vor Scham, da er daran leckt, und sie hineindrückt, um bald schleunigst wieder zurückzukehren, da wo ihre offenen Lippen nass seiner warten, seiner wohl tuenden Zunge, um … – ja, um hinzugelangen, in das feuerrote Lust-land der Verheißung: Erlösung …!

 

Längst schon sind ihre Lustlaute stärker geworden, der Rhythmus stark beschleunigt, ihr gesamter Körper beginnt leicht zu zittern und in ihrem Kopf haben sich Gedanken längst schon ausgedacht: ja, die letzte Gewissheit war da, dass nur er allein es tatsächlich ist, nur er allein besitzt diese Zungenfertigkeit, nur er allein hat dieses Talent, ja, sie hat ihn längst erkannt, entlarvt darin – seinen lang gehegten Wunsch, sie einmal auf genau diese Art und Weise zum Höhepunkt zu bringen, ein erstes Mal diesen direkt auf seiner Zunge zu spüren, und diesen seinen Wunsch ihr zum Geschenk zu machen – ja, so waren noch gerade ihre Gedanken, die in heller Klarheit übergingen in jenes überwältigende Gefühl, das weiter anhält, mit diesem Zittern am ganzen Körper, und mit beginnenden Kontraktionen, die den Höhepunkt ankündigen, die jetzt alles in ihr öffnen, sie laut schreien lässt und fließen lässt, die Nässe des ersten Orgasmus auf seiner Zunge – ihr, zum Achtzehnten.