Sophie Andresky: Feuervogel

Der Feuervogel hat brennende Flügel und einen glühend roten Schnabel. Ich habe ihn mir zwischen die Brüste tätowieren lassen, als ich Oskar kennen lernte. Seine Schwingen reichen bis zu den Brustwarzen und sein Kopf streckt sich im Flug Richtung Nabel.

 

Wenn wir vögeln, wie es unsere Art ist, einander zugewandt an der Wand stehend, meine Arme weit ausgestreckt, die Hände mit Oskars verknotet und ein Bein um seine Hüften geschlungen, sieht es für Oskar so aus, als flöge der Feuervogel direkt aus meiner Brust auf ihn zu. Und so ist es auch.

 

Ich bin Janina. Ich bin eine Frau, die liebt, und eine, die jagt. Mehr gibt es über mich fast nicht zu sagen. Ich wusste immer, dass ich einen Mann wie Oskar nicht einsperren kann. Am liebsten würde er alle Frauen dieser Welt vögeln. Und er wusste, dass ich stumm werden würde wie eine Nachtigall im Käfig, wenn ich meine Freiheiten nicht habe. Ich brauche Abwechslung, Aufregung, ich probiere gern etwas aus. Also haben wir eine Verabredung getroffen.

 

Während sich unsere Freunde scheiden lassen, neu verlieben, wieder trennen, sich betrügen und belügen, haben wir ein einziges Gesetz. Einmal im Monat gibt es eine Auszeit von der trauten Zweisamkeit. Kleine erotische Abenteuer abseits des Ehebettes.

 

Dabei haben wir uns gegenseitig eine Bedingung gestellt: Er darf keine andere Frau als mich ansehen. Ich darf mit keinem anderen Mann als ihm sprechen. Er blind, ich stumm, so sind die Regeln.

 

Man kann uns, ohne zu lügen, als glückliches Paar bezeichnen. Wir schleppen keine unerfüllten Phantasien oder hinuntergeschluckten Wünsche mit uns herum. Wir erleben sie lieber. Dabei sprechen wir nie darüber, was wir außerhalb unseres Nests erlebt haben. Wenn wir zusammen sind, ist es so, als gäbe es nichts anderes. Wir schalten die Handys aus, wir gehen nicht an die Tür, wir laden selten jemanden von unseren Freunden zu uns nach Hause ein. Wir sind uns völlig genug. Und wir haben uns immer noch nicht daran gewöhnt, dass wir fest zusammen sind und jederzeit Sex miteinander haben können. Und der Sex ist gut.

 

Oskar sitzt nackt im Schneidersitz auf dem Bett. Er ist relativ klein, athletisch gebaut und komplett rasiert. Seine Haut wirkt noch viel nackter durch seine dichten schwarzen Locken. Ich sitze auf seinem Schoß, die Beine um seinen Körper geschlungen, sein Schwanz tief in mir. Wir bewegen uns ganz sanft, eher schaukelnd als stoßend.

 

Draußen wird es allmählich hell. Er sieht mich mit seinen schönen grauen Augen an, sieht, wie meine kleinen Brüste sich beim Atmen heben und senken, wie sich die brennenden Flügel darauf bewegen.

 

Ich flüstere seinen Namen, singe ihn fast. Wenn ich mit ihm spreche, klingt es immer leise und zärtlich. Er liebt meine Stimme.

 

Wenn es draußen warm ist, öffne ich alle Fenster und singe den ganzen Tag vor mich hin. Ich presse mich an seinen Bauch, sage ihm, wie weich seine Haut ist, wie ich seinen Schwanz in meiner Möse spüre, dass ich mich fühle, als würde ich schweben. Und er beobachtet mich, als wären ihm meine harten Brustwarzen völlig unbekannt, der ovale Bauchnabel und die kleinen Tröpfchen unter meinen Achseln. Und er erzählt mir, während wir etwas heftiger schaukeln, wie er mich das erste Mal leckte und er zwischen dem dunklen Kraushaar der Schamlippen meinen rötlich geschwollenen Kitzler sah und an eine exotische Blüte denken musste. Männer, die beim Sex kitschig werden, sind wunderbar. Bloß keinen mit abgeklärten Sprüchen oder medizinischen Vorlesungen. Ein echter Kerl ist sachlich und präzise am Tag und kitschig bei Nacht. So ist es richtig.

 

Ziemlich genau vier Wochen später klemmt sich Oskar seinen Laptop unter den Arm und verschwindet in seinem Büro. Ich sitze an meinem Schreibtisch, halb mit der Steuer, halb mit meinen Mails beschäftigt, und weiß, dass er jetzt auf die Jagd geht. Wir finden beide unsere monatlichen Abenteuer im Netz. Chatrooms sind die Wälder unserer Zeit. Später setze ich mich an seinen Laptop und lese seine Mails. Sein Kennwort ist »Janina« und meins natürlich »Oskar«.

 

»Ich werde eine Sonnenbrille tragen«, schreibt er »eine große Fliegerbrille mit sehr dunklen Gläsern. Man wird nicht sehen, dass ich darunter die Augen mit Pflastern verklebt habe. Ich kann nichts sehen. Ich werde dir völlig ausgeliefert sein.«

 

Und die Antwortmail: »Vertrau mir. Ich finde dich. Und an der Art, wie ich dich anfasse, streng und zärtlich zugleich, wirst du mich erkennen.«

 

Der Treffpunkt ist das Phönix, eine Diskothek am Stadtrand, ein etwas heruntergekommener Laden, aber keiner seiner Freunde geht dahin, deshalb ist er perfekt.

 

Es war unglaublich, schreibt Oskar einige Tage später in das große Buch, in dem er alle Freiflüge, wie er das nennt, aufzeichnet. Der Laden war brechend voll. Ich drehte mich zur Wand, verklebte mir die Augen und setzte die Brille auf. Ich stand an der Wand wie einer dieser apathischen Kontaktarmen, die immer nur wippen und zucken statt zu tanzen und den Text mitsingen, weil sie niemanden zum Unterhalten haben. Dann plötzlich fühle ich eine Hand am Schritt. Ich zuckte zusammen, denn es hätte ja gottweißwer sein können, ein Typ oder eine aus der bulgarischen Ringermannschaft, die da immer nach dem Training feiern. Und Zufall konnte es auch sein. Aber dann zog die Hand mir den Reißverschluss herunter und langte mir direkt an den Schwanz. Gut vorbereitet, keine Unterwäsche. Sie lehnte sich gegen mich und ich lächelte und tastete mich zu ihren Brüsten vor. Sie hatte so Nippelklemmen unter dem Hemd an mit Ketten, die von einer Brustwarze zur anderen gehen. Mit der anderen Hand langte ich an ihren Po und fühlte etwas wie Latex. Der Rock war nur so breit wie ein Gürtel. Sie hob ihr Bein und rieb einen messerscharfen Absatz an meinem Bein. Ich stellte mir einen Moment vor, sie würde im Gedränge das Gleichgewicht verlieren und mit diesem Folterinstrument auf meinem Fuß landen. Sie schwitzte unter dem Latex. Auch kein Fan von Höschen. Um mich herum schrieen, johlten und sangen irgendwelche Leute. Die Musik war dröhnend laut und wir standen so enggedrängt, dass ich mit den Schultern an fremde Leute stieß. Niemand beachtete uns. Aber vielleicht doch. Vielleicht standen sie längst im Kreis um uns herum und sahen zu, wie ich meine Hand zwischen ihren Beinen verschwinden ließ und meine Finger durch die seimige Nässe ins Innere ihres Fötzchens rutschten. Wir haben nicht gefickt. Wir standen nur da in der Menge an einen Pfeiler gelehnt und wichsten uns. Ich fühlte ihren Atem an meinem Ohr schneller gehen, während ich über ihren Kitzler rutschte und ihre Brustwarzen durch den Stoff hindurch leicht kniff. Als ich abgespritzt hatte und es mir klebrig die Beine hinunterlief, zog sie ihre Hand aus meinem Hosenschlitz, setzte einen ihrer Mörderabsätze auf meinen Fuß und steckte mir ihre feuchten Finger in den Mund. Ich lutschte sie gehorsam, dann war sie plötzlich weg …

 

Ich lächle, als ich mir Oskar vorstelle, blind im Gedränge, die fremde Hand im Hosenschlitz, und ich merke, dass ich feucht geworden bin. Ich schiebe eine Hand in meinen Slip und spiele ein bisschen an mir herum, während ich mir noch die Zeichnung ansehe, die er daneben gesetzt hat: ein Frauenunterkörper im glänzenden Latexrock, lang allerdings, mit einer kreisrunden Öffnung über dem Schritt, und darin eine prall geschwollene Möse. Ich reibe mich weiter und blättere in seinem Freiflugbuch. Manchmal sehe ich lange nicht hinein, obwohl es immer offen auf seinem Schreibtisch liegt, und dann wieder zieht es mich hin und ich entdecke neue Einträge. Eine ganze Doppelseite ist mit meinem Namen beschrieben. Es müssen hunderte Janinas sein. Der I-Punkt schwebt über der Schrift wie ein aufgescheuchter Spatz. Ich entdecke eine Zeichnung von einem Mann, der dick vermummt auf einer Parkbank sitzt und an seinem riesigen tropfenden Penis vorbei ins Weite sieht. Ich soll auf der Bank warten, hat sie geschrieben, lese ich, den Schwanz schon aus der Hose geholt, hart wenn möglich, gar nicht so einfach, denn es war ziemlich kalt. Dann höre ich hinter mir Schritte auf dem Kies. Es ist fast völlig dunkel.

 

Sie trägt einen Hut, tief ins Gesicht gezogen, einen Schal ums Gesicht, Handschuhe und einen langen schwarzen Wollmantel. Sie stellt sich wortlos mit dem Rücken zu mir vor mich, hebt ihren Mantel und entblößt vor mir ihren Arsch, weiß und nackt. Anfassen verboten, das ist der Deal. Das Kondom ist schon über meinen Schwanz gepellt. Jetzt zuckt er, als sie mit ihrer Möse die Spitze berührt. Sie senkt sich herab und ich bin ganz in ihr. Sie stützt sich auf meinen Knien ab, hebt und senkt ihren Hintern. Nicht ich ficke sie, sie fickt mich. Ich werde gefickt. Ich kann nichts tun, sie benutzt mich. Schließlich öffnet sie die Beine weit, nimmt mit ihrer behandschuhten Hand meine kalten Finger und legt sie sich auf die Fotze. Sie ist so nass, dass ich fast in ihr versinke. Ich wichse sie, während sie mich mit kleinen Stößen weiter fickt. Erst spritze ich ab, dann, nachdem ich ihre Möse ein paarmal halb gerieben, halb geknetet habe, sinkt sie in sich zusammen, steht auf und geht schnell über den Kiesweg weg. Sie hätte sechzehn sein können oder sechzig.

 

Oskar erwischt mich, wie ich über seinem Notizbuch gebeugt dastehe und mich abfingere. Er lacht, streicht mir durch die Haare, dreht mich herum, sagt, ich solle doch Bescheid sagen, wenn ich es nötig hätte, setzt mich auf die Tischplatte, spreizt meine Beine und leckt mich mit spitzen kleinen Zungenstößen, flirrend wie ein Kolibri. Keine Sekunde lässt er mich dabei aus den Augen. Und bald kann ich den brennenden Vogel im Bauch wieder flattern fühlen.

 

Und ich stöhne und flüstere seinen Namen und dass ich ohne ihn nicht leben kann. Wir küssen uns lange. Die Seiten seines Notizbuches sind dabei zerknickt, aber das macht nichts.

 

»Ich gehe nachher noch aus«, flüstert er mir ins Ohr und ich lächle ihn an und wünsche ihm viel Spaß. Ich selbst werde den Abend auch nicht vor dem Fernseher verbringen. Ich brauche ein bisschen Gefahr. Risiko. Nervenkitzel. Ich werde zu einem Mann ins Auto steigen auf einem Rastplatz. Das habe ich eben im Chat abgemacht.

 

Wenn der eine oder andere Trucker zusieht: bitte. Soll er doch sehen, wie ich mich vögeln lasse. Wir werden das Licht im Auto anschalten, die Knöpfchen runter, ich setze mich mit weit gespreizten Beinen auf die Rückbank und der fremde Mann besorgt es mir mit einem leise surrenden Spielzeug.

 

Wie üblich bin ich eher zu Hause als Oskar. Ich schlafe schon fast, träge und aufgeweicht durch ein langes heißes Bad, das ich mir nach meinem Ausflug gegönnt habe. Die Kleider sind in der Waschmaschine, meine Haut ist mit duftendem Öl eingecremt. Oskar schlüpft nach einer Dusche zu mir unter die Decke, schmiegt sich an mich, so dass sich unsere Bäuche berühren und wir gegenseitig unseren Zahnpasta-Atem riechen. Er hat kalte Füße. Kein Wunder.

 

Auf dem Rastplatz war es eisig. Dabei hatte ich ihm im Chat extra noch gemailt, er solle sich bloß warm anziehen. Und während Oskar mit verbundenen Augen im dunklen Auto saß, wie er es sich in seinen Mails gewünscht hatte, stand ich eine ganze Weile fluchend im Stau und kam viel zu spät zum Treffpunkt. Aber dann wurde es doch noch richtig heiß. Den Blick dieses Truckers, der durchs Fenster starrte, als Oskar mir das Höschen auszog und mich mit dem Vibrator verwöhnte, werde ich lange nicht vergessen.

 

Oskar murmelt »hattest du Spaß heute abend?« und ich nicke. Ich frage mich, ob er etwas ahnt. Ob er weiß, dass ich all diese fremden Frauen bin, die er auf seinen Freiflügen fremdvögelt, ohne sie zu sehen, die strengen in Lack und Leder, die Schulmädchen, die ihn in Hausfluren treffen, die flüchtigen Begegnungen in nächtlichen Parks, dunklen Hotelzimmern oder Bars. Ich werde ihn nicht fragen. Das ist das Geheimnis eines Spiels: dass man es nicht unterbricht. Er will alle Frauen dieser Welt vögeln? Er kann sie haben. Ich kann sie alle sein. Wir reden noch ein bisschen über den Tag und den nächsten Urlaub, wie der Job war und wer morgen mit Einkaufen dran ist.

 

»Janina«, flüstert er und schläft schon fast. Der Feuervogel auf meiner Brust bewegt ganz sachte die Flügel und fliegt ruhig und sicher.

 

Direkt auf Oskars Brust zu.