Ralf Thomas: Der zweite Frühling

Es war Frühling, mitten im April. Die Menschen lechzten nach Sonne und Wärme, strömten aus ihren Häusern und Wohnungen, in denen sie den ganzen Winter gefangen waren. Fröhliche Kinder tollten aufgeregt auf den Wegen und Wiesen herum.

 

Malte trottete am Seeufer entlang. Die Promenade war letztes Jahr frisch renoviert worden. Unzählige Bänke luden zum Verweilen ein.

 

Die meisten waren besetzt. Entweder von meist älteren Damen und Herren, die ihren Sonntagspaziergang unterbrochen hatten, oder von zumeist jungen Pärchen, die dicht beieinander saßen, so, als ob sie sich trotz der Frühlingssonne noch gegenseitig wärmen müssten.

 

Bis letztes Jahr hatte Malte noch wehmütig reagiert, wenn er an zwei frisch Verliebten vorbei kam. Hatte weg gesehen, wenn sie sich engumschlungen küssten. Denn dann war die Sehnsucht nach einem liebevollen Menschen an seiner Seite einfach zu groß. Seine Ehe war vor 3 Jahren in die Brüche gegangen. Sie hatten sich auseinander gelebt, sich gegenseitig nichts mehr zu sagen.

 

Es dauerte lange, bis er sich in dieser neuen Situation zurecht gefunden hatte – an das Alleinsein konnte er sich lange nicht gewöhnen. Auch war es gar nicht so einfach für ihn, auf das andere Geschlecht zu zugehen. Erstens war er schon Ende vierzig und zweitens überhaupt nicht der Typ, der sich bei irgendwelchen Treffpunkten und Veranstaltungen herumtrieb oder auf After-Work-Parties und in Discos auf Fleischbeschau ging. Außerdem konnte er auch gar nicht Tanzen. Also schrieb er auf diverse Bekanntschaftsanzeigen in der Sonntagszeitung. Ließ sich dafür sogar beim Fotografen ein Bild machen. Aber seine Briefe blieben sämtlich unbeantwortet.

 

Doch jetzt, in diesem Frühling, war das alles anders. Malte kam mittlerweile sehr gut allein zurecht. Er hatte im Herbst einen Kochkurs belegt, konnte nun problemlos mit der Waschmaschine umgehen und seine Hemden faltenfrei bügeln. Er hatte sich von dem inneren Zwang befreit, eine neue Partnerin finden zu müssen.

 

Wenn er irgendwann ein passendes Gegenstück finden sollte – o.k.

 

Und wenn nicht, dann würde er eben alleine bleiben.

 

Malte sog die frische Luft, die vom See leicht herüber wehte, tief in seine Lungen. Lehnte sich an den Mast mit dem Rettungsring und ließ seinen Blick über das sanft gekräuselte Wasser schweifen. Ein paar Segelboote waren schon unterwegs, brachten kleine, bunte Farbtupfer auf den hellblauen Untergrund. Er schaute zum wiederholten Male auf die Uhr. Es war kurz vor drei. Er war sichtlich aufgeregt, denn gleich würde er SIE wieder sehen. Noch gestern früh hätte er im Traum nicht daran gedacht, heute eine Verabredung mit dieser außergewöhnlichen Frau zu haben.

 

Malte war zum 50. Geburtstag seines Nachbarn Harald eingeladen.

 

Und da hatte er SIE getroffen – im wahrsten Sinne des Wortes. Er war stets hilfsbereit und so war es auch keine Frage, dass er schon am Mittag ins Vereinsheim des Ruderklubs kam, um bei diversen Aufbauarbeiten mitzuwirken. Schließlich öffnete er die Sektflaschen, um die Bowle anzusetzen.

 

»Wo kommen die Gläser hin?« fragte plötzlich eine ihm unbekannte, weibliche Stimme schräg hinter ihm.

 

»Oh, bitte gleich hier«, erwiderte er.

 

Malte drehte sich um und zeigte auf den Tisch. Dabei hatte er dummerweise den Korken losgelassen – und der schoss genau in diesem Augenblick aus der Flasche, traf SIE am Backenkno- chen, nur knapp unter ihrem linken Auge. SIE hatte zum Glück das Tablett schon abgestellt, sonst hätte es Scherben gegeben. Malte hätte in Grund und Boden versinken können, so peinlich war ihm das.

 

Natürlich war sein Missgeschick von allen Anwesenden sofort bemerkt worden.

 

»Immer diese Junggesellen«, lachte Harald trocken.

 

SIE hielt sich die Backe, es tat ihr sichtlich weh.

 

»Entschuldigen Sie bitte vielmals«, stammelte Malte verlegen.

 

Schnell griff er in den Kübel, in dem sich schon ein paar Eiswürfel befanden. Er fischte einen davon heraus, wickelte ihn in eine Serviette und Welt ihn vorsichtig gegen die sich rötende Stelle.

 

»Ich weiß gar nicht, wie … äh, was … äh, …«, suchte er verzweifelt nach den passenden Worten.

 

»Es ist halb so schlimm«, wollte sie ihn beruhigen, »ist gleich wieder in Ordnung.«

 

»Das hätte ins Auge gehen können«, war er weiter untröstlich.

 

Der Eiswürfel kühlte angenehm, Malte hielt ihn immer noch an ihr Gesicht, bemerkte aber nicht, daß die anderen Finger seiner Hand sanft ihre Wange berührte. Aber SIE spürte es.

 

»Sie können es ja heute Abend wieder gut machen«, lächelte sie ihn an.

 

Malte schaute fragend, verstand nicht ganz.

 

»Sie gewähren mir den ersten Tanz«, erklärte sie ihrem verdutzten Gegenüber.

 

»Daraus wird nichts«, unterbrach sie Harald kurzerhand, »erstens gehört der Eröffnungstanz deinem Bruder und zweitens kann Malte gar nicht tanzen!«

 

Malte hätte abermals in den Boden versinken können. Ausgerechnet Haralds Schwester!

 

»Malte? Ein eher ungewöhnlicher Name für die Gegend liier«, lenkte SIE das Gespräch in eine andere Richtung.

 

»Ja, ich komme eigentlich aus Hamburg«, nahm er es dankbar auf.

 

»Und Sie? Darf ich fragen, wem ich fast ins Auge getroffen habe?«

 

»Miriam. Miriam Goldbaeck.«

 

Sie lächelte ihn an, reichte ihm die Hand. Malte nahm den Eiswürfel von ihrem Gesicht und ihre Handflächen griffen ineinander.

 

»Sie haben einen kräftigen Händedruck«, stellte sie fest.

 

»Das zeugt von Tatkraft.«

 

Ihre Stimme veränderte sich beim leicht bei diesem Satz.

 

»Äh, ja. Das ist ein guter Punkt. Ich werde mich mal wieder nützlich machen, ich halte sonst hier alles auf.«

 

Malte schnappte sich die nächste Flasche und Miriam kümmerte sich um die weitere Dekoration des Raumes. Nach einer guten Stunde war alles soweit fertig, den Rest würde der Party-Service später bringen. »Tut es noch sehr weh?« erkundigte er sich noch bei ihr, als sie zusammen das Vereinslokal verließen.

 

»Nein, überhaupt nicht. Aber zur Strafe müssen Sie heute Abend mit mir tanzen«, zwinkerte sie ihm zu, »bis nachher.«

 

Dann stieg sie zu ihrem Bruder ins Auto und entschwand seinen Blicken. Malte dachte sich noch nichts weiter dabei. Aber er freute sich doch irgendwie auf den Abend. Er stieg ebenfalls in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Er rasierte sich ein zweites Mal an diesem Tag, duschte ausgiebig und warf sich in Schale. Die dunkelblaue Hose, weißes Hemd, die seidige Krawatte mit dem tanzenden Paar darauf.

 

Als er am Vereinsheim vorfuhr, waren schon allerlei Leute da.

 

Harald und seine Frau standen am Eingang und begrüßten die Gäste.

 

»Ah, da kommt ja unser Jäger«, flachste das Geburtstagskind als er ihn sah.

 

»Alles Gute zum Geburtstag, altes Haus«, klopfte ihm Malte herzhaft auf die Schulter, ohne auf seine Bemerkung weiter einzugehen.

 

Malte betrat den Raum, stellte sein Geschenk auf den entsprechenden Tisch. Er begrüßte ein paar Leute die er kannte, schaute sich im Raum um. Miriam war nirgendwo zu sehen. Er reckte den Kopf in die Höhe, schaute im ganzen Raum umher. Doch dann schritt SIE aus der Küchentür heraus, mit einem Tablett gefüllter Sektgläser. Er nahm sein Herz in beide Hände, ging direkt auf sie zu. Miriam hatte kräftig Rouge auf die Wangen aufgelegt, versuchte damit den blauen Fleck unter ihrem Auge zu verdecken.

 

»Der Täter kommt an den Ort seiner Missetat zurück«, sprach er sie mit schuldvoller Miene an.

 

»Das sind natürlich erschwerende Umstände«, flachste Miriam.

 

»Jetzt müssen Sie mindestens drei Mal mit mir tanzen!«

 

Sie stellte das Tablett auf den Tisch und ergriff zwei der Gläser. Mit einem warmherzigen Lächeln auf den Lippen reichte sie ihm eines.

 

Dabei sorgte sie dafür, dass sich ihre Hände berührten. Ein leichter Schauer lief seinen Rücken herunter – und Miriam konnte seine Reaktion deutlich fühlen.

 

»Eigentlich sollte der Täter bestraft werden, nicht das Opfer«, erwiderte Malte, als er das Glas entgegen nahm.

 

»Jetzt machen Sie sich mal keine Gedanken mehr darüber«, schaute sie ihn lachend an.

 

»Heute Abend ist Spaß und gute Laune angesagt!«

 

»Einverstanden«, Malte war sichtlich erleichtert.

 

Sie stießen ihre Gläser aneinander, tranken einen kleinen Schluck.

 

»Warum sind wir eigentlich so förmlich? Ich bin die Miriam.«

 

»Oh, ja, natürlich. Angenehm. Malte«, war er etwas überrascht.

 

Abermals klirrten die Gläser.

 

»Darf ich mal kurz vorbei? Danke.«

 

Ein Angestellter vom Partyservice bahnte sich, beladen mit zwei großen Tabletts, den Weg in die Küche. Geistesgegen- wärtig legte Malte seine Hand auf ihren Rücken und schob sie etwas zur Seite.

 

Es knisterte. Eine elektrische Entladung zuckte von seiner Hand auf ihrem Körper. Erschrocken blieben sie beide stehen. Kaum einen Schritt voneinander entfernt. Seine Hand entfernte sich zögernd von ihrem Kleid.

 

»Wir haben noch etwas vergessen«, fand Miriam zuerst die Worte wieder.

 

Sie ignorierte seinen fragenden Gesichtsausdruck, führte ihre Hand mit dem Sektglas über seinen Unterarm und setzte den Rand an ihren Mund. Mechanisch hob auch Malte sein Glas und nahm einen kräftigen Schluck.

 

»Miriam.«

 

»Malte.«

 

Miriam trat an ihn heran, hob leicht den Kopf und spitzte die Lippen. Abermals funkte es. Genau in dem Moment, als sich Malte herunterbeugte und sie sich einander berührten. Etwas verlegen schauten sie sich an. Konnten ihren Blick nicht voneinander lassen.

 

»Es hat gefunkt«, flüsterte sie zweideutig.

 

»Ich, äh, es, …« suchte er nach der passenden Antwort.

 

Ein Tusch von der Combo ließ den Saal zur Ruhe kommen, rettete Malte aus dieser prekären Situation. Harald hielt eine kurze Ansprache und eröffnete dann das kalte Buffet. Miriam und Malte warteten, bis der erste Ansturm vorbei war, stellten sich dann gemeinsam an und nahmen nebeneinander an einem Tisch Platz. Sie unterhielten sich angeregt, vergaßen dabei fast das Essen. Erneut machte die Combo auf sich aufmerksam.

 

»Die Tanzfläche bitte freimachen, das Geburtstagskind eröffnet den Reigen«, murmelte der Bandleader ins Mikrophon.

 

Harald erhob sich, griff nach der Hand seiner Frau und betrat mit ihr das Parkett. Im dreiviertel Takt wogen sie sich zum »Schneewalzer« über die Fläche. Dann trennten sie sich und Harald kam auf Miriam zu.

 

»Darf ich bitten, Schwesterlein?« fragte er mit einem angedeuteten Diener.

 

Blitzschnell erhob sie sich und begleitete ihren Bruder auf die Tanzfläche.

 

Miriam war eine exzellente Tänzerin, das bemerkte selbst Harald sofort. Geschmeidig wie eine Katze bewegte sie sich zum Takt der Musik. Malte sah sie fasziniert an. Sie trug ein rotes, schulterfreies, nur durch dünne Spaghettiträger gehaltenes Tanzkleid. Am Oberkörper eng anliegend, verbreitete es sich ein wenig ab der Hüfte, reichte genau bis zum oberen Ansatz ihrer Knie. Bei jeder Drehung hob sich der Saum leicht an, zeigte noch etwas mehr von ihren grazilen Beinen. Leicht wie eine Feder war ihr Schritt, sie schwebte förmlich über das Parkett. Er hätte ihr stundenlang zuschauen können. In diesem Moment bereute er es, dass er nie eine Tanzschule von innen gesehen hatte.

 

Die Combo machte die erste Pause und plötzlich stand Miriam wieder neben ihm.

 

»Du schuldest mir noch etwas«, sah sie ihn erwartungsvoll an.

 

»Eigentlich hätte ich eine Strafe verdient und nicht du«, war Malte immer noch etwas unsicher.

 

»Das lass mal meine Sorge sein«, erwiderte sie bestimmt.

 

»Aber erstmal brauche ich eine kleine Erfrischung. Begleitest du mich?«

 

Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten hakte sie sich bei ihm ein und führte ihn zur Sektbar. Sie griff nach zwei vollen Gläsern, drückte ihm eines in die Hand.

 

»Auf den schönen Abend«, prostete sie ihm zu.

 

»Und du willst deine Gesundheit wirklich noch einmal riskieren?« nahm er das Thema wieder auf.

 

»Das bekommen wir schon hin. Ich zeige dir ein paar Schritte, mit denen man fast alles tanzen kann.« Sie leerte das Glas in einem Zug und stellte es auf den Tresen zurück. Dann schob sie ihn ein wenig weiter, stellte sich direkt neben ihn.

 

»Also, schön aufpassen und mitmachen! Eins – zwei – drei – vier.

 

Eins – zwei – drei – vier.«

 

Malte schritt brav neben ihr her.

 

»Prima!« frohlockte sie, »und jetzt immer weiter.«

 

Mit diesen Worten machte sie eine halbe Drehung, legte ihren linken Arm auf seine Schulter und griff nach seiner anderen Hand.

 

Zaghaft legte er seine Rechte auf ihren Rücken.

 

»Nicht so schüchtern, junger Mann, ich bin nicht aus Glas und ich beiße auch nicht«, lachte sie herzlich.

 

Malte kam ein wenig näher, berührte sie nun mit der ganzen Handfläche in der Taille.

 

»Eins – zwei – drei – vier. Eins – zwei – drei – vier.«

 

»Und noch einmal.«

 

»Eins – zwei – drei – vier. Eins – zwei – drei – vier. Hey, das klappt doch schon ganz toll«, lobte sie ihn.

 

In diesem Moment fing die Combo wieder an zu spielen.

 

»Ein Foxtrott. Komm, wir probieren es gleich aus.«

 

Miriam packte ihn am Armel, zog ihn mit sich direkt auf die Tanzfläche. Mit schlotternden Knien folgte er ihr.

 

»Eins – zwei – drei – vier. Eins – zwei – drei – vier«, zählte Malte in Gedanken. Aber nicht lange, dann ging es fast wie von alleine.

 

Miriam führte ihn übers Parkett. Es war der blanke Wahnsinn.

 

Malte fühlte ihren warmen Körper in seinem Arm, spürte, wie sie sich wog. Und wie sie ihn dabei die ganze Zeit über anlächelte.

 

Dann kam ein Walzer. Auch das bekam er relativ schnell hin. Ebenso sie Sache mit der Polka. Bei den anderen Tänzen musste er passen, überließ sie aber immer nur vorrübergehend in die Hände eines versierteren Tänzers.

 

Die Zeit verging wie im Fluge, es war bereits kurz vor vier Uhr morgens und die Combo läutete die letzte Runde ein. Der Takt war langsam. Miriam schmiegte sich an ihn. Zwangsläufig fuhr seine Rechte weiter um ihre Hüfte herum. Deutlich konnte Malte ihre Weiblichkeit an seiner Brust spüren. Er vergaß fast zu atmen, so intensiv wollte er diesen Augenblick auskosten. »… sayin’ something stupid, like I love you«, hauchte der Sänger den alten Sinatra-Hit ins Mikro. Miriam zog auch ihren anderen Arm an seine Schulter, ließ sich somit ganz von ihm umarmen. Amor legte ein unsichtbares Band um die beiden, zog die Schlinge langsam zu. »… like I love you«, ertönte es, als er nach langer, langer Zeit wieder einmal den warmen Atem einer Frau an seiner Wange spürte, zarte Lippen die seinen berührten.

 

»Wartest du schon lange?« riss ihn eine liebliche Stimme aus der Erinnerung an die letzte Nacht.

 

Malte drehte sich um und augenblicklich strahlte er mit der Frühlingssonne um die Wette.

 

»Nein, nein. Nur ein paar Minuten«, schwindelte er und fügte sogleich an: »Ich freue mich so, dich wiederzusehen.«

 

Dann nahm er sie zärtlich in seine Arme, drückte ihr sacht einen Kuss auf die Stirn. Ihre offene Handfläche strich sanft über seine Wange. Hand in Hand, so wie viele andere Paare auch, schlenderten sie in der wärmenden Sonne die Uferpromenade entlang. Sie setzten sich in ein Strandcafe, zogen von dort aus weiter in die Altstadt.

 

Währenddessen redeten sie miteinander über sich, ihre Gefühle, über das, was letzte Nacht mit ihnen passiert war.

 

Langsam senkte sich die Sonne dem Horizont entgegen. Vom See zog eine leichte Brise herüber und es wurde merklich kühler.

 

»Hast du Hunger?« erkundigte er sich bei ihr, »gleich um die Ecke da drüben gibt es einen guten Italiener.«

 

»Penne rigate! Ja, das wär’s jetzt«, stimmte sie zu.

 

Die beiden machten sich auf den Weg. Betraten nach kurzer Zeit den Gastraum und bekamen einen Tisch für zwei Personen in einer lauschigen Ecke zugewiesen.

 

»Penne rigate. Oder besser: diabolo«, bestellte Miriam.

 

»Du magst es scharf?« fragte Malte und bereute sofort seine unüberlegten Worte.

 

»Oh ja! Aber es kommt auf die Zutaten an …« kam es prompt als Antwort und dabei schaute sie ihn vielsagend an.

 

Der Ober konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

 

»Also gut. Penne diabolo. Für mich auch.«

 

Sie genossen die scharfen Nudeln bei einem feurigen Wein, verließen das Restaurant erst, als es schon dunkel war.

 

Es war ziemlich kühl geworden und Miriam fröstelte es ein wenig.

 

Sie kuschelte sich eng an seine Flanke und Malte legte seinen Arm wärmend um ihre Schulter. Mit forschem Schritt gingen sie in Richtung Stadtrand, bis zu ihrem Auto, das unmittelbar vor Maltes Wohnung parkte. Auf den letzten Metern wurden sie immer langsamer. Schließlich befanden sie sich direkt zwischen ihrem Wagen und dem Hauseingang. Sie hielten inne, wandten sich einander zu.

 

Malte ergriff ihre Hände, wollte eigentlich etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus.

 

»Wenn es jetzt meine Wohnung wäre, würde ich dich fragen, ob du auf einen Kaffee mit hinauf kommst«, baute sie ihm eine goldene Brücke.

 

»Mit Kaffee kann ich leider nicht dienen, tut es auch ein Glas Sekt?« nahm er die Vorlage gerne an.

 

»Oh, das ist ja noch viel besser«, war sie hocherfreut, hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf seine Nasenspitze.

 

Malte holte tief Luft.

 

»Wenn du willst …«

 

Er machte eine kleine Pause.

 

»Du brauchst heute den langen Weg nicht mehr heimzufahren, ich kann auch auf der Couch schlafen.«

 

Anstatt ihm eine Antwort zu geben strich sie sanft über seine Wange, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Erst vorsichtig, dann inniger, schließlich spürte er ihre Zunge in seiner Mundhöhle. Malte wusste nicht wie ihm geschah. Nach einer kleinen Ewigkeit ließen sie voneinander ab.

 

»Ich hol’ meine Sachen aus dem Kofferraum«, flüsterte sie.

 

Malte nahm ihr die Reisetasche ab, reichte ihr seinen Arm und geleitete sie ins Haus.

 

In der Wohnung angekommen begab Miriam sich erst einmal ins Bad, während Malte den Sekt aus dem Kühlschrank holte und im Wohnzimmer eine Kuschelrock-CD in den Player schob.

 

Er rückte den Tisch beiseite und schob den Sessel aus dem Weg. Ja, das würde gehen. So würde er mit ihr hier ein wenig tanzen können.

 

Er hielt gerade die Sektflasche in der Hand, als Miriam den Raum betrat. Sie hatte sich das Kleid von der Feier gestern Abend wieder angezogen.

 

»Wow!« platzte es aus ihm heraus.

 

Maltes Kinnlade klappte nach unten. Es knallte und der Korken schlug dumpf gegen die Decke. Sprudelnd schwappte das klebrige Nass aus der Flasche. Miriam hatte instinktiv den Kopf eingezogen.

 

»Ist das deine Masche?« schmunzelte sie zu ihm herüber.

 

»Nein, nein, eigentlich nicht.« versicherte er.

 

Malte beeilte sich, die beiden Gläser zu füllen, bevor alles auf den Boden lief.

 

Er stellte die Flasche auf den Tisch, reichte ihr ein Glas.

 

»Auf dich, du siehst wunderschön aus.« raunte er ihr zu.

 

»Auf uns.« erwiderte sie leise.

 

»Auf uns.«

 

Sie stießen ihre Gläser an, nahmen einen kräftigen Schluck. Malte ging zum Player, selektierte ein bestimmtes Lied und drückte auf Start. Leise erklang der erste Song. Malte ging auf sie zu, verbeugte sich ein wenig.

 

»Möchtest du mit mir tanzen?«

 

Miriam nickte. Malte ergriff ihre Hand, legte die andere auf ihre Hüfte. Langsam durchschritten sie zusammen den Raum.

 

Wie am Vorabend konnte er ihren Duft riechen, ihre Bewegungen erfühlen. Schritt für Schritt schmolz der Abstand zwischen ihnen, heizte sich der geringer werdende Luftspalt immer mehr auf. Immer öfter stieß ihre Oberweite gegen seine Brust, bohrten sich zwei feste Punkte durch sein Hemd. Längst hatte sich ihr Tanzen in eine erotische Erkundungsreise verwandelt, befanden sich ihre Hände schon lange nicht mehr dort, wo sie eigentlich hin gehörten. Obwohl ihre Schritte langsamer und langsamer wurden, beschleunigte sich zusehends ihr Puls, ging ihrer beider Atem immer heftiger.

 

Stöhnen quittierte seinen falschen Schritt zwischen ihre Beine.

 

Sie tanzten aus dem Wohnzimmer heraus, durch den Flur, hinein ins Schlafzimmer. Eine Spur verlorener Kleidungsstücke markierte den Weg dorthin: ein Hemd, zwei Paar Schuhe, eine Hose, ein rotes Kleid, Socken, Seidenstrümpfe, ein halterloser BH, zwei Slips.

 

Wie der Wüstenboden den ersten Regen nach einer langen Trockenzeit, so überfluteten die sanften Berührungen ihrer Hände die Sinneszellen seiner Haut. Er sog die Wärme ihres Körpers in sich auf, um die Eiszeit, die ihn so lange gefangen hielt, endlich zu beenden. Heißer Atem auf seiner Stirn, seinem Hals, seiner Brust, erwärmte seinen Körper und seine Seele.

 

Ihre Leiber glühten heiß, als sie schließlich engumschlungen vor dem französischen Bett standen. Ihre Zungen tanzten miteinan- der einen fordernden Tango. Ihre Hände tasteten einander ab, überbrachten die zärtlichsten Grüße. Malte hielt ihren Kopf fest in seinen Händen, löste seine Lippen von ihrem Mund. Verteilte nun seine Küsse auf ihrer Stirn, ihrer Nase, ihren Wangen, ihrem Kinn, ihrem Hals. Auf ihren Schulten, den Schlüsselbeinen, auf ihrem Dekolletee. Seine Hände fassten sie am Rücken, als die Spur seiner Zärtlichkeit zwischen ihren Busen führte.

 

Miriam hatte ihre Augen geschlossen, den Kopf weit in den Nacken gelegt. Seine heißen Lippen ließen ihre Haut vibrieren, seine zärtlichen Hände ihre Muskeln anspannen. Seine Zunge fuhr um die Konturen ihrer Brüste. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Tiefer glitten seine Hände auf der Rückseite ihres Körpers, ließen dort keinen Fleck ihrer Haut unberührt. Vorne folgten seine Lippen und seine Zunge, steuerten unbeirrt ihrem Ziel entgegen.

 

Ihre Knie begannen zu zittern, sie beugte sich nach vorne und suchte Halt an seinen Schultern. Mit festem Griff packte er ihr Gesäß, ließ ihr keine Chance, seinen Zärtlichkeiten auf ihrer Hüfte zu entgehen.

 

Vor Miriams Augen begann alles zu zerfließen. Die Haut ihrer Oberschenkel zog sich zusammen, stellte die feinen Härchen aufrecht. Sie fühlte seine Hände über die Pobacken nach unten rutschen, wie sie sich den Weg zwischen ihre Schenkel bahnten. Sie bäumte sich auf, als seine Nase durch ihren kleinen Wald striff. Sie griff ins Leere, fiel nach hinten aufs Bett, als seine Zunge zielgerichtet ihren empfindlichsten Punkt antippte.

 

Sie wusste nicht, wie lange sie fiel, ob sie jemals ankommen würde.

 

Ihr Becken explodierte, riss sie zurück in die Höhe. Wieder und wieder. Ihre Hände suchten nach Halt. Fanden ihn schließlich an seinen Schultern. Sie zog ihn zu sich heran, umklammerte ihn, krallte sich fest an seinem Rücken. Seine Lippen sogen sich an ihrem Hals fest. Alles versank um sie beide herum, als sie spürten, wie sie eins miteinander wurden. Undurchsichtige Nebelschwaden umzüngelten ihre Wahrneh- mungen. Sie fühlten nur noch ihre gemeinsame Ekstase und die rhythmischen Wellen, die ihre Körper durchfluteten.

 

Als Miriam aus dem Badezimmer kam, hatte er schon frische Brötchen vom Bäcker geholt, war der Frühstückstisch bereits gedeckt.

 

Nach einem Schluck Tee rief sie erstmal im Geschäft an, dass sie heute später kommen würde. Schweigend saßen sie sich dann gegenüber, stärkten sich für den Tag.

 

»Hast du nächstes Wochenende schon etwas vor?« fragte sie ihn leise.

 

»Eigentlich – ja.« überlegte er.

 

Enttäuschung beschlich ihr Antlitz. Malte machte eine kleine Pause.

 

Sah ihr dann tief in die Augen.

 

»Tanzen. Ich würde so gerne mit dir tanzen.«

 

»Kannst du zu mir kommen?« erhellte sich ihr Gesicht auf einen Schlag.

 

»Ja, auf jeden Fall.« nickte er ihr zu, legte dabei seine Hände fest auf ihre.

 

Malte trug ihre Reisetasche zum Wagen. Mit einer innigen Umarmung und einem zärtlichen Kuss verabschiedeten sie sich von einander. Miriam startete den Motor, winkte ihm noch einmal zu und fuhr los. Als sie um die Ecke gebogen war ging Malte nochmal in die Wohnung. Er griff nach dem Telefonbuch und suchte nach der Nummer der örtlichen Tanzschule …