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Als ich endlich zu Hause war, kam ich zu dem Schluss, dass es für die Erfahrungen einer solchen Nacht nur ein einziges Heilmittel gab. Mein Vorrat an dunkler Schokolade war aufgebraucht, und ich hatte den letzten Ingwerkeks bereits gegessen, also schaltete ich den Backofen ein und holte die Rührschüssel heraus. Als es an meine Tür klopfte, war ich damit beschäftigt, Schokosplitter in den Plätzchenteig zu schütten.

Auf der Schwelle stand ein feenhaft wirkendes Mädchen mit leuchtend orangefarbenem Haar, das ihr in wilden Locken vom Kopf abstand. Sie trug genug Augen-Make-up, um eine gesamte professionelle Cheerleader-Truppe einen Monat lang auszurüsten. In einer Hand hatte sie meine Kamera.

»Hallo, Mercy, Dad hat mich geschickt, um dir das hier zu geben und um mich aus dem Weg zu schaffen, solange er sich mit irgendwelchen Rudeldingen beschäftigt.« Sie verdrehte die Augen, als sie mir die Kamera reichte. »Er benimmt sich, als wüsste ich nicht genug, um fremden Werwölfen aus dem Weg zu gehen.«

»Hallo Jesse«, sagte ich und bat sie herein.

»Und außerdem«, fuhr sie fort, als sie die Schuhe auszog, »ist dieser Wolf niedlich. Mit einem kleinen Streifen hier.« Sie fuhr mit dem Finger über ihre Nase. »Er hätte mir nichts getan. Ich habe gerade seinen Bauch gekrault, als Dad hereinkam und beinahe durchgedreht ist – oh, Plätzchenteig! Kann ich was abbekommen?«

Jesse war Adams Tochter und eine fünfzehn Jahre alte Vierzigjährige. Sie verbrachte den größten Teil des Jahres bei ihrer Mutter in Eugene und befand sich jetzt wahrscheinlich in der Stadt, weil Donnerstag Thanksgiving war. Mir kam das ein bisschen früh vor, aber sie ging auf eine Privatschule für brillante und exzentrische junge Leute und hatte daher vielleicht längere Ferien als die Kids an öffentlichen Schulen.

»Hast du dein Haar speziell für deinen Vater gefärbt?«, fragte ich, holte einen Löffel aus der Schublade und gab ihr einen anständigen Batzen Teig.

»Selbstverständlich«, sagte sie und aß ein wenig. Dann redete sie weiter, als wäre ihr Mund nicht halb voll. »Er fühlt sich immer so richtig väterlich, wenn er etwas zu beanstanden hat. Außerdem«, erklärte sie ohne große Überzeugung, »machen das gerade alle in Eugene. In einer oder zwei Wochen wäscht es sich wieder raus. Als ich genug von seinen Predigten hatte, habe ich ihm einfach gesagt, er könne froh sein, dass ich zumindest keinen Superkleber verwende, um Stacheln auf meine Kopfhaut zu leimen, wie mein Freund Jared. Vielleicht mache ich das ja in den nächsten Ferien. Dieses Zeug ist prima.« Sie wollte den Löffel eben für die nächste Runde in den Teig stecken, und ich versetzte ihr einen Klaps auf die Hand.

»Nicht, wenn er schon in deinem Mund gewesen ist«, sagte ich. Ich reichte ihr einen frischen Löffel, mischte noch mehr Schokosplitter in den Teig und begann, ihn auf das Tablett tropfen zu lassen.

»Ach, das hätte ich beinahe vergessen«, sagte sie nach einem weiteren Biss. »Mein Vater schickt dir deine Kamera mit einer Nachricht zurück. Sie ist natürlich unverständlich, aber ich weiß, dass du mir verraten wirst, was sie bedeutet. Bist du bereit?«

Ich schob das erste Blech in den Ofen und begann, das nächste vorzubereiten. »Also los.«

»Er sagte: ›Wir haben einen Treffer. Mach dir bloß keine Gedanken. Er war ein Mann, der Mordaufträge entgegennahm. ‹« Sie fuchtelte mit dem leeren Löffel herum. »Und jetzt erklär mir das.«

Ich nehme an, ich hätte Adams Bedürfnis, seine Tochter zu schützen, respektieren sollen, aber schließlich hatte er sie zu mir geschickt. »Ich habe heute Abend einen Mann umgebracht. Dein Vater hat herausgefunden, wer er war.«

»Tatsächlich? Und er war ein Auftragskiller? Cool!« Sie ließ den Löffel in die Spüle neben den ersten fallen und setzte sich auf meine Theke, um nun in aller Ruhe mit einem Verhör zu beginnen. »Warst du das, die ihn am früheren Abend schon mal angerufen hat? Nein, warte mal. Der Mann, den du umgebracht hast, muss ebenfalls ein Werwolf gewesen sein, wenn Dad so schnell losgezogen ist. Aber wer ist dann der Wolf, der mit ihm zurückgekommen ist?« Sie hielt inne. »Du hast einen Werwolf getötet? Mit einer Knarre?«

Ich besaß mehrere Waffen. Aber ich hatte keine mit mir in die Werkstatt gebracht.

Sie hatte innegehalten, also beantwortete ich ihre letzten beiden Fragen. »Ja und nein.«

»O Mann.« Jesse grinste. »Wie hast du es also gemacht?«

»Ich habe ihn nicht mit Absicht getötet«, erwiderte ich zurückhaltend. Ich hätte allerdings genauso gut versuchen können, eine Flutwelle mit bloßen Händen aufzuhalten.

»Selbstverständlich nicht«, sagte sie. »Es sei denn, du warst wirklich scheißwüt-« Ich zog eine Braue hoch, und sie veränderte das Wort, ohne den Blick zu senken. »Stinksauer. Hattest du ein Messer? Oder war es ein Stemmeisen?«

»Meine Zähne«, sagte ich.

»Iiih!« Kurz verzog sie das Gesicht. »Eklig. Oh, ich verstehe. Du meinst, du hast als Kojotin gegen ihn gekämpft?«

Die meisten Menschen wissen nur vom Feenvolk, und es gibt auch eine Menge Leute, die immer noch glauben, das Ganze sei nur ein Scherz der Regierung gewesen oder ein Streich von übergeschnappten Terroristen, je nachdem. Jesse jedoch, Tochter eines Werwolfs, so menschlich sie auch sein mochte, kannte sich gut mit den »Wilden Kerlen« aus, wie sie sie nannte. Ein Teil davon war auch mein Fehler. Als ich ihr begegnet war, kurz nachdem der Alpha neben mir eingezogen war, hatte sie mich gefragt, ob ich ein Werwolf sei wie ihr Vater. Ich hatte ihr erklärt, was ich bin, woraufhin sie mich so lange nervte, bis ich ihr zeigte, wie es aussah, wenn ich meine andere Gestalt annahm. Ich glaube, sie war damals neun und schon sehr gut, wenn es darum ging, ihren Willen durchzusetzen.

»Ja. Ich habe nur versucht, seine Aufmerksamkeit zu erregen, damit er mich jagt und nicht Mac – das ist der Werwolf mit dem Streifen.« Ich imitierte ihre Finger-über-die-Nase-Geste. »Er ist ziemlich nett«, fügte ich hinzu. Dann hatte ich das Gefühl, mich erwachsen benehmen zu müssen, um ihrem Vater gerecht zu werden, und fügte hinzu: »Aber er ist neu, und er kann sich noch nicht beherrschen. Also hör auf das, was dein Vater sagt, klar? Wenn Mac dich beißen oder verletzen würde, ginge es ihm hinterher bestimmt sehr schlecht, und er hat schon eine ziemlich schlimme Zeit hinter sich.« Ich zögerte. Es war wirklich nicht meine Sache, aber ich mochte Jesse. »Es gibt aber auch ein paar Wölfe im Rudel deines Vaters, von denen du dich vielleicht fern halten solltest.«

Sie nickte, erklärte aber selbstsicher: »Sie werden mir nicht wehtun, nicht bei meinem Vater. Aber du meinst vor allem Ben, nicht wahr? Dad hat mir schon gesagt, ich solle ihm lieber aus dem Weg gehen. Ich bin ihm gestern begegnet, als er vorbeikam.« Sie zog die Nase kraus. »Er ist ein Freak – trotz dieses coolen britischen Akzents.«

Ich war nicht sicher, was ein Freak war, konnte mir aber gut vorstellen, dass Ben als einer durchging.

Wir aßen die Plätzchen, die aus dem Ofen kamen, und danach gab ich ihr noch einen beladenen Teller mit, den ich mit Alufolie abdeckte. Dann brachte ich sie zur Veranda, von der aus ich mehrere Autos an Adams Haus sehen konnte. Er musste das Rudel zusammengerufen haben.

»Ich gehe ein Stück mit«, sagte ich und zog die Schuhe an, die ich für schlammige Tage auf der Veranda stehen hatte.

Sie verdrehte die Augen, wartete aber auf mich. »Also wirklich, Mercy, was wirst du tun, wenn einer vom Rudel auf die Idee kommt, uns zu belästigen?«

»Ich kann sehr laut schreien«, erklärte ich. »Immer vorausgesetzt, ich entscheide mich nicht, meine neu patentierte Technik zu benutzen, und den Angreifer auch noch umzubringen.«

»Schon gut«, sagte sie. »Bleib lieber beim Schreien. Ich glaube nicht, dass es Dad gefallen würde, wenn du anfängst, seine Wölfe zu töten.«

Wahrscheinlich würde kein Werwolf Jesse ein Haar krümmen, genau wie sie dachte. Dessen war ich mir beinahe sicher. Aber eines der Autos, das ich sehen konnte, war Bens roter Pickup. Ich würde keine Fünfzehnjährige allein lassen, wenn Ben in der Nähe war, ganz gleich, um wessen Tochter es sich handelte.

Niemand belästigte uns, während wir durch mein hinteres Feld gingen.

»Hübsches Auto«, murmelte sie, als wir am Kadaver des Spender-Golfs vorbeikamen. »Dad ist wirklich froh, dass du es für ihn hier hingestellt hast. Gut für dich. Ich habe ihm letztes Mal gesagt, wenn er dich das nächste Mal ärgert, wirst du wahrscheinlich Graffiti darauf malen.«

»Dein Vater ist ein sehr subtiler Mann«, sagte ich. »Also hebe ich mir die schweren Geschütze wie Graffiti für später auf. Ich bin zu dem Schluss gekommen, wenn er das nächste Mal unangenehm wird, montiere ich einfach einen Reifen ab.« Ich streckte die Hand aus und kippte sie, wie ein Auto mit drei Rädern.

Sie kicherte. »Das würde ihn um den Verstand bringen. Du solltest ihn sehen, wenn ein Bild nicht gerade an der Wand hängt!« Wir ereichten den hinteren Zaun, und sie kletterte vorsichtig durch den alten Stacheldraht. »Wenn du es doch noch anmalen solltest – darf ich dir helfen?«

»Selbstverständlich«, versprach ich. »Ich werde jetzt hier warten, bis du sicher drinnen bist.«

Wieder verdrehte sie die Augen, aber dann grinste sie und lief zur hinteren Veranda. Ich wartete, bis sie mir von Adams Hintertür aus zugewinkt hatte und dann im Haus verschwand.


Gerade als ich mich hinlegen wollte, fiel mir ein, dass ich vorher noch den Müll nach draußen bringen sollte. Dabei bemerkte ich, dass an Adams Haus immer noch viele Autos standen. Offenbar eine lange Besprechung. Ich war dankbar, kein Werwolf zu sein.

Ich drehte mich um, um wieder ins Haus zu gehen, und blieb stehen. Ich war dumm gewesen. Es zählt nicht, wie gut die Sinne sind, wenn man nicht aufmerksam bleibt.

»Hallo, Ben«, sagte ich zu dem Mann, der zwischen mir und dem Haus stand.

»Du hast Klatschgeschichten erzählt, Mercedes Thompson«, erklärte er freundlich. Wie Jesse gesagt hatte, verfügte er über einen imponierenden englischen Akzent. Er sah auch nicht schlecht aus, wenn auch ein bisschen feminin für meinen Geschmack.

»Und?«, sagte ich.

Er warf die Schlüssel in die Luft und fing sie zwei, dreimal mit einer Hand wieder auf, ohne mich aus den Augen zu lassen. Wenn ich schrie, würde Adam es hören, aber wie ich schon zuvor gesagt hatte, ich gehörte ihm nicht. Er war schon besitzergreifend genug, viele Dank. Ich glaubte allerdings wirklich nicht, dass Ben dumm genug sein würde, mir etwas anzutun, nicht mit Adam in Rufweite.

»›Bleib doch einen Moment, Ben‹«, kopierte er nun übertrieben den schleppenden Akzent, der manchmal immer noch in Adams Stimme lag – ein Überbleibsel seiner Kindheit im Süden. »›Warte, bis meine Tochter Gelegenheit hatte, in ihr Zimmer zu gelangen. Ich möchte sie solchen wie dir lieber nicht aussetzen.‹« Der letzte Satz imitierte Adams Tonfall nicht länger, sondern fiel wieder in seinen eigenen britischen Akzent. Er klang in diesem Moment nicht unbedingt wie Prince Charles, sondern eher wie Fagan in Oliver.

»Und was hat das mit mir zu tun?« Ich sah ihn fragend an. »Du bist derjenige, der aus dem Rudel in London geworfen wurde. Wenn Adam dich nicht aufgenommen hätte, wäre die Situation für dich ziemlichen schwierig geworden.«

»Das war nicht mein Fehler«, sagte er mit grollender Stimme. »Und was deine Beteiligung angeht – Adam sagte, du hättest ihn davor gewarnt, Jesse in meine Nähe zu lassen.«

Ich konnte mich nicht daran erinnern, so etwas getan zu haben, aber es hätte schon sein können. Ich zuckte die Achseln. Ben war vor ein paar Monaten in einem gewaltigen Wirbel von Klatsch hier eingetroffen. In seinem Viertel in London war es zu brutalen Vergewaltigungen gekommen, und die Polizei hatte ihn als Täter im Auge gehabt. Schuldig oder nicht, sein Leitwolf war der Ansicht gewesen, es sei besser, ihn aus dem Rampenlicht zu schaffen, und so hatte er ihn zu Adam verschifft.

Am Ende hatte die Polizei ihm nichts nachweisen können, aber nachdem er ausgewandert war, hatten die Vergewaltigungen aufgehört. Ich hatte es überprüft – das Internet bietet wirklich erstaunliche Möglichkeiten. Dann erinnerte ich mich, tatsächlich darüber mit Adam gesprochen zu haben, und ja, ich hatte ihn gewarnt, in der Nähe verwundbarer Frauen besonders auf Ben Acht zu geben. Dabei hatte ich vor allem an Jesse gedacht, aber ich glaubte nicht, das ausdrücklich ausgesprochen zu haben.

»Du magst Frauen nicht«, sagte ich schlicht. »Du bist unhöflich und barsch zu ihnen. Was erwartest du?«

»Geh nach Hause, Ben«, erklang eine tiefe Sirupstimme direkt hinter meiner rechten Schulter. Ich brauchte wirklich mehr Schlaf, verdammt noch Mal, wenn sich neuerdings jeder an mich anschleichen konnte!

»Darryl«, sagte ich und warf einen Blick zurück zu Adams Stellvertreter.

Darryl war ein hochgewachsener Mann, weit über eins achtzig. Seine Mutter war Chinesin, hatte Jesse mir erzählt, und sein Vater ein afrikanischer Stammesmann, der sich an einer amerikanischen Universität gerade einen Ingenieursabschluss erwarb, als sie sich kennenlernten. Darryls Züge bildeten eine verblüffende Mischung dieser beiden Kulturen. Er sah aus wie jemand, der Model oder Filmstar sein sollte, hatte aber einen Doktortitel in Ingenieurswissenschaften und arbeitete in den Nordwestlabors an einem geheimen Regierungsprojekt.

Ich kannte ihn nicht gut, aber er hatte diese ausgesprochen achtbare Haltung, die College-Professoren manchmal an den Tag legen können. Ich war sehr froh über seine Anwesenheit, aber dennoch nicht glücklich, zwischen zwei Werwölfen festzusitzen, wer immer sie sein mochten. Also trat ich zur Seite, bis ich beide sehen konnte.

»Mercy.« Darryl nickte mir zu, ließ Ben aber nicht aus den Augen. »Adam hat bemerkt, dass du nicht da warst, und mich geschickt, um nach dir zu schauen.« Als Ben nicht reagierte, sagte er: »Nimm dich zusammen, Ben. Das hier ist der falsche Zeitpunkt.«

Ben schürzte nachdenklich die Lippen, dann lächelte er auf eine Weise, die einen bemerkenswerten Unterschied zu seiner bisherigen düsteren Miene bildete. »Keine Sorge. Ich habe nur einer hübschen jungen Frau gute Nacht gesagt. Gute Nacht, liebe Mercedes. Träum von mir.«

Ich setzte zu einer bissigen Bemerkung an, aber Darryl blickte warnend zu mir herüber und machte mit der Hand eine kleine, abwiegelnde Geste. Wenn mir etwas wirklich Gutes eingefallen wäre, hätte ich es trotzdem gesagt, aber so war es nicht, also hielt ich die Klappe.

Er wartete, bis Ben davongegangen war, bevor er brüsk sagte: »Gute Nacht, Mercy. Schließe die Türen ab.« Dann machte er sich auf den Rückweg zu Adams Haus.


Nach dem toten Wolf und Bens Wunsch hätte ich wohl Albträume haben sollen, aber stattdessen schlief ich, soweit ich mich erinnern kann, tief und traumlos.

Ich ließ normalerweise das Radio an, weil ich sonst bei meinem Gehör bestenfalls kleine Schläfchen halten könnte. Ohrstöpsel hatten sich als ein wenig zu funktionstüchtig für meinen Seelenfrieden erwiesen. Also schaltete ich die Musik so leise, damit sie die normalen Nachtgeräusche übertönte, und hoffte, dass mich alles wecken würde, was lauter war.

Irgendetwas riss mich an diesem Morgen tatsächlich etwa eine Stunde vor dem Wecker aus dem Schlaf, aber obwohl ich die Musik abschaltete und lauschte, konnte ich nur einen gut gedämpften Chevy 350 davonfahren hören.

Ich drehte mich um, um wieder einzuschlafen, aber Medea hatte bemerkt, dass ich wach war, und begann mich anzumaunzen. Sie war nicht besonders laut, aber eindringlich. Ich kam zu dem Schluss, dass seit Adams Zettel genug Zeit vergangen war und er nicht das Gefühl haben würde, dass ich ihm bewusst Widerstand leistete, wenn ich sie hinausließ. Außerdem würde mir das ein wenig Ruhe verschaffen, um noch eine letzte Stunde Schlaf zu finden.

Widerstrebend stand ich aus dem warmen Bett auf und zog Jeans und T-Shirt an. Froh, mich wach und aufrecht zu sehen, strich Medea um meine Schienbeine und stand mir ständig im Weg, als ich aus dem Zimmer schlüpfte und zur Haustür ging. Ich gähnte und drehte den Türknauf, aber als ich versuchte, die Haustür zu öffnen, widersetze sie sich. Etwas hielt sie von außen zu.

Mit einem gereizten Seufzen stemmte ich die Schulter gegen die Tür, und sie bewegte sich mühsam einen Zoll oder so, weit genug, damit ich einen Hauch von dem abbekam, was auf der andern Seite lag: Tod.

Hellwach zog ich die Tür zu und verschloss sie. Ich hatte auch noch etwas anderes gerochen, wollte es mir aber nicht eingestehen. Ich lief wieder in mein Zimmer, zog meine Schuhe an und öffnete hastig den Gewehrsafe. Ich packte die SIG 9.mm und steckte ein mit Silberkugeln geladenes Magazin hinein, dann stopfte ich die Waffe oben in meine Hose. Sie war kalt, unbequem und beruhigend. Aber nicht beruhigend genug.

Ich hatte nie auf etwas anderes als auf Jagdziele geschossen. Wenn ich selbst jagte, tat ich das auf vier Pfoten. Mein Werwolf-Pflegevater hatte allerdings darauf bestanden, dass ich lernte, wie man schoss und wie man die Silberkugeln herstellte.

Wenn es hier um Werwolfangelegenheiten ging – und nach der letzten Nacht nahm ich das an –, brauchte ich eine größere Waffe. Ich holte meine .444 Marlin heraus und lud sie speziell gegen wölfische Gegner. Die Marlin war ein kurzes, kleines Gewehr, relativ harmlos, solange man sich den Lauf nicht genauer ansah. Die lippenstiftgroßen Silberkugeln würden, wie mein Pflegevater immer gesagt hatte, garantiert dafür sorgen, dass jeder Werwolf in der Nähe sich aufrichtete und sehr aufmerksam wurde. Dann legte er für gewöhnlich einen Finger an die Nase, lächelte und sagte: »Oder er wird sich hinlegen und aufmerksam werden, wenn du weißt, was ich meine.« Die Marlin hatte einmal ihm gehört.

Das Gewehr fühlte sich tatsächlich tröstlich an, als ich leise die Hintertür öffnete und in die heraufziehende Dämmerung hinausging. Die Luft war still und kalt. Ich atmete tief ein und roch Tod, unbestreitbar und endgültig.

Sobald ich um die Ecke meines Hauses kam, konnte ich die Leiche auf der Veranda vor der Vordertür sehen, durch die die Haustür blockiert wurde. Sie lag auf dem Bauch, aber meine Nase sagte mir, wer das war – genau, wie sie es schon getan hatte, als ich versuchte, die Tür zu öffnen. Wer immer ihn dort abgelegt hatte, hatte sehr leise gearbeitet und mich erst geweckt, als er weggefahren war. Jetzt gab es niemanden hier außer Mac und mir.

Ich stieg die vier Stufen zur Veranda hoch und hockte mich vor den Jungen. Mein Atem wurde in der Luft zu Nebel, aber von seinem Gesicht stieg nichts dergleichen auf, und es gab keinen Herzschlag.

Ich drehte ihn auf den Rücken und spürte, dass er noch warm war. Die Leiche hatte den Raureif von der Veranda geschmolzen, dort, wo sie gelegen hatte. Mac roch nach Adam, eine angenehme Mischung aus Holzrauch und dem durchdringenden Raumspray, das seine Haushälterin bevorzugte. Ich konnte nicht wittern, warum man Mac umgebracht und ausgerechnet hierher gebracht hatte.

Ich setzte mich auf das von Frosthauch überzogene Holz der Veranda, legte das Gewehr neben mich und berührte sanft Macs Haar. Ich hatte ihn nicht lange genug gekannt, um ihn wirklich ins Herz zu schließen, aber ich hatte ihn gemocht.

Das Kreischen von Reifen ließ mich aufspringen und nach dem Gewehr greifen, als ein dunkles SUV aus Adams Einfahrt davonraste, als wäre die Hölle hinter ihm her. Im trüben Licht des anbrechenden Tages hätte ich nicht sagen können, welche Farbe das Auto hatte, schwarz oder dunkelblau oder sogar dunkelgrün. Es hätte das Gleiche sein können, was diese Schurken letzte Nacht bei der Werkstatt benutzten – neuere Autos dieser Marke sehen ohnehin alle ähnlich aus.

Ich weiß nicht, wieso es so lange dauerte, bis ich begriff, dass der tote Mac hier auf meiner Veranda bedeutete, dass in Adams Haus etwas geschehen sein musste. Dann ließ ich den Toten in der Hoffnung liegen, den Lebenden helfen zu können, und raste über das hintere Feld, das Gewehr unter den Arm geklemmt.

Adams Haus war beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Normalerweise lag es eher im Dunkeln, es sei denn, er hatte Gesellschaft. Werwölfe kommen ebenso wie Walker sehr gut im Dunkeln zurecht.

Als ich den Zaun zwischen unseren Grundstücken erreichte, hielt ich das Gewehr von meinem Köper weg und sprang mit einer Hand oben am Pfosten über den Stacheldraht. Ich hatte die Marlin gesichert getragen, aber sobald ich auf der anderen Seite des Zauns landete, spannte ich den Hahn.

Ich wäre durch die Hintertür hineingegangen, wenn ich in diesem Augenblick nicht einen schrecklichen Krach von der Vorderseite gehört hätte. Also änderte ich meinen Kurs und rannte gerade noch rechtzeitig um die vordere Ecke des Hauses, um zu sehen, wie die Couch halb in dem Blumenbeet landete, das sich um die Veranda zog. Jemand hatte sie offenbar durch das Wohnzimmerfenster geworfen.

Der Werwolf, den ich letzte Nacht umgebracht hatte, war eine Ausnahme gewesen, denn im Allgemeinen bringt man ihnen bei, leise zu sein, wenn sie kämpfen – es ist einfach eine Überlebensfrage. Trotzdem konnte ich durch das zerbrochene Fenster und die offen stehende Haustür das Fauchen und Zähnefletschen hören.

Um Mut zu sammeln, gab ich im Flüsterton alle Schimpfworte von mir, die ich mir sonst für verrostete Schraubenmuttern und billige Ersatzteile aufhebe, die dann doch nicht so gefertigt sind, wie es angegeben war. Lieber Gott, betete ich anschließend, als ich die Verandatreppe hinaufrannte, bitte lass Adam und Jesse nichts Schlimmes passiert sein!

Direkt innerhalb der Tür blieb ich stehen, die Marlin im Anschlag. Mein Herz schlug bis zum Hals. Dabei hechelte ich, weil ich ebenso nervös wie erschöpft war, und das Geräusch störte mein Hörvermögen.

Die schlimmste Zerstörung schien sich auf das Wohnzimmer mit der hohen Decke direkt am Eingang zu konzentrieren. Der weiße Berberteppich würde nie wieder sein, was er einmal gewesen war. Einer der Esszimmerstühle war an der Wand zerschlagen worden, und der Putz hatte ebenfalls gelitten. Ein Teil des Mörtels lag auf dem Boden.

Das meiste Glas von dem zerbrochenen Fenster war auf die Veranda gefallen; das Glas auf dem Teppich stammte von einem Spiegel, den jemand von der Wand gerissen und zerschlagen hatte – auf einer anderen Person.

Am Boden lag eine Werwölfin mit einer gewaltigen Spiegelscherbe in der Wirbelsäule. Ich kannte sie nicht. Es gab in Adams Rudel auch Frauen, aber die waren mir alle in beiden Gestalten zumindest vom Sehen geläufig.

Die tote Wölfin lag nahe genug bei mir, dass ich feststellen konnte, dass sie wirklich tot war und damit für mich kein Problem mehr darstellte, und ich ignorierte sie.

Einen weiteren Werwolf fand ich unter der Récamier, einem alten Möbelstück, wegen dem ich Adam immer geneckt hatte. Adam würde sich ein neues Renommiersofa kaufen müssen. Die Liegefläche war zerbrochen, und große Holzsplitter ragten durch den Stoff. Der zweite Werwolf lag mit dem Bauch nach unten auf dem Boden. Sein Kopf war verrenkt, und seine im Tod umwölkten Augen starrten mich anklagend an.

Ich machte einen Schritt über ein paar Handschellen hinweg, deren Armbänder verbogen und aufgerissen waren. Sie bestanden, wie ich bemerkte, nicht aus Stahl oder Aluminium, sondern aus einer Silberlegierung. Man hatte sie entweder speziell hergestellt, um einen Werwolf festzuhalten, oder es handelte sich um einen besondern Gegenstand aus einem teuren Sado-Maso-Laden. Ich nahm an, sie hatten sie benutzt, um Adam zu fesseln; er selbst hätte nie einen Wolf in sein Haus gebracht, der gesichert werden musste, solange Jesse sich dort aufhielt.

Die Kampfgeräusche kamen aus dem Wohnzimmer weiter hinten im Haus. Ich eilte an der Wand entlang, und Glas knirschte unter meinen Füßen. Noch diesseits des Esszimmers blieb ich stehen, als ich hörte, wie Holz krachte und spürte, wie der Boden vibrierte.

Vorsichtig streckte ich den Kopf um die Ecke, aber ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Die kämpfenden Werwölfe waren viel zu sehr miteinander beschäftigt, um mich zu beachten.

Adams Esszimmer war groß und offen und hatte eine große Terrassentür, die zu einem Rosengarten führte. Der Boden bestand aus Eichenparkett – echtem Parkett. Seine Exfrau hatte dort einen Tisch aufgestellt, an dem fünfzehn Personen sitzen konnten und der zum Boden passte. Dieser Tisch war nun umgekippt und in die gegenüberliegende Wand geschleudert worden, wo er etwa vier Fuß über dem Boden hing. In den passenden Geschirrschrank hatte jemand etwas Großes und Schweres geworfen. Das Ergebnis beider Würfe war eine ansehnliche Freifläche, auf der die Werwölfe kämpfen konnten.

Als ich sie zum ersten Mal sah, hielt ich angesichts des Tempos und der Anmut ihrer Bewegung einfach die Luft an. Bei all ihrer Größe erinnern Werwölfe immer noch mehr an ihren grazilen Vetter, den Timberwolf, als an einen Mastiff oder Bernhardiner, die ihnen vom Gewicht her näher kommen. Wenn Werwölfe laufen, bewegen sie sich mit einer tödlichen, lautlosen Anmut. Aber sie sind nicht wirklich zum Laufen gebaut, sondern zum Kampf, und ihre wahre tödliche Schönheit zeigt sich nur dann.

Ich hatte Adams Wolfsgestalt nur vier oder fünf Mal gesehen, aber man konnte sie nicht so leicht vergessen. Sein Fell hatte überwiegend einen hellen, beinahe bläulichen Silberton, mit einem Unterfell in Weiß. Dazu waren wie bei einer Siamkatze Schnauze und Ohren, Schwanz und Beine schwarz.

Er kämpfte gegen ein größeres Exemplar, der die Farbe hellen Leders hatte, die bei Kojoten verbreiteter ist als bei Wölfen. Ich kannte ihn nicht.

Zuerst störte mich der Größenunterschied nicht. Man wird kein Leitwolf, wenn man nicht kämpfen kann – und Adam war schon ein Krieger gewesen, bevor er in seine derzeitige Position kam. Dann erkannte ich, dass alles Blut am Boden aus Adams Bauch kam und der weiße Blitz an seiner Seite ein Rippenknochen war.

Ich betrat das Zimmer, um besser zielen zu können, hob die Waffe, richtete den Lauf auf den fremden Werwolf und wartete, bis ich schießen konnte, ohne Adam zu treffen.

Der lederfarbene Wolf packte Adam direkt hinter dem Genick und schüttelte ihn wie ein Hund, der eine Schlange umbringen will. Das hätte Adam den Hals brechen sollen, aber der Griff war nicht fest genug, und so schleuderte der Andere ihn stattdessen gegen den Esstisch, woraufhin das ganze Durcheinander auf den Boden fiel und mir die Gelegenheit gab, auf die ich gewartet hatte.

Ich schoss dem fremden Wolf aus weniger als einem Meter achtzig Entfernung in den Hinterkopf. Genau, wie mein Pflegevater mir beigebracht hatte, zielte ich dabei leicht nach unten, sodass die Kugel der Marlin durch ihn hindurch gehen und auch noch in der nächsten Viertelmeile alles treffen würde, was sich an der falschen Stelle befand.

Marlin .444s waren nicht zur Verteidigung eines Hauses gedacht, sondern dazu, Grizzlybären zu töten, und man hatte sie sogar hin und wieder benutzt, um Elefanten zu schießen. Genau, was der Arzt gegen Werwölfe verschreibt. Ein Schuss aus nächster Nähe, und er war tot. Ich ging trotzdem noch ein Stück näher heran und schoss ein zweites Mal, nur um sicherzugehen.

Normalerweise bin ich keine gewalttätige Person, aber es fühlte sich gut an, abzudrücken. Es half gegen die glühende Wut, die ich empfand, seit ich auf meiner Veranda neben Macs Leiche gekniet hatte.

Ich warf einen Blick auf Adam, der mitten auf seinem Esstisch lag, aber er regte sich nicht, und seine Augen waren geschlossen. Seine elegante Schnauze war von Schleim und Blut überzogen. Das silberfarbene Fell hatte Streifen von dunklem Blut und wirkte verfilzt, was es schwierig machte, das Ausmaß seiner Wunden zu erkennen. Was ich sehen konnte, war schlimm genug.

Jemand hatte gute Arbeit bei dem Versuch geleistet, ihn aufzuschlitzen: Ich konnte bleiche Eingeweide und das Weiß von Knochen erkennen, wo die Haut von den Rippen gerissen worden war.

Er könnte noch am Leben sein, sagte ich mir. Meine Ohren klingelten von den Schüssen. Ich atmete zu schwer, und mein Herz raste zu schnell und laut – das hätte genügen können, um das Geräusch seines Herzens, das seines Atems zu übertönen. Sein Körper wies mehr Wunden auf, als ich je an einem Werwolf hatte heilen sehen, viel mehr als an den beiden toten Wölfen oder dem Killer, den ich am vergangenen Abend umgebracht hatte.

Ich sicherte das Gewehr wieder und drängte mich zu den Überresten des Tischs, um Adams Nase zu berühren, aber ich konnte immer noch nicht feststellen, ob er noch atmete.

Ich brauchte Hilfe.

Ich rannte in die Küche, wo, ganz Adams Stil entsprechend, oberhalb der Theke unter dem Wandtelefon eine ordentliche Liste hing. Meine Finger fanden Darryls Namen mit seiner Arbeits-, Heim und Pagernummer in schwarzen Ziffern. Ich legte die Waffe in Griffweite ab, und wählte die Privatnummer.

»Hier spricht der Anschluss von Dr. Darryl Zan. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton oder rufen Sie seinen Pager unter 543 –« Darryls Bassgrollen klang trotz der unpersönlichen Worte vertraut.

Ich legte auf und versuchte die Arbeitsnummer, aber dort war er auch nicht. Ich setzte dazu an, die Pagernummer zu wählen, aber während der letzten vergeblichen Versuche hatte ich begonnen, über unsere Begegnung am vergangenen Abend nachzudenken.

»Das hier ist der falsche Zeitpunkt«, hatte er zu Ben gesagt. Am Vorabend war mir das nicht besonders bedeutsam vorgekommen, aber konnte es sein, dass eine bestimmte Betonung in seiner Stimme gelegen hatte? Hatte er wirklich gemeint, wie ich zunächst annahm, dass Ben besser nach all seinen Problemen in London sein Verhalten ändern sollte? Oder war es um etwas anderes gegangen, wie in »nicht jetzt, wenn so wichtige Dinge auf dem Spiel stehen?« Wichtigere Dinge, wie den Alpha umzubringen?

In Europa gehörte Mord immer noch zu den bevorzugten Methoden, sich ein eigenes Rudel zu verschaffen.

Der alte Leitwolf herrschte, bis einer der jüngeren, hungrigeren dominanten Männer zu dem Schluss kam, dass der Leitwolf schwach geworden war und ihn angriff. Ich wusste von zumindest einem europäischen Alpha, der deshalb jeden männlichen Wolf tötete, der Anzeichen von Dominanz an den Tag legte.

Dank der eisernen Hand des Marrok sahen die Dinge in der Neuen Welt zivilisierter aus. Ein neuer Leitwolf wurde überwiegend von oben eingesetzt – und niemand stellte die Entscheidungen des Marrok in Frage, zumindest nicht so lange, wie ich ihn gekannt hatte. Aber hatte wirklich jemand ohne Hilfe aus Adams Rudel einfach in sein Haus kommen und solchen Schaden anrichten können?

Ich legte den Telefonhörer auf und starrte die Liste von Namen an. Ich konnte es nicht wagen, eine davon anzurufen, bis ich mehr darüber wusste, um was es hier ging. Dann senkte ich den Blick, und er fiel auf ein Foto in einem Holzrahmen neben der Liste.

Eine jüngere Jesse grinste mich an, einen Baseball-Schläger über der Schulter und die Kappe ein wenig zur Seite geschoben.

Jesse.

Ich griff nach dem Gewehr und rannte die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Sie war nicht da. Ich hätte nicht sagen können, ob es einen Kampf gegeben hatte oder nicht – Jesse lebte in einem wilden Durcheinander, das sich in der Art spiegelte, wie ihr Zimmer aussah.

In Kojotengestalt sind meine Sinne leistungsfähiger. Also versteckte ich beide Waffen unter ihrem Bett, zog mich schnell aus und verwandelte mich.

Jesses Geruch hing überall im Zimmer, aber ich konnte auch den Menschen riechen, der letzte Nacht mit Mac in meiner Werkstatt gewesen war. Ich folgte der Spur seines Geruchs die Treppe hinunter, weil Jesses Duft viel zu ausgeprägt war.

Schon beinahe an der Haustür, ließ mich ein Geräusch innehalten. Einen Augenblick wich ich von der Spur ab. Zunächst nahm ich an, nur gehört zu haben, wie sich ein umgeworfenes Möbelstück absenkte, aber dann bemerkte ich, dass Adam die linke Vorderpfote bewegt hatte.

Als ich das sah, wurde mir klar, dass ich auch das nur sehr schwach wahrnehmbare Geräusch seines Atems hören konnte. Vielleicht waren es nur die schärferen Sinne der Kojoten, aber ich hätte schwören können, dass er zuvor nicht geatmet hatte. Wenn er noch lebte, bestand eine sehr gute Möglichkeit, dass es dabei blieb. Werwölfe sind zäh.

Ich winselte erfreut, kletterte über das Durcheinander seines Tischs und leckte kurz sein blutiges Gesicht, bevor ich wieder anfing, nach seiner Tochter zu suchen.

Adams Haus steht am Ende einer Sackgasse, direkt an einem Wendeplatz. Das SUV, das ich gesehen hatte, war davongefahren – wahrscheinlich mit Jesse – und hatte eine kurze Spur aus verbranntem Gummi zurückgelassen, aber die wenigsten Wagen entwickeln einen wirklich individuellen Geruch, bevor sie sehr alt sind. An diesem hier gab es nicht genug Duftnoten für mich, um noch ein paar Meilen hinter ihm bleiben zu können, und die Spur verbrannten Gummis von den Reifen würde schon bald verschwunden sein.

Es gab nichts mehr zu verfolgen, nichts, was ich für Mac oder Jesse tun konnte. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Adam zu.

Dass er am Leben war, bedeutete, dass ich mich wirklich nicht mit seinem Rudel in Verbindung setzen konnte, nicht, solange er sich in diesem hilflosen Zustand befand. Wenn einer der Dominanten im Rudel den Ehrgeiz hatte, Leitwolf zu werden, würde er ihn umbringen. Ich konnte ihn auch nicht in mein Haus transportieren. Sobald jemand sein Verschwinden bemerkte, würden sie es dort versuchen. Und außerdem war es gefährlich, einen schwer verwundeten Werwolf sich selbst und den anderen um ihn herum zu überlassen. Selbst wenn ich mich auf seine Wölfe hätte verlassen können, gab es keinen Dominanten im Columbia-Rudel, der stark genug gewesen wäre, um Adams Wolf zu beherrschen, bis es ihm wieder gut genug ging, um das selbst zu tun.

Ich wusste allerdings, wo ich einen so starken Wolf finden würde.