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Als ich am Montagmorgen in die Werkstatt kam, saß Mac der Werwolf auf der Treppe vor der Bürotür.

Ich setzte eine gleichmütige Miene auf und zeigte nicht, wie sehr mich das freute und überraschte, sondern reichte ihm nur eine schwere Tüte mit Fast-Food-Frühstückssandwiches, damit ich meinen Schlüssel herausholen und die Tür öffnen konnte. Ich bin mit wilden Tieren aufgewachsen; ich wusste, wie man sie zähmte. Wenn ich ihn richtig eingeschätzt hatte, hätte ihn ein herzliches Willkommen schneller vertrieben als harsche Worte, aber Essen war immer ein guter Köder.

»Iss«, sagte ich und ging ins Bad, um mich umzuziehen. »Lass mir eins übrig – die anderen Brote sind für dich.«

Als ich zurückkam, waren alle bis auf eines verschwunden.

»Danke«, sagte er und starrte dabei meine Füße an.

»Du wirst es abarbeiten. Komm, hilf mir, die Garagentore zu öffnen.« Ich ging durch das Büro voran in die Werkstatt. »Heute liegt nichts weiter an, also können wir uns mit meinem Käferprojekt beschäftigen.«

Der Käfer machte im Augenblick nicht viel her, aber wenn ich fertig war, würde er lackiert und poliert sein und schnurren wie ein Kätzchen. Dann würde ich ihn für das Doppelte von dem verkaufen, was ich hineingesteckt hatte, und ein neues Autor zu Wiederbelebungszwecken finden. Mit der Restaurierung von VW-Klassikern verdiente ich beinahe die Hälfte meines Einkommens.

Wir hatten ein paar Stunden in freundschaftlichem Schweigen gearbeitet, als Mac fragte, ob er das Telefon für ein Ferngespräch benutzen könnte.

»Solange es nicht nach China ist«, antwortete ich und versuchte, eine Mutter loszudrehen, die von mehr als dreißig Jahren Rost gehalten wurde.

Ich schlich nicht zur Bürotür, um zuzuhören. Es ist nicht meine Gewohnheit, anderer Leute Privatgespräche zu belauschen. Andererseits musste ich nicht zur Bürotür schleichen. Ich habe ein hervorragendes Gehör.

»Hallo«, sagte er. »Ich bin’s.«

Meine Ohren waren allerdings nicht gut genug, als dass ich auch die andere Seite hätte verstehen können.

»Es geht mir gut, es geht mir gut«, sagte er rasch. »Pass auf, ich kann nicht lange reden.« Pause. »Es ist besser, wenn du das nicht weißt.« Pause. »Ich weiß, ich habe die Nachrichten gesehen. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, nachdem wir den Tanz verlassen haben. Ich weiß nicht, was sie umgebracht hat und wieso ich noch lebe.«

O nein!, dachte ich.

»Nein. Sieh mal, es ist besser, wenn du nicht weißt, wo ich bin.« Pause. »Ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich nicht weiß, was passiert ist. Nur, dass ich sie nicht umgebracht habe.« Pause. »Ich weiß nicht. Ich will nur, dass du Mom und Dad sagst, dass es mir gut geht. Ich habe sie sehr gern, und ich suche nach denjenigen, die sie getötet haben. Ich muss jetzt aufhören.« Pause. »Ich dich auch, Joe.«

Es gab ein Dutzend Geschichten, die zu der Hälfte seines Gesprächs passten, die ich gehört hatte. Zwei Dutzend.

Aber die wichtigste Parabel, die sich Werwölfe erzählen, hing damit zusammen, was beim ersten Mal passierte, wenn sich ein Werwolf verwandelt, der nicht weiß, was er ist.

In meinem Kopf übersetzte ich Macs Hälfte des Gesprächs in das Bild eines Jungen, der einen Schulball verlässt, um mit seiner Freundin unter dem Vollmond zu schmusen, ohne zu wissen, was er ist. Neue Werwölfe können sich, solange sie nicht von einem starken, dominanten Wolf angeleitet werden, die ersten paar Male, wenn sie sich verwandeln, kaum beherrschen.

Wenn Mac so ein neuer Werwolf war, würde das erklären, wieso ihm nicht auffiel, dass ich mich von den anderen Leuten in der Nähe unterschied. Er musste erst lernen, seine Sinne richtig zu nutzen.

Hier in den Staaten wurden Werwölfe meist von ihren Freunden und ihrer Familie in ihre neue Situation eingeführt. Es gibt eine Hilfsorganisation, um den neuen Wolf auszubilden und dafür zu sorgen, dass er und alle in seiner Umgebung in Sicherheit sind – aber es kommt auch hin und wieder noch zu Angriffen durch abtrünnige Werwölfe. Eine der Pflichten eines Rudels besteht darin, diese Abtrünnigen umzubringen und ihre Opfer zu finden.

Trotz der Geschichten verwandelt sich nicht jeder, der von einem Werwolf gebissen wird, selbst in einen. Es braucht eine so bösartige Attacke, dass das Opfer beinahe stirbt, damit die Magie des Wolfs am Immunsystem des Körpers vorbeischlüpfen kann. Solche Situationen tauchen in den Schlagzeilen für gewöhnlich als »Mann von tollwütigen Hunden angegriffen« auf. Im Allgemeinen stirbt das Opfer an den Wunden. Wenn es überlebt, erholt es sich schnell und wie durch ein Wunder – bis zum nächsten Vollmond, wenn es erfährt, dass es nicht wirklich überlebt hat –, zumindest nicht als die gleiche Person. Meist wird ein Rudel einen neuen Wolf vor der ersten Veränderung finden und ihm bei seinem Weg in sein neues Leben helfen. Die Rudel behalten die Medien im Auge, um zu verhindern, dass ein neuer Wolf allein ist – und um ihre eigenen Geheimnise zu schützen.

Vielleicht hatte niemand Mac gefunden. Vielleicht hatte er seine Freundin umgebracht, und nachdem er sich wieder in einen Menschen verwandelt hatte, nicht glauben wollen, was geschehen war. Wie auch immer, ich war davon ausgegangen, dass er sein Rudel verlassen hatte, aber wenn er wirklich ein neuer und vollkommen ahnungsloser Wolf war, stellte er tatsächlich eine Gefahr dar.

Ich brach die verrostete alte Mutter ab, weil ich nicht mehr auf sie geachtet hatte. Als Mac von seinem Telefonat zurückkehrte, arbeitete ich mit einem Bolzenlöser, dem am unpassendsten benannten Werkzeug auf der Welt – es hat nichts an sich, das wirklich hilft, einen festgerosteten Bolzen zu lösen.

Ich hatte nicht vorgehabt, etwas zu sagen, aber die Worte brachen trotzdem aus mir heraus. »Ich kenne vielleicht jemanden, der dir helfen kann.«

»Niemand kann mir helfen«, erwiderte er müde. Dann lächelte er, was überzeugender gewesen wäre, wenn es nicht so traurig ausgesehen hätte. »Ich komme schon zurecht.«

Ich legte den sogenannten Bolzenlöser hin und sah ihn an.

»Ja, das denke ich auch«, sagte ich und hoffte, keinen Fehler zu machen, indem ich ihn nicht weiter bedrängte. Ich musste Adam unbedingt vor dem nächsten Vollmond von ihm erzählen. »Ich wollte dich nur daran erinnern, dass ich oft schon vor dem Frühstück sechs unmögliche Dinge glaube.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Lewis Carroll.«

»Und da heiß es, die Jugend sei ungebildet!«, antwortete ich. »Wenn du mir vertraust, wirst du vielleicht feststellen, dass meine Freunde dir besser helfen können, als du gedacht hättest.« Das Telefon klingelte, und ich wandte mich wieder der Arbeit zu. »Bitte geh ans Telefon, Mac«, sagte ich.

So spät im Jahr war es bereits dunkel, als wir um sechs fertig wurden. Er stand auf und sah mich an, als ich aufblickte, und dachte offenbar über etwas nach. Ich konzentrierte mich auf das Schloss, um ihm Zeit zu lassen, aber er entscheid sich offenbar anders.

»Bis Morgen«, sagte er schließlich.

»Also gut.« Und dann frage ich impulsiv: »Hast du einen Schlafplatz?«

»Sicher«, antwortete er lächelnd und ging so hastig davon, als hätte er irgendwo einen Termin.

Ich hätte mir die Zunge abbeißen können, weil ich ihn zu einer Lüge gedrängt hatte. Sobald er begann, mich anzulügen, würde es schwieriger werden, ihn daran zu gewöhnen, mir die Wahrheit anzuvertrauen. Ich weiß nicht, wieso das so ist, aber so läuft es nun mal – zumindest nach meiner Erfahrung.

Ich versetzte mir auf dem ganzen Weg nach Hause innerlich Tritte, aber nachdem ich Medea gefunden und mir etwas zu Essen gemacht hatte, kam ich zu einer Art Lösung. Morgen würde ich Stefans VW-Campingbus aufschließen, der geduldig auf Bremsteile aus Oregon wartete. Ich nahm nicht an, dass es Stefan stören würde, wenn Mac eine oder zwei Nächte im Bus schlief.

Aber ich rief ihn dennoch lieber an, um mein Vorhaben mit ihm zu besprechen, denn es ist nicht klug, Vampire zu überraschen.

»Klar«, erwiderte Stefan, ohne auch nur zu fragen, wer in seinem Kleinbus übernachten wollte. »Das geht schon in Ordnung, mein Schatz. Wie lange wird es dauern, bis der Wagen wieder auf die Straße kann?«

Für einen Vampir war Stefan in Ordnung.

»Die Ersatzteile sollten übermorgen ankommen«, antwortete ich. »Ich rufe dich an, wenn sie hier sind. Wenn du helfen willst, können wir ein paar Abendschichten einschieben. Sonst werde ich einen Tag brauchen.«

»Gut«, sagte er, was offenbar als Abschied gedacht war, denn das Nächste, was ich hörte, war das Freizeichen.

»Na ja«, sagte ich der Katze, »ich nehme an, ich sollte eine Decke kaufen.« Es musste eine neue Decke sein – meine würde nach Kojote riechen, und ein Werwolf, der mich kaum kannte, würde sich in meinem Geruch nicht wohl fühlen.

Ich verbrachte einige Zeit damit, meinen Geldbeutel zu suchen, bis mir einfiel, dass ich ihn in der Werkstatt in den Safe geschlossen hatte. Zum Glück lag sie auf dem Weg zum Laden.

Weil es dunkel war, parkte ich das Auto an der Straße hinter der Werkstatt, wo es eine Straßenlampe gab, die unternehmungslustige Vandalen abschrecken sollte. Auf dem Parkplatz kam ich an Stefans Bus vorbei, der neben der Bürotür stand, und tätschelte ihn liebevoll.

Stefans Kleinbus war wie die Mystery Machine bemalt, was viel über den Vampir aussagte, dem der Bus gehörte. Stefan hatte mir erzählt, dass er vor ein paar Jahren, nachdem er begonnen hatte, sich im Fernsehen Buffy anzuschauen, kurz vorgehabt hatte, ihn schwarz zu streichen, aber am Ende war er zu dem Schluss gekommen, dass die Jägerin es einfach nicht mit Scooby Doo aufnehmen konnte.

Ich öffnete die Bürotür, machte aber kein Licht an, weil ich ziemlich gut im Dunkeln sehen kann. Meinen Geldbeutel fand ich exakt da, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte. Ich holte ihn aus dem Safe und verschloss die Tür wieder. Nur aus Gewohnheit überprüfte ich schnell noch einmal die Heizung, um mich zu überzeugen, dass sie niedrig eingestellt war. Alles war abgeschaltet, aufgeräumt, und wie es sein sollte, und ich fand das übliche Gefühl von Zufriedenheit in dem Wissen, dass das alles mir gehörte – na ja, mir und der Bank.

Ich lächelte, als ich das Büro verließ, und wandte mich der Tür hinter mir zu. Dabei bewegte ich mich nicht bewusst leise, aber von einem Rudel Werwölfe erzogen worden zu sein, macht einen lautloser als die meisten anderen Leute.

»Verschwinde«, erklang Macs Stimme von der anderen Seite von Stefans Bus. Er sprach leise und grollend, in einem Tonfall, den ich noch nie von ihm gehört hatte.

Zunächst glaubte ich, er meinte mich und drehte mich um, aber ich konnte nur Stefans Bus sehen.

Dann antwortete eine andere Stimme: »Nicht ohne dich.«

Der Bus hatte getönte Scheiben. Dennoch konnte ich genug sehen, um die schattenhaften Umrisse von Mac und einem seiner Besucher zu erkennen. Der Wind wehte ihren Duft zu mir herüber, und ich roch außer Mac noch zwei Personen: einen anderen Werwolf und einen Menschen. Ich kannte keinen von ihnen.

Obwohl ich die meisten von Adams Wölfen dem Geruch nach identifizieren kann, wäre es nicht ungewöhnlich gewesen, wenn er sich einen neuen Wolf zugelegt hätte, ohne dass ich davon schon erfahren hatte. Aber es war der Mensch, der mir sagte, dass hier etwas nicht stimmen konnte: Ich hatte noch nie erlebt, dass Adam einen Menschen mit einem seiner Wölfe ausgeschickt hätte.

Noch seltsamer war allerdings, dass keiner der drei zu bemerken schien, dass ich in der Nähe war, nicht einmal Mac oder der andere Wolf.

»Nein«, sagte Mac, während ich noch zögerte. »Keine Käfige mehr. Keine Drogen. Sie haben mir nicht geholfen.«

Käfige?, dachte ich. Jemand hatte Mac in einem Käfig gehalten? So etwas war nicht notwendig, nicht mit Adam in der Nähe. Einige Alphas verließen sich auf Gitter, um neue Wölfe zu beherrschen, aber Adam gehörte nicht dazu. Und Macs Bemerkung über Drogen begriff ich auch nicht – es gibt keine Drogen, die bei Werwölfen funktionieren.

»Doch, Junge. Du musst ihnen nur eine Chance geben. Ich verspreche dir, dass wir deinen Fluch aufheben können.«

Den Fluch aufheben? Keine Droge auf der Welt konnte die Veränderung rückgängig machen, und nur verdammt wenige Werwölfe nahmen ihren Zustand nach den ersten paar Monaten noch als Fluch wahr. Die meisten gelangten schließlich zu der Ansicht, dass hin und wieder Pelz zu tragen ein geringer Preis für ungewöhnliche Kraft, Geschwindigkeit und erhöhte Sinnesschärfe war – ganz zu schweigen von einem Körper, der gegen Alter und Krankheit immun war.

Selbst wenn der Werwolf zu Adam gehörte, bezweifelte ich, dass der Alpha wusste, welche wilden Geschichten sein Rudelmitglied erzählte. Oder besser, ich hoffte es zumindest.

Mac schien seine beiden Gesprächspartner jedoch zu kennen, und ich begann zu glauben, dass seine Geschichte wohl noch komplizierter war, als ich bereits befürchtet hatte.

»Du redest, als hättest du eine Wahl«, sagte der zweite Mann. »Aber du musst nur noch entscheiden, wie du dorthin kommst.«

Nein, das hier konnten nicht Adams Männer sein. Die Erwähnung von Zwang, Käfigen und Drogen machte sie zum Feind. Wenn Mac nicht freiwillig mit ihnen gehen wollte, dann würde ich nicht zulassen, dass sie ihn gegen seinen Willen mitnahmen.

Rasch sah ich mich um, aber die Straßen waren leer. Nach sechs ist es in dieser Gegend ziemlich unbelebt. Ich schlüpfte so leise ich konnte aus meiner Kleidung und nahm meine Kojotengestalt an.

Als Mensch hatte ich keine Chance gegen einen Werwolf. Als Kojotin hatte ich auch keine viel größeren Erfolgsaussichten – aber ich war schnell, erheblich schneller als eine echte Kojotin und damit auch einen Tick schneller als ein Werwolf.

Ich sprang auf das Geländer und von dort oben auf Stefans Bus, um den Vorteil einer erhöhten Position zu haben, obwohl ich damit das Überraschungsmoment aufgab. Ganz gleich, wie leise ich mich bewegte, ein Werwolf würde das Klicken meiner Krallen auf dem Metalldach hören.

Ich machte mich schon auf einen weiteren Sprung gefasst, aber dann hielt ich inne. Vom Dach des Busses aus konnte ich Mac und die beiden Männer sehen. Keiner schien mich zu bemerken. Mac hatte mir den Rücken zugedreht, aber die anderen hätten einfach nur aufblicken müssen. Das taten sie nicht. Hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung.

Hinter den beiden Fremden stand ein großes schwarzes SUV, die Art von Auto, die man bei solchen Typen erwartete.

»Ich glaube nicht, dass es eine Möglichkeit gibt, das rückgängig zu machen, was ihr mir angetan habt«, sagte Mac. »Ihr könnt mir mein Leben nicht zurückgeben, und Meg könnt ihr erst recht nicht wieder lebendig machen. Ihr könnt mich nur in Ruhe lassen.«

Das Haar des Menschen war kurz geschoren, aber es war vor allem die große schwarze Schusswaffe, die in seinem Schulterholster steckte, die mich ans Militär denken ließ. Beide Fremde hielten sich auch militärisch straff – Adam verfügte ebenfalls über diese Haltung. Ihre Schultern waren steif, ihr Rücken ein wenig zu aufrecht. Vielleicht gehörten sie doch zu Adam. Der Gedanke ließ mich zögern. Wenn ich einem von Adams Wölfen etwas antat, bedeutete das gewaltigen Ärger.

»Es wird wieder Vollmond«, sagte der Mann mit den etwas längeren Haaren, der Werwolf. »Spürst du das?«

»Wie willst du denn über den Winter kommen, Junge?« Das war Kurzhaar. Seine Stimme klang sanft. Väterlich. Beinahe wohlwollend. »Im Dezember wird es selbst in dieser Wüste ziemlich kalt.«

Ich unterdrückte ein Knurren, während ich immer noch überlegte, wie ich Mac am besten helfen könnte.

»Ich arbeite hier«, sage Mac mit einer unbestimmten Geste zur Garage. »Ich denke, wenn es kälter wird, wird sie mich auch hier schlafen lassen, bis ich eine Bleibe finde, wenn ich sie darum bitte.«

»Du wirst sie darum bitten?« Kurzhaar sah ihn mitleidig an. »Sie hat dich für uns hier behalten. Sie ist eine von uns, Junge. Was glaubst du, wie wir dich gefunden haben?«

Mac roch zuerst nach Schock und dann nach Niederlage. Gefühle haben einen Geruch, aber nur in meiner Kojotengestalt ist meine Nase gut genug, um mehr als die stärksten Emotionen voneinander unterscheiden zu können. Ich fletschte die Zähne – ich mag keine Lügner, und besonders zuwider sind sie mir, wenn sie Lügen über mich verbreiten.

Die Stimme des Werwolfs klang verträumt. »Wenn der Mond kommt, wirst du die Verwandlung nicht aufhalten können.« Er schwankte leicht und her. »Dann kannst du jagen und die Angst deiner Beute genießen, die unter deinen Reißzähnen liegt.«

Er ist mondsüchtig, dachte ich, und das Entsetzen riss mich aus meinem Zorn. Wenn dieser Wolf selbst so neu und noch mondsüchtig war, gehörte er sicher nicht Adam, und wer immer ihn geschickt hatte, war ein Idiot.

»Ich komme nicht mit«, erklärte Mac entschlossen und ging einen Schritt von ihnen weg. Dann machte er noch einen Schritt, der ihn hinter den Bus brachte. Er erstarrte, holte tief Luft und sah sich um. »Mercy?«

Aber keiner der beiden Männer achtete darauf, dass Mac meinen Geruch wahrgenommen hatte. Der Werwolf war immer noch in seinen Mondträumen versunken, und der Mensch zog seine Waffe aus dem Holster.

»Wir haben es auf die leichte Tour versucht«, begann er, und ich konnte seine Freude spüren. Er mochte es auf die leichte Tour versucht haben, aber es war eindeutig, dass ihm die schwere besser gefiel. Seine Waffe war von der Art, wie man sie in Armeekatalogen für Möchtegern-Söldner findet, wo es genauso sehr darauf ankommt, dass eine Knarre gut aussieht, wie auf ihre Funktion. »Ins Auto, Junge. Ich habe hier Silberkugeln. Wenn ich damit auf dich schieße, bist du tot.« Er klang wie ein Schurke aus einem 50er-Jahre-Gangsterfilm, und ich fragte mich, ob das Absicht war.

»Wenn ich ins Auto steige, bin ich doch sowieso tot, oder?«, erwiderte Mac. »Habt ihr die beiden anderen umgebracht, die neben mir in den Käfigen gesessen haben? Sind sie deshalb verschwunden?«

Keiner bemerkte, dass der Werwolf anfing, sich zu verändern, nicht einmal der Werwolf selbst. Ich konnte sehen, wie seine Augen in der Dunkelheit zu leuchten begannen, und witterte den Moschusgeruch von Wolf und Magie. Er knurrte.

»Still«, fauchte der Mensch, dann sah er genauer hin. Er hielt inne, schluckte und drehte die Waffe ein wenig in die Richtung seines Mitarbeiters.

Als Mensch wog der Werwolf wahrscheinlich etwa neunzig Kilo. Vollkommen verändert können Werwölfe bis zu hundertzwanzig Kilo wiegen. Nein, ich weiß nicht, woher das zusätzliche Gewicht kommt. Es geht hier um Magie und nicht um Wissenschaft. Als Kojotin bin ich ein wenig größer als der Durchschnittskojote, aber das bedeutete immer noch, dass der Werwolf fünfmal so schwer sein konnte wie ich.

Ich hatte angefangen, über eine Möglichkeit nachzudenken, meine Fähigkeiten zu nutzen. Aber als der Werwolf, dessen verlängertes Kinn sich zuspitzte, weiße Reißzähne bekam, sich wieder auf Mac konzentrierte und knurrte, wusste ich, dass mir keine Zeit mehr blieb.

Ich warf mich vom Busdach auf den Wolf, der immer noch von der Veränderung verlangsamt wurde. Ich schnappte nach ihm, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, und erwischte ihn am Hals, an dem sich noch nichts von dem dicken Fell befand, das ihn vor einem Angriff hätte schützen können.

Ich spürte, wie meine Eckzähne Haut aufrissen und das Blut floss, getrieben von seinem Herzen und dem steigenden Blutdruck, der die Veränderung begleitete. Es war keine tödliche Wunde – Werwölfe heilen zu schnell –, aber sie hätte ihn genügend verlangsamen sollen, um mir eine gute Ausgangsposition zu geben.

Nur, dass er nicht langsamer wurde.

Er war mir direkt auf den Fersen, als ich an Stefans Bus vorbeiraste, über die Gasse eilte, die Zugang zu meinen Werkstattbuchten bot, und über den Maschendrahtzaun um das Lagerhaus gegenüber. Er selbst schaffte das nicht, denn er wurde von seiner noch ungelenken Gestalt behindert und musste innehalten und durch den Zaun brechen.

Angetrieben vom Jagdfieber war er schneller als ich, sogar auf zwei Beinen. Das hätte er nicht sein dürfen. Ich bin schon einigen Werwölfen davongelaufen, und ich wusste, dass ich schneller war als sie, aber ihm hatte das wohl noch keiner gesagt. Er hätte mich beinahe eingeholt. Also sprang ich zurück über den Zaun, der mich beim ersten Mal auch nicht aufgehalten hatte.

Wenn es in der Nähe Wohnhäuser gegeben hätte, wäre das ungeduldige, frustrierte Heulen des Werwolfs, als er wieder stehen bleiben und den Zaun erneut zerreißen musste, den Anwohnern wohl einen Anruf bei der Polizei wert gewesen, aber die nächsten Wohnbereiche lagen mehrere Querstraßen entfernt. Das erinnerte mich daran, dass ich anfangen sollte, mir um unschuldige Passanten Gedanken zu machen, ebenso wie um Mac und mich selbst.

Ich wechselte also die Richtung und lief wieder zurück zur Werkstatt, weil ich den Werwolf von den Wohnvierteln weglocken wollte und nicht hinein. Aber noch bevor ich die Werkstatt erreichte, stolperte mein Verfolger und fiel auf die Straße.

Erst dachte ich, seine Veränderung sei nun vollständig, aber kein Werwolf erhob sich, um weiterzujagen. Ich wurde langsamer, dann blieb ich stehen und lauschte, konnte aber nur das ängstliche Klopfen meines eigenen Herzens hören.

Er hatte die Veränderung tatsächlich beinahe vollendet, und sein Gesicht war bereits ganz Wolf, obwohl das Fell ihn noch nicht so recht bedeckte. Seine Hände, die nun schlaff auf dem Asphalt lagen, waren verkrampft und zu dünn, mit einem nicht-menschlichen Abstand zwischen den Fingern und dem Daumen. Seine Nägel hatten sich verdickt und begonnen, sich leicht zuzuspitzen. Aber er bewegte sich nicht mehr.

Trotz des beinahe übermächtigen Drangs zu fliehen, zwang ich mich, ihn mir aus der Nähe anzusehen. Ich war darauf gefasst, dass er aufspringen und mich packen würde, wie die Biester es immer in den Spätfilmen taten, aber er lag nur da und roch nach Blut und Adrenalin.

Eine Flüssigkeitsspur erstreckte sich hinter ihm, als wäre er ein Auto, dessen Kühlerschlauch explodiert war und Frostschutz auf die Straße geschleudert hatte, aber die Flüssigkeit, die dort unter der Straßenlampe glitzerte, war Blut.

Erst jetzt wurde mir klar, dass ich sein Herzklopfen und seinen Atem nicht mehr hören konnte.

Stattdessen vernahm ich ein startendes Auto und blickte gerade noch rechtzeitig auf, um das SUV aus dem Parkplatz fahren und auf mich zurasen zu sehen. Der große Wagen wackelte, als der Fahrer gegen das Tempo und die Kurve ankämpfte. Die Scheinwerfer blendeten mich einen Augenblick – aber ich hatte bereits eine Fluchtroute entdeckt und nahm sie blind.

Das Auto wurde ein winziges bisschen langsamer, als dächte der Fahrer daran, bei der Leiche auf der Straße anzuhalten, aber dann röhrte der V-8 auf, und der Wagen beschleunigte wieder.

Er konnte dem Lampenpfosten kaum ausweichen, hinter den ich mich geduckt hatte. Ich wusste nicht, ob Mac in dem Auto war oder nicht. Ich sah den Rücklichtern des SUVs hinterher, bis der Wagen auf die Hauptstraße einbog und dort mit dem Verkehr verschwamm.

Dann kehrte ich zu dem Werwolf zurück, um mich von seinem Zustand zu überzeugen – aber er war wirklich und wahrhaftig tot.

Ich hatte noch nie zuvor jemanden getötet. Er hätte nicht tot sein sollen. Werwölfe waren nicht so leicht umzubringen. Wenn er sich die Mühe gemacht hätte, die Blutung zu stillen, wenn er mich nicht weiter gejagt hätte, wäre die Wunde geheilt, lange bevor er verbluten konnte.

Der Geschmack seines Bluts in meinem Mund bewirkte, dass mir übel wurde, und ich übergab mich neben der Leiche, bis der Geschmack nach Galle alles andere überwog. Dann ließ ich den Toten mitten auf der Straße liegen und lief zurück zur Werkstatt. Ich musste nach Mac sehen, bevor ich mich um den Werwolf kümmern konnte.

Zu meiner Erleichterung lehnte Mac gegen Stefans Bus, als ich auf den Parkplatz kam. Er hielt eine Waffe locker in der Hand, den Lauf nach unten gerichtet.

»Mercy?«, fragte er, als ich näher kam.

Ich zog kurz den Kopf ein, dann schoss ich um die Werkstatt herum zu der Stelle, an der ich meine Kleidung gelassen hatte. Er folgte mir, aber als ich mich wieder veränderte, und er sah, dass ich nackt war, drehte er sich schnell um, damit ich mich anziehen konnte.

Ich warf schnell meine Sachen über, schließlich war es ziemlich kalt. »Alles okay«, sagte ich, und er drehte sich wieder um.

»Du hast Blut am Kinn«, murmelte er.

Ich wischte es mir mit dem Saum meines T-Shirts ab. Es sah nicht so aus, als würde ich heute Abend noch einkaufen gehen, also war es unwichtig, ob ich Blut auf den Klamotten hatte. Nicht wieder übergeben, ermahnte ich mich streng. Tu so, als wäre es ein Kaninchen gewesen. Es hatte nicht wie Kaninchen geschmeckt.

»Was bist du?«, fragte er. »Gehört du zu ihnen? Wo … wo ist der Wolf?«

»Er ist tot. Wir müssen reden«, sagte ich, dann hielt ich inne, um meine eigenen hektischen Gedanken zu sammeln. »Aber als Erstes müssen wir ihn von der Straße schaffen. Und noch davor sollten wir Adam anrufen.«

Ich brachte Mac wieder ins Büro, und diesmal schaltete ich das Licht ein. Nicht, dass einer von uns den Schein außer zum Trost gebraucht hätte.

Er legte die Hand auf meine, als ich nach dem Telefon griff. »Wer ist dieser Adam, und warum rufst du ihn an?«, fragte er.

Ich wehrte mich nicht gegen die Berührung. »Adam ist der Alpha des hiesigen Rudels. Wir müssen die Leiche von der Straße schaffen – es sei denn, du willst, dass wir beide in einem Bundeslabor verschwinden, damit die Wissenschaftler uns ein paar Jahre untersuchen, bevor sie zu dem Schluss kommen, dass sie mehr von uns erfahren können, wenn wir tot sind.«

»Alpha?«, fragte er. »Was ist das?«

Er war tatsächlich sehr neu.

»Werwölfe leben in Rudeln«, sagte ich. »Jedes Rudel hat einen Alpha – einen Leitwolf, der stark genug ist, um die anderen zu beherrschen. Adam Hauptmann ist der hiesige Alpha.«

»Wie sieht er aus?«, fragte er.

»Eins siebenundsiebzig, achtzig Kilo. Dunkles Haar, dunkle Augen. Ich glaube nicht, dass er etwas mit deinen Wölfen zu tun hatte«, sagte ich. »Wenn Adam dich haben wollte, hätte er dich bereits gefunden. Er kann ein Idiot sein, aber er ist sehr kompetent.«

Mac starrte mich an, und seine braunen Augen wirkten im Licht der Leuchtstoffröhren meines Büros gelblich. Um ehrlich zu sein, war ich überrascht, dass er sich immer noch in Menschengestalt befand, denn wenn ein Wolf sieht, wie ein anderer sich verändert, ermutigt ihn das für gewöhnlich, es ihm nachzutun. Ich schaute ihn ruhig an, dann senkte ich den Blick, bis er stattdessen auf seiner Schulter ruhte.

»Also gut«, sagte er und nahm langsam die Hand weg. »Du hast mich heute Abend gerettet – und dieses Geschöpf hätte dich zerreißen können. Ich habe sie schon zuvor töten sehen.«

Ich fragte nicht, wann oder wen. Es war wichtig, alles in der richtigen Reihenfolge zu machen, um schlimmeren Ärger zu verhindern. Adam anrufen. Die Leiche von der Straße holen, wo sie jeder sehen konnte. Dann reden. Ich wählte Adams Nummer aus dem Gedächtnis.

»Hauptmann«, antwortete er nach dem vierten Klingeln mit nur einer Spur von Ungeduld.

»Ich habe in meiner Werkstatt einen Werwolf umgebracht«, sagte ich, dann legte ich auf. Als Mac die Augenbrauen hob, fügte ich hinzu: »Das bringt mir eine schnellere Reaktion ein als zwanzig Minuten Erklärungen. Komm, wir müssen die Leiche von der Straße schaffen, bevor jemand sie entdeckt.« Als das Telefon klingelte, schaltete sich mein Anrufbeantworter ein.


Ich nahm Stefans Bus, weil es einfacher ist, einen Körper in einen Bus zu laden als in meinen kleinen Golf. Der Bus roch nach Mac, und mir wurde klar, dass er mich nicht angelogen hatte, als er behauptete, einen Platz für die Nacht zu haben. Er musste schon ein paar Nächte hier geschlafen haben.

Der Bus verfügte momentan über keinerlei Bremsen, aber ich schaffte es dennoch, ihn neben der Leiche zum Stehen zu bringen. Mac half mir, sie ins Auto zu schaffen, dann rannte er zurück zur Werkstatt, während ich fuhr. Als ich ankam, hatte er die Werkstatt bereits geöffnet.

Wir legten den Toten auf den Zementboden neben die Hebebühne, dann parkte ich den Bus wieder da, wo er gestanden hatte, und zog die Werkstattür hinter uns zu.

Ich ging zu der am weitesten von dem toten Werwolf entfernten Ecke und setzte mich auf den Boden neben eine meiner großen Werkzeugkisten. Mac hockte sich neben mich, und wir starrten quer beide durch die Werkstatt die Leiche an.

Halb verändert, sah sie im harschen Licht der zweiten Bucht noch grotesker aus als unter der Straßenlampe, wie etwas aus einem schwarzweißen Lon-Chaney-Film. Von dort, wo ich saß, konnte ich den Riss im Hals des Mannes sehen, der ihn umgebracht hatte.

»Er war offenbar daran gewöhnt, schnell zu heilen«, sagte ich, um das Schweigen zu brechen. »Also hat er nicht auf seine Wunde geachtet. Aber manche Wunden brauchen länger als andere, um zu heilen. Er wusste nicht mehr als du. Wie lange bist du schon ein Werwolf?«

»Zwei Monate«, sagte Mac und lehnte den Kopf an die Werkzeugkiste, um an die Decke zu schauen. »Meine Freundin hat es umgebracht, aber ich habe überlebt. Irgendwie.«

Er hatte Glück, dachte ich, und erinnerte mich an das, was ich aus seinem Anruf geschlossen hatte. Er hatte seine Freundin also doch nicht selbst getötet! Wahrscheinlich fühlte er sich jedoch schrecklich, und ich würde ihm nicht sagen, dass es noch schlimmer werden könnte.

»Erzähl mir von deinem Leben danach. Woher kamen diese Männer? Stammst du aus den Tri-Cities?« In den letzten sechs Wochen hatte ich von keinen seltsamen Todesfällen oder Verschwundenen gehört.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, aus Naperville.« Nach meinem fragenden Blick fügte er dann hinzu: »Illinois, nahe Chicago.« Er warf einen Blick zu der Leiche, schloss die Augen und schluckte. »Ich will ihn essen«, flüsterte er.

»Vollkommen natürlich«, erwiderte ich, obwohl ich zugeben musste, dass ich gerne von ihm weggerückt wäre. Der Himmel möge mir helfen, hier mit einem frischen Werwolf in einer Werkstatt mit frischem Fleisch zu sitzen, entsprach wirklich nicht meiner Vorstellung von Sicherheit. Aber wir mussten warten, bis Adam kam. Es hätte schlimmer sein können; es hätte näher am Vollmond sein können, oder er hätte ebenso hungrig sein können wie am ersten Tag.

»Wild schmeckt nicht nur besser, es ist auch hinterher einfacher, damit zu leben«, sagte ich, und dann fiel mir ein, dass es vielleicht besser wäre, über etwas anders als Essen zu sprechen. »Was ist nach dem ersten Angriff mit dir passiert? Hat dich jemand ins Krankenhaus gebracht?«

Er sah mich einen Augenblick an, aber ich konnte nicht erkennen, was er dachte. »Nach … nach dem Angriff erwachte ich in einem Käfig, in einer Garage. Es war jemand im Raum, und als ich die Augen öffnete, sagte er: ›Gut, du wirst leben. Leo wird froh sein, das zu sehen.‹«

»Warte mal«, sagte ich. »Leo. Leo … Chicago.« Dann fiel es mir ein. »Leo James. Sieht Leo aus, als solle er ein Nordischer Ski-Champion sein? Groß, dünn und blond.«

Leo war einer der Chicago-Alphas – es gab zwei von ihnen. Leos Territorium umfasste die westlichen Vorstädte. Ich war ihm ein- oder zweimal begegnet. Wir waren beide nicht beeindruckt gewesen, aber wie ich schon sagte, die meisten Werwölfe mögen die anderen Raubtiere nicht.

Mac nickte. »Klingt richtig. Er kam mit dem ersten Kerl und noch einem die Treppe runter. Keiner wollte mit mir reden oder eine meiner Fragen beantworten.« Er schluckte und sah mich nervös an. »Es ist alles so seltsam! Einfach unglaublich!«

»Du sprichst mit einer Frau, die sich in einen Kojoten verwandeln kann«, sagte ich leise. »Erzähl mir einfach nur, was geschehen ist.«

»Na gut.« Er nickte. »Na gut. Ich war immer noch schwach und durcheinander, aber es klang, als stritte sich Leo mit den dritten Mann um Geld. Es klang, als habe er mich für zwölftausend Dollar verkauft.«

»Leo hat dich für zwölftausend Dollar verkauft?«, wiederholte ich ebenso sehr zu mir selbst wie zu Mac. Meine Stimme mochte sachlich geklungen haben, aber Mac hatte recht, das war tatsächlich unglaublich. Nicht, dass ich ihn für einen Lügner hielt. »Er hat dich und deine Freundin von einem seiner Wölfe angreifen lassen, und als du überlebt hast, hat er dich als neu verwandelten Werwolf an jemand anderen verkauft.«

»Das glaube ich, ja«, sagte Mac.

»Du hast heute Nachmittag zu Hause angerufen?«, fragte ich. Ich lächelte bei seinem misstrauischen Blick. »Ich habe ein ziemlich gutes Gehör.«

»Meinen Bruder. Sein Handy.« Er schluckte. »Es ist kaputt. Die Nummern werden nicht angezeigt. Ich musste meiner Familie sagen, dass ich noch lebe. Die Polizei nimmt wahrscheinlich an, dass ich Meg umgebracht habe.«

»Du hast gesagt, du seiest hinter ihrem Mörder her«, machte ich weiter.

Er stieß ein freudloses Lachen aus. »Als ob ich ihn finden könnte!«

Das konnte er vielleicht sogar. Es war alles eine Frage seiner neuen Sinne, aber das würde ich ihm nicht verraten, jedenfalls nicht jetzt. Wenn Mac diesen Angreifer fand, war es durchaus möglich, dass er dabei umkam.

Ein neuer Werwolf hat einfach keine Chance gegen die älteren.

Ich tätschelte sein Knie. »Keine Sorge. Sobald wir die richtigen Leute informieren – und Adam ist genau der Richtige –, ist Leo so gut wie tot. Der Marrok wird keine Rudelführer zulassen, die ihre jungen Wölfe gegen Geld verkaufen.«

»Der Marrok?«

»Entschuldige«, sagte ich. »Wie ich dir bereits sagte, sind Werwölfe, wenn man mal von ein paar Abtrünnigen absieht, in Rudeln organisiert, die von einem Alpha geführt werden.

Früher einmal gab es nicht mehr als das. Aber um ein Leitwolf zu sein, braucht man Macht, nicht unbedingt Intelligenz, und keine Vernunft. Im Mittelalter, nach der Schwarzen Pest, war die Werwolf-Bevölkerung beinahe ausgelöscht, zusammen mit den echten Wölfen, und das überwiegend wegen der unüberlegten Handlungen einiger Alphas. Danach wurde beschlossen, einen Anführer aller Werwölfe einzusetzen.

Hier in den Staaten folgen die Rudel dem Marrok – der Titel stammte vom Namen eines der Ritter König Arthurs, der selbst ein Werwolf war. Der Marrok und sein Rudel beaufsichtigen alle anderen Werwölfe in Nordamerika.«

»Es gibt noch mehr von uns?«, fragte er.

Ich nickte. »Etwa zweitausend in den USA, fünf- oder sechshundert in Kanada und etwa vierhundert in Mexiko.«

»Wie kommt es, dass du so viel über Werwölfe weißt?«

»Ich wurde von ihnen aufgezogen.« Ich wartete darauf, dass er mich fragte, warum, aber er hatte die Aufmerksamkeit wieder der Leiche zugewandt. Er atmete tief ein und schaute den Körper begierig an.

»Weißt du, was sie von dir wollten?«, fragte ich schnell.

»Sie sagten mir, sie seien auf der Suche nach einem Heilmittel. Taten Zeug in mein Essen – ich konnte es riechen, aber ich hatte Hunger, also habe ich es trotzdem gegessen. Manchmal haben sie mir auch Spritzen gegeben, und einmal, als ich nicht mit ihnen zusammenarbeiten wollte, verwendeten sie ein Betäubungsgewehr.«

»Als du draußen mit ihnen gesprochen hast, sagtest du, sie hätten auch andere wie dich in ihrer Gewalt?«

Er nickte. »Der Käfig befand sich in einem LKW-Anhänger. Insgesamt gab es vier Käfige. Erst waren wir zu dritt … ein Mädchen in meinem Alter und ein Mann. Das Mädchen war ziemlich fertig – sie starrte nur ins Nichts und wiegte sich hin und her. Der Mann konnte kein Englisch. Er klang wie ein Pole, aber er hätte auch ein Russe sein können. Nachdem ich einmal von etwas, was sie mir gegeben hatten, bewusstlos geworden war, erwachte ich und war allein.«

»Drogen funktionierten bei Werwölfen nicht«, sagte ich. »Ihr Metabolismus läuft zu schnell.«

»Dieses Zeug hat funktioniert«, sagte er.

Ich nickte. »Ich glaube dir. Aber sie hätten das nicht tun dürfen! Wie bist du entkommen?«

»Ich konnte mich verändern, als sie versucht haben, mir etwas anderes zu geben. Ich kann mich nicht an viel von dem erinnern, was dann passiert ist, außer, dass ich gerannt bin.«

»Befand sich der Anhänger hier in den Tri-Cities?«, fragte ich.

Er nickte. »Ich denke schon. Aber ich glaube nicht, dass ich ihn wiederfinden könnte. Ich erinnere mich nicht an alles, was geschieht, wenn …« Seine Worte brachen ab.

»Wenn du der Wolf bist.« Erinnerung kam mit Erfahrung und Beherrschung – das hatte man mir jedenfalls gesagt.

Ein fremdes Auto fuhr mit dem leisen Schnurren eines teuren Motors auf die Werkstatt zu.

»Was ist?«, fragte Mac, als ich aufstand.

»Hörst du das Auto nicht?«

Er setzte dazu an, den Kopf zu schütteln, aber dann hielt er inne. »Ich – ja. Ja.«

»Es hat auch Vorteile, ein Werwolf zu sein«, sagte ich. »Einer davon besteht darin, besser hören und riechen zu können als die Durchschnittsbürger.« Ich stand auf. »Es fährt auf den Parkplatz. Ich gehe raus und sehe nach, wer das ist.«

»Vielleicht der Mann, den du angerufen hast. Der Alpha.«

Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nicht sein Auto.«