3

Ich schlüpfte durch das Büro und öffnete vorsichtig die Tür nach draußen. Der Geruch nach Parfum und Kräutern in der Luft sagte mir, dass immer noch alles in Ordnung war.

Ein dunkler Cadillac stand direkt neben Stefans Bus auf dem Pflaster. Als ich die Tür aufschob, grüßte mich ein Chauffeur in Uniform, dann öffnete er die hintere Tür des Autos, und eine ältere Frau erschien in meinem Blickfeld.

Ich streckte den Kopf wieder ins Büro und rief: »Alles in Ordnung, Mac. Nur die Putzmannschaft.«

Den Menschen nichts über die Magie zu verraten, die in der Welt existiert, ist ein hoch spezialisiertes und lukratives Geschäft, und Adams Rudel beschäftigte die beste Hexe im pazifischen Nordwesten. Die Gerüchte über den Ursprung von Elizaveta Arkadyevna Vyshnevskayas Familie und wie sie in die Tri-Cities gekommen war, erhielten jede Woche neue Nahrung. Ich glaube, sie und ihre Brut von Enkeln und Urenkeln erzählen die ungeheuerlichsten Versionen selbst. Sicher wusste ich nur, dass sie selbst in Moskau geboren wurde und in den letzten zwanzig Jahren in den Tri-Cities gelebt hatte.

Elizaveta stieg mit der Dramatik einer Primaballerina aus der Tiefe des Wagens. Das Bild, das sie dabei abgab, war ein echter Hingucker.

Sie war beinahe eins achtzig groß und kaum mehr als Haut und Knochen, mit einer lang gezogenen, eleganten Nase und grauen, durchdringenden Augen. Ihre Kleidung lag vom Stil her irgendwo zwischen Babuschka und Baba Jaga. Schichten von teurem Stoff fielen bis auf ihre Waden hinab, alle bedeckt von einem langen Wollumhang und einem abgetragenen Tuch, das sie sich um Kopf und Hals gewickelt hatte. Ihr Aufzug hatte selbstverständlich nichts Authentisches an sich, zumindest nicht in Bezug auf irgendeinen Zeitpunkt oder Ort, von dem ich je gehört hätte, aber ich hatte nie den Mut aufbringen können, ihr das zu sagen.

»Willkommen, Elizaveta Arkadyevna«, sagte ich und ging an dem Bus vorbei zu ihrem Wagen.

Sie starrte mich an. »Mein Adamya sagt, du hast einen seiner Wölfe umgebracht.« Ihre Stimme war so kühl wie die einer britischen Adligen, also wusste ich, dass sie ärgerlich war – normalerweise sprach sie mit so schwerem Akzent, dass ich mich wirklich anstrengen muss, sie zu verstehen. Wenn sie allerdings wirklich wütend war, schien sie überhaupt kein Englisch zu sprechen.

»Er war ein Werwolf, ja«, stimmte ich zu. »Aber ich glaube nicht, dass es einer von Adams Leuten ist.« Adamya, hatte ich gelernt, war eine liebevolle Form von Adam. Ich glaube nicht, dass sie ihn jemals direkt so ansprach. Elizaveta war selten liebevoll zu jemandem, der sie dabei hören konnte.

»Die Leiche liegt in der Werkstatt«, berichtete ich. »Aber dort drüben auf der Straße ist auch überall Blut. Der Werwolf hat mich mit einer zerrissenen Arterie gejagt. Er hat den Zaun dort an zwei Stellen zerrissen, bevor er auf die Straße fiel. Das Lagerhaus hat Kameras, und ich habe Stefans Bus benutzt«, – ich zeigte darauf –, »um die Leiche zu bewegen.«

Sie sagte etwas auf Russisch zu ihrem Fahrer, den ich als einen ihrer Enkel erkannte. Er verbeugte sich und antwortete, bevor er nach hinten ging, um den Kofferraum zu öffnen.

»Geh«, sagte sie dann zu mir und hob die Arme zu einer nachdrücklichen Geste. »Ich werde mich um das Durcheinander hier kümmern und brauche deine Hilfe nicht. Bleib du bei der Leiche. Adam wird bald hier sein. Sobald er alles gesehen hat, wird er mir sagen, was ich damit machen soll. Hast du diesen Wolf mit einer silbernen Kugel umgebracht? Muss ich nach einer Hülse suchen?«

»Mit meinen Zähnen«, sagte ich – sie wusste, was ich bin. »Es war eine Art Unfall – zumindest sein Tod.«

Sie packte mich am Arm, als ich zurück ins Büro gehen wollte. »Was hast du dir dabei nur gedacht, Mercedes Thompson? Ein kleiner Wolf, der einen der Großen angreift, wird bald tot sein, denke ich. Irgendwann wird dir das Glück ausgehen.«

»Er hätte sonst einen Jungen umgebracht, der unter meinem Schutz steht«, antwortete ich. »Mir blieb nichts anderes übrig.«

Sie ließ mich los und schnaubte missbilligend, aber als sie sprach, war ihr russischer Akzent wieder da. »Es gibt immer eine Wahl, Mercy. Immer. Wenn er den Jungen angegriffen hat, kann er keiner von Adamyas Leuten gewesen sein.«

Sie warf ihrem Fahrer einen kurzen Blick zu und bellte einen Befehl. Ich drehte mich um und kehrte zu Mac und unserem toten Werwolf zurück.

Mac hockte nahe der Leiche und leckte sich die Finger, als hätte er gerade das trocknende Blut berührt und müsse seine Hände nun wieder säubern. Kein gutes Zeichen. Irgendwie war ich ziemlich sicher, dass er, wenn er sich erst wirklich beherrschen konnte, solche Dinge nicht tun würde.

»Mac«, sagte ich und schlenderte an ihm vorbei zur anderen Seite der Garage, wo wir gesessen hatten.

Er knurrte mich an.

»Hör auf damit«, sagte ich scharf und strengte mich an, keine Angst zu zeigen. »Reiß dich zusammen und komm hier herüber. Es gibt ein paar Dinge, die du wissen solltest, bevor Adam kommt.«

Bisher hatte ich einen Wettbewerb der Dominanz vermieden, denn meine Instinkte sagten mir, dass Mac ein natürlicher Anführer war, der eines Tages vielleicht selbst zum Leitwolf werden konnte – und ich war eine Frau.

Die Frauenbewegung hatte in der Welt der Werwölfe keine großen Fortschritte gemacht. Die Gefährtin eines Wolfs bezog ihre Position im Rudel von ihrem Gefährten, aber ungebundene Frauen standen stets tiefer in der Rangordnung als die Männer, es sei denn, ein Mann war ungewöhnlich unterwürfig. Diese kleine Tatsache hatte mir, als ich in einem Werwolf-Rudel aufwuchs, jede Menge Ärger eingebracht. Aber ohne jemanden, der dominanter war als er, würde Mac seinen Wolf nicht beherrschen können, und im Augenblick war Adam war noch nicht da, also lag es in meiner Verantwortung, etwas zu unternehmen.

Ich starrte ihn in der besten Imitation meines Pflegevaters an und zog eine Braue hoch. »Mac, um Himmels willen, lass diesen armen toten Mann in Ruhe und komm hier herüber.«

Er stand langsam auf, wobei er beinahe spürbar Gefahr ausstrahlte. Dann schüttelte er den Kopf, rieb sich das Gesicht und schwankte ein wenig.

»Das hat geholfen«, sagte er. »Kannst du das noch mal machen?«

Ich tat mein Bestes. »Mac. Komm jetzt zu mir.«

Er taumelte wie betrunken auf mich zu und ließ sich zu meinen Füßen nieder.

»Was immer auch geschieht«, erklärte ich streng, »Wenn Adam kommt, sieh ihm nicht länger als eine oder zwei Sekunden in die Augen. Es ist nicht nötig, dich zu ducken – erinnere dich daran, dass du überhaupt nichts falsch gemacht hast. Einiges wirst du hoffentlich instinktiv richtig machen. Lass mich reden. Ich will, dass Adam dich mit nach Hause nimmt.«

»Ich komme schon alleine zurecht«, widersprach er und klang beinahe wieder wie er selbst, aber er wandte den Kopf wieder der Leiche zu.

»Nein, das wirst du nicht tun«, erklärte ich mit fester Stimme. »In einem Rudel kannst du vielleicht überleben. Aber wenn du einem von Adams Wölfen begegnest, ohne dem Rudel bekannt zu sein, werde sie dich wahrscheinlich umbringen. Außerdem ist der Mond bald voll. Bis dahin kann Adam dir helfen, dein Tier zu kontrollieren.«

»Ich kann das Ungeheuer beherrschen?«, fragte Mac verblüfft.

»Vollkommen«, sagte ich. »Und es ist kein Ungeheuer – nicht mehr als jedes andere Raubtier. Werwölfe sind heißblütig und aggressiv, ja, aber sie sind nicht böse.« Ich dachte an den Wolf, der ihn verkauft hatte, und verbesserte mich. »Jedenfalls nicht mehr als jeder andere.«

»Ich erinnere mich nicht mal mehr daran, was es tut«, sagte Mac. »Wie kann ich es dann beherrschen?«

»Die ersten paar Male ist es schwieriger«, erwiderte ich. »Ein guter Leitwolf kann dir dabei helfen. Sobald du weißt, was du tust, wirst du, wenn du willst, zu deinem alten Leben zurückkehren können. Du wirst ein bisschen vorsichtig sein müssen; selbst in Menschengestalt wirst du dich daran gewöhnen müssen, ungeduldiger und stärker zu sein, als du warst. Adam wird es dir beibringen.«

»Ich könnte niemals zurückkehren«, flüsterte er.

»Lerne erst einmal, dich in die Gewalt zu bekommen«, erwiderte ich. »Es gibt Leute, die dir mit dem Rest helfen können. Gib nicht auf.«

»Du bist nicht wie ich.«

»Nein«, stimmte ich zu. »Ich bin ein Walker, das ist etwas anderes als das, was du bist. Ich wurde so geboren.«

»Ich habe noch nie von einem Walker gehört. Hat das etwas mit dem Feenvolk zu tun?«

»Dicht dran«, erwiderte ich. »Ich verfüge allerdings nicht über viele dieser interessanten Eigenschaften, die ihr habt. Keine Superkraft. Keine Superheilfähigkeit. Kein Rudel.«

»Keine Chance, dass du deine Freunde essen könntest«, murmelte er. Ich wusste nicht, ob er komisch sein wollte oder nicht.

»Es gibt tatsächlich ein paar gute Seiten«, stimmte ich zu.

»Wie hast du so viel über Werwölfe gelernt?«

Ich wollte eigentlich auf die Kurzversion zurückgreifen, kam dann aber zu dem Schluss, dass es vielleicht helfen würde, ihn abzulenken, wenn ich die längere Variante erzählte.

»Meine Mutter war ein Rodeo-Groupie«, begann ich und setzte mich neben ihn. »Sie mochte Cowboys, alle Cowboys. Und besonders gern mochte sie einen Blackfoot-Stierreiter namens Joe Old Coyote aus Browning, Montana. Genug, um mit mir schwanger zu werden. Sie sagte, er habe behauptet, einer alten Familie von Medizinmännern zu entstammen, aber damals glaubte sie, dass er sie nur beeindrucken wollte. Er starb drei Tage, nachdem sie ihm begegnet war, bei einem Autounfall.

Sie war siebzehn, und ihre Eltern versuchten, sie zu einer Abtreibung zu überreden, aber davon wollte sie nichts wissen. Dann versuchten sie, sie dazu zu bringen, mich adoptieren zu lassen, aber meine Mutter war entschlossen, mich selbst aufzuziehen – bis ich drei Monate alt war und sie in meiner Wiege einen Kojotenwelpen fand.«

»Was hat sie getan?«

»Sie versuchte, die Familie meines Vaters zu finden«, erzählte ich. »Sie ging nach Browning und fand mehrere Familien mit seinem Nachnamen, aber die behaupteten alle, sie hätten nie von Joe gehört. Er war allerdings eindeutig ein Blackfoot.« Ich deutete auf mein Gesicht. Ich sehe nicht reinrassig aus, dafür sind meine Züge zu englisch. Aber meine Haut wirkt selbst im November gebräunt, und mein glattes Haar ist so dunkel wie meine Augen. »Ansonsten weiß ich nicht viel über ihn.«

»Old Coyote«, sagte Mac nachdenklich.

Ich lächele ihn an. »Bringt einen schon auf die Idee, dass diese Veränderung in der Familie liegen könnte, wie?«

»Wie kam es dann, dass du von Werwölfen aufgezogen wurdest?«

»Der Onkel meines Urgroßvaters war einer«, sagte ich. »Es hätte ein Familiengeheimnis sein sollen, aber es ist ziemlich schwierig, meiner Mutter Geheimnisse vorzuenthalten. Sie lächelt die Leute einfach nur an, und sie fangen an, ihr Leben zu erzählen. Jedenfalls geriet sie an diese Telefonnummer und rief ihn an.«

»Wow«, sagte Mac. »Ich bin nie einem meiner Urgroßeltern begegnet.«

»Ich auch nicht.« Ich lächelte. »Nur einem Onkel meines Uropas, der ein Werwolf war. Einer der Vorteile deines neuen Daseins besteht in einem sehr langen Leben.« Zumindest wenn man den Wolf beherrschen lernt – aber das würde Adam besser erklären können als ich.

Macs Blick wurde wieder von unseren toten Freund angezogen.

»Na ja.« Ich seufze. »Dummheit bringt einen immer noch um. Der Onkel meines Urgroßvaters war schlau genug, seine Generation zu überleben, aber selbst all diese Jahre verhinderten nicht, dass er aufgeschlitzt wurde wie ein Elch, als er eines Nachts jagte.«

Nachdem ich ihm einen Moment gegeben hatte, um darüber nachzudenken, fuhr ich fort: »Jedenfalls kam er zu Besuch, und sobald er mich sah, wusste er, was ich war. Das war noch zu einer Zeit, bevor das Feenvolk in die Öffentlichkeit trat, und als Leute immer noch versuchten, so zu tun, als hätte die Naturwissenschaft jede Möglichkeit von Magie ausgeschlossen. Mein Onkel überredete meine Mutter, dass ich draußen im Hinterland von Montana sicherer sei, aufgezogen vom Rudel des Marrok – sie haben ihre eigene kleine Stadt in den Bergen, wo Fremde sie selten stören. Man brachte mich dort zu einer Familie, die keine eigenen Kinder hatte.«

»Deine Mutter hat dich einfach so weggeben?«

»Meine Mutter kam jeden Sommer zu uns, und das hat es für sie nicht einfacher gemacht. Der Marrok ist nicht besonders begeistert von Menschen, wenn man mal von seinen eigenen Gefährten und Kindern absieht.«

»Ich dachte, der Marrok wäre der Wolf, der Nordamerika beherrscht«, sagte Mac.

»Rudel übernehmen manchmal ihren Namen von ihrem Anführer«, sagte ich. »Also nennt sich das Rudel auch selbst der Marrok. Häufiger findet man geographische Bezüge zum Gelände. Adams Wölfe sind das Columbia-Rudel. Das einzige andere Rudel in Washington ist das Smaragdrudel in Seattle.«

Mac hatte eine weitere Frage, aber ich hob die Hand, und brachte ihn so dazu, still zu sein. Ich hatte Adams Auto gehört.

»Erinnere dich daran, was ich dir über den Leitwolf gesagt habe«, verkündete ich und stand auf. »Er ist ein guter Mann, und du brauchst ihn. Bleib einfach hier, senke den Blick, lass mich reden, und alles kommt in Ordnung.«

Das schwere Garagentor von Bucht eins klang wie eine riesige Zimbel, als es schneller als sonst aufgerissen wurde.

Dann stand Adam Hauptmann schweigend in dem offenen Bereich, und einen Augenblick sah ich ihn nur mit meinen Augen an, wie ein Mensch es tun würde. Er war den Blick wert.

Trotz seines deutschen Nachnamens waren sein Gesicht und seine Erscheinung slawisch: matte Haut, dunkles Haar – wenn auch nicht so dunkel wie meins –, breite Wangenknochen und ein schmaler, aber sinnlicher Mund. Er war nicht besonders groß oder kräftig, und ein Mensch mochte sich fragen, wieso sich ihm aller Augen zuwendeten, sobald er einen Raum betrat. Dann würde er in sein Gesicht sehen und fälschlicherweise annehmen, dass es daran lag. Adam war ein Alpha, und auch wenn er hässlich gewesen wäre, hätte er sicher Aufmerksamkeit erregt, sei es bei Mensch oder Wolf – aber die männliche Schönheit, die er so unbewusst ausstrahlte, schadete seinem Führungsanspruch nicht.

Unter normalen Umständen waren seine Augen von einem üppigen Schokoladenbraun, aber nun leuchteten sie vor Zorn beinahe gelb. Ich hörte Mac keuchen, als die volle Wirkung von Adams Gefühlen ihn traf, also war ich vorbereitet und ließ die erste Machtwelle von mir ablaufen wie Meerwasser von einem Bullauge.

Vielleicht hätte ich zuvor am Telefon doch besser alles erklären sollen, aber das hätte den ganzen Spaß verdorben.

»Was ist los?«, fragte er leiser als der erste Schneefall im Winter.

»Es ist kompliziert«, sagte ich und sah ihn zwei volle Sekunden an, bevor ich den Kopf abwandte und auf die Leiche zeigte. »Der Tote ist dort. Wenn er dir gehört, ist er neu – und du hast bei deiner Aufgabe versagt. Er war so taub und blind wie ein Mensch. Ich konnte ihn überraschen, und dann war er zu dumm zu erkennen, dass die Wunde sich nicht so schnell schließen würde wie üblich. Er ließ sich verbluten, weil er zu sehr damit beschäftigt war –«

»Das reicht, Mercedes«, knurrte er, ging zu dem toten Wolfsmann und kniete sich neben ihn. Er bewegte die Leiche, und einer ihrer Arme rollte schlaff über den Boden.

Mac jaulte gierig, dann senkte er den Kopf und drückte ihn gegen meinen Oberschenkel, damit er nicht mehr sehen konnte, was geschah.

Das Geräusch lenkte Adams Aufmerksamkeit sofort auf den Jungen zu meinen Füßen.

Er knurrte. »Der da ist keiner von meinen Leuten – und der andere auch nicht.«

»Sehr liebenswert«, sagte ich. »Man sollte deiner Mutter wirklich für deine Erziehung Komplimente machen, Hauptmann.«

»Vorsichtig«, flüsterte er. Das war keine Drohung, sondern eine Warnung.

Also gut. Er machte mir Angst. Wirklich Angst. Das wäre ihm wahrscheinlich selbst als Mensch gelungen.Aber ich würde ihn nicht wissen lassen, wie sehr er mich einschüchterte.

»Adam Hauptmann«, sagte ich höflich, um ihm zu zeigen, wie man es richtig machte, »darf ich dir Mac vorstellen – das ist der einzige Name, unter dem ich ihn kenne. Er wurde etwa vor zwei Monaten in Chicago von einem Werwolf angegriffen. Der Werwolf brachte seine Freundin um, aber Mac überlebte. Ein Mann, der sich sehr nach dem Chicagoer Leitwolf Leo anhört, hat ihn an jemanden verkauft, der ihn in einem LKW-Anhänger in einem Käfig hielt und ihn dort offenbar für Drogenexperimente benutzte, bis er ausbrechen konnte. Letzten Freitag tauchte er vor meiner Tür auf und fragte nach Arbeit.«

»Und du hast mich nicht davon informiert, dass ein fremder Wolf bei dir erschienen ist?«

Ich seufzte dramatisch. »Ich gehöre nicht zu deinem Rudel, Adam. Ich weiß, es fällt dir schwer, das zu begreifen, also werde ich es noch einmal ganz langsam sagen: Ich gehöre dir nicht. Ich habe keinerlei Verpflichtung, dir irgendetwas zu erzählen.«

Adam fluchte barsch. »Neue Werwölfe sind gefährlich, Frau. Besonders, wenn sie frieren und Hunger haben.« Er sah Mac an, und seine Stimme änderte sich vollkommen. Alle Hitzigkeit, aller Zorn, verschwanden daraus. »Mercy, komm her.«

Ich senkte den Blick nicht, um nachzusehen, was er in Macs Gesicht entdeckt hatte. Ich machte einen Schritt, musste aber feststellen, dass Mac mein linkes Bein gepackt hatte. Also blieb ich lieber stehen, bevor ich fiel. »Äh, ich stecke hier ein wenig fest.«

»Für ein kluges Mädchen kannst du manchmal wirklich ziemlich dumm sein«, sagte er mit weicher, sanfter Stimm, um den Werwolf an meiner Seite nicht zu erschrecken. »Dich mit einem neuen Wolf und einer Leiche in einer Werkstatt einzuschließen, ist nicht das Schlaueste, was du je getan hast. Ich verfüge noch über keine Verbindung zu ihm. Es würde helfen, seinen wirklichen Namen zu wissen.«

»Mac«, murmelte ich. »Wie heißt du?«

»Alan«, antwortete Mac verträumt und richtete sich auf die Knie auf, sodass sein Gesicht an meinen Bauch gepresst war. »Alan MacKenzie Frazier, nach meinem Großvater, der in dem Jahr starb, als ich zur Welt kam.« Die Bewegung schob mein Hemd nach oben, und er leckte über meine nackte Haut. Für einen Außenseiter mochte das sinnlich wirken, aber der Bauch ist eine sehr verwundbare Stelle, ein bevorzugter Platz für einen Biss von Raubtieren. »Du riechst gut«, flüsterte er.

Er roch nach Werwolf, und ich begann, in Panik zu geraten – was im Moment nicht gerade nützlich war.

»Alan«, sagte Adam und ließ den Namen auf der Zunge rollen. »Alan MacKenzie Frazier, komm zu mir.«

Mac löste für einen Augenblick seine Hand von mir, aber dann schlang er die Arme schmerzhaft fest um meine Hüften. Er starrte Adam an und knurrte, ein leises Geräusch, das bewirke, dass seine Brust gegen mein Bein vibrierte.

»Meins«, sagte er.

Adam kniff die Augen zusammen. »Das denke ich nicht. Sie gehört mir.«

Der Besitzanspruch der beiden Männer hätte schmeichelhaft sein können; aber leider wusste ich, dass mindestens einer der beiden vom Abendessen sprach, und bei dem anderen war ich mir nicht sicher. Während Mac von Adam abgelenkt wurde, griff ich hinter mich und holte mein großes Stemmeisen aus dem Regal direkt hinter mir, dann ließ ich es auf Macs Schlüsselbein herunterkrachen.

Es war ein ungeschickter Schlag ohne viel Hebelwirkung, aber das Schlüsselbein ist selbst bei einem Werwolf leicht zu brechen. Ich hörte den Knochen knacken, riss mich aus Macs Griff los und rannte durch die Werkstatt, während er versuchte, mit dem unerwarteten Schmerz fertig zu werden.

Ich hatte ihm nur ungern wehgetan, aber die Verletzung würde in ein paar Stunden heilen. Ich wollte ganz bestimmt nicht, dass er mich aß oder auch nur angriff. Ich glaube nicht, dass er die Art Person war, die sich von einem Mord so leicht erholen würde wie von einem gebrochenen Knochen.

Adam bewegte sich beinahe so schnell wie ich. Er packte Mac am Hals und zog ihn auf die Beine.

»Adam«, sagte ich aus der relativen Sicherheit des anderen Endes der Werkstatt heraus. »Er ist neu und hat keine Ahnung von irgendwas. Ein Opfer.« Ich sprach leise, um die Situation nicht noch schlimmer zu machen.

Es half, dass Mac im Augenblick nicht besonders gefährlich wirkte. Er hing schlaff in Adams Griff. »Tut mir leid«, sagte er beinahe unhörbar. »Tut mir leid.«

Adam schnaubte gereizt und stellte ihn auf den Boden – auf die Füße, aber als Macs Knie sich als wacklig erwiesen, ließ er ihn bis ganz nach unten sinken.

»Tut weh«, murmelte Mac.

»Ich weiß.« Adam schien nicht mehr zornig zu sein – aber selbstverständlich sprach er jetzt auch mit Mac und nicht mit mir. »Wenn du dich veränderst, wird es schneller heilen.«

Mac sah ihn blinzelnd an.

»Ich glaube nicht, dass er weiß, wie man das bewusst macht«, warf ich ein.

Adam richtete einen nachdenklichen Blick auf die Leiche, dann sah er mich an. »Du hast etwas über einen Käfig und Experimente gesagt.«

Mac schwieg, also nickte ich. »Das hat er mir erzählt. Jemand verfügt offenbar über eine Droge, die bei Werwölfen wirkt.« Ich erzählte ihm, was ich gehört hatte, dann berichtete ich noch einmal über die Einzelheiten meiner eigenen Begegnung mit dem toten Werwolf und seinem menschlichen Kollegen. Das hatte ich zwar schon vorher getan, war aber nicht sicher, wie viele Informationen durch Adams ersten Zorn gedrungen waren, also wiederholte ich es lieber noch einmal.

»Verdammt noch mal«, sagte Adam beinahe sofort, als ich fertig war. »Armer Junge.« Er wandte sich Mac zu. »Also gut. Du wirst es schon schaffen. Als Erstes werde wir deinen Wolf herausrufen, damit du besser heilen kannst.«

»Nein.« Mac sah mich entsetzt an, dann den toten Wolfsmann. »Ich kann mich nicht beherrschen, wenn ich in diesem Zustand bin. Ich werde jemanden verletzen.«

»Sieh mich an«, sagte Adam, und ich war froh, dass die dunkle, raue Stimme nicht an mich gerichtet gewesen war. Ich war imstande, den Blick von ihm zu wenden. Mac hingegen wirkte wie gebannt.

»Schon gut, Alan. Ich werde nicht zulassen, dass du Mercy wehtust – so sehr sie es auch verdient hätte. Und«, fuhr er fort und bewies damit ein weiteres Mal seine gute Wahrnehmung, »ich werde auch nicht gestatten, dass du den Toten isst.«

Als der Junge zögerte, kehrte ich zu Adam zurück und kniete mich neben ihn, damit ich Mac in die Augen sehen konnte. »Ich habe dir doch gesagt, dass er deine Wolfsgestalt beherrschen kann, bis du das tust. Deshalb ist er der Leitwolf. Du kannst ihm vertrauen.«

Mac starrte mich an, dann schloss er die Augen und nickte. »Also gut. Aber ich weiß nicht, wie.«

»Du wirst es schon begreifen«, sagte Adam. »Und im Augenblick kann ich dir helfen.« Sein Knie schob mich weg, als er sein Taschenmesser herausholte. »Es wird ohne deine Kleidung einfacher sein.«

Ich stand so unauffällig wie möglich auf und versuchte, nicht zusammenzuzucken, als Mac aufschrie.

Die Veränderung eines Werwolfs erfolgt selbst unter den besten Umständen nicht einfach oder schmerzlos, und ohne die Hilfe des Mondes ist es schlimmer. Ich weiß nicht, warum sie sich nicht so einfach verändern können wie ich, aber ich musste mir die Ohren vor den gequälten Geräuschen zuhalten, die aus der Ecke meiner Werkstatt kamen. Sicher machte das gebrochene Schlüsselbein die Sache für Mac nicht leichter. Einige Werwölfe können sich mit gewisser Übung relativ schnell verändern, aber ein neuer Werwolf braucht oft viel Zeit.

Ich schlüpfte durch das Büro aus der Werkstatt und ging nach draußen, um den beiden ein wenig Privatsphäre zu lassen, und auch, weil ich Mac nicht mehr leiden hören konnte. Ich setzte mich auf die einzelne Zementstufe vor dem Büro und wartete.

Elizaveta kehrte gerade zurück und stützte sich im gleichen Augenblick auf den Arm ihres Enkels, als Macs Schrei sich in ein Wolfsheulen verwandelte.

»Ein anderer Werwolf?«, fragte sie.

Ich nickte und stand auf. »Der Junge, von dem ich Ihnen erzählt habe«, sagte ich. »Aber jetzt ist Adam hier, also ist es ungefährlich. Ist Stefans Bus sauber?« Ich nickte zu dem Kleinbus hinüber.

»Ja, ja. Glaubst du, du hättest es mit einer Amateurin zu tun?« Sie schnaubte beleidigt. »Dein Vampirfreund wird nie erfahren, dass sich eine andere Leiche als seine eigene in dem Wagen befand.«

»Danke.« Ich legte den Kopf schief, konnte aber von drinnen nichts mehr hören, also öffnete ich die Bürotür und rief: »Adam?«

»Schon gut«, sagte er. Er klang müde. »Alles in Ordnung.«

»Elizaveta und ihr Chauffeur sind hier«, warnte ich ihn, falls ihm das nicht aufgefallen war, als er zur Werkstatt kam.

»Schick sie rein.«

Ich hätte die Tür aufgehalten, aber Elizavetas Enkel nahm mir die Klinke aus der Hand und hielt die Tür für uns beide auf. Elizaveta verlagerte ihren knochigen Griff von seinem Arm zu meinem, aber nach der Stärke dieses Griffs war ich ziemlich sicher, dass sie meine Hilfe nicht wirklich gebraucht hätte.

Mac hatte sich in der anderen Ecke der Werkstatt zusammengerollt. Seine Wolfsgestalt war dunkelgrau und verschwamm beinahe mit den Schatten auf dem Zementboden. Er hatte einen weißen Fuß und einen weißen Streifen auf der Nase. Werwölfe haben für gewöhnlich Markierungen, die eher nach Hund als nach Wolf aussehen. Ich wusste nicht, warum das so war. Bran, der Marrok, hatte einen weißen Fleck am Schwanzende, als hätte er ihn in einen Farbeimer getaucht. Ich hatte das immer für niedlich gehalten – aber natürlich nie den Mut aufgebracht, ihm das zu sagen.

Adam kniete neben dem Toten und achtete nicht mehr auf Mac. Er blickte auf, als wir das Büro betraten. »Elizaveta Arkadyevna«, sagte er höflich, dann fügte er etwas auf Russisch hinzu. Schließlich wechselte er wieder zu Englisch und fuhr fort: »Robert, danke, dass Sie ebenfalls heute Nacht hierher gekommen sind.«

Elizaveta sagte etwas auf Russisch zu Adam.

»Noch nicht ganz«, erwiderte Adam. »Können Sie seine Veränderung rückgängig machen?« Er deutete auf den Toten. »Ich erkenne seinen Geruch nicht, aber ich würde mir gerne sein Gesicht ansehen.«

Elizaveta verzog das Gesicht und begann, auf Russisch auf ihren Enkel einzureden. Seine Reaktion ließ sie nicken, und dann rezitierten sie gemeinsam ein paar Worte, bevor sie sich wieder Adam zuwandten. »Das ist wahrscheinlich möglich. Ich werde es auf jeden Fall versuchen.«

»Ich nehme nicht an, dass du hier eine Kamera hast, Mercy?«, fragte Adam.

»Doch« erwiderte ich. Ich arbeite an alten Autos. Manchmal sind sie sogar älter als ihre Besitzer, und ich »restauriere« sie auf eine neue und interessante Art. Oft erweisen sich dabei Vorher- und Nachher-Fotos des Wagens als nützlich, wenn ich ihn wieder zusammengesetzt habe. »Ich hole sie.«

»Und bring auch ein Stück Papier und ein Stempelkissen, wenn du eins hast. Ich werde seine Fingerabdrücke zur Identifikation an einen Freund schicken.«

Als ich zurückkehrte, hatte die Leiche wieder menschliche Gestalt, und die Wunde, die ich in ihre Kehle gerissen hatte, klaffte weit auf. Die Haut des Toten war bläulich vom Blutverlust. Ich hatte schon öfter Leichen gesehen, aber keine, für die ich selbst verantwortlich war.

Die Verwandlung hatte seine Kleidung zerrissen – und nicht auf diese interessante Weise, die man immer in Comics sieht. Seine Hose war aufgerissen, ebenso wie sein blutdurchtränktes Hemd an Hals und Schultersaum. Es wirkte schrecklich würdelos.

Adam nahm mir die digitale Kamera ab und machte ein paar Fotos aus unterschiedlichen Winkeln, dann steckte er sie wieder zurück in die Tasche und schlang sich alles über die Schulter.

»Ich bringe sie dir zurück, sobald ich die Bilder heruntergeladen habe«, versprach er zerstreut, dann griff er nach dem Papier und dem Stempelkissen und drückte die schlaffen Finger der Leiche recht gekonnt in die Tinte und auf das Blatt.

Danach ging alles ziemlich schnell. Adam half Elizavetas Enkel, die Leiche in der großzügigen Tiefe des Caddie-Kofferraums zu versenken. Elizaveta vollführte ihr Gemurmel und die Gesten, die meine Werkstatt mit Magie überzogen und sie hoffentlich von allen Beweisen reinigten, dass sich hier je ein toter Mann befunden hatte. Sie nahm auch Macs Kleidung mit.

»Still«, sagte Adam, als Mac widerstrebend knurrte. »Es waren ohnehin kaum mehr als Lumpen. Ich habe zu Hause Sachen, die dir passen sollten, und wir werden morgen mehr kaufen.«

Mac sah ihn an.

»Ja, du kommst mit mir nach Hause«, stellte Adam in einem Tonfall fest, der keinen Widerspruch duldete. »Ich lasse keinen neuen Werwolf frei in meiner Stadt herumlaufen. Du kommst mit und lernst ein oder zwei Dinge, und dann lasse ich dich vielleicht bleiben, wenn du dich dazu entscheidest – aber erst, wenn ich weiß, dass du dich beherrschen kannst.«

»Ich gehe jetzt. Es ist nicht gut für eine alte Frau, so lange wach zu sein«, verkündete Elizaveta. Dann sah sie mich an und sagte säuerlich: »Tu möglichst eine Weile nichts Dummes mehr, Mercedes. Ich will nicht wieder mitten in der Nacht hierher kommen müssen.«

Das klang, als müsse sie meine Werkstatt regelmäßig aufräumen, obwohl heute das erste Mal gewesen war. Ich war müde, und das unangenehme Gefühl, einen Mann getötet zu haben, bedrängte meinen Magen immer noch, das Abendessen von sich zu geben. Ihre Bemerkung ärgerte mich gewaltig. Ich war zu aufgekratzt, um mich zurückzuhalten, also kam meine Reaktion nicht so diplomatisch heraus, wie sie hätte sein sollen.

»Das liegt ganz sicher auch nicht in meiner Absicht«, sagte ich eingeschnappt.

Sie registrierte die angedeutete Schärfe; aber ich riss die Augen weit auf, damit sie nicht wissen konnte, ob ich es ernst meinte oder nicht. Hexen zu beleidigen, steht auf der Dummheitsliste sicher direkt oberhalb der Verärgerung von Alpha-Werwölfen und der Unterbringung eines neuen Wolfs neben einer Leiche, und ich hatte an diesem Abend schon alles darunter abgehakt. Aber ich konnte einfach nicht anders. Trotz war eine Gewohnheit, die ich entwickelt hatte, um ich selbst zu bleiben, als ich in einem Rudel dominanter und überwiegend männlicher Werwölfe aufwuchs. Werwölfe haben einen gewissen Respekt vor einer Herausforderung, wie auch jedes andere Raubtier. Wenn man sich zu sehr anstrengt, sie nicht zu verärgern, halten sie das für eine Schwäche – und schwache Geschöpfe sind für sie Beute.

Morgen würde ich wieder alte Autos reparieren und eine Weile den Kopf einziehen. In dieser Nacht hatte ich mein Glück bereits aufgebraucht.

Adam schien der gleichen Meinung zu sein, denn er nahm Elizavetas Hand und legte sie auf seinen Ellbogen, woraufhin sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete und sich zu ihrem Wagen führen ließ. Ihr Enkel Robert grinste mich träge an.

»Sei nett zur Babuschka, Mercy«, sagte er leise. »Sie mag dich, aber das wird sie nicht zurückhalten, wenn sie zu der Ansicht kommt, dass du ihr nicht die angemessene Achtung entgegenbringst.«

»Ich weiß«, erwiderte ich. »Ich gehe jetzt nach Hause und werde sehen, ob ein paar Stunden Schlaf etwas an meiner Zunge ändern können, bevor sie uns noch mehr Ärger macht.« Ich hatte gehofft, witzig zu klingen, aber die Worte kamen nur müde heraus.

Robert lächelte mich mitleidig an, bevor er ging.

Ein schweres Gewicht lehnte sich gegen meine Hüfte, und als ich hinunterschaute, sah ich Mac. Er bedachte mich mit einem Vertrauen heischenden Blick. Adam sprach mit Elizaveta, aber Mac schien nicht mehr in Schwierigkeiten zu sein. Ich kraulte ihn leicht hinter dem aufgerichteten Ohr.

»Komm«, sagte ich. »Schließen wir ab.«

Diesmal vergaß ich nicht, meinen Geldbeutel mitzunehmen.