Die Witwe vom Belgrave
Square
von
Lewis Hammond
Lewis Hammond (1861-1940) war ein englischer Arzt und Versicherungsmathematiker, der sich in jungen Jahren gelegentlich als Erzähler versuchte und hin und wieder bei Zeitschriften mitarbeitete. Eine Sammlung seiner Kurzgeschichten liegt nicht vor. 1940 kam Hammond in London bei einem Luftangriff ums Leben.
Sir Neville Hulme, langjähriger Direktor der Sternwarte von Greenwich, war zweifellos einer unserer bedeutendsten Astronomen, und seine Forschungen auf dem Gebiet der novae fanden ja auch internationale Anerkennung. Aber was immer die Sterne ihm auch verraten haben mochten – über seine eigene Zukunft hatten sie ihm nichts erzählt, sonst hätte er es wohl nicht gewagt, noch im Alter von achtundfünfzig Jahren einen neuen Hausstand zu begründen, und zwar mit der beinahe vierzig Jahre jüngeren Jane Burleigh aus der wallisischen Linie der bekannten Familie.
Die Hochzeit des berühmten Gelehrten, der eine große, schlanke und eindrucksvolle Erscheinung war, mit der auffallend schönen Jane, einem Mädchen keltischen Typs mit roten Haaren, grünen Augen und jener sinnlichen Fülle, wie sie nur noch westlich des Severn vorkommt, verdrängte für einen Tag sogar die Nachrichten von der Weltausstellung in Chicago vom gewohnten Platz, und ganz London beneidete Sir Neville um dieses prachtvolle Geschöpf.
Aber dieses Glück währte eben nicht lange. War es die Notwendigkeit, seine Nächte zwischen den novae und Lady Jane zu teilen, oder war es ganz einfach die natürliche Erschöpfung des Leibes nach einem tätigen Leben: Sir Neville Hulme starb, noch ehe er die zweite Wiederkehr seines Hochzeitstages feiern konnte, im Mai 1895, wie man sich erinnern wird, und kein Geringerer als der Prinz of Wales selbst, der ein vielgerühmtes Kennerauge für weibliche Schönheit sein eigen nennt, stattete Lady Jane Hulme einen Kondolenzbesuch ab.
Als seine königliche Hoheit weltmännisch Abschied genommen und seine sympathische Leibesfülle wieder in die wappengeschmückte Kutsche verfrachtet hatte, klingelte es abermals an der Tür des Trauerhauses am Belgrave Square, und Pamela, das dunkelhäutige Dienstmädchen, meldete Dr. Bruce Atkinson.
Lady Jane hatte den Namen bereits gelesen, wenn ihr auch nicht sogleich einfiel, wo. Es war ein Dokument, ein amtliches Dokument, das sie eben erst unter den Augen gehabt hatte, und so ließ sie denn bitten.
Atkinson war mit seinen dunklen Haaren, der Römernase und dem sinnlichen Mund keine sehr britische Erscheinung, aber groß und schlank und ganz zweifellos ein sehr schöner Mann. Er befreite die junge Witwe sogleich von allen Zweifeln: Er sei der Arzt, der von Amts wegen den Totenschein ausgestellt habe, wie bei allen Todesfällen zwischen Westminster und Kensington, er komme nun aber mit einer sehr persönlichen und beinahe delikaten Bitte.
Jane Hulme wußte, daß sie ungehalten sein müßte, denn es war weiß Gott nicht der Tag, ihr mit persönlichen Anliegen zu kommen. Aber der samtige Blick des jungen Arztes umfing sie mit solcher Innigkeit, daß ihr nach Tagen und Nächten der Einsamkeit und des Schmerzes zum erstenmal wieder warm ums Herz wurde. Hier war endlich jemand, der nicht nur von dem toten Neville sprach, sondern auch für die am Leben gebliebene Jane ein Herz zu haben schien, und so ließ sie denn Tee bringen und warf einen prüfenden Blick in den großen venezianischen Spiegel über dem Kamin. Kein Zweifel: Schwarz kleidete sie, das züchtige Dekollete des schwarzen Kleides wirkte durch die weiße, glatte Eloquenz ihrer Haut nicht minder erregend als ein großer Ausschnitt, und die Fülle ihres roten Haares, mühsam gebändigt über ihrem von den Tränen noch verschleierten Blick, stand im Raum wie ein Fanal, das von ihrer ungebrochenen Schönheit kündete.
In vielen wohlgesetzten, beruhigenden und aufmunternden Worten hatte Doktor Atkinson bald eine wahre Laube des Vertrauens, ja beinahe der Zärtlichkeit über dem kleinen Teetisch erbaut, und darum war es für Lady Jane wie ein harter, grausamer Fall ins Bodenlose, als er plötzlich düster und tonlos sagte:
»Ja und sehen Sie, Mylady, meine Karriere als Arzt wird schon in zehn Tagen enden, ich werde bis an mein Lebensende den traurigen Posten eines Distrikts-Totenbeschauers bekleiden, weil ich zu meiner letzten, abschließenden Prüfung nicht werde antreten können!«
»Noch eine Prüfung?« fragte Lady Jane nicht sonderlich interessiert, denn sie war vollauf damit beschäftigt, den Gewissenskonflikt zwischen ihrer Trauer um Neville und der immer deutlicheren Attraktion Bruce Atkinsons zu dämpfen. Warum gab es auch so schöne Männer in London!
»Gewiß, Mylady, ich habe die akademischen Prüfungen hinter mir und bin Arzt, aber ich brauche noch eine Fachprüfung in dem von mir erwählten Spezialfach der Phrenologie, der Schädelkunde, um die ausgeschriebene einträgliche Stellung am Royal Institute for medical engineering zu erhalten.«
»Und warum wollen Sie zu dieser Prüfung nicht antreten?«
Doktor Atkinson reckte sein untadeliges Profil in tragischer Pose gegen den Plafond und sagte dumpf:
»Ich habe doch keinen Schädel!«
Zu ihrem eigenen Entsetzen mußte Jane lachen, silberhell, fröhlich, wie eine Zwanzigjährige eben lacht. Nur daß sie eben Witwe geworden war.
»Nun«, sagte sie, als sie sich gefaßt hatte, »mit dem Ihren können Sie doch wohl zufrieden sein, Doktor!«
Atkinson wandte sich voll Jane zu, tauchte seinen Blick in den ihren und sagte, als erkläre er einem Kind die Mysterien der Welt:
»Ich brauche einen Schädel für jene Prüfung – den Kopf eines Toten. Ein Studien- und Prüfungsobjekt. Und ich kann nicht bestehen, ich kann die Prüfung nicht erfolgreich ablegen und die Stellung erhalten, wenn ich nicht einen tauglichen, einen überdurchschnittlichen Kopf auftreibe. Denn wir Phrenologen, wir sezieren nicht bloß: Wir erarbeiten uns aus der Kenntnis der einzelnen Hirnpartien ein Bild des neuen Menschen. Mit den exekutierten Leichen aus Old Bailey kann ich nichts anfangen, mit den Ertrunkenen aus der Themse, den Erschlagenen aus Soho, den schwammigen Säufern von den Docks kann ich meinen Konkurrenten nicht schlagen, denn Enver Bostic verfügt über ein hervorragendes Studienobjekt, über den Kopf eines eben zu rechter Zeit verstorbenen Onkels, der immerhin Maler war.«
Lady Jane wurde unbehaglich. Sie verstand so wenig von dem, was der schöne Arzt ihr erzählte, und es war zuviel Fremdes. Sein Blick hatte eine narkotische Wirkung, die ihr neu war: Nach zwei Jahren an der Seite eines sehr viel älteren Mannes trat sie zum erstenmal wieder hinaus in jene Welt, in der die Männer begehrten und die Frauen begehrt wurden – ein Spiel der Kräfte, das in ihrem Heimatort in Wales relativ harmlos abgelaufen war, hier in London aber offensichtlich seine Gefahren hatte.
»Dieser Konkurrent …«, begann sie. »Doktor Bostic!«
»… ist sehr tüchtig?«
»Er hat einen scharfen Verstand, kühne Ideen, bisweilen sogar allzu kühne. Aber er wird sich dank seines besseren Objekts auch besser ins Licht setzen und die Position erhalten, die einzige, die es derzeit für Phrenologen gibt. Und da er so alt ist wie ich, wird er sie innehaben und halten können, bis ich ein alter Mann bin.«
Ein alter Mann … Wie oft hatte sie das gedacht, wenn ihr geliebter Neville, von der Sternwarte kommend, nach einem zärtlichen Kuß auf ihre Stirn eingeschlafen war. Nein, von alten Männern – bei aller Liebe und Verehrung – hatte sie genug.
»Was kann ich für Sie tun, Doktor Atkinson?« fragte sie mutig, obwohl ein leises Grauen sie beschlich.
Auch Atkinson mußte sich erst fassen, ehe er zu seiner Bitte ansetzte:
»Geben Sie mir die Erlaubnis, Mylady, den Kopf des großen Astronomen Sir Neville Hulme bei meinem Examen zu behandeln.«
Die Worte rauschten an Jane vorbei. Nevilles Kopf. Sie sah ihn vor sich, wie er aufgebahrt dalag und nur Kopf, Hals und Hände zu sehen waren. Und der Kopf, dieser im Leben so ehrfurchtgebietende Kopf, schmal, klar, vornehm und intelligent, war im Tod eine entsetzliche Maske greisenhafter Selbstüberhebung geworden, starr, steinern, arrogant und feindselig.
»Wer wird es erfahren?« fragte sie leise.
»Die Prüfer, Professoren und Ärzte, sie bindet das Berufsgeheimnis.«
»Und Doktor Bostic?«
»Der hat mir nichts vorzuwerfen, da er den Schädel eines Verwandten zur Prüfung mitbringt.«
»Und nach der Prüfung, was ist dann?«
»Dann wird der Schädel sogleich restituiert und gemeinsam mit dem Leichnam, den wir bis dahin im Institut einfrieren, beigesetzt.«
»Aber die offiziellen Leichenfeiern … das Begräbnis morgen nachmittag? Sie sehen, Doktor Atkinson, ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Daran habe ich natürlich gedacht, Mylady, der Sarg würde mit Steinen gefüllt, bis das Gewicht des Verblichenen erreicht ist, und in vierzehn Tagen, wenn alles vorbei ist, schreiten wir mit behördlicher Genehmigung insgeheim zur echten Bestattung.«
Die merkwürdige und durchaus unerwartete Komplikation in den letzten Stunden vor dem Staatsbegräbnis hatte Lady Jane auf das Glücklichste abgelenkt. Gesenkten Hauptes, in ihren Gedanken aber ausschließlich bei Doktor Atkinson, saß sie in der schwarzausgeschlagenen Kutsche, die dem Sargwagen folgte, und auch die Tage, Wochen und Monate, die dem Todesfall folgten, gehörten in immer stärkerem Maß der so unversehens in ihr Leben getretenen Bindung. Denn konnte es eine stärkere Bindung geben als die Gemeinsamkeit eines so düsteren Geheimnisses?
Im Juni 1896, schicklicherweise erst vier Wochen nach Ablauf des Trauerjahres, trat Lady Jane mit Doktor Bruce Atkinson vor den Altar von Saint Marys Church in West-Brompton, und der junge Gelehrte, der im Royal Institute of medical engineering eine vielbeachtete Spezialabteilung aufgebaut hatte, eröffnete in dem geräumigen Wohnhaus seiner jungen Frau am Belgrave Square eine kleine, aber einträgliche Privatpraxis.
In dieser mit den neuesten Apparaten und Behelfen ausgestatteten Ordination untersuchte Atkinson eines Tages, es war gegen Ende des zweiten Ehejahres, seine junge Frau. Jane war nun dreiundzwanzig Jahre alt, ihre Schönheit war, dank der Liebe und der Zärtlichkeit eines jungen Gatten, voll erblüht, ihre grünen Augen blitzten vor Lebenslust, und ihr Mund, den sie mitunter, wie einem fernen Lied lauschend, leicht öffnete, war eine Verlockung für jeden, der sie sah.
»Ich bin zwar kein Gynäkologe«, sagte Atkinson, während Jane sich hinter dem Wandschirm entkleidete, »aber ehe ich meine schöne Frau einem Kollegen überlasse, will ich doch selbst einmal sehen, was dir Beschwerden macht. So bitte, nimm hier Platz. Lege dich zurück, keine Sorge, ich untersuche nur …«
Jane hatte sich etwas scheu auf den großen wachstuchbespannten Tisch zubewegt. War Atkinson auch ihr Mann, hatten sie in vielen Nächten auch keine Geheimnisse voreinander, so war es doch das erstemal, daß sie sich hier, im hellen Tageslicht und zwischen den fremd anmutenden Gegenständen seiner Praxisräume, nackt vor ihm zeigte. Nach kurzer Untersuchung wußte er, was ihr Schmerzen bereitete:
»Ein Abszeß, Jane, ein banales kleines Geschwür, nur an einer dummen Stelle … Deswegen brauchst du wirklich nicht zu Sir Edwin zu gehen, das mache ich gleich selbst.«
»Du tust mir doch nicht weh, Bruce?«
»Wo denkst du hin! Ich habe doch Lachgas … Ich binde dich nur fest, damit du mir im Lachgasräuschlein nicht vom Tisch kollerst. So, das hätten …«
Atkinson unterbrach sich, denn es hatte eben geklingelt.
»Pamela hat Ausgang«, sagte Jane, »aber ich bitte dich, gehe jetzt nicht öffnen, mir ist das hier doch ein wenig unheimlich.«
Es klingelte abermals, und Atkinson wurde nervös.
»Ich sehe doch einmal nach«, sagte er, »es kann die Nachmittagspost sein, die möchte ich doch lieber in Empfang nehmen. Ich bin gleich zurück.«
Aber er kam nicht gleich zurück. Statt dessen vernahm Jane mit immer stärkerer Unruhe Stimmen in der Halle. Die ihr unbekannte Stimme des Besuchers wurde immer lauter, und nun vermochte sie jedes Wort zu verstehen:
»Mit Ihrem Gelehrtenschädel haben Sie mich um meine Zukunft gebracht, Atkinson«, schrie der Fremde, »es war glatter Hokuspokus, damit im letzten Augenblick aufzuwarten, so daß ich mir keinen gleichwertigen Casus mehr beschaffen konnte. Und jetzt sitzen Sie hier im Fett. Wozu brauchen Sie denn das Amt im Institut, Ihre Frau ist doch reich, Sie haben eine Praxis …«
Die leisere Stimme, die ihres Gatten, verstand Jane nicht. Zweifellos versuchte er, den Besucher zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht. Die Stimmen schwollen schließlich beide an, die Männer erregten sich, und nach ein paar undefinierbaren Geräuschen vernahm Jane, der der Atem stockte, einen dumpfen Fall. Verzweifelt versuchte sie sich zu befreien, aber ihre Arme waren einzeln mit Gurten festgeschnürt, die Beine, weit gespreizt, desgleichen. Unmöglich, aufzustehen und Bruce zu Hilfe zu kommen.
In der nächsten Sekunde sprang krachend die Tür auf, und Jane schrie wider Willen laut auf: In der Tür stand Bruce, leichenblaß und mit erhobenen Händen, und hinter ihm tauchte ein untersetzter, bärtiger Mann auf, der Bruce nun mit einer Pistole zwang, in dem Stuhl hinter dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Ohne Jane mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken – er hielt sie wohl für eine Patientin – machte der Fremde sich auf die Suche nach Schnüren und Gürteln und fesselte Atkinson an seinen Schreibtischsessel, an die Rücken- und die Seitenlehne und die Beine, so daß der Arzt gerade noch die Finger und den Kopf bewegen konnte.
Nun erst wandte sich der Besucher Jane zu, verbeugte sich knapp und sagte:
»Doktor Bostic. Ich bin Arzt wie Atkinson, Sie brauchen sich nicht zu genieren, und Doktor Atkinson wird seine Behandlung gleich fortsetzen. Er muß mir nur schnell ein Dokument unterschreiben.« Dabei ließ er einen zerstreuten Blick über die nackte Jane gleiten, sah Atkinson verwundert an und sagte: »Abszeß am Scheideneingang … Seit wann arbeiten Sie als Gynäkologe, Atkinson? Wohl nur bei so hübschen Frauen?«
»Lassen Sie den Unsinn, Bostic«, antwortete Atkinson mit belegter Stimme, »die Dame ist keine Patientin, sie ist meine Frau, darum mache ich den harmlosen Eingriff selbst!«
Bostic hob den Kopf. Er sah aus, als erwache er aus einer Trance, aus einer Fixierung. In seinen Augen begann es zu flackern, als er rief:
»Ihre Frau? Also die frühere Lady Jane Hulme, die liebenswürdige Schädelspenderin? Das ändert natürlich die Sachlage. Mylady werden gestatten müssen, daß ich mich auch bei Ihnen für jenen Zwischenfall bedanke, der meine Laufbahn ruinierte!«
Bei diesen Worten trat Bostic auf Jane zu, schob ihr ein Kissen unter den Kopf und einen Wattebausch in den Mund und verklebte die vollen Lippen Janes mit einem breiten Streifen Leukoplast.
»Nun kann ich Sie zwar nicht mehr küssen, zumindest nicht auf den Mund«, sagte er sarkastisch, »aber was Sie mir sonst bieten, Mrs. Atkinson, ist immer noch der Betrachtung wert … Und Sie, lieber Kollege, verhalten sich still, ganz still, wenn Ihnen das Leben Ihrer Frau und Ihr eigenes lieb ist. Sonst verklebe ich Ihnen nicht nur den Mund, sondern auch die Nasenlöcher, und dann möchte ich sehen, was für schöne Zuckungen Sie in ihrem Sessel aufführen.«
»Bostic«, bat Atkinson leise, »ich werde tun, was Sie verlangen. Ich gebe Ihnen mein Wort als Arzt und Akademiker, daß ich morgen meine Demission im Institut einreiche und Sie als meinen Nachfolger vorschlage. Aber lassen Sie Jane aus dem Spiel, sie ist zu jung, sie hat das alles nicht verstanden, ich habe sie überrumpelt in der Sache mit dem Schädel!«
»Daß sie jung ist«, antwortete Bostic genießerisch, »das sehe ich selbst. Sie ist ein schöner, junger Mensch, eine von denen, die das neue Jahrhundert erleben werden, mehr von ihm sehen werden als von diesem stinkenden alten viktorianischen England. Ich hätte auch gern an dem neuen Menschen gearbeitet, an seinem Bild, an seinem Schädel, an der Geographie seines Gehirns, aber der schöne Bruce, Ihr Mann, Verehrte, hat mich daran gehindert, und so will ich denn sehen, ob Sie das Zeug zu jenem neuen Menschen haben, ob Sie die Frau des kommenden Jahrhunderts sind, des Zwanzigsten, des Jahrtausend-Endes!«
Mit diesen Worten trat Bostic neben Jane und begann, ihren Leib mit seinen kurzen, dicken Fingern zu erkunden. Er massierte die Brüste, stieß mit bösem Kichern die Finger zwischen ihre Rippen, streichelte die Innenseiten ihrer Schenkel und kitzelte sie schließlich so lange an den Fußsohlen, daß Jane im Gesicht puterrot anlief und ihr vor Atemnot die Augen aus den Höhlen quollen.
»Ach ja«, sagte Bostic schließlich, als falle ihm etwas ein, »das Abszeß … Keine Sorge, Mrs. Atkinson, das haben wir gleich!«
»Um Gottes willen, Bostic«, ächzte Atkinson, »vergreifen Sie sich doch nicht an einer wehrlosen Frau. Sie sind doch Arzt, seien Sie gnädig mit uns!«
»Da ich mit diesen modernen Installationen nicht umgehen kann, verehrte Patientin«, sagte Bostic ungerührt, »liefen Sie Gefahr, von mir mit Lachgas erstickt zu werden. Ich sehe, daß Sie vorbildlich festgeschnallt sind. Ich werde Ihnen jetzt das Abszeß mit dem Messer öffnen. Ein kleiner Schnitt, wenn ich es gleich richtig treffe, was nicht sehr wahrscheinlich ist, denn ich habe vor meiner Demarche reichlich Whisky zu mir genommen. Also liegen Sie ganz ruhig und lassen Sie mich gewähren, das ist Ihre einzige Chance, daß ich da unten, wo sich Ihr schöner Gatte so gern zu schaffen macht, kein Blutbad anrichte.«
Bostic zog den Wagen mit den Messern heran und wählte sorgfältig.
»Sie müssen doch zuerst sterilisieren!« rief Atkinson unvorsichtig laut.
»Psst, Atkinson, sonst kommt mir das Messer aus. Sterilisieren, wenn ich das schon höre. Sie glauben wohl, wir sind am Pasteurinstitut? Nee, mein Lieber, der Mensch des neuen Jahrhunderts stirbt nicht an ein paar Mikroben. Wie war’s mit diesem Messerchen, Madam? Soll ich mal an Ihren Brüstchen probieren, ob es die richtige Schärfe hat?«
Bostic ließ das Messer mit dem langen Griff und der kurzen, scharfen Klinge unmittelbar vor den Augen Janes funkeln, die einer Ohnmacht näher war als jedem Versuch, sich zu wehren, strich dann damit ganz zart über die Warze der linken Brust, tat dann einen Schritt, stellte sich in Positur und führte einen blitzschnellen Schnitt durch das Abszeß.
Jane stieß einen gurgelnden Schrei aus, Atkinson schleuderte mit den Zähnen seinen Briefbeschwerer durchs Fenster, so daß beide Scheiben klirrend zersprangen, und Bostic warf einen letzten, bedauernden Blick auf die schöne Frau, der das Blut zwischen den Schenkeln hervorschoß.
»Mit dem Briefbeschwerer hätte ich ihnen den Schädel einschlagen sollen, Atkinson«, sagte Bostic und wusch sich Janes Blut von seinem Gehrock, »aber er gefiel mir so gut, daß ich ihn mir nachher mitnehmen wollte. Ein kleiner, marmorner Totenkopf auf einem bronzenen Sockel, schon als Sie noch studierten, habe ich Sie darum beneidet. Wenn Sie gestatten, hebe ich ihn mir draußen vom Pflaster auf, zur Erinnerung an diesen unvergeßlichen Nachmittag. Mrs. Atkinson, Herr Kollege, good bye.«