Folter durch Hoffnung
von
Vil­liers de I’ls­le-Adam

 

 

Au­gus­te Graf von Vil­liers de l’Is­le-Adam (1838-1889) stamm­te aus ei­ner al­ten fran­zö­si­schen Adels­fa­mi­lie, de­ren Glanz mit der Re­vo­lu­ti­on ver­bli­chen war. Als Vil­liers 1857 in die Haupt­stadt Pa­ris über­sie­del­te, war er un­ter den jun­gen Dich­tern sei­ner Zeit der ein­zi­ge, mit dem der zu­rück­hal­ten­de Bau­de­laire en­ge­ren Um­gang pfleg­te. Und Bau­de­lai­res Ein­fluß wur­de für Vil­liers be­stim­mend; durch ihn lern­te er auch Ed­gar Al­len Poe ken­nen. Auf der Pa­ri­ser Li­te­ra­tur­sze­ne zeich­ne­te er sich als­bald durch Ex­tra­va­ganz und Ge­nia­li­tät aus, und im Jah­re 1884 be­gann end­lich der Ruhm, von dem er so lan­ge ge­träumt hat­te. Vil­liers be­kann­tes­tes Werk sind die »Con­tes cruels«, in de­nen sich deut­lich der Ein­fluß Poes und der deut­schen Ro­man­tik zeigt. Es sind Er­zäh­lun­gen, in de­nen Grau­en und Iro­nie, Traum und To­desah­nun­gen ei­ner selt­sam mor­bi­den At­mo­sphä­re in­ein­an­der­flie­ßen.

 

 

Un­ter den Ge­wöl­ben des Jus­ti­z­ge­bäu­des von Sa­ra­gos­sa stieg bei An­bruch ei­nes Abends der ehr­wür­di­ge Pe­dro Ar­buez d’Es­pi­la, sechs­ter Pri­or der Do­mi­ni­ka­ner von Se­go­via, drit­ter Großin­qui­si­tor von Spa­ni­en, ge­folgt von ei­nem fra Re­d­emp­tor – ei­nem Fol­ter­meis­ter – und vor ihm zwei Spä­her des Hei­li­gen Of­fi­zi­ums, die La­ter­nen tru­gen, zu ei­ner ver­lo­re­nen Ker­ker­zel­le hin­un­ter. Das Schloß ei­ner star­ken Tü­re knarr­te; man trat in ein ver­pes­te­tes in pace. Ein dürf­ti­ges Licht von oben ließ zwi­schen den an die Mau­ern ge­häm­mer­ten Rin­gen ei­ne blut­ge­schwärz­te La­ger­statt er­ken­nen, ein Koh­len­be­cken und einen Krug. Auf ver­dreck­ter Streu saß, in schwe­ren Fes­seln, den Ei­sen­ring um den Hals, ver­stört ein Mann von un­be­stimm­ba­rem Al­ter, in Lum­pen gehüllt.

Die­ser Ge­fan­ge­ne war kein an­de­rer als der Rab­bi Aser Abar­ba­nel, ein ara­go­ni­scher Ju­de, des Wu­chers und der un­er­bitt­li­chen Aus­beu­tung der Ar­men an­ge­klagt. Seit mehr als ei­nem Jahr war er täg­lich der Fol­ter un­ter­wor­fen wor­den. Und doch, da »sei­ne Ver­blen­dung eben­so hart war wie sei­ne Haut«, hat­te er sich ge­wei­gert, sei­nem Glau­ben ab­zu­schwö­ren.

Stolz auf ei­ne viel­tau­send­jäh­ri­ge Ab­stam­mung, auf sei­ne Ah­nen – denn al­le die­ses Na­mens wür­di­gen Ju­den sind stolz auf ihr Blut – war er dem Tal­mud nach ein Ab­kömm­ling Otho­niels und in­fol­ge­des­sen Ip­si­boes, der Gat­tin die­ses letz­ten Rich­ters in Is­rael; ein Um­stand, der auch sei­nen Mut wäh­rend der un­abläs­si­gen Fol­tern son­der­lich auf­recht­er­hal­ten hat­te.

So nä­her­te sich denn auch, Trä­nen in den Au­gen im Ge­dan­ken dar­an, daß die­se star­ke See­le sich dem Heil ver­schloß, der ehr­wür­di­ge Pe­dro Ar­buez d’Es­pi­la dem zit­tern­den Rab­bi und sprach die fol­gen­den Wor­te:

»Freue dich, mein Sohn, denn sie­he, dei­ne Prü­fun­gen hie­nie­den wer­den ein En­de fin­den. Wenn ich auch vor sol­cher Ver­stockt­heit tief­be­küm­mert er­lau­ben muß­te, daß so man­che Här­te an­ge­wen­det wur­de, so hat doch mei­ne Auf­ga­be brü­der­li­cher Stra­fe ih­re Gren­zen. Du bist der wi­der­spens­ti­ge Fei­gen­baum, der, so oft oh­ne Frucht, zu ver­dor­ren droht … doch bei Gott steht es, das Ur­teil über dei­ne See­le zu fäl­len. Viel­leicht wird die un­end­li­che Mil­de auch dir im letz­ten Au­gen­blick leuch­ten. Das müs­sen wir hof­fen. Es gibt des­sen Bei­spie­le … so ge­sch­ehe es! Ru­he denn heu­te abend in Frie­den. Mor­gen wirst du dem Au­to­da­fe un­ter­wor­fen, das heißt, daß du dem que­ma­de­ro aus­ge­setzt wirst, dem Schei­ter­häu­fen, der ein Vor­spiel des ewi­gen Feu­ers ist; es brennt, du weißt es, nur in der Fer­ne, mein Sohn, und der Tod braucht min­des­tens zwei, häu­fig drei Stun­den, um sich zu na­hen, weil wir doch dar­auf be­dacht sind, mit feuch­ten, eis­kal­ten Tü­chern Kopf und Herz der Op­fer zu schüt­zen. Ihr wer­det nur drei­und­vier­zig sein. Be­den­ke, daß du, als Letz­ter, die nö­ti­ge Zeit ha­ben wirst, um Gott an­zu­ru­fen und ihm die­se Feu­er­tau­fe dar­zu­brin­gen, die der Hei­li­ge Geist ist. Hof­fe dar­um auf die Er­leuch­tung und schla­fe!«

Dom Ar­buez hat­te ge­en­det, auf sei­nen Wink wur­de der Un­glück­li­che von sei­nen Ket­ten be­freit, und der Großin­qui­si­tor um­arm­te ihn zärt­lich. Dann war der fra Re­d­emp­tor an der Rei­he, der mit lei­ser Stim­me den Ju­den um Ver­zei­hung der Lei­den bat, die er ihm der Er­lö­sung we­gen an­ge­tan hat­te. Dann um­arm­ten ihn auch die bei­den Spit­zel, de­ren Kuß un­ter den Ka­pu­zen ge­räusch­los blieb. Da­mit war die Ze­re­mo­nie zu En­de, und der Ge­fan­ge­ne blieb al­lein und ver­wirrt im Dun­kel.

Rab­bi Aser Abar­ba­nel, den Mund aus­ge­trock­net, das Ge­sicht vom Lei­den ab­ge­stumpft, be­trach­te­te zu­nächst oh­ne be­son­de­re Auf­merk­sam­keit die ge­schlos­se­ne Tü­re. Ge­schlos­sen? Die­ses Wort weck­te in sei­nem In­ners­ten, in sei­nen wir­ren Ge­dan­ken ei­ne Vor­stel­lung. Hat­te er denn nicht se­kun­den­lang in der Spal­te zwi­schen Mau­er­werk und Tü­re das Licht der La­ter­nen zu se­hen ge­glaubt?

Ei­ne krank­haf­te Hoff­nung, der Er­schöp­fung sei­nes Hirns zu­zu­schrei­ben, rüt­tel­te sein gan­zes Sein auf. Er schlepp­te sich zu dem Un­ge­wöhn­li­chen, das ihm er­schie­nen war. Und ganz sach­te, einen Fin­ger mit höchs­ter Be­hut­sam­keit in die Spal­te ein­füh­rend, zog er die Tü­re auf sich zu. O Wun­der! Durch einen au­ßer­or­dent­li­chen Zu­fall hat­te der Spit­zel beim Zu­sper­ren den mäch­ti­gen Schlüs­sel ein we­nig frü­her ge­dreht, als der Rie­gel sei­ne Öff­nung in der Mau­er er­reicht hat­te.

Der Rab­bi wag­te einen Blick hin­aus.

Dank ei­ner ge­wis­ser­ma­ßen fah­len Dun­kel­heit un­ter­schied er zu­nächst einen Halb­kreis von leh­mi­gen Mau­ern, durch­bro­chen von Wen­del­trep­pen. Und ge­wal­tig vor ihm, fünf oder sechs Stein­stu­fen hoch, ei­ne Art schwar­zer Vor­raum, der zu ei­nem brei­ten Gang führ­te, von dem sich von un­ten her nur die ers­ten Bö­gen er­ken­nen lie­ßen.

Er leg­te sich auf den Bo­den und kroch bis zu die­ser Stel­le. Ja, es war tat­säch­lich ein Gang von un­er­meß­li­cher Län­ge. Ein blas­ser Schim­mer, ein un­kla­res Licht er­hell­te ihn; Nacht­lam­pen, an den Wöl­bun­gen auf­ge­hängt, ga­ben in ge­wis­sen Ab­stän­den der trü­ben Far­be der Luft einen bläu­li­chen Schein. Das fer­ne En­de war nichts als Schat­ten. An den Sei­ten in die­ser gan­zen Län­ge kei­ne Tü­re. Ver­git­ter­te Mau­er­lö­cher lie­ßen ei­ne Däm­me­rung durch – es muß­te die Abend­däm­merung sein, denn ro­te Strei­fen über­quer­ten in ei­ni­ger Ent­fer­nung von­ein­an­der die Flie­sen. Den­noch moch­te in der Tie­fe des Dun­kels dort ein Aus­gang in die Frei­heit füh­ren! Die schwan­ken­de Hoff­nung des Ju­den war zäh – es war sei­ne letz­te.

Oh­ne zu zau­dern al­so, wag­te er sich über die Flie­sen, hielt sich an der Mau­er un­ter den Lu­ken, um mit der far­bi­gen Dun­kel­heit der Stei­ne zu ver­schmel­zen. Lang­sam schlepp­te er sich krie­chend vor­wärts – und un­ter­drück­te einen Schrei, als ei­ne frisch ent­zün­de­te Wun­de auf der Brust ihn stach.

Plötz­lich drang das Ge­räusch ei­ner San­da­le, die sich nä­her­te, im Wi­der­hall die­ser stei­ner­nen Al­lee bis zu ihm. Ein Be­ben schüt­tel­te ihn, die Angst ließ sei­nen Atem sto­cken, sein Blick trüb­te sich. Nun? War es jetzt wirk­lich zu En­de? Zu­sam­men­ge­kau­ert quetsch­te er sich in ei­ne Mau­er­spal­te und war­te­te, halb­tot vor Angst.

Es war ein Spit­zel, der es ei­lig hat­te. Rasch has­te­te er, ein Fol­ter­werk­zeug zum Zer­rei­ßen der Mus­keln in der Hand, die Ka­pu­ze ge­senkt, ei­ne ent­setz­li­che Er­schei­nung, vor­über und ver­schwand. Das Grau­en, des­sen Um­klam­me­rung der Rab­bi eben ge­spürt hat­te und das gleich­sam al­le Funk­tio­nen des Le­bens sto­cken ließ, be­wirk­te, daß er fast ei­ne Stun­de ver­harr­te, oh­ne auch nur ei­ne Be­we­gung ma­chen zu kön­nen. In der Angst vor ei­nem Über­maß an Fol­tern, falls er er­grif­fen wer­den soll­te, kam ihm der Ge­dan­ke, in sei­ne Zel­le zu­rück­zu­keh­ren. Doch die al­te Hoff­nung flüs­ter­te ihm je­nes gött­li­che Viel­leicht in die See­le, das im schlimms­ten Elend zu trös­ten ver­mag. Ein Wun­der war ge­sche­hen. Dar­an durf­te er nicht mehr zwei­feln! Und er be­gann aber­mals der mög­li­chen Ret­tung ent­ge­gen­zu­krie­chen. Von Schmer­zen und Hun­ger er­schöpft, vor Angst zit­ternd schlepp­te er sich wei­ter. Die­ser Gang, die­se Gruft schi­en sich ge­heim­nis­voll zu deh­nen! Und er, der im­mer wei­ter­kroch, blick­te be­stän­dig in das Dun­kel dort hin­ten, wo der ret­ten­de Aus­gang sein muß­te!

Oh, oh, schon wie­der tön­ten Schrit­te, dies­mal aber lang­sa­mer, düs­te­rer. Weiß-schwar­ze Ge­stal­ten, die Krem­pen der lan­gen Hü­te ein­ge­rollt, er­schie­nen ihm; zwei In­qui­si­to­ren tauch­ten dort hin­ten aus der trü­ben Luft auf. Lei­se re­de­ten sie mit­ein­an­der und wa­ren of­fen­bar über einen wich­ti­gen Punkt ver­schie­de­ner An­sicht, denn ih­re Hän­de ges­ti­ku­lier­ten.

Bei die­sem An­blick schloß Rab­bi Aser Abar­ba­nel die Au­gen. Sein Herz poch­te, als woll­te es ihn tö­ten, sei­ne Lum­pen wa­ren von ei­nem feuch­ten To­des­schweiß durch­tränkt, mit of­fe­nem Mund, un­be­weg­lich blieb er längs der Mau­er aus­ge­streckt, un­ter dem Schein ei­ner Lam­pe, und fleh­te reg­los zu dem Gott Da­vids.

Als die bei­den In­qui­si­to­ren ihm ge­gen­über an­ge­langt wa­ren, mach­ten sie un­ter dem Licht der Lam­pe halt – und das zwei­fel­los durch einen Zu­fall, ei­ne Fol­ge ih­res Ge­sprächs. Ei­ner von ih­nen be­trach­te­te, wäh­rend er sei­nem Ge­fähr­ten zu­hör­te, den Rab­bi. Und un­ter die­sem Blick, des­sen zer­streu­ten Aus­druck er zu­nächst nicht be­griff, glaub­te der Un­glück­li­che zu spü­ren, wie die glü­hen­den Zan­gen wie­der in sein ar­mes Fleisch bis­sen. Soll­te er aber­mals zu Jam­mer und Wun­de wer­den! Ver­za­gend, mit sto­cken­dem Atem und blin­zeln­den Li­dern, er­zit­ter­te er, als die­ses Ge­wand ihn streif­te. Doch, selt­sam zu­gleich und na­tür­lich, die Au­gen des In­qui­si­tors wa­ren of­fen­bar die ei­nes Man­nes, der zu­tiefst mit dem be­schäf­tigt ist, was er ant­wor­ten soll­te, völ­lig von dem Ge­dan­ken an das ein­ge­nom­men, was er hör­te; sie blick­ten starr – und schie­nen den Ju­den zu be­trach­ten, oh­ne ihn zu se­hen.

Und wirk­lich, nach we­ni­gen Mi­nu­ten setz­ten die bei­den un­heim­li­chen Ge­sprächs­part­ner ih­ren Weg nach dem Ort fort, von dem der Ge­fan­ge­ne ge­kom­men war. Man hat­te ihn nicht ge­se­hen! Und so gründ­lich nicht ge­se­hen, daß in dem furcht­ba­ren Wirr­warr sei­ner Ge­füh­le der Ge­dan­ke sein Hirn durch­kreuz­te: Bin ich am En­de schon tot, daß man mich nicht sieht? Ein greu­li­cher Ein­druck riß ihn aus sei­ner Er­star­rung; als er die Mau­er vor sei­nem Ge­sicht an­sah, glaub­te er, sei­nen Au­gen ge­gen­über zwei wil­de Au­gen zu er­schau­en, die ihn be­ob­ach­te­ten … in jä­her, hef­ti­ger Ban­gig­keit warf er den Kopf, die Haa­re ge­sträubt, zu­rück. Doch nein. Sei­ne Hand, die Stei­ne be­tas­tend, gab sich dar­über Re­chen­schaft; es war der Wi­der­schein der Au­gen des In­qui­si­tors, was er noch im­mer in den ei­ge­nen Au­gen be­wahrt und auf zwei Fle­cke der Mau­er über­tra­gen hat­te.

Vor­wärts! Er muß­te nach je­nem Ziel has­ten, das er sich, zwei­fel­los in krank­haf­tem Wahn, als die Be­frei­ung vor­stell­te. Nach je­nen Schat­ten, von de­nen er kaum wei­ter ent­fernt war als et­wa drei­ßig Schrit­te. So setz­te er denn schnel­ler, auf den Kni­en, auf den Hän­den, auf dem Bauch, sei­nen Lei­dens­weg fort. Und bald war er in dem dunklen Teil die­ses er­schre­cken­den Gan­ges.

Plötz­lich spür­te der Be­kla­gens­wer­te ei­ne Käl­te in den Hän­den, die er auf die Flie­sen stütz­te; das rühr­te von ei­nem star­ken Luft­zug her, der un­ter ei­ner Tü­re hin­durch­weh­te, bei der die bei­den Mau­ern en­de­ten. Gott! Das gan­ze Ich des kläg­li­chen Flücht­lings wur­de von dem Schwin­del ei­ner Hoff­nung durch­drun­gen. Von oben bis un­ten mus­ter­te er die Tü­re, oh­ne sie doch, in­fol­ge des Dun­kels rund um ihn, deut­lich un­ter­schei­den zu kön­nen. Er tas­te­te, kein Rie­gel, kein Schloß. Ei­ne Klin­ke! Er rich­te­te sich auf, die Klin­ke gab un­ter sei­nem Dau­men nach; die Tü­re öff­ne­te sich ge­räusch­los vor ihm.

»Hal­le­lu­jah!« flüs­ter­te in ei­nem glü­hen­den Dank­ge­bet der Rab­bi, auf­recht auf der Schwel­le, bei dem An­blick, der sich ihm bot.

Die Tü­re hat­te sich auf die Gär­ten un­ter ei­nem Ster­nen­him­mel ge­öff­net! Auf den Früh­ling, die Frei­heit, das Le­ben! Und von hier aus dehn­te es sich nach den na­hen Fel­dern, nach den Si­er­ras, de­ren win­dungs­rei­che Um­ris­se sich blau vom Ho­ri­zont ab­ho­ben. Dort, dort war das Heil! Oh! Nur flie­hen! Er wür­de die gan­ze Nacht durch die­sen Hain von Zi­tro­nen­bäu­men lau­fen, de­ren Düf­te ihm ent­ge­gen­schlu­gen. Ein­mal im Ge­bir­ge, wä­re er ge­ret­tet; der Wind be­leb­te ihn, sei­ne Lun­gen at­me­ten wie­der. Er hör­te, das Herz ge­wei­tet, das Ve­ni foràs des La­za­rus. Und um noch ein­mal den Gott zu seg­nen, der ihm die­se Barm­her­zig­keit spen­de­te, streck­te er die Ar­me vor sich aus, hob die Au­gen zum Fir­ma­ment; es war reins­te Ver­zückung.

Da glaub­te er zu se­hen, wie der Schat­ten sei­ner Ar­me sich ge­gen ihn wen­de­te, er glaub­te zu spü­ren, wie die­se Schat­ten­ar­me ihn um­schlan­gen, ihn preß­ten, zu spü­ren, wie er an ei­ne Brust ge­drückt wur­de. Ja, ei­ne ho­he Ge­stalt er­hob sich vor ihm. Ver­trau­ens­voll senk­te er den Blick auf die­se Ge­stalt – und dann schwank­te er, starr­te er, den Blick ge­trübt, zit­ternd, die Ba­cken ge­schwellt, vor Ent­set­zen gei­fernd.

Ein Grau­en! Er war in den Ar­men des Großin­qui­si­tors selbst, des ehr­wür­di­gen Pe­dro Ar­buez d’Es­pi­la, der ihn be­trach­te­te, die Au­gen von schwe­ren Trä­nen ge­füllt, wie ein gu­ter Hirt, der sein ver­irr­tes Schaf wie­der­fin­det …

Der düs­te­re Pries­ter drück­te in ei­nem Auf­schwung von so glü­hen­dem Er­bar­men den un­glück­li­chen Ju­den an sein Herz, daß die Sta­cheln des mön­chi­schen Bü­ßer­hemds un­ter der Sou­ta­ne in die Brust des Do­mi­ni­ka­ners ein­dran­gen. Und wäh­rend der Rab­bi Aser Abar­ba­nel die Au­gen un­ter den Li­dern ver­dreh­te, vor Angst in den Ar­men des as­ke­ti­schen Dom Ar­buez rö­chel­te und un­deut­lich er­faß­te, daß al­le Pha­sen des un­heil­vol­len Abends nichts wa­ren als ei­ne wohl­vor­be­rei­te­te Fol­ter, die Fol­ter durch die Hoff­nung, flüs­ter­te der Großin­qui­si­tor im Ton er­grei­fen­den Vor­wurfs, nicht oh­ne Be­stür­zung im Blick, mit glü­hen­dem Atem­hauch ihm ins Ohr:

»Wie, mein Kind! An der Schwel­le des Heils viel­leicht, hast du uns ver­las­sen wol­len?!«