Die Johannisnacht
von
Ni­ko­laj Go­gol

 

 

Ni­ko­laj Go­gol (1809-1852) fand mit sei­nen ers­ten li­te­ra­ri­schen Ver­su­chen kaum Be­ach­tung. Erst als er sich der ge­sell­schafts­sa­ti­ri­schen, rea­lis­ti­schen Schil­de­rung der rus­si­schen Pro­vinz­ver­hält­nis­se zu­wand­te, stell­te sich der Er­folg ein. Sein Haupt­werk, der Ro­man »Die to­ten See­len«, er­schi­en 1842. Seit 1836 leb­te Go­gol im Aus­land, meist in Rom, wo er sich im­mer mehr re­li­gi­ösem Mys­ti­zis­mus und dump­fer Me­lan­cho­lie hin­gab. Heu­te zählt Go­gol zu den Be­grün­dern der rea­lis­ti­schen Pro­sa in der rus­si­schen Li­te­ra­tur.

 

 

Fo­ma Gri­gor­je­witsch hat­te ei­ne merk­wür­di­ge Ei­gen­tüm­lich­keit: Er konn­te es auf den Tod nicht lei­den, ein und die­sel­be Ge­schich­te mehr­mals er­zäh­len zu müs­sen. Gab er aber schon ein­mal den Bit­ten nach und er­zähl­te et­was zum zwei­ten Ma­le, dann füg­te er ent­we­der hier ei­ne neue Wen­dung hin­zu, oder än­der­te dort et­was, so daß man die Ge­schich­te kaum wie­der­er­ken­nen konn­te. Ein­mal hat­te ei­ner je­ner Her­ren – wir ein­fa­chen Leu­te wis­sen nicht recht, wie wir sie nen­nen sol­len: Schrei­ber oder der­glei­chen, so was ähn­li­ches wie die Mak­ler auf un­se­ren Jahr­märk­ten; sie kra­men, bet­teln und steh­len sich al­ler­hand Zeug zu­sam­men und sen­den dann je­den Mo­nat oder gar je­de Wo­che ein Bü­chel­chen so dick wie ei­ne Fi­bel in die Welt hin­aus – ein­mal al­so hat­te ei­ner je­ner Her­ren un­se­rem Fo­ma Gri­gor­je­witsch die fol­gen­de Ge­schich­te hier ab­ge­luchst, und er hat­te das ganz ver­ges­sen. Aber ei­nes Ta­ges kommt das­sel­be Herr­chen im erb­sen­grau­en Kaftan aus Pol­ta­wa, von dem ich schon ein­mal sprach, und von dem ihr wohl die ei­ne Ge­schich­te schon ge­le­sen habt, er kommt al­so, bringt ein klei­nes Bü­chel­chen mit, schlägt’s in der Mit­te auf und zeigt uns die Sa­che. Fo­ma Gri­gor­je­witsch war schon im Be­griff, sei­ne Na­se mit der Bril­le zu be­sat­teln, aber da fiel ihm ein, daß er ver­ges­sen hat­te, ein Stück Fa­den um sie zu wi­ckeln und Wachs drauf zu kle­ben, und so gab er denn mir das Buch. Ich ver­ste­he mich nun mal leid­lich aufs Le­sen und brau­che kei­ne Bril­le, und so be­gann ich denn. Aber ich hat­te noch kei­ne zwei Sei­ten um­ge­wen­det, als er mich fest bei der Hand nahm und un­ter­brach.

»Halt, sagt mir zu­erst, was Ihr da lest?«

Ich muß ge­ste­hen, die­se Fra­ge ver­blüff­te mich ein we­nig.

»Wie, Fo­ma Gri­gor­je­witsch? Was ich da le­se? Das ist doch Eu­re Ge­schich­te, es sind Eu­re ei­ge­nen Wor­te!«

»Wer hat Euch das er­zählt, daß das mei­ne Wor­te sind?«

»Was wollt Ihr denn noch mehr? Da steht’s doch ge­druckt. Er­zählt von dem Küs­ter So­und­so.«

»Spuckt dem Jun­gen auf den Kopf, der das dar­auf ge­druckt hat! Er lügt, der Sau­kerl! Das soll ich ge­sagt ha­ben? Das ist ja fast so, als hät­te der Sa­tan einen Spar­ren! Hört zu, die muß ich Euch selbst er­zäh­len.

Wir rück­ten am Ti­sche zu­sam­men und er be­gann.

Mein Groß­va­ter (Gott hab’ ihn se­lig! Mö­ge er in je­ner Welt nur Wei­zen­brot und Mohn­ku­chen mit Meth zu es­sen be­kom­men!), mein Groß­va­ter ver­stand es wun­der­bar zu er­zäh­len. Wenn der erst ein­mal da­mit an­fing, so moch­te man sich am liebs­ten den gan­zen lie­ben Tag nicht vom Plat­ze rüh­ren und nur im­mer zu­hö­ren. Und er re­de­te nicht et­wa wie ei­ner von den heu­ti­gen Fa­sel­hän­sen; wenn so ei­ner an­fängt, sein Garn her­un­ter zu spin­nen, und da­bei noch mit ei­nem Maul, als hät­te er drei Ta­ge lang nichts zu es­sen ge­kriegt, dann möch­te man am liebs­ten nach der Müt­ze grei­fen und da­von­lau­fen. Ich er­in­ne­re mich noch, wie wenn es heu­te wä­re – mei­ne Mut­ter se­lig war noch am Le­ben –, an die lan­gen Win­ter­aben­de, wenn drau­ßen hef­ti­ges Frost­wet­ter herrsch­te und das schma­le Fens­ter­chen un­se­rer Stu­be dicht mit Schnee ver­kleb­te, wie sie da am Spinn­ro­cken saß, mit der Hand den lan­gen Fa­den zog, mit dem Fuß die Wie­ge schau­kel­te und ein Lied da­zu sang, das ich jetzt noch im Ohr ha­be. Das Lämp­chen be­leuch­te­te zit­ternd und wie im Schreck auf­fla­ckernd die Stu­be. Die Spin­del surr­te; und wir Kin­der hör­ten al­le, zu ei­nem Hau­fen zu­sam­men­ge­drängt, dem Groß­va­ter zu, der vor Al­ter schon über fünf Jah­re nicht mehr hin­term Ofen her­vor­ge­kro­chen war. Aber kei­ner der wun­der­sa­men Be­rich­te aus den al­ten Ta­gen von den Rit­ten der Sa­po­ro­ger, von den Po­len, von den küh­nen Ta­ten des Pod­ko­wa, des Pol­to­ra-Ko­schucha oder des Sa­ga­j­datschny er­grif­fen uns so stark wie die Be­rich­te über ei­ne al­te, son­der­ba­re Be­ge­ben­heit, bei der ei­nem ein Schau­er über den Leib lief und das Haar sich sträub­te. Manch­mal kam ei­ne sol­che Angst über einen, daß man abends Gott weiß was für Un­ge­heu­er zu se­hen mein­te. Hat­test du mal nachts die Stu­be ver­las­sen, um et­was zu be­sor­gen, so glaub­test du si­cher, es ha­be sich ein Fremd­ling aus je­ner Welt in dein Bett ge­legt, um zu schla­fen. Ich will auf der Stel­le ster­ben, wenn ich nicht oft mei­nen eig­nen Kit­tel am Kopf­en­de des Bet­tes für einen zu­sam­men­ge­kau­er­ten Teu­fel hielt. Aber die Haupt­sa­che an den Er­zäh­lun­gen des Groß­va­ters war, daß er sein Leb­tag nie ge­lo­gen hat, und wie er’s sag­te, ge­nau­so war es auch.

Ei­ne von sei­nen son­der­ba­ren Ge­schich­ten will ich euch jetzt er­zäh­len. Ich weiß wohl, es wer­den sich schon et­li­che Klüg­lin­ge fin­den, die Ge­richts­schrei­ber sind oder gar neu­mo­di­sche Schrif­ten le­sen, wel­che zwar kei­nen Deut ver­ste­hen, wenn man ih­nen ein Stun­den­buch in die Hand drückt, aber da­für um so bes­ser die Zäh­ne zu flet­schen wis­sen. Was man de­nen auch er­zäh­len mag, sie la­chen ja doch. Was hat sich doch jetzt für ein Un­glau­be in der Welt ver­brei­tet! Gott und die un­be­fleck­te Jung­frau mö­gen mir bei­ste­hen – ihr wer­det’s viel­leicht nicht glau­ben: Als ich ein­mal von He­xen sprach – da fand sich doch wahr­haf­tig so ein Spring­ins­feld, der nicht an He­xen glau­ben woll­te! Gott sei Dank, ich le­be schon vie­le Jah­re; ich ha­be schon Men­schen ge­se­hen, die sol­che Hei­den wa­ren, daß es ih­nen leich­ter wur­de, in der Beich­te zu lü­gen, als un­serei­nem, ei­ne Pri­se zu neh­men; aber auch die schlu­gen vor ei­ner He­xe das Kreuz. Wenn de­nen ein­mal im Traum … na, ich will’s gar nicht erst über die Zun­ge brin­gen … was soll man über so was noch Re­dens ma­chen.

Vor vie­len vie­len Jah­ren, ’s wer­den wohl si­cher über hun­dert sein – er­zähl­te mein Groß­va­ter se­lig –, war un­ser Dorf noch et­was ganz an­de­res als jetzt! Da war’s noch ein Wei­ler, der al­lerärms­te Wei­ler! Zehn un­ge­tünch­te und un­ge­deck­te Hüt­ten la­gen mit­ten im Fel­de ver­streut, und es gab we­der einen Zaun, noch einen an­stän­di­gen Schup­pen, in dem man Vieh oder einen Wa­gen hät­te un­ter­stel­len kön­nen. Und die, die so leb­ten, das wa­ren noch die Rei­chen, was aber erst un­serei­ner von der Brü­der­schaft der Ha­be­nicht­se für ein Le­ben hat­te, das läßt sich kaum be­schrei­ben! Ein Loch in der Er­de – das war das gan­ze Haus! Nur an dem Rauch konn­te man mer­ken, daß da ein Men­schen­kind un­se­res lie­ben Herr­gotts haus­te. Ihr wer­det nun fra­gen, warum leb­ten die wohl so? Ar­mut al­lein war’s nicht, denn da­mals war fast je­der ein frei­er Ko­sak und hat­te sich in frem­den Län­dern nicht we­nig Reich­tü­mer er­beu­tet; nein, man sehn­te sich gar nicht nach ei­nem rich­ti­gen Hau­se. Was trie­ben sich da­mals nicht al­ler­orts für Men­schen her­um: Leu­te aus der Krim, Po­len, Li­tau­er usw. Oft ge­sch­ah es auch, daß man von den ei­ge­nen Lands­leu­ten ge­schun­den wur­de. Ja ja, da kam man­cher­lei vor.

In die­sem Wei­ler nun tauch­te zu­wei­len ganz plötz­lich ein Mensch oder rich­ti­ger ge­sagt, ein Teu­fel in Men­schen­ge­stalt auf. Wo­her er kam und zu wel­chem Zwe­cke – das wuß­te nie­mand. Er soff, ver­gnüg­te sich – und auf ein­mal war er ver­schwun­den, wie wenn er in die Er­de ge­sun­ken wä­re. Dann kam er wie­der, wie vom Him­mel ge­fal­len, trieb sich auf den Stra­ßen des Dor­fes um­her, von dem jetzt kei­ne Spur mehr üb­rig ist, und das viel­leicht nicht mehr als hun­dert Schrit­te von Di­kan­ka ent­fernt war, sam­mel­te die ers­ten bes­ten Ko­sa­ken um sich, und dann ging ein La­chen und Sin­gen an: Das Geld wur­de nur so aus­ge­schüt­tet, und der Schnaps rann da­hin wie Was­ser. Dann ging er zu den Mäd­chen und schenk­te ih­nen Bän­der, Ohr­rin­ge und Per­len – in vol­len Hau­fen! Frei­lich, so man­ches Mä­del wur­de be­denk­lich bei die­sen Ge­schen­ken: Weiß Gott, am En­de wa­ren sie in der Tat durch un­rei­ne Hän­de ge­gan­gen. Die leib­li­che Tan­te mei­nes Groß­va­ters, die da­mals auf der heu­ti­gen Land­stra­ße von Oposchnja­ni einen Aus­schank hat­te, in dem Bassa­wr­juk (so hieß die­ser Teu­fels­kerl) oft zech­te, pfleg­te zu sa­gen, sie wür­de um kei­nen Preis in der Welt ein Ge­schenk von ihm an­neh­men. Aber wie konn­te man wie­der­um et­was zu­rück­wei­sen?

Je­dem wur­de gru­se­lig zu­mu­te, wenn er sei­ne bors­ti­gen Brau­en run­zel­te und einen fins­tern Blick auf einen warf, daß man am liebs­ten aus­ge­ris­sen wä­re; nahm man aber das Ge­schenk an, so konn­te man schon in der nächs­ten Nacht einen Gast aus dem Moor, einen mit Hör­nern auf dem Kopfe, er­war­ten. Und der würg­te einen, wenn man Per­len am Hal­se trug, biß einen in den Fin­ger, wenn ein Ring dar­auf steck­te, oder riß ei­ner Frau fast den Zopf aus, wenn sie ein Band dar­ein ge­floch­ten hat­te. Zehn Schritt vom Lei­be mit sol­chen Ge­schen­ken! Ei­ne neue Not aber war es, sie los­zu­wer­den. Man wirft sie ins Was­ser – aber der teuf­li­sche Ring oder die Per­len schwim­men oben­auf und sprin­gen ei­nem wie­der in die Hand zu­rück.

Im Dor­fe stand auch ei­ne Kir­che, die, wenn ich mich recht be­sin­ne, dem hei­li­gen Pan­te­lej an­ge­hör­te. Da­mals nun wal­te­te in ihr ein Pries­ter na­mens Va­ter Af­a­nas­si, se­li­gen An­ge­den­kens. Als er ge­wahr­te, daß Bassa­wr­juk so­gar am Os­ter­sonn­tag nicht in die Kir­che kam, woll­te er ihn aus­schel­ten und ihm ei­ne Kir­chen­bu­ße auf­er­le­gen; aber sieh da, er kam kaum mit hei­ler Haut da­von. »Hör mal, Herr!« brüll­te ihn je­ner an. »Küm­me­re dich lie­ber um dei­ne Ge­schäf­te, an­statt dich in frem­de zu mi­schen, wenn du nicht willst, daß dir dein Zie­gen­hals mit ei­nem hei­ßen Ster­be­ku­chen ver­kleis­tert wird!« Was konn­te man mit die­sem Gott­ver­damm­ten an­fan­gen? Va­ter Af­a­nas­si er­klär­te nun je­den, der mit Bassa­wr­juk ver­keh­ren wür­de, für einen Röm­ling und für einen Feind der Chris­ten­kir­che und des gan­zen Men­schen­ge­schlechts. In dem­sel­ben Dor­fe hat­te auch ein Ko­sak na­mens Korsch einen Ar­bei­ter, den die Leu­te Pe­ter Hei­mat­los nann­ten, viel­leicht des­halb, weil er we­der sei­nen Va­ter noch sei­ne Mut­ter kann­te. Der Kir­chen­vor­stand hat­te zwar ge­sagt, sie wä­ren schon in sei­nem zwei­ten Le­bens­jahr an der Pest ge­stor­ben; aber die Tan­te mei­nes Groß­va­ters woll­te es nicht wahr­ha­ben und war aus al­ler Kraft be­müht, ihm El­tern auf­zu­drän­gen, ob­gleich der ar­me Pe­ter sich ge­ra­de­so­viel um die­se Fra­ge küm­mer­te, wie wir um den vor­jäh­ri­gen Schnee. Sie be­haup­te­te, sein Va­ter be­fin­de sich jetzt noch in der Sa­po­ro­ger Ge­gend, sei in Ge­fan­gen­schaft bei den Tür­ken ge­we­sen, ha­be Gott weiß wel­che Qua­len er­dul­den müs­sen, und ha­be nur durch ein Wun­der, als Eu­nuch ver­klei­det, Reiß­aus neh­men kön­nen. Die schwarz­braui­gen Mä­dels und die jun­gen Weibs­leu­te scher­ten sich we­nig um sei­ne Ver­wandt­schaft. Sie äu­ßer­ten nur, wenn man ihm einen fei­nen Rock – et­wa einen neu­en Schu­pan – an­zö­ge, einen ro­ten Gür­tel um­leg­te, ei­ne neue Müt­ze aus schwar­zem Lamm­fell mit ei­ner schmu­cken Kap­pe auf­setz­te, ihm einen tür­ki­schen Sä­bel an die Sei­te schnall­te und in die ei­ne Hand einen lan­gen De­gen und in die an­de­re ei­ne hübsch ein­ge­faß­te Pfei­fe gä­be – dann wür­de er al­le an­dern Bur­schen in die Ta­sche ste­cken. Aber der ar­me Pe­trusj be­saß al­les in al­lem nur einen ein­zi­gen grau­en Kit­tel, der mehr Lö­cher hat­te, als man­cher Ju­de Du­ka­ten in der Ta­sche. Doch das wä­re noch nicht schlimm ge­we­sen, was schlimm war, war viel­mehr dies: Der al­te Korsch hat­te ein Töch­ter­chen, ei­ne Schön­heit, wie ihr sie wohl kaum je ge­se­hen habt. Die Tan­te des se­li­gen Groß­va­ters pfleg­te zu er­zäh­len – und ihr wißt ja, ein Weib wird, mit Ver­laub zu sa­gen, eher den Teu­fel küs­sen, als ei­ne an­de­re schön nen­nen –, daß die run­den Bäck­chen des Ko­sa­ken­mäd­chens so frisch und glän­zend wa­ren wie die al­lerz­ar­tes­te ro­te Mohn­blu­me, die sich in Got­tes Tau ge­ba­det hat und nun auf­leuch­tet, ih­re Blätt­chen aus­brei­tet und sich vor der auf­ge­hen­den Son­ne putzt. Wie schwar­ze Schnür­chen, die die Mäd­chen heut­zu­ta­ge bei den Hau­sie­rern in den Dör­fern für ih­re Kreu­ze und Schmuck­du­ka­ten kau­fen, so zart schwan­gen sich die Brau­en über ih­ren Au­gen, als spie­gel­ten sie sich in ih­rem kla­ren Kris­tall. Ihr Münd­chen, nach dem der gan­zen jun­gen Welt von da­mals der Mund wäs­ser­te, schi­en wie ge­schaf­fen für die Ge­sän­ge ei­ner Nach­ti­gall. Ihr Haar, schwarz wie Ra­ben­fit­ti­che und weich wie jun­ger Flachs (denn da­mals floch­ten es die jun­gen Mäd­chen noch nicht zu klei­nen Zöpf­chen, durch die sie sich jetzt hüb­sche bun­te Bän­der­chen zie­hen) fiel in vol­len Lo­cken auf den gold­be­stick­ten Über­wurf her­ab. Ei, da soll mich doch Gott von der Kan­zel nie wie­der das Hal­le­lu­jah sin­gen las­sen, wenn ich sie nicht auf der Stel­le ab­küs­sen möch­te, und wenn auch der al­te Wald auf mei­nem Schä­del schon so ziem­lich grau ist und mei­ne Al­te sich mir an die Sei­te hef­tet, wie ein Star ins Au­ge. Na, wenn ein Bursch und ein Mä­del nah bei­ein­an­der woh­nen … ja, da wißt ihr schon, was draus wird. Man konn­te stets in al­ler Herr­gotts­frü­he den Ab­druck der Stie­fe­lei­sen auf der Stel­le se­hen, wo Pi­dor­ka mit ih­rem Pe­trusj ge­stan­den hat­te. Korsch hät­te im­mer noch nichts Schlim­mes ge­ahnt, aber einst – und das kam durch nichts an­de­res als durch die List ei­nes Teu­fels –, da fiel es Pe­trusj ein, oh­ne sich ge­nau­er im Flur um­zu­se­hen, so­zu­sa­gen von gan­zer See­le einen Kuß auf die ro­si­gen Lip­pen des Ko­sa­ken­mäd­chens zu pres­sen. Und die­ser sel­be Teu­fel – mag doch der Hun­de­sohn vom hei­li­gen Kreuz träu­men! – ritt den al­ten Knaster­bart, daß er ge­ra­de zu die­ser Zeit die Tür öff­ne­te. Korsch stand da wie ein Holz­klotz, sperr­te den Mund auf und muß­te sich an die Tür leh­nen. Der ver­damm­te Kuß schi­en ihn voll­kom­men be­täubt zu ha­ben. Er kam ihm lau­ter vor als der Schlag ei­nes Mör­ser­stö­ßels auf ein Brett, mit dem zu un­se­rer Zeit die Bau­ern in Er­man­ge­lung von Pul­ver und Flin­te den Fest­schmaus zu Eh­ren Jo­han­nes des Täu­fers be­glei­ten. Als er wie­der zu sich ge­kom­men war, nahm er sei­ne Na­gai­ka aus Ur­vä­ter Zei­ten von der Wand und woll­te sie schon auf den Rücken des ar­men Pe­ter nie­der­sau­sen las­sen, da er­schi­en auf ein­mal Pi­dor­kas sechs­jäh­ri­ges Brü­der­chen Iwasj, kam er­schreckt her­bei­ge­lau­fen, um­schlang sei­ne Bei­ne mit den Händ­chen und schrie: »Va­ter, Va­ter, schlag den Pe­trusj nicht!« Was war da zu ma­chen? Ein Va­ter­herz ist nicht von Stein: Er hing die Na­gai­ka an die Wand und führ­te ihn lei­se aus dem Zim­mer hin­aus. »Wenn du dich je­mals wie­der hier im Hau­se se­hen läßt oder auch nur am Fens­ter, so hö­re, Pe­trusj: Bei Gott, dein schwar­zer Schnurr­bart ist da­hin und auch dei­ne Ko­sa­ken­lo­cke, die du dir dop­pelt ums Ohr wi­ckelst – ich will nicht Te­ren­ti Korsch sein, wenn sie nicht von dei­nem Schä­del Ab­schied nimmt!« Bei die­sen Wor­ten ver­setz­te er ihm einen leich­ten Stoß in den Nacken, so daß Pe­trusj Hals über Kopf hin­aus­flog. So weit hat­ten sie es mit dem Küs­sen ge­bracht. Ein schwe­rer Kum­mer über­fiel un­ser Täub­chen; da­zu ging noch im Dor­fe das Ge­rücht um, zu Korsch ins Haus käme ein gold­be­la­de­ner Po­le mit Schnurr­bart, Sä­bel und Spo­ren, des­sen Ta­schen so klirr­ten wie der Klin­gel­beu­tel, den un­ser Meß­ner Ta­ras täg­lich in der Kir­che um­ge­hen läßt. Nun, man weiß ja, wo­zu man einen Va­ter be­sucht, der ei­ne schwarz­äu­gi­ge Toch­ter hat. Ein­mal schlang Pi­dor­ka die Ar­me um ih­ren Bru­der Iwasj: »Iwasj, mein Lieb­ling, bes­ter Iwasj! Lauf zu Pe­trusj, mein gol­de­nes Kind, rasch wie ein Pfeil vom Bo­gen schnellt, und er­zähl ihm al­les: Ich möch­te sei­ne grau­en Au­gen lieb­ko­sen und sein wei­ßes Ant­litz küs­sen, aber das Schick­sal will es nicht. Man­ches Tuch ha­be ich mit mei­nen hei­ßen Trä­nen be­netzt, mir ist so bang und so schwer ums Herz. Mein eig­ner Va­ter ist mir feind und zwingt mich, dem un­ge­lieb­ten Po­len in die Ehe zu fol­gen. Sag ihm, man be­rei­te schon die Hoch­zeit vor, doch es soll kei­ne Mu­sik auf un­se­rer Hoch­zeit ge­ben, und nur die Küs­ter wer­den plär­ren, statt daß Zi­ther und Schal­mei er­klin­gen. Und nicht wer­de ich mit mei­nem Ge­mahl zum Tan­ze ge­hen, son­dern hin­aus­tra­gen wird man mich aus dem Hau­se. Dun­kel und düs­ter wird mein en­ges Haus sein – aus Ahorn­bret­tern wird es ge­zim­mert sein, und statt ei­nes Schlo­tes wird ein Kreuz auf dem Dache stehn!«

Wie ver­stei­nert und oh­ne sich von der Stel­le rüh­ren zu kön­nen, hör­te Pe­trusj das un­schul­di­ge Kind Pi­dor­kas Wor­te nach­lal­len. »Dacht’ ich Un­glück­li­cher nicht schon dar­an, in die Krim oder ins Tür­ken­land zu zie­hen, mir Gold zu er­beu­ten und mit vie­len Gü­tern be­la­den zu dir zu­rück­zu­keh­ren, du mei­ne Schöns­te? Doch es soll­te nicht sein. Ein bö­ser Blick hat uns ge­trof­fen. Wohl wer­den wir Hoch­zeit fei­ern, mein teu­res Fisch­lein du, aber kein Küs­ter wird auf un­se­rer Hoch­zeit sin­gen – statt ei­nes Po­pen krächzt mir zu Häup­ten ein schwar­zer Ra­be, das wei­te Feld wird mein Haus und die graue Wol­ke mein Dach sein; mei­ne grau­en Au­gen hackt der Ad­ler aus; der Re­gen wird mir die Ko­sa­ken­kno­chen bleich wa­schen, und der Sturm­wind wird sie aus­trock­nen. Doch was tu ich? Wem klag’ ich was vor? Gott hat’s wohl so an­ge­ord­net! Ver­lo­ren ist ver­lo­ren!« – Und stracks zog er in die Schen­ke.

Die Tan­te mei­nes se­li­gen Groß­va­ters war nicht we­nig er­staunt, als sie Pe­trusj in der Schen­ke sah, und da­zu noch zu ei­ner Zeit, wo ein bra­ver Mensch zur Früh­mes­se geht. Sie glotz­te ihn mit ih­ren Au­gen an, wie wenn sie noch im Schla­fe lä­ge, als er einen Krug – oder rich­ti­ger fast einen hal­b­en Ei­mer voll Brannt­wein be­stell­te. Al­lein ver­ge­bens such­te der Ärms­te sei­nen Kum­mer zu er­trän­ken.

Der Schnaps brann­te ihm auf der Zun­ge wie Nes­seln und dünk­te ihn bit­te­rer als Wer­mut. Weit von sich warf er den Krug zu Bo­den. Da dröhn­te es im Baß über sei­nem Kopfe: »Laß doch das Trau­ern, Ko­sak!« Er schaut auf: Es war Bassa­wr­juk! Uh, wel­che Frat­ze! Der hat­te Haa­re wie ein Bors­ten­vieh und Au­gen wie ein Bul­le! »Ich weiß, was dir fehlt: das da!« rief er und klirr­te teuf­lisch grin­send mit sei­ner le­der­nen Geld­kat­ze, die ihm am Gür­tel hing. Pe­trusj er­beb­te. »Hehe, wie die glü­hen!« brüll­te er und schüt­te­te sich die Du­ka­ten auf die Hand. »Hehe, die klim­pern! Und doch heißt’s nur ei­ne ein­zi­ge Tat voll­brin­gen, um einen gan­zen Berg sol­cher Schnip­sel!« – »Sa­tan!« schrie da Pe­trusj. »Her da­mit! Ich bin zu al­lem be­reit!« Bei­de ga­ben sich den Hand­schlag und wa­ren ei­nig. »Sieh, Pe­trusj, du kommst ge­ra­de zur rech­ten Zeit: Mor­gen ist Jo­han­nis­tag. Nur in die­ser Nacht des Jah­res treibt das Farn­kraut Blü­ten. Du darfst es nicht ver­pas­sen. Ich er­war­te dich um Mit­ter­nacht in der Bä­ren­schlucht.«

Ich glau­be, die Hüh­ner war­ten nicht so auf den Au­gen­blick, wo ih­nen die Haus­frau Kru­men streut, wie Pe­trusj auf den Abend war­te­te. Im­mer­wäh­rend blick­te er aus, ob die Baum­schat­ten nicht län­ger wür­den, ob nicht die tief her­ab­ge­sun­ke­ne Son­ne in Pur­pur er­glöm­me, und je län­ger er war­te­te, um so un­ge­dul­di­ger wur­de er. Wie lan­ge dau­er­te das doch! Got­tes Tag konn­te wohl kein En­de fin­den. – Nun ist die Son­ne fort. Nur noch auf ei­ner Sei­te rö­tet sich der Him­mel noch. Und schon er­lischt er. Es wird käl­ter im Fel­de; dunk­ler und dunk­ler wird’s, und al­les liegt in nächt­li­cher Fins­ter­nis da. End­lich! Das Herz woll­te ihm schier aus der Brust sprin­gen, als er sich auf den Weg mach­te und mit Vor­sicht durch den dich­ten Wald zu dem tie­fen Grun­de her­ab­stieg, der Bä­ren­schlucht ge­nannt wur­de. Bassa­wr­juk war­te­te schon auf ihn. Es war so fins­ter, daß man die Hand vor den Au­gen nicht sah. Hand in Hand schli­chen sie durch die Sümp­fe des Moors, ver­fin­gen sich im dich­ten Ge­strüpp und strau­chel­ten fast bei je­dem Schrit­te. End­lich fan­den sie einen ebe­nen Platz. Pe­trusj sah sich um: Er war noch nie hier ge­we­sen. Auch Bassa­wr­juk blieb ste­hen.

»Siehst du: Da vor dir lie­gen drei Hü­gel. Viel man­nig­fa­che Blu­men wach­sen dort; doch al­le Mäch­te der Welt mö­gen dich be­wah­ren, auch nur ei­ne zu pflücken. Kaum aber er­blüht der Farn, so greif nach ihm und blick dich nicht um, was du auch hin­ter dir dün­ken magst.«

Pe­trusj woll­te noch et­was fra­gen … aber je­ner war ver­schwun­den. Er ging auf die Hü­gel zu: Wo wa­ren die Blu­men? Es war nichts zu se­hen. Schwarz lag das wil­de Step­pen­gras da und über­wu­cher­te al­les mit sei­nem Ge­strüpp. Da blitz­te ein Wet­ter­leuch­ten auf, und vor ihm er­schi­en ein gan­zes Beet voll wun­der­sa­mer und nie ge­se­he­ner Blu­men; dar­in­nen sah er auch die ein­fa­chen Blät­ter des Farn­krau­tes. Vol­ler Zwei­fel stemm­te Pe­trusj bei­de Hän­de in die Hüf­ten und stell­te sich nach­denk­lich vor sie hin.

»Was ist denn Wun­der­ba­res da­bei? Zehn­mal des Ta­ges se­he ich sol­ches Kraut: Was ist denn das für ein Mi­ra­kel? Am En­de macht sich die Teu­fels­frat­ze nur über mich lus­tig!«

Auf ein­mal aber glüht ein klei­nes Knösp­chen rot auf und rührt sich, wie wenn es le­ben­dig wä­re. Selt­sam für­wahr! Rührt sich, wird im­mer grö­ßer und grö­ßer und glüht heiß wie ei­ne ro­te Koh­le. Da flamm­te ein Stern­chen auf, et­was knis­ter­te lei­se, und vor sei­nen Au­gen ent­fal­tet sich die Blu­me wie ei­ne Flam­me, loht leuch­tend auf und über­strahlt al­les rings her­um.

»Jetzt ist’s Zeit«, dach­te Pe­trusj und streck­te die Hand aus. Aber sie­he, da stre­cken sich noch hun­dert an­de­re zot­ti­ge Hän­de nach der Blu­me aus, und hin­ter ihm läuft ra­schelnd et­was von Ort zu Ort. Er drück­te die Au­gen zu, riß am Sten­gel, und die Blu­me blieb in sei­ner Hand. Al­les ver­stumm­te. Da tauch­te Bassa­wr­juk, auf ei­nem Baum­stumpf sit­zend, em­por: ganz bläu­lich wie ei­ne Lei­che. Er rühr­te kei­nen Fin­ger, sei­ne Au­gen wa­ren starr auf et­was ge­rich­tet, das nur ihm al­lein sicht­bar war; sein Mund stand halb of­fen, aber er sprach nichts. Rings­um rühr­te sich nichts. Wie furcht­bar war Pe­trusj zu­mu­te! … Aber nun ver­nahm Pe­trusj ein Pfei­fen, daß ihm das Herz im Lei­be er­starr­te, und es kam ihm so vor, als ob das Gras sum­me, und die Blu­men sich mit dün­nen Stimm­chen un­ter­hiel­ten, die wie sil­ber­ne Glöck­lein klan­gen. Die Bäu­me don­ner­ten grol­lend durch­ein­an­der … Bassa­wr­juks Ant­litz wur­de auf ein­mal le­ben­dig. Sei­ne Au­gen fun­kel­ten. »End­lich ist sie da, die He­xe«, grunz­te er durch die Zäh­ne. »Pe­trusj, schau, bald wird dir ei­ne schö­ne Frau er­schei­nen: Tu al­les, was sie dir be­fiehlt, sonst bist du auf ewig ver­lo­ren!« Er zer­teil­te das Dickicht mit ei­nem Kno­ten­stock, und vor ih­nen er­schi­en ein Häus­chen, das auf Hüh­ner­füß­chen stand, wie es im Mär­chen heißt. Bassa­wr­juk schlug mit der Faust da­ge­gen, und die Wand wank­te. Ein großer, schwar­zer Hund kam win­selnd her­aus­ge­lau­fen, ver­wan­del­te sich plötz­lich in ei­ne Kat­ze und warf sich ih­nen ent­ge­gen. »To­be nicht, wü­te nicht, al­te Teu­fe­lin«, rief Bassa­wr­juk und würz­te sei­ne Re­de mit so ei­nem Wört­lein, daß sich ein recht­schaf­fe­ner Mensch da­bei die Oh­ren zu­ge­stopft hät­te. Da wur­de die Kat­ze zu ei­nem al­ten Wei­be mit ei­nem so runz­li­gen Ge­sicht wie ein ge­bra­te­ner Ap­fel, und krümm­te sich wie ein Bo­gen; Na­se und Kinn glei­chen ei­nem Nuß­knacker. »Wel­che herr­li­che Schön­heit!« dach­te Pe­trusj, und es über­lief ihn kalt. Die He­xe riß ihm die Blu­me aus der Hand, beug­te sich über sie, flüs­ter­te einen lan­gen Spruch vor sich hin und be­spreng­te sie mit ei­ner un­be­kann­ten Flüs­sig­keit. Fun­ken sto­ben aus ih­rem Mun­de, und Schaum trat ihr auf die Lip­pen. »Wirf sie hin«, rief sie, in­dem sie ihm die Blu­me reich­te. Pe­trusj warf die Blu­me hin, aber – o Wun­der: Die Blu­me fiel nicht gleich zur Er­de, son­dern leuch­te­te lan­ge wie ei­ne Feu­er­ku­gel mit­ten im Dun­kel und se­gel­te wie ein Kahn durch die Luft; end­lich be­gann sie sich lei­se zu sen­ken und fiel so fern von ih­nen her­ab, daß das Stern­chen kaum mehr zu se­hen war und nicht grö­ßer er­schi­en, denn ein Mohn­korn. »Hier!« krächz­te die Al­te dumpf, und Bassa­wr­juk reich­te ihm einen Spa­ten hin und rief: »Gra­be hier nach, Pe­trusj! Da wirst du so viel Gold fin­den, als we­der du noch Korsch je ge­träumt ha­ben!«

Pe­trusj spie sich in die Hän­de, griff den Spa­ten, trat mit dem Fuß dar­auf und wühl­te die Er­de auf, ein­mal, noch ein­mal, ein drit­tes Mal, noch ein­mal … Da stieß er auf et­was Har­tes! … Der Spa­ten klirr­te und woll­te nicht tiefer in die Er­de hin­ein. Jetzt be­gan­nen sei­ne Au­gen plötz­lich ganz deut­lich ei­ne klei­ne, ei­sen­be­schla­ge­ne Kis­te wahr­zu­neh­men. Schon woll­te er sie mit der Hand er­fas­sen, aber die Kis­te be­gann im­mer tiefer und tiefer in die Er­de zu sin­ken, und hin­ter sich ver­nahm er ein La­chen, das dem Zi­schen von Schlan­gen glich. »Nie sollst du das Gold er­schau­en, ehe du nicht Men­schen­blut her­bei­schaffst!« rief die He­xe und führ­te auf ein­mal ein et­wa sechs­jäh­ri­ges Kind vor ihn hin, das mit ei­nem wei­ßen Tuch be­deckt war; sie deu­te­te ihm mit Zei­chen an, er müs­se dem Kind den Kopf ab­ha­cken. Pe­trusj er­starr­te. Ist’s denn ei­ne Klei­nig­keit, so mir nichts, dir nichts ei­nem Men­schen den Kopf ab­zu­ha­cken, und da­zu noch ei­nem un­schul­di­gen Kin­de! Wü­tend riß er das Tuch vom Kopfe, und was sah er? Vor ihm stand Iwasj! Das ar­me Kind stand mit ge­kreuz­ten Händ­chen und ge­senk­tem Köpf­chen da … Wie ein Ra­sen­der sprang Pe­trusj mit dem Mes­ser auf die He­xe los und er­hob die Hand …

»Was ver­sprachst du, für das Mäd­chen zu tun?« don­ner­te ihn Bassa­wr­juk an, und ver­setz­te ihm einen Schlag in den Rücken, der ihn traf wie ein Schuß. Die He­xe stampf­te mit dem Fu­ße, und ei­ne blaue Flam­me sprang aus dem Bo­den. Das In­ne­re der Er­de strahl­te auf und war wie aus Glas, und al­les in der Er­de wur­de so deut­lich sicht­bar, gleich als lä­ge es auf der fla­chen Hand! In Kis­ten und Kes­seln wa­ren Du­ka­ten und Edel­stei­ne hau­fen­wei­se auf­ge­sta­pelt, ge­nau un­ter der Stel­le, auf der sie stan­den. Des Pe­trusj Au­gen brann­ten, … sein Ver­stand ver­fins­ter­te sich … wie ein Tol­ler pack­te er das Mes­ser, und das un­schul­di­ge Blut spritz­te ihm in die Au­gen. Ein teuf­li­sches Ge­läch­ter tos­te auf al­len Sei­ten. – Wi­der­wär­ti­ge Un­ge­heu­er spran­gen scha­ren­wei­se vor ihm auf und ab. Wie ein Wolf, die Hän­de in den ent­haup­te­ten Leich­nam ge­krallt, sog die He­xe das Blut. In Pe­trusj Kopf kreis­te al­les, und mit dem Auf­wand sei­ner letz­ten Kräf­te be­gann er zu lau­fen. Al­les vor ihm ver­sank in ro­tes Licht. Al­le Bäu­me brann­ten in ro­tem Blut und stöhn­ten. In Rot­glut ge­taucht wank­te der Him­mel hin und her. Feu­er­fle­cke zuck­ten glim­mend vor sei­nen Au­gen auf. Ent­kräf­tet lief er bis in sei­ne Hüt­te, sank dort auf den Bo­den wie ei­ne Äh­re, und ein to­ten­ähn­li­cher Schlaf um­fing ihn.

Zwei Ta­ge und zwei Näch­te schlief Pe­trusj, oh­ne zu er­wa­chen. Als er am drit­ten Ta­ge wie­der zu sich kam, be­trach­te­te er lan­ge al­le Ecken und Win­kel sei­ner Stu­be, doch ver­geb­lich such­te er sich an die Be­ge­ben­hei­ten der letz­ten Zeit zu er­in­nern: Sein Ge­dächt­nis glich der Ta­sche ei­nes al­ten Geiz­hal­ses, aus der man kei­nen Hel­ler her­aus­lo­cken kann. Nach­dem er sich ein we­nig ge­r­eckt hat­te, ver­nahm er plötz­lich zu sei­nen Fü­ßen ein Klir­ren. Sieh da: Vor ihm la­gen zwei Sä­cke voll Gold. Erst jetzt er­in­ner­te er sich wie in ei­nem Trau­me, daß er einen Schatz ge­sucht hat­te, und wie es grau­sig im Wal­de ge­we­sen war … Aber um wel­chen Preis er ihn er­hal­ten hat­te, dar­auf konn­te er sich durch­aus nicht mehr be­sin­nen. So­wie Korsch die Sä­cke er­blick­te, da wur­de er sei­den­weich. »Pe­trusj, so ein Her­zens­jung’, den sollt’ ich nicht lie­ben? Der war mir doch stets wie mein eig­ner Sohn!« Und der al­te Knurr­hahn be­gann so zu schwe­feln, daß dem Pe­trusj die Trä­nen in die Au­gen ka­men. Da lief Pi­dor­ka be­stürzt her­bei und be­gann zu er­zäh­len, Iwasj sei von vor­über­zie­hen­den Zi­geu­nern ge­stoh­len wor­den. Aber Pe­trusj konn­te sich nicht ein­mal mehr auf ihn be­sin­nen, so sehr stand er im Ban­ne des ver­damm­ten Teu­felss­pu­kes! Nun war kei­ne Zeit mehr zu ver­lie­ren. Der Po­le wur­de vor die Tür ge­setzt, und man fei­er­te Hoch­zeit: Da wur­den Ku­chen ge­ba­cken, Wä­sche ge­näht, man roll­te ein Fäß­chen Schnaps her­bei, das jun­ge Paar ward an den Tisch ge­setzt, das Hoch­zeits­ge­bäck auf­ge­schnit­ten, da klim­per­ten Har­fen und die Sai­ten des Zym­bals, es kreisch­ten die Schal­mei­en, und die Zi­thern summ­ten – und die Lust­bar­keit be­gann …

Ein Hoch­zeits­fest aus al­ten Ta­gen ist nicht mit ei­nem in un­se­rer Zeit zu ver­glei­chen. Die Tan­te mei­nes Groß­va­ters er­zähl­te – hei juch­hei! Ei wie da die Mä­dels im präch­ti­gen Kopf­tuch mit den gel­ben, blau­en und ro­sa Bän­dern und der Goldtres­se dar­an dar­auf loss­pran­gen. Sie hat­ten fei­ne Hem­den an, de­ren Näh­te mit ro­ter Sei­de be­stickt wa­ren und die klei­ne sil­ber­ne Blüm­chen zier­ten, und ho­he Saf­fian­s­tie­fel­chen, die mit Huf­ei­sen be­schla­gen wa­ren; stolz wie Pfau­en flo­gen sie gleich ei­nem Wir­bel­wind rau­schend durchs Zim­mer. Wie da die jun­gen Frau­en ei­ne nach der an­de­ren her­vor­tra­ten mit ih­rem boots­ar­ti­gen Kopf­putz, des­sen Kap­pe aus Bro­kat ge­wirkt war, mit ei­nem Nacken­aus­schnitt, durch den das gol­de­ne Häub­chen mit den zwei her­ab­bau­meln­den Zip­fel­chen aus feins­tem schwar­zen Lamm­fell her­vor­guck­te, in ih­ren blau­en Über­wür­fen aus herr­lichs­tem Sei­den­stoff mit ro­ten Auf­schlä­gen – ei wie sie da gar wür­dig, die Hän­de auf die Hüf­ten ge­stützt, ei­ne nach der an­de­ren her­vor­tra­ten, und im Takt ih­ren Ho­pak tanz­ten. Wie da die Bur­schen in ih­ren ho­hen Ko­sa­ken­müt­zen, in fei­nen Tuch­kit­teln mit sil­ber­ge­stick­tem Gür­tel und die Pfei­fe zwi­schen den Zäh­nen um sie her­um schar­wen­zel­ten und ihr Licht durch­aus nicht un­ter den Schef­fel stell­ten! Korsch selbst konn­te beim An­blick des jun­gen Vol­kes nicht mehr an sich hal­ten und leg­te los wie in al­ten Ta­gen.

Mit der Har­fe in der Hand, aus der Pfei­fe paf­fend und ein Lied vor sich hin sin­gend, so be­gann der Al­te, mit dem Schnaps­glas auf dem Kopf, beim lau­ten Ge­schrei der lus­ti­gen Kum­pa­nei sei­nen Hop­ser her­un­ter zu stamp­fen. Was die nicht al­les in ih­rer Lus­tig­keit an­stif­te­ten! Schon wenn man an­fing, Mum­men­schanz zu trei­ben, Gott, was gab’s da nicht al­les. Das war ei­ne ganz an­de­re Mum­me­rei als auf un­se­ren heu­ti­gen Hoch­zei­ten. Was macht man denn heu­te? Man ver­klei­det sich als Zi­geu­ne­rin­nen und Mos­ko­wi­ter, das ist al­les! Nein, da­mals ver­klei­de­te sich ei­ner als Ju­de und der an­de­re als Teu­fel; erst küß­te man sich, und dann pack­te man ein­an­der beim Schopf … Ich bitt’ euch, das gab ein La­chen, daß man sich den Bauch hal­ten muß­te. Oder man leg­te tür­ki­sche und ta­ta­ri­sche Ge­wän­der an, die da glüh­ten wie das rei­ne Feu­er … Und wenn man erst wirk­lich an­fing, Un­sinn und Scha­ber­nack zu trei­ben … das war ge­ra­de­zu zum Plat­zen! Mit der Tan­te mei­nes ver­stor­be­nen Groß­va­ters, die mit auf die­ser Hoch­zeit war, be­gab sich ei­ne drol­li­ge Ge­schich­te. Sie trug da­mals ein wei­tes ta­ta­ri­sches Kleid und ging mit dem Schnaps­glas in der Hand um­her, um al­le wohl zu ver­sor­gen. Da muß­te einen der Teu­fel rei­ten, daß er sie von hin­ten mit Brannt­wein be­goß, ein an­de­rer muß­te ge­ra­de in die­sem Au­gen­blick Feu­er schla­gen, und so setz­ten sie sie denn lich­ter­loh in Brand. Die Flam­men fla­cker­ten im Nu hoch auf: Die ar­me Tan­te be­gann sich vol­ler Schre­cken in al­ler Ge­gen­wart die Klei­der vom Lei­be zu rei­ßen … Was sich da für ein Lärm, Ge­läch­ter und ein wil­des Durch­ein­an­der er­hob, rein wie auf ei­nem Jahr­markt! Kurz, die äl­tes­ten Leu­te konn­ten sich nicht auf ei­ne so lus­ti­ge Hoch­zeit be­sin­nen.

Pi­dor­ka und Pe­trusj be­gan­nen ein Le­ben mit­ein­an­der wie die feins­ten Herr­schaf­ten. Al­les war in Hül­le und Fül­le vor­han­den, al­les blink­te und fun­kel­te nur so … Doch die lie­ben Nach­barn, die ih­ren Wohl­stand mit­an­sa­hen, schüt­tel­ten nur den Kopf. »Vom Teu­fel kommt nichts Gu­tes!« sag­ten sie al­le ein­stim­mig. »Wo­her hat er denn den Reich­tum, wenn nicht vom Ver­su­cher al­ler recht­gläu­bi­gen Chris­ten? Wo hät­te er einen sol­chen Hau­fen Gol­des wohl her­ge­nom­men? Warum ist Bassa­wr­juk ge­ra­de an dem­sel­ben Ta­ge ver­schwun­den, als Pe­trusj zu sei­nem Reich­tum kam?« – Und was die Leu­te noch al­les re­de­ten. Und in der Tat; es war noch kein Mo­nat ver­gan­gen, da war Pe­trusj nicht mehr wie­der­zu­er­ken­nen. Was mit ihm ge­sche­hen war, das weiß Gott al­lein. Sitzt im­mer auf ein und der­sel­ben Stel­le fest und re­det kein Wort; er grü­belt nur im­mer, als woll­te er sich auf et­was be­sin­nen.

Wenn es Pi­dor­ka ge­lang, ein Wort aus ihm her­aus­zu­pres­sen, so daß er sich ver­gaß, ins Ge­spräch kam und so­gar ganz hei­ter wur­de, dann brauch­te er nur wie zu­fäl­lig auf die Geld­sä­cke zu bli­cken, und so­fort schrie er los: »Halt, halt, ich hab’s ver­ges­sen!« Und wie­der ver­fiel er in Sin­nen und quäl­te sich ab, ei­ne Er­in­ne­rung her­auf­zu­ru­fen. Manch­mal, wenn er lan­ge Zeit still auf ei­nem Fle­cke saß, kam es ihm so vor, als ob et­was Längst­ver­gan­ge­nes wie­der in sein Ge­dächt­nis zu­rück­kehr­te … aber gleich dar­auf ver­schwand al­les wie­der. Es dünkt ihn, er sitzt in der Schen­ke, man bringt ihm Schnaps, der Schnaps brennt ihm auf der Zun­ge und wi­dert ihn an; je­mand tritt zu ihm – schlägt ihm auf die Schul­ter, und er … Aber dann schi­en al­les vor ihm in einen Ne­bel zu sin­ken, der Schweiß rann ihm vom Ge­sicht, und er sank er­schöpft wie­der auf sei­nen Platz zu­rück.

Was auch Pi­dor­ka tun moch­te: Klu­ge Frau­en be­fra­gen, Zinn­deu­ten, Was­ser be­spre­chen – nichts woll­te hel­fen. So ver­ging der Som­mer. Manch ein Ko­sak hat­te schon sein Korn ab­ge­mäht und sein Heu ge­schnit­ten; manch küh­ne­rer Ko­sak war ins Feld ge­zo­gen. Schwär­me von En­ten dräng­ten sich auf un­se­ren Wei­hern, und der Zaun­kö­nig war schon längst ver­schwun­den. Die Step­pen färb­ten sich rot, Ge­trei­de­hau­fen la­gen hie und da ver­streut wie Ko­sa­ken­müt­zen auf dem Fel­de. Auf den We­gen konn­te man schon Wa­gen be­geg­nen, die mit Rei­sig und Holz be­la­den wa­ren. Die Er­de wur­de hart, und zeit­wei­se gab es schon Frost. Schon rie­sel­te der Schnee vom Him­mel her­ab, und die Zwei­ge der Bäu­me wa­ren mit Rauh­reif ver­ziert wie mit Ha­sen­pelz­chen. Schon stol­zier­te in kla­ren Win­ter­ta­gen der rot­brüs­ti­ge Gim­pel wie ein eit­ler, pol­ni­scher Schlach­ziz auf den Schnee­h­au­fen um­her und such­te sich Kör­ner, und die Kin­der trie­ben mit Rie­sen­stä­ben höl­zer­ne Bäl­le übers Eis, wäh­rend ih­re Vä­ter ru­hig hin­ter den Öfen la­gen und nur ab und zu mit der bren­nen­den Pfei­fe im Mun­de vors Haus gin­gen, um tüch­tig auf den rus­si­schen Frost zu schimp­fen, um sich mal aus­zulüf­ten, oder weil sie das Korn in den Scho­bern noch ein­mal durch­dre­schen woll­ten. End­lich be­gann der Schnee zu schmel­zen, und der Hecht schlug mit dem Schwän­ze das Eis auf; Pe­trusj aber war der­sel­be ge­blie­ben, und nur um so düs­te­rer ge­wor­den, je wei­ter die Zeit vor­rück­te. Wie an­ge­schmie­det saß er mit­ten im Zim­mer, die Sä­cke mit dem Gol­de zwi­schen den Bei­nen. Er ver­wil­der­te, war ganz und gar mit Haa­ren be­wach­sen, und wur­de ein wah­res Schreck­bild; im­mer denkt er an ein und das­sel­be, will sich et­was ins Ge­dächt­nis zu­rück­ru­fen, grollt mit sich und wü­tet, daß es ihm nicht ge­lingt. Oft springt er wild von sei­nem Sit­ze auf, fährt mit den Hän­den um­her und hef­tet sei­ne Au­gen auf et­was, als ob er es fest­hal­ten woll­te; sei­ne Lip­pen be­we­gen sich, als woll­ten sie ein längst ver­ges­se­nes Wort aus­spre­chen und – er­star­ren … Tob­sucht packt ihn; wie toll nagt und beißt er an sei­nen Hän­den, und voll Grimm reißt er sich gan­ze Bü­schel von Haa­ren aus, bis er wie­der still wird, be­wußt­los hin­sinkt, wie­der zu sin­nen an­fängt; und dann wie­der die­sel­be Wut und die­sel­be Qual … Was für ei­ne Stra­fe Got­tes war das! Was Pi­dor­ka durch­ma­chen muß­te, das war kein Le­ben mehr! Zu­erst grau­te sie’s, al­lein im Hau­se zu blei­ben, aber dann ge­wöhn­te sich die Ärms­te an ihr Un­glück. Die Pi­dor­ka von einst war nicht mehr wie­der­zu­er­ken­nen. Ihr Ge­sicht hat­te we­der Far­be noch ein Lä­cheln mehr; ab­ge­härmt und ab­ge­zehrt war’s, aus­ge­weint wa­ren die kla­ren Au­gen. Einst gab ihr je­mand aus Er­bar­men den Rat, sie sol­le zu der Zau­be­rin ge­hen, die in der Bä­ren­schlucht haus­te, und von der der Ruf aus­ging, sie kön­ne al­le Ge­bres­te der Welt hei­len. Sie be­schloß, dies letz­te Mit­tel zu ver­su­chen. Nach vie­lem Hin und Her über­re­de­te sie end­lich die Al­te, mit ihr mit­zu­ge­hen. Es war ge­gen Abend und ge­ra­de vor Jo­han­nis­nacht. Pe­trusj lag be­sin­nungs­los auf der Bank und nahm den neu­en Gast gar nicht wahr. Doch bald be­gann er sich nach und nach auf­zu­rich­ten und um sich zu bli­cken. Plötz­lich er­beb­te er wie auf dem Scha­fott; sein Haar sträub­te sich … und er brach in ein sol­ches La­chen aus, daß die Angst Pi­dor­ka ins Herz schnitt. »Ich hab’s, ich hab’s!« schrie er in fürch­ter­li­cher Lus­tig­keit, schwang das Beil hoch em­por und ließ es aus al­ler Lei­bes­kraft auf die Al­te fal­len. Das Beil saus­te zwei Zoll tief in die Ei­chen­tür hin­ein. Die Al­te war ver­schwun­den, und mit­ten in der Stu­be stand ein Kind von sie­ben Jah­ren in weißem Hemd­chen mit ver­hüll­tem Haupte … Das Tuch flog her­un­ter. »Iwasj!« schrie Pi­dor­ka und stürz­te auf ihn zu; doch das Ge­spenst war von Kopf bis zu Fü­ßen mit Blut be­deckt und er­glüh­te in ro­tem Lich­te, das die gan­ze Stu­be in bren­nen­des Rot tauch­te. Vol­ler Angst lief sie auf den Flur; als sie wie­der ein we­nig zu sich ge­kom­men war, woll­te sie ihm hel­fen; aber ver­ge­bens! Die Tür war so fest hin­ter ihr zu­ge­schla­gen, daß man nicht im­stan­de war, sie wie­der zu öff­nen. Die Leu­te lie­fen zu­sam­men, be­gan­nen zu klop­fen, schlu­gen die Tür ein: Kei­ne See­le war da! Die gan­ze Stu­be war voll Rauch, nur in der Mit­te, wo Pe­trusj ge­stan­den hat­te, lag ein Hau­fen Asche, von dem hie und da ein Qualm auf­stieg. Man eil­te zu den Sä­cken, dar­in la­gen statt der Du­ka­ten nur zer­bro­che­ne Scher­ben. Mit glot­zen­den Au­gen, auf­ge­sperr­ten Mäu­lern und oh­ne den Mut, sich zu re­gen, stan­den die Ko­sa­ken wie an­ge­wur­zelt da. In sol­che Angst hat­te sie dies Wun­der ver­setzt.

Was wei­ter ge­sch­ah, das weiß ich nicht. Pi­dor­ka leg­te das Ge­lüb­de ab, ei­ne Pil­ger­fahrt zu ma­chen; sie such­te ihr Hab und Gut zu­sam­men, das ihr vom Va­ter üb­rig ge­blie­ben war, und war in der Tat ei­ni­ge Ta­ge spä­ter aus dem Dor­fe ver­schwun­den. Wo­hin sie sich be­ge­ben hat­te, das wuß­te nie­mand zu sa­gen. Ge­schwät­zi­ge al­te Wei­ber woll­ten wis­sen, sie sei dort, wo auch Pe­trusj sei; aber ein Ko­sak, der aus Kiew kam, er­zähl­te, er ha­be im Klos­ter ei­ne zum Ske­lett ab­ge­ma­ger­te Non­ne ge­se­hen, die im­mer­wäh­rend be­te­te und in der ih­re Lands­leu­te al­len An­zei­chen nach Pi­dor­ka wie­der­er­kannt hät­ten. Bis jetzt, hieß es, ha­be noch nie­mand von ihr ein ein­zig Wört­lein ge­hört, sie sol­le al­lein zu Fuß ge­kom­men sein und ha­be ei­ne Fas­sung für das Hei­li­gen­bild der Mut­ter Got­tes mit­ge­bracht, ei­ne Fas­sung, die mit sol­chen bun­ten Stei­nen be­setzt ge­we­sen sei, daß al­len die Au­gen flim­mer­ten, wenn sie sie an­sä­hen.

Mit Ver­laub, aber da­mit war noch nicht al­les zu En­de. An dem­sel­ben Ta­ge, als der Bö­se Pe­trusj zu sich ge­nom­men hat­te, tauch­te auch Bassa­wr­juk wie­der auf; aber al­le mie­den ihn von nun ab. Man wuß­te jetzt, was das für ein Vo­gel war: Nie­mand an­ders als der Sa­tan war’s, der Men­schen­ge­stalt an­ge­nom­men hat­te, um Schät­ze zu he­ben; und da un­rei­ne Hän­de nicht Schät­ze he­ben kön­nen, so lock­te er bra­ve Bur­schen an sich. Noch in dem­sel­ben Jah­re lie­ßen al­le ih­re Lehm­hüt­ten ste­hen und lie­gen und zo­gen ins Kirch­dorf; aber auch dort hat­te man kei­ne Ru­he vor dem ver­fluch­ten Bassa­wr­juk. Die Tan­te mei­nes ver­stor­be­nen Groß­va­ters er­zähl­te, er ha­be ei­ne be­son­de­re Wut auf sie ge­habt, weil sie ih­re al­te Schen­ke auf der Land­stra­ße nach Ofoschnja­ny auf­ge­ge­ben hat­te, und er ha­be mit al­len Mit­teln ver­sucht, sei­nen Zorn an ihr aus­zu­las­sen. Einst wa­ren die Dor­fäl­tes­ten in der Schen­ke bei­ein­an­der; sie sa­ßen und un­ter­hiel­ten sich, wie man so sagt, nach Amt und Wür­den am Tisch, auf des­sen Mit­te ein ge­wiß nicht all­zu klei­ner ge­bra­te­ner Ham­mel stand. Man schwatz­te über dies und je­nes, auch über man­nig­fa­che Wun­der und Un­ge­heu­er­lich­kei­ten. Auf ein­mal schi­en’s, und nicht nur ei­nem – was ja nichts be­deu­ten wür­de –, son­dern al­len, als ob der Ham­mel den Kopf er­hob, die ge­bro­che­nen Au­gen wie le­ben­dig leuch­te­ten, und als ob plötz­lich ein bors­ti­ger schwar­zer Schnurr­bart sich auf die An­we­sen­den zu­be­weg­te. Al­le er­kann­ten in dem Ham­mel­kopf so­fort die Frat­ze Bassa­wr­juks, und die Tan­te mei­nes Groß­va­ters dach­te schon, er wür­de gleich Schnaps be­stel­len! … Die gu­ten Leut­chen grif­fen nach ih­ren Müt­zen und zo­gen ih­res Weges. Ein an­de­res Mal sah der Kir­chen­vor­stand in ei­ge­ner Per­son, der es lieb­te, ab und zu ein Stünd­chen bei Groß­va­ters Schnaps­glas zu ver­brin­gen, noch ehe er zum zwei­ten Ma­le das Glas ge­leert hat­te, auf ein­mal, wie das Glas an­fing, sich ehr­er­bie­tigst vor ihm bis zur Er­de zu ver­nei­gen. »Hol’ dich der Teu­fel!« rief er und be­gann sich zu be­kreu­zi­gen … Aber da wi­der­fuhr sei­ner Ehe­hälf­te gleich­falls ein Wun­der: Sie hat­te ge­ra­de be­gon­nen, Teig in ei­nem mäch­ti­gen Trog zu kne­ten, da sprang der Trog auf ein­mal in die Hö­he. »Halt! Halt! Wo­hin willst du?« rief sie. Aber da be­gann er, die Hen­kel in die Hüf­ten ge­stemmt, ehr­wür­dig in der Stu­be um­her­zutän­zeln … Ja, lacht nur! Aber un­se­rem Groß­va­ter war’s nicht zum La­chen zu­mu­te. Ver­geb­lich ging Va­ter Af­a­nas­si im gan­zen Dor­fe mit Weih­was­ser um­her und such­te den Teu­fel durch Be­spren­gen al­ler Stra­ßen zu ver­trei­ben. Es half nichts. Noch lan­ge klag­te die Tan­te mei­nes ver­stor­be­nen Groß­va­ters dar­über, daß, so­bald es Abend wur­de, je­mand aufs Dach klopf­te und an den Wän­den kratz­te.

Aber das ist noch nicht al­les! Jetzt scheint ja auf der Stel­le, wo un­ser Dorf steht, al­les ru­hig zu sein; aber es ist noch gar nicht so lan­ge her – mein ver­stor­be­ner Va­ter und ich ha­ben es noch er­lebt –, daß kein eh­ren­wer­ter Mensch an der ver­fal­le­nen Schen­ke, die noch lan­ge Zeit da­nach im­mer wie­der von den un­rei­nen Geis­tern aus­ge­bes­sert wur­de, oh­ne Furcht vor­bei­ge­hen konn­te. Aus dem ru­ßi­gen Schlot schlu­gen Säu­len Qualms em­por, die so hoch in die Luft stie­gen, daß ei­nem beim Hin­auf­se­hen die Müt­ze her­un­ter­fiel, und aus dem Qualm fie­len Koh­len über die gan­ze Step­pe. Und der Teu­fel – gar nicht nen­nen dürft’ man den Hun­de­sohn – schluchz­te so jäm­mer­lich in sei­ner Kam­mer, daß die Aas­gei­er er­schreckt in gan­zen Scha­ren em­pors­tie­ßen und mit wil­dem Ge­schrei am Him­mel um­her­schos­sen.