Das Seegespenst
von
Jonas Lie
Jonas Lie (1833-1908) war zuerst Seekadett, studierte dann in Christiana und entschied sich für die Beamtenlaufbahn. Er lebte eine Zeitlang in Italien und später aufgrund politischer Schwierigkeiten in Deutschland, wo seine Gesellschaftsromane größere Beachtung fanden als in Lies norwegischer Heimat. In seiner Frühzeit und im Alter zeigte Lie ein besonderes Interesse für die Spuk- und Dämonengeschichten seiner Heimat. In den bürgerlichen Realismus seiner Romane dringen immer wieder Elemente surrealer Phantastik ein, wie in der maritimen Erzählung »Das Seegespenst«, die sich in Lies Roman »Der Hellseher« findet. Neben Björnson und Ibsen zählt Lie zu den Wegbereitern der modernen norwegischen Literatur.
Auf dem Kvalholm da unten auf Helgeland wohnte ein armer Fischer namens Elias mit seiner Frau Karen, die früher bei dem Pastor in Alstadhaug gedient hatte. Sie hatten sich dort eine Hütte gebaut, und der Mann machte nun gegen Tagelohn die Lofotenfischerei mit.
Auf dem einsamen Kvalholm war es nicht ganz geheuer. Wenn der Mann fort war, hörte die Frau mancherlei unheimlichen Lärm und Geschrei, das nicht von etwas Gutem herrühren konnte.
Eines Tages, als sie auf die Hochebene gestiegen war und Gras zum Winterfutter für ihre Schafe mähte, hörte sie es sogar deutlich da unter dem Berge am Strande sprechen, aber sie wagte nicht nachzusehen, was es war.
Jedes Jahr wurde ihnen ein Kind geboren, aber sie waren beide arbeitsam und fleißig. Als sieben Jahre vergangen waren, befanden sich sechs Kinder in der Stube; aber um diese Zeit hatte sich der Mann auch so viel zusammengespart, daß er glaubte, er könnte sich nun selbst ein sechsrudriges Boot kaufen, um dann auf eigene Hand auf die Fischerei auszusegeln.
Eines Tages, als er mit einer Flunderpike in der Hand einherging und hierüber nachgrübelte, stieß er hinter einem Felsenvorsprung am Strande unvermutet auf einen ungeheuren Seehund, der dalag und sich sonnte und Elias wohl ebensowenig erwartet hatte wie dieser ihn. Elias jedoch bedachte sich nicht lange; er stieß ihm die lange schwere Pike gerade in den Rücken, dicht unter dem Genick.
Aber gab es da ein Wesen! Der Seehund erhob sich mit einemmal auf dem Schwänze gerade empor in die Höhe, so hoch wie ein Bootsmast, und sah ihn dabei mit ein paar blutunterlaufenen Augen so boshaft und giftig an, während er ihm grinsend die Zähne zeigte, daß Elias vor Schreck beinahe den Verstand verloren hätte. Dann fuhr der Seehund mit einemmal hinunter ins Wasser, so daß der Schaum hinter ihm ganz rot von Blut war. Mehr sah Elias von dem Tier nicht; aber an der Landungsstelle in der Bucht, wo sein Haus stand, kam an demselben Nachmittag die Flunderstange mit abgebrochener Eisenspitze ans Land getrieben.
Elias dachte jedoch nicht weiter hieran. Er kaufte sich im Herbst ein sechsrudriges Boot, für welches er bereits im Sommer einen kleinen Schuppen gebaut hatte.
Eines Nachts, als er noch wach lag und an seinen Sechsruderer dachte, fiel es ihm ein, daß er, um das Boot ordentlich zu verwahren, vielleicht noch eine kleine Klammer zum Stützen an jeder Seite einsetzen sollte. Er war so unvernünftig froh über das Boot, daß es ihm ein wahres Vergnügen war, aufzustehen und es mit der Laterne in der Hand zu besichtigen.
Wie er nun da stand und das Boot beleuchtete, glaubte er plötzlich, in einer Ecke auf dem Netzhaken ein Gesicht zu bemerken, das ganz dem des Seehundes glich. Es grinste ihn und die Laterne eine Weile boshaft an, der Rachen wurde gleichsam größer und immer größer, und schließlich fuhr ein großer Mann zur Tür hinaus, jedoch nicht so schnell, daß Elias bei dem Schein der Laterne nicht deutlich gesehen, wie eine lange Eisenspitze ihm aus dem Rücken hervorstand. Nun begann er doch das eine und das andere zu begreifen. Aber selbst jetzt war er mehr um das Boot als um sein Leben besorgt, und er setzte sich mit der Laterne in der Hand in das Boot und hielt Wache. Als seine Frau am folgenden Morgen hereinkam, fand sie ihn im Boote schlafend, mit der ausgebrannten Laterne neben sich.
Als er eines Morgens im Januar mit zwei Männern im Boot auf den Fischfang auszog, hörte er in der Dunkelheit eine Stimme, die von einer Schare, gerade an der Ausfahrt der Bucht, höhnisch lachend sagte: »Wenn du ein großes Boot bekommst, so nimm dich in acht, Elias!«
Es dauerte jedoch viele Jahre, bevor Elias es zu einem großen Boote brachte, und sein ältester Sohn Bernt war da bereits siebzehn Jahre alt. In demselben Herbst reiste Elias mit seiner ganzen Familie im Boot nach Ranen, um den Sechsruderer zugleich mit dem Aufgeld gegen ein großes Boot zu vertauschen. Zu Hause blieb nur ein soeben konfirmiertes Lappenmädchen zurück, das Elias vor einigen Jahren zu sich genommen hatte.
In Ranen war nun wirklich ein Boot zu haben, ein kleineres Großboot, um das es ihm gerade zu tun war und welches der beste Bootsbauer just in diesem Herbst fertigbekommen und geteert hatte. Elias wußte sehr wohl, wie ein Boot beschaffen sein mußte, und er glaubte, niemals eines gesehen zu haben, das so vorzüglich unter der Wasserlinie gebaut war wie dieses. Über dem Wasser dagegen sah es wenigstens für einen weniger Erfahrenen etwas grob und gar nicht besonders schön aus.
Der Baumeister sah dies alles ebensogut wie Elias. Er sagte, nach seiner Ansicht würde er der schnellste Segler werden, der je in Ranen gebaut worden sei; aber Elias sollte es trotzdem für billiges Geld haben, wenn er nur eines versprechen wollte, nämlich keine Änderung am Boote vorzunehmen, nicht einmal einen Nagel in die geteerten Steven zu schlagen. Erst als Elias ausdrücklich dieses Versprechen gegeben, bekam er das Boot.
Aber der Mann, der den Baumeister diese Form unter der Wasserlinie gelehrt hatte – über dem Wasser mußte er arbeiten, wie er es selbst konnte, und das wurde oft schlecht genug –, war wahrscheinlich dort gewesen und hatte ihm befohlen, das Boot so billig zu verkaufen, daß Elias es erwerben könnte, und ihm zugleich eingeschärft, im voraus die Bedingung zu machen, daß es nicht gezeichnet werden dürfe. Auf diese Weise konnten nicht, wie es gebräuchlich war, am Vorder- und Hintersteven Kreuze angebracht werden.
Elias gedachte nun wieder nach Hause zu segeln, aber erst ging er nach dem Handelsplatz und versorgte sich und die Seinen mit Weihnachtsvorrat, darunter auch eine Branntweinkruke. Sehr froh und zufrieden über den Handel, nahmen er sowohl wie seine Frau an diesem Tage vielleicht einen Schluck über den Durst, und auch Bernt, der Sohn, durfte ein wenig davon kosten.
Dann segelten sie in dem neuen Boote nach Hause. Anderer Ballast als Elias selbst nebst Frau und Kindern und dem Weihnachtsvorrat befand sich nicht im Boote. Der Sohn Bernt saß vorn, die Frau, unterstützt von dem Zweitältesten Sohn, hielt die Segel, und Elias selbst saß am Ruder, während die beiden jüngeren zwölf und vierzehn Jahre alten Brüder sich beim Wasserschöpfen ablösen sollten.
Sie hatten acht Seemeilen zu segeln, und als sie auf die See hinauskamen, zeigte es sich, daß sie das Boot gleich dies erstemal würden auf die Probe stellen müssen. Nach und nach steigerte sich der Wind zu einem Sturm, und die Schaumkämme der schweren Wogen begannen sich aneinander zu brechen.
Jetzt sah Elias, was für ein Boot er hatte; es durchschnitt die Wellen wie ein Seevogel, ohne daß auch nur ein Tropfen ins Boot kam, und er meinte, daß er nicht ein ganzes Reff beizusetzen brauche, was auf einem gewöhnlichen Großboot bei solchem Wetter notwendig gewesen wäre.
Später am Tage bemerkte er nicht weit von sich auf der See ein anderes Großboot mit voller Besatzung und viermal gerefften Segeln. Es hatte denselben Kurs, und er fand es etwas seltsam, daß er es nicht früher gesehen. Es schien, als wolle es mit ihm um die Wette segeln, und als er das merkte, konnte er es nicht unterlassen, sein Segel wieder aufzusetzen.
Jetzt ging es mit rasender Schnelligkeit an Landzungen, Werdern und Schären vorüber, so daß es Elias schien, als sei er noch nie zuvor auf einer so prächtigen Segelfahrt gewesen, und nun zeigte es sich auch, daß das Boot wirklich das beste in Nordland war.
Das Meer ging indes immer höher, und sie hatten bereits mehrere ordentliche Sturzwellen bekommen. Sie brausten vorn am Halse, wo Bernt saß, herein und flossen in der Nähe des Hinterverdecks wieder in die See hinaus.
Als es dunkel geworden, war das andere Boot ganz in ihre Nähe gekommen, so daß sie sich einander etwas hätten zuwerfen können.
So ging die Fahrt Seite an Seite auf der immer gefährlicher werdenden See in die Nacht hinein. Es hätte nun eigentlich wieder gerefft werden müssen, aber Elias wollte sich bei dem Wettfahren nicht gern für besiegt erklären und gedachte damit so lange wie möglich zu warten – bis die anderen es taten, wo es vielleicht ebenso notwendig war. Immer öfter ging nun die Branntweinkruke herum, da sie jetzt sowohl der Kälte wie der Nässe zu widerstehen hatten.
Das »Meerleuchten«, das auf den schwarzen Wogen neben Elias’ Boot spielte, strahlte eigentümlich stark auf dem Schaumrande um das andere Boot, das gleichsam durch feurige Sturzwellen dahinsegelte. Bei dem hellen Phosphorschein vermochte er sogar die Taue am Boote zu unterscheiden. Er konnte auch deutlich die Leute an Bord sehen, mit ihren Südwestern auf dem Kopf; aber als ihre Luvseite zunächst lag, kehrten sie ihm alle den Rücken zu und wurden zudem fast gänzlich von dem hohen Rande des Bootes verdeckt.
Plötzlich schlug eine schreckliche Sturzwelle, deren weißen Kamm Elias schon von weitem durch die Dunkelheit erblickt hatte, ins Boot, wo Bernt saß. Sie hielt gleichsam das ganze Boot einen Augenblick auf; die Planken erbebten und zitterten unter ihrem Druck, und dann strömte sie hinten über die Leeseite wieder hinaus, als das Boot, welches eine Weile halb gekentert dalag, sich wieder erhob und von neuem dahinschoß. Während dies geschah, schien es Elias, als ob von dem andern Boot her schrecklich geschrien würde. Aber als es vorüber war, rief die Frau, die hinten am Segel saß, mit einer Stimme, die ihm ins Herz schnitt:« Herr mein Gott, Elias, die Welle hat Martha und Nils mit sich genommen!« Das waren ihre zwei jüngsten Kinder, das erstere neun, das andere sieben Jahre alt. Sie hatten neben Bernt gesessen. Elias antwortete nur: »Laß das Segel nicht los, sonst wirst du noch mehr verlieren!«
Es galt nun das viertemal zu reffen, und als das geschehen war, fand Elias, daß er sogar zum fünften Male reffen müßte, denn der Sturm ward immer ärger; aber um anderseits die immer schwereren Sturzwellen umsegeln zu können, durfte er das Segel nicht weiter einziehen, als durchaus notwendig war. Es kam jedoch so, daß sie das Segel mehr und mehr einziehen mußten. Die See peitschte ihnen ins Gesicht, und Bernt und der nächstälteste Bruder Anton, der bisher der Mutter am Segel geholfen, mußten sich schließlich an der Rah halten – ein Ausweg, zu dem man seine Zuflucht nimmt, wenn das Boot nicht einmal das fünfmal gereffte Segel mehr verträgt.
Das benachbarte Boot, das eine Weile nicht sichtbar gewesen, tauchte plötzlich neben Elias’ Boot wieder auf, mit ganz derselben Takelage wie dieses; aber die Mannschaft dort an Bord wollte ihm jetzt nicht recht gefallen. Die beiden, welche die Rah hielten und deren bleiche Gesichter er unter den Südwestern erblickte, schienen ihm bei der seltsamen Beleuchtung der Schaumwoge mehr Gespenstern als Menschen zu gleichen; auch sprachen sie kein einziges Wort.
Eine Strecke entfernt erblickte er jetzt wieder auf dem Wasser den hohen Kamm einer Sturzwelle, welche sich durch die Finsternis näherte, und er bereitete sich beizeiten darauf vor, sie zu empfangen. Das Boot wurde mit dem Steven direkt auf die Welle gelegt und das Segel so groß wie möglich geführt, um Schnelligkeit genug zu gewinnen, daß er die Welle durchschneiden und wieder aus ihr heraussegeln könnte. Herein brauste die Sturzwelle, tosend wie ein Wasserfall; wieder lagen sie einen Augenblick halb gekentert; aber als die Gefahr vorüber war, saß die Frau nicht mehr am Segel, und auch Anton stand nicht mehr da und hielt die Rah – sie waren beide über Bord gegangen.
Auch diesmal schien es Elias, als hörte er denselben unheimlichen Ruf in der Luft. Aber dazwischen hörte er deutlich seine Frau angstvoll seinen Namen rufen. Als er begriff, daß sie über Bord gespült war, sagte er nur: »In Jesu Namen!« und schwieg dann. Es war ihm so zumute, daß er ihr am liebsten gefolgt wäre, aber er fühlte zugleich, daß es nun galt, den Rest der Last zu bergen, die er noch an Bord hatte, nämlich Bernt und seine zwei anderen Söhne, der eine zwölf, der andere vierzehn Jahre alt, die nun im Hintersteven hinter ihm Platz erhalten hatten.
Bernt mußte allein auf die Rah achten; er und der Vater mußten sich so gut helfen, wie es gehen wollte. Das Steuerruder wagte Elias nicht loszulassen, und er hielt es mit eiserner Hand fest – sie war jedoch längst vor Anstrengung gefühllos geworden.
Eine Weile darauf tauchte das andere Boot wieder auf; es war, wie das erstemal, eine Zeitlang nicht zu sehen gewesen. Nun sah Elias auch mehr von dem großen Mann, der auf demselben Platz wie er selbst im Hintersteven saß. Aus seinem Rücken unterhalb des Südwesters stand, als er sich umwandte, ganz richtig eine lange Eisenpike, die Elias wiederzuerkennen glaubte. Dadurch ward ihm zweierlei klar: Erstens, daß es niemand anders war als das Seegespenst selbst, das sein Halbboot dicht neben ihm lenkte und ihn ins Verderben geführt, und zweitens, daß es so bestimmt war, daß er in dieser Nacht seine letzte Fahrt machte. Denn der, welcher das Seegespenst auf dem Meere erblickt, ist verloren. Er sagte nichts zu seinen Söhnen, um ihnen nicht den Mut zu rauben; aber in der Stille empfahl er Gott seine Seele. Seit einigen Stunden hatte er den Kurs ändern müssen, um dem Sturm auszuweichen; zugleich entstand nun ein Schneegestöber, und so sah er ein, daß er auf die Landung warten müßte, bis der Tag graute. Die Fahrt ging indes wie bisher. Von Zeit zu Zeit klagten die Knaben im Hintersteven, daß sie frören, aber dagegen war ja bei der Nässe nichts zu machen, und Elias war zudem mit ganz anderen Gedanken beschäftigt. Es hatte ihn ein so heißes Verlangen ergriffen, sich zu rächen, und er würde es auch getan haben, wenn er nicht das Leben seiner drei übrigen Kinder zu verantworten gehabt hätte. Dann würde er durch eine plötzliche Wendung versucht haben, das verfluchte Boot in den Grund zu segeln, das noch immer wie zum Hohn sich neben ihm hielt und dessen böse Absicht er nur allzu klar durchschaute. Konnte die Flunderpike früher das Gespenst treffen, so ließ sich auch wohl jetzt mit einem Messer oder einem eisernen Fischhaken dasselbe erreichen, und er fühlte, er würde gern sein Leben hingegeben haben, um den ordentlich zu treffen, der ihm so unbarmherzig das Liebste auf Erden genommen und wohl noch mehr haben wollte.
Als es zwischen drei und vier Uhr nachts war, erblickte Elias wieder in der Dunkelheit eine Schaumbrechung von solcher Höhe, daß er anfangs glaubte, es sei eine Brandung in der Nähe des Landes. Er erkannte jedoch bald, was es war, nämlich eine ungeheure Woge. Da glaubte er deutlich zu hören, wie es in dem anderen Boote lachte, und er vernahm die Worte: »Nun steure dein Großboot, Elias!« Dieser, der das Unglück voraussah, sagte jetzt laut: »Nun, in Jesu Namen!«, bat dann seine Söhne, sich mit aller Macht an den Ruderpflöcken festzuhalten, wenn das Boot untertauchte, und nicht eher loszulassen, als bis sie wieder über Wasser wären. Er ließ den ältern vorn zu Bernt gehen, er selbst behielt den jüngsten dicht neben sich, strich ihm heimlich mehrmals die Wange und vergewisserte sich, ob er sich recht festhielt. Das Boot wurde buchstäblich unter der Schaumwelle begraben, erhob sich jedoch nach und nach mit dem Vordersteven und ging dann unter. Als es mit dem Kiel nach oben wieder an die Oberfläche stieg, lagen Elias, Bernt und der zwölfjährige Martin neben dem Boot und hielten sich an dem Weidenbande fest; aber der dritte Bruder fehlte.
Nun galt es zunächst, die Tauwände an der Seite zu durchschneiden, so daß der Mast an der andern Seite neben dem Boot schwimmen könnte, statt gewaltsam unter demselben zu arbeiten, und dann auf den Kiel zu gelangen, um den Zapfen aus dem Schlüsselloch zu entfernen und die Luft, die das Boot jetzt zu hoch im Wasser hielt, herauszulassen, damit es still liegen könnte. Nach großen Anstrengungen glückte dies, und Elias, der zuerst auf den Kiel gelangte, half nun auch den beiden Söhnen hinauf.
Und dort saßen sie nun in der langen, finsteren Winternacht, mit Händen und Knien sich krampfhaft an den Boden des Bootes festklammernd, über welches eine Welle nach der andern schlug.
Schon nach ein paar Stunden starb Martin, den der Vater die ganze Zeit über nach Möglichkeit gestützt hatte, vor Ermattung und glitt in die See hinunter. Mehrmals hatten sie um Hilfe gerufen, gaben es aber wieder auf, weil sie einsahen, daß es nichts nützen würde.
Während die beiden nun allein auf dem umgeschlagenen Boote saßen, sagte Elias zu Bernt: Er glaube, auch er würde bald »der Mutter folgen«; er habe jedoch die feste Hoffnung, Bernt würde gerettet werden, wenn er nur wie ein Mann aushalte. Dann erzählte er ihm von dem Seegespenst, das er mit der Flunderpike in den Nacken gestoßen und wie dieses sich nun an ihm gerächt habe und wohl nicht nachgeben würde, bis sie quitt seien.
Gegen neun Uhr morgens, als der Tag zu grauen begann, reichte Elias Bernt, der neben ihm saß, seine silberne Uhr mit der Messingkette, die er entzweigerissen hatte, um unter der zugeknöpften Weste die Uhr hervorzuziehen. Er blieb noch eine Weile sitzen; aber als es heller wurde, sah Bernt, daß des Vaters Antlitz totenbleich war und das Haar sich an verschiedenen Stellen geteilt hatte, wie es wohl bei einem Sterbenden zu geschehen pflegt, und durch das Festhalten am Kiel war ihm die Haut von den Händen abgerieben. Der Sohn begriff jetzt, daß es mit dem Vater zu Ende ging, und wollte, wenn’s ihm nur eben möglich sei, zu ihm hinrücken, um ihn zu stützen; aber als Elias dies merkte, sagte er: »Halt dich nur unverzagt fest, Bernt! In Jesu Namen geh’ ich nun zur Mutter!« Und damit warf er sich rücklings von dem Boot ins Meer.
Als die See ihre Beute empfangen hatte, wurde sie, wie jeder weiß, der auf einem solchen umgestürzten Boot gesessen, eine Weile nachher ruhiger. Es ward jetzt Bernt leichter, sich festzuhalten, und mit dem heller werdenden Tage faßte er auch neue Hoffnung. Der Sturm legte sich, und als es ganz hell geworden, schien es ihm, als ob er die Gegend erkennte und seiner Heimat, dem Kvalholm, zutriebe.
Er begann jetzt wieder um Hilfe zu rufen, setzte aber seine meiste Hoffnung auf eine Strömung, von der er wußte, daß sie an einer Stelle ans Land trug, wo eine Landzunge der Insel die Wogen brach, so daß das Wasser ruhig wurde. Er trieb auch ganz richtig immer näher und kam schließlich einer Schäre so nahe, daß der Mast, der neben dem Boote schwamm, zugleich mit den Wellen an der schrägen Klippe auf und nieder wogte. So starr seine Glieder von dem Sitzen und Festhalten auch waren, gelang es ihm jetzt doch unter großer Anstrengung, sich auf die Felsenklippe zu retten, auf die er den Mast hinaufzog und wo er das Großboot vertaute. Das Lappenmädchen, das allein zu Hause war, hatte seit ein paar Stunden Notrufe zu vernehmen geglaubt, und da dieselben nicht aufhörten, stieg sie auf eine Anhöhe, um zu sehen, was es wäre. Da gewahrte sie Bernt auf der Klippe und sah das umgekehrte Großboot an derselben auf und ab wogen. Sie lief sofort hinunter, schob das alte Ruderboot ins Wasser und ruderte um die Insel herum zu ihm hinaus.
Bernt lag unter ihrer Pflege den ganzen Winter krank und ging in diesem Jahre nicht auf den Fischfang. Die Leute meinten auch, nach diesen Erlebnissen wäre er manchmal von etwas wunderlicher Art.
Auf das Meer wollte er nicht wieder hinaus – er hatte den Seeschreck bekommen. Er heiratete das Lappenmädchen und zog hinauf nach Malangen, wo er sich ein Rodeland erwarb und wo er jetzt lebt und sich gut steht.