Die Geschichte vom schläfrigen Tal
von
Wa­shing­ton Ir­ving

 

 

Wa­shing­ton Ir­ving (1783-1859) gilt als Va­ter der ame­ri­ka­ni­schen Li­te­ra­tur und als Be­grün­der der ame­ri­ka­ni­schen Short-Sto­ry. Sein »Skiz­zen­buch« (1819/20) mach­te den in Nord­ame­ri­ka schon be­kann­ten Schrift­stel­ler auch in Eu­ro­pa be­rühmt. In der fol­gen­den Ge­schich­te dar­aus ge­stal­tet er in sei­ner hu­mo­ris­tisch-hin­ter­grün­di­gen Ma­nier ei­ne al­te ame­ri­ka­ni­sche Volks­sa­ge.

 

 

Im In­ne­ren ei­ner der ge­räu­mi­gen Buch­ten, die sich am öst­li­chen Ufer des Hud­son ge­bil­det ha­ben, an je­ner Stel­le, da sich der Fluß ver­brei­tert, liegt ein klei­ner länd­li­cher Ha­fen, der Greens­bur­gh, aber auch Tar­ry Town ge­nannt wird. Die­sen Na­men er­hielt der Ort in frü­he­ren Zei­ten, weil es die Män­ner an Markt­ta­gen nicht las­sen konn­ten, sich stän­dig in den Schen­ken her­um­zu­trei­ben. Nicht weit von die­sem Dorf ent­fernt liegt ein klei­nes Tal zwi­schen ho­hen Ber­gen, das ei­ner der stills­ten Or­te der gan­zen Welt zu sein scheint. Ein klei­ner Bach fließt hin­durch, und das Was­ser gibt ein ein­schlä­fern­des Gluck­sen von sich. Ab und zu hört man den Ruf ei­ner Wach­tel oder das Pi­cken ei­nes Spechts, und dies sind bei­na­he die ein­zi­gen Lau­te, die die­se ein­tö­ni­ge Stil­le un­ter­bre­chen.

Die Ru­he des Or­tes und der selt­sa­me Cha­rak­ter sei­ner Be­woh­ner, die von hol­län­di­schen Ein­wan­de­rern ab­stam­men, ha­ben die­ser ab­ge­le­ge­nen Ge­gend den Na­men »das schläfrige Tal« ein­ge­tra­gen. Ein schläf­ri­ges, träu­me­ri­sches We­sen scheint auf dem gan­zen Land zu lie­gen.

Ei­ni­ge Leu­te be­haup­ten, der Ort sei von ei­nem deut­schen Dok­tor in den frü­hen Ta­gen der Ko­lo­ni­en be­hext wor­den, an­de­re mei­nen, ein in­dia­ni­scher Häupt­ling ha­be dort Geis­ter­be­schwö­run­gen ab­ge­hal­ten. Je­den­falls ist es auch heu­te noch im­mer nicht recht ge­heu­er in die­sem Tal, und die Men­schen, die dort woh­nen, schei­nen be­stän­dig im Traum um­her­zu­ge­hen. Sie glau­ben an Wun­der und Er­schei­nun­gen, hö­ren Mu­sik und Geis­ter­stim­men in der Luft, und der gan­ze Land­strich ist vol­ler zwie­lich­ti­gem Aber­glau­ben, und man sagt, die Nacht­mahr mit ih­ren neun Kin­dern zei­ge sich dort be­son­ders gern.

Der wich­tigs­te Geist aber, der hier um­geht, und dem ge­wis­ser­ma­ßen al­le an­de­ren Spuk­we­sen Un­ter­tan sind, ist ein Rei­ter oh­ne Kopf. Man hält ihn für das Ge­spenst ei­nes hes­si­schen Ka­val­le­ris­ten, dem ei­ne Ka­no­nen­ku­gel in ir­gend­ei­ner Schlacht des Re­vo­lu­ti­ons­krie­ges den Schä­del zer­trüm­mert hat. Man sieht ihn von Zeit zu Zeit, wie er rasch wie der Wind durch die Dun­kel­heit da­von­rei­tet. Er läßt sich nicht nur im Tal se­hen, son­dern taucht auch auf der na­he­ge­le­ge­nen Land­stra­ße auf und er­scheint auch bei ei­ner be­stimm­ten Kir­che, auf de­ren Fried­hof nach glaub­haf­ten An­ga­ben der Leich­nam des Rei­ters be­er­digt wur­de. Und es geht die Re­de, das Ge­spenst rei­te des Nachts zum Schlacht­feld, um dort sei­nen Kopf zu su­chen. Die Be­woh­ner aber nen­nen es »den kopf­lo­sen Rei­ter aus dem schläf­ri­gen Tal«.

In die­ser spuk­haf­ten Ge­gend wohn­te nun vor Zei­ten ein Mann mit Na­men Icha­bod Cra­ne, der es sich zur Auf­ga­be ge­setzt hat­te, die Kin­der je­nes Land­strichs zu un­ter­rich­ten. Die­ser Schul­leh­rer war groß und sehr dürr, hat­te lan­ge Ar­me und Bei­ne, und sei­ne Hän­de rag­ten un­för­mig weit aus den Är­meln sei­ner Ja­cke her­vor. Sei­ne Fü­ße hät­ten als Schau­feln die­nen kön­nen, und sei­ne gan­ze Ge­stalt sah schlot­ternd und wie aus den Fu­gen ge­ra­ten aus. Wenn man ihn an ei­nem win­di­gen Tag vom Ab­hang ei­nes Ber­ges her­ab­stei­gen sah und sei­ne Klei­der um ihn weh­ten und flat­ter­ten, hät­te man ihn für das Ge­spenst der Hun­gers­not hal­ten kön­nen, das auf die Er­de steigt, oder für ei­ne aus dem Korn­feld ent­lau­fe­ne Vo­gel­scheu­che.

Als Leh­rer war er nach­sich­tig und mil­de, und da es den Be­woh­nern die­ser Ge­gend schwer­fiel, sich über­haupt einen Schul­meis­ter zu leis­ten, mach­te er sich bei den Päch­tern ne­ben­her noch bei der Feld­ar­beit nütz­lich, half beim Heu­ma­chen, flick­te Zäu­ne, ritt die Pfer­de zur Trän­ke, trieb das Vieh von der Wei­de heim und spal­te­te Holz für den Win­ter. Auch stell­te man ihn ge­le­gent­lich als Kin­der­mäd­chen an, was ihm viel von der ge­bie­te­ri­schen Wür­de nahm, die sonst sol­chen Per­so­nen an­haf­tet. Zu­dem war er auch der Ge­sangs­leh­rer in die­sem Land­strich, und sei­ne Stim­me war am Sonn­tag im Kir­chen­chor aus ei­ner An­zahl schö­ner Stim­men deut­lich her­aus­zu­hö­ren.

So schlug sich die­ser ed­le Päd­ago­ge mit Hän­gen und Wür­gen durch, und al­le, die von den Mü­hen geis­ti­ger Ar­beit nichts wuß­ten, wa­ren der An­sicht, er füh­re doch ein wun­der­ba­res be­que­mes Le­ben. Da er bei sei­nen man­nig­fal­ti­gen Be­schäf­ti­gun­gen viel her­um­kam, wur­de er zu ei­ner Art wan­deln­der Zei­tung, die den Dorf­klatsch von Haus zu Haus trug. Au­ßer­dem war er bei den Wei­bern wie bei den Män­nern hoch an­ge­se­hen, hat­te er doch meh­re­re Bü­cher ganz durch­ge­le­sen und kann­te er sich doch in Cot­ton Ma­thers Ge­schich­te der neu­eng­li­schen Zau­be­rei gut aus.

Er lieb­te es, sich selbst das Gru­seln ein­zu­re­den. Sah er in der Nacht einen Leucht­kä­fer, so hielt er ihn für ei­ne ver­zau­ber­te See­le, er­blick­te er einen be­son­ders großen Kä­fer, der wild mit den Flü­geln um sich schlug, so war es für Icha­bod klar, daß der ar­me Kerl von ei­ner He­xe be­spro­chen wor­den sei. All sol­che Wahr­neh­mun­gen ge­noß er halb ängst­lich, halb mit freu­di­ger Er­re­gung dar­über, dem Un­heim­li­chen na­he zu sein.

Schau­er­li­ches Ver­gnü­gen be­rei­te­te es ihm auch, an lan­gen Win­ter­aben­den bei den al­ten Hol­län­der­frau­en in den Spinn­stu­ben zu sit­zen und ih­re selt­sa­men Er­zäh­lun­gen von Ge­spens­tern und Ko­bol­den, von ver­hex­ten Fel­dern, Bä­chen und Häu­sern und be­son­ders von dem kopf­lo­sen Rei­ter an­zu­hö­ren.

Da­ge­gen wuß­te er sie mit An­ek­do­ten von He­xe­rei, von schreck­li­chen Zei­chen und selt­sa­men Er­schei­nun­gen und Tö­nen in der Luft zu un­ter­hal­ten und jag­te ih­nen Schre­cken ein, in­dem er ih­nen von Ko­me­ten und Stern­schnup­pen be­rich­te­te und sie mit der Tat­sa­che ver­traut mach­te, daß sich die Welt ganz und gar dre­he und sie al­le die Hälf­te ih­rer Zeit auf dem Kopf stün­den.

Aber wie an­ge­nehm dies auch war, wenn man in ei­ner war­men Stu­be, in die sich kein Ge­spenst her­ein­wag­te, da­von be­rich­te­te – es gab den Heim­weg. Da la­ger­ten furcht­ba­re Ge­stal­ten und Schat­ten am Weg­rand. Mit arg­wöh­ni­schem Blick sah er auf je­den zit­tern­den Licht­strahl, der aus ir­gend­ei­nem fer­nen Fens­ter auf die wei­ten Fel­der fiel. Ein ver­schnei­ter Strauch barg ge­wiß ein Un­ge­tüm. Und fuhr ein Wind­stoß heu­lend durch den Wald, so sah er sich zu wil­der Ver­zweif­lung ge­trie­ben, denn er war sich fast si­cher, daß das Ge­räusch von dem Rei­ter oh­ne Kopf her­rühr­te, der wie­der ein­mal nach dem Schlacht­feld un­ter­wegs war, um sei­nen Schä­del zu su­chen.

All dies war je­doch nur dem bö­sen Geist der Fins­ter­nis zu­zu­schrei­ben, der sich in der Nacht be­wegt und die Phan­to­me los­läßt. Und wenn er auch schon manch Ge­spenst ge­se­hen hat­te und oft auf sei­nen Wan­de­run­gen vom Sa­tan heim­ge­sucht wor­den war, so ver­moch­te er sich doch im tiefs­ten Schre­cken im­mer da­mit zu trös­ten, daß dies al­les bei Ta­ges­an­bruch ein En­de ha­be. So wä­re der gu­te Mann trotz der nächt­li­chen Er­schei­nun­gen des Sa­tans und sei­nes Ge­fol­ges glück­lich und zu­frie­den ge­we­sen, wä­re nicht sein Weg von ei­nem We­sen ge­kreuzt wor­den, das den Sterb­li­chen mehr Kum­mer und Ver­druß be­rei­ten kann, als al­le Ge­spens­ter, Ko­bol­de und das gan­ze He­xen­volk zu­sam­men, näm­lich – ein Mäd­chen.

Un­ter den Ge­sangs­schü­lern, die sich an ei­nem Abend der Wo­che ver­sam­mel­ten, um Un­ter­richt in Psal­men­sin­gen zu neh­men, be­fand sich ei­ne ge­wis­se Ka­tha­ri­na van Tas­sel, die Toch­ter und das ein­zi­ge Kind ei­nes wohl­ha­ben­den hol­län­di­schen Päch­ters.

Sie war schön, rund­lich wie ein Reb­huhn und reif, weich und rot­wan­gig wie ei­ner von den Pfir­si­chen ih­res Va­ters. Da aber ihr Va­ter ei­ner der reichs­ten Päch­ter weit und breit war, wur­de sie nicht nur we­gen ih­rer äu­ße­ren Rei­ze, son­dern auch we­gen ih­rer großen Mit­gift von den Bur­schen der Ge­gend um­schwärmt. In die­ses Mäd­chen al­so ver­lieb­te sich der Schul­meis­ter Icha­bod, und auch bei ihm spiel­te die Aus­sicht, auf die­sem Um­weg den präch­ti­gen Be­sitz ih­res Va­ters zu er­ben, kei­ne ge­rin­ge Rol­le.

Er muß­te je­doch fest­stel­len, daß er au­ßer ei­ner An­zahl von Schwär­me­rn, die sich we­nig Hoff­nung auf die Gunst des Mäd­chens ma­chen konn­ten, sehr wohl einen ernst­zu­neh­men­den Ri­va­len be­saß, des­sen Art und We­sen es eben be­wirkt hat­ten, daß die an­de­ren Bur­schen mehr oder min­der frei­wil­lig zu­rück­ge­tre­ten wa­ren und dem Mäd­chen nur noch aus der Fer­ne schö­ne Au­gen mach­ten. Der Bur­sche hieß Abra­ham, wur­de aber Brom van Br­unt ge­nannt, und das gan­ze Land sprach von sei­nen Ta­ten. Er war breit­schult­rig und seh­nig, trug kur­z­es krau­ses schwar­zes Haar und hat­te ein gro­bes, aber nicht un­schö­nes Ge­sicht, in dem sich Schalk und Hoch­mut misch­ten. We­gen sei­ner her­ku­li­schen Ta­ten und sei­ner großen Kraft hat­te er den Spott­na­men Brom Bo­nes, das heißt »Kno­chen-Brom«, er­hal­ten. Er war ein gu­ter Rei­ter, und mit drei oder vier lus­ti­gen Kum­pa­nen, die ihn als Vor­bild be­trach­te­ten, ritt er oft bei kal­tem Wet­ter in ei­ner Pelz­müt­ze mit lan­gem Fuchs­schwanz über Land. Zu­wei­len hör­te man dann sei­ne Schar um Mit­ter­nacht mit großem Ge­schrei und Hus­sa wie ein Trupp Ko­sa­ken an den Häu­sern vor­bei­spren­gen. Die al­ten Frau­en fuh­ren im Schlaf hoch und mur­mel­ten: Das ist wie­der Brom Bo­nes mit sei­ner Ban­de. Bei al­len tol­len Strei­chen und bei je­der Schlä­ge­rei war er da­bei und hat­te sich so über­all be­kannt ge­macht.

Die­ser tap­fe­re Held hat­te seit ei­ni­ger Zeit die schö­ne Ka­tha­ri­na zum Ge­gen­stand sei­ner recht plum­pen Zärt­lich­kei­ten aus­er­se­hen, die, wenn­gleich sie et­was von den Tap­sig­kei­ten ei­nes Bä­ren hat­ten, wie man sich er­zähl­te, auf das Mäd­chen nicht ganz oh­ne Ein­druck ge­blie­ben wa­ren. Bo­nes be­gann nun, Icha­bod al­ler­lei Strei­che zu spie­len. Mit sei­ner Reiter­schar er­schi­en er bei der Sing­schu­le und ver­stopf­te die Schorn­stei­ne, so daß der ar­me Schul­meis­ter schon ver­mu­te­te, He­xen sei­en am Werk. Auch ließ Brom kei­ne Ge­le­gen­heit ver­strei­chen, Icha­bod in Ge­gen­wart des Mäd­chens lä­cher­lich zu ma­chen. Er be­saß einen Hund, den er zum Jau­len und Win­seln ab­rich­te­te, um ihn dann in die Sing­schu­le ein­zu­schmug­geln, wo er Icha­bo­ds Ge­sän­ge in schau­rigs­ter Wei­se par­odier­te.

So ging die Sa­che ei­ne Zeit­lang hin, oh­ne daß es zwi­schen den bei­den Ri­va­len zu ei­ner Ent­schei­dung ge­kom­men wä­re, bis Icha­bod an ei­nem schö­nen Herbst­nach­mit­tag in sei­nem Schul­haus den Be­such ei­nes Ne­gers emp­fing, der ihm ei­ne Ein­la­dung zu ei­nem Fes­tes­sen über­brach­te, das noch am sel­ben Abend im Hau­se des Myn­heer van Tas­sel statt­fin­den soll­te. Ehe sich Icha­bod noch nach nä­he­ren Ein­zel­hei­ten er­kun­di­gen konn­te, war der Bo­te auch schon wie­der ver­schwun­den, an­ge­trie­ben von der Wich­tig­keit und Ei­le sei­ner Missi­on. Der Leh­rer gab sei­nen Schü­lern frei und mach­te sich dann mit be­son­de­rer Sorg­falt an die Toi­let­te. Er zog sei­nen ver­schos­se­nen schwar­zen An­zug an, borg­te sich von sei­nem Nach­barn des­sen Pferd »Gun­pow­der«, was Schieß­pul­ver be­deu­tet, und schwang sich schließ­lich, an­ge­tan mit ei­nem we­hen­den schwar­zen Man­tel, des­sen Schö­ße fast bis zum Schweif des Tie­res flat­ter­ten, auf die recht ma­ge­re Mäh­re und ritt da­von.

Es wur­de Abend, bis Icha­bod das Ge­höft des Myn­heer van Tas­sel er­reich­te. Dort wa­ren die wohl­ha­ben­den Päch­ter der Nach­bar­schaft ver­sam­melt, aber auch Brom Bo­nes war mit sei­nem Lieb­lings­pferd »Ge­fah­ren­teu­fel« her­bei­ge­rit­ten, ein Tier vol­ler Feu­er und Teu­fe­lei­en wie er selbst, das nur er re­gie­ren konn­te. Man speis­te feist und üp­pig, wie das bei den Hol­län­dern Brauch ist. Da­nach tanz­te man, und da­bei tat sich Icha­bod recht her­vor, wenn­gleich er in sei­nem al­ten An­zug ei­ne ziem­lich lä­cher­li­che Fi­gur ab­gab. Doch da­von merk­te er nichts, hielt er doch die schö­ne Ka­tha­ri­na in den Ar­men und durf­te sie nach Her­zens­lust im Kreis her­um­schwen­ken, wäh­rend sein Ri­va­le Brom Bo­nes, von wil­der Ei­fer­sucht ge­quält, ab­seits in der Ecke saß und mit bö­sem Ge­sicht vor sich hin­brü­te­te.

Als der Tanz zu En­de war, setz­te sich der Schul­meis­ter zu ei­ner Grup­pe ver­nünf­ti­ge­rer Leu­te, die mit dem al­ten van Tas­sel auf der Ve­ran­da sa­ßen, über al­te Zei­ten re­de­ten und lan­ge Ge­schich­ten aus dem Krieg zum bes­ten ga­ben. Schließ­lich ka­men auch Geis­ter- und Spuk­ge­schich­ten zur Spra­che. Von Lei­chen­zü­gen, Trau­er­ge­schrei und den Kla­gen der Nachtal­ben wur­de er­zählt, die man im schläf­ri­gen Tal ver­nom­men ha­ben woll­te. Man sprach auch von ei­ner wei­ßen Frau, die am Ra­ben­fel­sen in eben die­sem Tal um­gin­ge und die man oft in Win­ter­näch­ten vor ei­nem Sturm weh­kla­gen hö­ren kön­ne, denn sie war dort im Schnee um­ge­kom­men. Die meis­ten Ge­schich­ten kreis­ten je­doch um das Lieb­lings­ge­spenst des schläf­ri­gen Ta­les, den kopf­lo­sen Rei­ter, von dem man erst kürz­lich des öf­te­ren ge­hört hat­te, er zie­he wie­der durch die Ge­gend und bin­de bei Nacht sein Pferd an den Grä­bern des Fried­ho­fes an.

Der Fried­hof liegt an ei­ner Kir­che, und die­ser Platz scheint schon im­mer ein Lieb­ling­sort un­se­li­ger Geis­ter ge­we­sen zu sein. Die Kir­che steht auf ei­nem Hü­gel, von Aka­zi­en und ho­hen Ul­men um­ge­ben, und da­zwi­schen schim­mern ih­re weiß­ge­tünch­ten Mau­ern her­vor. Ein Ab­hang führt von hier zu ei­ner Was­ser­flä­che, die von großen Bäu­men um­stan­den ist, und zwi­schen ih­nen hin­durch kann man die blau­en Hü­gel des Hud­son se­hen. Wenn man den mit ho­hem Gras be­wach­se­nen Kirch­hof be­trach­tet, so soll­te man glau­ben, daß we­nigs­tens hier die To­ten ru­hig schlum­mern. Auf der an­de­ren Sei­te der Kir­che aber zieht sich ein großes wal­di­ges Tal hin, durch das zwi­schen Fel­sen und um­ge­stürz­ten Baum­stäm­men ein Bach tost. Über ei­ne tie­fe schwar­ze Stel­le führt ei­ne Holz­brücke. Der Weg zu ihr hin und die Brücke selbst sind von über­hän­gen­den Wei­den dicht be­schat­tet. Dies war der Lieb­lings­auf­ent­halt des kopf­lo­sen Rei­ters, und der Ort, wo man ihn am häu­figs­ten tref­fen konn­te. Die Ge­schich­te vom al­ten Bou­wer, ei­nem Mann, der selbst hart­nä­ckig die Exis­tenz von Geis­tern be­stritt, wur­de er­zählt: wie er dem Rei­ter be­geg­ne­te, als die­ser von ei­nem Streif­zug ins schläf­ri­ge Tal zu­rück­kehr­te, wie er ge­zwun­gen wur­de, sich hin­ter ihm auf­zu­set­zen, wie sie über Stock und Stein, über Hü­gel und durch Mo­rast ga­lop­piert sei­en, bis sie an die Brücke ka­men, wo sich der Rei­ter plötz­lich in ein Ge­rip­pe ver­wan­del­te, den al­ten Bou­wer in den Bach warf und un­ter Don­ner­schlag über die Baum­wip­fel da­von­ritt.

Hier aber misch­te sich Brom Bo­nes ein. Er mein­te, der ga­lop­pie­ren­de Hes­se sei ein durch­trie­be­ner Gau­ner, und be­haup­te­te, der mit­ter­nächt­li­che Rei­ter ha­be ihn über­rascht, als er aus dem be­nach­bar­ten Dorf Sing-Sing zu­rück­kehr­te, er ha­be ihm vor­ge­schla­gen, mit ihm um die Wet­te zu rei­ten. Ein Glas Punsch für den, der ge­win­nen wird! Er, Brom, ha­be dann ge­won­nen und auf »Ge­fah­ren­teu­fel« das Geis­ter­pferd weit hin­ter sich ge­las­sen, als sie aber an die Kir­chen­brücke ge­kom­men sei­en, wä­re der Rei­ter oh­ne Kopf da­von­ge­rit­ten und in ei­ner Feu­er­flam­me ver­schwun­den.

All die­se Ge­schich­ten, vor­ge­tra­gen in ei­nem mur­meln­den, ge­dämpf­ten Ton­fall, da­zu im Dun­keln, das nur vom Auf­glim­men ei­ner Pfei­fe ein we­nig er­hellt wur­de, präg­ten sich bei Icha­bod tief ein, und auch er selbst steu­er­te nun zu der Un­ter­hal­tung noch ei­ni­ge un­heim­li­che Be­ge­ben­hei­ten bei.

Die Ge­sell­schaft brach nun lang­sam auf. Ei­ner nach dem an­de­ren fuhr mit sei­nem Wa­gen ab. Die jun­gen Mäd­chen stie­gen zu den Bur­schen aufs Pferd und lie­ßen sich von ih­nen heim­brin­gen. Nur Icha­bod zö­ger­te noch, denn er woll­te mit Ka­tha­ri­na ein Ge­spräch un­ter vier Au­gen füh­ren. Da­zu kam es auch, aber wie die­se Un­ter­hal­tung von­stat­ten ging, da­von weiß der Ver­fas­ser die­ses Be­richts nichts zu sa­gen, denn er war nicht da­bei. Si­cher ist, daß Icha­bod trau­rig und nie­der­ge­schla­gen den Schau­platz des Fes­tes ver­ließ. Wahr­schein­lich war ihm klar­ge­wor­den, daß das Mäd­chen ihn den gan­zen Abend nur be­güns­tigt hat­te, um ih­ren an­de­ren Ver­eh­rer auf­zu­sta­cheln.

Die Geis­ter­stun­de hat­te be­gon­nen, als sich Icha­bod auf sei­nem Klep­per auf den Heim­weg mach­te. Die Stun­de war so trüb wie sein Sinn. Weit un­ten lag die neb­li­ge Was­ser­flä­che des Tap­pan Zee, ab und zu sah er den Mast ei­nes Boo­tes, das am Ufer über Nacht fest­ge­macht hat­te. Auch das Bel­len ei­nes Ket­ten­hun­des klang von Zeit zu Zeit durch die nächt­li­che Stil­le. Kein An­zei­chen von Le­ben zeig­te sich in der un­mit­tel­ba­ren Nä­he sei­nes Weges, es sei denn man woll­te das schwer­mü­ti­ge Zir­pen der Gril­len oder das Qua­ken ei­nes Fro­sches aus ei­nem na­hen Mo­rast da­für neh­men.

Al­le Geis­ter­ge­schich­ten ka­men Icha­bod bei sei­nem Ritt wie­der in den Sinn, und er be­kam Angst. Die Nacht wur­de dunk­ler und dunk­ler. Die Ster­ne schie­nen im­mer tiefer zu fal­len. Nie hat­te er sich so ver­las­sen und un­glück­lich ge­fühlt. Und nun nä­her­te er sich ei­ner Ge­gend, in der gleich meh­re­re Ge­spens­ter­ge­schich­ten sich zu­ge­tra­gen hat­ten. An dem großen Tul­pen­baum, der all­ge­mein Ma­jor Andres Baum ge­nannt wur­de, glaub­te er et­was Wei­ßes zu er­ken­nen, das in der Mit­te des Stam­mes hing. Als er ge­nau­er hin­schau­te, sah er, daß es ein Fleck war, an dem der Blitz die Rin­de ver­sengt hat­te. Doch nun ver­nahm er ein Stöh­nen. Sei­ne Zäh­ne klap­per­ten, aber das Ge­räusch rühr­te nur von zwei Äs­ten her, die sich an­ein­an­der rie­ben.

Un­ge­fähr zwei­hun­dert Me­ter hin­ter dem Baum kreuz­te ein klei­ner Bach den Weg und floß in ein sump­fi­ges, dicht be­wach­se­nes Tal, das man »Wi­leys Moor« nann­te. Auch hier soll­te es Ge­spens­ter ge­ben.

Sein Herz be­gann zu klop­fen. Er nahm al­len Mut zu­sam­men, gab dem Pferd ein hal­b­es Dut­zend Fuß­trit­te und ver­such­te rasch über die Brücke zu kom­men. Aber statt vor­wärts zu lau­fen, mach­te das wi­der­spens­ti­ge Vieh ei­ne Be­we­gung nach der Sei­te und rann­te ge­gen das Ge­län­der. Die­se Ver­zö­ge­rung ließ Icha­bo­ds Angst wach­sen; er riß die Zü­gel nach der an­de­ren Sei­te und stieß das Tier mit dem Fuß; al­les war ver­ge­bens; der Gaul ging zwar vor­wärts, aber er ge­riet nun am Ufer auf der an­de­ren Sei­te des Weges in ein Brom­beer- und Ho­lun­der­ge­sträuch.

Eben in die­sem Au­gen­blick hör­ten Icha­bo­ds fei­ne Oh­ren im Mo­rast an der Brücke Schrit­te. Im dunklen Schat­ten des Wäld­chens dort er­blick­te er et­was Rie­si­ges, Un­för­mi­ges, das schwarz auf­rag­te. Es be­weg­te sich nicht, son­dern schi­en im Dun­keln hin­zu­kau­ern wie ein rie­si­ges Un­ge­heu­er, das ei­nem Rei­sen­den an die Keh­le fah­ren will. Die Haa­re sträub­ten sich dem er­schreck­ten Schul­meis­ter. Er faß­te sein letz­tes Quent­lein Mut zu­sam­men und frag­te stot­ternd: »Wer bist du?« Er er­hielt kei­ne Ant­wort und wie­der­hol­te die Fra­ge mit zit­tern­der Stim­me. Noch im­mer kam kei­ne Ant­wort. Und wie­der drosch er auf sein Pferd ein, schloß die Au­gen und be­gann ei­ne Psal­men­me­lo­die zu sum­men. In die­sem Mo­ment setz­te sich der dunkle Ge­gen­stand in Be­we­gung und stand plötz­lich mit­ten auf dem Weg. Ob­wohl es sehr dun­kel war, konn­te man nun die Ge­stalt des Un­be­kann­ten ei­ni­ger­ma­ßen er­ken­nen. Er schi­en ein Rei­ter von ge­wal­ti­ger Grö­ße auf ei­nem schwar­zen Roß von rie­si­gem Wuchs. Er mach­te kei­ne An­stal­ten, ihn zu be­läs­ti­gen oder sich zu nä­hern, son­dern blieb in ei­ni­ger Ent­fer­nung auf der Weg­sei­te ste­hen. Icha­bod, der der Er­zäh­lung Brom Bo­nes vom kopf­lo­sen Rei­ter ge­dach­te, trieb jetzt sein Pferd an, in der Hoff­nung, die Er­schei­nung hin­ter sich zu las­sen. Aber auch der Frem­de trab­te an, und wie im­mer Icha­bod ritt, schnell oder lang­sam, der Frem­de blieb bei ihm. Der Schul­meis­ter war von Ent­set­zen ge­lähmt, als er be­merk­te, daß der Kopf des Frem­den, der auf der Schul­ter hät­te sit­zen sol­len, auf dem Sat­tel­knopf lag. Sein Ent­set­zen stei­ger­te sich zur Ver­zweif­lung, er ließ einen Ha­gel von Schlä­gen auf sein ar­mes Pferd nie­der­ge­hen, das auch tat­säch­lich nun sehr rasch lief – aber das Ge­spenst spreng­te so schnell da­hin wie er. So jag­te er durch dick und dünn da­von. Stei­ne flo­gen auf, Fun­ken sto­ben. Icha­bo­ds dün­nes Ge­wand flat­ter­te.

Sie ka­men nun in das schläf­ri­ge Tal, und da be­merk­te Icha­bod, daß sich sein Sat­tel, oder viel­mehr der Sat­tel sei­nes Nach­barn Hans van Rip­per, den ihm je­ner mit dem Pferd ge­borgt hat­te, zu lo­ckern be­gann. Er ver­such­te das Ding fest­zu­hal­ten, aber es war un­mög­lich, denn das rei­ten­de Ge­spenst war ihm im­mer noch dicht auf den Fer­sen, und er hat­te al­le Mü­he, sei­nen Klep­per an­zu­spor­nen. So fiel der Sat­tel zur Er­de.

Ei­ne Lich­tung im Wald er­weck­te bei Icha­bod neue Hoff­nung. Die Kir­chen­brücke konn­te nun nicht mehr fern sein. Er sah tat­säch­lich nun auch die Mau­ern der Kir­che zwi­schen den Bäu­men und er­in­ner­te sich dar­an, daß Brom Bo­nes geis­ter­haf­ter Ri­va­le an die­ser Stel­le ver­schwun­den war. Wenn ich nur die­se Brücke er­rei­che, dach­te Icha­bod, dann bin ich in Si­cher­heit. Aber ge­ra­de jetzt hör­te er das schwar­ze Pferd hin­ter sich schnau­ben, er glaub­te schon, des­sen hei­ßen Atem zu spü­ren. Noch ein Fuß­tritt in die Rip­pen sei­nes Klep­pers, und die­ser sprang auf die dröh­nen­den Bret­ter der Brücke und er­reich­te das an­de­re Ufer.

Von dort aus warf Icha­bod einen Blick zu­rück, um zu se­hen, ob sein Ver­fol­ger tat­säch­lich in ei­ner Wol­ke von Feu­er und Schwe­fel ver­schwin­de. Dem war aber nicht so. Das Ge­spenst er­hob sich viel­mehr in den Steig­bü­geln und schleu­der­te sei­nen Kopf Icha­bod nach.

Der Schä­del traf mit ei­nem un­ge­heu­ren Krach den Schul­meis­ter an der Stirn, wäh­rend der ge­spens­ti­ge Rei­ter wie ein Wir­bel­sturm da­von­presch­te. Am nächs­ten Mor­gen wur­de das al­te Pferd oh­ne Sat­tel vor der Tür sei­nes Herrn ge­fun­den. Von Icha­bod fehl­te je­de Spur. Doch ent­deck­te man an der Brücke den Hut des Ver­schwun­de­nen und dicht da­ne­ben einen zer­trüm­mer­ten Kür­bis.

Als Icha­bod auch in den nächs­ten Ta­gen nicht wie­der auf­tauch­te, ga­ben die Vor­fäl­le die­ser Nacht zu al­ler­lei Ge­schwätz An­laß. Die al­ten Wei­ber be­haup­te­ten, er sei von dem ga­lop­pie­ren­den Hes­sen ent­führt wor­den. Brom Bo­nes, der kur­ze Zeit nach Ver­schwin­den sei­nes Ne­ben­buh­lers die blü­hen­de Ka­tha­ri­na im Tri­umph zum Al­tar führ­te, setz­te im­mer ei­ne schalk­haf­te Mie­ne auf, wenn Icha­bo­ds Ge­schich­te er­zählt wur­de, und wenn von dem Kür­bis die Re­de war, den man an der Brücke ge­fun­den, brach er stets in schal­len­des Ge­läch­ter aus, und hieraus wol­len ei­ni­ge schlie­ßen, daß er von der gan­zen An­ge­le­gen­heit mehr wuß­te, als er zu sa­gen für gut be­fand.

Die al­ten Wei­ber im Dorf, die in sol­chen Din­gen im­mer die bes­ten Rich­ter sind, be­haup­ten je­doch bis auf den heu­ti­gen Tag, daß Icha­bod auf über­na­tür­li­che Wei­se ver­schwun­den sei, und es ist ei­ne Lieb­lings­ge­schich­te, die in der Ge­gend häu­fig er­zählt wird. Die Brücke flö­ßt mehr denn je aber­gläu­bi­sche Furcht ein. Das ver­las­se­ne Schul­haus zer­fiel bald, und man sagt, der Geist des un­glück­li­chen Schul­meis­ters ge­he dort um. Bau­ern­knech­te, die an stil­len Som­mer­aben­den nach Hau­se schlen­dern, mei­nen oft, ei­ne Stim­me in der Fer­ne zu hö­ren, die in der ver­schwie­ge­nen Ein­sam­keit des schläf­ri­gen Ta­les ei­ne schwer­mü­ti­ge Psal­men­me­lo­die singt.