Handelt davon, was passiert, wenn wir drei Anhalter mitnehmen und die Schneekugeln befreien
Im Radio warnt man uns vor außer Kontrolle geratenen Flächenbränden entlang der Straßen in Florida. Der braune Rauch hüllt uns ein, als würden wir vom Erdboden verschluckt. Ich kann kaum den Weg vor mir erkennen.
Seit wir Putopia verlassen haben, bin ich total nervös. Mit den fetten Rinderhörnern vorne auf der Kühlerhaube sind wir eigentlich nichts anderes als eine unübersehbare Zielscheibe und ewig können wir nicht auf Nebenstraßen bleiben. Könnte Dr. X wirklich in Disney World sein? Irgendein Zeichen hätte ich dann doch schon gesehen, oder?
»Glaubst du, dass das wirklich nur Flächenbrände sind?«, fragt Gonzo. Wir drei sind so angespannt wie die Saiten eines Instruments. Man könnte auf uns spielen.
»Kann schon sein«, antworte ich.
Balder zieht eine Rune aus seinem Beutel.
»Was kommt bei dir raus?«, fragt Gonzo.
Balder hält stirnrunzelnd eine völlig blanke Rune hoch.
»Die Wyrd-Rune. Der Anfang und das Ende. Schicksal.«
Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber es trägt null dazu bei, mir die Angst zu nehmen. Fünf Meilen später verflüchtigt sich der Rauch und das Sonnenlicht glitzert grell auf dem Asphalt. Hinter uns heult eine Sirene und, ich schwör’s, mein Herzschlag drückt mir fast die Kehle zu.
»Scheiße«, sage ich, »cool bleiben, cool bleiben.«
Der Polizeiwagen schießt an uns vorüber. Sie jagen jemand anderen und wir atmen tief durch.
»Wir brauchen eine Tarnung«, sage ich, als wäre ich ein Profi und wüsste, wovon ich rede.
»Ich fürchte, wir können diesen Wagen nicht gegen einen anderen eintauschen«, grübelt Balder. »Er ist nicht mehr genügend wert.«
In diesem Augenblick entdecke ich drei Typen, die am Straßenrand lagern und ein Schild hochhalten, PARTIE HAUS. Das bringt mich auf eine Idee. Ein paar Meter vor ihnen fahre ich rechts ran.
Gonzo reißt die Augen auf. »Was tust du da, Alter?«
»Ich nehm sie mit. Wir fahren zu Disney und können sie in Daytona rauslassen. Das liegt auf dem Weg.«
Gonzo schlägt sich aufs Knie, kippt den Kopf nach hinten und schaut zur Wagendecke, als ob sie sein Elend verstehen könnte. »Man nimmt keine Tramper mit – niemals und unter keinen Umständen. Das ist die Art von Sicherheitsregel, die man nicht mal auf Kinderkakao druckt, weil jeder Arsch sie kennt.«
»Sie haben ›Party‹ falsch geschrieben. Wie weit kann ihr böser Geist entwickelt sein?«
Gonzo richtet sich auf, um einen besseren Blick auf die Typen werfen zu können. Die drängen sich zum Wagen und schleppen ihr Gepäck hinter sich her.
»Hör mal«, erkläre ich, »diese Jungs könnten unsere Tarnung sein, okay? Die Cops suchen zwei durchgedrehte Teens, keine Wagenladung voller Studenten auf dem Weg in die Frühlingsferien. Mit diesen Typen an Bord sehen wir aus wie jeder andere, der nach Daytona zur Frühlingsparty fährt. Damit fliegen wir unterm Radar durch.«
Balder ergreift das Wort. »Camerons Schlachtplan ist vernünftig. Aber ich habe diese Kerle schon mal gesehen. Sie machen Fotos«, sagt er und enthüllt damit sein posttraumatisches Gartenzwergstresssyndrom.
»Mach dir keine Sorgen, Balder. Niemand macht hier irgendwelche Fotos. Du bist völlig sicher«, sage ich.
»Ich denke, trotzdem ist es das Beste, wenn ich meine verzauberte Gestalt annehme. Ich sollte neben Gonzo sitzen.«
Balder klettert flink auf den Vordersitz und verwandelt sich genau in dem Augenblick wieder zum Gartenzwerg, als dieser große, teigige Typ die hintere rechte Tür aufreißt.
»Hey, Mann. Danke, dass du uns mitnimmst. Wir stehen hier schon Stunden rum.«
»Weil andere Menschen, normale Menschen, wissen, dass sie nicht anhalten sollen«, murmelt Gonzo.
»Null Problemo«, sage ich. »Ich werd euer Gepäck verstauen.«
Fünf Minuten später sind wir wieder auf der Interstate.
»Und von welcher Schule kommt ihr?«, fragt der teigige Typ, der in der Mitte sitzt.
»Texas Community College«, lüge ich.
»Gold Coast University«, sagt er und dann folgt ein ohrenbetäubendes Footballstadiongejohle: »Coast U! Coast U! Coast Uuuuuu!«
Der Typ, der links sitzt, sagt: »Wir nennen sie Coast U, weil sie dich dort im Nuuuuu durchschleusen. Du brauchst bis zur Abschlussprüfung nicht mal ’n Hauptfach wählen.«
Links und rechts des Highways erstrecken sich Tankstellen, Fast-Food-Restaurants, Möbelhäuser und gigantische Einkaufszentren. Die Autos stehen vor den Einfahrten zu den Parkplätzen Schlange.
Auf einer Reklametafel erscheint gerade eine neue Werbung – das Foto eines kleinen Mädchens, das eine Schneekugel in der Hand hält und ehrfürchtig lächelt. WIR SCHÜTZEN IHRE SICHERHEIT. WIR VERHINDERN DAS UNVORHERSEHBARE. WIR BEWAHREN IHR GLÜCK. DIE VEREINIGTEN SCHNEEKUGEL-GROSSHÄNDLER: WIR ARBEITEN, DAMIT SIE ES NICHT MÜSSEN!
»Ihr habt also kein Hauptfach belegt?«, frage ich und konzentriere mich wieder auf die Straße.
»Noch nicht. Ich will nur was, mit dem ich später ne schöne Stange Geld verdiene. Irgendeinen Schreibtischjob, wo ich fast den ganzen Tag Tetris auf meinem Computer spielen kann oder Casino Cash und dafür noch nen Scheck einsammle.«
»Geht ihr zur YA!-Frühlingsparty?«, fragt der Typ, der rechts sitzt.
»Nein, wir sind nur auf der Durchreise«, sage ich.
»Oh. Wir gehn zur Frühlingsparty«, sagt er.
»Party! Party!«, brüllt der Typ rechts plötzlich und erschreckt mich.
»Marisol ist so fein!«, sagt der mittlere Typ. »Sie wird mein!«
»Die Tussis dort sind hemmungslos«, verkündet Typ Rechts.
»Also wart ihr schon mal dort?«, frage ich.
»Nein«, sagt er, ein bisschen in der Defensive, »aber ich hab’s gehört.«
Genau auf Stichwort zieht eine Wagenladung mit Mädels an uns vorüber. Sie haben alle Pferdeschwänze und ihre Haare flattern im Wind. »Mann, ey, kurbel das Fenster runter!«, ruft Typ Rechts Typ Links zu.
»Hey, fahrt ihr alle zum Partyhaus?«, schreit Typ Rechts.
»Ja!«, brüllt die blonde Tussi, die sich aus dem Fenster lehnt. Sie hält eine Rad Diätlimo in der Hand. Das blanke Silberblech der Büchse funkelt im Sonnenlicht. »Fahrt ihr hin?«
»Da kannste drauf wetten! Wir sind unterwegs zu Doppeltes Risiko mit Parker und Marisol!«, versichert der mittlere Typ.
Das Mädchen auf dem Rücksitz hat ihr Fenster ebenfalls heruntergekurbelt. Sie ruft: »Das gibt’s doch nicht! Ohmeingott, ich liebe diese Show!«
»Ja, Marty hier hat schon den Stunt gemacht, wo du mit dei’m Skateboard über nen fahrenden Wagen rollst. Hat sich fett fünf Knochen gebrochen, aber jetzt isser wieder okay!«
»Genau«, sagt Marty alias Typ Links und winkt leicht mit der Hand, vermutlich um zu zeigen, dass sie noch funktioniert.
Die Mädels kichern und schauen sich verschwörerisch an.
»Also, wir sehn euch dort. Bis später!«, sagen sie und treten aufs Gas. Sie hätten gern, dass wir sie verfolgen, keine Frage.
»Los, Mann. Drück das Pedal durch!«, fordert mich Typ Links auf und kommt praktisch selbst nach vorn. Ich versuche die Spur zu wechseln, aber ein Lkw schneidet uns den Weg ab. Wir sitzen hinter ihm fest, während die Mädels davondüsen.
»Mist, Mann«, sagt Typ Links enttäuscht.
Jetzt bemerkt Typ Rechts Balder. »Hey! Gartenzwerg. Hab ’n paar Kumpel im Verbindungshaus, die einen dieser Kerle rund um Barbados mitgeschleppt haben. Wie lang habt ihr ihn schon?«
»Zwei Tage.« Gonzo legt den Arm um Balder.
»Wir könnten uns mit ihm zusammen vorm Partyhaus zu nem Foto aufstellen«, sagt Typ Rechts. »Das wär geil!«
Balders lächelnder Mund zuckt ganz leicht; er wünscht dem Typen den ganzen Wikingerstamm an den Hals, da bin ich sicher.
»Er gehört nicht zu dieser Sorte von Gartenzwergen«, sage ich.
Typ Mitte prustet. »Habt ihr ihn aus ner Kirche gestohlen oder was?«
»Es ist so was wie ein letzter Wunsch«, erkläre ich. »’n Kind in Florida, das im Sterben liegt, möchte gern mit dem Gartenzwerg fotografiert werden, also bringen wir ihn dorthin ins Krankenhaus.«
»Das Kind wird nix davon erfahren, wenn wir vorhern paar Schnappschüsse mit ihm machen«, sagt Typ Links.
»Geht nicht«, beharrt Gonzo. »Der Gartenzwerg muss unberührt bleiben. Er ist noch Jungfrau.«
Ich sehe Balder an. Bleib cool, beschwöre ich ihn im Stillen.
»Ich hab nen Cousin, der is’n Zwerg«, sagt Typ Mitte zu Gonzo. »Wir hamm ihn immer Stumpy gerufen. Haste auch nen coolen Spitznamen, Stumpy oder so?«
»Nein«, sagt Gonzo zähneknirschend. Er wirft mir einen Blick von der Seite zu, und ich weiß, dass ich später dafür zahlen muss, die Typen mitgenommen zu haben. Aber wenigstens haben wir einstweilen so was wie eine Tarnung.
Einen Augenblick lang starrt Typ Mitte Gonzo an, und ich fürchte schon, dass die Lage bedrohlich wird.
»Hey, Mann«, sagt er dann, »könn’ wir mal halten? Ich muss mal.«
Der einzige Ort, wo es eine Toilette geben könnte, ist ein Souvenirshop am Straßenrand. Das ist einer dieser Läden voller nutzlosem Ramsch – Löffel mit aufgedrucktem Sternenbanner, gebrannte Pekannüsse mit einer Haltbarkeit von etwa zweihundert Jahren, Geschirrtücher mit Omas schrulligen Lebensweisheiten. Kaum zu glauben, dass Leute diese Scheiße kaufen, geschweige denn anderen Leuten als Andenken mitbringen. Die Studentenbündler wollen für die Fahrt Snacks kaufen, um sich erkenntlich zu zeigen. Sie laufen die Gänge entlang und greifen sich sonderbare Chipssorten. Gonzo trägt Balder auf der Schulter. Sie testen einen Kugelschreiber mit einer Frau im Bikini drauf. Wenn man den Kugelschreiber umdreht, verliert sie ihr Oberteil.
Die Lady hinter der Kasse ist von unserem Besuch nicht gerade übermäßig begeistert. Sie weist uns darauf hin, dass, wenn was zu Bruch geht, wir das kaufen müssten. Dann geht sie zurück hinter den Tresen, liest ihre Klatschzeitung weiter und wirft gelegentlich einen misstrauischen Blick in unsere Richtung.
Als ich um eine Ecke biege, steht Dulcie im Gang und richtet eine Wasserpistole auf mich.
»Kein Mucks und benimm dich anständig. Dann haben wir keine Probleme.«
»Hey, Dulcie. Wo bist du gewesen?«
Sie legt die Pistole zurück und greift sich einen Scherzlutscher mit dem eingeschlossenen »Fossil« eines Babyalligators. »Hab versucht, Informationen zu beschaffen.«
»Hast du was gefunden?«
Sie schüttelt den Kopf. »Und du?«
Ich erzähle ihr von Putopia, von den Wissenschaftlern, von den Parallelwelten, vom Unendlich-Beschleuniger, dass ich Dr. X gesehen habe, und davon, was Ed gesagt hat.
»Das ist großartig«, sagt Dulcie, aber sie klingt dabei nicht glücklich.
»Ich weiß nicht. Disney? Das scheint mir ziemlich weit hergeholt. Und er ist ja nur ein Kind.«
»Alles kann ein Hinweis sein.« Dulcie blickt zur Kasse.
Ich spähe über die Auslage von Küchenrollenhalterkeramikhunden auf die Lady mit den auftoupierten Haaren. Sie sitzt dort und blättert in ihrem Boulevardblatt. Dann schaut sie kurz auf und blickt missbilligend in Richtung der Typen von der Gold Coast U.
»Na dann, viel Glück damit«, sage ich zu Dulcie.
»Komm schon!«, ermuntert sie mich.
Wir rücken zusammen, gehen an Regalen mit verschiedenen Kuriositäten vorbei – Krokodileier, Salz- und Pfefferstreuer mit dem Profil des Präsidenten und der First Lady – und um die Ecke stoßen wir auf einen Gang voller Schneekugeln. Dulcie bleibt plötzlich stehen. Ich habe diesen Ausdruck in ihrem Gesicht noch nie gesehen. Sie lässt die Flügel hängen und scheint traurig zu sein.
»Dulcie?«
Sie nimmt eine der Schneekugeln, hält sie direkt vors Gesicht, sodass ich ihr zwinkerndes Auge, kolossal vergrößert, durch das gekrümmte Glas sehen kann.
»Dulcie? Bist du okay?«
»Ich hasse diese Dinger. Sie machen mich depressiv.« Dulcie dreht die Kugel um. VEREINIGTE SCHNEEKUGEL-GROSSHÄNDLER ist in den Boden eingedruckt.
»Wovon sprichst du?«
Dulcie reißt ihren Kopf zurück, als ob sie mit einem Mal wieder da ist, aber sie schaut weiter gequält. »Es ist nur, dass … man das Leben nicht hinter Glas einfrieren kann, weißt du. Und … nimm die hier, zum Beispiel.«
Sie stibitzt eine Schneekugel aus dem Regal und dreht und wendet sie in den Händen. Lächelnde Hummer tanzen vor einem Schiffssteuerrad, während es glitzernde Winzkonfettis regnet. Eine leere Flasche, die im Kunstsand steckt, lässt das Ganze so aussehen, als ob die Hummer besoffen sind und alle Hemmungen verloren haben.
»Partytime«, liest Dulcie. »Was für ein blöder Spruch für eine Schneekugel.«
»Vielleicht gefällt’s ihnen dort«, sage ich.
»Arme Hummer. Man sollte nicht in einer Glitzerwasserhölle eingesperrt sein.«
»Auf keinen Fall. Eine Kunstschneekugelhölle ist besser«, scherze ich.
Dulcie ignoriert mich. Ich bin es gewohnt, ignoriert zu werden. Warum also stört es mich, wenn sie es tut?
Sie dreht sich weg. »Du solltest sehen, ob du dir diese Klatschzeitung schnappen kannst.«
»Okay«, sage ich und weiß nicht, womit ich sie so verärgert habe. Ich gehe zur Kasse und tue so, als ob ich mich sehr für die Auswahl an Kaugummis und Pfefferminzbonbons interessiere. Ich lege ein paar Kaugummis auf die Theke.
»Nur die?«, fragt die Lady. Ihr Name ist HALLO, ICH BIN MITARBEITER #3. In der Ecke lagern, etwa zwei Meter hoch, vier Stapel Schachteln mit dem Aufdruck VEREINIGTE SCHNEEKUGEL-GROSSHÄNDLER. Oh Mann, hier mögen die Leute ihre Schneekugeln.
»Ja. Danke. Und, äh, denken Sie, dass … ich vielleicht Ihre Zeitung haben könnte, ähm, wenn Sie sie ausgelesen haben?«
Sie kneift ihre Augen zusammen. »Warum?«
»Nur so.« Ich muss schwer schlucken. »Dachte, ich könnte mal schauen, was es so Neues gibt.«
»Zeitungen stehen drüben bei der Kühlbox. Kosten drei Dollar fünfzig. Hier sind deine Kaugummis.« Sie starrt mich immer noch zornig an.
Zu spät sehe ich das Foto von Gonz und mir. Anscheinend ist es ein langweiliger Tag für die Boulevardblätter – keine Fotos von Jesus mit Avocado-Dip im Gesicht oder so was – und so haben es Gonz und ich schließlich auf Seite eins geschafft, direkt neben das Foto vom Präsidenten, wie er auf einem Flugzeugträger Golf spielt. Unser Bild steht unter der reißerischen Schlagzeile: TEENAGERTERROR IN HIGHSCHOOLTOILETTE AUSGEBRÜTET!
»Ach, wissen Sie, ist schon in Ordnung. Vergessen Sie’s. Einen schönen Tag wünsch ich noch«, sage ich und mache, dass ich wegkomme.
»Hey!«, ruft sie hinter mir her. »Du bleibst schön da. Du gehst nirgendwohin!« Ihre Stimme ist über eine Sprechanlage zu hören. »Bobby Joe, ruf Cyrus. Er soll sofort hochkommen. Diese fünfzehn Riesen gehören uns.«
Aus Gang fünf ertönt ein lautes Krachen, das Kassenladys Aufmerksamkeit ablenkt. »Hey! Heda! Hört sofort mit dem Unfug auf, sofort!«
Eine vertraute Stimme erschallt: »Befreit die Schneekugeln!«
Ich laufe zu Dulcie zurück. Die steht in einer Pfütze von glitzerndem Wasser und ausgebüchsten Spielzeughummern.
»Was machst du da?«, protestiere ich.
»Ich befreie die Schneekugeln. Willste helfen?« In ihren Augen schimmert etwas Boshaftes, das mir einen Mordsschrecken einjagt.
»Nein, will ich nicht.«
»Dann nicht.«
Ein Schwung mit dem Flügel und Dulcie wischt eine ganze Reihe Schneekugeln vom Regal und dann noch eine, bis das schmutzige Linoleum von kleinen Plastikmeerjungfrauen, schwimmenden Städten, Muschelschalen und klitzekleinen weißen Körnchen überschwemmt ist, die wie Schnee am Boden kleben.
»Ich ruf die Polizei!«, kreischt die Lady. »Ich hab ne Kanone!«
Sie macht keine Witze. Eine Gewehrkugel zerschlägt ein Glas mit gelbgrünem Margaritagesöff. Das Zeug spritzt auf mein Hemd. Heilige Scheiße! Ich gehe neben Dulcie in Deckung. Und die grinst wie ein Honigkuchenpferd.
»Verschwinde«, sagt sie. »Ich lenk sie ab.«
»Was?«
»Mach dir keine Sorgen um mich. Nimm einfach nur die Zeitung mit, wenn du rausgehst.« Dulcie hebt eine Schneekugel hoch und schleudert sie gegen den Wasserspender. Die Kassenlady rast in diese Richtung und ich renne auf den Ausgang zu. Gonzo ist direkt hinter mir, hat sich Balder unter den Arm geklemmt und schreit Zeter und Mordio. Die drei Studentenbündler folgen ihnen. Auf dem Weg nach draußen grapsche ich mir die Zeitung.
»In den Wagen!«, brülle ich. Alle stürzen rein, ich starte die Rosinante und jage mit quietschenden Reifen davon.
»Meine Tür ist noch offen!«, kreischt Gonzo.
Im Rückspiegel kann ich sehen, wie die Lady mit ihrer Flinte auf uns zielt.
»Dann hältst du dich besser irgendwo fest, Mann, weil ich nicht stoppe.«
»’tschuldigung, Balder!«, schreit Gonzo und lässt ihn zur Sicherheit auf den Boden fallen.
Die Lady feuert ein weiteres Mal, verfehlt den Caddy, trifft aber dafür einen anderen Wagen auf dem Parkplatz und löst damit dessen Alarmanlage aus. Ein lauter Heulton lässt mir die Haare zu Berge stehen. Ich ziehe den Kopf ein und gebe Vollgas.
Wir müssen über ein Autobahnkreuz, um zurück auf den Highway zu kommen. Mein Fuß tritt kräftig aufs Gaspedal, und wir rasen die Auffahrt hoch, drängen einen Geländewagen zur Seite, dessen Fahrer aus Protest dauerhupt. Ich nehme die letzte Kurve so schnell, dass der Caddy für einen Augenblick abhebt. Mit einem scheppernden Schlag kommt er zurück auf die Räder – und dann sind wir wieder auf der Interstate und reihen uns in den Verkehr ein. Gute fünf Minuten lang ist es total still im Wagen, wir atmen schwer und schwitzen, und meine Hände umklammern krampfhaft das Lenkrad. Balder liegt in Embryonalstellung am Boden. Gonzo hat den Inhalator rausgeholt und presst ihn an die Brust. Die Typen auf der Rückbank sitzen regungslos da, mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mündern. Wir fahren unter einer Hinweistafel durch, die uns sagt, dass es noch weitere dreihundert Meilen bis Daytona Beach sind.
Wir haben es geschafft. Jedes Fitzelchen meines Körpers fühlt sich lebendig. Ich kann es nicht ändern. Siegesfreudig hämmere ich aufs Lenkrad ein. Es war der Wahnsinn. Einfach verrückt. Und total affengeil. Schließlich macht der Mittetyp seinen Mund auf.
»Alter, mit dir möcht ich ne Party feiern.«