KAPITEL VIERUNDZWANZIG

Handelt davon, was passiert, wenn ich beim Bowlen einen Strike schaffe und lerne, meinem Glück kein Leid zuzufügen

 

Sobald wir losgefahren sind, singen die Potenziellen Serienkiller ein Lied, das ich nicht kenne. Was über dein Glück und wie du’s zeigst und wie du’s liebst und wie du’s verteidigst. Einer der Typen streut ein paar »Oh yeah’s« ein, bis Ruth die Stirn runzelt und ihm sagt, dass es »ein bisschen zu wettkämpferisch« und »ohne Botschaft« sei. Daraufhin hört er auf.

Ich verputze eine riesige Tüte Brezeln und trinke eine große Flasche Wasser aus, und dann schlaf ich ein. Als ich aufwache, fahren wir vor einem riesigen Gebäude aus Glas und Stein vor, das auf einem Fantastilliarden Hektar großen Grundstück steht. Alles ist neu. Man kann praktisch noch die Farbe riechen. Und draußen auf dem Rasen steht eine große Tafel mit den Worten KIRCHE DER IMMERWÄHRENDEN GLÜCKSELIGKEIT UND SNACK ’N’ BOWL.

Der Wagen fährt auf einen frisch asphaltierten Parkplatz. Die weißen Begrenzungslinien sind deutlich zu sehen. Der ganze Ort scheint zu strahlen. Als die Schiebetüren aufgehen, ist Gonzo als Erster draußen. Er befindet sich noch im Serienkillermodus. Daniel reicht mir eine Hand und geleitet mich zur Eingangstür. Er tippt einen komplizierten Sicherheitscode ein, dann gehen wir an zwei uniformierten Wachmännern vorbei und betreten das Gebäude. Daniel spricht die Typen mit Namen an.

»Hey, Peter. Hey, Matthew.«

Sie winken und widmen sich wieder ihrer bedeutsamen Aufgabe, der Bewachung eines fast leeren Parkplatzes.

»Wie fühlst du dich?«, fragt Daniel.

»Besser, aber müde.«

Daniel lächelt und tätschelt meinen Rücken. »Du bist am Ort der Heilung angekommen. Wirst schon sehen.«

Zuerst denke ich, wir sind in einer Einkaufsstraße. Es gibt einen Food Court mit ungefähr sechs verschiedenen Imbissen. Es gibt künstliche Farnpflanzen. Einen Springbrunnen. Und eine Menge Läden. Alle tragen KIGSNAB im Namen. KIGSNAB-Shirts. KIGSNAB-Musik. KIGSNAB-Sport. KIGSNAB-Kids. KIGSNAB-Tech. Es gibt sogar einen KIGSNAB-Tattoo-Shop, wo man zweiundvierzig Variationen von KIGSNAB in unterschiedlichsten Schriftarten bekommt oder eine Bowlingkugel mit Flügeln an der Seite.

 

»Was bedeutet KIGSNAB?«, frage ich.

»Es ist dieser Ort.« Daniel breitet die Arme weit aus. »Es steht für Kirche der Immerwährenden Glückseligkeit und Snack ’n’ Bowl.«

»Also ist es ne Kirche?«, sage ich rasch.

»Es ist alles. Geschäfte. Eine Schule. Eine Bowlinghalle. Wir haben alles, was wir brauchen, gleich hier. Cool, nicht wahr?«

Ruth neben uns mischt sich ein. »Möchtest du einen KIGSNAB-Milchshake? Die sind so was von gut!«

»Großartige Idee, Ruth. Cameron – welche Geschmacksrichtung soll’s sein? Erdbeere?«

»Banane?«, wirft Ruth ein.

»Äh, ähm. Mir egal.«

Daniel und Ruth lächeln. »Erdbeer-Banane!«, sagen sie wie aus einem Mund. Daniel geht zum KIGSNAB-Milchshakestand und kommt mit vier riesigen Wegwerfbechern zurück. »Erdbeer-Banane.«

Daniel reicht Gonzo einen Becher. »Gonzo?«

Gonzo funkelt sie an. »Nein, danke. Ich, äh, hab ne Erdbeerallergie«, sagt er, was – da bin ich mir sicher – totaler Blödsinn ist.

»Gonz, das sind keine Serienkiller. Und dieser Milchshake wird dich nicht umbringen, okay?«

»Ich bin allergisch«, sagt er mit Nachdruck.

»Danke«, sage ich und nehme meinen. Ich trinke vielleicht die Hälfte. »Huh! Seltsam.«

»Was ist?«, fragt Ruth.

»Schmeckt nur nach Vanille.«

»Oh, es ist immer Vanille«, sagt Ruth. »Zuerst haben wir die Leute wählen lassen. Aber dann fanden wir heraus, dass sie Heidelbeere nicht so sehr mochten, wie sie dachten, oder sie wünschten, sie hätten lieber Erdbeere genommen wie ihre besten Freunde. Das gab großen Ärger. Also haben wir die Sache vereinfacht. Jetzt können sie bestellen, was immer sie wollen, aber schließlich bekommen sie ein und dasselbe. So garantieren wir zu jeder Zeit die gleiche Erfahrung. Für alle. Damit schränken wir Dinge ein wie Unzufriedenheit, Neid, Konkurrenz, Gier und Kummer – all das böse Zeugs.«

»Oh. Mhm.« Ich nehme noch einen Schluck. Die Vanille schmeckt gut, tatsächlich. Dick und sahnig. Vermutlich vermisse ich Erdbeere und Banane gar nicht so sehr. Ich biete Gonzo, der mich zornig anstarrt, einen Schluck an.

»Wenn du mehr willst – kein Problem«, sagt Daniel. »Es ist genug für alle da. Teil der Philosophie – kein Mangel, kein Warten. Niemand muss sich unzufrieden fühlen. Jeder fühlt sich hier zufrieden, rund um die Uhr.«

Ruths Gesicht verfinstert sich. »Außer einigen Leuten.«

Daniel seufzt, aber schon lächelt er wieder. »Ein paar Leute haben Schwierigkeiten mit unserem Glauben. Es fällt ihnen schwer, sich vom Negativen zu befreien« – er macht eine wegwerfende Handbewegung und Ruth folgt seinem Beispiel – »und das Positive zu umarmen.« Sie kreuzen die Arme über der Brust, als ob sie sich selbst umarmen. »Und so haben sie uns wieder verlassen.«

»So töricht!«, sagt Ruth.

»Mit Mühsal beladen«, korrigiert Daniel. »Vergiss nicht, Ruth, es sind unsere mit Mühsal beladenen Freunde.«

Ruth nickt. »Mit Mühsal beladen.«

»Hier gibt es keine negativen Gedanken.«

»Keinen einzigen«, sagt Ruth und strahlt. »Wir sind rund um die Uhr glücklich, sieben Tage in der Woche. Füg deinem Glück kein Leid zu.«

»Füg deinem Glück kein Leid zu«, wiederholt Daniel. »Hier steht’s auf unseren Schlüsselanhängern. Nimm einen.«

Er gibt mir einen glänzenden gelben Schlüsselanhänger, auf dem in weißer Schreibschrift steht: FÜG DEINEM GLÜCK KEIN LEID ZU.

»Danke«, sage ich und fühle mich besser.

Ein Alarmsignal ertönt. Wandlämpchen leuchten rot auf. Gonzo geht zu Boden und bedeckt den Kopf mit seinen Händen. »Ich hab’s dir gesagt, Cameron, hab ich’s dir nicht gesagt?«

Plötzlich wird der Raum von Typen in Kampfmontur bevölkert. »Bewegung, Bewegung, Bewegung!«, brüllen sie. Sie laufen an uns vorüber und umzingeln ein gelbes Sofa, auf dem ein junger Typ im Schlafanzug sitzt.

»Teamleiter! Wir haben einen Notfall!«, ruft einer aus dem Kommando.

»Entschuldige mich, Cameron«, sagt Daniel. Er geht rüber zu dem Jungen auf der Couch. »Thomas, mein Freund, wo liegt das Problem?«

»Äh, ich weiß nicht. Ich fühl mich einfach …« Er sucht nach dem richtigen Wort. »Traurig.«

Daniel drückt Thomas’ Schulter. Der Junge zuckt zusammen. »Hier fühlen wir uns nicht traurig, Thomas. Warum willst du deinem Glück Leid zufügen?«

»Tu ich überhaupt nicht! Ich weiß nicht, was los ist. Ich kann nichts dagegen tun. Ich musste daran denken, wie mein Hund Snuffy von einem Auto überfahren worden ist, als ich sechs war, und dass ich ihn immer noch vermisse, und dann … kam das traurige Gefühl über mich.«

»Milchshake«, sagt Daniel zu einem der Kommandosoldaten, der daraufhin die rechte Seite seiner Jacke öffnet und ein verwirrendes Aufgebot an Bechern präsentiert.

»Welche Geschmacksrichtung?«, fragt Daniel.

»Äh … Mango?«, antwortet Thomas. Der Uniformierte reicht ihm den Becher und Daniel legt den Strohhalm an Thomas’ Lippen.

»Hier, trink das.«

Thomas trinkt ein paar Schlückchen, als ob er nicht wirklich durstig ist und es nur aus Höflichkeit tut. »Schmeckt nach Vanille.«

Daniel sammelt sich. »Erzähl uns einfach, was du möchtest, mein Freund. Sag es uns.«

Thomas verbirgt sein Gesicht in den Händen. »Ich weiß es nicht. Das ist ja das Problem.«

»Hier. Wir werden dir helfen.« Der Soldat öffnet die linke Seite seiner Jacke. Unmengen von Katalogen stecken wie in einem Zeitungsständer darin. Daniel zählt auf. »KIGSNAB- Jeans? KIGSNAB-Musik? KIGSNAB-Golf? KIGSNAB-Spiele

»Spiele?« Gonzo verlässt seinen selbst gebastelten Schutzbunker.

»Ich hab doch gesagt: Ich weiß es nicht!« Der arme Junge ist in Panik. Als ob ihm sein Glück abhandengekommen ist und er nicht weiß, wo er es gelassen hat.

Daniel legt eine Hand auf seine Schulter. »Thomas, weißt du, was du brauchst? Bowling.«

Ein Chor skandiert: »Amen, Amen, Amen.«

»Ich glaub nicht …«, beginnt Thomas, wird aber vom Chor übertönt.

Du bist was ganz Besonderes.

Ich bin was ganz Besonderes.

Sie sind was ganz Besonderes.

Die Welt ist was Besonderes,

drum schreib dir’s hinters Ohr:

 

Gott will uns alle glücklich sehn,

immer lächelnd ohne Wehn,

voll von lauter schönen Dingen,

die nur Glück und Lachen bringen.

Drum werde glücklich auf der Stelle

und lass dich tragen von der Welle,

vom Glück, vom Glück, vom Glück, vom Glück.

Sei glücklich jetzt – kein Blick zurück.

»Kommt mit uns«, sagt Ruth und nimmt Gonzo und mich an der Hand. Daniel und Thomas gehen voran, auf eine breite Doppeltür zu, in deren Mitte das Zeichen der geflügelten Bowlingkugel abgebildet ist. Jedes Gespräch erstirbt.

»Was ist dahinter?«, flüstere ich Ruth zu.

»Das ist unsere Kirche. Die Kirche der Immerwährenden Glückseligkeit. Und Snack ’n’ Bowl.«

»Amen«, stimmen alle ein und dann werden die Türen weit geöffnet.

»Leckt mich am Arsch!«, zischelt Gonzo.

Das muss die verdammt größte Bowlinghalle sein, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Eine funkelnde Bahn reiht sich an die andere. Alle sind bestens gepflegt und von blitzsauberen Rinnen begrenzt. Der Boden ist kein Fitzelchen abgenutzt. Ein riesiger Bildschirm hängt von der Decke, umrahmt von unzähligen Glühlämpchen.

»Jeder Einzelne von uns weiß, wie’s draußen aussieht«, sagt Daniel. »Stress. Die Sorge, bin ich gut genug, stark genug, smart genug, hübsch genug? Warum hat Johnny eine Eins plus im Zeugnis und ich nur eine Drei? Ist er besser als ich?«

»Warum bekommt nur der Sieger die Goldmedaille?«, sagt ein anderer Kerl und setzt »Sieger« in luftgemalte Anführungszeichen.

»Warum passieren schlimme Dinge? Es muss eine Ursache dafür geben – eine, die du vermeiden kannst, und dann wirst du nie, nie mehr traurig sein«, sagt ein Mädchen in Reitstiefeln.

Jetzt ergreift ein Typ mit eintätowierter Bowlingkugel am Arm das Wort. »Warum sollten wir alle nicht einfach jetzt und für immer glücklich sein?«

»Amen«, sagt Daniel. »Keine Fragen. Keine Ängste. Keine Traurigkeit. Deshalb gibt es KIGSNAB. Unser Freund Thomas hat Zweifel. Aber wir werden ihm helfen, das Positive zu umarmen.«

Alle machen eine Umarmbewegung. Daniel stellt Thomas an Bahn eins auf. Ruth massiert seinen Rücken. »Denk an etwas Schönes: neue Jeans, zum Beispiel.«

Sie schließen einen Kreis um Thomas, Arm in Arm, und singen: »Thomas ist was ganz Besonderes, Thomas ist was ganz Besonderes, Thomas ist was ganz Besonderes.«

Thomas atmet tief durch und lässt die Kugel rollen. Mit einem Wurf räumt er alle Kegel ab und der Bildschirm leuchtet auf wie ein Glücksspielautomat. Ein Kegel, der aussieht wie ein Engel, flattert über den Schirm und applaudiert. Eine Computerstimme schnurrt: »Toll gemacht, mein Freund!« Und alle jubeln und brüllen.

Daniel lächelt. »Siehst du, Thomas. Du kannst alles tun, und du kannst alles sein, was du willst!«

Der Chor intoniert ein weiteres Lied: »Ich kann sein, was ich will. Du kannst sein, was du willst. Wir können sein, was wir wollen. Was immer wir wollen, alle zusammen.« Sie legen die Arme um Thomas, und bald darauf singt auch er, obwohl er immer noch nicht lächelt.

Daniel klopft mir auf den Rücken. »Hey, Cameron, warum versuchst du es nicht mal?«

Ich habe in meinem Leben nur zweimal gekegelt und beide Male war ich richtig scheiße. Ich glaube, ich habe grade mal einen Kegel getroffen. »Das ist nicht unbedingt meine Stärke.«

»Du hast noch nie zuvor in der Kirche der Immerwährenden Glückseligkeit und Snack ’n’ Bowl gekegelt«, sagt Daniel.

»Es sind die schlechten Gedanken, die uns bremsen. Wenn du das Positive umarmst« – Ruth macht wieder diese Umarmbewegung und die KIGSNAB-Gemeinde folgt ihr –, »wird es dir gut gehen.«

Die Kugel schießt aus ihrer dunklen Höhle, gleitet auf silbernen Schienen heraus und stoppt direkt neben mir.

»Du musst daran glauben, dass du es kannst, Cameron«, sagt Ruth. »Dass du einen absoluten Anspruch auf Glück hast – unter allen Umständen.«

Ich glaube dran, dass ich bowlen kann. Genau. Ich kann bowlen. Ich laufe zur Linie vor, schwenke den Arm zurück und lass die Kugel sausen. Sofort steuert sie auf die Rinne zu. Aber dann passiert etwas Geheimnisvolles: Die Kugel korrigiert sich selbst. Sie rollt direkt in der Mitte weiter. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich den Crash höre, mit dem die Kegel mit einem perfekten Strike vom Deck gehauen werden. Mein allererster Strike.

Ruth hüpft auf und nieder. »Das war erstaunlich, Cameron! Siehst du? Siehst du, was passiert, wenn du das Positive umarmst? Mach’s noch mal.«

»Das Glück des Anfängers«, sage ich. »Wird nicht noch mal passieren.«

»Wir alle hier in der Kirche der Immerwährenden Glückseligkeit sind Sieger«, sagt sie sanft, und ich möchte ihr gerne glauben.

»Okay, vielen Dank, dass ihr euch um meinen Amigo hier gekümmert habt. Scheint ne große Gaudi zu sein und wir wünschen euch alles Gute und so’n Scheiß«, erklärt Gonzo der Menge. »Aber wir haben noch so was wie eine Mission in eigener Sache zu erfüllen. Also, wenn uns jemand von euch einfach nur zur nächsten Bushaltestelle fahren könnte.«

Ich schwinge eine zweite Kugel und lass sie los. Krach! Genau in die Mitte.

»Affengeil!«, rufe ich und recke die Faust in die Höhe.

Ruth wirft mir die Arme um den Hals. »Siehst du, Cameron. Das Universum will nicht, dass wir unglücklich sind. Das Universum will, dass du jetzt und immerdar glücklich bist!«

»Ja«, sage ich. Ja, warum eigentlich nicht? Warum sollte ich nicht alles bekommen, was ich haben möchte, wenn ich es haben will? Und was ich will, ist, glücklich und sicher zu sein, wie diese Leute hier. Ich will nicht an Prionen und Feuerriesen denken und an Dr. X und die Rettung der Welt. Ich will nichts weiter als einen Milchshake.

»Cameron, wir müssen los«, sagt Gonzo.

»Ich will noch nicht gehen.«

Ich laufe rüber zur nächsten Bahn und lande einen perfekten Strike nach dem anderen. Alle applaudieren und jubeln. Sie sagen: »Schön, dass du geboren bist«, und dass sich ihr Glück mit meinem Glück vergrößert.

Vier Bahnen weiter absolviert Thomas noch ein makelloses Spiel, aber er scheint sich nicht darüber zu freuen. Einmal wirft er die Kugel absichtlich von einer Bahn auf die nächste, wo sie wiederum mitten ins Zentrum segelt und alle zehne umhaut. Thomas starrt auf seine Füße. Ein muskulöses, schwarzes Mädchen mit rasiertem Schädel steht neben ihm. Außer Thomas ist sie der einzige Mensch, der nicht lächelt. Plötzlich beginnt Thomas zu heulen und wieder ertönt das Alarmsignal. Taue fallen von der Decke und die Kommandoeinheit seilt sich ab. Schnurstracks laufen die Uniformierten auf Thomas zu und führen ihn zur Tür. Jemand wickelt ihn in eine große gelbe KIGSNAB-Decke, die ihn ganz und gar umhüllt. Nur der Kopf schaut noch heraus.

 

Nach meinem stürmischen Erfolg in der Kirche bringen mich Daniel und Ruth zur KIGSNAB-Snacketeria. Sie fragen Gonzo, ob er mitkommen will, aber er antwortet, er wolle lieber ein paar Sachen in der Spielhalle killen, um »den Glücksschleim loszuwerden«.

Die Snacketeria hat alles, was dein Herz begehrt – Chips, Limo, Süßigkeiten, Pizza, Burger, Pommes. Es gibt keine Lieferzeiten, sondern nur eine Sofort-Taste. Wenn du sie drückst, kommt jemand aus der Küche und stellt dir deine Bestellung direkt vor die Nase.

»Auf Dinge zu warten, verletzt dein Glücksgefühl«, erklärt Ruth. »Möchtest du mehr Pommes?«

Ich sage Ja und sie holt mir eine weitere Portion. Die Fritten sind perfekt, heiß und knusprig.

»Es tut mir leid, dass du das mit Thomas vorhin mitansehen musstest«, sagt Daniel und schüttelt den Kopf. »Einige Leute können sich einfach nicht daran gewöhnen, allzeit glücklich zu sein.«

»Ohdumeinegüte«, sagt Ruth mit großen Augen. »Als ich hierherkam, war ich ein Wrack, einfach ein totales Wrack. Erinnerst du dich, Daniel?«

»Hmmm«, sagt Daniel bedeutungsvoll, obwohl er weit mehr mit den Pommes beschäftigt scheint als mit dem, was Ruth sagt. Er richtet die Fritten strahlenförmig aus und drückt einen Klecks Ketchup direkt in die Mitte.

»Ich hab Schönheitswettbewerbe und solche Sachen mitgemacht, aber dann bekam ich eine Haarsprayallergie und es war Schluss mit den Wettbewerben. Meine ganze Welt stürzte zusammen. Ich wurde total depressiv und dann haben mich Drogen und Alkohol verkorkst«, erklärt Ruth. »Ich hatte meinem Glück Leid zugefügt. Also schickten sie mich zur KIGSNAB.«

»Boah«, sage ich.

»Oh nein, nicht etwa, weil sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollten, sondern weil sie mich so sehr liebten. Jetzt weiß ich das«, sagt sie und knabbert an ihren bereits abgekauten Fingernägeln. »Als ich das erste Mal bowlen ging und all diese Strikes geschafft hatte, war das so, als ob ich den Wettbewerb ums schönste Abendkleid gewonnen und hinterher Kokain geschnupft hätte! Ich hab nur noch geheult. Alle haben sich so mit mir gefreut! Und ich wollte einfach immer so weitermachen, weißt du. Immer glücklich bleiben.«

Daniel richtet eine weitere Garnitur Fritten aus und träufelt Ketchupkunst darüber.

Ruth klatscht in die Hände. »Oooh! Erzähl ihm deine Geschichte, Daniel.«

»Ich hatte größte Probleme mit der Selbstkontrolle«, sagt er und isst dabei seine Fritten, eine nach der anderen. »Ich bin mit Sport aufgewachsen und war in Klassen für Hochbegabte. Ich fand das cool, solange ich an der Spitze war. Aber als ich in die Sechste kam, war ich in Mathe nicht mehr der Beste und in Baseball auch nicht. In meiner Stadt hatte man eine andere Schule gebaut und die Schüler dort waren wirklich gut. Ich hab’s nicht mehr gepackt und bin unter dem Druck zusammengebrochen. Eines Tages kroch ich in einen Schulspind und wollte ihn nicht mehr verlassen. Sie mussten eine Rettungsschere benutzen, um mich da rauszuholen. Das war die Zeit meiner religiösen Erweckung. Was sollte all dieser Wettkampf, all das Gewinnstreben und dass Menschen besser sein wollten als andere? Das fügt deinem Glück Leid zu.«

Ich drücke eine große Ladung Ketchup auf meinen Teller und kleckere dabei meine Fritten voll. Daniel schaut ein wenig angeschlagen. »Aber bringt dich Konkurrenz nicht dazu, deine Leistungen zu verbessern? Ist das nicht Sinn des Wettstreits?« Ich kann nicht glauben, was ich da sage. Nie im Leben habe ich mir bei irgendwas große Mühe gegeben.

»Da bist du falsch gewickelt, mein Freund«, sagt Daniel und lächelt. »Unsere Kultur redet uns das ein. Aber nicht unsere Natur.«

Ruth schaut mir direkt in die Augen. »Wünschst du dir nicht einfach, du könntest das alles hinter dir lassen? All diesen Kummer?«

»Ja«, höre ich mich selbst sagen, »tu ich.«

Daniel legt den Arm um mich, als ob wir die besten Kumpel wären. »Das Großartige ist, Cameron, du kannst es! Du hast ganz und gar die freie Wahl, glücklich zu sein. Das Universum hat dafür gesorgt, dass du glücklich bist. Du musst es nur zulassen.«

»Und hier, in der KIGSNAB, haben wir eine Menge Produkte, die das unterstützen und das Glück am Laufen halten, sodass du dich nie unglücklich fühlen musst. Nicht für eine einzige Sekunde.« Ruth lächelt mich an, als ob sie mit mir flirtet. »Du scheinst glücklicher zu sein, seit du gekegelt hast, Cameron. Hab ich recht?«

»Ja, ich denk schon«, sage ich.

»Siehst du?« Daniel tätschelt mir den Rücken. »Das ist die Energie dieses Ortes.«

»Wir betrachten KIGSNAB gern als geschlossene Gemeinschaft, die die Seele beschützt. Den Unrat, der unserem Glück im Wege steht, den lassen wir einfach draußen«, zwitschert Ruth. »Nehmen wir deinen Freund, Gonzo. Er ist … in Nöten. Er ist voller Angst. Angst ist ein solch negatives Gefühl, weißt du?«

»Wir finden, dass wir das hier nicht brauchen«, sagt Daniel. »Deshalb haben wir die Kommandos, deshalb arbeiten wir daran, die bösen Sachen draußen zu halten. So sind wir rund um die Uhr sicher. Und wenn wir rund um die Uhr sicher sind – keine Verweigerung, keine schlechten Nachrichten, keine negativen Gedanken, keine Störungen –, dann bleiben wir glücklich. Und dann sind unsere Eltern glücklich, dass wir glücklich sind, und, weißt du, dann ist alles gut. Eine ziemlich einfache Philosophie, aber sie funktioniert.«

»Wie bezahlt ihr denn das alles?«, frage ich.

»Wir stellen sämtliche FUK-Tests zusammen, inklusive dem gesamten Vorbereitungsmaterial, ›Alles was du zum FUK brauchst, ohne lange nachzudenken‹«, sagt Daniel.

»Und wie kommt’s, dass ihr euch auf der Straße rumtreibt?«, fragt Ruth. Als ich nicht antworte, legt sie ihre Hand auf meine. »Hey, ist schon okay. Wir haben alle Ähnliches durchgemacht.«

Jeder war hier die ganze Zeit so nett zu mir. Das erste Mal seit meiner Diagnose habe ich mich irgendwie normal gefühlt, und ich habe Angst, dass ich alles kaputt mache. »Ihr würdet mir nicht glauben«, sage ich.

Ruth und Daniel hören auf zu essen und widmen mir ihre volle Aufmerksamkeit. »Ist schon okay«, wiederholt Daniel. »Hier gibt es keine Geheimnisse. Geheimnisse fügen dem Glück Leid zu.«

Ich bin zu müde, um mich weiter zu verstecken, also erzähle ich ihnen alles über meinen Rinderwahnsinn, unsere Mission, Dr. X aufzuspüren und das Universum zu retten, über den Großen Abrechner und die Feuerriesen, die mir an den Fersen kleben. Ich bin mir fast sicher, dass sie mich rausschmeißen. Tun sie aber nicht.

Daniel fasst mich fürsorglich an der Schulter. »Niemand wird dich hier erwischen, Cameron. Und die Welt wird nicht untergehen. Das verspreche ich dir. Du bist hier hundertprozentig sicher. Was deine Krankheit betrifft: Ärzte irren sich immer wieder. Sie brauchen kranke Leute, um Geld zu verdienen.«

»Nur Menschen, die krank werden wollen, werden tatsächlich krank. Sie tun sich das selbst an«, bemerkt Ruth. »Du kannst dich sogar gesunddenken, wenn du das möchtest.«

»Ja? Glaubst du das?«

»Ich weiß das!«, sagt Daniel. »Ich habe es gesehen. Du kannst die Krankheit bezwingen.«

Ich denke daran, wie leicht es wäre, hierzubleiben, aber Dulcie hat mir gesagt, dass ich Dr. X brauche, um geheilt zu werden. Andererseits: Wo, verdammt noch mal, ist sie?

»Cameron? Du machst ein finsteres Gesicht«, sagt Ruth.

Schon der Gedanke an Dulcie versauert meine Glückseligkeit und ich bin ziemlich glücklich hier. Ich könnte in der KIGSNAB bleiben und kegeln und einen großen Milchshake schlürfen und einfach chillen.

»Bist du okay?«, fragt Ruth. Ihre Hand schwebt schon in der Nähe des Alarmknopfs.

Ich schenke ihr ein breites Lächeln. »Ja, mir geht’s gut, mir geht’s wirklich gut. Eigentlich möchte ich gerne für eine Weile hierbleiben, wenn ihr nichts dagegen habt.«

Ruth stößt einen kleinen Quiekser aus und umarmt mich. Daniel klopft mir auf die Schulter. »Das vergrößert meine Glückseligkeit total, mein Freund.«