KAPITEL FÜNF

In dem ich eine sehr seltsame Begegnung habe, während ich bekifft bin, und eine Bratpfanne zu meiner Verteidigung gebrauche

 

Auf dem Kühlschrank liegt eine Notiz. Cam, bin um 10 zu Hause. Lasagne im Kühlschrank. Falls du den Ofen benutzt, schalt ihn danach aus. Mom. Hastig hat sie mit andersfarbiger Tinte noch ein Ich hab dich lieb vor ihren Namen gequetscht. Die persönliche Note bedeutet ihr sehr viel.

Mom gibt Literaturkurse an der Volkshochschule auf dem Niveau einzelliger Lebewesen. Sie könnte gut irgendwo Englische Literatur für Fortgeschrittene unterrichten, aber sie hat nie ihre Doktorarbeit oder was auch immer zu Ende gebracht, mit der man eben ein echter Akademiker wird. Mom fällt es schwer, irgendetwas zu beenden. Die Wohnung ist übersät mit angefangenen Kreuzworträtseln, mit Büchern, in denen das Lesezeichen in der Mitte steckt, mit Säcken voller Wolle und Schals, die sie halb fertig gestrickt und dann liegen gelassen hat.

Die Lasagne ist kalt und ungenießbar und hat den totalen Gefrierbrand, also bestelle ich eine Pizza. Wie in ihrer Anzeigenkampagne versprochen, liefert die Happy Time Pizzeria innerhalb von dreißig Minuten, komplett mit einer kostenlosen Limo Large und Zimtröllchen als Nachspeise. Ich schlage mein Lager im Fernsehsessel auf und schlinge die Stücke hinunter.

Zu der Fernbedienung habe ich eine ganz besondere Beziehung. Ich betrachte sie gern als meine persönliche Wünschelrute, die mich am späten Abend sicher durch Seifenopern, Gebrauchtwagenwerbung, Fernsehpredigten und traumatische Arztserien führt. Sie hält kurz bei der Wiederholung von Star Fighter inne, dem übernatürlichen Actionkultfilm, den alle Kids zwischen neun und dreizehn mindestens zehn Mal sehen müssen, bevor sie in die Pubertät wechseln.

Ich stoppe den Suchlauf bei den Nachrichten und drehe mir einen Joint. Flüchtige Bilder flimmern über unseren 42-Zoll-Flachbildschirm: Junge Männer in Tarnanzügen mit Waffen in der Hand bewachen ein Stück Wüste. Blutende Kinder laufen schreiend durch zerstörte Straßen irgendeiner fremden Stadt. Ruinen eines Kaufhauses, das vergangene Weihnachten bombardiert wurde. Dann ein Werbespot, in dem ein sonnengebräunter Parker Day eine XL Limo anpreist. Und zurück zur trostlosen Wirklichkeit und zu einer Lokalstory: ein Feuer in einem Viertel auf der anderen Seite der Stadt. Ich muss an meinen seltsamen Traum in Spanglisch heute Morgen denken, als ich die Flammen sehe, und kriege dabei ein komisches Gefühl. Wie wenn du auf einer einspurigen Straße um eine scharfe Kurve braust und nicht siehst, was danach kommt. Der Reporter erzählt etwas über Parallelen zu einem anderen Feuer und dass die Behörden befürchten, ein Brandstifter laufe frei herum. Und dann kommt eine Story über Prominente und wie sie ihre Babys nennen, und über irgendein Starlet, das ihr kleines Balg Iphigenia ruft.

Ich rauche gerade so viel, dass es mich innerlich beruhigt. Dann verstecke ich die Kippe und versprühe eine Giftladung Raumspray, nur für den Fall, dass irgendjemand die verrückte Idee hat, früh nach Hause zu kommen. Schließlich zappe ich zum Zeichentrickkanal, wo ich bis zum Abwinken meinen Lieblingsklassiker sehen kann, den, wo ein armer schmuddeliger Kojote einen Roadrunner immer wieder quer durch eine Steppenlandschaft jagt. Jedes Mal wenn der arme Kerl seinen Arsch irgendwohin bewegt, zünden die Dynamitstangen in seiner Hand zur falschen Zeit oder ein Amboss fällt auf ihn oder seine Tricks gehen nach hinten los. Aber trotzdem jagt er diesen verdammten Rennkuckuck bis in alle Ewigkeit.

Ich habe mir das hunderttausend Mal angesehen. Der Kojote malt einen langen Korridor mit vielen Türen. Es ist nur eine Zeichnung, um den Roadrunner auszutricksen, aber irgendwie zoomt sich der Vogel richtig ins Bild rein, als ob’s echt wäre, macht eine der Türen auf und entkommt. Der Gesichtsausdruck des Kojoten wird zu einem einzigen »Wa…?«. Er rennt ins Bild, sie jagen sich gegenseitig, zur Tür raus, zur Tür rein, und verfehlen sich immer wieder. Schließlich öffnet der Kojote eine Tür und ein Zug fährt den armen Blödmann direkt über den Haufen. Obwohl ich es schon zigtausend Mal gesehen habe, lache ich mir jedes Mal den Arsch ab, weil ich bekifft bin und es mein Recht ist, über Dinge zu lachen, die im kalten Licht des Tages eigentlich überhaupt nicht so lustig sind.

Ein Fleck Weiß schwebt über die offene Einfahrt in die Küche. Mein benebeltes Hirn braucht zwei Sekunden, um zu begreifen, was das heißt: Irgendjemand ist im Haus.

»Mom?«, rufe ich. »Dad?«

Nichts rührt sich.

»Jenna, bist du’s? Lass den Quatsch! Ich warn dich.«

Scheiße. Hoffentlich hab ich genug Citrus Rain versprüht. In der Küche raschelt es leise.

»Wir haben eine Alarmanlage!« Unsere Alarmanlage besteht hauptsächlich darin, dass ich wie am Spieß schreien werde, wenn ich diesen Kerl sehe – aber das muss er ja nicht wissen. Ich schlüpfe in die Küche. Keiner da. Ich schaue mich hastig nach einer Waffe um. Serviettenhalter aus Plastik. Tischsets. Steakmesser, so stumpf, dass sie nicht mal Butter schneiden. Ich greife mir die Bratpfanne, die triefnass im Spülbecken liegt, und schleiche mich ins Wohnzimmer, genau in dem Augenblick, als etwas die Treppe hinaufhuscht.

Oh Scheiße, Mann. Das Blut pocht hinter meinen Schläfen und ich fühle mich ganz komisch. Soll ich die Cops rufen? Meine Eltern? Was ist, wenn ich nur bekifft bin und wahnsinnig?

Bleib ruhig, Cameron. Check es erst mal aus!

Ich krieche die Treppe hinauf, nur mit einer Bratpfanne bewaffnet. Obwohl mein Herz bis zum Hals schlägt, kommt mir das Ganze irgendwie witzig vor. Willkommen, Mörder mit dem Hackebeil! Eben hab ich mich gefragt, wie Sie Ihre Eier mögen?

Ich erreiche den oberen Flur. Moms und Dads Schlafzimmer ist leer. Auch Jennas Kemenate. Zweifellos würde jeder Serienkiller, nachdem er einen Blick auf die lavendelfarbenen Wände mit den gefühlvollen Postern geworfen hat, sowieso aus dem Fenster springen. Im Bad ist auch niemand. Bleibt mein Zimmer.

Die Tür ist nur angelehnt, also stoße ich sie mit dem Fuß auf. Das Zimmer sieht genauso aus, wie ich es verlassen habe. Kleidungsstücke liegen am Boden. Darüber verteilt Zubehör der Stereoanlage und verschiedene Computerkabel. Das Bett ist nicht gemacht. Stapel von LPs, CDs und Comics. Die Schranktüren stehen offen. Unheimlich. Ich weiß nicht, was für ne Art Gras ich geraucht habe – vielleicht irgendeinen Harter-Typ-will-dich-killen-Stoff –, aber das war das letzte Mal, Mann.

Etwas fällt mir auf. Das Fenster steht offen. Das ist neu. Und auf dem Fensterbrett liegt eine Feder. Ich nehme sie in die Hand. Sie ist riesig. Größer und stärker als alle Vogelfedern, die ich je gesehen habe. Weich und weiß mit rosaroten Rändern. Huh. Ich drehe sie um, und – ich schwöre – ich bin dabei auszuflippen, weil auf der schneeweißen Oberfläche dieser gigantischen Feder ein Wort geschrieben steht, ein Gruß.

Hallo.