Mein Bruder und seine vielen Freunde:

Er war mein großer Bruder.

Sagte nichts, brauchte nichts zu sagen.

Er tat es einfach eines Tages zum ersten Mal.

Was sollte ich sagen? Ich konnte nichts sagen,

habe nur gedacht: „Warum?“

Erst war es nur ein Freund meines Bruders,

dann viele und sie gaben meinem Bruder dafür ihr Taschengeld.

Ich schämte mich. Hatte Angst, die verraten jemandem,

was für eine ich bin.

Ich bestand nur noch aus Angst, schämen und dem,

was jeden Tag passierte.

Ich wollte das nicht, mit keinem von denen.

Es hat keiner gefragt. Sie haben nur das getan, was Vati und Opa schon so lange tun mit mir.

Ich habe geschwiegen und mich geschämt, weil ich so Eine bin.

Heute schäme ich mich, weil ich geschwiegen habe.

Ich müsste doch wütend sein, oder?

Ich müsste doch wütend sein, wie jeder normale Mensch.

Ich bin nicht wütend und ich schäme mich deshalb.

30.10.2002 Tina

 

Wird es jemals anders?

Es war doch damals – also lange her.

Ich möchte doch wenigstens jetzt leben.

Ich möchte doch wenigstens jetzt normal sein können.

Aber es geht nicht.

Tief in mir weint alles.

Warum?

Ich kann es nicht sagen.

Es ist wegen damals!

Ich denke nicht daran, will nicht daran denken – doch es geht mir schlecht.

Es ist da, ohne das ich daran denke.

Es geht mir schlecht – nimmt mir die Luft,

Lässt mich weinen,

Nimmt mir die Hoffnung. Ich fühle mich lebendig – tot.

14.02.2002 Tina

 

15.11.2002

Vorletzte Nacht habe ich endlich mal wieder richtig geschlafen. Das hat so gut getan nach 1 Woche mit nur 4 Stunden Schlaf insgesamt. Gestern habe ich mich richtig klasse gefühlt und dachte dann abends noch, heute werde ich wieder so schön schlafen können. Alle Anzeichen sprachen dafür. Ich war ruhig, hatte den Kopf frei und ein gutes Gefühl für die Nacht.

Nachdem ich 21.00 Uhr noch schön und lange geduscht hatte, habe ich mich hingelegt und noch etwas Musik gehört und gedacht, jetzt kann ich gleich einschlafen. Nein, Stunde um Stunde verging und es wurde l. 30 Uhr. Ich habe auf die Uhr gesehen und gedacht: „Mist; das wird wieder keine Nacht zum Schlafen.“ Aber irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen, doch es war kein richtiger Schlaf. Aller halben Stunden wurde ich wach und ich spürte immer mehr, wie die Schmerzen im Nacken-Schulter-Bereich und in den Armen wieder zurück kehrten und bald wusste ich nicht mehr, wie ich liegen sollte vor Schmerzen.

Am Morgen bekam ich dann auch noch Kopfschmerzen, hatte sie in der letzten Woche, in der es mir gut ging, nicht und habe sie auch nicht vermisst. Gegen 10.00 Uhr konnte ich es vor Schmerzen kaum noch aushalten und ich habe überlegt, woran es liegt, dass sie jetzt wieder da sind. Ich konnte nichts finden, was sich hätte gestern so auswirken können. Mir fiel nur ein Satz ein, den Herr Dr. S. im Einzelgespräch gesagt hat und zwar: „Diese Wand hinter der die Angst sitzt müsse noch durchbrochen werden, damit mich die Angst nicht so erwischen kann.“

Wie das gehen sollte, wusste ich nicht, konnte ich mir nicht vorstellen.

Letzte Woche hat mich die Angst vor der Angst die mir als Kind gemacht worden ist zweimal voll erwischt. Es war im Einzelgespräch. Ich kann mich nicht einmal mehr an den Inhalt des Gespräches erinnern, sosehr bin ich ausgestiegen und trotzdem habe ich körperlich so stark reagiert, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich war völlig blockiert und musste in dieser Woche zweimal nach dem Einzel mit dem Rollstuhl auf mein Zimmer gebracht werden.

Ich schämte mich sehr dafür und ich hatte auch wahnsinnige Angst, dass ich so bleibe. Keines der beiden Gespräche konnte ich mehr in Gedanken nachvollziehen, ich wusste einfach nichts mehr – sie waren einfach weg. Zwei Stunden geredet und nichts behalten, nur ging es mir so schlecht, dass ich im Rollstuhl hochgebracht werden musste.

Trotz allen Grübelns konnte ich nicht herausfinden, was passiert ist, dass ich so reagiert habe, auf was ich so reagiert habe.

Diese Blockade löste sich immer nach einiger Zeit und das war schon beruhigend, denn ich hatte auch Angst, einfach im Rollstuhl hängen zu bleiben. Dies geschah nicht. Nach einiger Zeit Abstand und Ruhe, Tavor und Schlaf, war wieder alles in Ordnung und was passiert war erschien mir unwirklich und unrealistisch.

Jetzt weiß ich aber, wenn ich am Dienstag in 8 Tagen nach Hause gehen will, also am 26.11.2002, dann muss ich diesen Punkt noch schaffen oder ich laufe in der nächsten Zeit nur noch mit Schmerzen, die ich kaum ertragen kann, herum und fange dann wieder an zu schneiden, um es auszuhalten. Das geht dann nicht lange und ich bin wieder hier. Nein, das will ich nicht. So habe ich nicht viele Chancen, lange zu Hause zu sein und zurecht zu kommen.

Ich habe also mit meiner Bezugsschwester, Schwester Melanie, darüber gesprochen. Und durch dieses Gespräch wurde mir noch klarer, dass das noch vor meiner Entlassung von mir erreicht werden muss.

Jetzt muss ich noch warten bis 14.00 Uhr, dann habe ich Einzelgespräch und dann kann ich Herrn Dr. S. fragen, wie er das sieht. Mein Anliegen wurde nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen. Ist mir auch klar, es sind ja gerade mal ein paar Tage, in denen es mir besser geht und die vorige Woche war einfach schrecklich.

Ich war total daneben, habe kaum die Realität wahrgenommen, habe mich viel und tief geschnitten und sehr viel Tavor gebraucht, um diese Zustände, wie es mir geht, aushalten zu können, damit ich nicht, weil ich es nicht mehr aushalten kann, Schluss mache.

Es ist nur eine kurze Pause, in der es mir gut geht, gerade mal eine Woche und nun will ich da noch mal dran gehen.

Aber bleibt mir denn was Anderes übrig? Die letzten 2 Jahre bin ich fast nur stationär in der Klinik gewesen und bekam intensivste Therapie. Wenn ich jetzt heimkomme, dann muss und will ich wieder auf meinen eigenen Füßen stehen und auch mit einer neuen Therapeutin, also einer Therapeutin, die ich noch nicht kenne, zurecht kommen. Ich will es schaffen und ich will endlich wieder heim und ich will endlich zu Hause normal leben können!

Ich weiß, es ist noch nicht alles gut. Ich habe immer noch diese verdammten Kopfschmerzen und die starken Schmerzen in den Armen. Meine Arme tun zu weh. Es gab Zeiten, da konnte ich meinen Haushalt nicht machen, musste mir jemand zu Hilfe holen und bezahlen, ich konnte nichts tun vor Schmerzen, dabei hatte ich keine Prellung, keinen Bruch – nichts eben einfach nur mal so psychosomatisch! Ich kam mir faul und schlecht vor und hatte kein gutes Gefühl, wenn jemand anderes bei mir putzt und ich zu sehen musste. Wie oft habe ich geheult vor Schmerzen, so schlimm sind sie und dann ist es manchmal so, als würden sie ganz einfach zu mir gehören und ich schaffe es sie bezwingen und trotzdem meine Ziele zu erreichen.           

Aber ich hätte schon gerne, dass sie ganz und für immer verschwinden – ich brauche sie nicht. Sie sind gekommen, als es mir schlecht ging und waren einfach da und begleiten mich nun schon über Jahre, wenn es mir nicht gut geht. Es gibt nur ganz seltene und kurze Zeiten, wo sie einfach mal verschwinden und dann ist es wie ein kleines Wunder und kaum zu glauben, aber umso enttäuschender, wenn sie plötzlich wieder da sind.

Mir ging es wieder schlechter in den nächsten Tagen, kein Schlaf, keine Ruhe, nur Flashbacks und „nicht hier“ sein.

Aus meinem Entlassungstermin am 26.11. wurde auch nichts. Ich war so hoch oben und es ging mir zu gut, umso tiefer war der Absturz. Ich fiel in ein tiefes schwarzes Loch und hing in den schlimmsten Erinnerungen fest. Wollte mich nur noch umbringen, weil ich all das nicht mehr ertragen konnte und dachte, es wird nie wieder anders. Daran, dass es mir vor ein paar Tagen noch sehr gut ging, konnte ich mich nicht erinnern, es war nicht mehr da, dabei war ich so glücklich darüber.

Aber es war weg, dieses glückliche Gefühl, keine Erinnerung daran, keine Hoffnung, dass es wieder schöner wird – einfach nur noch schwarz und Grauen, Vergangenheit und Schmerz und Trauer – keinen Mut mehr zu leben. Ich will mich nicht mehr so quälen müssen. Ich will weg, meine Ruhe haben, schlafen – für immer. Lasst mich – alle!

Ich habe schreckliche Angst.

Immer, wenn ich nicht weiter weiß, wenn ich vor etwas Angst habe oder die Erinnerung zu schlimm wird, dann verschwinde ich (dissoziiere ich). Das ist ein Weg, durchzuhalten oder manchmal denke ich auch, ich kneife, habe Angst, es nicht auszuhalten. Doch ob ich mit meinem Kopf weggehe (dissoziiere), kann ich nicht selbst beeinflussen, es passiert einfach so. Zu Beginn meiner Therapie bin ich andauernd weggegangen mit meinem Kopf, wenn es zu eng wurde, wenn ich etwas nicht verkraften konnte. Jetzt tritt dies schon bedeutend weniger auf.

Manchmal bin ich froh darüber, wenn ich danach sagen kann, ich habe es geschafft, habe die Erinnerung ausgehalten ohne zu dissoziieren und manchmal wünschte ich mir lieber weggehen zu können, weil es zu schlimm ist und ich denke, ich ersticke gleich daran.

Oft passiert es mir aber in letzter Zeit auch, wenn mir etwas einfach zuviel ist, wenn ich keine Kraft mehr habe, mich auf ein Gespräch einzulassen, dann schalte ich automatisch aus und bekomme nichts mehr mit, unterhalte mich aber zugleich weiter, doch es bleibt nichts in meinem Kopf haften und später weiß ich nichts von dem Gespräch.

Aber eigentlich wollte ich von meiner Angst berichten, von dieser riesigen Angst, die in mir ist. Manchmal kann ich gar nicht sagen, dass es Angst ist, ich kann das Gefühl nicht erkennen, ich merke nur, da ist etwas Gewaltiges, was es mir jetzt schlecht gehen lässt. Hört sich schon komisch an. Aber mit den ganzen Gefühlen muss ich erst zurechtkommen und sie richtig kennenlernen und auch richtig erkennen, denn bisher hatte ich kaum Gefühle. Ich war einfach nur leer, traurig und habe mich, wie ich schon immer sagte, einfach nur lebendig-tot gefühlt. Leer und tot, eine leere Hülle, die funktionieren muss, als wenn sie lebt und so leben muss, wie alle anderen ringsherum.

Ist verdammt schwer und anstrengend und außerdem taucht da bereits die erste Angst auf, die Angst, erkannt zu werden, dass man gar nicht so ist, wie man tut. Wie sollte ich den tun? Ich sollte keinem sagen oder zeigen, was los ist und was passiert mit mir. Ja, wie soll man da tun, wie soll man sich da verhalten? Ich war gerade mal 3 oder 4 Jahre alt und wusste nichts anderes, als so zu tun, als sei gar nichts Schlimmes passiert. Opa hat ja auch gesagt, es ist nicht schlimm und tut auch bald nicht mehr so weh. Er war ja sonst lieb und ich habe ihm geglaubt, gehofft, ich kann ihm glauben. Aber da war auch Angst, ich mache etwas verkehrt und jemand sieht mir etwas an und alle erfahren, was ich mit Opa mache. Er sagte ja immer, ich wolle das, weil es mir gefällt, dabei gefiel es mir nicht. Ich hatte aber Angst zu sagen, es gefällt mir nicht. Ich wollte nicht, dass er böse wird und mich nicht mehr mag.

Die Angst, erkannt zu werden – mit der habe ich bis jetzt gelebt. Nun ist da eine Veränderung da. Ich habe angefangen, darüber zu reden, was passiert ist. Ich schäme mich nicht mehr so sehr dafür und ich verkrieche mich nicht mehr deswegen.

Die Angst, dafür bestraft zu werden, wenn ich rede, die ist anders, die schnürt mir den Hals zu und lässt mich fast ersticken. Mein Kopf geht zu, es ist als wird alles dunkel darin, als lauere eine riesige Gefahr da auf mich und ich habe das Gefühl, gleich drehe ich durch. Weiß nicht wohin und was soll ich denn sagen? Ich habe Angst. Ich habe Angst vor meinem Opa und seinem Freund? Ich bekomme doch nur als Antwort, die sind nicht hier. Die können dir nichts tun. Du bist im Hier und Jetzt. Ja, super, das weiß ich auch – aber ich habe diese Angst nun mal und ich habe verdammt noch mal solche Angst davor, ganz durch zudrehen, dass ich mich lieber umbringen würde, als verrückt zu werden. Das klingt verrückt, ist aber so. Nachts ist es am schlimmsten, da kommen sie und ich sehe sie sogar.

Es ist nicht gesponnen und ich bin auch nicht verrückt, aber ich dachte in dem Moment, jetzt bin ich durchgeknallt. Ich lag in meinem Bett und werde wach und habe das Gefühl, ich bin nicht allein in meinem Zimmer, nicht allein im Bett. Auf meinen Armen, die ich an meinem Körper an der Seite liegen habe, ist etwas, es ist schwer und ich wage nicht mich zu bewegen – ich spüre eine große, bekannte Gefahr. Dann fühle ich das Fell, glatt und kühl und ich spüre den Atem der beiden Hunde, die rechts und links neben mir auf meinen Armen liegen, so dass ich mich nicht bewegen kann.

Ich habe Angst, möchte schreien, aber traue mich nicht. Wenn ich schreie, dann beißen die mir die Kehle durch. Es sind die zwei großen schwarzen Hunde von Opa seinem Freund. Die sind böse. Ich liege im Bett, habe Angst und kann nichts tun, mich nicht bewegen, nicht schreien und zur Klingel kann ich auch nicht greifen, denn die vefluchten Hunde sitzen auf meinen Armen.

Ich habe Angst – fürchterliche Angst.

Nach einer Weile sind die Hunde weg, ich spüre kein Gewicht mehr auf meinen Armen, keine Körperwärme und keinen Atem dieser Viecher mehr. Es ist vorbei wie ein Spuk.

Nun liege ich in meinem Bett allein und denke, was war das? Werde ich jetzt völlig verrückt? Das kann ich doch keinem erzählen, die lachen mich doch aus oder glauben es mir nicht und sagen nur, die spinnt jetzt völlig. Ich habe eine Heidenangst, dass die Viecher wieder kommen, aber ich gehe nicht zur Nachtwache. Der Nachtpfleger kann sich auch nicht neben mein Bett stellen und aufpassen und na ja, sie sind ja nun einmal nicht real da, also für ihn sowieso nicht sichtbar.

Wenn mir jemand so etwas erzählen würde, würde ich auch sagen, der spinnt doch. Aber es ist tatsächlich so. Ich habe diese verdammten Viecher gespürt (Körperwärme und Gewicht), den Atem gerochen und das Fell an meinen Händen fühlen können und doch waren keine Hunde bei mir im Zimmer.

So etwas gibt es doch einfach nicht! Doch das gibt es. Leider! Und es macht mir unheimlich viel Angst.

Ich weiß noch, es war auch hier in der Klinik.

Endlich einmal hatte ich es geschafft, wütend auf Opa zu sein. In meiner Wut habe ich so lange mit einem Hockeyschläger auf die Matten geschlagen, bis ich nicht mehr konnte und Blasen an den Händen hatte, vom Schlagen.

Es ging mir so gut, ich fühlte mich so frei danach. Das blieb mir aber nicht lange. Als ich mich nachmittags etwas hinlegte, weil ich müde war, passierte es.

Ich schlug die Augen auf und da saß er – mein Opa. Er saß in der kleinen Couch und hatte die Beine übereinandergeschlagen, die Arme ineinander verschränkt und er war genauso angezogen wie sonst auch immer. Ich lag wie erstarrt in meinem Bett und wagte mich nicht zu bewegen.

Ich dachte nur noch, jetzt ist es soweit, jetzt macht er Schluss mit mir. Ich habe es ja verdient. Ich sollte doch nichts sagen. Ich brachte keinen Ton heraus, wagte kaum zu atmen, geschweige denn, mich zu bewegen. Er saß nur da und sah mich an und lächelte. Aber er lächelte nicht freundlich, es war sein boshaftes Grinsen. Ich hatte Angst, wahnsinnige Angst und wagte doch nicht zu rufen, damit jemand mir helfen kommen soll. Ich konnte auch vor Angst nicht rufen, wusste aber auch, wenn jetzt jemand kommt, dann knallt er ihn eben einfach ab, er hat doch immer die Pistole dabei.

Ich hatte Angst und lag da und wartete auf meine Bestrafung. Was wird er jetzt tun?

Er tat nichts. Saß nur so da und grinste mich an.

Dann sagte er: „Ich habe gesagt, wenn ich dich nicht umbringe, dann tust du es selber!“

Das war alles, was er sagte, sonst nichts. Er saß noch einen Moment still da und sah mich an und dann auf einmal war er weg – einfach weg. Nicht aufgestanden und gegangen. Nein, er war einfach so verschwunden.

Als er weg war, konnte ich auf einmal schreien und ich habe geschrieen und ich habe geheult vor Angst und wegen dem, was er gesagt hat. Ich wollte doch leben und er sagt, ich soll mich umbringen. Ich durfte niemand nur irgendetwas erzählen und ich habe geredet. Ich hatte Angst. Ich hatte immer Angst, er kommt wieder – er ist bis heute nicht wieder gekommen, nicht so, dass er in meinem Zimmer saß und wirklich da war, so als könnte man ihn anfassen.

Damals habe ich wirklich gedacht, ich drehe jetzt durch, ich werde verrückt, halte das alles nicht mehr aus und schaffe es sowieso nicht. Ich habe keine Kraft, das auszuhalten und ich wollte das auch nicht mehr aushalten.

Warum ist denn nicht endlich einmal Schluss mit alle dem? Ich bin doch jetzt weit weg, nicht mehr in Leipzig, nicht mehr zu Hause. Die meisten von denen sind sicher schon tot. Opa ist es, mein Stiefvater ist es und wer sonst noch, weiß ich nicht. Es weiß aber keiner, wo ich bin.

Ich möchte keine Angst mehr haben. Ich möchte nur so leben können, wie alle anderen auch.

Aber diese Angst ist mein ständiger Begleiter. Wenn Erinnerungen auftauchen, dann taucht auch die Angst auf. Es passiert sowieso immer etwas, wovor ich schreckliche Angst hatte.

Entweder haben die mich an den Händen und Füßen festgebunden und ich konnte mich nicht bewegen. Oder sie haben mir die Augen zugebunden und das war noch schlimmer, weil ich nicht sehen konnte, was mit mir passieren wird. Es ist wirklich besser zu sehen, was passiert, auch wenn es schlimm ist. Aber sie fanden es noch lustiger, wenn ich die Augen verbunden hatte und nicht wusste, was auf mich zukommt. Es ist so, man ist stärker gegen etwas, was man sehen kann.

Gut, inzwischen konnte ich auch schon ohne es zu sehen genau fühlen, was kommen wird, was sie mit mir tun wollen.

Wenn sie mir die Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt haben, da haben sie mir nie die Augen verbunden, denn da hätten sie ja nicht gesehen, wie viel Angst ich habe. Nur manchmal, wenn ein Anderer das mal probieren wollte und ich ihn nicht sehen sollte, haben sie mir die Augen zugebunden.

Ich kann nicht genau sagen, wie viele Jahre sie das taten und wie oft. Manchmal habe ich wirklich gehofft, jetzt müsste eine Kugel drin sein, dann wäre endlich Schluss und ich hätte endlich meine Ruhe. Aber es war nie eine Kugel drin. Ich hatte aber trotzdem immer wieder Angst, schlimme Angst, es wäre eine drin. In den Filmen sind doch auch immer Kugeln drin und meist treffen die auch, warum sollen die ewig nur so tun, als wollen sie mich erschießen, irgendwann werden sie es doch tun. Und so hatte ich immer Angst – es sei denn, ich habe gerade mal gehofft, jetzt klappt es, jetzt ist gleich Schluss.

Es war nie Schluss – es war nur immer Angst, Angst, dass es schlimm weh tut, und dass ich sterben werde.

Es war auch nie Schluss, wenn ich den Hals zugedrückt bekam, das tat mein Opa gern. Na ja, schuld war ich meist selber, weil ich zu laut gejammert oder geschrieen habe, wenn er mir wehgetan hat. Ich wusste das zwar, dass er mir dann immer den Hals zudrückt, damit die Nachbarn nichts hören können, ich hätte ja bloß die Zähne zusammenbeißen müssen, anstatt zu schreien, aber das ging eben nicht immer. Und wenn ich dann geschrieen habe, drückte er mir mit dem Kissen die Luft ab und ich bekam panische Angst zu ersticken und bin oft ohnmächtig geworden, weil ich keine Luft mehr bekam. Dann wurde ich durch Ohrfeigen munter.

Ich habe heute noch Angst, wenn mir jemand ein Kissen auf das Gesicht wirft oder auch nur so tut, als wolle er mir die Luft abdrücken. Wenn ich vor Schmerzen schrie, habe ich oft Opa seine Hand auf dem Mund gehabt, so dass ich doch nicht mehr schreien konnte und er weitermachen konnte, was er wollte mit mir. Am schlimmsten war, wenn er, nachdem er mir die brennende Kerze unten rein gesteckt hatte, dann selbst noch seinen Penis da rein gesteckt hat und alles so schrecklich weh tat und wund war, das hat ihm am meisten Spaß gemacht, denn das hat er sehr oft gemacht, sonst niemand außer meinem Opa. Er hat mir schrecklich wehgetan und ich habe heute noch fürchterliche Angst, wenn ich nur daran denke.

Wie kann der eigene Opa so etwas mit einem tun? Ich begreife das nicht! Es tut weh!

Es tut so weh, dass es der eigene Opa war!

Wenn Herr Dr. S. nur meinen Opa oder dessen Freund (ich sage immer „Blaumann“) erwähnt, dann spüre ich schon, wie die Angst kommt.

Nun, genau sagen, dass es Angst ist, kann ich gar nicht, ich habe immer gesagt, ich habe keine Angstzustände. Es ist so, dass ich dann merke, wie mein ganzer Körper reagiert. Ich merke jeden Muskel, alles tut mir weh, ich spanne mich total an und ich merke, wie mein Kopf und auch mein Körper anfangen, wegzugehen. Zuerst merke ich ein dumpfes Gefühl, so als wäre mein Kopf plötzlich voller Watte und ich kann durch die Watte nur noch entfernt verstehen, was gesagt wird. Mein Kopf wird immer unklarer und dann geht alles weg, ich spüre nichts mehr. Ich höre nichts mehr, ich fühle nichts mehr – auch keine Angst.

Es ist aber nicht immer so. Jetzt war es zuletzt ganz anders. Ich bekam Angst und es ging im Einzel um Opa und seinen Freund. Alles war weit weg. Ich konnte dem Gespräch nicht mehr folgen, hatte nur noch Angst, Angst, Angst und ich merkte, ich will weg und es ging nicht, ich konnte mich nicht mehr bewegen, alles war steif und starr und ich fühlte mich noch hilfloser und bekam noch mehr Angst.

Ich konnte wahrnehmen, dass ich mich nicht mehr bewegen kann, aber ich wusste nicht mehr, was dem vorausgegangen war, warum ich mich nicht mehr bewegen kann. Jetzt hatte ich wieder Angst, das wird vielleicht so bleiben, dass ich mich nicht mehr richtig bewegen kann. Ich habe nichts mehr gesagt, ich dachte bloß noch, ich will in mein Zimmer und ich will nicht mehr leben. Ich schaffe das doch sowieso nicht, sonst würde ich doch jetzt nicht hier so sitzen und mich nicht bewegen können.

Es ist mir vor 14 Tagen zweimal so gegangen, dass ich im Rollstuhl in mein Zimmer gebracht wurde und solche Angst hatte steif zu bleiben.

Ich bin nicht steif geblieben. Aber die Angst, es könnte doch einmal so passieren ist da, sitzt mir im Genick. Ich muss lernen, aufzupassen, wenn etwas zu viel wird, wenn ich etwas nicht aushalten kann und dann muss ich stoppen können. Das ist wichtig.

Diese Angst vor meinem Opa und seinem Freund und diesen Zustand, als ich nicht mehr laufen konnte, habe ich erwähnt, um deutlich zu machen, wie groß die Angst davor ist, an diese Dinge zu denken, die mir die Beiden angetan haben.

Nur, wenn das Thema angesprochen wird bekomme ich schon einen unklaren Kopf und merke, wie das immer stärker wird, bis ich dann aus dieser Situation raus bin, (entweder durch „abtauchen“ oder durch beruhigende Ablenkung, was mir meist selbst noch nicht so gelingt und wo ich meist doch noch sehr ausgeliefert bin).

Es wird mir schon schlecht, wenn ich nur daran denke, was alles passiert ist, was die alles mit mir gemacht haben. Ich habe so furchtbare Angst, es passiert wieder und im Flashback passiert es ja auch wieder. Manchmal kann ich kaum noch das Jetzt vom Damals trennen und weiß nicht mehr, wie alt ich bin und was mir passieren kann und was nicht mehr, weil ich nicht mehr klein bin.

Ich bin dann einfach nur noch in der Vergangenheit, richtig abgetaucht, fühle und denke wie damals und fürchte mich so, wie damals. Es ist keiner da, der helfen kann, wenn ich nur an die Beiden erinnert werde, dann geht mein Kopf zu, gerate ich völlig in einen Zustand von Hilflosigkeit, Wehrlosigkeit und Angst. Ich kann es schlecht beschreiben, wie das ist, wenn es losgeht. Ich glaube, ich versuche mich dann krampfhaft an allem festzuhalten, ob es die Sessellehnen sind oder ein Bild, an das ich mich klammere, um nicht wegzurutschen in diesen Schacht aus Angst und Erinnerungen. Es ist wirklich ein tiefer dunkler Schacht, mein Kopf geht zu, dröhnt, tut mir weh. Ich habe Angst, ich werd verrückt und dann kommen Bilder. Die Bilder fügen sich zusammen zu einem Ganzen, zu einem schrecklichen Ganzen und dann ist es da und ich bin mitten drin, wieder mitten drin in dem, was ich so fürchte, in dem was ich nie mehr sehen oder erleben will und nun ist es wieder einmal wieder da und ich kann nicht ausweichen.

Es hat einfach nur gereicht, von den Beiden zu reden anzufangen und schon rollt die Lawine los und ich kann sie nicht mehr aufhalten. Ich will sie aufhalten können. Ich will es schaffen, nicht mehr so ausgeliefert zu sein.

Ich sage mir ja selbst immer wieder: „Es ist doch vorbei! Es kann mir nichts mehr passieren!“ Aber das funktioniert leider in meinem Kopf nicht, die Angst ist stärker als die Logik.

Wenn ich alles erzähle, weshalb ich Angst habe und hatte, dann könnte ich morgen noch sitzen und schreiben. Es war so viel und so Schlimmes. Wie oft spüre ich die Hände an meinem Hals, wenn ich denke, nein, so ist das nicht richtig, jetzt muss ich sagen was ich will. Wie oft werde ich nachts munter und denke, ich habe das Kissen auf dem Gesicht und werde erstickt, dabei ist nur die Zudecke etwas in mein Gesicht gerutscht. Wie oft wache ich aus dem Schlaf auf und denke, ich werde erstickt oder unten verbrannt mit der Kerze.

Ich schwitze oder schreie, werde geweckt oder wache auch allein auf und kann nicht mehr einschlafen aus Angst, es passiert wieder. Wie oft sehe ich einen Flur mit vielen Türen auf beiden Seiten, Tür an Tür und in jedes Zimmer wurde ich hinein geschoben. Ich habe Angst vor Fluren mit vielen Türen, da bekomme ich immer den Gedanken nicht los: „Ich kann nicht weglaufen, alles ist zugeschlossen.“ Nie konnte ich weglaufen, nie. Es gab keinen Ausgang, nur immer wieder Zimmer – ich habe jedenfalls nie einen Ausgang finden können. Hätte mir aber auch nicht viel genutzt, draußen war niemand, der mir geholfen hätte, nur die zwei bösen Hunde und so habe ich mich schon gar nicht getraut, wegzulaufen aus Angst, die Hunde fangen mich ein und beißen mich. Bei jedem Streit, wenn es lauter wird, habe ich Angst, mir wird der Hals zugedrückt und ich muss ersticken und keiner hilft mir.

Es hat mir nie jemand geholfen, auch wenn ich noch so viel Angst hatte. Ich war allein – keiner war da und hat geholfen. Nein, es gab eher Augen, die zugesehen haben. Viele Augenpaare haben zugesehen, wenn ich gequält wurde und Angst hatte und vor Schmerz und Scham gewimmert habe. Es macht Angst, wenn so viele da sind und keiner dabei ist, der hilft. Das macht wirklich große Angst. Ich dachte, was habe ich getan, warum mir keiner hilft?

Eines Nachts, als ich wieder einmal so viel Angst hatte und an diese Situation dachte, als ich da vorne auf dem Boden lag. Es war ein Raum, wie ein Zuschauerraum mit einer kleinen Bühne und dort vorn lag ich. Seit fast 6 Wochen schleppte ich diese Erinnerung mit mir herum, ehe ich es geschafft habe, darüber zu schreiben. Es war einfach zu schrecklich, zu eklig und zu abstoßend aber auch zu schmerzhaft und zu enttäuschend. Ich habe mich so geschämt und so gefürchtet, wenn das jemand erfährt, wie der wohl von mir denkt und ob er mich nicht richtig dreckig und eklig findet. Wer so was macht, ist doch das Letzte, der letzte Abschaum.

Und so habe ich mich gefühlt und hatte Angst, alle würden mich verachten und nicht mehr sehen wollen. So habe ich gedacht und geschwiegen, bis ich nicht mehr schweigen konnte. Ich denke, das kann ich doch niemand erzählen, das kann man doch niemandem zumuten. Aber ich musste darüber reden. Es jemand sagen. Ich habe Angst, wenn ich darüber rede, das von mir verrate, dann kann ich ihm vielleicht am nächsten Tag nicht mehr unter die Augen treten, weil ich mich so schäme deswegen. Ich habe einfach nur noch Angst, er findet mich eklig und dreckig, und sie war riesengroß, denn Herr Dr. S. ist wirklich meine Chance, es zu schaffen.

Diese Erinnerung hat mich solange gequält, verfolgt und ich habe nicht gewagt, zu reden, mit jemand zu reden, um es los zu werden, nicht mehr allein im Kopf haben zu müssen.

Ich habe heute noch diese große Angst vor den beiden Hunden. Sie waren wirklich böse und gefährlich und sie haben sie auf mich drauf gelassen. Ich hatte Angst, schreckliche Angst, es tat sehr weh und ich habe mich verstecken wollen vor den vielen neugierigen Blicken, die einfach nur zugesehen haben und nichts dagegen getan haben. Ich habe diese Angst sofort, wenn Opa und sein Freund auftauchen, dann ist das wieder da und alles, was mit mir passiert ist.

Ich war 11 bis 12 Jahre alt und niemand hat mir geholfen. Ich war allein und ausgeliefert.

Mein Opa war da und hat auf alles aufgepasst, damit nichts passierte, was er nicht wollte, oder wie er immer gesagt hat, es passiert schon nichts Schlimmes. Was er so unter schlimm verstanden hat, weiß ich nicht. Für mich war das hier schlimm, es konnte nichts Schlimmeres geben.

Ich habe mich geschämt und wäre froh gewesen, wenn ich nur noch ruhig und allein am Boden hätte liegen bleiben können und keiner hätte sich um mich geschert, so als ob man einen Haufen Dreck übersieht.

Immer, wenn die Rede auf meinen Opa und seinen Freund kam, dann tauchten diese Bilder auf und mir wurde schlecht und ich wollte mich eigentlich nur noch umbringen, wollte weg, weg – dorthin wo keiner mir etwas ansehen kann und wo nie wieder etwas passieren kann, was mir weh tut.

Ich wollte sterben.

Ich wollte lieber fliehen, als an das alles erinnert werden, was die zwei mit mir gemacht haben und alle die vielen Anderen auch. Ich habe es satt ich will diese Angst nicht mehr haben. Ich wollte aber auch leben und wollte, dass das aufhört, endlich aufhört. Aber es hört nicht auf, ehe ich das ganze Grauen ausgegraben, angesehen, ertragen habe.

Ja, genau erinnern, ansehen, aushalten, immer wieder aushalten, bis es mich nicht mehr umwirft, bis ich so stark bin, zu sagen: „Okay, das war einmal, aber ich lebe jetzt und will jetzt leben!“

Dazu, das zu erreichen gehörte auch, es zu schaffen, über das Schlimmste zu reden, es nicht in mir allein zu behalten, so dass es mich ständig kaputtmachen kann, ständig verfolgen kann. Das tut es sowieso noch. Aber ich habe es geschafft. Ich habe wirklich überlegt, was besser ist, es jemandem zu erzählen und ihn auch noch damit zu belasten oder lieber Schluss zu machen.

Ja, darüber habe ich ziemlich lange nachgedacht und das auch in einigen meiner Bilder, die ich in den 6 Wochen gemalt habe festgehalten. Ich wollte schweigen und tot sein. Ruhe haben und frei sein, also tot sein.

Ich wollte weg bedeutet: Ich will tot sein.

Ich war nah an der Grenze und wusste, ich muss mich entscheiden, zu reden oder mich umzubringen. Ich bin runter zu Herrn Dr. S. und habe versucht zu reden. Ich glaube, es kam alles ziemlich wirr an und eigentlich war mir hinterher klar, was ich erreichen wollte. Ich habe fast alles erzählt, ganz ruhig, so als erzähle ich irgendetwas ganz Belangloses. Ich habe das gemerkt, wie ich geredet habe, ich habe getan, als sei es nicht so schlimm gewesen, nur ich war schlimm und ich wollte einfach sagen: „So ein Leben will ich nicht, kann ich nicht mehr wollen, halte ich nicht mehr aus.“

Alles hat Herr Dr. S. gehört, nur das wollte er nicht hören.

Na ja, ich muss eben wieder üben zu lächeln, dann kann ich heim und werde tun, was ich will. Ich muss mich quälen und ich will mich nicht mehr jemand anderem zu Liebe quälen, weil ich mal versprochen habe, mir nichts anzutun. Er sagt zwar, ich sei zur Zeit nicht in der Lage zu entscheiden, ob das Leben besser wird. Vielleicht wird es das ja, wenn ich 80 Jahre alt bin, aber solange werde ich mich nicht quälen. Nein, ich weiß, wie es mir geht und ich denke jetzt, ich wollte nicht zur Autobahn laufen, als ich losgelaufen bin, aber um endlich Ruhe zu finden und keine Angst mehr haben zu müssen, wird es wohl mein Weg werden, nur ohne Rückweg.

Ich werde diese von meinem Opa und seinem Freund so toll initiierte Vorstellung jetzt genau beschreiben. Wem nicht schlecht wird, der hat Glück. Mir war jedes Mal sauschlecht.

Seit Mitte September will ich das schon aufschreiben und nun ist der 22.l0.2002 und ich schreibe es heute, weil ich diese Angst immer noch genauso in den Knochen spüre, genauso wie die Krallen der verdammten Köter auf meinem Rücken.

Sicher wird jetzt vielleicht jemand sagen, oh Gott, wie kann man so was nur erzählen oder in einem Buch schreiben, ist ja widerlich, ist ja eklig. Genau deswegen gerade schreibe ich es auf. Wer fragt denn schon danach, was wirklich passiert? Ist doch besser, nichts zu wissen, dann passiert so was bei uns wohl auch nicht. Wie geht das schöne Sprichwort: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“

Augenpaare

Viele Augenpaare, vielleicht 20 oder 25 (Ich weiß es nicht genau)

Sehen zu,

sehen einfach nur zu.

Ich sehe ihnen in die Augen, möchte, dass sie mir helfen

Sie sehen mir in die Augen, neugierig,

gelangweilt,

interessiert,

fasziniert sehen sie mich an.

Ich sehe sie mit Angst, Schmerz und um Hilfe bettelnd an,

Sie sehen das und genießen es, ja, sie genießen meine Schande,

Schmach und Schmerz.

Es tut weh, was passiert.

Es ist eklig, was passiert.

Es ist so erniedrigend, was passiert.

Am Schlimmsten ist, dass kein Augenpaar mir helfen will.

Ich sehe sie die vielen Augen, fühle die Schande, den Schmerz,

meine Einsamkeit, das Ausgeliefertsein.

Tot möchte ich sein – weg von hier – sicher sein, Frieden und Ruhe haben.

Ich möchte keinen mehr umsonst mit den Augen anflehen!

„ Hilf mir bitte!“

Sie werden nicht helfen.

Sie kommen später auch noch um mich zu benutzen,

zu beschmutzen und um meine Schande zu genießen.

Wenn sie zu Hause sind, wie sind sie dann?

Anständige, nette Leute von nebenan?

Väter und Mütter, die auch Kinder haben?

Sie werden nicht daran denken wie es mir geht, dass ich lieber tot wäre,

als so weiter zu leben. Dass ich sowieso dabei gestorben bin – jedesmal –, 

immer wieder.

Ich bin lebendig – tot und muss noch lächeln.

17.10.2002 (Tina 50 Jahre alt)

 

 

Körperlos

Ich war mit dem Kopf da, habe gesehen, was geschah – nichts gespürt.

Mein Körper ist weg.

Ich bin oben unter der Decke des Zimmers, beobachte, was geschieht.

Spüre nichts.

Wie alt bin ich?

5 Jahre, 7 Jahre, 9 Jahre, 23 Jahre?

Egal, wie alt. Es geschieht immer.

Egal, wer. Einer ist immer da.

Ich spüre nichts – beobachte.

Mein Körper ist weg, das ist gut,

ich kann ihn nicht leiden.

Ich brauche ihn nicht – die anderen brauchen ihn – immer wieder!

Ich nicht - ich brauche ihn nicht.

20.02.2002 Tina

 

Flashback

So ist ein Flashback für mich.

Wenn ich es wieder und wieder erlebe, was passiert ist.

Was mir mein Opa angetan hat und sein Bekannter.

Es ist schlimm, wenn alles nocheinmal passiert,

so als würde es zum erstenmal passieren.

Die Angst, der Schmerz, das Grauen, die Enttäuschung

Und keine Hilfe!

Das ist wie ein Horror -Film!

15.05.2002 Tina

 

6.11.2003

Jetzt bin ich mir sicher, dass ich total nerve, weil Schwester H. Herrn Dr. S. noch einmal wegen mir anruft (hätte ich bloß meine dämliche Klappe gehalten). Ich bin jetzt so drauf, dass ich mich am liebsten umbringen würde, weil ich die letzten zwei Tage nicht weiß, wie ich bin, wie ich mich verhalten habe, weil ich keine Kontrolle habe, nicht weiß, was los war und das ist peinlich, wenn ich nicht weiß, wie ich bin und mich verhalte und keine Kontrolle habe.

Ich denke ganz einfach, so fängt es an, wenn man verrückt wird.

Verrückt werden will ich nicht, so ein Leben will ich nicht, da bringe ich mich eher um, als mein restliches Leben irre rum zu laufen. Das ist überhaupt nicht zu beschreiben, wenn man zwei Minuten im Hier ist und die Hälfte des Satzes den das Gegenüber gerade sagt, versteht und den Rest nicht mitkriegt und ganz woanders ist.

Es ging gestern so hin und her, du tauchst auf und tauchst wieder ab. Gestern waren Momente, ich kam mir lächerlich und blöd vor und dann weiß ich nicht, wie dämlich ich mich verhalte und was man von mir denkt. Ich finde es jedenfalls total schlimm und auch anstrengend und peinlich zugleich. Nun sagt mir Herr Dr. S. auch noch, nachdem Schwester H. ihn angerufen hat und gesagt hat, was ich ihr mitgeteilt habe, es sei normal und auch das ein normaler Prozess und kam sofort auf Station. Er hat gelächelt und gesagt: „Gut so, machen sie weiter so“, und mir auf die Schulter geklopft.

Ich glaub es einfach nicht, ich fühle mich total irre und er sagt: „Gut so, machen Sie weiter so.“

Klar weiß ich, ich war heute und gestern total nervig und habe wertvolle Zeit beansprucht und genau das ist mir peinlich und das will ich gar nicht. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, ich hätte nichts gesagt, da hätte er nicht schon wieder wegen mir auf Station kommen müssen. Das wollte ich nicht.

„Gut so, machen Sie weiter so!“

Also wird es noch weitergehen, also ist noch nicht Schluss. Ich kann es nicht fassen. Er lächelt und sagt ganz locker und freundlich: „Gut so, machen Sie weiter so!“

Gerade so, als würde ich was Tolles tun, ’ne Superleistung vollbringen. Dabei fühle ich mich total durcheinander und verwirrt.

ICH FINDE ES NICHT GUT SO UND MÖCHTE NICHT SO WEITER-MACHEN! UND ICH FINDE DAS NICHT ZUM LÄCHELN: ICH FÜHLE MICH IRRE!

Ehrlich gesagt, kam ich mir in diesem Moment verscheißert vor und es tat auch irgendwo weh. Aber das ist egal. Ich glaube, jetzt ist alles egal, andere finden das vielleicht lustig, ich finde es nicht lustig. Es war dumm von mir, zu sagen, wie es mir geht. Es ist besser, nichts zu sagen und nichts zu versprechen. Ich hätte vorhin gehen sollen, einfach weg und Schluss und nicht zu Schwester H.

Es war Sch..., dass mir dass heute unten in AT (Arbeitstherapie) passieren musste. Haben bestimmt alle mitgekriegt. Ich alte Kuh verhalte mich wie ein kleines Mädchen – schön lächerlich werde ich mich da gemacht haben. Ich hasse das, wenn ich einen Flashback bekomme und nicht in Sicherheit – also, ich meine allein bin und mich jemand sehen kann. Ich hasse das, weil ich dann nicht weiß, was abläuft, wie ich mich verhalte oder wie ich reagiere. Ich hasse das, ich hasse mich dafür.

Ich dachte, heute geht es mir gut und ich bin dort unten auf der sicheren Seite. Es kann nichts passieren und dann kommt es einfach so irgendein verdammter Auslöser und schon ist es passiert. Ich habe das satt, wer weiß, was ich da alles verraten habe. Ich werde so etwas nicht mehr zulassen. Es war genug und es reicht, wenn ich es weiß. Was weiß ich denn, was ich alles erzählt habe. Ich weiß es nicht. So geht es nicht. Ich will nicht, dass jemand sieht oder hört, wie ich bin und was ich getan habe und tun musste.

Mein Kopf tut schrecklich weh, ich fühle mich hundeelend, kann nicht mal heulen. Vielleicht ist mein Kopf so, weil es wieder einen „Abstecher“ in die Vergangenheit werden wird, auch mein Bauch tut weh.

Ach Scheiße (da habe ich früher immer eine geklatscht bekommen, wenn ich das Wort gesagt habe), aber es ist wahr, ich finde es so beschissen. Ich will nicht mehr so sein. Ich will nicht mehr wegtreten, dass andere das mit kriegen.

Idiotisch, früher hatte ich Angst, die erschießen mich und jetzt würde ich es zu gerne selbst tun – sicher und schnell.

Ich bin müde. Ich bin einfach total müde – einschlafen und nicht mehr munter werden. Aber Wünsche gehen nicht in Erfüllung, zumindest meine nicht.

Nur Versprechen hält man ein und ich habe versprochen, mir nichts anzutun.

Vielleicht sollte ich mal eine Annonce aufgeben: „Tausche Leben gegen Tod“ ist zwar kein besonders gutes Leben, aber vielleicht will es jemand. Ich habe genug davon, wenn ich nicht genau weiß, was ich sage und was ich tue und dann heißt es ganz einfach, ist alles okay

„Gut so, machen Sie weiter so!“

Sagt ja doch keiner, was er wirklich denkt. Ich bin doch auch nicht mehr auf „D“ gekommen, weil es zu „belastend“ (ich denke eher zu eklig) für das Team war.

Ach, was soll der ganze Quatsch, ist eh egal, ich bekomme das schon noch geregelt. Ich weiß schon, warum ich mich immer schäme, unten am Schwesternzimmer vorbei zu gehen, wenn jemand drin ist. Wenn ich dann doch jemand sehe, dann gehe ich sogar rein und rede, klappt alles. Aber lieber ist mir, ich treffe niemanden, weil ich mich schäme, weil die soviel über mich wissen von früher. Aber wer weiß das schon, dass ich mich schäme.

Lächeln, lächeln – peng! Ausgelächelt. Ich bin fies, weil ich das so schreibe? Nein ich bin fies, weil das passiert ist. Wenn es wenigstens richtig „peng“ gemacht hätte, dann brauchte ich mir heute keine Sorgen zu machen, wer was über mich weiß und müsste trotzdem lächeln, als wäre alles bestens, weil ich angelächelt werde.

Ich denke, mancher würde lieber weg sehen, wenn er wüsste, „die“ kommt.

Ich denke, ich sollte ganz verschwinden.

Wie hat Opa gesagt: „Erschießen und in die Büsche schmeißen“ So was sucht keiner und so was fehlt keinem.“ Ich weiß, dass alles ist zum Kotzen, was ich bereits gesagt habe, was ich von früher verraten habe. Ich finde es zum Kotzen und ich finde mich zum Kotzen und wer das nicht so findet, der lügt und, wer mich nicht zum Kotzen findet und das weiß, der lügt auch oder hat so gut „Lächeln“ geübt, wie ich es als Kind getan habe. Wenn ich den ganzen Mist jetzt nicht geschrieben hätte, hätte ich mich längst geschnitten. Ich weiß gar nicht, wofür ich hier sitze und schreibe, schneiden tu ich mich eh. Wenn ich wüsste, dass es hilft, dass so etwas, wie heute nicht wieder passiert, würde ich mich schnell schneiden, wenn ein Flashback kommt. Aber ich habe es nicht mitbekommen.

Es ging zu schnell, ich konnte nichts mehr gegensteuern. Aber das funktioniert nicht. Ich habe es nicht gerafft, was läuft und war drin im Flashback und weiß nicht, wie viele Leute mich so gesehen haben.

Und dann „GUT SO; MACHEN SIE WEITER SO!“

Na klasse, läuft alles bestens, wenn ich wie ein kleines Mädchen durch die Gegend laufe und in der Zeit davon rede, was ich sonst nicht sagen würde. Niemand sagen würde!

Läuft alles bestens! Da ist Klebeband auf den Mund gar keine schlechte Idee, da kann ich nicht quatschen, da kann keiner Fragen stellen und Antworten bekommen, die ich sonst nicht geben würde.

Ich glaube, so war es heute. Ich bin stinksauer und enttäuscht. Ich weiß, irgendwas habe ich doch gesagt, dass Mutti in Schichten arbeitet und Vati dann immer mit mir allein in der Schlafstube war. Ich musste ja mit in der Schlafstube schlafen. Meine beiden Brüder, die waren zusammen in dem anderen Zimmer und ich mit in der Schlafstube.

Ich habe doch recht oder?

FRAGE-ANTWORT-FRAGE-ANTWORT.

Wenn es nicht stimmt – entschuldige ich mich. Aber ich weiß nicht, wieso ich sonst so sicher bin, dass ich da was erzählt hatte, wo Mutti arbeitet und was. Das wäre auch egal, aber ich weiß nicht, was ich noch alles erzählt oder beantwortet habe. Da war was! Da waren Fragen! Nee, ich will es lieber nicht wissen, wer mich in der Zeit von 13.00 bis 15.oo Uhr was gefragt hat und was ich geantwortet habe. Außerdem weiß ich gar nicht, wozu ich diesen ganzen Quatsch hier überhaupt schreibe. Wahrscheinlich, um das Versprechen einzuhalten, mir nichts anzutun. Ach ja, den Tagesbericht muss ich ja auch noch schreiben.