Ich wünschte mir:

dass ich keine Schmerzen mehr habe

dass es innerlich nicht mehr so weh tut

dass ich schlafen kann ohne Angst zu haben

dass es mich nicht zerreißt und fast verrückt macht

dass ich zu Hause sein kann

dass ich einfach normal leben kann.

Ich habe mir 400 mg Solian und 2 mg Tavor geben lassen. Ich bin wieder ziemlich tief unten, wie ich denke. (Am liebsten weg sein. Schade, dass es im März nicht geklappt hat, da müsste ich das alles nun nicht mehr aushalten.)

Es ändert nichts an dem, wie es mir geht, wenn ich versuche, mir klar zu machen „Ich hätte nichts ändern können.“ Ich fühle mich nicht besser. Nichts wird dadurch einfacher zu ertragen oder besser auszuhalten. Wie soll denn etwas anders werden? Wie? Es bleibt doch alles so, wie es passiert ist und ich denke immer wieder, es wäre besser, ich wäre auch tot. Dann würde ich mich nicht so schuldig fühlen. Schuldig, weil ich noch da bin. Das ist noch da bin, macht mich schuldig. Ich fühle mich schuldig, weil ich noch lebe, weil es mein Großvater war.

Jeder sagt mir: Verkehrt, er ist der Täter und du bist das Opfer.

Aber ich fühle eben anders, kann nicht so denken, fühle mich schuldig und nicht anders.

Es ist alles so durcheinander. Dass ich noch lebe sagt mir, zu welcher Seite ich gehöre. Dass ich noch da bin sagt mir die Seite und ich schäme mich, dass ich noch existiere.

30.08.2007

Die letzte Nacht war wieder ohne Schlaf und ich bin so kaputt. Wie soll das weitergehen? Morgen früh geht garantiert wieder die Tür auf und die Frage: „Alles in Ordnung“ ist zu hören. Erst morgens komme ich etwas zur Ruhe und kann wenigstens etwas duseln, aber ich bin morgens immer so fertig, dass ich nicht in der Lage bin, aufzustehen. Es ist doch auch aus der Akte ersichtlich, wie die Nacht für mich war. Manchmal wünschte ich, die müssten das mal mitmachen und dann käme die Schwester und würde sie aus dem Bett scheuchen.

Wenn ich doch nur bald nach Hause könnte, da brauchte ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich früh nicht parat stehe. Langsam kann ich nicht mehr. Es ist doch wichtig, wenigstens etwas Ruhe zu finden. Ich habe solche Schmerzen und kann einfach nicht mehr. Ich kann wirklich nicht mehr.

Es gefällt mir selbst nicht, wenn ich erst ab Mittag (und es wird immer weniger Zeit vom Tag) zurecht komme. Das ist doch keine Absicht von mir oder macht mir Spaß, solange im Bett zu liegen.

Ist das nicht bescheuert, es tut so schrecklich weh, aber da ist nichts, was wehtun müsste. Nur weil mein Kopf spinnt, tut mir alles weh. Ich komme immer mehr an die Stelle, wo ich mir sage: „Egal, dann eben schneiden. Der Kopf ist frei, keine quälenden Gedanken und die Schmerzen brauche ich auch nicht und will sie auch nicht mehr aushalten müssen. Es ist genug, dann wäre das eben meine Lösung. Ich weiß, keine gute Lösung, aber eben meine Lösung, um am Leben zu bleiben.“

Jetzt sind schon wieder Monate vergangen und ich bin hier, statt zu Hause. Ohne Hoffnung oder die Aussicht, dass es anders wird. Wenn es nicht anders wird, dann ist meine Entscheidung eben die Klinge, um die Schmerzen loszukriegen, wenn ich dadurch auf die Füße komme! Es ist genug!

Ich denke, es macht keinen Sinn mehr, noch länger hier zu bleiben und zu hoffen, dass es besser wird. Ich habe für mich entschieden, ich gehe heim. Noch eine Woche gebe ich mir Zeit und dann gehe ich heim, egal wie es mir geht.

Die Woche, die ich mir noch gegeben habe, bevor ich heimgehen wollte, die hat für mich leider keine Veränderung in meinem Befinden gebracht.

Egal – ich bin heim. Herr Dr. S. hat mir immer wieder Hilfe angeboten und Termine für Therapiegespräche gegeben, die mich dann doch mal so gerade über Wasser gehalten haben. Ich habe alles versucht, meine „Pflichtkür“ jeden Tag eingehalten, das heißt, bestimmte Aufgaben konsequent durchgeführt, abgearbeitet oder, wie man es besser nennen kann, mir aufgezwungen und mich abgequält. Das war wichtig und ist es heute noch. Ich messe daran meine Leistungsfähigkeit und meine Wertigkeit!

Ja, meine Wertigkeit. Wenn ich nicht alles in den Griff bekomme im Haushalt, um die Fassade zu erhalten, dann bin ich nichts wert – bin eben das Letzte, schäme mich und es geht weiter abwärts mit mir und meinem Selbstwertgefühl.

Es gab nichts, was ich zur Pflichtkür zusätzlich geschafft hätte, nichts für mich – nichts, was mir Spaß gemacht hätte. Alles wurde schwerer und Ende Januar ging gar nichts mehr, nur noch heulen und Suizidgedanken.

Also, wieder einmal stationär.

Was nun folgte, macht mich heute noch fassungslos und lässt es mich einfach nicht begreifen. Ich war ca. 2 Wochen in der Klinik und es ging mir wirklich so richtig schlecht. Das volle Programm, Schlafstörungen, FB’s, die grauenvollsten Bilder im Kopf. Was am schlimmsten war, es waren wieder neue schreckliche Erinnerungen da und ich wurde nicht damit fertig. Wieder ein kleines Mädchen auf bestialischste Weise vor meinen Augen umgebracht, wieder von den vier Männern missbraucht, verstümmelt und bis zum Tod gequält. Ich musste das wieder miterleben. Wie immer war mein Opa der Chef, er hat dagesessen und alles genussvoll beobachtet und sogar teilweise dirigiert.

Mich ließ er immer „nur missbrauchen“, ringsum von allen vier Männern, solange, bis sie mehr wollten, dann brachte Rudolf das andere Mädchen rein. Sie hatte Angst und weinte sehr. Ich kann mich noch genau an sie erinnern. Es war einfach nicht auszuhalten, daran zu denken, das immer wieder im Kopf zu haben. Die Bilder zu sehen und alles wieder und wieder zu erleben, zu hören, zu riechen und vor allem zu sehen. Und genau, als ich damit herumlief, heulte, schrie, mich schnitt, immer wieder schnitt, um es auszuhalten, kam der Chefarzt der Klinik in der ich seit 1996 in Behandlung bin, der fast meine gesamte bisherige Vergangenheit aufgearbeitet hat, und teilt mir mit, dass ich dieses Mal nur für 3 Wochen aufgenommen wurde und keinen Tag länger. Zwei Wochen sind um und ich stecke im Schlimmsten, was es wieder einmal für mich geben kann. Und dann das!

Wieso nur 3 Wochen?

Nicht die Kasse hat mir keine Zeit mehr gegeben. Wäre es die Kasse, ich könnte es ja noch verstehen, die haben mir echt viel Verständnis entgegengebracht.

Aber nein! Es war die Klinik, die kein Verständnis für meine Situation mehr aufbringen wollte.

Es tut weh, wieder so verletzt zu werden, so enttäuscht zu werden.

Warum? Warum ich? Was habe ich getan?

Es sind noch so viele Patientinnen da, die wie ich immer wieder länger hier sind und im Vergleich doch nie so etwas Grauenvolles erlebt haben. (Ich maße mir nicht an, zu vergleichen, ich wünschte mir aber, dies wäre getan worden).

Kann mir jemand sagen, wie ich mich fühlen soll? Die Klinik, die Leute, denen ich am meisten danke, denen ich mein volles Vertrauen entgegengebracht habe, die setzen mich einfach vor die Tür.

Geh doch mal woanders hin? Aber ich habe hier, in dieser Klinik meine schlimmste Zeit durchgestanden. Ich bin doch fast am Ende, fast am Ziel meines Weges, habe es fast geschafft.

Hier hat man mir geholfen, all das Schreckliche zu verarbeiten. Da soll ich einfach so woanders hin und dort mal so einfach weitermachen. Wie soll das gehen? Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber hier werde ich die nächste Zeit (wie lange, weiß ich nicht) nicht mehr aufgenommen.

Was bin ich? Was habe ich getan? Bin ich so ekelhaft, dass die mich nicht mehr ertragen können?

„Es macht ja keinen Sinn, die Behandlungszeiträume werden nicht kürzer, Ihnen geht es immer schlechter!“ Ja, das soll der Grund sein! Herr Dr. S. hat auch alles versucht, um zu erklären, dass wir fast am Ende der Therapie sind, aber es war sinnlos – sie wollten das nicht hören und haben es nicht gehört.

Klar, ich kann mich ja morgen vor jemand völlig fremden evtl. sogar noch einen Mann setzen und mal so munter drauflos plaudern. „Hallo! Das geht doch nicht!“

Mein ganzes Vertrauen ist hier, in diesem Haus (und da leider auch schon mehrfach sehr enttäuscht worden).

Tja, ist wohl wahr, eine Trennungsproblematik oder Entlassung aus der Firma usw. ist leichter zu ertragen und einfacher, wie meine Geschichte. Ich wurde sowieso schon von Station zu Station und zurück gereicht, weil ich zu „belastend“ bin.

Vielleicht wäre es besser gewesen, mein Suizidversuch hätte geklappt, da könnte mich jetzt keiner ins „Nichts“ hineinwerfen.

Wieso ins „Nichts“ weil ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Ich stehe im Leeren!

Wo soll ich hin, wenn es mir sehr schlecht geht? Ich habe Angst, ich bringe mich um!

Das hier, das beweißt mir doch, wie man von mir denkt, was die wirklich von mir halten! Ich fühle mich wie ausgestoßen, weggeworfen, eklig, dreckig, eben das Letzte. Ich habe Angst, unheimliche Angst, was werden soll, wenn es mir schlechter geht.

Wo soll ich denn hin? Wer kann mir helfen?

Herr Dr. S. sagt zwar, er lässt mich nicht im Stich. Ich glaube ihm, aber das hier, das Gebiet der Klinik – es wird wie verbotenes Gelände für mich sein. Wenn ich zu Herrn Dr. S. zum Einzel will, werde ich immer Angst haben, es erwischt mich jemand und wenn, dann fühle ich mich, als hätte ich ja hier nichts mehr zu suchen und könnte weggejagt werden.

Und dies bei der Klinik, der ich so viel zu verdanken habe. Ja, ich habe für dieses Haus so viel Dankbarkeit in mir, wie soll ich mit der Enttäuschung, Verletzung umgehen? Ich bin doch so dankbar, dass sie mir all die Jahre so viel geholfen haben.

Aber jetzt habe ich Angst, riesengroße Angst, und die ist durch die Klinik auf mich eingestürzt. Es lohnt nicht, mich weiter zu behandeln – zu krank!

Herr Dr. S und auch ich haben versucht zu erklären, dass ich nur noch vorwärts gegangen bin. Mir hat Herr Dr. S gesagt, er hat wirklich alles versucht, mir zu helfen, dass ich hier bleiben kann und es tut ihm unendlich leid für mich. Aber er hat auch gesagt, dass er mir immer helfen will und mich nicht auch im Stich lässt.

Ich vertraue ihm, aber ich weiß noch nicht, ob ich es schaffe, ihn von der Klinik zu trennen, so dass ich zu ihm gehen kann, wenn ich Hilfe brauche. Es gibt ja nur noch ihn. Wo sollte ich sonst hin, wer würde mir sonst helfen?

Ich kann doch niemandem sagen, was ich bin. Der Suizid steht mir jetzt sehr nah, weil kein Weg da ist, keiner den ich weiß. Der Boden unter meinen Füßen ist weg!

Noch ist eine Woche Zeit bis zur „großen Entlassung“, oder soll ich lieber sagen, bis zum endgültigen Rausschmiss?

Ich fühle mich schuldig – so, als hätte ich irgendetwas Schlimmes getan und deswegen werde ich hier nicht mehr geduldet.

Auch das, was ich gerade wieder mit mir herumschleppe ist schon schlimm genug. Ich kann kaum darüber sprechen und dann nur mit Herrn Dr. S.

Wie soll ich weiterleben?

KANN ICH JETZT NACH DIESER MIR UNVERSTÄNDLICHEN KRASSEN ENTSCHEIDUNG DER KLINIK NOCH WEITERLEBEN?

Ist doch alles zerrissen worden – jedes Vertrauen zerstört. Ich kann doch nie mehr vertrauen und ich schäme mich jetzt auch noch für mein Vertrauen, was ich hatte. Die, die mir das jetzt antun, hätten nie etwas von mir erfahren dürfen.

Ja, – Schweigen ist besser!!

Die 3. Woche verging und es ging mir immer schlechter, ich lag nur noch im Bett und war in der grauenvollsten Vergangenheit gefangen.

Die Einzigen, die sich noch um mich bemühten, waren Schwester Hedi und Herr Dr. S. Ich konnte keine andere Hilfe mehr annehmen, war zu, hatte dichtgemacht.

Es tat zu weh und war zu enttäuschend für mich.

Der Entlassungstag – 20.02.2008

Ich wollte niemand sehen, wollte niemand unter die Augen treten, habe mich zu sehr geschämt. Keine Abschiede von mir lieben Mitpatientinnen. Es tat alles zu weh und ich schämte mich. Das war ja wie ein Rauswurf. Ehrlich, ich kam mir vor wie ein Verbrecher. Meine Sachen packen ging schnell. Ich sollte verlegt werden in eine andere Klinik, weil ich suizidal war. Da ich sehr schlecht dran war, stand ein Krankentransport an. Aber Schwester Hedi bot mir an, mich selbst nach Ahrweiler zu fahren. Das war gut. Ich war ihr sehr dankbar. Schwester Hedi ist wie ein Engel, sie ist immer aufgetaucht, wenn es mir sehr schlecht ging, so als hätte sie ein Gespür dafür. Und heute tauchte sie eben auch wieder auf und half mir, hier rauszukommen. Ich war nicht mehr in der Lage zu reagieren oder zu agieren. Was jetzt kam, das wurde mit mir gemacht. Ich habe nur noch stumm alles ertragen. Ich war ausgeschaltet, innerlich tot, ausgebrannt – funktionierte nur noch brav, wie man es eben von mir erwartete.

Es war besprochen und entschieden worden, dass ich in die Dr. von E. Klinik gebracht werde, da ich dort schon einmal war und zwar nach dem letzten Suizidversuch. Ich war damals auf der Geschlossenen bzw. geschützten Frauenstation und nun werde ich also heute wieder dahin gehen.

Es ist schon richtig, hierher zu gehen, denn hier war ich schon einmal und ich kenne daher das Personal. Ich bin dem Personal für die Hilfe und das Verständnis für meine Situation nach dem Suizidversuch sehr dankbar. Ich habe mich dort sicher und gut aufgehoben gefühlt.

Wird es wieder so sein? Hier habe ich keine Therapiegespräche. Werde ich es aushalten können ohne reden zu können? Wie wird es mir gehen, wenn ich mit mir allein klarkommen muss?

Richtig ist es schon, langsam mal dahin zu kommen, dass ich mit mir allein klarkomme. Ob ich das jetzt schon schaffen kann, jetzt, wo es mir so schlecht geht und wieder etwas Neues, Schreckliches hochgekommen ist? Wie soll ich zurechtkommen? Ich habe Angst!

Die Aufnahme im Beisein von Schwester Hedi verläuft reibungslos – ich war ja schon angemeldet (telefonisch). Schwester Hedi bringt mich noch hoch auf Station und übergibt mich dem dortigen Personal und dann verabschiedet sie sich. Ich bin allein.

Ich fühle mich auch schrecklich allein, verlassen, verraten, enttäuscht. Bin nur am heulen und innerlich lehne ich das alles, was jetzt auf mich wartet, total ab.

Da ist aber auch noch das Versprechen von Herrn Dr. S., dass er immer für mich da ist, mir weiterhin helfen wird und vor allem, dass er überzeugt ist, dass es besser wird. Er ist überzeugt, dass ich richtig leben kann! Und, wenn Herr Dr. S. sagt, dass es gut wird, dann will ich ihm glauben. Inzwischen denke ich auch, ich habe so viel durchgehalten, soviel gelitten, es soll nicht umsonst gewesen sein.

Es wird weitergehen. Wie? Ich weiß es noch nicht. Aber ich habe ein Ziel, das alles soll aufhören, mich zu quälen (ich weiß, es wird immer da sein) und ich will endlich richtig leben. Mich normal fühlen. Ich habe festgestellt, immer dann wenn das Erlebte mit den dazugehörigen Gefühlen übereinstimmte und, wenn ich den Schmerz überstanden habe, ihn aushalten kann, dann war ich wieder einen Schritt weiter zum richtigen Leben.

Ich habe mich entschieden zu leben. Ich habe die Aufgabe, das Buch zu veröffentlichen. Als ich angefangen habe zu schreiben war es erst, weil ich nicht reden konnte, dann um nicht reden zu müssen, aber letztendlich doch, um alles loszuwerden. Erst viel, viel später rieten mir vor allem Schwester Hedi und Herr Dr. S. dazu, dieses Buch zu schreiben. Ich wollte nicht mehr allein sein damit, und auch, um all denen, die sich mit ihrer Geschichte quälen, Mut zu machen. Mut? Ja, Mut zum Leben, denn ich kann nun doch nach all dem, aber vor allem durch die konstante Hilfe und das Vertrauen von Herrn Dr. S. leben.

Richtig leben?

Ja, es geht. Ich fühle mich normal, kann lachen und ich weiß, dass ich mich nicht mehr schlecht und verlogen fühlen muss, mich nicht mehr schämen muss. Ich fühle mich frei, fühle mich endlich normal. Ich denke nun nicht mehr, dass ich alle anlüge.

Ich muss mich nicht mehr schlecht und verlogen fühlen, weil ich den Mut hatte, meine Geschichte aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Ich lüge nun niemand mehr an, habe die Wahrheit über mich und alles Erlebte hier aufgeschrieben. Ich habe nichts weggelassen und alles ehrlich aufgeschrieben, damit es mir hilft, mich nicht mehr so schlecht zu fühlen.

Ich habe dieses Buch auch für alle geschrieben, die Schlimmes, Grausames erlebt haben und nicht mehr daran glauben, dass das Leben je normal wird, die immer wieder zweifeln, dass es je besser werden könnte.

Ich möchte einfach nur sagen, es lohnt sich trotz aller Qualen, die eine Therapie mit sich bringt, diese auf sich zu nehmen und für sich zu kämpfen.

Das Schlimmste ist doch schon überlebt – das war doch damals und nun kommt es darauf an, die Gespenster von damals noch zu überwältigen. Klingt dramatisch. Aber ich meine, die Kindheit, ist von uns überlebt worden, also werden wir das jetzt auch schaffen!

Ich habe 20 Jahre gekämpft, hatte viel und sehr gute Hilfe. Ich habe mich in den ganzen Jahren immer wieder in allen Büchern gesucht – einfach um Hilfe zu finden, Hoffnung zu finden. Jemand zu finden, der es geschafft hat. Ja, ich wollte immer wieder wissen:

„Kann man damit leben?“

Man kann damit leben. Meine Geschichte gehört jetzt zu mir, ist meine Vergangenheit und ich habe Zeiten, wo ich schrecklich trauere und sehr viel weine. Der Schmerz mich fast auffrisst. Aber ist dieser Schmerz nicht gerechtfertigt. Ich lasse ihn zu und kenne jetzt das Gefühl SCHMERZ – es ist mir nicht mehr unbekannt und ich muss mich nicht mehr schneiden, um ihn auszuhalten.

Ich lasse diese Zeiten zu, verdränge sie nicht. Sie gehören zu mir – so, wie jetzt auch endlich das Lachen zu mir gehören kann.

ICH DARF AUCH LEBEN, denn ich habe keine Schuld auf mich geladen auch, wenn ich mich mein ganzes Leben lang schuldig gefühlt habe. Ich wollte nie Böses tun und hätte nie Böses getan.

Immer wollte ich lieber tot sein, tot, wie diese Mädchen. Es war mir leider nicht vergönnt, deshalb bin ich noch da. Schwester Hedi meinte, ich muss dieses Buch auch für die Mädchen herausbringen, deshalb, genau deshalb sei ich noch da.

Ich habe Herrn Dr. S. und der Station Spielrein der Dr. von E.-Klinik zu verdanken, das ich die letzten Schritte trotz des riesengroßen Stolpersteines doch noch gehen konnte.

Ich denke immer daran, was Schwester Hedi oft sagte: „Es hat alles seinen Sinn – sieh hinterher zurück – und, du siehst, für irgendetwas war es gut!“

Sie hatte immer Recht und Herr Dr. S. hatte auch recht, es ist zu schaffen.

Jetzt nach all den Jahren der Therapie ist mein Leben anders. Ich fühle mich nicht mehr unnormal, auch komme ich mir nicht mehr verlogen vor. Ich denke, ich muss wirklich dankbar sein, dass ich noch am Leben bin. Nun bin ich fast 60 Jahre alt und kann endlich sagen, es geht mir gut. Ich muss mich nicht mehr so quälen und die Schmerzen sind fast weg. Schneiden ist schon lange kein Thema mehr bei mir und ich habe mich sehr, sehr lange sehr schlimm geschnitten, um mein Leben auszuhalten. Heute muss ich mein Leben nicht mehr aushalten. Abends kann ich meistens sagen, dass ich mit dem Tag zufrieden bin. Es ist einfach eine ganz anderes Lebensgefühl da und ich kann nur sagen, der mühsame Weg ans Licht hat sich gelohnt.

Ich finde es nur traurig, dass so viele Zeit meines Lebens so unerträglich war und ich nun schon 57 Jahre alt bin, wo es endlich möglich ist, zu leben, mich zu fühlen, mich wohl zu fühlen. Nie hätte ich gedacht, dass es mir einmal so gut gehen kann, wie es mir jetzt geht. Ich hab es immer gehofft, aber richtig geglaubt habe ich es nie.