18.1.2005
Viele Tage habe ich nicht mehr am Computer gesessen – ich bin weggelaufen davor. Wollte nicht daran denken, was passiert ist. Aber ich habe daran gedacht – innen in mir drin – es ist immer da – außen sieht man nichts und ich sage auch nichts mehr, weil es so schlimm ist und ich mich so schlecht fühle deswegen. Wieso lebe ich und nicht dieses Mädchen? Wieso? Wieso war es möglich, dies so lange nicht mehr zu wissen? Wie kann man so etwas einfach vergessen. Verdrängen. Gut, ich habe schon in Filmen gesehen, dass so etwas passiert, aber es waren nur Filme und da war es eben nicht echt. Ich finde es unfassbar, dass so etwas möglich ist. Immer mehr Angst habe ich vor mir selbst, vor dem, was ich noch weiß ... und wann ich es wieder wissen werde. Es ist so – es ist nicht zu begreifen. Bisher habe ich gar nicht so sehr darüber nachgedacht. Doch, habe ich schon, aber es betraf nur mich und ich habe gewusst, ich kann jetzt, nach dieser langen Zeit nichts mehr tun. Ich kann nichts beweisen – gar nichts. Aber es ging eben nur um mich. Aber nun ist es anders – nun geht es nicht nur um mich – es geht um das, was ich gesehen habe. Was sie mit dem Mädchen getan haben. Ich kann es nicht fassen, dass ich nichts, gar nichts Konkretes sagen kann oder weiß, nur das, was geschehen ist und nicht wann, wo, wer. Das macht mich stumm und traurig.
Wozu reden? Wozu es sagen? Keiner kann mir das abnehmen, mich davon befreien, kein schneiden kann helfen – nichts kann helfen. Es macht mich so verzweifelt.
Ich wünschte, ich hätte mit ihr spielen können, sie als Freundin kennen gelernt, aber ich habe sie nur einmal gesehen und ich denke, dass war nicht geplant, dass sie stirbt und dann wohl doch, um uns noch mehr Angst zu machen. Sie hat die Angst, die Quälerei und die Schmerzen nicht überlebt und ich stand da und konnte nur spüren, dass etwas geschehen ist, was nicht geschehen sollte.
Sie waren zu viert und haben es genossen, ihr weh zu tun und auch, dass ich zusehen musste und Angst hatte. Sie lachten und gaben mir zu verstehen, dass ich auch nicht mehr lange warten muss, bis sie sich mit mir beschäftigen.
Sie hat fürchterlich geschrieen, was sie richtig mit ihr gemacht haben, ich konnte es nicht genau sehen, aber sie hatten Drähte und immer, wenn sie sie damit berührten hast sie schrecklich geschrieen. Ihre Mundwinkel waren eingerissen und bluteten, sosehr haben sie ihre Dinger einer nach dem anderen in ihren Mund gesteckt und sie gequält, dass sie fast erstickt ist an dem Dreckszeug. Aber das hat sie überlebt. Sie hatten Geräte, die sie ihr unten reinsteckten und sie hat geschrien und sie lachten. Ich stand da und sah, was sie mit ihr machten und wusste, das passiert mir auch gleich. Ich habe nicht die Männer gesehen, ich habe nur gesehen, wie ihre Hände zuckten und sie geschrieen hat – bis es auf einmal still war. Die 4 und auch mein Opa standen da und sahen sich an. Ich spürte, es ist etwas Schlimmes passiert und ich wusste auch, was passiert ist. Sie lebt nicht mehr. Sie lag da, klein nackt und ganz still, hat nicht mehr geatmet und ihre Augen waren offen, aber sie sahen mich nicht mehr. Ich wollte sie berühren, wollte sie festhalten, wollte bei ihr bleiben. Aber ich hatte den Strick um den Hals und mein Opa hielt ihn ganz kurz und fest. Ich konnte keinen Schritt in ihre Richtung machen.
Ich habe gezittert und geweint. Nicht laut – leise habe ich geweint. Sie sahen mich an und wussten, dass ich es kapiert habe, was da gerade vor mir passiert ist. Sie haben dieses kleine Mädchen so gequält, dass sie gestorben ist. Sie haben es mit diesen Kabeln (heute weiß ich, dass es Stromkabel waren) und mit Gegenständen, die ich nicht kenne und auch nicht richtig gesehen habe, gefoltert. Sie wollten die Schreie, sie haben sich gefreut, wenn es weh tat, dass konnte ich sehen und ich kannte es ja selbst auch schon.
Sie haben sie auch mit einer Kerze verbrannt unten, so, wie es mein Opa immer bei mir gemacht hatte, wenn er mit mir allein zu Hause war. Aber das hier war viel, viel schlimmer und mein Opa sah immer nur zu, wenn andere Männer diese Dinge machten.
Heute war es anders, heute legten sie mich auf den Tisch und mein Opa setzte sich nicht hin, er kam mit an den Tisch und bei allem, was sie taten, sagte er mir, dass ich es wohl heute überleben werde, aber nur, wenn ich mein verdammtes Maul nicht aufmache und irgendetwas erzähle, was heute passiert ist, was ich gesehen habe. Alle haben mich geschlagen, mich mit Nadeln gestochen in die Zehen und in die Fingerspitzen, das hat fürchterlich weh getan, sie haben die Nadeln richtig tief reingestochen und gelacht dabei. Ich konnte meine Hände nicht wegziehen, sie waren festgebunden. Dann haben sie mich auch mit den Kabeln berührt – das war am schlimmsten, ich habe so geschrieen, bis ich nicht mehr schreien konnte und sie haben mich geschlagen, immer wieder geschlagen und mir gesagt, dass ich ja mein Maul halten soll, sonst erledigen sie mich das nächste mal richtig. Sie haben gesagt, sie bringen mich um, wenn ich auch nur ein Wort sage und sie würden es erfahren, wenn ich etwas sagen würde und mich sofort holen.
Als sie mit mir fertig waren, unten und mein Mund weh taten, wund und blutig und eklig dreckig war, konnte ich mich nicht mehr bewegen, nicht mehr laufen – alles tat weh und ich bin hingefallen, als ich laufen sollte. Opa hat mich in die Dusche dort gelegt und abgeduscht – es hat schrecklich gebrannt und wehgetan. Ich habe geweint, weil es so gebrannt hat mit der Seife, da hat mein Opa mich angebrüllt, ich soll meine Schnauze halten, denn immerhin, lebe ich noch und das könne sich sehr schnell ändern. Es liegt nur an mir, wie ich in Zukunft spuren werde. Wie ich nach Hause gekommen bin, ich weiß es nicht. Was zu Hause war, ich weiß es nicht. Ich bin in meinem Bett liegen geblieben und konnte mich lange nicht bewegen, weil alles so wehtat. Gesagt habe ich nichts – nie und ich wusste alles nicht mehr – bis vor wenigen Tagen.
Ich will nicht mehr, es ist doch genug, ich will nichts mehr sehen in meinem Kopf. Ich kann nicht mehr, habe schreckliche Angst und mir tut alles weh. Ich möchte allein sein und verschwinden. Es soll aufhören, endlich aufhören – ich halte es nicht mehr aus. Das kann doch keiner aushalten und ich schaffe es auch nicht, auch wenn ich mir noch solche Mühe gebe. Ich reiße mich so zusammen, aber es geht nicht. Dann ist es plötzlich da, ich sehe es und spüre es und habe Angst und will nicht mehr leben. Verdammt, wie soll ich das denn schaffen – sie ist tot und ich stand daneben und habe zugesehen und dann hatte ich Angst, selbst zu sterben. Es wäre besser, ich wäre auch gestorben dabei, dann hätte ich es heute nicht mehr im Kopf und müsste ständig schreien und heulen. Ich will das ja nicht, aber ich kann nicht mehr, ich schaffe es nicht, so zu denken, dass es vorbei und lange her ist – für mich ist es jetzt, weil mir jetzt auch alles weh tut und ich sie sehe, wie sie daliegt mit offenen Augen und sich nicht mehr bewegt. Mein verdammter Körper sah dann genauso aus, wie ihrer, nur dass ich nicht tot war, sondern abgeduscht wurde, damit es nicht so deutlich zu sehen ist und, wenn ich angezogen bin, ist sowieso nichts mehr zu sehen, nur dass mein Mund eingerissen ist von ihren Dingern, aber da weiß ja keiner, dass es davon ist, also braucht sich da auch keiner Gedanken drüber zu machen. Ich wünschte, ich würde genauso, kalt und reglos, wie das Mädchen daliegen und endlich meine Ruhe haben – für immer. Ich wünsche es mir so sehr, das glaubt gar keiner. Lieber tot sein, als das aushalten müssen, wie es mir jetzt geht.
Mein Kopf tut weh und immer kommen diese verdammten FB und ich sehe und fühle, was passiert und sehe mehr und es hat kein Ende. Ich bin nicht die Frau, die erwachsene Frau von 52 Jahren, ich bin so alt, wie damals und es geht mir beschissen, Ich höre mir an, was alles schon vorbei ist und das nichts mehr passieren kann und plötzlich ist es wieder da und passiert, passiert doch noch und es tut weh und ich habe schreckliche Angst.
Das klingt alles so gut: „Schon viel erreicht.“ Aber warum tut es so weh? Warum halte ich es nicht mehr aus und möchte auch tot sein und nichts mehr spüren, nichts mehr erfahren? Verdammt, kann denn keiner verstehen, wie fertig ich bin und dass ich nicht einmal weiß, ob es zu Ende ist und ständig Angst vor mir selbst habe, vor dem, was in meinem Kopf passiert.
Ich schneide mich nicht mehr, wie viele Tage es jetzt sind, weiß ich nicht, erst war ich richtig froh, darüber, dann mit den zunehmenden Schmerzen habe ich gekämpft, es nicht wieder zu tun und nun denke ich, wenn es noch einmal passiert, dann richtig und für immer. Ich denke das immer öfter, aber ich habe einen Vertrag und ich wollte, dass mir geholfen wird. Es hilft nur nicht, ich kann nicht mehr. Ich habe Schmerzen, denke nur noch an das, was ich gesehen und gefühlt habe. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll – wie soll ich damit leben, wie soll das gehen? Ich bin so müde, habe keine Kraft, traue mich nicht zu schlafen und habe Schmerzen, dass ich schreien könnte vor Schmerzen.
Wozu?
Ich werde dieses Jahr 53 Jahre alt und bin seit 1994, das sind jetzt 11 Jahre in therapeutischer Behandlung und es war so schlimm, obwohl ich die Zeit gar nicht als so lange wahrgenommen habe, denn die meiste Zeit war ich nicht im Jetzt. Wie oft hatte ich nur noch einen Gedanken – ich kann nicht mehr, halte es nicht mehr aus, will weg, will tot sein, ich bringe mich um.
Wenn ich so viele Wochen in der Psychiatrie war, dann habe ich es gar nicht mitbekommen, wie viele Wochen es waren, weil es mir so schlecht ging. Meine Arme sehen schrecklich aus und ich schäme mich, wenn ich nicht daran denke und sie jemand sieht. Immer mehr zweifle ich daran, ob es sich lohnt, weiter zu leben. Ob es sich lohnt, das alles weiter auszuhalten. Meine Arbeit, meine Kinder – verloren.
Meine Familie, nach der ich mich gesehnt habe, als ich zu meinem Vater geschickt wurde – weg. Immer mehr schreckliche und unerträgliche Erinnerungen kommen zurück. Ich habe solange ohne Kindheit, ohne Jugend gelebt und nun – viel Zeit ist jetzt da, erinnert. Aber es ist immer noch so viel Zeit da, von der ich nichts weiß. Das macht mir Angst.
Ich habe ein einziges Bild von mir gefunden. Ich glaube irgendwann während meinem Studium habe ich meine Mutti mal nach Bildern von mir gefragt und habe es von ihr geschickt bekommen. Wenn ich dieses Bild ansehe und denke, dass ich das bin, dann ist es schwierig, zu fühlen, dass ich so klein war, als mir das alles passierte. Ich bin jetzt über 50 und erst jetzt, in den letzten Jahren spüre ich die Schmerzen, die Angst und die Hoffnung auf Hilfe. Ich fühle mich oft wie 5, 8 oder 12 Jahre alt, aber es ist schwierig zu erkennen, dass ich so klein war, als dies alles geschah. Ich meine, es ist immer noch schwierig, zu akzeptieren: „Ich war so klein, so wehrlos, ich konnte nichts dagegen tun.“ Immer noch versuche ich, es nicht zu glauben, dass es mein Opa, mein Vati, mein Bruder, meine Familie war, die mir so wehgetan haben. Es ist so, als hätte ich Einen nach dem Anderen weggenommen bekommen – verloren. Ich habe sie nie gehasst – ich habe sie vermisst, als ich mit 13 Jahren von zu Hause weggeholt wurde. Ich habe meine Mutti vermisst, sogar meinen Opa habe ich vermisst.
Zu begreifen ist das nicht – ich kann es nicht begreifen, wieso ich nicht froh war, von zu Hause weg zu sein. Bis vor kurzer Zeit und sogar jetzt noch teilweise möchte ich sie lieben. Es ist doch meine Familie, meine Mutti. Immer noch ist es so, dass ich mir klar machen muss, die haben mich nicht lieb gehabt, die haben mir wehgetan. Ich müsste sie doch hassen, richtig hassen. Ich hasse sie nicht, ich bin nur unendlich traurig und enttäuscht. Es hat wehgetan, während der Therapie einen nach dem anderen loszulassen. Ich habe es immer noch nicht geschafft, ich bin immer noch dabei, mir klar zu machen, das war keine liebe Mutti, das war kein lieber Opa, das war kein lieber Vati, das war kein Bruder, der verdient, dass ich ihn vermisse.
Die ganzen Jahre, mein ganzes Leben lang habe ich sie gern gehabt, mich danach gesehnt, wieder bei ihnen zu sein, wieder zurück zu dürfen. Danach gesehnt, wie ein kleines Kind. Bis jetzt war das so. Was hätten sie eigentlich noch tun müssen, damit ich sie nicht liebe, mich nicht nach ihnen sehne?
Wieso kann ich so fühlen und hoffen, wo ich doch jeden von meiner Familie weit weg wünschen, vergessen, hassen müsste?
Wenn ich jetzt spüre, was sie mit mir gemacht haben, dann ist es so unerträglich, dass ich das Gefühl habe, verrückt zu werden, den Schmerz nicht aushalten zu können. Immer noch fürchte ich mich vor diesen Gefühlen, vor dieser Wahrheit.
2.2.05 nachts 1.30 Uhr
Es ging mir nicht gut in den letzten Tagen und doch hatte ich einen Tag, den letzten Dienstag, der war ganz normal, der war schön. Ich habe mich gut gefühlt, mich einfach wohl gefühlt und nichts war da. Das hat so gut getan und ich habe gehofft, es bleibt jetzt so. Mittwochmorgen war es vorbei – mir ging es wieder sehr schlecht und ich war so enttäuscht deswegen. Aber es war mir auch klar, dass es nicht vorbei sein konnte. Habe ich es doch selbst nicht fassen können, wieso ich den Dienstag erleben durfte, so erleben durfte, obwohl das Schreckliche erst so wenige Tage da war und ich es deswegen auch nicht richtig fand, das es mir so gut geht, obwohl ich das weiß. Ich habe gedacht, was bin ich für ein Mensch, wenn ich das so schnell vergessen kann und so tun kann, als sei die Welt in Ordnung und nichts passiert. Trotzdem war ich froh über den Dienstag, weil es mit den Bildern kaum auszuhalten war und ich einfach nicht mehr konnte und auch nicht mehr wollte. Ich hatte Angst, ja inzwischen habe ich Angst vor mir, wenn ich Kopfschmerzen und Schmerzen bekomme, dann weiß ich, es will wieder was hoch und ich habe Angst vor mir. Ich kann nicht mehr. Es ist einfach zu viel und nicht mehr auszuhalten, am liebsten würde ich mich umbringen, dann hört es endlich auf.
Am 31.1. habe ich ein Bild gemalt, ein blondes weinendes Mädchen. Ich wusste nicht, dass es noch ein anderes Mädchen gibt, erst in der Nacht, als ich einen Flashback hatte, habe ich sie gesehen.
Ich habe sie genauso gesehen, wie ich sie gemalt habe. Sie saß ängstlich auf dem Boden in der Ecke und hatte dieses schöne rosa Kleidchen an. Es waren wieder die vier Männer, von denen ich keinen Namen weiß, Rudolf und mein Opa da. Mein Opa und Rudolf sind mit mir dorthin gefahren (ich war hinten in dem Lieferwagen, er hatte keine Fenster hinten und ich konnte nicht sehen, wo wir hinfuhren). Als wir dort waren, es war ein Haus im Wald, brachte mein Opa mich ins Haus und ich musste mich ausziehen und er band mir, wie immer, den Strick um den Hals an dem er mich dann festhielt wie einen Hund. Opa brachte mich dann nackig und mit dem Strick in das Zimmer oben und da waren wieder die vier Männer. Ich habe sie schon einige Male gesehen, aber nur hier. Kennen tue ich die nicht. Aber ich weiß, was die tun können und habe schreckliche Angst vor ihnen. Opa setzt sich hin und zieht mich zu sich hin und ich bin erst mal froh, bei ihm zu sein, denn da fasst mich niemand an.
Dann kommt Rudolf rein und auf einmal sind alle aufgeregt und reden durcheinander. Ich versuche, mich umzudrehen, um zu sehen was los ist und sehe, dass Rudolf ein weinendes Mädchen in das Zimmer bringt. Er zieht sie in die Ecke neben dem Schrank und schubst sie dort auf den Boden. Dieses Bild, als sie in dem kurzen rosa Kleidchen auf dem Boden sitzt und Angst hat, dieses Bild habe ich gemalt. Aber sie hat noch ihre Sachen an und ich bin nackig. Ich schäme mich, weil ich nichts anhabe und ich habe Angst. Ich muss bei meinem Opa stehen und sie verkriecht sich in der Ecke vor Angst.
Die Männer und vor allem Rudolf, sind ganz aufgeregt. Mein Opa ist ruhig. Er ist immer ruhig. Er hat nur gesagt: „Heute werden wir viel Spaß haben.“ Und dann hat er mich zu dem Tisch hingeschoben. Ich war dran. Das Mädchen saß noch in der Ecke und als ich auf dem Tisch festgebunden war, habe ich versucht in die Ecke zu sehen und da hat sie gerade ganz schrecklich geschrien. Ich wusste erst nicht warum. Der, der neben ihr stand, stand doch ganz ruhig da und hat nichts gemacht. Aber dann konnte ich es sehen, er hat mit dem Fuß auf ihrer Hand gestanden und den Fuß auf ihrer Hand gedreht, deswegen hat sie so schrecklich geschrien. Dann hat er den Fuß von der Hand genommen und gelächelt und ich weiß noch genau, was er gesagt hat. Er hat gesagt: „Das Händchen brauchen wir nicht festbinden, das können wir uns sparen.“ Die Hand sah schlimm aus, hat geblutet und die Finger waren verdreht. Sie hat schrecklich geschrien.
Ich lag auf dem Tisch und war festgebunden und bis jetzt haben die mich noch nicht angefasst, ich meine, mir noch nicht wehgetan. Aber nun drehen sie sich zu mir zum Tisch und ich habe Angst, was sie nun mit mir machen und weiß, es wird wieder schrecklich wehtun. Es hat furchtbar wehgetan und ich habe geschrieen, bis ich nicht mehr schreien konnte und ich habe das Mädchen immer weinen gehört. Was weiter passiert ist, weiß ich nicht, ich habe nichts mehr gesehen, nur weinen und schreien habe ich sie gehört, aber ich konnte mich nicht mehr bewegen, lag auf dem Fußboden. Ich lag bei meinem Opa am Sessel und dann weiß ich nichts mehr.
Mich hat mein Opa wieder heimgebracht. Ich habe nichts gemerkt, ich weiß nicht, wie ich in mein Bett gekommen bin. Aber ich war wieder in meinem Bett und es war vorbei und Opa weg.
Mehr weiß ich nicht von dem Madchen und was sie mit ihr gemacht haben.
Ich denke, ich bin ein „Glückskind“, weil ich meinen Opa habe. Wenn sie dem Mädchen einfach die Hand zertreten haben, dann bringt sie keiner wieder nach Hause, so wie mich mein Opa immer nach Hause bringt. Sie ist bestimmt nie wieder nach Hause gekommen. „Glückskind“ ist Scheiße! Ich kann es nicht aushalten, ich kann es nicht fassen und ich möchte auch tot sein und dies nicht alles wissen und nichts mehr tun können. Wie soll ich damit zurechtkommen – wie soll ich so morgens aufstehen und sagen es ist schön zu leben. Kann ich damit leben und so tun, als sei nichts geschehen.
Vergessen. VERGESSEN, was für ein tolles Wort. Ich fühle mich schlecht, weil ich es solange nicht mehr wusste und nun kann ich nichts mehr tun – gar nichts. Das ist nicht gerecht, das ist so unfair über 40 Jahre sind vergangen. Wer weiß etwas davon nur die, die das getan haben und ich. Mein Opa ist tot und die Anderen – ich kenne keine Namen.
Die Mädchen – ich kenne keinen Namen. Ich kann nichts tun – gar nichts.
Und ich weiß nicht, ob ich so leben kann, mit diesen Bildern – Scheiß „Glückskind.“
Ich kann das nicht aushalten und ich will auch nicht so tun müssen, als sei die Welt in
Ordnung – sie ist nicht in Ordnung, nicht für mich. Wenn ich daran denke, wird mir schlecht, tut mir alles weh, aber das ist nicht so schlimm, wie diese Gefühle auszuhalten.
Schmerz, Trauer, Ohnmacht, Verzweiflung, Angst, Sehnsucht. Ich stehe so nah am Abgrund und habe jetzt so oft das Gefühl, zu springen wäre eine Erlösung. Ich habe keine Angst zu sterben, ich habe Angst, wie ich das weiter aushalten soll. Da ist noch mein Mann und meine Tiere und Freunde und Menschen, die mir helfen, das weiß ich alles. Aber ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, damit zu leben.
Es war mein Opa, der für alles der Chef war, er hat bestimmt. Es war mein Opa und ich hatte „Glück“, dass ich noch lebe. Toll, mit diesem Glück kann ich jetzt leben und mit dem, was ich gesehen habe. Ich wäre auch tot, wenn da nicht mein Opa gewesen wäre! Es wäre besser, denke ich. Was ist denn anders? Mein Opa ist nicht mehr da und ich spüre die Schmerzen und die Angst jetzt noch. Was ist denn anders als damals? Dass ich älter bin und immer gesagt bekomme, dass es vorbei ist. Ist es das? Nein, das ist es nicht und ich weiß nicht, wann es vorbei ist und keiner kann mir sagen, wann es endlich vorbei ist. Ich kann es nicht mehr aushalten.
Ja, heute ging es mir etwas besser, mir war nur im Hintergrund schlecht, ich meine, alles war da, aber es war nicht so schlimm. War es durch die zusätzlichen Medikamente oder wieder ein Tag Pause? Ich sage jetzt, ein Tag Pause, weil es eben nur eine Pause ist und dann schlägt es wieder zu und ich geh fast zugrunde vor Schmerz. Mein Arm hat nach einem Monat (ich war so stolz, mich einen ganzen Monat nicht geschnitten zu haben) auch wieder dran glauben müssen. Na ja, meine beiden Arme, denn es reicht ein Arm nicht, um es erträglicher zu machen. Es hilft auch nur kurz.
Jetzt ist es 2.40 Uhr nachts und ich sitze hier und schreibe. Die vielen Tabletten haben mir geholfen einzuschlafen und dann war alles da und ich bin heulend aufgewacht und habe geschrieben bis jetzt. Was tue ich den Rest der Nacht? Ich habe davon noch nichts im Einzel gesagt. Konnte nicht, hab mich zu sehr geschämt. Sonst hilft mir das Malen immer viel mich zu beruhigen, aber jetzt habe ich Angst zu malen. Als ich vorhin gemalt habe und dann das Bild sah, war es wieder das Mädchen. Ich finde es schrecklich, ich lebe noch und die Mädchen sind tot.
Ja, ich glaube nicht, dass das Mädchen in dem rosa Kleidchen noch lebt – ich glaube es darum nicht, weil meine Hand nicht zertreten worden ist und ich noch lebe.
24.02.05
Ich habe lange Angst gehabt, zu schreiben oder zu malen. Warum? Weil es mich immer wieder zurück führt und ich das nicht mehr aushalten kann. In der letzten Zeit habe ich Strümpfe gestrickt. Ja, Strümpfe gestrickt, so als hätte ich keine Socken. Aber solange ich die Stricknadeln in den Händen hatte, habe ich nicht gemalt oder geschrieben. Es war ganz einfach eine Flucht für mich.